FURIOS AUSGABE02/2021
AUSBLICK
SOMMER-2021
SOMMER 2021 AUSGABE 25
STUDENTISCHES CAMPUSMAGAZIN AN DER FU BERLIN
Willkommen im
Fortschritt? Künstliche Intelligenz
Was ändert sich durch die Automatisierung?
Umweltbewusstsein
Inspiriert aus Omas Zeiten
Europa
Kommt bald die europäische Universität?
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LIEBE KOMMILITON*INNEN, Jetzt mal ehrlich: Die Situation von uns Studis ist momentan nicht leicht. Auf der einen Seite finden wir in der öffentlichen Diskussion, gerade um die Pandemie, wenig Beachtung – dabei sollen wir die Zukunft sichern. Was uns beschäftigt, ist der Wandel, dem wir ausgesetzt sind, den wir aber gleichzeitig auch mitgestalten können und wollen! Wir blicken zurück in die Zeit, in der noch Karotten statt Rhododendren im Garten gepflanzt wurden, schauen auf unsere Angst vor der drohenden Klimakatastrophe und darauf, wie Studieren künftig europäischer werden wird. Gleichzeitig haben wir uns mit zeitlosen Themen wie der Verantwortung der Wissenschaft beschäftigt. Doch ist es immer fortschrittlich, wenn sich alles verändert? Wie reagieren wir auf den Wandel? Wie können wir den Fortschritt nutzen? Diesen Fragen sind wir in Teilen auf den Grund gegangen. Zahlreiche Webex-Konferenzen liegen hinter uns und mit Freude präsentieren wir euch nun das Resultat unserer schweißtreibenden Arbeit – die 25. Ausgabe der FURIOS. Im Namen der Redaktion wünschen wir euch viel Spaß beim Lesen!
Inhalt
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Zeitlos 4 Fortschritt heißt nie Fortschritt für alle - Essay 6 Kommentar: Wir brauchen eine Alternative zum Kapitalismus!
- Maj Pegelow und Philipp Gröschel
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Rückblick
7 Brett vorm Kopf
12 Abtreibung: Ein umstrittener Paragraph bringt Frauen in Bedrängnis
8 Beziehungen: Weg vom Geld, hin zum Glück
14 Wie sich Studieren an der FU verändert hat
9 Swipen - was Studis über Dating-Apps denken
16 Führt uns Umweltbewusstsein zurück zur Eigenständigkeit?
10 Essay; Wissenschaftler*innen in der Verantwortung
18 Fotolovestory: Liebe ist auch im Onlinesemester zu finden
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Ausblick 28 Die Entwicklung der europäischen Universität
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30 Zukunftsangst in Videospielen
»Hier ist kaum noch
32 Quiz: Was in war, wird wieder in sein
Augenblick Raum, um sich darüber Gedanken zu machen, in was für einer Welt wir eigentlich leben wollen.«
»Fortschritt kann auch die Rückbesinnung auf frühere Werte und Verhaltensweisen bedeuten.«
20 Abstrakte Angst vor der Klimakrise 22 Genome Editing - Ethik in der Wissenschaft 24 Wie Studierende ihren Glauben ausleben 26 Interview: Algorithmen Heilsbringer der Technik?
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DAS IST IST DAS
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FORTSCHRITT?!
Die Menschheit entwickelt sich weiter. Damit verbunden ist oft die Vorstellung von Fortschritt – doch was bedeutet das überhaupt?
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ie Welt um uns verändert sich stetig. Unsere Gesellschaft strebt nach Fortschritt. Kann das eine mit dem anderen gleichgesetzt werden? Der Duden definiert Veränderung als ein »Anderswerden«. Es handelt sich also – im Gegensatz zu Fortschritt, der eine »positiv bewertete Weiterentwicklung« meint – um einen neutralen Begriff. Der Fortschrittsbegriff kam erstmals in der Renaissance auf, da sich Gedanken an die Zukunft zuvor nur auf das Jenseits beschränkten. Damals bedeutete Fortschritt eine Verschiebung des Welt- und Menschenbildes weg von Religion hin zu Rationalität und Vernunft. Doch schon wenig später wurde der Begriff »in der globalen Geschichte als machtpolitisches Instrument benutzt«, erklärt Nora Große von der Stabsstelle Nachhaltigkeit und Energie an der FU. Die Koordinatorin für
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ABV Nachhaltigkeitsseminare Im ABV-Bereich bietet die Stabsstelle Nachhaltigkeit und Energie Seminare zu verschiedenen Dimensionen von Nachhaltigkeit an. Marie hat eines ausprobiert und kann es nur weiterempfehlen, da es neben fünf Leistungspunkten auch viele spannende Infos sowie praktische Projekte gibt.
Nachhaltigkeit in der Lehre bezieht sich hier auf den europäischen Kolonialismus. Die empfundene Überlegenheit als vermeintlich fortschrittliche Gesellschaft wurde zur Legitimation für die Unterdrückung anderer. Im Zuge der Industrialisierung wurde Fortschritt zunehmend mit technologischen Veränderungen und ökonomischer Produktivität verknüpft. Seitdem scheint unser Verständnis von Fortschritt untrennbar mit Wirtschaftswachstum und steigendem Wohlstand verbunden. Diesen Gedanken griffen auch Wissenschaftler*innen nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges auf. Sie entwarfen eine Modernisierungstheorie, die die Entwicklung von Ländern untersuchen sollte. In den Wirtschaftswissenschaften führte das zu einem Wachstumsparadigma. Hier setzten westliche Institutionen und deren kulturelle Grundannahmen den Maßstab für das, was als modern und fortschrittlich gilt. In den Sozialwissenschaften schlug sich das in Theorien zur gesellschaftlichen Entwicklung nieder, deren Bezugsrahmen der globale Norden darstellt. Auch wenn diese Ansichten größtenteils als überholt gelten, wirkt die Vorstellung fort. Dabei sieht Fortschritt nicht überall gleich aus. Global betrachtet lassen sich verschiedene Verständnisse von Fortschritt ausmachen, was der israelische Soziologe Shmuel Eisenstadt als die Existenz ›multipler Modernen‹ bezeichnet. Moderne und Fortschritt werden verschieden interpretiert und gelebt. ›Traditionelles‹ vermischt sich mit ›Modernem‹ und bildet neue Konstrukte, die sich oft nicht in eine von beiden Kategorien einordnen lassen. Wie sinnvoll ist also eine solche Einteilung?
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M.A. Zukunftsforschung Das Institut Futur bietet Zukunftsforschung als Masterstudiengang an. Zugangsvoraussetzung ist neben Berufserfahrung, beispielsweise durch mehrere Praktika, eine Hochschulqualifikation. Jedes Wintersemester werden etwa 30 Bewerber*innen zugelassen. Absolvent*innen sind oft in Forschungsund Beratungseinrichtungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft tätig.
ILLUSTRATION Antonia Böker
DIE SCHATTENSEITEN DES FORTSCHRITTS
Wie die Welt Fortschritt versteht, wird also maßgeblich vom globalen Norden bestimmt – ebenso wie die Auswirkungen des Paradigmas im globalen Wirtschaftssystem. Doch das industrielle Wachstum bleibt in seinen Folgen nicht auf einen lokalen Bereich beschränkt. Denn manche Länder profitieren offensichtlich mehr davon als andere. Fortschritt heißt nie Fortschritt für alle. Was Fortschritt ist und wem er zuteil wird, entscheidet sich an vielen Stellen noch immer im globalen Norden. Konkreter drückt es FU-Wissenschaftlerin Große aus: »Die globale Wirtschafts- und Investitionspolitik trägt strukturell dazu bei, dass wir am längeren Hebel sitzen und es den Ländern des globalen Südens schwer machen, voranzukommen, ihre eigenen Vorstellungen
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von Fortschritt oder Entwicklung weiterzuentwickeln und auch umzusetzen.« Richtet man den Blick auf Deutschland, werden ebenfalls Unterschiede deutlich. So können beispielsweise global agierende Konzerne vom gegenwärtigen Wirtschaftssystem profitieren, während der Wohlstand weite Teile der Bevölkerung nicht erreicht. Auch in vielen Ländern des globalen Südens führt das Wirtschaftswachstum nicht zum Wohlstand aller, sondern verstärkt Ungleichheiten. Folgen davon sind gesellschaftliche Herausforderungen, wie erhöhte Kriminalität, was die Lebensumstände maßgeblich prägt. Doch es gibt auch einige positive Veränderungen, wie Nora Große in Bezug auf die Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen erläutert. »Mit diesen Zielen versuchen die UN seit 2015 eine globale nachhaltige Entwicklung voranzutreiben. Bei ihrer Formulierung wurden die Länder des globalen Südens stärker einbezogen und die Länder des globalen Nordens mehr in die Verantwortung genommen als beim Vorgängermodell – den Millennium Development Goals.« Doch auch hier wird Kritik laut, dass die 17 Ziele global unrealistisch zu erreichen seien. Denn sie basieren weiterhin auf einem Wachstumsmodell im Sinne des globalen Nordens, das in sich ökologisch und sozial nicht zukunftsfähig sei. »Unser System sollte nicht mehr nur von Effizienz getrieben werden, sondern auch von Suffizienz«, fordert Große. Damit ist die strukturelle Förderung einer ›genügsamen‹, nachhaltigen Lebensweise gemeint, die zur Reduktion des Verbrauchs an natürlichen Ressourcen führt. Große findet: »Die Vorstellung eines unendlichen Wirtschaftswachstums hat ausgedient.« Stattdessen sollten die Gesellschaft und nationale Regierungen einen stärkeren Fokus auf ein gutes Leben und das Wohlbefinden der Menschen legen. Dieser Meinung ist auch Gerhard de Haan, Leiter des Institut Futur an der FU. Unter Fortschritt versteht er »die Verbesserung der Lebensqualität aller.« Eine nachhaltige Lebensweise sieht er als notwendig an, um globale Gerechtigkeit und somit ein gutes Leben für alle zu ermöglichen. Vor dem Hintergrund der Klimakrise sei Fortschritt für ihn dabei nicht nur ein materieller Zuwachs an Dingen, wie es das verbreitete Verständnis suggeriere. »Fortschritt kann auch das Erhalten des Status Quo sein. Zum Beispiel in Bezug
AUSBLICK ZEITLOS auf Biodiversität und den Artenerhalt.« Manchmal könne sogar ein Rückgang Fortschritt bedeuten, beispielsweise beim Ressourcenverbrauch.
DER BLICK IN DIE ZUKUNFT
An der FU lehrt und betreibt de Haan Zukunftsforschung. Diese setzt bei den Ergebnissen anderer Studien an: In Umfragen wie der Umweltbewusstseinsstudie des Umweltbundesamts geben die Teilnehmenden eine aktuelle Einschätzung ihres Lebens und des gesellschaftlichen Zustands ab. Außerdem nennen sie ihre Wünsche für ein zukünftiges gutes Leben. »Dabei gibt es eine Diskrepanz zwischen dem, was sich die Menschen wünschen und dem, was sie tatsächlich tun«, sagt de Haan. Beispielsweise möchten viele Deutsche mehr Biolebensmittel in Supermärkten, doch nur ein Bruchteil von ihnen kaufe sie bereits ein. »Hier setzt die Zukunftsforschung an. Aus den Wünschen der Befragten entwickeln wir mögliche Szenarien für die Zukunft.« Beispielsweise im Bereich der schulischen Bildung, wo sich die Frage stellt, ob der Unterricht zunehmend digital stattfinden wird oder weiterhin primär analog. Unerwartete Ereignisse wie die Coronapandemie, die einen tiefgreifenden und plötzlichen Umbruch der gegenwärtigen Situation verursachen – sogenannte Wild Cards – können dabei nicht in die Forschung einbezogen werden. Daher können auch Zukunftsforscher*innen nur mutmaßen, welchen langfristigen Einfluss die Pandemie auf die Gesellschaft haben wird. Die Zukunft bleibt also ungewiss. Veränderung ist unvermeidlich, aber wir können selbst bestimmen, wie sich unsere Gesellschaft und die Welt entwickeln sollen. Doch unsere Orientierung muss keinem Fortschrittsbegriff folgen, der so viele Bewohner*innen unserer Erde übersieht. Wir brauchen neue und nachhaltige Konzepte, die uns helfen, ein gutes Leben für alle zu ermöglichen. Wie soll unsere Zukunft aussehen? Leonie Beyerlein
weiß manchmal nicht mehr so richtig, wo vorne und hinten ist.
Marie Blickensdörfer
hat nach diesem Artikel gar keine Lust mehr auf Fortschritt und erst recht nicht auf Kapitalismus.
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GEFANGEN IN DER
ALTERNATIVLOSIGKEIT Am Horizont zeichnet sich ab, dass wir zumindest die schlimmsten Auswirkungen der Pandemie bald hinter uns lassen können. Endlich kann alles so weitergehen wie bisher. Ein entmutigender Gedanke! ILLUSTRATION Lara Rau
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reund*innen in Bars treffen, ins Kino gehen und ohne Sorge die Oma besuchen – darauf haben wir alle lange gewartet und wir haben jedes Recht, uns darauf zu freuen. Aber dürfen wir uns nach der Pandemie, die eine Zerreißprobe für uns und die Gesellschaft ist, einfach zurücklehnen, unsere Drinks schlürfen, unsere Abschlüsse machen und uns wieder in ein System einfügen, das eigentlich kaum noch funktioniert? Tatsächlich können wir uns eine echte Alternative zum Kapitalismus gar nicht ausmalen. Das ist ein Problem, auf das der britische Kulturkritiker Mark Fisher schon vor der Pandemie hinwies: Es sei einfacher, sich das Ende der Welt vorzustellen als das Ende des Kapitalismus. Unzählige Filme und Bücher beschäftigen sich mit Ersterem, aber wirklich grundlegende Veränderungen, die uns
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eine gerechtere, nachhaltigere und bessere Zukunft ermöglichen könnten, sind heute nicht einmal mehr Diskussionsgegenstand. Vielleicht wurden wir zu oft enttäuscht, um uns wirkliche Alternativen auszumalen. Auch inmitten einer Pandemie, die Menschen buchstäblich nach Atem ringen lässt, und während alles zugesperrt wird, was Spaß macht – die Büros und Fabriken bleiben offen. Unfreiwillig hat sich gezeigt, was von unserer Gesellschaft übrig bleibt, wenn man alle Ablenkung entfernt: Vereinsamung und Selbstausbeutung. Statt grundsätzlich in Frage zu stellen, welchen Weg wir nach der Pandemie einschlagen wollen, und andere Gesellschaftsentwürfe zu diskutieren, wird die Last der Pandemie privatisiert. Konzerne werden hingegen großzügig mit Steuergeldern unterstützt. Mark Fisher
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prägte für diese Alternativlosigkeit den Ausdruck ›kapitalistischer Realismus‹ und meint damit einen Denkrahmen, der die bloße Existenz alternativer Strukturen und Gesellschaftsordnungen nicht zulässt. In der Krise verschärft sich die Logik des Systems, anstatt brüchig zu werden. Die Folgen spüren viele am eigenen Leib. Im letzten Jahr gab es einen immensen Anstieg an psychischen Erkrankungen. So berichteten 80% der Ärzt*innen, dass sie häufiger als zuvor eine Depression diagnostizierten. Dabei war diese, mit über 5.2 Millionen Betroffenen in Deutschland schon vor der Pandemie die neue Volkskrankheit. Dass so viele Menschen darunter leiden, wird einfach hingenommen – es werden nicht Ursachen, sondern nur Symptome bekämpft. Für Fisher hingegen, der selbst an einer Depression litt, und sich 2017 das Leben nahm, war auch das ein systemisches Problem. Die Privatisierung von Stress führt zu einer Entpolitisierung von psychischer Gesundheit, die gesellschaftliche Solidarität durch individuelle Verantwortung ersetzt. Gerade wir Studierende haben das im letzten Jahr zu spüren bekommen. Zunehmender Stress durch übermäßige Anforderungen in den Online-Kursen, Vereinsamung, Zukunftsängste, finanzielle Unsicherheit und so weiter. Natürlich war es notwendig, sich an die Maßnahmen zu halten, um zur Eindämmung der Pandemie beizutragen, und global gesehen befinden wir uns trotz allem in einer extrem privilegierten Lage. Aber die Universitäten versagen in ihrer gesellschaftspolitischen Rolle: Hier ist kaum noch Raum, um sich darüber Gedanken zu machen, in was für einer Welt wir eigentlich leben wollen und sollen. Es fehlt schlicht an Zeit, um sich eingehend mit schwierigen Themen auseinanderzusetzen. Zu groß ist der Druck, im verschulten System schnell zu studieren und dabei möglichst effizient zu sein. Zwischen zahllosen Abgaben, Hausarbeiten und Referaten macht man sich keine Gedanken über die Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns. Mehr Leistungspunkte, mehr Praktika und ab ins Prekariat, das scheint die alternativlose Zukunft für die Generation Z(enjob). Matthäus Leidenfrost
hat noch keine Alternative gefunden, aber die Hoffnung nicht verloren.
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BRETT VORM KOPF,
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TECHNIK AUF DEM TISCH
ein Club, kein Kino, kein Konzert – seit einem Jahr besteht die Abendgestaltung bei vielen nur noch aus Streaming, vorzugsweise Netflix und Amazon Prime. Ein weiterer Bildschirm nach einem ganzen Tag vor dem PC. Kein Wunder, dass Brett- und Kartenspiele gehypt werden wie nie zuvor. Sowohl Klassiker wie Schach und Siedler von Catan, als auch neue Entwicklungen wie Exploding Kittens boomen. Trotz oder gerade weil man hier keine Technik braucht, werden solche Spiele immer beliebter. Aber auch in dieser Branche hält die Digitalisierung Einzug. Zu vielen Spielen gibt es die Anleitung inzwischen als App. Doch bei manchen waren die Entwickler*innen noch wesentlich kreativer. Hier eine kleine Zusammenstellung: I AM SHERLOCKED »Archäolog*innen haben bei Ausgrabungen eine Postkutsche gefunden. Darin enthalten: mehrere nicht ausgelieferte Postsendungen.«, erklärt die Stimme in der App. Einer der Briefe enthalte Notizen zu einem ›unvollendeten Fall von Sherlock Holmes‹. Diesen Fall sollen die Spieler*innen bei dem Escape-Game Der Unvollendete Fall von Holmes lösen. Escape-Games erleben gerade einen Hype unter den Brett- und Kartenspielen. Auf Grundlage einer Geschichte löst man meistens ein Rätsel. Unterstützt durch eine App wird die Geschichte in Begleitung von spannender Musik erzählt. Vorteil: Gadgets wie ein Kompass sind in die App integriert. Nachteil: Das Spiel ist nur einmal spielbar, denn: Zum einen ist das Rätsel dann gelöst, zum anderen werden Teile des Spiels beim Spielen geknickt, beschrieben oder anderweitig ›zerstört‹. »HEY GOOGLE...« Schon mal eine Trivial Pursuit-Version aus den 90ern gespielt? Es warten Fragen zu längst vergessenen Stars und bereits verstorbenen Politiker*innen. Die Fußballerfolge der 80er kennen sowieso nur die richtigen Sportfanatiker*innen. Und ganz generell: Was machen Menschen der Generation Z, wenn sie Fragen haben?
ILLUSTRATIONEN Antonia Böker
Genau, sie fragen Google. Know! ist ein Quizspiel, bei dem man den Google Assistant nutzen kann, um aktuelle Antworten auf die Fragen zu bekommen. Im ›Online-Modus‹ des Spiels geben alle Mitspielenden ihre Antworten ab und fragen letztlich Google nach der Lösung. Vorteil: Fragen wie »Wie weit ist das nächste Krankenhaus entfernt?«, sind immer aktuell und individuell angepasst. Nachteil: Das Spiel ist trotzdem nicht besonders abwechslungsreich. Fragen wiederholen sich und die Technik spielt nicht immer mit. Da hilft auch Google nicht weiter. GEHEN SIE INS GEFÄNGNIS – ODER KREDITKARTE HER! Mastercard, Visa oder American Express – Wer zahlt denn heute noch mit Papiergeld? Das dachten sich wohl auch die Macher*innen des Brettspielklassikers Monopoly. Bei Monopoly Banking Cash Back erhält jede*r Spielende eine Kreditkarte. Die Bank wird durch ein elektronisches Kartenlesegerät ersetzt. Vorteil: Schummeln soll aber trotzdem gut möglich sein – erzählt man zumindest. Nachteil: Diskussionen mit dem*der Spieler*in, die normalerweise die Bank übernimmt, entfallen damit leider.
Übrigens: Die Straßennamen der ersten deutschen MonopolyVersion von 1936 bezogen sich auf Berlin, von der Huttenstraße in Moabit bis zur Insel Schwanenwerder in Nikolassee. Inzwischen gibt es Sondereditionen zu jeglichen Themen von Star Wars über Super Mario bis zu den Beatles.
TECHNIK OVERLOAD Wer dachte, dass Kreditkarten und Sprachassistenten etwas Besonderes seien, nehme sich in Acht vor Chronicles of Crime. Hier warten nicht nur eine App mit Spielanleitung und zusätzlichem Timer. Bei dem Spiel soll ein Mordfall in London gelöst werden. Dafür kann man Gespräche mit Zeug*innen über die App führen, QR-Codes scannen und Tatorte via mitgelieferter VR-Brille untersuchen. Mehr Technik in einem Spiel geht wohl kaum. Vorteil: Durch die App sind mehrere Spielverläufe möglich. Nachteil: Das Ganze ist so technisiert, dass man schon fast ein Computerspiel spielt. Lena Rückerl
hat für die Artikelrecherche stundenlang Menschen auf Youtube beim Brett-spielen zugeschaut.
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GLÜCKLICH SEIN IST DAS, WAS ZÄHLT
Von ›Bis dass der Tod uns scheidet‹ zu ›Wir entscheiden!‹. Beziehungen ändern sich genauso wie unser Leben – über Jahre und Generationen. An welchem Punkt stehen wir?
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er bin ich? Wie möchte ich leben? Welche sexuellen Bedürfnisse habe ich? – All diese Fragen stellen wir uns im Rahmen unserer individuellen Selbstdefinition. Dies ist möglich, zumal wir den Raum, Lebensstandard und die gesellschaftlichen Möglichkeiten haben, uns überhaupt mit diesen Fragen zu beschäftigen und eventuell auch Antworten auf sie zu finden. »In einer Kultur, in der der Lebensstandard der Menschen gering ist, werden typischerweise eher traditionelle Beziehungsformen praktiziert. Denn diese Beziehungen dienen eben nicht nur dazu, die eigene Sexualität oder Bedürfnisse nach Liebe und Zuneigung auszuleben, sondern stellen primär Versorgungseinheiten dar«, erklärt Dr. Bettina Hannover. Sie ist Psychologin und derzeit Professorin an der Freien Universität. Aufgrund des hohen Lebensstandards unserer Gesellschaft hätten Menschen die Möglichkeit, stärker nach innen zu schauen: Was möchte ich aus meinem Leben machen? Wenn diese Menschen Kinder bekommen, so Hannover, dann nicht aus Zwang, finanzieller Not, oder weil die eigenen Eltern es wollen, sondern weil sie selbst es möchten. LIEBE IN ZEITEN DER MÖGLICHKEITEN Wir befreien uns zunehmend von einer binären Zwangskategorisierung in die eine oder andere Geschlechtergruppe. Die Menschen sind zu divers, zu einzigartig, als dass man sie noch durch kollektive Oberbegriffe klassifizieren könnte. So auch in ihrer Beziehungsgestaltung. Ob monogam, polyamorös, in einer geschlossenen oder offenen Beziehung,
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in Partnerschaft oder in Ehe lebend – in Deutschland und vor allem in Berlin, in dem wir ein liberales Klima genießen, lieben die Menschen nach ihrer eigenen Fasson – auch jenseits des prototypischen Familienmodells. Obwohl die eigene Lebenszeit gefühlt rasend schnell vergeht, nimmt der Selbstfindungsprozess einen Großteil unserer Jugend ein – wenn nicht gar das gesamte Leben. Es geht bei der Partner*innensuche nicht mehr nur darum, einen Menschen mit möglichst hohem sozioökonomischen Status zu heiraten, sondern um Selbstverwirklichung und langanhaltendes Glück. IST DIE JUGEND VON HEUTE BINDUNGSÄNGSTLICH? Sexualwissenschaftliche Studien zeigen, dass sich das Verhalten von Jugendlichen und jungen Erwachsenen eher in die andere Richtung verändert hat, schildert Hannover. Einen großen Einfluss darauf hatte die Entdeckung des HI-Virus Anfang der 80er Jahre, die zu dramatischen Veränderungen des Sexuallebens führte. Junge Menschen hatten nun weniger Sexualpartner*innen als in den vorherigen Generationen. Die Tendenz zur monogamen Beziehung und eigenen Familiengründung habe sich in den letzten Jahrzehnten verstärkt. Hannover erklärt: »Wir sehen über die vergangenen Jahre einen Rückgang in der Promiskuität (Anm.d.Red.: Geschlechtsverkehr mit beliebigen, häufig wechselnden Partner*innen) und gleichzeitig eine Erhöhung des Alters bei der ersten Mutter- oder Vaterschaft. Das ist Ausdruck davon, dass Menschen sich länger für eine Lebensphase der Unabhängigkeit Zeit nehmen wollen.« Gerade in Zeiten der Ungewissheit suchen Men-
»Wir steh’n auf, wann wir wollen, fahren weg wenn wir wollen. Seh’n aus wie wir wollen, haben Sex wie wir wollen und nicht wie die Kirche oder Pornos es uns erzählen. Baby, die Zeit mit dir war so wunderschön. Ja, jetzt ist es wieder aus, aber unsere Kinder weinen nicht, denn wir ziehen sie alle miteinander auf.« - KIZ: Hurra die Welt geht unter
schen verstärkt nach Sicherheit, so auch aktuell während der Coronapandemie. Jedoch steht der Trend, sich eine gewisse Zeit lang unabhängig auszuleben, nicht im Widerspruch zu einem später aufkommenden Bedürfnis nach einer stabilen Partnerschaft.
Hutham Hussein
Lieben und lieben lassen.
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SPEKTAKEL DER
DIGITALISIERTEN
ROMANTIK
Immer mehr Studierende nutzen Dating-Apps. Ein großartiger Trend? Eher nicht, würde der Philosoph Guy Debord sagen. ILLUSTRATION Anna Kallidou
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an öffnet Tinder oder eine ähnliche App und beginnt, nach links und rechts zu swipen. Potenzielle Bekanntschaften und Liebhaber*innen tauchen in Sekundenschnelle auf und verschwinden schnell wieder durch einen Fingerstreich. Dating-Apps sind gefährlich für die Zukunft des Soziallebens – sagen zumindest Gleichgesinnte des Philosophen Guy Debord. Dieser vertritt die Theorie, dass wir in einer ›Gesellschaft des Spektakels‹ leben. Man konzentriere sich auf Äußerlichkeiten statt auf reale Erfahrungen, lasse sich kommerzialisieren und versuche, sich als attraktives Produkt auf einem kompetitiven Markt zu verkaufen. Kurzum: Im Spätkapitalismus führen diese Apps innerhalb des Soziallebens zur unbewussten Identifikation mit Erscheinungsbildern. So werden Menschen zum Spektakel, die alle ihre Aktivitäten und Begabungen vor einem Dating-Publikum ausstellen. Trotzdem nutzen viele Studierende solche Apps. Hannah* ist 19 Jahre alt und studiert Sozialwissenschaften auf Lehramt. Ihre Motivation, Bumble herunterzuladen, hatte keine tiefsinnigen Beweggründe: »Ich wollte diese Erfahrung machen, um eventuell jemand Nettes kennenzulernen.« Auch Konstantin (24), Student der Sozial- und Kulturanthropologie, sah Tinder anfangs kritisch: »Meine Haltung gegenüber diesem Trend war zunächst
negativ. Digital zu flirten schien für mich dystopisch.« Trotzdem installierte er sich die App. Vor allem aus Neugier, unterschiedliche Menschen kennenzulernen. »Meine Intention war es, Menschen, die mich begeistern, treffen zu können und sexuell aktiver zu werden.« Ob eine Person authentisch ist, »kann man schwer oder kaum beurteilen, da man die Person ja gar nicht kennt«, sagt der Philosophiestudent Michael (22). »Es ist nicht auszuschließen, dass sich eine Person so gibt, wie sie gerne sozial gesehen werden möchte. Das Phänomen halte ich aber für normal und unvermeidlich in unserer Gesellschaft.« Konstantin hat in dieser Richtung noch keine negativen Erfahrungen gesammelt: »Bestimmt sind Fake-Profile präsent, aber man kann auch ehrliche Konversationen führen.« Diese können durchaus authentisch sein. »Viele Menschen versuchen, möglichst schnell einen durchlässigen Eindruck zu machen, um in diesem endlosen Dating-Pool direkt Interesse zu zeigen.« Dass alle Menschen sofort ihre Schwächen offenbaren und absichtlich unperfekt wirken, sieht Dimitra (23), die Jura studiert, anders: »Menschen möchten liebenswert sein und das wird durch solche Apps vereinfacht. Man versucht, egal ob virtuell oder in realer Wirklichkeit, eine möglichst attraktive Version von sich selbst zu präsentieren und lässt Aspekte, die man über sich nicht mag, raus.« Sind Dating-Apps also doch gar nicht so oberflächlich, wie viele meinen? Nicht mehr als in der wirklichen Welt, sagt Hannah. »Beim Chatten oder auf einem
Date lernt man sich immer besser kennen, demnach ist das oberflächliche Beurteilen einer unbekannten Person im realen Leben mehr oder weniger genauso.« Dass viele Menschen oberflächlich beurteilen, sieht sie nicht so dramatisch: »Viele suchen nach etwas Unverbindlichem und das ist völlig legitim. Schade finde ich das aber natürlich, wenn sich der erste Eindruck ausschließlich auf Oberflächlichkeiten reduziert.« Zusätzlich schwingt beim Swipen auch immer etwas Negatives mit, sagt Michael. »Dating-Apps ähneln Online-Shopping: Man sitzt einfach da und konsumiert Menschen wie Produkte; swiped mehrmals in beide Richtungen und das war’s – natürlich werden Menschen so kommerzialisiert. Es fühlt sich an, als ob man was online bestellt, und das finde ich schade.« Leben wir also die Gesellschaft des Spektakels? Debordsche Gleichgesinnte glauben, dass die Zukunft des Datings durch solche Apps in Gefahr sei. Die Studierenden allerdings sehen es nicht so dramatisch. Sie argumentieren, dass die Kommerzialisierung von Personen nicht eine Frage der Virtualisierung und Kommodifizierung des Datings, sondern des allgemeinen Zeitgeistes ist. * Name geändert. Hannahs richtiger Name ist der Redaktion bekannt. Aikaterini Mouzaki
denkt, dass Dating-Apps gefährlich für die Zukunft des Soziallebens sind.
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&
Schuld
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Segen
Giftgas und Düngemittel scheinen auf den ersten Blick wenig gemein zu haben. Doch beide teilen sich denselben Erfinder. Ist er ein Massenmörder oder Held? Ein Essay über die Verantwortung von Forschenden und Ethik in der Wissenschaft.
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it einem lauten Zischen verbreitet sich Nebel über dem vernarbten Boden nahe des belgischen Dorfes Ypern. Als die Gaswolke über die Ränder der Schützengräben kriecht, macht sich Panik breit unter den Soldaten. Wer das Gas einatmet, sinkt zu Boden, um Luft ringend, sterbend. Am 22. April 1915 fallen 1200 Soldaten durch den weltweit ersten Einsatz von Giftgas. Es wird eine Waffe, die die grausame Art der Kriegsführung im ersten Weltkrieg entscheidend prägt. Erfunden hat sie Fritz Haber. Der Wissenschaftler forschte am KaiserWilhelm-Institut für Physikalische Chemie und Elektrochemie in Berlin-Dahlem an Chlorgas und Phosgen. Er ist einer von vielen Forschenden, seine Erfindung eine von vielen wissenschaftlichen Durchbrüchen, die dem Institut seine große Bekanntheit brachte. Otto Hahn und Fritz Straßmann gelang hier die weltweit erste Kernspaltung. Die so erzeugte Energie erhöhte die Produktivität und schließlich den Wohlstand ganzer Nationen auf ungeahnte Weise. Doch zugleich sind die Folgen fatal: Sie legten den Grundstein zur Entwicklung der Atombombe, die 100.000 Menschen in Hiroshima und Nagasaki in den Tod riss. Heute befindet sich in den Gebäuden der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft ein Teil der Freien Universität Berlin. Bis heute wirkt die Arbeit von Forscher*innen, wenn auch in einem veränderten Kontext, in die Gesellschaft hinein. Wissenschaftler*innen sind in Talkshows zu Gast, beurteilen die aktu-
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elle Politik, engagieren sich in Vereinigungen und werden in parlamentarischen Ausschüssen angehört. Damit steht immer auch die Frage im Raum: Inwieweit verpflichtet wissenschaftlicher Fortschritt? Müssen Forschende die Verantwortung für die Folgen, für den gesellschaftlichen Umgang mit ihren Erkenntnissen und Erfindungen übernehmen?
DAS FORTSCHRITTSPARADOXON
ILLUSTRATION Luca Klander
Insbesondere mit medizinischen Fortschritten im Bereich der Genetik wird eine ethische Beurteilung immer schwieriger und emotionaler
Fortschritt, darin steckt ›fortschreiten‹, eine Vorwärtsbewegung über den Status Quo hinaus. Besonders aus wissenschaftlicher Sicht wird der Begriff positiv bewertet, schließlich bedeutet Fortschritt das Erreichen einer höheren Entwicklungsstufe. Der ewige Kreis aus der Reflexion alter Thesen, dem Sammeln neuer Erkenntnisse und der Entwicklung neuer Theorien gleicht einer Spule, die sich immer in die gleiche Richtung dreht: nach vorne. Doch die Frage, ob der ewige wissenschaftliche Fortschritt nun zum Guten oder Schlechten beiträgt, steht auf einem anderen Blatt. Die Antwort lautet wohl: Jein, sowohl als auch, es kommt darauf an. Für diese Ambivalenz gibt es viele Beispiele: Die Dampfmaschine als Grundstein der industriellen Revolution und Katalysator von Wohlstand und Innovation – aber auch von Umweltverschmutzung und Landflucht. Die Antibabypille als Ausgangspunkt der sexuellen Emanzipation – aber auch viel diskutiertes Präparat mit Nebenwirkungen. LSD
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mit dessen befreiender Bedeutung für die Hippie-Bewegung – aber auch gefährliches Rauschmittel. Und dann ist da natürlich noch das Internet.
WIE BITTE? AUCH KOMMUNIKATION BEDEUTET VERANTWORTUNG Vereinigungen wie die Scientists for Future sind Ausdruck der zunehmenden Bereitschaft, nicht nur fortschrittliche Ergebnisse zu liefern, sondern auch gesellschaftliche Verantwortung dafür zu übernehmen und aktivistisch tätig zu werden. Von großer Bedeutung ist hierbei die verständliche Vermittlung. Berufspolitiker*innen reden gerne um die liquide, echauffierte Substanz, beziehungsweise den heißen Brei, herum. Bei Wissenschaftler*innen ist oft das Gegenteil der Fall. Sachverhalte werden in einer so präzisen Art und Weise – am besten mit lateinischen Fachtermini – erläutert, dass Lai*innen meist nicht folgen können. Doch auch hier zeichnet sich eine Entwicklung ab, in der die Vorteile der medialen Vielfalt genutzt werden. Drosten-Podcast, MaiLab-Videos und die steigende Beliebtheit von populärwissenschaftlicher Literatur sind nur drei Beispiele. Zudem scheint die Bereitschaft, Einladungen in Talkshows zu folgen, gewachsen zu sein – obwohl in dieser Zeit auch geforscht werden könnte.
PUBLIZIEREN ODER NICHT PUBLIZIEREN? Aber muss jede neue Erkenntnis mit der Öffentlichkeit geteilt werden? Diese Frage hat zwei Facetten: Zum einen, welchen finanziellen Nutzen Forschende aus ihren Erkenntnissen ziehen dürfen. Zum anderen, ob es Erkenntnisse gibt, die aus Sicherheitsgründen nicht veröffentlicht, oder zumindest nicht genutzt werden dürften. Die Aussage »Forschung und Erfindungen sollen dem Gemeinwohl dienen und folglich allen kostenfrei zugänglich gemacht werden«, setzt einen enormen Altruismus voraus. Denn die implizite Erwartungshaltung verlangt von Wissenschaftler*innen, auf Einnahmen durch ihre Arbeitsergebnisse zu verzichten. Gemeinnutzen oder geistiges Eigentum – die
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Frage ist mit Blick auf die vieldiskutierte Forderung nach der Patentfreigabe sämtlicher Covid-Vakzine aktueller denn je. Auch unter Studierenden würde ein kostenloser Zugang zu sämtlichen Publikationen sicher viel Anklang finden. Was ist nun aber mit Erkenntnissen und Erfindungen, die Wissenschaftler*innen durchaus mit der Öffentlichkeit teilen wollen, aber nicht dürfen? Die Verwendung von Robotern in Kindergröße für therapeutische Zwecke bei Pädophilen ist
Der ewige Kreis aus der Reflexion alter Thesen, dem Sammeln neuer Erkenntnisse und der Entwicklung neuer Theorien gleicht einer Spule, die sich immer in die gleiche Richtung dreht: nach vorne.
beispielsweise aus moralischen Gründen verboten, auch wenn dies unter Umständen den Missbrauch an Kindern verhindern könnte. Zudem ist es mittlerweile möglich, eine ganze Spezies von Insekten genetisch so zu verändern, dass eine Übertragung von Malaria durch Moskitos verhindert werden könnte. Wegen des Risikos ungewollter Konsequenzen dieses Eingriffes in Ökosystem und Nahrungsketten blieb auch hier eine Realisierung aus. Ebenso gibt es im Bereich des Geoengineering innovative Forschung zur Bekämpfung des Klimawandels: Brächte der Mensch Schwefelpartikel in die Atmosphäre, könnte das die globale Temperatur um bis zu zweieinhalb Grad bis zum Ende des Jahrhunderts senken. Weil mit dieser Methode aber ein enormes Risiko für schwere Ozonschäden einhergeht, nahmen sämtliche Forschungsallianzen von der praktischen Umsetzung Abstand.
VOM LABORSTUHL AUF DIE ANKLAGEBANK Bei diesen drei Beispielen war es womöglich noch leicht, sich auf eine Seite zu stellen. Doch insbesondere mit medizinischen Fortschritten im Bereich der Genetik wird eine ethische Beurteilung immer schwieriger und emotionaler. Das
Grundgesetz spricht Wissenschaftler*innen das Recht auf die Freiheit in der Fragestellung, im Vorgehen und in der Verbreitung der Forschung zu. Gleichzeitig gewährleisten Ethikkommissionen, dass dies im Rahmen des Gesetzes geschieht. Bevor an Tieren oder menschlichen Stammzellen geforscht wird, müssen die Studien beantragt und genehmigt werden. Dennoch kommt es immer wieder zu Grenzüberschreitungen: Die Verurteilung eines Biophysikers zu einer Haftstrafe aufgrund von Genmanipulationen an Babys im Jahr 2019 in China ist nur ein Beispiel für die strafrechtlichen Konsequenzen auf diesem Gebiet. Sie rufen in Erinnerung, dass Wissenschaft, so sehr sie eine Gesellschaft verändern und weiterbringen kann, nicht auf Kosten der Moral praktiziert werden kann. Doch nur selten sind die langfristigen Folgen direkt ersichtlich. Bei Erfindungen, die erst Jahre später ihre volle, mitunter nicht intendierte, Wirkung entfalten, ist es nochmals schwerer, die Urheber*innen vor Gericht zur Verantwortung zu ziehen. Es herrscht das Narrativ des unbeholfenen Zauberlehrlings, der die Kontrolle über die selbst angestoßenen Entwicklungen verloren hat – nur gibt es in der Realität keine Rettung durch den Zaubermeister. Fritz Haber war kein Zauberlehrling. Seine Forschung folgte der Prämisse: »Im Frieden der Menschheit, im Krieg dem Vaterland.« Das Leben des Chemikers war von der Schuld und von dem Segen, den wissenschaftliche Arbeit für die Menschheit bedeuten kann, geprägt wie kein Zweites. Dabei zog sich die Frage nach der ethischen Verantwortung wie eine rote Linie durch seine Biografie, leuchtete auf mit der tragischen Erfindung einer grausamen Waffe, wie auch mit seinem größten Verdienst an der Menschheit: Er entwickelte und erfand den Stickstoffdünger, ohne den die Menschen auch heute keine sichere Lebensmittelversorgung hätten und erhielt dafür 1918 den Nobelpreis. Noch im selben Jahr wurde er zum ›Vater des Gaskrieges‹ und indirekt verantwortlich für den lautlosen Tod von bis zu 100.000 Soldaten im Ersten Weltkrieg. Luca Klander moonwalken sieht immerhin besser aus als fortschreiten.
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»Es geht nicht darum, FU-Studentin Thea* (24) hat letztes Jahr eine ungewollte Schwangerschaft beendet. Sie hat damit eine Straftat begangen, denn die Paragraphen 218 und 219 StGB kriminalisieren seit dem Deutschen Kaiserreich Schwangerschaftsabbrüche – direkt nach den Tatbeständen Mord und Totschlag.
dass ich keine Kinder mag«
T
hea plant gerade ihr letztes Bachelorsemester in Politikwissenschaft, als eine enge Freundin in ihrem Beisein bei einem Unfall ums Leben kommt. Die Trauer, der Schock und der Schmerz stellen ihr Leben auf den Kopf. Sie feiert viel, um die Sorgen zu vergessen und das Leben zu spüren. Vier Monate später wird sie im Februar 2020 von einer flüchtigen Bekanntschaft schwanger. Sofort ist ihr klar, dass sie die Schwangerschaft beenden möchte. Doch der Hindernislauf, den das Strafgesetzbuch für Menschen in ihrer Lage vorsieht, steht da erst am Anfang. Erst Ende der sechsten Woche bemerkt Thea die Schwangerschaft. Ihre Brüste spannen, sie kann kaum noch in die UBahn steigen, weil sie den Geruch nicht mehr erträgt. Eigentlich Vegetarierin, bekommt sie starkes Verlangen nach Salami und kauft sie sich heimlich, damit ihre WG nichts mitbekommt. »Alles war plötzlich anders, ganz komisch«, erinnert sie sich. »Da habe ich angefangen, richtig Panik zu entwickeln.« Sie macht einen Bluttest bei ihrem Frauenarzt – positiv. »Im selben Moment habe ich gedacht, ich brauche den Abbruch, es gibt keine andere Möglichkeit«, erzählt Thea. »Ich war nicht in der mentalen Lage, ein Kind großzuziehen. Das ist auch dem Kind gegenüber nicht fair. Vaterlos und mit einer instabilen Mutter.« Ihren Frauenarzt kennt sie schon fast zehn Jahre, trotzdem möchte sie sich ihm nicht anvertrauen, zu groß ist die Angst vor Unverständnis. Zusammen mit einer Freundin sucht sie
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nach Beratungsstellen. Auch dem an der Schwangerschaft beteiligten Mann gibt sie Bescheid. »Ich wollte, dass er weiß, was Sache ist. Er hat genauso viel Verantwortung. Ich habe es so gehasst, dass er weder die körperlichen Veränderungen spüren, noch zu Beratungsgesprächen gehen muss.«
Ihren Frauenarzt kennt sie schon fast zehn Jahre, trotzdem möchte sie sich ihm nicht anvertrauen. Zu groß ist die Angst vor Unverständnis
Rund 100.000 ungewollt Schwangere brechen jedes Jahr in Deutschland ihre Schwangerschaft ab. Straffrei ist dies nach § 218 StGB nur, wenn sich die schwangere Person von einer anerkannten Beratungsstelle beraten lässt, drei Tage verstreichen und der Abbruch bis Ende der zwölften Woche nach Empfängnis stattfindet. Das bevorstehende ›Schwangerschaftskonfliktgespräch‹ macht Thea Angst. Laut § 219 StGB soll es »dem Schutz des ungeborenen Lebens« dienen. Im Internet liest Thea besorgt von Berater*innen, die versucht haben, Schwangere im Gespräch umzustimmen. Bei pro familia wird sie schließlich gefragt, ob sie noch an ihrer Entscheidung zweifele. Als Thea dies verneint, erklärt
die Beraterin ihr den weiteren Ablauf. »Dass sie mich nicht gedrängt hat, war eine Erleichterung«, meint die Studentin heute. Aus dem Gespräch geht sie mit vielen Broschüren, dem ›Beratungsschein‹ und einer Liste Berliner Ärzt*innen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Nach dem Termin fährt sie auf den Friedhof, sie muss an die verstorbene Freundin denken. »Da war so viel Leben und Tod gleichzeitig.« Erst nach vielen Anrufen gelingt es Thea, einen Termin bei einer Praxis zu bekommen. Verglichen mit anderen Bundesländern hat sie Glück, in Berlin zu leben. Hier gibt es mit einer Meldestelle pro 27.500 Einwohner*innen die beste Versorgungslage. Bundesweit ist die Zahl der Stellen im Vergleich zu 2003 um 43% gesunken. Annika Kreitlow, Aktivistin im Bündnis Medical Students for Choice, sieht dafür mehrere Gründe. Insbesondere die Politik sei in der Pflicht: »Die systemischen Anreize sind sehr gering. So sind Abbrüche bei Einsparungen oft das erste, was gestrichen wird. Auch der generelle Ärzt*innenmangel trägt zu der Problematik bei und viele Kliniken in kirchlicher Hand lehnen Abbrüche aus ideologischen Gründen ab.« Aber vor allem der gesellschaftliche Gegenwind für Ärzt*innen sei ein Grund, meint die Medizinstudentin. Die Medical Students for Choice setzen sich dafür ein, dass diese Missstände beseitigt werden. Schwangerschaftsabbrüche sind weder Teil des Pflichtcurriculums im Medizinstudium, noch im Anforderungskatalog der Fachärzt*innenausbil-
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FOTOS: Andreas Domma für das Münzbergforum
dung Gynäkologie. Das Bündnis bietet Workshops an, in denen praktizierende Gynäkolog*innen Studierenden anhand von Papayas den operativen Eingriff der Absaugung zeigen. »Es ist wichtig, einen Raum zu schaffen, ohne Tabus über das Thema zu sprechen«, sagt Annika. Durch die mediale Aufmerksamkeit hat sich das Bündnis schon eine Vorlesung und ein Seminar an der Charité erstritten. »Unsere Hauptforderung ist nun eine flächendeckende Umsetzung von Lehre zu Schwangerschaftsabbrüchen.« Eine weitere Forderung sei die bundesweite Etablierung einer medizinischen Leitlinie für Schwangerschaftsabbrüche, wie es sie auch für andere Eingriffe gibt. Wie dramatisch dieses Unwissen für ungewollt Schwangere sein kann, zeigt auch Theas Fall. Bei ihrem medikamentösen Abbruch kommt es zu Komplikationen, die in ca. zwei bis vier Prozent der Fälle auftreten. Eine erste Pille beendet die Schwangerschaft hormonell, die zweite Pille löst 36 Stunden später Krämpfe aus, ähnlich einer Fehlgeburt, um Zellreste und Schleimhaut aus der Gebärmutter zu spülen. Zehn Tage lang blutet sie, bis sich ihre Befürchtung bei einem CheckUp bestätigt: Es sind noch Überreste da. Die behandelnde Gynäkologin sieht ein Entzündungsrisiko. Thea nimmt die Pille erneut, erbricht sie jedoch vor Schmerzen wenig später. »Ab dem Zeitpunkt war ich so verzweifelt, dass ich mir eine zweite Meinung holen wollte«, berichtet sie. Sie sucht ihren bekannten Gynäkologen auf. Helfen kann der Arzt nur nach Konsultation mit Kolleg*innen – Erfahrungen mit Schwangerschaftsabbrüchen hat er nicht.
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Erst über vier Wochen nach dem ersten positiven Test ist der medizinische Teil beendet. Was bleibt, ist das gesellschaftliche Stigma und die psychische Belastung. Thea beschreibt, wie nervenaufreibend die Prozedur für sie war: »Eine Anlaufstelle für Informationen ist hilfreich. Aber die Beratung zur Pflicht zu machen, ist ein unnötiges Hindernis, das den ohnehin schwierigen Prozess erschwert.« Das Schlimmste sei gewesen, noch am Vortag des Eingriffs erneut in den Aufklärungsdokumenten zu lesen, dass sie eine Straftat begehe: »Das zu unterschreiben, war wirklich schwer.« Diese Meinung teilt auch HU-Studentin Ella Jenkins: »Wir brauchen ein Gesetz, das Schwangerschaftsabbrüche nicht von vornherein kriminalisiert«. Die 24-Jährige hat neben ihrem Studium in Kunstgeschichte die Ausstellung Maria und der Paragraph im Willi-Münzenberg-Forum konzeptioniert. Die Ausstellung führt durch die 150-jährige Geschichte des Paragraphen 218 StGB. »Wir wollen zei-
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gen, dass die Welt, aus der der Paragraph kommt, eine ganz andere war.« Die Besucher*innen erfahren so, dass Schwangerschaftsabbrüche in der DDR legal waren, bevor die aktuelle Regelung zu Zeiten der Wiedervereinigung entstand. Sie entdecken auch, wie rassistische Motivationen Abtreibungsverbote und Zwangssterilisationen in der NS-Zeit prägten, und wie sich schon im Deutschen Kaiserreich der bis heute andauernde Widerstand gegen das Gesetz formierte. Thea schildert, wie schwierig es ist, über ihre Erlebnisse zu sprechen: »Wenn ich davon erzähle, sind die anderen meist schockiert und haben Angst nachzufragen. Dabei möchte ich gerne verstanden werden.« Sie fürchtet sich davor, als nicht kinderlieb gesehen zu werden: »Es geht nicht darum, dass ich keine Kinder mag. Ich möchte auch später gerne welche. Es geht um etwas ganz anderes: den gesamten Kontext, die ganze Arbeit, das Gefühl, schwanger zu sein.« Als ein Freund neun Monate nach Beginn ihrer Schwangerschaft ein Kind bekommt, muss sie wieder an das Geschehene denken: »Das hätte mein Kind sein können. Aber da ist keine Reue, sondern ein Gefühl von Trauer und Verlust.« Thea versucht mittlerweile, mehr über das Thema zu sprechen, um Menschen mit ihren und ähnlichen Erlebnissen sichtbar zu machen und auch selber die Scham zu verlieren: »Es muss offener mit dem Thema umgegangen werden.« *Name geändert. Theas richtiger Name ist der Redaktion bekannt.
Sophie Dune Korth
hat vergebens nach Fortschritt gesucht.
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Rosinenbomber, Studierendenstreiks und Mauerfall – vier Alumni der FU berichten, unter welchen Bedingungen früher studiert wurde.
„Das darf man Studierenden heute eigentlich gar nicht erzählen“
1: Brigitte Lutz-Westphal ist 1992 in die Fußstapfen ihres Vaters getreten und hat Mathe auf Lehramt an der FU studiert. Gewohnt hat sie für 120 Mark in der Hardenbergstraße. Heute ist sie selbst Professorin an der FU und setzt sich für mehr Dialog zwischen Studierenden und der Professor*innenschaft ein.
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ie neueste Matrikelnummer der Freien Universität besteht aus sieben Ziffern. Frank Westphals Matrikelnummer – die 1626 1 – hatte nur vier, denn er und gerade mal 2139 weitere Studierende erlebten damals die Gründung der FU im Wintersemester 1948 mit. Die Stadt wie das Land waren geteilt – West-Berlin blockiert. ›Rosinenbomber‹ brachten den hungernden Menschen Lebensmittel. Mittlerweile ist das mehr als 70 Jahre her. Sowohl die Freie Universität als auch das Studieren selbst haben sich seitdem verändert. Als Westphal im ersten Semester an der FU Geologie zu studieren begann, fanden die meisten Veranstaltungen noch unter primitiven Verhältnissen statt. »Eine Vorlesung zu Verkehrsgeografie hatten wir auf Bierbänken in einem eiskalten Hörsaal, wo man auch nicht mitschreiben konnte«, erinnert er sich. Die kleine Studierendenschaft habe aus Kriegsheimkehrenden, Studierenden der Ostunis und einigen Neulingen bestanden.
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3: Frank Westphal hat 1948 Geologie studiert. Während seiner Vorlesungen hörte er die ›Rosinenbomber‹ im Landeanflug auf Tempelhof. Nach einem Semester entschloss er sich, in Freiburg weiter zu studieren und wurde deshalb aus Berlin ausgeflogen. Heute lebt er in Tübingen.
Nur wenige Jahre später kam auch Margarete Hecker aus München an die erst zwölf Jahre alte Universität. Die damals bereits ausgebildete Sozialarbeiterin schloss sich schnell dem jüdischen Professor Fritz Borinski an, der das Ziel hatte, Deutschland beim ›geistigen Wiederaufbau‹ zu helfen und die Sozialarbeit von der ›braunen Ideologie‹ zu befreien. Auch an der FU war diese in den 60ern noch vertreten. »Viele, die das NS-System getragen hatten, waren wieder in Amt und Würden«, sagt Hecker heute. Die Zeit, in der sie studierte, war geprägt von der Studentenbewegung und von Persönlichkeiten wie Rudi Dutschke, der damals täglich in der Mensa Reden ge-
Christian Holst hat von 1988-1991 Politikwissenschaft am Otto-Suhr-Institut studiert. Er hat miterlebt, wie das OSI besetzt, verbarrikadiert und in Ulrike-Meinhof-Institut umbenannt wurde. Heute lebt und lehrt er in Frankfurt am Main.
halten habe. Hecker selbst war auch involviert, hat mit Freund*innen Brote für Protestierende geschmiert und über Barrikaden geworfen. Zudem schmuggelte sie für Studierende in der DDR Bücher über die Grenze: »Es gab viel Literatur, zu der man dort keinen Zugang hatte. Als Gegenleistung bekamen wir Einladungen zu Brecht-Theaterstücken.« 40 Jahre nach ihrer Gründung, im Jahr 1988, kam Christian Holst an die FU. Doch schon wenige Monate danach stand der Lehrbetrieb still. Im Rahmen des UniMut-Streiks, der sich gegen politische Einmischung in die Universitätslehre richtete, wurden sämtliche Institute besetzt und teilweise umbenannt. »Das
Bildquellen: 3: Alumnibüro der FU; 4: Fotograf: Reinhard Friedrich / FU Berlin, UA, Foto Slg., RF-0000-125
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2: Margarete Hecker fing 1960 an der FU das Studium der Soziologie, Geschichte und Pädagogik an. Ihr Studierendenzimmer war nicht beheizbar, weshalb sie immer mit Wärmflasche und heißem Tee gelernt hat. Heute engagiert sie sich in Darmstadt für ausländische Studierende.
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war Politik von der praktischen Seite«, sagt Holst. »Da habe ich gelernt, wie anfällig Basisdemokratie für kleine extreme Gruppen ist. Beschlüsse, die die studentische Generalversammlung einmal getroffen hatte, konnten nicht infrage gestellt werden. Wenn die letzte U-Bahn in die Stadt gefahren und nur noch der harte Kern anwesend war, machten sie die Beschlüsse dann unter sich aus.« Holst erlebte als FU-Student den Fall der Mauer: »Es war eine spannende Zeit, weil man merkte, dass man bei einem Umbruch dabei ist. Kein Mensch wusste, in welche Richtung es gehen würde.« Auch Brigitte Lutz-Westphal hat in den 90ern gestaunt, was im Zuge der Wende alles passierte. Die Dahlemer Universität wirkte auf sie sehr persönlich. Tutorien hätten, zumindest in ihrem Fach Mathematik, nur zehn Teilnehmende gehabt. Heute ist die FU eine Massenuni, eingebettet in die Berlin University Alliance und internationale Netzwerke, die den Berliner Hochschulen noch mehr Bedeutung verschaffen sollen. Dadurch rückt besonders die Forschung in den Fokus. Als Margarete Hecker und Christian Holst studierten, waren es vor allem die Studierenden, die die Universität prägten. »Wir haben«, führt Holst aus, »durch den Streik damals den Diskurs bestimmt. Es ging um die Themen Regelstudienzeit und Bafög, um den Streit ›Studierende gegen die Struktur des Bildungssystems‹.« Früher habe es immer Leute gegeben, die schnell auf die Barrikaden gegangen sind, während die Ausrichtung der Studierenden von heute eher berufsorientiert sei. Auch Hecker nahm die FU zu ihrer Zeit als äußerst aktiv wahr: »Die Nachkriegszeit hat sehr auf uns gewirkt und wir wollten uns an dem geistigen Neuanfang und der Kritik am Bestehenden beteiligen.« Nicht nur die Bedeutung der Universitäten, sondern auch die Studierendenschaft hat sich verändert. Die Gemeinschaft, die Unipräsident Günter Ziegler nicht müde wird zu betonen, ist heute eine andere. Vor allem aber hat sich ihr Fokus verlagert. »Die Uni ist heute nicht mehr der Hauptlebensort«, sagt die FU-Professorin Lutz-Westphal. Die vier Studierenden aus vier verschiedenen Jahrzehnten nehmen alle besonders eine Veränderung stark wahr: Zeitmangel. Frank Westphal bemerkt das bei seinen Enkelkindern. »Wir haben uns
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»Es war eine spannende Zeit, weil man merkte, dass man bei einem Umbruch dabei ist. Kein Mensch wusste, in welche Richtung es gehen würde.« 3
ausgesucht, was wir studieren«, erklärt er. »In meinem ersten Semester in Freiburg habe ich Heidegger gehört, nur um ihn mal kennenzulernen, obwohl ich Geologie studiert habe. Man hatte die Zeit, aber keinen Zwang, etwas zeitig abzuschließen.« Auch finanzielle Zwänge seien ein Grund für den heutigen Zeitmangel, ergänzt seine Tochter Brigitte. Studierende würden durch gestiegene Mieten gezwungen, mehr zu arbeiten und seien dadurch weniger auf dem Campus. Ohnehin sei die Gemeinschaft durch die Pandemie verschwunden. Christian Holst sieht den Zeitmangel teilweise dem Bologna-Prozess geschuldet, der ab 1999 europaweit Studiengänge vereinheitlichte. Dadurch sei das Studium wesentlich verschulter geworden. »Ich glaube, ich würde mich heute unwohler fühlen, da ich ein neugieriger Mensch bin und mich auch mit Themen außerhalb des Kerncurriculums befasst habe.« Für Frank Westphal entstehen durch feste Studienpläne und den Zeitdruck unfreie Menschen: »Die Freiheit, die wir damals hatten, das darf man Studierenden heute eigentlich gar nicht erzählen.« Trotz dieser negativen Entwicklungen habe es auch Fortschritte gegeben, sagen die Alumni. Für Holst seien die Übertragbarkeit von Leistungen, beispielsweise zwischen Studiengängen, und Erasmus wichtige Schritte. Margarete Hecker findet gut, dass heute mehr Menschen studieren können: »Viele konnten das früher nicht, obwohl sie sehr gescheit waren.« Auch die Matheprofessorin Lutz-Westphal will die Vergangenheit nicht überhö-
4: Die Rostund Silberlaube zu Bauzeiten in den 70ern
hen. »Man neigt dazu, zu sagen: Früher war alles besser«, gesteht sie und führt aus, dass sich Hierarchien nicht mehr so ausdrückten wie damals. »Wir vom Institut sind heute im Dialog mit den Studierenden, was sich ändern könnte. Das wäre früher undenkbar gewesen«, sagt Lutz-Westphal, aber kritisiert: »Wenn ich nach Drittmitteln und Publikationen bewertet werde, wo ist da die Luft, etwas mit den Studierenden auszuarbeiten?« Wenn sie sich etwas von der Freien Universität wünschen könnte, wäre das mehr Dialog zwischen Studierenden und Professor*innen, um das Studium für alle besser zu machen. »Ich kriege nichts dafür, dass ich mich mit meinen Studis hinsetze, aber ich mache es trotzdem.« Das Alumni-Büro der Freien Universität half bei der Suche nach Interviewpartner*innen. Die Redaktion bedankt sich dafür. Das Alumni-Netzwerk freut sich jederzeit über neue Registrierungen unter fu-berlin.de/alumni
Philipp Gröschel
sieht sich schon als jemand, der mal sagen wird, dass früher alles besser war.
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ntonias Hände sind dreckig. In der vergangenen Stunde hat sie das Beet vor ihr von Unkraut befreit. Wo zuvor noch wildes Grün spross, offenbart sich nun dunkle Erde. Dann legt sie die Samen für Möhren und Mangold aus. In einigen Monaten will sie das Gemüse ernten. »Das erfüllt mich jedes Mal mit Stolz«, sagt sie. Antonia studiert im vierten Semester ihres Masterstudiums Politikwissenschaft an der FU. Nebenbei kümmert sie sich als Teil einer studentischen Initiative um den Garten des Asta. Dort können FU-Studierende seit 2017 Obst und Gemüse selbst anbauen. Ökologische Projekte wie ein eigener Garten oder das Reparieren und Wiederverwerten von Dingen sind im Trend: Immer mehr junge Menschen werden neben dem Studium oder der Ausbildung zu Selbstversorger*innen oder Handwerker*innen – um den Klimawandel aufzuhalten und mit der Natur im Einklang zu leben. Die Ursachen der Klimakrise
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FOTOS Leonie Beyerlein
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Wie zu
Omas Zeiten
Reparieren, recyclen, Rettich anbauen – was früher selbstverständlich war, erfährt heutzutage ein Revival. Ist das fortschrittlich? werden offensichtlicher und ihre Folgen immer spürbarer. So erklärte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe Anfang Mai die Rechte junger Menschen durch das unzureichende Klimaschutzgesetz der Bundesregierung für gefährdet. Für einen nachhaltigen Lebensstil greifen junge Menschen auf Verhaltensweisen und Konsummuster zurück, die zuletzt zur Zeit ihrer Großeltern aktuell waren. Ist das altmodisch oder gar rückschrittlich?
Nein, findet Philipp Lepenies, Leiter des Forschungszentrums für Umweltpolitik (ffu) an der FU: »Es kann durchaus fortschrittlich sein, mit 20 Jahren Lebensmittelreste zu verwerten wie die eigene Großmutter. Junge Menschen haben ihre Gründe, wieso sie so handeln. Sie wollen weniger Müll produzieren und einen Beitrag zum Umweltschutz leisten. Man macht etwas, das wie aus einer anderen Zeit anmutet,
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aber doch zeitgemäß oder sogar zukunftsweisend sein kann.« Lepenies sieht in der Klimakrise die größte Herausforderung unserer Zeit. Daher müsse sich das gesellschaftliche Verständnis von Fortschritt wandeln – weg von Wirtschaftswachstum hin zu Nachhaltigkeit und nachhaltiger Entwicklung. »Seit Generationen werden wir darauf geprägt, dass die Ausweitung individueller Konsummöglichkeiten der Gipfel allen Fortschritts sei. Dabei ist Fortschritt eigentlich etwas, das jede Generation neu definiert«, erklärt er. Für junge Menschen liege Fortschritt eher im Verzicht aufgrund des wachsenden Bewusstseins für den Klimawandel. Bei älteren Personen löse dieses neue Ideal jedoch das Gefühl aus, man wolle ihnen etwas wegnehmen, das ihnen zustünde. Diesen Generationenkonflikt zu überwinden und ein gemeinsames Verständnis von Fortschritt zu etablieren, sieht der Politikwissenschaftler als eine der größten Herausforderungen unserer Gesellschaft. Auch die Initiative Sustain It! von der Stabsstelle für Nachhaltigkeit an der FU versucht seit zehn Jahren für mehr Umweltbewusstsein und Klimaschutz zu sorgen. Aufgrund des bereitgestellten Budgets konnte das Projekt eine gewisse Größe und Sichtbarkeit erlangen. Dennoch war es anfangs schwierig, Studierende neben ihrem gewohnten Alltag für weitere Projekte zu begeistern, wie Karola Braun-Wanke, wissenschaftliche Mitarbeiterin am ffu und Koordinatorin des Projekts, erklärt: »Wir haben mit Campusaktionen begonnen und sind nun verstärkt in der Lehre unterwegs um mit Seminaren und Vorlesungen möglichst viele Studierende mit den Themen einer nachhaltigen Entwicklung zu erreichen und um im System sichtbar zu werden.« Mittlerweile sei das Interesse der Studierenden groß. Sicher sei aber auch, dass das verstärkte Umweltbewusstsein eine Trendbewegung ist, die für mehr Engagement sorgt. Zudem sei der Einfluss von Fridays for Future als Vorbild junger umweltbewusster Aktivist*innen entscheidend. Denn viele Ideen wie der FUdsharing-Fairteiler für mehr Lebensmittelwertschätzung und eigene Gartenprojekte wie die Blätterlaube und UniGardening kommen von Studierenden und werden mit Hilfe von BraunWanke umgesetzt. Sustain It! ist darauf bedacht, benötigte Materialien gebraucht
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An der FU gibt es einige Initiativen für einen grünen Campus und eine nachhaltige, umweltschonende Lebensweise. Hier eine Auswahl:
Sustain It! … ist die Initiative für Nachhaltigkeit und Umweltschutz an der FU. Hier können Studierende an verschiedenen Projekten wie dem UniGardening im Botanischen Garten oder dem FUdsharing-Fairteiler mitmachen. Vor Pandemieausbruch gab es zudem eine ganze Reihe an Campusaktionen.
Asta-Garten ...ist eine studentische Initiative, die sich um den Garten des Asta kümmert. Dort bauen Studierende gemeinsam in eigenen Beeten Obst und Gemüse an.
Fridays for Climate Justice FU Berlin … ist eine studentische Hochschulgruppe der Fridays for Future-Bewegung. Seit April 2019 setzt sich die Initiative für eine klimaneutrale FU ein und organisiert diverse Campusaktionen wie eine Ringvorlesung im Wintersemester 2019/20. Jeden Mittwoch trifft sich die Gruppe um 18 Uhr im Plenum.
FUrad … ist die Fahrradwerkstatt der FU. Hier können Studierende selbst und mit Hilfe einiger Freiwilliger ihr Rad reparieren. Aktuell ist die Werkstatt montags von 16 bis 19 Uhr geöffnet.
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zu erwerben, zu upcyclen oder selbst herzustellen. Dadurch vermittelt die Initiative vor allem handwerkliche Fähigkeiten, denn »viele wissen gar nicht, wie man aus frischen Zutaten kocht, ein Fahrrad oder Klamotten reparieren kann«, sagt die Projektkoordinatorin. Die stete Auseinandersetzung mit nachhaltigen Methoden führe dazu, dass die Studierenden zusammen Dinge reparieren oder aus alten Autoreifen Portemonnaies herstellen. Doch es gibt auch Studierende an der FU, die sich seit ihrer Kindheit für Nachhaltigkeit und Umweltschutz interessierten, wie Johanna. Gemeinsam mit Antonia kümmert sich die Studentin der Sozial- und Kulturanthropologie und prähistorischen Archäologie um den Asta-Garten. »Meine Eltern haben einen großen Garten«, erzählt sie. Von ihren Mitschüler*innen wurde sie damals eher belächelt, wenn sie ihr Pausenbrot mit Gemüse aus dem eigenen Garten aß. Das hat sich mittlerweile geändert. Die neu gewonnene Begeisterung ihrer ehemaligen Klassenkamerad*innen überrascht sie, doch sie freut sich darüber. Schließlich sei es wichtiger, dass alle zum Klima- und Umweltschutz beitragen, als die Frage zu diskutieren, wer zuerst damit angefangen hat. Fortschritt kann also auch die Rückbesinnung auf frühere Werte und Verhaltensweisen bedeuten. »Letztlich meint der Begriff die Überzeugung, dass sich die Dinge im Zeitverlauf nicht nur verändern, sondern auch verbessern können«, so Lepenies. »Das ist etwas Gutes.« In diesem Sinne ist Klimaschutz nicht nur wichtig geworden, sondern etabliert eine neue Mentalität in unserem Bewusstsein. Mit Initiativen wie Sustain It! oder dem Asta-Garten zeigen FU-Studierende Alternativen zu einer konsumorientierten Lebensweise. Dabei sind Foodsharing und Eigenanbau nicht nur gut für die Umwelt, sondern auch für die eigene Seele: »Hier bekomme ich den Kopf frei und beschäftige mich mal mit etwas ganz anderem«, erzählt Antonia und lächelt.
Blühender Campus … ist eine fachbereichs- und einrichtungsübergreifende Initiative der FU für die Förderung der biologischen Vielfalt des Campus. Studierende können eigene Projekte realisieren und an naturkundlichen Führungen über den Campus teilnehmen.
Leonie Beyerlein
kennt dank ihres Opas die besten Garten-Apps.
Lucie Schrage
hat keinen grünen Daumen. Nur die Kakteenkerzen stehen noch.
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liebe im Onlinesemester Das mittlerweile dritte Onlinesemester geht uns allen auf die Nerven. Doch auch in Coronazeiten können sich auf dem Campus romantische Dinge abspielen. Unsere Fotolovestory, ursprünglich Markenzeichen der BRAVO, porträtiert eine einzigartige Liebe an der FU.
Bob Svenja schenkt ihrem Handy mehr Beachtung als dem Weg vor ihr. Weil #clumsy aber dank RomComs zur perfekten Datingstrategie geworden ist, hat sie nicht vor, das zu ändern.
Nici wollte Germanistik studieren, studiert aber jetzt das Leben. Eine Erkenntnis, die in ihr schlummert: Feminismus ist besser als Macho-Gehabe.
hat zu seinem Aktiendepot eine emotionalere Bindung als zu seiner Freundin. Er behält sie trotzdem, weil sein Aktiendepot (noch) nicht kochen kann.
CAST: Marie Blickensdörfer, Lena Marie Breuer, Philipp Gröschel FOTOGRAF: Simon Geiger LAYOUT: Gloria Franz STORY: Lena Marie Breuer, Philipp Gröschel
NICI STUDIERT IM ZWEITEN SEMESTER AN DER FU. DIE UNI HAT SIE NOCH NIE VON INNEN GESEHEN …
HE, PASS DOCH AUF!
VOLL CRINGE, DASS ICH IM ONLINESEMESTER KEINE PARTYPEOPLE KENNENLERNE. ICH BIN VOLL DER MOF. ABER WENIGSTENS KANN ICH MICH DANN VOLL AUF DIE UNI KONZENTRIEREN.
HEY, TUT MIR LEID, ICH BIN SVENJA.
MACHT NIX, ICH HEISSE NICI. BRUH, IST DIE #CUTE! WIE DOOF, DASS ICH ZUHAUSE MEINEN BLÖDEN BOY HABE...
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ICH BIN GANZ NEU AN DER UNI, WOLLEN WIR NICHT MAL ZUSAMMEN KAFFEE TRINKEN GEHEN? HIER IST MEINE NUMMER...
NA GUT, ICH MUSS DANN MAL.
HEY, MACH DOCH MAL JETZT, SO WIRST DU NIE IN REGELSTUDIENZEIT FERTIG, DU SCHNECKE!
AUSGABE02/2021 NACH DER FAHRT:
WO BLEIBT MEIN WO IST MEIN MITTAGSSTEAK? MITTAGSSTEAK?
DOCH DA BEKOMMT NICI EINE EMAIL VON UNIPRÄSIDENT ZIEGLER. SIE IST #INSPIRED.
AUSBLICK
SOMMER-2021 NICI TRIFFT EINE SCHWERE ENTSCHEIDUNG.
EIN PAAR TAGE SPÄTER: NICI IST AUF DEM WEG ZUR BIB, ALS SIE SVENJA ÜBER DEN WEG LÄUFT.
HEY, WAS FÜR EIN ZUFALL. LUST AUF KAFFEE?
DU BIST SO EIN Königin-Luise-Str. 41, 14195 Berlin MACHO! DAS MIT UNS IST SOWAS VON OVER.
U3 Dahlem-Dorf, Buslinien M11, X83 NICI FASST EINEN ENTSCHLUSS.
seit 1968 an der FU Berlin 1968 an der FU Berlin
SORRY, KANN NICHT. MUSS BIS MORGEN DIESES BUCH ÜBER TECHNISCHE INNOVATION UND LITERARISCHE ANEIGNUNG DER EISENBAHN IN DER DEUTSCHEN UND ENGLISCHEN LITERATUR DES 19. JAHRHUNDERTS LESEN.
seit 1968 an der FU B NA, DOCH LUST AUF KAFFEETRINKEN?
seit 1968 an der FU Berlin WARTE!
KAFFEE IST EIN AUSBEUTER*INNENGETRÄNK, ABER NE MATE WÜRDE ICH NEHMEN.
Königin-Luise-Str. 41, 14195 Berlin Königin-Luise-Str. 41, 14 Luise-Str. 41, 14195 Berlin ENDE seitX83 1968 an der FU Berlin U3 Dahlem-Dorf, Buslinien M11, U3 Buslinie m-Dorf, Buslinien M11, X83 Königin-Luise-Str. 41,Dahlem-Dorf, 14195 Berlin U3 Dahlem-Dorf, Buslinien M11, X83
seit 1968 an der841 FU 9020 Berlin Telefon 030/ Königin-Luise-Str. 41, 14195 Berlin info@schleichersbuch.de U3 Dahlem-Dorf, Buslinien M11, X83 schleichersbuch.de Öffnungszeiten Montag – Freitag 9.30 -18.30 Uhr Samstag 9.30 – 18.30 Uhr
Königin-Luise-Str. 41, 14195 Berlin U3 Dahlem-Dorf, Buslinien M11, X83
Telefon 030/ 841 9020 lefon 030/ 841 9020 info@schleichersbuch.de
Telefon 030/ 841 9020 info@schleichersbuch.de
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ZU SPÄT FÜR
DIE ZUKUNFT?! Inmitten der sich entfaltenden Klimakrise scheint der Kampf für eine bessere Zukunft selbst ein Relikt der Vergangenheit. Macht uns die Angst vor einem unbewohnbaren Planeten handlungsunfähig – oder birgt sie die Hoffnung auf ein anderes Zusammenleben? ILLUSTRATION Kira Welker
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ir haben die Zukunft bereits hinter uns gelassen – so wirkt es zumindest, denkt man an träumerische Science-Fiction-Bilder aus Literatur und Film, die avantgardistischkünstlerischen Visionen des Futurismus oder das kleinbürgerliche Stoßgebet ›Unsere Kinder sollen es einmal besser haben als wir‹. Sie alle scheinen inzwischen aus der Zeit gefallene Erinnerungen an das 20. Jahrhundert zu sein. Denn angesichts der Erkenntnisse aus der Klimawissenschaft fällt der Glaube an irgendeine Zukunft schwer – geschweige denn an eine, in der es uns besser geht als jetzt. Werden die weltweiten Emissionen nicht innerhalb kürzester Zeit drastisch reduziert, ist eine Erwärmung von mehr als 1,5°C nicht mehr zu verhindern. Die Folgen zeichnen sich bereits in der Gegenwart ab: massenhaftes Artensterben,
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Kipp-Punkte des Erdsystems, zunehmende Naturkatastrophen und immer mehr unbewohnbare Regionen. Dass es nicht gut aussieht für die Zukunft menschlichen Lebens auf der Erde, ist also nicht schönzureden. Lässt sich aus dieser Erkenntnis noch ein politischer Veränderungswille ziehen, oder versiegt er in der Resignation vor der existenziellen Bedrohung? Für die erdrückende Angst ums Klima, die alltägliches und politisches Handeln verunmöglicht, hat sich das Schlagwort Climate Anxiety etabliert. Der Psychologische Psychotherapeut Dr. Steffen Landgraf erläutert jedoch: »Generell ist die emotionale Auseinandersetzung mit der Klimakrise eine gesunde und adaptive Reaktion. Es ist äußerst selten, dass die Auseinandersetzung pathologisch wird. Viel eher werden durch die zusätzliche Klima-Belastung bereits vorhande-
ne Erkrankungen, wie etwa Depression oder Angststörungen, verstärkt oder erneut ausgelöst.« Die Psychotherapeutin und Psychologin Katharina van Bronswijk ergänzt: »Das kann sich dann zum Beispiel so äußern, dass Menschen sehr viel nachgrübeln, nicht mehr schlafen können, vielleicht Panikattacken bekommen – aber das sind tatsächlich sehr, sehr wenige.« Van Bronswijk und Landgraf sind Pressesprecher*innen der Initiative Psychologists/Psychotherapists for Future, die psychologisches Fachwissen in die Klimabewegung hineintragen möchte. Dazu haben sie unter anderem ein offenes Beratungsangebot für Aktivist*innen eingerichtet. Mit überwältigender Angst vor der Klimakrise meldet sich dort so gut wie niemand, erzählen die beiden. Viel häufiger würden Gruppenkonflikte oder individuelle Überarbeitung an die Psychotherapeut*innen herangetragen.
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Betrachtet man die Prognosen von Klimawissenschaftler*innen auf der einen und den gesamtgesellschaftlichen Veränderungswillen auf der anderen Seite, scheint die Klimabewegung vor einer viel dringlicheren psychologischen Herausforderung zu stehen: Sie muss der Gesellschaft klarmachen, dass sie sich inmitten einer Katastrophe befindet. Warum diese trotz allgemein bekannter Fakten so häufig verdrängt wird, erklärt van Bronswijk in zwei Schritten: Zunächst fühle sich die Klimakrise auf verschiedenen Ebenen einfach zu weit entfernt an. »Sie wird nicht als akut bedrohlich für eine*n persönlich wahrgenommen und dementsprechend entsteht auch nicht so ein Handlungsdruck.« Und dann würden, selbst wenn man die eigene Betroffenheit wahrnehme, unangenehme Gefühle häufig abgewehrt und verdrängt. Wie aber lässt sich diese Reaktion überwinden? Das Problem, erläutert Landgraf, liege nicht bei den Emotionen an sich, sondern im Umgang damit. Denn: »Negative Emotionen haben immer einen Grund, da zu sein. Sie haben ein Informationspotenzial, was man dazu nutzen kann, die derzeitige Situation zu verändern und besser zu lösen.« Angst, Wut und Überforderung zu fühlen ist also okay – doch statt sich davon einnehmen zu lassen und das Thema Klima zu vermeiden, können Protest und Aktivismus Wege sein, mit ihnen umzugehen. »Tatsächlich«, erzählt van Bronswijk, »beschreiben ganz viele, die in der Klimabewegung aktiv sind, dass es ihnen besser geht, seit sie in der Bewegung aktiv sind.« Jenseits dieser individuellen Ebene der Emotionsverarbeitung seien Handlungsfähigkeit und -bereitschaft auch abhängig davon, wie wir über die Klimakrise reden. Dabei sei es ein wichtiger erster Schritt, immer wieder die Fakten zu wiederholen, um auf die Gegenwärtigkeit der Bedrohung hinzuweisen. Gleichzeitig, meint van Bronswijk, müsse die bisher sehr problemorientierte Krisenkommunikation den Blick auch auf Lösungsansätze richten. Es könne nicht nur darum gehen, Katastrophenszenarien auszumalen, denn: »Wir Menschen brauchen nicht nur Vermeidungsziele, sondern auch Annäherungsziele. Wir brauchen noch eine andere Richtung, in die wir uns entwickeln
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können; etwas, das uns ein Stück weit Hoffnung und Optimismus gibt und worauf wir Vorfreude empfinden können.« Landgraf ergänzt eine weitere Ebene: »Bei jeder Veränderung besteht erstmal die Möglichkeit des Widerstandes gegen die Veränderung selbst, weil wir lieber erst einmal am Vertrauten festhalten. Bei der Klimakrise greifen die Maßnahmen, die wir ergreifen müssten, vor denen sich auch die Politiker*innen noch scheuen, so tief in unseren Alltag ein, dass wir vor einer echten psychologischen und menschlichen Herausforderung stehen.« Angesichts der Tragweite der anstehenden Veränderungen sieht van Bronswijk die Notwendigkeit, sich grundlegende Fragen zu unserem Zusammenleben zu stellen: »Ich glaube, es geht viel darum, die wahre Natur des Menschen zu erkennen, und zu hinterfragen, ob das Leben, wie wir es jetzt gerade haben, uns wirklich glücklich
»Negative Emotionen haben immer einen Grund. Sie haben ein Informationspotential, was man dazu nutzen kann, die derzeitige Situation zu verändern und besser zu lösen.« Steffen Landgraf, Pressesprecher der Psychotherapists for Future
macht.« So biete die Konfrontation mit der Krise auch Raum für die Erkenntnis, so die Psychologin weiter, »dass unser System, wie es gerade ist, menschliche Bedürfnisse nicht optimal befriedigt.« Verloren gehen sollte uns also möglicherweise nicht der Glaube an eine bessere Zukunft per se, sondern an einen Fortschritt innerhalb des Bestehenden, an ein leicht modifiziertes ›Weiter so‹. Wirksames politisches Handeln im Angesicht der Klimakrise erfordere, so van Bronswijk, dass Menschen sich wieder als gestalterisch tätige Wesen erleben könnten. »Ich finde, das ist so schön, wenn man mal versteht, ich bin nicht nur ein Rädchen im System, sondern ich bin ein Rädchen im System. Das klingt irgendwie so klein, aber ich hab ja Andockpunkte an dieses
AUGENBLICK AUSBLICK System, und wenn ich anders drehe, dann kann sich das große Ganze verändern.« Negative Gefühle sind also zunächst eine berechtigte Reaktion beim Gedanken an die Zukunft des Planeten. Statt nur im Einzelnen pathologisiert und behandelt zu werden, können sie jedoch zur Suche nach gesellschaftlichen Lösungen ermächtigen. Hier räumt auch van Bronswijk ein: »Da kann man uns in der Verhaltenstherapie auch berechtigt vorwerfen, dass wir den Blick häufig nur auf individuelle Problembewältigung legen.« Allerdings, fährt sie fort, würde die Arbeit der Psychologists for Future wieder mehr ins Bewusstsein rücken, »dass es auch krankmachende Lebensumstände gibt, und dass wir die verändern müssen.« Ein Engagement in der Klimabewegung fängt für viele Aktivist*innen die Überforderung angesichts der Klimakrise auf – möglicherweise nicht nur, weil es Ohnmachtsgefühle lindert und Einzelne mit ihrer Angst nicht alleine lässt, sondern auch, weil in der Bewegung das Gefühl gesellschaftlicher Gestaltungsfähigkeit entstehen kann. »Demonstrationen und Proteste sind Vorstufen der Bewußtwerdung von Menschen« – das war schon im Jahr 1967 keine neue Vorstellung, als der Aktivist Rudi Dutschke sie für die westdeutsche Studentenbewegung in einem SPIEGEL-Interview äußerte. Die Philosophin Eva von Redecker führt diesen Gedanken für die sozialen Bewegungen der Gegenwart fort. In ihrem 2020 erschienenen Buch Revolution für das Leben schreibt sie: »Die Erkenntnis, die gesellschaftlichen Verhältnisse gestalten zu können, ist keine einmalige Einsicht, es ist eher eine Erfahrung, die sich im Zuge des Aufbegehrens und der Selbstregierung einstellt und rückblickend verfestigt.« Im gemeinsamen Protest können also andere Beziehungsweisen ausprobiert werden – zueinander und zur Welt. So ist vielleicht gerade in der kollektiven Verzweiflung über die verlorene Zukunft etwas zu finden, was es schwierig macht, sie schon aufzugeben.
Kira Welker
sucht die Ruhe vor dem Sturm des Fortschritts.
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SPIELEN WIR
GO T T ? ! ILLUSTRATION Marlene Hopsch
Forschende bedienen sich immer häufiger am GenomeEditing, einer neuen Art der Gentechnik. Neben den Möglichkeiten, die DNA des Lebens zu verändern, treten vor allem ethische Fragen auf.
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esignerbabys und Nutzpflanzen mit immer mehr Ertrag – die Möglichkeiten rund um das Thema Gentechnik lösen teilweise gemischte Gefühle aus. Seit der Erfindung des sogenannten Genome-Editings ist das Eingreifen und die damit verbundene minimale Veränderung des Genoms bei Pflanzen, Menschen und Tieren mehr als nur eine reine Vorstellung von Wissenschaftler*innen. Die wohl bekannteste Verfahrensweise des Genome-Editings ist die CRISPR/Cas9-Methode. Sie ist zu einer anerkannten Technik geworden, um beispielsweise Pflanzen ertragreicher zu machen. Ziel von Wissenschaftler*innen ist es, zukünftig auch Gentherapien beim Menschen zu ermöglich. Das Verfahren bringt jedoch auch weitreichende ethische Diskussionen mit sich – nicht nur was den Menschen betrifft. Seit Menschengedenken werden Pflanzen und Tiere so gezüchtet, dass sie für uns den größtmöglichen Nutzen haben: Pflanzen sollen viel Ertrag bringen, einen aufeinander abgestimmten Reifeprozess haben und, seit dem Einsatz von Herbiziden, auch resistent gegen Giftstoffe sein. Auch ›Nutztiere‹ wurden im Laufe der Zeit so
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gezüchtet, dass sie dem Menschen möglichst viel Nahrung einbringen. Das sind beispielsweise Rinder, die viel Fleisch haben, viel Milch geben und besonders zahm sind. Die Mutationen im Genom, die zur Optimierung führten, waren dabei zufällig. Man wartete auf eine Mutation, die dem Menschen nutzen würde. Seit den 70er Jahren setzt man nicht mehr nur auf Optimierung durch zufällige Mutationen, sondern es werden bereits bekannte Gene in Pflanzenzellen katapultiert. Züchter*innen hoffen, dass sich das Gen an einer Stelle einpflanzt, gleichzeitig aber keinen Einfluss auf das Wachstum und die für den Menschen positiven Eigenschaften der Pflanze hat. So entstehen gentechnisch veränderte Pflanzen. Die noch neuere biotechnologische Methode des Genome-Editings bedient sich wiederum keiner fremden DNA, ihr reicht das Genom der zu verändernden Pflanze. Hier unterscheidet sich die neue von der klassischen Gentechnik. »Die Anwendung von CRISPR/Cas9 kann man nicht mit der klassischen Gentechnik gleichsetzen, denn es werden meistens keine neuen Gensequenzen in Pflanzen eingeführt«,
sagt Reinhard Kunze. Er arbeitet als Professor für molekulare Pflanzengenetik am Institut für Biologie der FU. Anders als in der klassischen Gentechnik sieht man einem Gen, das punktuell verändert ist, nicht an, wie diese Veränderung entstanden ist. Wenn mit CRISPR/Cas9 keine fremde DNA in die Pflanze eingeschleust wird, kann man die Veränderung nicht von einer zufälligen Mutation unterscheiden. CRISPR/Cas9 kann in der Zelle ein Gen an- oder ausschalten, hinzufügen oder entfernen. Anders als bei der klassischen Gentechnik wirkt das Teilchen nicht an einer willkürlichen Stelle im Genom: An der Genschere befindet sich die sogenannte guide RNA, die den CRISPR/ Cas9-Komplex zu der Stelle leitet, an der er schneiden soll. Die DNA repariert sich nach dem Schnitt selbstständig und es kommt zu Veränderungen in diesem Gen. Forscher*innen setzen hier auf zelleigene Reparaturmechanismen, bei denen DNA-Bausteine verloren gehen können oder sich das Genom falsch zusammenbaut, sodass Gene nicht mehr abgelesen werden können. Das Gen kann sich aber auch so leicht verändert zusammensetzen, dass sich nur ein einzelnes Basenpaar
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austauscht. Dadurch entsteht eine Punktmutation, die weitere Stoffwechselprozesse der Pflanze verändert. Südamerikanische Landwirt*innen bauen seit 2015 Raps an, der durch CRISPR/ Cas9 resistent gegen Herbizide ist. In den USA führte der Einsatz dieser Methode zu besonders hohem Ertrag bei Sojabohnen. Diese Pflanzen werden in den Ländern jedoch nicht als gentechnisch verändert gekennzeichnet – anders als in der EU. »Mit CRISPR/Cas9 ist es erstmals technisch möglich geworden, mit relativ wenig Aufwand an einer ganz bestimmten Stelle im Genom eine gezielte Veränderung herbeizuführen. Damit eröffneten sich ganz neue Möglichkeiten«, sagt Kunze. Man könne Pflanzen so beispielsweise hitzetoleranter oder weniger anfällig für Wasserstress und manche Krankheitserreger machen. Dass es durch Optimierung der Nutzpflanzen möglich sei, die Schäden des Klimawandels für den Menschen zu minimieren, sei aber eine Hausnummer zu hoch gedacht. »Ich kann nicht den ganzen Stoffwechsel der Pflanze verändern«, sagt der Biologe. Besonders intelligente, der Natur überlegene Menschen zu schaffen, bleibt vorerst eine Utopie. Annett Wienmeister, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Philosophie der FU, betont: »Oft wird davon gesprochen, als könnten wir sämtliche Anwendungen des Genome Editings am Menschen bereits durchführen und müssten uns jetzt nur noch fragen, ob und unter welchen Bedingungen wir die Technologie einsetzen wollen. Das ist nicht der Fall.« Die Forschung sei erst ganz am Anfang. In Deutschland sind Versuche an Embryonen aufgrund des Embryonenschutzgesetzes bislang nicht erlaubt – anders als zum Beispiel in Großbritannien. Dies führe in Deutschland aber nicht unbedingt zu einem generellen Forschungsrückstand. Wienmeister erläutert: »Es kann ja sein, dass sich ein Land dazu entscheidet, spezifische Anwendungen der CRISPR/Cas9Technologie nicht weiter zu erforschen. Dafür wird nach Alternativen gesucht und es entsteht in einem anderen Bereich ein technischer Fortschritt.« Wenn es um
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Seit den 70er Jahren setzt man nicht mehr nur auf Optimierung durch zufällige Mutationen, sondern es werden bereits bekannte Gene in Pflanzenzellen katapultiert
den technischen Fortschritt gehe, seien Diskussionen um die ethische Vertretbarkeit unumgehbar. »Zu denken, ›wenn wir es nicht tun, tun es halt die anderen‹, macht aus einer als problematisch befundenen Anwendung einer Technologie noch keine ethisch vertretbare.«
Es gibt zwei Bereiche, in denen der Einsatz des CRISPR/Cas9-Systems am Menschen erforscht wird: die Therapie an Zellen im menschlichen Körper und an Zellen der Keimbahn. Das sind diejenigen Zellen, die in der Entwicklung des Menschen eigene Keimzellen, nämlich Eizellen und Spermien, bilden, die wiederum an die nächste Generation weitergegeben wer-
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es um den technischen Fortschritt geht, sind Diskussionen um die ethische Vertretbarkeit unumgehbar«
den. An ihnen genetische Veränderungen vorzunehmen, sei in der Wissenschaftswelt heftig umstritten, so Wienmeister. Wissenschaftler*innen erforschen beispielsweise Therapien, die gegen Krankheiten wie Krebs helfen. Im Optimalfall sollen Krebszellen so verändert werden, dass sie sich nicht weiter vermehren können. Mit dem jetzigen Wissensstand kann die CRISPR/Cas9-Methode allerdings noch keine Heilung garantieren. Sogenannte Off-target-Effekte, also das Einwirken auf eine nicht angezielte Stelle im Genom, könnten sogar noch andere Arten von Krebs hervorrufen. Bei der KeimzellTherapie wird vor allem untersucht, wie Gensequenzen, die für Erbkrankheiten verantwortlich sind, entfernt werden können, sodass diese nicht an die folgenden
Generationen weitervererbt werden. »Ich glaube, dass es möglich ist, die Vermeidung von schweren Krankheiten ganz allgemein als positiv zu werten, ohne gleichzeitig Personen, die mit der Erkrankung leben, in ihrem Wert zu beurteilen«, so Wienmeister. »In den Debatten um das Thema Genome-Editing werden die Betroffenen leider zu wenig selber mit einbezogen. Somit wird nicht mit ihnen, sondern über sie gesprochen.« Um die vielfältigen Bedürfnisse von Menschen besser zu verstehen, müsse man ihnen mehr zuhören. Mithilfe einer öffentlichen Ethik-Lernplattform möchte Annett Wienmeister mit ihren Mitherausgeber*innen die Diskussion um die komplexen technischen und ethischen Aspekte des Genome-Editings für alle zugänglich machen. »Wir möchten ermöglichen, dass sich jede*r Bürger*in eigenständig und relativ ergebnisoffen in die Lage bringen kann, ein ethisches Urteil zu Genome-Editing zu fällen.« In Zukunft wird es zwingend nötig sein, die Chancen und Risiken des Genome-Editings immer wieder abzuwägen – für Pflanzen, Tiere und auch Menschen. Die möglichen Auswirkungen müssen vor jedem möglichen Einsatzfall neu geprüft und diskutiert werden.
Maj Pegelow
wäre gern resistenter gegen Stress. Lässt sich da was machen?
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ZWISCHEN GLAUBE
UND HÖRSAAL ILLUSTRATION Anne Hassert
Jochanan ist gläubiger Jude, Anna Katholikin und Diem MahayanaBuddhistin. Sie vereinen ihr wissenschaftliches Studium mit ihrem Glauben. Drei Gespräche über Toleranz, Vorurteile und Fortschritte.
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ochanan ist gläubiger Jude. Er ist 25 Jahre alt und studiert an der Uni Heidelberg Klassische und Vorderasiatische Archäologie.
FURIOS: Woher wissen andere, dass du gläubig bist? Jochanan: Ich gehe mit meiner Religion sehr offen um. Religiöse Symbole trage ich kaum. In Gesprächen kommt mein Glaube meistens eher zufällig raus, es sei denn es geht beispielsweise um Israel, dann gebe ich mich zu erkennen. Wenn ich merke, dass mein Gegenüber gewisse Ansichten hat, erwähne ich meinen Glauben lieber nicht. Hast du schon Diskriminierung aufgrund deines Glaubens erlebt? Bisher kamen eher interessierte Fragen. In der Schule wurde ich leider oft mit unangenehmen Vorurteilen konfrontiert, in der Uni fast gar nicht. Es kam aber schon auf Partys vor, dass Leute auf mich gezeigt haben und gesagt haben: »Guck mal, da ist der Jude«. Ich habe aber zum Glück Freund*innen, die mich in solchen Situationen unterstützen. Unterstützt deine Uni deinen Glauben? Ich bin zum Glück an einem relativ familiären Institut mit verhältnismäßig wenig Studierenden und vielen Dozierenden. Dadurch herrscht ein angenehmes Klima. Ich habe zum Beispiel schon Fristverlängerungen bekommen, weil ich an den
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jüdischen Feiertagen nicht meine Hausarbeit schreiben konnte. Wie sieht es in der Mensa aus, gibt es dort koscheres Essen? Koscher bedeutet, nicht nur auf Schweinefleisch zu verzichten, sondern auch Milch- und Fleischprodukte getrennt zu essen. Bei der Aufbewahrung bin ich allerdings nicht so streng. Ich muss das einfach realistisch sehen. Es gibt außer-
»Wissenschaft kann Religion unterstützen, aber andersherum glaube ich, dass gewisse religiöse und spirituelle Wahrheiten einfach nicht wissenschaftlich greifbar sind«
dem koscheres Schlachten, das wird in Deutschland allerdings kaum praktiziert. Daher ernähre ich mich fast immer vegetarisch, und dahingehend hat meine Mensa glücklicherweise ein großes Angebot. Was wünschst du dir von deiner Uni im Hinblick auf religiöse Offenheit? Ich wünsche mir, dass sie auf religiöse Feiertage eingehen würde, egal welcher Religion. Wenigstens darauf aufmerksam zu machen, wäre wirklich schön.
Gibt es einen Unterschied zwischen Studierenden, die religiös sind und denen, die es nicht sind? Von Studierenden wird eigentlich immer erwartet, dass sie auch samstags Zeit haben, um Veranstaltungen nachzuholen. Das geht absolut gegen die Religiosität einiger Studierender. Wenn eine Veranstaltung nachgeholt wird, darf die Uni keine Anwesenheitspflicht überprüfen, dann gehe ich oft einfach nicht hin. Bei Klausuren schlucke ich das runter und nehme trotzdem teil. Wie gehst du mit Witzen über deine Religion um? Wenn sie von langjährigen Freund*innen kommen, ist das meistens okay. Fremde Personen weise ich darauf hin, dass die Witze nicht unbedingt angemessen sind. Wenn ich aber merke, dass die Person da sehr festgefahren ist, halte ich mich auch einfach fern. Es ist nicht meine Pflicht, jede*n zu belehren. Musst du viel Aufklärungsarbeit leisten? Ja. Oft muss ich einfach erzählen, was ich erlebt habe, das öffnet vielen die Augen. Es gibt immer noch Antisemitismus in Deutschland, mittlerweile wird er sogar wieder salonfähig. Manchmal nehme ich mir vor, weniger über das Judentum zu reden, da das für mich auch belastend ist. Hinterher ist mir aber klar, dass die Aufklärung zwar anstrengend war, aber dass ich immerhin Leute aufgeklärt habe. Ich gehe auch freiwillig an Schulen und rede mit Kindern über das Judentum.
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Anna ist seit ihrer Kindheit Katholikin. Sie ist 21 Jahre alt und studiert Europäisches Management in Wildau. FURIOS: Was bedeutet die Kirche für dich? Anna: Den Glauben an Gott und die Kirche als Institution trenne ich für mich. Das heißt, wenn jemand sagt, er oder sie ist Christ*in, gehe ich nicht davon aus, dass die Person auch automatisch jeden Sonntag in die Kirche geht. Jede*r muss selbst entscheiden, ob man das für sich und seine Verbindung zu Gott braucht. Die Kirche gibt mir aber auch ein Gemeinschaftsgefühl. Warum gehst du in die Messe? Für mich ist es eine Stunde, in der ich in Ruhe und betend rekapitulieren kann, was ich erlebt habe. Dann zähle ich alles auf, was ich gemacht habe, was mich gefreut und geärgert hat und was ich mir für die nächste Woche wünsche. Früher war ich jeden Sonntag in der Kirche, mittlerweile gehe ich dort nur noch ungefähr einmal im Monat hin. Andere meditieren, ich gehe halt in die Kirche. Hat sich deiner Meinung nach in den letzten Jahren etwas an der katholischen Kirche verändert? Ich glaube das Bild oder Verständnis von Gott hat sich über die letzten Jahrzehnte nicht so sehr verändert. Trotzdem bin ich der Meinung, dass sich die katholische Kirche im Prozess der Veränderung befindet. Das merkt man vor allem an den unterschiedlichen Predigten. Die jüngeren Pfarrer haben oft einen moderneren Ansatz und predigen über alltägliche Probleme. Die älteren Pfarrer sagen eher: »Glaubt an Gott und alles wird gut.« Wie ist dein Verhältnis zur Kirche als Institution? Ich nehme nicht alles so an, wie die Kirche es vorgibt. Gott ist eine Stabilität in meinem Leben, trotzdem verantworte ich es vor mir selbst, wenn ich einen Fehler mache. Ich glaube, dass wir immer eine Wahl haben und unseren eigenen Teil zu unserem Glück beitragen. Siehst du dich mit Vorurteilen konfrontiert? Ich empfinde es so, dass die katholische Kirche in der säkularen Welt eher einen neutralen bis schlechten Ruf hat. Dass der Papst die Segnung der Liebe homosexueller Paare verweigert hat und die Missbrauchsskandale machen mich sehr traurig. Manchmal fühle ich mich dann von anderen in die Position gedrängt, meinen
Glauben rechtfertigen und die Kirche verteidigen zu müssen, was nicht meine Aufgabe ist und was ich auch nicht will.
Diem ist Mahayana-Buddhistin. Sie ist 30 Jahre alt und studiert Kultur und Technik an der TU in Berlin. FURIOS: Wie reagieren andere, wenn du von deinem Glauben erzählst? Diem: Selten überrascht, die Reaktion ist eher positiv. Dann reden wir darüber, was die Person mit meinem Glauben assoziiert oder schon darüber weiß: Dass der Buddhismus eine Religion des Friedens ist und dass man selbstbestimmt handelt, sagen die Leute oft. Gibt es einen Widerspruch zwischen Religion und wissenschaftlichem Studium? Wissenschaft kann Religion unterstützen, aber andersherum glaube ich, dass gewisse Wahrheiten von Religion und Spiritualität einfach noch nicht wissenschaftlich greifbar sind, und dass das zu unseren Lebzeiten vielleicht auch noch nicht möglich sein wird. Daher denke ich, dass Wissenschaft und Religion eher eine gemeinsame Zukunft haben als eine gegensätzliche. Nichtsdestotrotz nimmt der Anteil an religiösen Menschen immer weiter ab. Welchen Mehrwert siehst du in Religion, speziell dem Buddhismus, heute? Ich glaube, dass der Kern des Buddhismus auch in Zukunft noch Jüngere anspricht.
Es wird aber zunehmend schwieriger sein, die Jugend zu erreichen. Gerade Social Media und diese ganze Reizüberflutung können in meinen Augen eine Leere und Einsamkeit hervorrufen, die Spiritualität, wie der Buddhismus, zu überwinden helfen kann. Ich hatte einmal einen Lehrmeister, der sagte, wenn man jüngere oder sehr gebildete Menschen an Religion heranführen möchte, ist es immer gut, einen wissenschaftlichen Ansatz zu haben und dann zu sagen: »sprinkle a little buddhism on it«. Das heißt, man sollte die Lehren des Buddhismus passend zur aktuellen Lebenssituation vermitteln, Interesse wecken und nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen. Was wünschst du dir im Umgang mit dem Buddhismus? Ich finde es in einer säkularen Gesellschaft wichtig, Religion und Wissenschaft zu trennen, aber auch für beides offen zu sein. Ich würde mich freuen, wenn es mehr Foren und Formate gäbe, die dahingehend sensibilisieren und Austausch schaffen.
Lena Marie Breuer
war für die Recherche zu diesem Artikel sechs Jahre lang auf einer katholischen Schule. Fortschritt hat sie dort nicht gefunden.
Isabell Geidel
hat sich das mit der katholischen Schule gespart.
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g n u r e i s i t a m to
Au
„DIE
IST KEIN
NATUREREIGNIS“
Die Zwei-Tage-Arbeitswoche oder vollautomatisierte Drohnenkriege? Beides wäre mithilfe digitaler Algorithmen möglich. Die gesellschaftliche Richtungsentscheidung kann uns die Technik jedoch nicht abnehmen, erklärt Philosoph und Informatiker Rainer Rehak im Gespräch über künstliche Intelligenz.
Rainer Rehak ist Doktorand am Weizenbaum-Institut für vernetzte Gesellschaft in Berlin und Teil der Forschungsgruppe Quantifizierung und gesellschaftliche Regulierung. Zuvor studierte er in Berlin Informatik an der Humboldt-Universität sowie Philosophie an der Freien Universität.
FOTO: privat
H
err Rehak, nahezu jede*r hat im Alltag – bewusst oder unbewusst – Berührungspunkte mit ihnen, doch nur wenige wissen, wie sie wirklich funktionieren. Was sind überhaupt Algorithmen? In der Informatik sagt man, dass es endlich viele und eindeutig beschriebene Schritte sein müssen, sodass aus einem wohldefinierten Anfangszustand ein wohldefinierter Ausgangszustand entsteht. Das ist ähnlich
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einer Stadtverwaltung. Da gibt es bestimmte Regeln, Schritte und interne Abläufe, zum Beispiel, wenn man sich ummeldet. Die Verwaltung funktioniert ähnlich wie ein Computer und die Verwaltungsregeln sind wie die Algorithmen. Vom Onlineshopping bis zu Dating-Apps: Entscheidungs- und Verhaltensprozesse werden heute vielfach durch Algorithmen beeinflusst und gesteuert. Machen wir uns zu sehr von Algorithmen abhängig? Droht uns am Ende sogar ein Verlust der Autonomie? Wir sollten uns nicht so sehr auf die Algorithmen selbst fokussieren. Stattdessen sollten wir schauen, welche Akteur*innen diese algorithmischen Entscheidungssysteme zu welchem Zweck einsetzen. Bei einem unserer Forschungsprojekte am Weizenbaum-Institut haben wir uns angesehen, wie eigentlich Uber die Fahrer*innen und die Fahrgäste durch die App beeinflusst. Wir haben erkannt, dass da ganz viel Nudging (Anm. d. Red.: Anstreben von Verhaltensveränderungen) erfolgt, aber genau das ist Ubers Geschäftsmodell. Wenn die Fahrer*innen nicht über eine bestimmte Anzahl an Sternen kommen, werden sie gesperrt. Uber verwendet diese Algorithmen als Werkzeug. Da machen nicht wir uns von Algorithmen abhängig, sondern wir lassen als Gesellschaft zu, dass bestimmte Akteur*innen Algorithmen verwenden, um ihre Interessen durchzusetzen. Eigentlich machen wir uns von den Akteur*innen abhängig. Die Algorithmen sind dabei nur Mittel zum Zweck.
Wenn zum Beispiel die Filterung der Auswahl beim Shoppen transparent geschieht oder es vorher einen Entscheidungsprozess gab, welche Kriterien höher gewichtet werden sollen, dann ist es eine gute Sache. Es erleichtert uns den Lebensalltag, wenn wir uns nicht ständig neu durch 5000 Produkte klicken müssen. In dem Moment ist die Automatisierung und die Algorithmisierung eine Befreiung und eine Entlastung der Menschen. Eigentlich ist es total ungerecht, dass die unbewussten Neigungen von Menschen so ausgenutzt werden. Wir können aber auch als Gesellschaft entscheiden, dass die Algorithmen, die uns Produkte präsentieren, veröffentlicht werden müssen. Heißt das, es gibt gar keine Zufälle mehr? Werden die zufällige Auswahl von Produkten oder unerwartete Begegnungen im Alltag durch Algorithmen minimiert? Ja und nein. Ich stoße auch nicht auf eine zufällige Anordnung von Produkten, wenn ich in einen Laden gehe. Das war schon so, als es noch keine Computer gab. Die Süßigkeiten waren neben der Kasse, damit die Kinder durchdrehen, und auf Sichthöhe der Augen stehen die teuren Sachen, um den Gewinn zu maximieren. Bei Dating-Apps geht natürlich Zufall verloren. Aber Zufall kann ja auch bedeuten, viel Zeit mit nicht besonders erfüllenden Verabredungen zu verbringen. Wenn ich in BerlinSchöneberg in eine Bar gehe, ist allerdings auch vorgefiltert, wen ich da treffe. Ich warne vor dem Eindruck, dass es vor den Computern
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die paradiesische Welt des Zufalls gab und jetzt auf einmal die bösen Algorithmen unsere Welt vorstrukturieren. Das sollte man nicht idealisieren. Gibt es Bereiche, in denen der Einsatz von Algorithmen zum Problem wird oder sogar Schaden anrichtet? Drohnenkriege, um mal ein extremes Beispiel zu nennen, haben sehr negative Auswirkungen, die ohne Computereinsatz überhaupt nicht greifen würden. Bei dieser Art digitaler Kriegsführung basierend auf Algorithmen sehe ich den gesellschaftlichen Nutzen nicht. Die Wirkung der Automatisierung muss natürlich im gesellschaftlichen Kontext betrachtet werden. Erstmal ist nichts Schlimmes daran, dass Roboter unsere Arbeit erledigen und wir uns dafür mit einer Zwei-TageWoche mehr um unsere Familie und Hobbys kümmern können. Das Problem entsteht dann, wenn die Algorithmisierung und Automatisierung nicht gesellschaftsverträglich politisch begleitet wird. Das ist aber keine technische Frage. Auf der anderen Seite gibt es dieses ›Heilsversprechen der Digitalisierung‹, was man immer kritisch betrachten muss. Da heißt es dann, die Automatisierung würde uns befreien oder ganze Arbeitszweige überflüssig machen. Gerade in der Medizin ist das nicht so einfach, weil diese Systeme gerne überreagieren und nicht nur Sachen erkennen, die problematisch sind, sondern auch die unproblematischen. Etwa bei der Krebserkennung gibt es zunehmend die Kritik, dass KI-Systeme auch unproblematische Veränderungen als Krebs klassifizieren. Da muss man sehr aufpassen. Oftmals betrachten wir die Automatisierung unter dem Gesichtspunkt, dass wir effizienter sein wollen, Dinge schneller und reibungsloser erledigen. Das ist allerdings eine inhärent ökonomische Sichtweise. Es gibt Prozesse, zum Beispiel in
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der Gesetzgebung, die sind mit Absicht langsam, weil man Betroffene anhören will, Interessenskonflikte diskutieren und aushandeln muss. Dadurch wird eine andere Qualität bedient, die auch notwendig ist. Man kann die Algorithmisierung und Automatisierung nur nützlich und zielgerichtet einsetzen, wenn man reflektiert, welche Optimierungsziele dahinterstehen. Algorithmen werden von Menschen entwickelt. Können sie dann überhaupt objektiv sein? Es gibt keine neutralen oder objektiven Algorithmen. Die Datenerhebung an sich beruht schon auf Annahmen. Ein klassisches Beispiel: Wenn ich einen Kredit auf Basis von neutral existierenden Daten vergebe, dann ist klar, dass Männer höhere Kredite erhalten als Frauen. Das ist mathematisch korrekt, weil Männer im Schnitt mehr verdienen als Frau-
»Wenn ich einen neutralen Algorithmus anwende, ist der ungerecht. Würde ich einen fairen Algorithmus anwenden, wäre der nicht neutral.«
en. Das heißt, wenn ich da einen neutralen Algorithmus anwende, ist der ungerecht. Würde ich einen fairen Algorithmus anwenden, wäre der nicht neutral. Wenn man das auf die Technik reduziert und auf Neutralität hofft, wird man Systeme bauen, bei denen man blind ist für die Vorannahmen, die dahinter stecken. Eigentlich wollen wir eine faire und gerechte Gesellschaft, in der strukturell benachteiligte Gruppen unterstützt werden. Es ist leider nie nur eine technische Frage. Innerhalb der Strafjustiz kam insbesondere in den USA zuletzt der Vorwurf auf, Algorithmen seien ebenso diskriminierend und rassistisch wie das Polizeisystem. Wie kommt es dazu? Ist ›Predictive Policing‹, also vorausschauende Polizeiarbeit, mit für die Polizeigewalt in den USA verantwortlich? Algorithmen werden diesbezüglich meistens zur Vorhersage von Rückfallwahrscheinlichkeit im Zusammenhang mit Kriminalität verwendet. Es hat sich gezeigt, dass die Systeme äußerst rassistisch waren, da sie in ähnlichen Umgebungen bei People of Color viel höhere Rückfallwahrscheinlichkeiten attestierten. Das kam erst heraus, als die Systeme genauer analysiert wurden. Das Problem ist, dass wir gar nicht genau wissen, wie diese Systeme funktionieren. Der Schutz von Geschäftsge-
AUGENBLICK AUSBLICK heimnissen steht Transparenz und Gerechtigkeit im Wege. ›Predictive Policing‹ ist der zweite Bereich, in dem solche Algorithmen verwendet werden. Man kommt hier zu dem Schluss: Sehr wahrscheinlich werden in diesem Bezirk vermehrt Wohnungseinbrüche stattfinden und dort wird man hinfahren, um das zu verhindern. Das heißt, dass Gebiete, über die viele Daten vorliegen, mehr untersucht werden. Wenn ich aber öfter kontrolliere, sinkt dort die Dunkelziffer und ich erwische mehr Leute. Dadurch wird die Statistik verzerrt. Das kann sozial und finanziell benachteiligte Nachbarschaften treffen und hat krasse Konsequenzen, wenn sich die Polizeipräsenz erhöht. Das ist sehr problematisch. Ich kenne aber keine wissenschaftlichen Untersuchungen, welche die Polizeigewalt in den USA auf diskriminierende Algorithmen zurückführen. Das ist einfach die Auswirkung einer rassistischen Gesellschaft und da ist die technische Dimension das negative i-Tüpfelchen. Wenn Sie an die Zukunft denken, wie sähe eine automatisierte Welt dann aus? Für mich sähe eine automatisierte Welt so aus, dass wir die Früchte der Digitalisierung und der Automatisierung durch entsprechende gesellschaftliche Rahmenbedingungen tatsächlich auch allen Menschen zugutekommen lassen könnten. Ich sehe da eine Welt, in der wir uns dank verkürzter Arbeitszeiten mit dem beschäftigen können, was uns als Menschen ausmacht: Kreativität und Zwischenmenschlichkeit. Für mich wäre das eine sehr schöne und auch eine sehr viel gerechtere Welt, wenn sie dafür sorgt, dass uns mehr Zeit für soziale Interaktion zur Verfügung stehen würde. Die Digitalisierung und Automatisierung sind keine Naturereignisse, bei denen wir mit Bangen auf die Flutwelle warten. Wenn wir sie aber verwenden, um jeden Tastenanschlag der Angestellten bei der Arbeit zu überwachen und mit automatisierten Bewertungssystemen nach Effizienz zu kategorisieren, dann wird das eine sehr dunkle Zukunft. Die Digitalisierung ist ein Werkzeug. Ob wir uns daraus eine schöne, bessere Welt bauen, liegt an uns. Diese politische und gesellschaftliche Entscheidung kann uns die Technik allerdings nicht abnehmen. Caroline Blazy
glaubt an die Kraft des Zufalls.
Anna Schönenbach
zieht die Zwei-Tage-Woche Drohnenkriegen auf jeden Fall vor.
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ABSCHLUSS MIT
ZWÖLF STERNCHEN Mit den Bologna-Reformen wurde seit 2009 zunächst nur der Leistungsdruck europäisiert. Jetzt sollen Hochschulallianzen den Weg zu einer ›Europäischen Hochschule‹ ebnen. Im Projekt Una Europa versucht sich auch die FU an der innereuropäischen Grenzauflösung.
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otivationssprüche auf Instagram, alte Bekannte aus der Antike oder Elon Musks Namensauswahl für sein neues Kind? Weit gefehlt: Das sind die Namen europäischer Hochschulallianzen. Una Europa, der Name der Hochschulallianz, in der die Freie Universität Mitglied ist, klingt dagegen fast langweilig. All diese Hochschulallianzen verbindet der Anspruch, eine ›Europäische Hochschule‹ zu bilden. »Je suis venu vous parler d'Europe.« – »Ich bin gekommen, um mit Ihnen über Europa zu sprechen.« Mit diesen Worten beginnt der französische Staatspräsident Emmanuel Macron 2017 eine Rede an der Pariser Sorbonne. Voller Pathos entwirft er seine Vision Europas – und kommt dabei auch auf die Hochschulen zu sprechen. Er fordert »europäische Universitäten mit europäischen Semestern und europäischen Abschlüssen«. Jede*r Studierende solle mindestens zwei europäische Sprachen sprechen und im Optimalfall auch noch für mindestens ein halbes Jahr ins europäische Ausland gehen. »Netzwerke von Universitäten aus mehreren Ländern Europas« sollen diese europäischen Hochschulen sein. Macrons Idee wirkt wie eine logische Weiterführung dessen, was 1999 mit dem Bologna-Prozess begann. Das Ziel der Bologna-Reformen war vor allem eine Vereinheitlichung des europäischen Hochschulsystems. Nun soll es zu einer engeren Kooperation zwischen den Universitäten des Kontinents kommen und der Wissens- und Hochschulstandort Europa gestärkt werden. Wie diese Koopera-
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E3UDRES2, EC2U, T4E; ENHANCE, ENLIGHT, INVEST oder ATHENA, ULYSSEUS, EPICUR tion genau aussehen wird, das versuchen die Beteiligten zurzeit herauszufinden. Die Idee, die Macron in seiner Rede skizziert, ist nicht neu. Europaweite Zusammenarbeit von Hochschulen war bereits zuvor Alltag. Das bekannteste Projekt kennt fast jede*r: Erasmus+. Bekannt ist es vor allem für seine ›Credit-Mobility‹, die Möglichkeit, einen Teil der Leistungspunkte an einer Universität im europäischen Ausland zu erwerben. Auslandspraktika, den Austausch von Dozierenden oder die Weiterbildung anderer Mitarbeitender an Universitäten fördert Erasmus+ mit seinen zahlreichen Unterprojekten ebenfalls. Die Mobilität von Studierenden und Mitarbeitenden ist für Gesa Heym, Leiterin des Referats Studierendenmobilität und Erasmus-Hochschulkoordinatorin an der FU, eine niedrigschwellige Möglichkeit für internationale Hochschulzusammenarbeit. »Die nächste integrierte Stufe ist es, einen Doppelstudiengang aufzubauen«, erläutert sie. Man studiert an zwei Universitäten und erhält einen gemeinsamen Abschluss oder einen von jeder Universität. Niklas Mariotte studiert im Deutsch-Französischen Bachelor in Politik- und Sozialwissenschaften an der FU und an der Sciences Po im französischen Nancy. Er ist froh, sich für dieses Programm entschieden zu haben. Besonders das Zusammentreffen mit Studierenden
aus ganz Europa schätzt er. Problematisch sei, »dass das so reduziert wird auf Frankreich und Deutschland.« Auch von Erasmus+ gibt es solche Programme. Bei den von der EU geförderten Erasmus Mundus Joint Master-Programmen können Studierende an mindestens drei Universitäten studieren und einen gemeinsamen oder MehrfachMaster-Abschluss machen. Mariotte sieht solche Programme, die mehr als zwei Länderaufenthalte verbinden wollen, kritisch: »Es gibt das Risiko, dass man diese Länder oder die Städte, in denen man ist, nur sehr oberflächlich kennenlernt.« »Es ist auf jeden Fall so, dass Auslandserfahrung heutzutage mit in den Lebenslauf gehört, und das ist nicht nur professionell, sondern auch persönlich unheimlich bereichernd«, betont Gesa Heym. Sie erklärt aber, dass bei Erasmus+ die universitäre Kooperation oft nur auf den Studierendenaustausch beschränkt bleibe: »Da gibt es dann eine gute und oft langjährige Kooperation zwischen den Fachkoordinator*innen, aber das ändert strukturell zunächst einmal nichts an der Uni.« Die Vision des französischen Präsidenten von Europäischen Universitäten soll genau da ansetzen. Bereits wenige Monate nach seiner Rede gründet die EU die European Universities Initiative als Teil der European Education Area. Dort konnten sich in zwei Runden Universitäten als Zusammenschluss in Form von transnationalen Universitätsallianzen bewerben. 41 dieser Universitätsallianzen fördert die EU nun bis 2022. Sie sollen die Hochschulen der Zukunft werden und
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die Hochschulbildung revolutionieren. Inwieweit diese Allianzen später einmal eine Einheit bilden und ob es eine übergeordnete Instanz für alle Allianzen geben soll, ist unklar. Die FU ist mit der Hochschulallianz Una Europa seit 2019 dabei. Acht Universitäten arbeiten hier nicht nur beim Studierendenaustausch zusammen, sondern auch in den Bereichen Lehre, Administration, Forschung und Community Building, erklärt Sonja Yeh. Sie ist Projektleiterin des Verbundes an der FU. »Una Europa hat zum Beispiel im Lehr- und Forschungsbereich fünf sogenannte Focus Areas definiert: Sustainability, European Studies, Cultural Heritage, Data Science and Artificial Intelligence und One Health.« Innerhalb dieser Gebiete entwickele die Allianz Formate wie gemeinsame Studiengänge. »Es gibt aber sehr viele Aktivitäten, die über Forschung und Lehre hinausgehen.« So sei die FU im Bereich Community Building führend, man veranstalte zur Vernetzung zum Beispiel eine Staff Week oder einen Student Congress, erzählt Yeh. Die Liste an Projekten ist lang und vieles noch vage. »Ein großes Ziel ist es, einen sogenannten European Degree zu erschaffen. Das ist aber noch in den Kinderschuhen«, räumt Yeh ein. Sie spricht von einem gemeinsamen Abschluss, bei dem Studierende europaweit genau das Gleiche studieren können und der überall als absolut gleichwertig anerkannt wird. Bisher scheinen sich die Unis vor allem weiter vernetzt und ausgetauscht zu haben. Gesa Heym erklärt zum Thema Studierendenmobilität beispielsweise: »Wir haben in der Una Europa außer eines Pilotprojektes für virtuelle Mobilität noch gar keine eigenen Mobilitätsstrukturen auf-
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gebaut. Insofern gibt es weiterhin erstmal Erasmus und die ganzen verschiedenen Una-Projekte.« Wirklich verknüpft seien die verschiedenen Strukturen noch nicht miteinander. Wie erfolgreich die Allianz also wirklich sein wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abzuschätzen. Geplant ist in jedem Fall ein Bestehen über
Die mythologische Europa überzeugt als hippe Studentin schon mal. Ob das die europäische Universität auch tut? ILLUSTRATION Hannah Held den EU-Förderzeitraum bis 2022 hinaus. Finanziert wird sie neben der EU-Förderung durch Mitgliedsbeiträge der beteiligten Universitäten, verschiedene Drittmittelprojekte und nationale Förderungen, etwa durch den DAAD in Deutschland. Wie sich die Universitäten gefunden haben? »Es gab bereits Kooperationen«,
AUSBLICK auf die man jetzt aufbaue, erklärt Yeh. Auffällig ist, dass diese Kooperationen auf West- und Mitteleuropa konzentriert sind. Die Jagiellonen-Universität in Krakau liegt geographisch am östlichsten von den Una Europa-Universitäten und auch als einzige in Osteuropa. Manch andere Hochschulallianzen, die sich bei der EU beworben hatten, wurden sogar abgelehnt, weil sie zu wenig geographische Vielfalt aufwiesen. Da die EU meist Impuls- und Geldgeber ist, bleibt das Projekt ›Europäische Universität‹ auf den Raum der EU beschränkt und das Bild Europas stark von einer einzelnen Institution geprägt. Die Finanzierung ist meist auf wenige Jahre begrenzt, was die Planbarkeit der Projekte einschränkt. Niklas Mariotte empfindet seinen Doppelstudiengang als elitär und die Studierendenschaft als relativ homogen. Er befürchtet, dass dies auch bei anderen Programmen der Fall sein könnte. »Die Leute, die an solchen Programmen teilnehmen, kommen häufig aus internationalen Familien oder haben schon in diesen Ländern gewohnt. Man müsste diese europäische Hochschule so gestalten, dass alle Zugang haben.« Ob das passieren wird, ist noch unklar. Die meisten FU-Studierenden haben von Una Europa schließlich noch nie gehört. FU-Koordinatorin Sonja Yeh blickt positiv in die Zukunft des Projektes: »Die ganzen Projekte, Aktionen und Initiativen sind sehr ambitioniert, aber auch sehr spannend.« Wie sich das konkret ausgestalte, werde sich dann noch zeigen.
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hat jetzt Fernweh.
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ANGST ALS VERKAUFSHIT DYSTOPISCHE VIDEOSPIELE Dystopien in Videospielen haben Konjunktur. Wie verändert das unseren Blick auf die Zukunft? Und werden wir durch sie zu ängstlicheren Menschen?
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n der Zeitung lesen wir von einer mysteriösen Infektion, die unser Land seit einigen Tagen befällt. Wir denken uns noch nichts dabei. Doch dann werden wir mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen. Zähnefletschend greift uns der Nachbar an. Auf den Straßen herrscht Chaos: Menschen wollen andere Menschen zerreißen. Es geht um das reine Überleben. Von einer Sekunde auf die andere befinden wir uns in einem Albtraum – in einer Dystopie. So erlebt der*die Spieler*in den Anfang des Videospiel-Hits The Last of Us. Auch dessen Nachfolger wurde zum Erfolg und brach im Jahr 2020 Verkaufsrekorde. Belohnt wurde die Serie mit zahlreichen Preisen. Andere Videospiele mit dystopischem Setting wie Cyberpunk 2077 verkaufen sich ebenfalls millionenfach. Woher kommt dieser Hype? Seit Jahrzehnten werden wir in der Popkultur, ob in Film, Literatur oder Videospiel, mit Dystopien konfrontiert. Schon
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FOTOS Tim Gassauer 1826 zeigte Mary Shelleys Roman The Last Man eine Gesellschaft, die durch den Ausbruch einer Seuche zerfällt. Parallelen zu The Last of Us sind nicht nur im Namen zu erkennen. »Dystopien handeln von Krisen- und Drohszenarien als Visionen des gesellschaftlichen Zusammenbruchs. Sie befassen sich etwa mit Ideen des Totalitarismus, der Barbarei und der sozialen Apathie«, erklärt Dorit Müller, Literaturwissenschaftlerin an der Freien Universität. Aber auch ökologische Krisen, ein alles beherrschender Kapitalismus und ›der gläserne Mensch‹ sind immer wieder Themen. Damit gehen meist eine erhöhte Gewaltbereitschaft sowie ein Moralverlust einher. Es sind also allerhand Zukunftsängste, die unsere Gesellschaft in der Gegenwart beschäftigen und denen wir uns in diesem Genre freiwillig
stellen. »Dystopien partizipieren am gesellschaftlichen Diskurs über Zukunftsentwicklungen«, so Müller. Indem wir uns mit dem*der Protagonist*in identifizieren, kämpfen wir zusammen mit ihm*ihr gegen das Regime oder die Missstände. Das Medium Videospiel nimmt hier eine besondere Stellung ein, da der*die Spieler*in aktiv am dystopischen Setting teilnimmt. Gerald Farca, Forscher für Game Studies und Culture, schreibt in der Monografie Playing Dystopia, dass der*die Spieler*in durch die Involvierung in die fiktive dystopische Welt Rückbezüge zu gegenwärtigen, realen Missständen ziehen kann. Auch wenn er*sie im Medium selbst an der Dystopie scheitern kann oder muss, soll er*sie ein Bewusstsein für gefährliche soziale und politische Tendenzen in der Gegenwart entwickeln. Die Dystopie kann somit als Warnung dienen. Wenn wir, die Spielenden, in The Last of Us also der Extremistengruppe
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»Die zunehmende Frequenz öffentlicher Krisendebatten führt zu einem Anstieg medialer Umsetzungen der Themen, die wiederum die Zukunftsängste der Bevölkerung in bestimmte Richtungen kanalisieren.« Dorit Müller, Literaturwissenschaftlerin an der FU
Fireflies begegnen, müssen wir uns mit dem Spannungsverhältnis zwischen ihren Ideologien (Befreiung von militärischer Unterdrückung) und deren Mitteln (terroristischen Anschlägen) auseinandersetzen. Dadurch können wir ähnliche Konflikte ebenso in der Gegenwart erkennen. Auch die Angst nimmt im Spiel eine entscheidende Rolle ein: Wenn wir durch das zerfallende Kellergebäude eines alten Krankenhauses schleichen und erschrocken mithilfe des Controllers die Blickrichtung ändern, weil wir in der drückenden Stille plötzlich Schritte hören, schützt diese Angst uns vor Gefahren. »Die meisten Menschen empfinden Angst in bedrohlichen Situationen. Das ist gesund. Angst wird nur dann problematisch, wenn sie übermäßig ist«, erklärt Psychologin Babette Renneberg. Sie forscht an der FU zu Angst- und Persönlichkeitsstörungen. Da Menschen Konsequenzen ihres Handelns fast nie im Jetzt fürchten, sind Ängste immer zukunftsgerichtet. Menschen mit
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einem sehr hohen Level an sogenannter Grundangst fürchten sich schnell. In den letzten Jahrzehnten ist diese wahrgenommene Angst in der westlichen Welt immer weiter angestiegen, zeigt eine Studie von Jean M. Twenge aus dem Jahr 2004. Paradoxerweise wird diese Welt im gleichen Zeitraum immer sicherer, wie beispielsweise der Rückgang von Verkehrstoten belegt. Neben einer Enttabuisierung von Angst könne dies auch mit dem erweiterten Konsum negativer Nachrichtenberichterstattung zusammenhängen. Mediale Dystopien nehmen also Bezug auf unsere Ängste und bieten uns eine Erprobung dieser an. Eine Studie der Zeitschrift für Zukunftsforschung stellte an Proband*innen fest, dass dystopische Medien Zukunftsängste aber ebenso fördern können. Die Testpersonen, die
oft dystopische Medien konsumierten, hatten am meisten Angst vor Krieg und Klimakatastrophen, Gewaltzunahme und Moralverlust sowie dem Kampf ums Überleben. Außerdem zeigte sich, dass die Konsument*innen teilweise ein verändertes zukunftsgerichtetes Verhalten anstrebten, um der negativ gezeichneten Zukunft entgegenzusteuern oder sich vor ihr zu schützen. Auch eine nicht repräsentative Umfrage von FURIOS kommt zu einem ähnlichen Ergebnis. Rund die Hälfte der Befragten macht sich große Sorgen um die Zukunft. Am häufigsten fürchten sie sich vor einer totalitären politischen Führung, gefolgt von der Klimakrise und der derzeitigen Pandemie. Die FURIOS-Umfrage zeigt außerdem: In Kontakt mit Dystopien kommen die Befragten vor allem durch Literatur, Filme und Musik. Videospiele landen bei Studierenden auf Platz vier. Eine mitreißende Geschichte mit spannenden Charakteren und einer detaillierten Grafik motiviert am häufigsten, einen Titel aus dem Dystopie-Genre zu spielen. Aber auch eine kaputte Welt durch eigenes Handeln ein Stück weit zu verbessern, ist für viele ein Anreiz. Was für aktives Handeln in Videospielen gilt, lässt sich laut Psychologin Renneberg auch auf die Teilbewältigung von realen Krisen anwenden: »Wenn der Mensch aktiv mitgestaltet und das Gefühl hat, er bekommt etwas unter Kontrolle, dann ist das eine Maßnahme, die Angst reduziert.« Auch im preisgekrönten Titel The Last of Us gibt es zumindest einen Funken Hoffnung. Während die Firefly-Rebellen gegen das Militärregime kämpfen, sich überall Infizierte stückweise in Monster verwandeln und gesunde Menschen die letzten verbliebenen Reste bunkern, verhält sich der Protagonist Joel Miller im Kontrast dazu. Er übernimmt selbstlos die Verantwortung und schlüpft in die Vaterrolle für ein junges Waisenkind. Zusammen mit ihnen suchen wir, die Spielenden, ein Entkommen aus dieser dystopischen Welt. Johannes Bauer
So sieht die Realität noch nicht überall aus. Wie kann es dabei bleiben?
singt im Atomschutzbunker - Hurra diese Welt geht unter!
Lisa Hölzke
hat gar keine so große Zukunftsangst, solange es gute Videospiele gibt.
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Old but Gold
ILLUSTRATION Hannah Held
»Bloß nicht wegschmeißen!« Omas alte Weisheit bestätigt sich heute: Kleidung, Accessoires und andere Gegenstände aus vergangenen Jahrzehnten sind wieder ›in‹. Trends wiederholen sich und aus alt wird ›vintage‹. Könnt ihr diese Dinge ihrer jeweiligen Zeit zuordnen?
1 VW Käfer 2 Vespa 3 Leselampe 4 Drehscheibentelefon 5 VHS-Kassette 6 Schallplatte/Vinyl 7 Erster Adidas-Trainingsanzug 8 Erster Fischerhut 9 Erstes Rennrad 10 Erste Sonnenbrille 32
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c: 1952
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b: 1926
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a: 1967
b: 1990
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a: 1780
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Ein Angebot der digital-printing-hall Copy-Repro-Center Berlin GmbH 33 www.copy-center.de www.onlinedruck-direkt.de Habelschwerdter Allee 37 14195 Berlin Telefon 84 17 42 10 Mail habelschwerdterallee@copy-center.de Ladenbergstr. 2 14195 Berlin Telefon 83 00 93 10 Mail ladenbergstr@copy-center.de
1b: Der erste VW-Käfer lief 1938 vom Band als Hitlers »Kraft durch Freude«-Wagen. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er weiter produziert. 2b: Die erste Vespa kam 1946 in Italien auf den Markt. Eigentlich wollte ihr Erfinder Hubschrauber herstellen. 3b: Im Volksmund heißt sie Bankerlampe und ist um 1900 entstanden. Ihr eigentlicher Name: Emeralite. 4a: Das Drehscheibentelefon wurde erstmals 1908 von der Reichstelegraphenverwaltung eingesetzt. 5c: 1976 kam die erste VHS Kassette auf den Markt. Nur echte Nostalgiker*innen nutzen sie heute immer noch. 6a: Die ersten Schallplatten/Vinyl sind 1897 gepresst worden und kosteten ein Vermögen. Heute sind sie wegen ihrer hohen Audioqualität wieder sehr begehrt. 7a: Den ersten Trainingsanzug stellte Adidas 1967 her. Über Geschmack ließ sich damals schon streiten. 8b: Der Fischerhut oder bucket hat kommt angeblich aus Irland, wo er um 1900 Fischer*innen als Regenschutz diente. 9a: Um die 1890er Jahre kam es zu ersten Rennfahrten mit Fahrrädern. Diese wurden besonders durch die olympischen Radrennen bekannt. 10c: Schon Kaiser Nero (37-68 n.Chr.) beobachtete Gladiatorenkämpfe in der blendenden Mittagssonne durch einen Smaragd. Spätestens seit den 70ern gehören sie zur Mode und sind seitdem nicht mehr wegzudenken.
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AUSBLICKfür ... der Printshop Studierende
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Layout, Illustrationen, Foto Gloria Henriette Franz hat die Fotolovestory als Ausrede genutzt, um endlich mal wieder ne BRAVO zu lesen. Anna Kallidou ich werde meine Knochen hier lassen, sagte die junge Griechin mit 40 Grad in Berlin. Lara Rau liebt es vor allem, neben dem Reisen, kreativ zu sein. Deshalb fängt sie dieses Jahr ihr Design-Studium an.
Marlene Hopsch sitzt an einem lauen Sommerabend am liebsten lesend auf dem Balkon. Antonia Böker träumt nachts noch immer von den Menschenaffen aus früheren Entwürfen.
Hannah Held hat es schneller ins Heft geschafft als auf den FU Campus.
Anne Hassert studiert eigentlich Kunst in Vancouver, aber arbeitet seit Corona in einem Späti an der Westküste und erstellt kostenlose Kunstwerke für gute Freunde. Tim Gassauer fotografiert alles, außer Fotolovestories.
Simon Geiger lässt sich für ein gutes Foto auch mal mit Büchern bewerfen.
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HERAUSGEGEBEN VON Freundeskreis Furios e.V. REDAKTION AUSGABE 25 Marie Blickensdörfer, Anna Schönenbach, Leonie Beyerlein, Lucie Schrage, Aikaterini Mouzaki, Caroline Blazy, Isabell Geidel, Luca Klander, Lisa Hölzke, Sophie Dune Korth, Johannes Bauer, Matthäus Leidenfrost, Lena Rückerl, Lena Marie Breuer, Hutham Hussein, Kira Welker, Julian Sadeghi, Maj Pegelow, Philipp Gröschel I L L U S T R AT I O N E N Hannah Held, Antonia Böker, Kira Welker, Marlene Hopsch, Anna Kallidou, Lara Rau, Anne Hasert, Luca Klander FOTOS Tim Gassauer, Simon Geiger, Leonie Beyerlein COVER Antonia Böker S AT Z U N D G E S TA LT U N G Gloria Henriette Franz CHEF*INNEN VOM DIENST Laetitia Grunewald, Philipp Gröschel L E K T O R AT Maj Pegelow, Julian Sadeghi, Philipp Gröschel ISSN 2191-6047 CHEFREDAKTION Maj Pegelow, Philipp Gröschel (V.i.S.d.P., Freie Universität Berlin, JK 28/106, Habelschwerdter Allee 45, 14195 Berlin) P O L I T I K R E S S O RT Kira Welker, Julian Sadeghi C A M P U S R E S S O RT Lena Rückerl, Isabell Geidel K U LT U R R E S S O RT Leonie Beyerlein, Matthäus Leidenfrost W I S S E N S C H A F T S R E S S O RT Johannes Bauer, Caroline Blazy C O M M U N I T Y R E S S O RT Hutham Hussein, Lucie Schrage www.furios-campus.de redaktion@furios-campus.de
Jede*r Autor*in ist im Sinne des Pressegesetzes für den Inhalt ihres*seines Textes selbst verantwortlich. Die in den Artikeln vertretenen Meinungen spiegeln nicht zwangsläufig die Ansicht der Redaktion wider. Gemäß dem Urheberrecht liegen die Rechte an den einzelnen Werken bei den jeweiligen Autor*innen.
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Wie Videospiele mit unserer Angst vor der Zukunft spielen
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Die Geschichte eines Paragraphen
Wissenschaftsethik Über die Verantwortung von Forscher*innen
Genmanipulation Ein Blick in die Möglichkeiten von Mutationen