FURIOS 21 - Hoppla! Über Zufälle und Unberechenbares

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WINTER 2018 AUSGABE 21

HOPPLA! Über Zufälle und Unberechenbares


Immer alles unter Kontrolle haben, was wäre das nicht schön? Manchmal geschehen Dinge aber auch mehr oder weniger zufällig – und ach, hoppla! – ungeplante Situationen ergeben sich dann schneller als man denken kann. Aus diesem Grund widmen wir den Titel dieser Ausgabe dem Zufall und dem Unberechenbaren. Ist unser Leben vom Zufall bestimmt oder haben wir unser Glück doch selbst in der Hand? Unsere Autor*innen streiten sich auf Seite zehn darüber, wie viel Kontrolle über das eigene Leben eigentlich möglich ist. Das rote Café am OSI polarisiert. Konservativen Kräften an der Uni ist es ein Dorn im Auge, andere haben es zu ihrem Mekka gemacht. Auf Seite 16 tauchen unsere Politik-Redakteure tief ein, in die linke Szene rund um das rote Geschwulst. Für unseren ewigen Ehemaligen hat es uns diesmal quer durch die Republik nach Köln verschlagen. Neo Magazin Royale- und heute-Show-Fans kennen die Stimme aus dem Publikum: Ralf Kabelka. Wer der Mann neben Böhmermann wirklich ist, lest ihr auf Seite 26.

Viel Spaß beim Lesen und ein herzliches Dankeschön an alle, die dieses Heft ermöglicht haben! Corinna Cerruti und Leonhard Rosenauer

KULTUR

Die Crisp-Genschere schreibt schon jetzt Wissenschaftsgeschichte. Auf Seite 34 blickt unsere Autorin kritisch auf die ethischen Fragen der Gen-Manipulation. Werden unsere Kinder alle genmanipulierte Universalgenies oder lassen wir lieber komplett die Finger von den neuen Möglichkeiten?

06 Hups! Finanzkrise 07 Der Steppenwolf 09 Wo kommt das denn her? 10 Vom Tun und Taumeln 12 4 aus 40.000 20 Das Spiel des Studiums 14 Mein Prof, der Geheimagent 16 Das rote Geschwulst am OSI 18 Das Erbe der Anti-68er

24 Miethaie und Sardinenbüchsen 25 Wo bin ich hier gelandet? 26 Ewiger Ehemaliger: Ralf Kabelka 38 Die empörte Studentin

WISSEN SCHAFT

Was haben Serien im Hollywood-Stil, wie die 40-Millionen-Euro Produktion Babylon Berlin im Geschichtsseminar verloren? Das versucht unsere Autorin auf Seite 29 dem Seminarleiter zu entlocken.

04 »Worüber man keine Kontrolle hat«

22 Studieren in der Wildnis

CAMPUS

Liebe Kommiliton*innen,

POLITIK

TITEL: HOPPLA!

Inhaltsverzeichnis

29 Von der Leinwand in den Hörsaal 30 Im Land der Zeit geht es nur vorwärts 32 Wortfrei! 33 Die geklaute Rubrik: Gemischtes Doppel 34 Der Homo Crispr muss warten 35 Nähe ≠ Liebe 36 »Meine Akademie war das Gefängnis« 38 Impressum

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Titel

Titel

»Worüber man keine Kontrolle hat«

Der Zufall beschäftigt die Menschen seit Jahrtausenden. Trotzdem sprechen wir im Alltag ganz Text: Victor Osterloh & selbstverständlich von ihm, ohne weiter über seine Konsequenzen nachzudenken. Barbara Vetter, Rebecca Stegmann Professorin für theoretische Philosophie, hat mit uns über Physik geredet – und darüber, ob ihr wirklich Foto: Rebecca Stegmann selbst entscheidet, diesen Artikel zu lesen.

Um vorne anzufangen: Seit wann beschäftigen sich Philosoph*innen mit dem Zufall? Eine der ersten Stellen, wo der Zufall in der abendländischen Philosophie eine Rolle spielt, findet sich bei Aristoteles. Er sagt, dass die Dinge das, was in ihnen angelegt ist, entfalten. Im Feuer ist es angelegt, dass es Dinge verbrennt, im Papier, dass es verbrannt werden kann. Wenn beides zusammenkommt, verbrennt das Feuer das Papier. Da ist von Zufall keine Rede. Aber dann gibt es Fälle, die Aristoteles tatsächlich als Zufall beschreibt. Eines seiner Beispiele ist jemand, der zum Brunnen geht, weil er Durst hat. Dort begegnet er jemandem, der ihn überfällt und ermordet. Hier gibt es zwischen zum Brunnen gehen und von einem Räuber ermordet werden einfach keinen Zusammenhang. Während das was im Feuer und das was im Papier angelegt ist zusammenpasst, stehen Durst und Mord quer zueinander. Und das sind die Fälle, die Aristoteles Zufall nennt. Es gibt aber keine durchgehend einheitliche Debatte zum Zufall von Aristoteles bis heute. Taucht der Zufall zu einem späteren Zeitpunkt denn wieder auf ? Ja, immer wieder. Zum Beispiel hat im 19. Jahrhundert die Evolutionstheorie, die den Antrieb für Entwicklung und Anpassung in zufälligen Mutationen sieht, die Rolle des Zufalls ganz massiv gestärkt. Es hat sich gezeigt, dass die Prozesse in unserer Welt nicht ganz so zielgerichtet ablaufen, wie es scheint. Gegen die Idee, dass es ein ›natürliches Ziel‹ darin gibt, wie die Dinge sich entwickeln, schreiben dann auch Philosophen wie etwas Nietzsche an. Viele Prozesse, die aussehen, als wären sie zielgerichtet, sind tatsächlich Produkte von bloßem Zufall... ...nicht von Gott gesteuert… Genau, aber selbst bei Aristoteles, der keinen steuernden Gott kennt, gibt es die Idee einer Art Zielgerichtetheit. Denken Sie an das Feuer und das Papier, dass die Dinge danach streben, ihre Anlage zu verwirklichen. Dann setzte man eben irgendwann noch den Gott darauf, der die Ziele definiert hat. Mit der Evolutionstheorie brauchen wir nicht nur den Gott nicht mehr, sondern wir nehmen sogar das Streben der einzelnen Dinge heraus. Es passieren jetzt, sozusagen, einfach Sachen. Manchmal laufen sie gut und manchmal nicht. Welche Rolle spielt denn der Zufall in aktuellen philosophischen Debatten? Der Zufall spielt vor allem in der Debatte zur Willensfreiheit eine Rolle – und die geht zurück bis in die Antike. Wir

haben aufgrund unseres wissenschaftlichen Weltverständnisses Gründe anzunehmen, dass die Welt nach bestimmten Gesetzmäßigkeiten funktioniert, dass Dinge passieren, weil vorher etwas anderes passiert ist, welches das nachfolgende Ereignis unausweichlich gemacht hat. Das heißt, es gebe den Zufall, so wie wir bislang von ihm gesprochen haben, nicht. Wir beschreiben mit dem Zufall nur Dinge, die wir noch nicht erklären können, die aber durchaus eine Ursache haben. Wenn wir das auf uns selbst anwenden, dann trifft das auch auf unsere Entscheidungen und unsere Handlungen zu. Heißt das, unsere Entscheidungen wären nicht frei? Ja, es würde bedeuten, dass alle unsere Gedanken und Handlungen dadurch determiniert sind, dass ihnen bestimmte Ereignisse vorausgegangen sind und dass allem bestimmte physikalische Gesetzmäßigkeiten zugrunde liegen. Und das scheint dann ein Problem zu sein, denn man denkt, dass man frei ist und deshalb auch für die eigenen Handlungen zur Verantwortung gezogen werden kann. Lässt sich der freie Wille noch retten? In der heutigen Physik ist es gar nicht mehr so klar, dass alles genau von Gesetzmäßigkeiten festgelegt wird. Hier gibt es so etwas wie chance, bloße Wahrscheinlichkeiten. Es gibt dieses berühmte Doppelspaltexperiment, man schießt Teilchen auf zwei Spalte, und kann schon vorhersagen, wie viele hinterher durch welchen Spalt durchgegangen sein werden, aber für jedes einzelne Teilchen kann man nicht sagen, ob es links oder rechts durchgeht. Und aus solchen Teilchen sind wir auch gemacht, also ist vielleicht auch unser Verhalten nicht so ganz festgelegt. Vielleicht legt die Welt nur Wahrscheinlichkeiten fest. Darauf ist die Antwort dann aber: Es macht keinen echten Unterschied, ob man jetzt von Gesetzmäßigkeiten determiniert ist oder vom bloßen Zufall bestimmt – das ist auch nicht die Art von Freiheit, die wir haben wollen. Macht der Zufall uns denn jetzt freier oder unfreier? Der frühneuzeitliche Philosoph David Hume hat gesagt, es ist nicht so, dass Determinismus – also die These, dass die Welt nach festen Gesetzmäßigkeiten verläuft – unserer Freiheit entgegensteht, sondern wir wollen ja gerade, dass unsere Entscheidungen und unsere Charakterzüge festlegen, was wir machen. Das macht uns sozusagen zu den Urheber*innen unserer Handlungen, die nicht einfach mal so, mal so, irgendwie ausgespuckt werden. Für Hume ist Zufall das, was uns die Freiheit nimmt, während eine gewisse Form von Determiniertheit durch den eigenen Charakter eigentlich

genau das ist, was wir haben wollen, wenn wir Freiheit wollen. In der Willensfreiheitsdebatte versucht man auch heute noch, irgendetwas zu finden zwischen bloßem festgelegt sein und bloßem Zufall. Irgendetwas, das uns wieder die Rolle derjenigen gibt, die etwas bestimmen. Und das ist extrem schwierig. Also sieht es schlecht aus für die Willensfreiheit momentan? Die meisten von uns Philosoph*innen, und da würde ich mich auch dazu zählen, würden sagen, wir können Willensfreiheit auf eine Weise verstehen, die relativ unabhängig davon ist, wie die Naturgesetze unserer Welt sind. Man kann unterscheiden zwischen dem, was objektiv in der Welt ist, und dem, was unser Wissen von der Welt ist. Vielleicht ist alles determiniert, aber da wir noch nicht wissen, wozu es determiniert ist, braucht es uns gar nicht weiter zu interessieren. Unsere Entscheidungen können davon nicht beeinflusst werden. Und vielleicht müssen wir Freiheit auf eine etwas andere Weise verstehen, ähnlich wie David Hume. Dass unsere Entscheidungen eben nicht von außen bestimmt sind, sondern aus unserem eigenen Charakter herstammen. Und natürlich kann man dann wieder fragen, ob der Charakter selbst wieder festgelegt oder zufällig ist – irgendwann ist Schluss. Was

demnach entscheidend ist, ist die Frage, ob wir diejenigen sind, die unsere Handlungen hervorbringen, und das können wir auch, wenn es festgelegt ist, dass wir sie hervorbringen. Statt vom Zufall reden manche Menschen gerne vom Schicksal. Warum fällt es so schwer, den Zufall zu akzeptieren? Ja, wir mögen den Zufall nicht. Zufall ist etwas, worüber man keine Kontrolle hat. Wir kommen heute sehr viel schlechter damit zurecht, dass unser Leben den Zufällen trotzdem noch ausgesetzt ist, wo wir durch den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt doch schon so viel unter Kontrolle haben. Ganz ausschalten können werden wir den Zufall nie. Das heißt aber nicht, dass es immer falsch ist, es zu versuchen.

Victor Osterloh und Rebecca Stegmann haben sehr für den Begriff Kontingenz im Artikel gekämpft, jetzt kommt er eben in die Box.

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Titel

Titel

Ups, Finanzkrise! Ein Besuch bei den Ökonom*innen

Der Steppenwolf

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H

Vergangenes Jahr hieß es ›Zehn Jahre Finanzkrise‹. Nächstes Jahr wird es heißen ›Zehn Jahre Text: Victor Osterloh & Griechenland‹. Zeit kurz durchzuatmen und einen kritischen Blick auf den Stand der Wirtschaftswissen- Leonhard Rosenauer schaften zu werfen. Eine Kurzanalyse. Illustration: Freya Siewert obert Lucas, Ökonom und Nobelpreisträger, sagte im Jahr 2003: »Das zentrale Problem der Vermeidung von Depressionen ist gelöst.« Fünf Jahre später steht die Weltwirtschaft vor dem Abgrund. Staaten sehen sich gezwungen, zahlreiche Banken mit Milliardenhilfen am Leben zu halten. Trotzdem gehen einige, wie die US-Großbank Lehman Brothers bankrott. In Deutschland fließt Geld der Steuerzahler*innen bis heute direkt als Kredite, Kapitalspritzen und Garantien an örtliche Banken. Ökonomen traf der Crash völlig unerwartet, von der Krise der Wirtschaftswissenschaft war zu lesen. Doch wie sieht es zehn Jahre später aus? Haben die Ökonomen aus der Vergangenheit gelernt und Forschung und Lehre angepasst oder geht alles seinen gewohnten Gang – bis zum nächsten großen Knall? Glaubt man den Worten von Irwin Collier kommt auch die nächste Krise unerwartet, denn »die Natur von Krisen ist, dass sie immer mit Überraschung verbunden sind.« Der Wirtschaftshistoriker lehrte lange am John-F.-Kennedy-Institut der FU und meint, Krisen seien per Definition nur gegeben, wenn die Erwartungen nicht zur Realität passen. Diese Erwartungen werden allerdings von Ökonomen geformt und deren Wissen basiert auf den gängigen Theorien und Modellen der Wirtschaftswissenschaft. Dort hat sich in den vergangenen Jahrzehnten vor allem die Neoklassische Wirtschaftstheorie breitgemacht. Sie galt lange und bis heute als Mainstream. Vor der Krise »hat der breite Mainstream die Finanzmarktinnovationen zu leichtgläubig als Verbesserungen wahrgenommen«, sagt Collier. Seit der Krise werde zwar viel über Finanzmarktregulierung geschrieben und geforscht, aber die Macht der Finanzlobby, welche sich gegen Regulierungen stemme, sei zu stark. Doch auch die Wissenschaft selbst scheint sich nur bedingt zu reformieren. Zwar gründeten sich deutschland- und europaweit Netzwerke um die Wirtschaftswissenschaften zu reformieren. Dass das jedoch nur schleppend vorangeht, zeigt eine Umfrage des Netzwerks Plurale Ökonomik. Demnach ist bundesweit eine Mehrheit der Lehrenden dafür, die Perspektiven der Volkswirtschaftler*innen zu erweitern. Allerdings behandeln

lediglich zwei Prozent der Lehrveranstaltungen Themen wie Ethik, Wirtschafts- oder Ideengeschichte. Besonders Vertreter*innen des Mainstreams setzen immer noch auf klassische Modelle und deren Berechnung. »Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht und die Kinder von dem Bauern sind auch nicht besser dran«, beschreibt Collier das Problem, »das ist tödlich für eine Wissenschaft.« Obwohl die Wirtschaftswissenschaft eine Sozialwissenschaft ist, scheint das Interesse für die gesellschaftliche Bedingtheit des Wirtschaftssystems gering. Der Mensch hat seine Art zu wirtschaften selbst entwickelt, doch die scheinbare Objektivierung durch mathematische Formeln in der Neoklassik tut so, als wäre der heutige Kapitalismus etwas Naturgegebenes. So aber kann eine kritische Betrachtung der eigenen Forschungsobjekte nicht stattfindet. Ob die eigene Forschung Fragen stellt, die für den Wohlstand einer Gesellschaft wichtig sind oder welche Ziele sie überhaupt verfolgt, wird nicht reflektiert. Ebenso wenig ob das System selbst nicht einer kritischen Betrachtung unterzogen werden muss. Doch aus dem Kreislauf aus eindimensionaler Lehre und eindimensionalem Wissenschaftsbetrieb auszubrechen ist keine einfache Sache. Viele Institute müssen abwägen, welche Professuren sie sich leisten – meist zugunsten der Mainstreamfächer. Eine gute Nachricht gibt es: Trotz der neoklassischen, neoliberalen Vorherrschaft, gelangen vereinzelt kritische Lehrbücher an die Universitäten. Ob die auch das Werkzeug liefern, um Krisen vorzubeugen und für den Wohlstand einer Gesellschaft zu sorgen, bleibt abzuwarten. Die drei Jahrzehnte vor der Finanzkrise hält Collier für verschenkt. »Das, was man zur Bewältigung dieser Krise brauchte, hat man bereits in den 70er Jahren gelehrt.« Victor Osterloh und Leonhard Rosenauer finden Kapitalismus eher geht so und warten auf das Ende der Welt wie sie jetzt ist.

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In die Uni geht er selten und seine Zukunft kann Text: Paul Lütge er kaum planen. Der FU-Student Harry hat immer Illustration: Lea Scheidt wieder Psychosen, die unberechenbar auftreten. Wie geht er damit um? Ein Barbesuch. arry liebt Alkohol. Drei Biere, drei Wodkakurze und er ist nicht einmal annähernd betrunken. »So sind wir Slawen halt«, sagt er grinsend und genießt den nächsten großen Schluck Bier. Es ist spät. Die Bar ist fast leer, aber Harry kommt langsam in Fahrt. Sein Körper bräuchte wohl Schlaf, doch er braucht den Alkohol, auch, weil er sonst nicht über seine Krankheit sprechen würde. Harrys Unterlippe zittert. Sie kommen immer wieder, diese Situationen, »in denen ich komplett durchdrehe«, sagt er. Harry ist depressiv und hat unregelmäßige Anfälle von Psychosen. Er weiß nicht, wann und wie stark sie eintreffen. Es begann, als er 16 Jahre alt war. »Plötzlich hörte ich Stimmen, wütend und laut waren die«, erzählt er. In den darauffolgenden Tagen wurde es schlimmer: »Ich wollte nichts mehr essen, weil ich dachte, meine Eltern wollen mich vergiften.« Er habe nichts mit sich anfangen können, habe einfach nicht mehr funktioniert. Harry heißt eigentlich anders. Hier trägt er den Namen der Hauptfigur des Hermann Hesse Romans. »Ich bin wie der Steppenwolf«, sagt er. Ein einsames, unbekanntes Wesen. Vor zwei Jahren zog er aus Stettin nach Berlin, um an der FU Politikwissenschaft zu studieren. Doch an der Uni ist er selten. Auch, weil er nicht weiß, wann die Wahnvorstellungen wiederkommen. Nach seinen ersten Psychosen in Polen hatte er lange keine weiteren. In Berlin kehrten sie zurück. Harry nimmt seitdem antipsychotische Medikamente, Beruhigungsmittel und Schlafmittel, um weiteren Anfällen vorzubeugen. Wenn er sie trotzdem bekommt, versucht er, alleine damit auszukommen. »Ich lasse mich krankschreiben und bleibe zu Hause. Dann koche ich, spaziere oder lese«, sagt er. Nur manchmal, wenn

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er merke, dass er sich selbst etwas antun könnte, rufe er einen Krankenwagen und verbringe dann einige Tage im Krankenhaus.

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Die Krankheit nimmt viel Raum in seinem Leben ein. Große Pläne für die Zukunft schmiedet er deswegen nicht. Aber er hat Träume: den Master schaffen, Schriftsteller werden – so einer wie Hermann Hesse. Oder einen anderen Job finden ohne viel Kontakt zu Menschen. »Früher oder später enttäuschen mich alle«, sagt er. Harry erzählt, dass Stresssituationen im Kontakt mit Menschen seine Psychosen auslösen können.

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Zwischenmenschliche Bindungen fallen ihm schwer. Er kriegt Panik, wenn er mit einer Person eine ganze Nacht im selben Bett schlafen muss. Familienplanung erscheint so schwierig. Liebschaften hat er trotzdem viele, auf einer langen Liste zeigt er stolz die über 150 Namen. Viele hat er beim Feiern kennengelernt. In den vergangenen Jahren ist er regelmäßig tanzen gegangen, vor allem im Berghain. Nur ein einziges Mal kam er nicht rein. Der Türsteher sagte ihm, er sehe müde aus und solle lieber schlafen gehen. »Nett, dass er sich so um mich gekümmert hat«, findet Harry.

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An diesem Abend in der Bar gibt es niemanden, der sich um sein Wohlsein bemüht. Im Gegenteil: Ein Barkeeper meckert ihn an. Er solle seine Füße vom Sofa nehmen, sonst fliege er raus. Harry bestellt ein weiteres Mal Wodka und Bier. Berghain-Pförtner sind liebevoller – wenigstens darauf kann er sich verlassen.

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Wo kommt das denn her?

Titel

Hinter den genialsten Erfindungen steckt oft ein unerwarteter Helfer. Text: Elias Fischer Drei Beispiele wie der Zufall unseren Uni-Alltag bereichert hat. Illustration: Klara Siedenburg

e Racheakt, der Salzig

idablen Sie sind Basiselement jeder form einer heit men kom Voll Die WG -Par ty. n anke verd ssion isku hend Küc ordentlichen h Koc dem de ieren Stud tige feier- und snackwü m Cru von die Gast ein George Crum: Als ik, dass zubereiteten Bratkartoffeln mit der Krit n seien, salze unge und chig diese zu dick, zu mats Rache. m Cru ört schw bt, in die Küche zurückgi nkt erträ t, hzar hauc n offel Er skalpiert die Kart Salz. in sie räbt verg und sie in brodelndem Fett dünnen, Schelmisch grinsend lässt er die super ffeln karto Brat gen salzi r supe super knusprigen und ren. gebo ist chip offel Kart Der dem Gast serv ieren. r liche pein zu y Part sten (Sollte es bei der näch t dien , men kom el hüss s-Sc Stille an der Chip er.) reak Iceb als gend orra diese Anekdote herv

Low-Carb Kaffeefreuden

Wen n es anno 1878 strengere Hyg iene- und Arbeitsschutzvorsch rifte n gegeben hätte, würden einige Produkte aus dem Sort iment der FU-Mensen heute fehlen – etwa Süßstof f. Low-Ca rb-Spezialist*inn en und abnehmw illigen Abschlussaspiran t*in nen blieben die zuckerfreie Cola und die süße Pille im Kaf fee vorentha lten. Den n als Constantin Fah lberg im besagten Jahr mit seinem Chemie baukasten spielt, um fund iertes Wissen über Verbindungen von Steinkohlen teer zu erla ngen, gerät der Ver such außer Kontrol le. Wie kochendes Was ser sprudelt sein Rea ktionssatz im Labor. Stat t sich nach dem Missges chick die Hände zu waschen, nascht Fah lberg neugier ig an seinen Hän den. Was ein Zufall, er schmeckt etwas Süßliches: Saccharin, der älte ste künstliche Süßstof f ist entdeckt .

Post-its Des Studis treueste Begleiter Jurastudierende der FU hegen und pflegen in ihren Gesetzbüchern eine Herde von Post-its. Doch wie kam es zur Domestizierung der wilden Notizzettel? 1968 scheitert Spencer Silver in Minnesota kläglich bei dem Versuch, einen besonders zähen Kleber herzustellen. Die Masse pappt nicht so stark wie erwartet. Stattdessen lässt sie sich sogar mühelos wieder abziehen. Das Unterfangen gerät in Vergessenheit, bis sich 1974 Arthur Fry, Chemiekollege Spencers und Chormitglied, über lose Notizen in seinen Notenblättern echauffiert. Fry erinnert sich an die Experimente seines Fachgenossen und trägt den Kitt kurzerhand auf seine Zettel auf. Das Resultat: leicht ablösbare, die Noten nicht zerstörende Vermerke, heute weithin bekannt als Post-its.

Elias Fischer hört Homo Faber schmunzeln, wenn er das Heftthema liest.

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Vom Tun und Taumeln

Haben wir unser Leben selbst in der Hand oder bestimmt der Zufall, wo wir landen? Die Meinungen unserer Autor*innen gehen auseinander. Illustration: Lea Scheidt

Kontrolle ist eine Illusion

Mein Leben, meine Entscheidung

Text: Leon Holly

Text: Corinna Cerruti

ine häufige Annahme lautet wie folgt: Es ist Zufall, in welches kulturelle und soziale Umfeld man geboren wird, doch ausgehend davon hat jede*r die Freiheit, das Beste aus dem eigenen Leben zu machen. Diese Behauptung ist falsch. Nicht nur, dass man sich seine Eltern und den Geburtsort nicht aussuchen kann, auch haben die Menschen keinen Einfluss auf den biologischen Stoff, aus dem sie gemacht sind: Ihr Genmaterial. Unsere Lebenswege sind keineswegs frei, sondern komplett von Ursachen und Einflüssen außerhalb unserer Macht geebnet.

D

E

Angesichts der Millionen von verschossenen Spermien ist die Wahrscheinlichkeit, überhaupt gezeugt und geboren zu werden, schon winzig klein. Auch mit welchen Genen Menschen bei der Geburt ausgestattet werden ist purer Zufall. Niemand sucht sich seine Eltern und DNA aus. Wird man als Mädchen oder Junge geboren – oder irgendwo dazwischen? Ist man eher schüchtern oder extrovertiert? Gibt es eine genetische Veranlagung für psychische Krankheiten oder Dyslexie? Nichts davon hat man selbst in der Hand. Aber all das bestimmt den weiteren Verlauf eines Menschenlebens. Für die Tochter eines Berliner Millionärs ist die Wahrscheinlichkeit an der FU zu studieren höher als für eine Geflüchtete aus Eritrea. Doch auch wenn die Startsituation im Elternhaus komfortabel scheint, hält das Leben überall Unerwartetes bereit. Geschwister, die zusammen aufwachsen, schlagen oft die unterschiedlichsten Lebenswege ein. Weshalb Personen bestimmte Interessen und Talente entwickeln ist ein komplexes Zusammenspiel aus Umwelteinflüssen und genetischen Veranlagungen, auf die niemand Einfluss hat. Auch im täglichen Leben entstehen einschneidende Erfahrungen oder Bekanntschaften: Ein tödlicher Unfall oder die Liebe für’s Leben – nur, wenn man sich zufällig zur rechten Zeit am rechten Ort befindet. Das Gehirn ist der Ursprungsort unserer Gedanken, Gelüste und Interessen. Seine individuelle Beschaffenheit ist zufällig

as Schicksal gibt es nicht. Keine höhere Macht, kein Universum bestimmt über das Leben. Nur die Menschen selbst sind dafür verantwortlich. Sie treffen Entscheidungen und stehen deshalb dort, wo sie sind. Wer sich aber mit dem angeblichen Schicksal abfinden will, gibt die Verantwortung über das eigene Dasein einfach ab – ohne zu wissen an wen oder was. Jede*r Studierende der FU hat sich bewusst dazu entschieden, nach Berlin zu ziehen. Natürlich hatte jede*r unterschiedliche Voraussetzungen: einen bestimmten sozialen Hintergrund, unterschiedliche finanzielle Mittel und Distanzen zur Heimat. Trotz alledem ist es geschehen, weil dieser Entschluss vom Individuum getroffen wurde.

– und seine Arbeitsweise nicht mal den Neurowissenschaften komplett bekannt. Ein Beispiel: Weshalb hat jede*r Studierende an der FU gerade den Studiengang gewählt, für den sie oder er sich entschieden hat? Die offensichtlichen Erklärungen liegen schnell auf der Zunge: Man war schon immer gut in Physik oder findet philosophische Diskussionen spannend – aber sobald etwas tiefer reflektiert wird, sind die konkreten Ursprünge dieser Talente und Interessen schleierhaft. Dass manche Leute an Politik interessiert sind, aber keine Faszination für Molekularbiologie empfinden, ist nicht das Resultat einer bewussten, freien Entscheidung. Mit den Worten Arthur Schopenhauers: »Der Mensch kann zwar tun, was er will, aber er kann nicht wollen, was er will.« Erfolgreiche Karrieren – wenn auch scheinbar gegen alle Wahrscheinlichkeiten zustande gekommen – sind nicht die heroischen Errungenschaften autonomer Menschen, sondern lediglich eine Verkettung glücklicher Ereignisse und Gegebenheiten. Jede*r scheint die Wahl zwischen vielen Handlungsmöglichkeiten zu haben – doch in Wahrheit entscheidet nur der Zufall.

Wer nicht seinen Träumen in die große Stadt gefolgt ist, tut das gerne damit ab, nicht die Möglichkeiten dafür gehabt zu haben. Mangelnde Privilegien oder fehlende Talente müssen häufig als Gründe herhalten. Doch statt mutmaßlichen Vorbestimmungen nachzutrauern, könnte man ja auch einfach auf hören, sich selbst zu bemitleiden und aktiv werden. Was hält schon davon ab? Letztendlich doch nur die eigene Bequemlichkeit. Kurios wird es, wenn Menschen dann noch auf den puren Zufall vertrauen. Das Glück wird uns schon den Geldregen bescheren, die Karriereleiter hochtragen, für mehr Farbe im Leben sorgen. Dabei lässt sich dann gerne auf Glücksfälle aus dem Umfeld hinweisen: »Die Freundin einer Kommilitonin hat damals zufällig in einem Café den Chef eines neuen Start-Ups getroffen und jetzt hat sie einen Praktikumsplatz für das nächste Jahr ergattert!« Ganz Pfiffige können jetzt den roten Faden zurückspinnen, wie es zu dieser glücklichen Fügung kam. Vermutlich ist die Freundin mit ihrer Hausarbeit völlig im Rückstand gewesen

und brauchte eine andere Umgebung als ihre WG, weswegen sie in das Café um die Ecke wollte, welches aber aus innerbetrieblichen Gründen geschlossen hatte. Aus diesem Grund wählte sie ein Hipstercafé, in das sie sonst niemals einen Fuß setzen würde, was aber die Grundvoraussetzungen – WLAN und Kaffee – erfüllte. Und siehe da, dieser coole Gründer serviert ihr direkt mal eine Jobchance. Heureka! Das Schicksal meint es gut mit ihr. Bullshit! Besagte Freundin hat diesen Praktikumsplatz bekommen, weil sie sich im Vorhinein über die Branche in Berlin informiert und daher den Start-Up-Gründer in diesem Café wiedererkannt hat. Da sie gut vorbereitet war, konnte sie mit ihrem Wissen beeindrucken. Die Studentin ist also aktiv geworden. Natürlich haben sich beide entschieden, zur selben Zeit am selben Ort ihren Kaffee zu trinken. Dem Glücksmoment zu viel Raum zu geben relativiert jedoch nur die Leistung der Studentin und lässt sie wie die Figur eines Puppentheaters wirken: macht- und willenlos. Wenn es um das Bestreiten des eigenen Lebens geht, braucht es weniger Ignoranz und mehr Selbstbestimmung. Es bringt nichts, nach Mustern im Leben zu suchen, um darauf zu vertrauen, dass einen selbst irgendwann das Glück ereilt. Aufgrund mangelnder Privilegien zu kapitulieren, ist keine Option. Viel wichtiger ist es, jenes Glück selbst in die Hand zu nehmen und für diese angeblich schicksalhaften Fügungen zu sorgen. Am Ende sind wir doch alle unseres eigenen Glückes Schmied.

Corinna Cerruti wollte auch bei der Schlussredaktion nichts dem Zufall überlassen. Leon Holly hat jedes Redigat lieber gewürfelt.

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4 aus 40.000 Studierende, Lehrpersonal und andere Angestellte – über 40.000 Menschen gehen an der FU ihren Beschäftigungen nach. Seit über zehn Jahren lassen wir an dieser Stelle vier von ihnen zu Wort kommen. Diesmal haben wir gefragt, wann ihnen zuletzt etwas vollkommen Unerwartetes geschehen ist. Protokoll: Carry-Ann Fuchs & Muriel Buchheim Fotos: Tim Gassauer & Viviane Scheel

Titel

Clara Castiel, 19 Jahre, studiert Sozial- und Kulturanthropologie und Politikwissenschaften im 1. Semester.

Jan Oslaba ist 24 und studiert Chemie im 1. Semester.

Lilia Lanevska ist 26 und studiert Publizistik- und Kommunikationswissenschaften und Philosophie im 9. Semester.

Dounia Hagenauer ist 22 und studiert am Fachbereich für Ostasien und Vorderer Orient im 1. Semester

»Wir lebten als Kinder Tür an Tür, begegneten uns aber erst in unserer WG in Berlin«

»Mitten im Nirgendwo war ich auf der skurrilsten Party, die ich je gesehen habe«

»Ein einziger Abend hat mir eine neue Welt eröffnet.«

»Ich habe meinen Sound im Soul gefunden«

Die ersten Jahre meines Lebens habe ich in Hamburg verbracht, dann zog ich mit meiner Familie nach München. Als es für mein Studium nach Berlin ging, stellte sich in meiner neuen WG heraus, dass mein Mitbewohner auch aus München kommt. Das ist vielleicht noch kein besonderer Zufall, aber wie wir dann bemerkten, ist auch er in Hamburg geboren. Und nicht nur das: Wir haben dort sogar Tür an Tür gewohnt. Obwohl wir so lange nebeneinander lebten, sind wir uns erst in der gemeinsamen Wohnung in Berlin begegnet.

Ein Kumpel und ich landeten für ein Trainingscamp in einem kleinen Kaff irgendwo in Bayern. Völlig gelangweilt latschten wir durch den Wald, als wir mitten im Dickicht ein gigantisches Haus entdeckten. Uns kam der Bewohner auf seinem Longboard entgegen: Lange Haare, muskulös und braungebrannt, bloß gekleidet in T-Shirt und Kilt. Auf seinem skurrilem Anwesen hatte er eine Skateboardrampe, eine Dusche auf dem Dach und Poledance-Stangen angebracht. Sein Geld verdiente er mit dem Herstellen von Rampen für Fingerskateboards. Ausgerechnet an diesem Abend hat in seinem Haus die Afterparty zur Weltmeisterschaft des Fingerskateboardens stattgefunden. Eine riesige Party, irgendwo im Nirgendwo!

Ich komme aus der Ukraine. Als Au-Pair war ich bei einer Familie in Lichterfelde. Eines Abends, als ich nichts weiter vorhatte, kam mein Gastgroßvater nach Hause und sagte zu mir: »Lilia, heute ist die Nacht der Philosophie und es geht um die Ukraine, da musst du hin!« Das klang interessant, also raffte ich mich auf. Nach einer langen Nacht – 10 Stunden Vorträge und Lesungen – war mir klar: Ich will Philosophie studieren. An diesem Abend habe ich nicht nur endlich die Antwort auf eine wichtige Frage für mich gefunden, sondern auch einen ganz neuen Freundeskreis. Mir fällt es aber schwer, daran zu glauben, dass das Zufall war. Dinge geschehen meistens aus einem Grund.

Ich habe mich vier Jahre hintereinander an der Universität Hamburg für Politik beworben, und wurde nie angenommen. Einfach Pech! So hatte ich aber mehr Zeit, um mich mit Musik zu beschäftigen. Ich produziere jetzt neben dem Studium Soulmusik. Natürlich hatte ich das so niemals geplant, aber ohne diese intensive Phase der Auseinandersetzung mit der Musik hätte ich meinen Sound im Soul nicht gefunden. Ich habe viele Menschen kennengelernt und so haben sich spannende Möglichkeiten eröffnet, die ich nie in Betracht gezogen hätte, hätte man mich damals in Hamburg angenommen. Alles hat eben seine Vor- und Nachteile. Es lässt sich nicht so genau sagen, ob das jetzt Glück oder Pech war, aber sicherlich Zufall.

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Politik

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Politik

Mein Prof, der Geheimagent Unsere Autorin hat ihr Auslandssemester an einer elitären Moskauer Diplomat*innenschule verbracht. Ein Unialltag zwischen ehemaligen Geheimagent*innen und künftigen Präsident*innen.

»I

hr, als unsere zukünftige Führungselite, werdet bald die wichtigen Entscheidungen in diesem Land treffen!« Das ist einer der ersten Sätze, die man zum Auftakt am Moskauer Institut für Internationale Beziehungen (MGIMO) zu hören bekommt. An einer deutschen Universität scheint ein solcher Satz undenkbar oder zumindest sehr unwahrscheinlich. Aber das hier ist nicht Deutschland und das ist auch keine normale Universität. Denn das MGIMO untersteht als Bildungseinrichtung direkt dem russischen Außenministerium und gilt als »Kaderschmiede« der russischen Außenpolitik. Ein Auslandsstudium hier bietet einen faszinierenden Einblick in die Welt der russischen Oberschicht, deren Sprösslinge sich auf die scheinbar vorgezeichnete Diplomat*innen-Lauf bahn vorbereiten. Auch durch seine Rolle in der Ausbildung der Auslandsagent*innen des sowjetischen Geheimdienstes KGB hat sich das MGIMO die Reputation aufgebaut, über eine der besten Sprachausbildungen weltweit zu verfügen. Dadurch ist das Institut international bestens vernetzt und jährlich kommen etliche Studierende aus aller Welt an das MGIMO, wo sie auf eine komplett andere Perspektive und Lebensrealität treffen. Einer der KGB-Alumni, die an die Universität zurückgekehrt sind, ist Andrei Bezrukov. Er lehrt »Strategic Intelligence«, ein Bestandteil der Internationalen Beziehungen am Institut. Seine Kurse sind voll, denn Andrei Bezrukov ist eine kleine Berühmtheit. In seiner ersten Sitzung verweist er auf die amerikanische Fernsehserie »The Americans«: »Sie basiert auf

Text: Lana Bambetov Fotos: Lucian Bumeder & Lisa Plesiutschnig

meinem Leben. Ich habe die Filmrechte vor ein paar Jahren verkauft.« Ob all die wilden Verfolgungsjagden und hübschen, spärlich bekleideten Damen, die im zugehörigen Trailer eine prominente Rolle einnehmen, der Wirklichkeit entsprechen, lässt er im Unklaren. Aber einen wahren Kern hat die Serie auf jeden Fall. Denn tatsächlich kannte die Welt Andrei Bezrukov lange als Donald Heathfield, einen Harvard-Absolventen der John F. Kennedy School for Government, der bis zu seiner Enttarnung und Festnahme 2010 als russischer Agent in den USA spionierte. Einer seiner Mitstudierenden in Harvard, über die er genaue Aufzeichnungen führte, war Felipe Calderon, späterer Präsident Mexikos. Im Rahmen eines Gefangenenaustauschs kam Bezrukov nach kurzem US-Arrest frei und kehrte nach Russland zurück, um künftige Auslandsvertreter*innen zu unterrichten. Am MGIMO geht es nicht um eine theoretische Betrachtung der Wirklichkeit, oder die Frage, ob es die Wirklichkeit überhaupt gibt. Es geht um Detailwissen über andere Länder, die Bildung von Kontakten und eine ausgezeichnete Sprachausbildung. Jede*r Studierende bekommt im ersten Semester eine Sprache zugeteilt, komplett ohne Mitspracherecht. Danach ist es Pflicht, diese das gesamte Studium lang zu belegen und zwar intensiv: dreimal die Woche, je zwei Stunden und mit maximal vier Personen. Sergei Lawrow, langzeitiger Außenminister Russlands, lernte hier während seines Studiums etwa Singhalesisch und Dhivehi, die Amtssprache der Malediven.

Es ist keine Seltenheit, berühmte Personen am Institut anzutreffen. Ehemalige Agent*innen, hochrangige Diplomat*innen und auch führende Politiker*innen geben sich hier nahezu wöchentlich die Klinke in die Hand und plaudern aus dem Nähkästchen. Die Studierenden sollen gut vorbereitet werden und die ganze handwerkliche Vielfalt russischer Politik kennenlernen. Die Liste an prominenten Absolvent*innen ist lang: Xenia Sobchak, ehemaliges »It-Girl« aus der Fernsehsendung »The Blonde in Chocolate« und erste weibliche Präsidentschaftskandidatin Russlands, Alihser Usmanow, einer der reichsten Männer Russlands, und gefühlt die gesamte politische Führung der ehemaligen Sowjetstaaten haben hier im Südwesten Moskaus Zeit verbracht. Das Studium am MGIMO ist keine billige Sache: 70 Prozent der Studienplätze sind kostenpflichtig, der Rest wird über Stipendien nach Noten vergeben. Bis zu 10.000 Euro sind pro Semester fällig, was für normale russische Verhältnisse geradezu unerschwinglich ist. Kein Wunder, dass die Probleme normaler Leute an der »Elite-Uni« kaum Beachtung finden. Weder die Rentenreform und die sie begleitenden Proteste, noch die Bezirkswahlen in Sibirien erregen das Interesse der Studierenden. Sie sehen sich wenig in der Verantwortung, sich mit den internen Problemen des Landes auseinanderzusetzen. Geht es aber um internationale Politik, sind alle in ihrem Element. Wenn sie etwa die russische Position in einem Planspiel nach dem Vorbild der Model United Nations vertreten, würde keine*r der Studierenden

im Schatten des großen Vorbilds Sergei Lawrow stehen. »Neutrale Regeln gibt es nicht« oder auch »Russland hat jegliches Recht, den Westen zu penetrieren« – im Studienalltag ist es nahezu unmöglich, die Spitzen gegen »den Westen« zu überhören. Auch, wenn objektive Untermauerungen solcher Aussagen eher schwer zu finden sind. Zur ganzen Wahrheit gehört aber auch, dass solche Äußerungen nicht unumstritten sind. In vielen Seminaren wird Raum für offene und kontroverse politische Diskussion gegeben, manchmal auch von Lehrenden bewusst gefordert. Viele Studierende suchen engen Kontakt zu internationalen Studierenden aus den Ländern, deren Sprache sie lernen. Und der Seminarkatalog ist breit aufgestellt. Eine Veranstaltung zu »Buddhismus im Süd-Osten Russlands« ist kein Ausnahmefall. Natürlich kann man das Studium am MGIMO durchaus zu Recht als bonzig, unreflektiert oder gar unwissenschaftlich kritisieren. Aber wer sich nur auf diese Kritik beschränkt, greift zu kurz und verpasst etwas Wichtiges. Nachdem man diese Studienrealität und ihre radikal andere Perspektive erlebt hat – gerade im Kontrast zum normalen Leben in Moskau oder auf dem Land - versteht man Russland und seine Politik ein großes Stück besser. Dafür wiederum dürfte es sogar Lob des ehemaligen Undercover-Spions Andrei Bezrukov geben. Denn würde man den jetzigen Professor fragen, was der Hauptzweck eines Auslandsaufenthaltes sei, wäre genau das wohl seine Antwort: »Пойми другую сторону!« – »Verstehe die andere Seite!«

Lana Bambetov genießt ihr Auslandssemester gemäß der Devise: Besuche Russland, bevor es dich besucht.

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Das rote Geschwulst am OSI

Kaum etwas steht so sehr für die radikale Linke an der FU wie das Rote Café. Es Text: Felix Lorber & Julian von Bülow polarisiert: als Hassobjekt der konservativ-liberalen Opposition oder als Mythos Foto: Tim Gassauer kämpferischer Politikstudierender. Unsere Autoren haben einen Blick hinter die roten Außenmauern geworfen.

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er zwischen cremefarbenen Villen und idyllischen Parks durch Dahlem schlendert, wiegt sich in einer friedvollen Welt. Doch auf dem Weg zwischen Audimax und dem Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft (OSI) wird das Bild von etwas anderem dominiert: Einem Fremdkörper, der so gar nicht zum Schein der restlichen Universität passt – die knallig rote »Villa Rossa«. Lange war sie Herberge des Roten Cafés, eines studentischen, selbstverwalteten Freiraums, der wechselvolle Dekaden am Campus überdauerte – und bis heute fortbesteht. Einzig ein kleiner Rest roten Lamettas erinnert an die legendären Partys des Roten Cafés. Nicht selten wurden die Feierlichkeiten von Polizeikräften beendet, zum letzten Mal im Sommer 2017. Statt Partygästen sind im Keller nun Schimmel, in den Wänden Asbest und im Dach Löcher. Im Sommer 2017 sperrte die Institutsverwaltung die Villa des Cafés aufgrund akuter Baufälligkeit. Die Reparaturen seien zu teuer, das Geld dafür fehle. »Wie viele linksradikale Handwerker kennst du?«, fragt Thomas S.* verzweifelt. Unentgeltlich mache das hier niemand. Thomas S. ist Teil des Café-Plenums, ein basisdemokratischer Zusammenschluss, der lieber unerkannt bleiben möchte. Die Sorge vor Berliner Rechtsextremen, die es auf linke Aktivist*innen abgesehen haben, macht sie vorsichtig. Dabei handelt es sich um Kommiliton*innen verschiedenen Alters mit einer durchaus diversen, doch dezidiert linken Ausrichtung. Sie sehen sich selbst als Erb*innen der Hausbesetzer*innen, die hier vor 30 Jahren einen Ausgangspunkt für den einzigen studentischen Freiraum am OSI setzten. 1988 wird das Institutsgebäude in der Ihnestraße 22 bei studentischen Protesten besetzt. Im Souterrain richten Studierende ein Streikcafé ein, das »Geschwulst am OSI des Establishments«, wie es in der OSI-Zeitung später heißt. Nach dem Streik beginnen die Konflikte der Universitätsverwaltung mit dem Café: Die FU will in einem Vertrag verantwortliche Personen für die Räume festschreiben. Die Besetzer*innen weigern sich, sie verstehen sich als linksradikal und selbstverwaltet. Nach verschweißten Brandschutztüren,

einem durch die FU-Verwaltung zugemauerten Fronteingang und schließlich polizeilicher Räumung lenken die Studierenden widerwillig ein, um das Café überhaupt erhalten zu können. Doch der Mythos ist geboren. Das Wissen um die Entstehung des Cafés gehört zum konstituierenden Selbstverständnis der Café-Aktivist*innen und wird stets an die nächste Generation weitergegeben. Theorie und politischer Aktivismus gehören für sie zusammen. »Für den Studiengang hatte ich mich aus Idealismus entschieden«, erklärt Henrik L. Das Theorieinteresse habe über die fünf Semester kontinuierlich zugenommen, denn »Straßenkampf ohne Theorie ist langweilig«, sagt er mit leuchtenden Augen. Wie dieser Straßenkampf aussehe? Er zögert, ringt sichtlich mit sich, setzt an, will dann aber doch nichts sagen, was ihm Schwierigkeiten bereiten könnte. Wegen Bauarbeiten muss das Geschwulst umziehen und bekommt 1998 den Platz, für den es heute noch bekannt ist: Das unscheinbare Gebäude, das während der Nazi-Zeit als Stallung für die Versuchstiere des Eugenik-Instituts genutzt wurde, wo man »Rassenunterschiede« wissenschaftlich nachweisen wollte. Um sich schon allein visuell davon abzusetzen, entscheidet sich die damalige Generation für einen roten Anstrich. Über die Jahre wird das Gebäude immer wieder zum Ziel äußerer Angriffe. Im Mai 2007 stehen die Studierenden eines Morgens vor einer versilberten Villa. Das Gebäude wurde über Nacht mit Graffiti in »Café of Excellence« umgetauft. In einem Bekennungsschreiben will die »liberal-karrieristische Gelbe Armee Fraktion« ihre Farbaktion als Kritik an der mangelnden Diskussionsfähigkeit mancher linker Aktivist*innen verstanden wissen. Im Sommer 2018 beschmierten Unbekannte die Villa Rossa mit Hakenkreuzen. Die FU-Verwaltung ließ die Schmierereien übermalen, gleichzeitig fiel dem aber auch das Anarcho-A im »Rotes Café«-Schriftzug zum Opfer. Während die Universität nichts davon weiß, glaubt Thomas S. an Absicht: Die FU wolle keinerlei »extremistische« Symbole tolerieren – egal ob Hakenkreuze oder Anarchismus-A. Im November war das A dann allerdings wieder da.

*Zum Schutz ihrer Identitäten waren die zitierten Studierenden nur bereit, anonym mit uns zu sprechen. Dies respektieren wir und verwenden deshalb Pseudonyme. Die Personen sind der Redaktion bekannt.

Über die Zeit scheinen sich Verwaltung und Café angenähert zu haben. Besonders zum Institut hat sich die Beziehung verbessert. Der Geschäftsführende Direktor des Instituts, Bernd Ladwig, versichert, dass er sich »immer für studentisch selbstverwaltete Räume einsetzen werde«. So haben die aktuellen Studierenden nach der baubedingten Sperrung mit dem OSI einen schnellen Umzug in die Räume vereinbaren können, in denen es einst als »Geschwulst« begonnen hatte. Man sei über die Jahre auch zahmer geworden, gibt Laura B. zu: »Gerade die Einführung des Bachelor-Master-Systems und der Verlust des eigenen Gebäudes haben die Ressourcen für politische Tätigkeit massiv eingeschränkt.« Sie hat schon mehrere Generationen kommen und gehen sehen. Durch den höheren Studientakt nach der Bologna-Reform, Auslandsaufenthalte und Praktika kämen und gingen viele Studierende in kurzer Zeit, sodass es schwieriger geworden sei, langfristig größere Projekte zu verfolgen. Wie die aussehen, verrät sie nicht. Außerdem habe niemand Lust auf Repression, gerade, da die FU-Leitung bei größeren Konflikten mit Studierenden schnell die Polizei einschalte, um ihr Hausrecht durchzusetzen. Neue Besetzungen seien daher schwierig und genau deshalb sei das Rote Café so ein wichtiger Ort. »Freiräume müssen jeden Tag aktiv offen gehalten werden, im Zweifelsfall muss man sich diese

beschaffen und behaupten!«, ruft Laura B. auf einer kritischen Veranstaltung des Allgemeinen Studierendenausschusses (Asta). Notgedrungen ist man zurück am Ort, an dem der Mythos »Rotes Café« vor 30 Jahren seinen Ausgangspunkt nahm. Doch während aus dem Fenster nun eine große Fahne mit abgerissenem Adlerkopf und dem Slogan »Always Antifascist« hängt, hat das Café an Sichtbarkeit verloren. Und so arbeitet die Handvoll unerkannt bleibender Aktivist*innen daran, die symbolbehaftete Vergangenheit aufrecht zu erhalten. Eine neue Generation soll politisiert und radikalisiert werden, um nicht selbst wie viele andere Freiräume irgendwann in den Mühlen der immer wirtschaftlicher agierenden – sie würden sagen »neoliberalen« – Universität unterzugehen. Doch auch ihnen ist bewusst: Schon heute trinkt man seinen Kaffee nicht mehr im »Geschwulst am Institut des Establishments« – man ist ein Teil davon geworden.

Ein Café of Excellence braucht die FU nicht, finden Julian von Bülow und Felix Lorber. Wir haben ja schon die Veggiemensa.

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Das Erbe der Anti-68er

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Autor: Victor Osterloh Illustration: Manon Scharstein

nlässlich des fünfzigsten Jahrestages der 68er-Bewegung im vergangenen Jahr sprach man hierzulande viel über Demokratie und Universität. Doch wirklich demokratisch und egalitär ging es an deutschen Universitäten noch nie zu, weder vor noch nach den Studierendenunruhen. Auch nicht an der sich so gern als politisiert rühmenden FU.

denn es ist sogar in Teilen verfassungswidrig. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1973 bedrohen Entscheidungen zu Forschung und Lehre gegen die Stimmen der Professor*innen die Freiheit der Wissenschaft, weshalb diese bis heute in den wichtigsten Gremien der Universitäten eine absolute Mehrheit besitzen. So will es das Gerichtsurteil.

Dass die Studierenden nichts zu sagen haben, scheint allerdings niemanden so wirklich zu stören – nicht mal sie selbst. Ganze 2,7% aller Studierenden beteiligten sich an der letzten Wahl des akademischen Senates, dem wichtigsten politischen Gremium an der Uni. Wird die Professor*innenschaft doch mal auf das Thema Mitbestimmung angesprochen, reagiert sie verschnupft und kommt ins Schwimmen. Immerhin konsequenter ist die »Vereinte Mitte«. Als größte Fraktion an der FU kontrolliert sie neun der 13 Sitze für Professor*innen und ihre Ablehnung gegenüber studentischer Mitbestimmung hat sie sich gleich ins Programm geschrieben. Punkt sieben deklariert: »Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer besitzen gegenwärtig in allen Gremien der Freien Universität die ausschlaggebende Mehrheit. Die Vereinte Mitte tritt entschieden allen Versuchen entgegen, diese bewährten Entscheidungsstrukturen, etwa durch Einführung der ›Viertelparität‹, in Frage zu stellen.« Das klingt hart, ist aber zumindest ehrlich.

Diese Entscheidung ist das Erbe der restaurativen Nachwehen der Adenauerzeit. Die im Zuge der Studierendenbewegung der 68er eingeleiteten Bestrebungen für demokratische Hochschulen trafen damals auf ein Klima der Verfolgung und des Misstrauens gegenüber allem Linken und Basisdemokratischen. Dazu kamen in den 70er Jahren die staatlichen Repressionen im Kampf gegen die RAF. Der Spiegel titelte nach dem Urteilsspruch, die Entscheidung sei eine »Glänzende Bestätigung«, denn auch die Journalist*innen sorgten sich vor allem um die »Chaoten von Linksaußen«.

Denn das absolute Gros der Professor*innen will nicht einmal über die Stimmengleichheit der vier Statusgruppen reden. Es sei unpraktisch, die Studierenden, »sonstige« Mitarbeitende und wissenschaftliche Mitarbeitende nach dem Prinzip der Viertelparität mit den Professor*innen gleich zu stellen. Gar nicht möglich sei das, so wird man nicht müde zu betonen,

Das alles scheint lange her. Aber Recht lebt lange und auch heute sind die Argumente gegen paritätisch organisierte Universitäten nicht so unterschiedlich. Früher war es die Angst vor dem Kommunismus. Heute gelten der Wettbewerb der Hochschulen, die breite Fächerlandschaft und der hohe Grad an Drittmittelfinanzierung als Argumente gegen mehr Demokratie: zu kompliziert, es steht zu viel auf dem Spiel. Man fürchtet sich vor Chaos im Unialltag. Davor, dass jede*r, der*die will, Einfluss nehmen kann auf die Geschicke der Universität. Alles in allem also ein einziges großes »Wo kommen wir denn da hin?!« (mit einem in den 60ern hinzufügend geflüsterten: »Dann ist Polen aber offen.«)

Dahinter steht ein Verständnis von Universität, das autoritär ist. Es geht nicht darum, dass man die Studierenden für inkompetent hält. Im Gegenteil, man fürchtet den Verlust der Kontrolle über die Universität. Denn schließlich geht es hier um Macht, um Einfluss, um ökonomische und politische Interessen; und ja, auch um Karriere. Der Ordinarius, er hat bis heute die Universität stets fest im Griff und es gibt auf dieser Seite des Vorlesungssaals kaum jemanden, der das ändern möchte. Bis heute ist die Hochschulorganisation tief von jenem restaurativen Geist der Anti-68er Bewegung durchdrungen. Die »Ordinarienuniversität« mag an der FU 1969 abgeschafft worden sein. Nach Rudi Dutschke mag ein Weg benannt worden sein. Die ganze Welt mag sich an die Freiheitsbewegung erinnern, welche die 68er in Berlin lostraten. Aber langfristig ist in Dahlem etwas Anderes geblieben. Es ist die größte Errungenschaft der Anti-68er: Die Professor*innen bleiben die alleinig entscheidende Kraft und die Universität bleibt ein unwirtlicher Ort für wirklich demokratische Veränderungen.

Victor Osterloh hat jetzt schon in drei Artikeln Zitate von Audio88 & Yassin untergebracht. Aber Pscht! ANZEIGE

Als Freiheitsbewegung sind die Studierendenproteste in die Geschichte der Bundesrepublik eingegangen. Doch an ihren Ausgangspunkten, den Hochschulen Berlins, wurde die Übermacht der Professor*innen zementiert. Und sie lebt bis heute. Ein Kommentar.



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Studieren in der Wildnis

Vom Dorf in die Großstadt Berlin – für Studierende in Lankwitz nicht ganz das, was sie sich erhofft hatten. Ein Besuch auf dem Geo-Campus, ganz weit draußen.

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in riesiger Globus thront im Treppenhaus des Geographie-Instituts und kein Weg führt an ihm vorbei. Wer das Institut betritt, wird so schnell zum Tagträumen verleitet – Skifahren in der Schweiz oder Sonnen auf Sri Lanka? Weltbekannte Reiseziele sind hier nur einen Wimpernschlag voneinander entfernt. Was die Weltkugel allerdings nicht zeigt, das ist der Geo-Campus in Lankwitz selbst. Beim Blick nach draußen erscheint dieser wie eine Zivilisation im tristen Nichts. Was treibt die Menschen in dieser Wildnis an? »Wir beschäftigen uns mit den wichtigsten Themen unserer Zeit. Klima und Stadtentwicklung«, erklärt ein Ersti, der seinen Namen nicht im Magazin lesen will, mit loderndem Blick. »Wir sind hier wie eine Familie. Alle kennen sich, egal ob Studi oder Prof.« Trotzdem sehnen sich einige nach

Text: Klara Siedenburg Fotos: Tim Gassauer

dem Trubel in der Großstadt Dahlem, nach Klatsch und Tratsch über den Asta, wollen Geschichten über geklaute Kojoten, schimmligen Couscous und die letzte verrückte Chemie-Party hören. Vom klassischen FU-Alltag sind sie hier in Lankwitz abgeschnitten. »Wir studieren nunmal am Geo-Campus. Das mit der FU ist nur formal.« Das sei völlig in Ordnung, aber manchmal wäre mehr Zugehörigkeit zum Rest des FU-Campus schon schön, meint er. Von der Rostlaube trennt den Geo-Campus eine halbstündige Busfahrt mit Rentner*innen und Schulkindern. Damit liegt dieser Teil der Uni noch weiter abseits als Dahlem und bildet zwischen Platten und Einfamilienhäusern das Zentrum Studierender der Geowissenschaften. Für die meisten Dahlemer Studis ist der Geo-Campus ein blinder Fleck auf der Landkarte.

Ursprünglich war der Geo-Campus eine Kasernenanlage zur Rekrutenausbildung, bevor die Anlage nach dem Zweiten Weltkrieg von Nachkriegsarchitekt Bruno Grimmek zu einer Hochschule für Beruf- und Fachlehrer umgebaut wurde. Erst seit 1980 gehört er zur FU. Bevor die Institute hier ihren Platz bekamen, zählte dieser Teil zu einem anderen Fachbereich: Langzeitstudierende der Publizistik- und Informationswissenschaften mögen sich daran erinnern. Bei den Geograph*innen lässt sich neben dem Faible für große Globen und einem Händchen für Botanik – der Topfpflanzendschungel auf den Fensterbänken beweist es – noch eine Besonderheit entdecken: Irgendwann, so erzählen es die Campus-Mythen, entschied sich eine freche Ente, ihr Nest im Innenhof der Fakultät einzurichten. Seitdem watscheln Enten im Hof herum, die campuseigenen Maskottchen. Obwohl es keinen Tümpel gibt, lassen sich die Vögel nun von ein paar Studierenden bemuttern. Ein Schild weist darauf hin, die Türen zum wild bewachsenen Innenhof geschlossen zu halten, damit Entenküken nicht ins Gebäude gelangen: Dorf-Feeling pur.

Kein Wunder: So weit südlich nach Berlin verschlägt es sie vermutlich nur, wenn sie beim wöchentlichen Flanieren zwischen wummernder Musik und anderen Konsumgütern versehentlich in der S2 einschlafen und erst irgendwo zwischen Lankwitz und Teltow wieder zu sich kommen. Geprägt von Wiesen, Bäumen und außergewöhnlichem Felsgestein beherbergt das in die Jahre gekommene Gelände neben dem Universitätsarchiv und einer Mensa hauptsächlich

zwei große Fachbereiche. Für Außenstehende wirkt das einerlei, aber Vorsicht - es wird strikt getrennt! Geologische und Geographische Wissenschaften beschäftigen sich zwar beide unter anderem mit Gestein und Böden dieser Welt, wollen aber auf keinen Fall in einen Topf geworfen werden. Man kann sich nicht gut leiden. »Wir sitzen sogar in der Mensa voneinander getrennt!«, erzählt eine Studentin. Auch wenn es eher ein alter Scherz ist, den man Erstis hier erzählt, scheint man mangels anderer Beschäftigungen diesen Zwist aufrechtzuerhalten.

Die beiden Fachbereiche gehen nicht nur durch den alten Streit getrennte Wege. Wer von der Geographie zur Geologie gelangen will, folgt Trampelpfaden über den weitläufigen Campus. Das Geologie-Institut verrät beim Eintreten sofort, welches Fach sich hier angesiedelt hat. In Vitrinen, die in jedem Stockwerk stehen, sind beeindruckend viele Gesteinsarten aufgereiht: große Brocken, kleine Kiesel, bunte Mineralien und glitzerndes Geröll. Das Institut scheint die Freude an Gestein munter auszuleben. Wenn Studierende nicht gerade im Gelände unterwegs sind, um die Bodenbeschaffenheit zu kartieren, können sie hier die felsige Vielfalt auch bei Regen genießen.

Doch was machen Studierende in Lankwitz, wenn sie mal keine Lust auf Lernen, Steine oder Faulenzen im grünen Gras haben? Wenn das Magenknurren pünktlich zur Mittagszeit ruft, ist es in der Mensa meist angenehm leer. »Ich würde für nichts auf der Welt mit den Menschen in der Rost- und Silberlaube tauschen wollen, wenn es ums Mittagessen geht.«, erklärt ein Ersti, während er mit einem anderen darüber sinniert, wie es ist, hier zu studieren. »Alles so schön entspannt bei uns!« Wenn die beiden nicht gerade mensen, findet man sie, genau wie viele andere, in einem der beiden studentischen Cafés. Obwohl die nicht so häufig geöffnet sind wie in Dahlem, kennt man sich auch hier. Das Geo-Café beherbergt Sofas, Tischkicker und jede Menge Wanddekoration. Neben Kaffee und Tee gibt es hier etwas, das man in Dahlem schmerzlich vermisst: Bier. »Wir sitzen oft bis spät hier und trinken gemeinsam«, plaudert ein Student aus. Was zunächst den Anschein von dörflichem Saufen an der Bushaltestelle hat, schweißt zusammen. Die Unterhaltungen reichen von den Werten der letzten im Seminar durchgeführten Abflussmessung über die nächste Entenfütterung bis hin zur Planung der Barabara-Feier: dem Lankwitzer Event des Jahres. Dabei wird der Schutzpatronin der Bergarbeiter mit vielen Spirituosen alle Ehre gebührt. Dafür reichen sich die beiden Fachbereiche der Geowissenschaften sogar die Hände.

Klara Siedenburg hat für diesen Artikel jeden Stein umgedreht.

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Miethaie und Sardinenbüchsen Der Berliner Wohnungsmarkt ist hart umkämpft. Wir haben Studierende* besucht, die es geschafft haben, eine Bleibe zu finden. Mehr oder weniger…

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Protokolle: Anselm Denfeld Fotos: Tim Gassauer

Wo bin ich hier gelandet?

Hartmuts Enthauptung In der Lausitz töten Sorb*innen aus Tradition. Die örtlichen Hähne bringt das ins Schwitzen. Text: Leon Holly Illustration: Roxanne Honardoost Hartmut der II. aus Papitz hatte ein schönes Leben, bis die Dorfgemeinschaft eines Tages beschloss, ihm den Kopf abzureißen. So wird mitten auf der Dorfstraße ein hölzerner Bogen mit Eichenlaub geschmückt und Hartmut – einst ein stolzer Gockel – kopfüber empor gezogen. Ein paar Meter entfernt besteigen rund zwanzig junge Männer ihre Pferde, um gleich zu versuchen, ihm im gestreckten Galopp mit bloßen Händen den Kopf abzureißen. So verlangt es die Tradition.

Tim, 19 Jahre, Moabit, ca. 3,2m² »In unserer WG nennen wir mein Zimmer die Harry Potter-Kammer - hier kann man nur Liegen und Sitzen. Trotzdem fühle ich mich wohl, ich brauche nicht unbedingt einen Rückzugsort. Nur eine Klimaanlage musste ich nachträglich einbauen, denn wenn meine Freundin hier schläft, wird der Sauerstoff schnell knapp.«

Victor, 22 Jahre, Prenzlauer Berg, 5,7m² »Freunde bauten mir eine Plattform in das Zimmer. Davor konnte man die Tür nicht öffnen, ohne meine Matratze hochzuheben. Mit Unterbrechungen lebe ich nun seit anderthalb Jahren in dem Zimmer und kann jedem nur empfehlen, hier eine Nacht zu verbringen. Man bedenke: Immerhin hat es einen französischen Balkon.«

Joschua, 18 Jahre, Prenzlauer Berg, 178m² »Ich dachte erst, dass ich von meinem Heimatort Neuruppin in Brandenburg zur Uni pendeln muss. Dann hätte ich morgens um fünf aufstehen müssen. Letztendlich hat dann ein Freund meines Vaters, der derzeit sowieso nicht in Berlin ist, in sein Prenzlauer Berger Penthouse eingeladen. Hier lebe ich allein. Inzwischen habe ich aber eine eigene Wohnung gefunden. Dorthin ziehe ich nächste Woche.«

*Drei weiße männliche Studis bilden die Studierendenschaft der FU nicht adäquat ab. Leider haben sich bei unserer Recherche keine weiteren Personen gemeldet. Wir sind uns aber sicher, dass auch andere viele Probleme bei der Wohnungssuche haben.

Für ihr Erntedankfest habe ich mich unter die Sorb*innen gemischt, eine slawische Minderheit, die in der Lausitz an der Grenze zu Polen beheimatet ist. Hier in Papitz in der Gemeinde Byhlegure tief im Spreewald gelten andere Gesetze, nicht nur im Umgang mit Hähnen. Die Männer sind in weiße Hemden gekleidet, die kurzen Haare adrett gestriegelt. Die Damen stehen in traditionellen hellen Kleidern daneben, applaudieren und geben Anweisungen, wie hoch der Hahn zu hängen hat.

Um Hartmuts Haupt greifen zu können, stellen sich die Reiter im Galopp aufrecht in die Steigbügel. Hin und wieder bekommt einer den Kopf zu fassen. Nach einer guten halben Stunde hat der Hahn zwar viele Federn gelassen. Sein Hals ist blank, glitschig und lang gedehnt. Aber der Kopf ist noch dran. Runde um Runde setzen die Pferde zum Galopp an, bis - Spritz, Spritz, Blut, Blut ein Glücklicher den kleinen Kopf plötzlich in der Hand hält. Die Menge jubelt. Selbst ich lasse mich für einen kurzen Moment mitreißen und erhebe mein Bier auf Hartmut den II. aus Papitz.

Der Soldat in meinem Zimmer Liebe Mama, der Austausch ist nett und wir haben viel Spaß. Viele Grüße aus Kurdistan. PS: Bitte hilf mir! Text: anonym Um drei Uhr nachts reißt mich ein Knall aus dem Schlaf und ich blicke in die aufgerissenen Augen eines mit Maschinengewehr bewaffneten Soldaten. Er hat gerade die Tür meines Schlafsaals eingetreten und ich bete, dass er das Gleiche nicht mit meiner Fresse tut. Wieso bin ich nochmal mit einer kurdischen NGO auf diesen Austausch in eine türkische Großstadt gefahren? Und das im gleichen Jahr, in dem sieben Deutsche von Erdogans Regime aus »politischen Gründen« inhaftiert wurden. Zum Glück liege ich in einem der hinteren Betten. Ich stelle mich tot und rede gedanklich meinem Schließmuskel gut zu. Während ich schon überlege, wer den Roman verlegen soll, den ich im türkischen Sicherheitsgefängnis in meine Schuhsohle ritzen und dann von meinem Anwalt herausschmuggeln lassen werde,

reißen mich der Tarnanzug-Tarzan und seine sechs Kumpanen aus den Gedanken. Sie brüllen etwas auf Türkisch und der herbeigeeilte Chef der NGO redet beschwichtigend auf sie ein. Was auch immer er auf dem Boden kniend erklärt, es scheint zu wirken. Der Soldat ruft durch seine Sturmhaube seine schwerbewaffneten Krieger zusammen, sagt leise »Sorry« und sie stiefeln hinaus. Der Leiter meiner NGO sieht meinen fassungslosen Blick und erklärt, das Militärkommando habe sich in der Tür geirrt – kann ja mal passieren. Den Rest der Nacht hören wir es rumpeln, denn die Wohnung des Nachbarn, ein kurdischer Aktivist, wird durchsucht. Zitternd lauschen wir, wie er anstelle von uns verhaftet wird. Mein Knastroman muss warten.

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Ewiger Ehemaliger Campus

Ewiger Ehemaliger

»Ungerecht, einseitig und authentisch« Ob als wandelnde Gag-Maschine in der Harald-Schmidt-Show oder als Text: Corinna Cerruti & Anselm Denfeld Jan Böhmermanns Sidekick: Ralf Kabelka hat die deutsche Fernseh-Satire Fotos: Tim Gassauer auf und hinter der Bühne geprägt. Seine Karriere begann während seiner Studienzeit an der FU. Die Geschichte eines Mannes, der eigentlich etwas Seriöses machen wollte.

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as Wasser spritzt auf die Motorhaube. Beherzt zieht er den Schlauch hinter sich her und umkreist den alten Volvo. »Boah, der ist ganz schön dreckig«, sagt Ralf Kabelka. Bei dem Fotoshooting seinen Wagen zu waschen, war seine Idee. Dafür wollte er sich nicht extra herausputzen, eine glamouröse Kulisse war nicht nötig. Der Familienvater steht lieber in Jeans und Mantel mit seinem praktischen Kombi in der Waschstraße und gibt sich dabei genauso entspannt, wie in all seinen Fernsehauftritten. Ralf Kabelka wirkt wie jemand, der seine Kinder mit High five begrüßt. Einer, der auf mysteriöse Weise immer mittelalt bleibt und eine sympathische Lässigkeit ausstrahlt – Typ Onkel. Mit locker flockigen Schmankerln des komischen Fachs auf den Lippen und exzentrischem Augenzwinkern begrüßt er jeden Donnerstag hunderttausende Fernsehzuschauer*innen als Sidekick im Neo Magazin Royale. Eine ganze Generation an fernsehbegeisterten jungen Menschen sieht ihm dabei zu, wie er vor dem Studiopublikum steht und von Zeit zu Zeit Jan Böhmermanns Redefluss für eine kurze Pointe unterbrechen darf. Dafür ist er bekannt. Um diese Aufmerksamkeit muss es ihm gehen, denn sonst wäre er nicht so weit gekommen im Mediengeschäft. Kabelka war nicht immer der Sidekick. Zehn Jahre lang hat er als seriöser Journalist gearbeitet und ist dann doch als Gag-Autor in die Fernseh-Comedy gerutscht, wo er seit Jahren sein Geld verdient. Er kann zwar den Hampelmann ausschalten – als Redaktionsleiter der Harald-Schmidt-Show hat er große Verantwortung getragen – doch seinen Drang, dem Affen Zucker zu geben, ist omnipräsent. Er verehre das Unerwartete. »Einen guten Gag riecht man nicht zehn Meter gegen den Wind«, findet er und ein gewieftes Lächeln umspielt seine Lippen beim Gedanken an seine besten Witze. Bevor er zu einer durchaus durchdachten Antwort ansetzt, prescht Kabelka eher mit einer Punchline vor: »Humor ist natürlich die Sahnehaube von den ganz Intelligenten!« Manchmal mache er lieber den schnellen Witz statt sich »mit den großen Dingen« auseinanderzusetzen. »Aber das erfordert ja auch ganz schön Hirnschmalz!«

Ralf Kabelka

Und wenn dieser Hirnschmalz einmal anfängt zu arbeiten, hält am besten eine Kamera auf ihn. Denn auch wenn er

keine Rampensau ist, liebt er es, zu unterhalten. Nirgendwo glänzen seine inzwischen grauen Strähnen so golden wie im Scheinwerferlicht. Trotzdem beschleicht die Zuschauer*innen das Gefühl, in der Show genau den Ralf Kabelka zu erleben, der er auch ohne Kamera ist. Das liegt auch daran, dass seine Bühnenfigur nie eine penetrante und sprühende ist, wie die von Böhmermann und anderer Show-Kolleg*innen. Kabelka brilliert eher mit dem immerwährenden Schmunzeln in seiner Stimme, als mit der tagelang gewetzten Messerspitze der Satire. Seine Attitüde scheint aus der Zeit zu stammen, als die täglichen Late-Night-Shows noch nach Generalist*innen riefen, die mit ihrem Dauergrinsen aus jedem Thema einen Beitrag machen konnten, auch wenn feine politische Spitzen dabei oft ausblieben. Das hebt ihn von seinen deutlich jüngeren Comedy-Kolleg*innen beim Neo Magazin Royale ab – und lässt seinen Platz an Böhmermanns Seite zu. »Ich bin jetzt nicht so der riesen ›Mich-Selbst-Angucker‹«, erklärt Kabelka. Er habe nicht das Bedürfnis, im Mittelpunkt zu stehen. Viel lieber überlässt er Böhmermann die Pointe und lächelt von seinem Sidekick-Pult, wohlmöglich genau über den Witz, den er als Autor selbst geschrieben hat. Zusammen mit seiner freundschaftlich onkelhaften Art macht ihn das zum geborenen Sidekick. Für sein heutiges Publikum schwer vorzustellen, doch Kabelka war einst einer von ihnen: ein wortgewandter Jungspund, der die Medienwelt so sehr liebt, dass er Teil ihrer werden will. An der FU schreibt er sich in Publizistik-, Informationsund Theaterwissenschaften ein. Während des Studiums beginnt Kabelka fürs Deutschlandradio zu arbeiten, will Kulturjournalist werden. Seine beruflichen Ambitionen lassen ihm jedoch immer weniger Zeit für die Uni. Ohne Abschluss beendet er nach 35 Semestern sein Studium, die Exmatrikulation hat er immer wieder aufgeschoben. Kein Wunder: Noch als Student arbeitet er in der Redaktion der Harald-Schmidt-Show – zu dem Zeitpunkt der hellste Stern am Himmel der deutschen Late-Night-Unterhaltung. Von da an ist sein tägliches Brot das Show-Geschäft. Mit der Kunstfigur Udo Brömme, einer Persiflage auf junge Saubermann-Politiker der 2000er, wird er fester Bestandteil der Sendung. ►

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Schmidt soll Kabelka angewiesen haben, in die Rolle zu schlüpfen, weil er die »Fresse von so einem CDU-Fuzzi« habe. In dieser Erscheinung schafft er es, sich den Menschen so anzubiedern, dass sie sich gerne vor der Kamera um Kopf und Kragen reden. Als angeblicher »CDU-Abgeord neter« gelingt es ihm sogar, die Pförtner*innen des Reichstags zu überzeugen, ihm den Plenarsaal des Bundestags aufzuschließen – damit er eine Rede für »seine« Fraktion üben könne. Mit politischen Aktionen hält Kabelka sich zurück. Eine Ausnahme ist sein Besuch eines Af D-Aufmarsches in Berlin. Im November 2015, zeitgleich zum Karnevalsstart im Rheinland, schickte ihn die Heute-Show als Clown verkleidet zur Demo. Als er davon erzählt, blickt er zu Boden, wird ganz ernst: »Ich bin da völlig naiv hingefahren, weil ich ja schon öfter bei der Af D gedreht hatte.« Die aggressive Grundstimmung, die er dort erlebt habe, sei ihm jedoch völlig fremd gewesen. Während die Demonstrierenden im Hintergrund »Lügenpresse« rufen, lacht Kabelka zu Beginn des Clips noch in die Kamera und fragt: »Ist das das Mottolied dieses Jahr?« Was als frecher Satire-Beitrag beginnt, wird schnell bitterer Ernst. Von allen Seiten pöbeln ihn die Af D-Anhänger*innen an, tippen ihm gegen die Brust, schnappen sich seine Clownsperücke und

Kultur

schubsen ihn. Damit kippt die Stimmung auch bei unserem Komiker. Als sich ein Mann über die Gegendemo beschwert, verliert Kabelka die Fassung: »Dahinten sind welche, die sind gewalttätig und intolerant, weil sie euch Rechten auf die Fresse hauen wollen und ich finde, die Jungs haben recht!« Es sind Situationen wie diese, die den Humoristen aus der Reserve locken. Kabelka hält nichts von einem »Comedy-Proporz«, bei dem alle gleichermaßen auf die Schippe genommen werden. Comedy sollte total »ungerecht, einseitig und authentisch« sein. Dass er sich mit den Satiresendungen in einer Blase befindet, ist ihm dabei durchaus bewusst. Niemand aus dem rechten Lager werde damit erreicht. Aber Comedy sei auch ein »Vehikel«, um Leute auf Situationen aufmerksam zu machen, von denen sie sonst nie hören würden. Auch wenn sich Fernsehkarrieren genau so unberechenbar entwickeln wie gute Witze, will Kabelka an der Seite Böhmermanns bleiben. Berlin hat ihn zwar nie ganz losgelassen: Neulich habe er sich einen Tag frei genommen, um auf den Spuren seiner Lankwitzer Studienzeit zu wandeln. Aktuell sei er jedoch Teil »der besten Show im deutschen Fernsehen« und in Köln lebe ja auch seine Familie. Ein Wohnortwechsel zurück nach Berlin ist also nicht in Sicht – seinen alten Volvo putzt Kabelka weiterhin in der Waschstraße irgendwo in Köln-Ehrenfeld.

Anselm Denfeld und Corinna Cerruti mussten sich verkneifen im Text »Klöten-Ralle« zu schreiben, aber hier im Autorenkasten geht das ja. Googelt mal.

Von der Leinwand in den Hörsaal

Berlin, die 20er Jahre: Rauschende Partys, Drogenkonsum, Armut, schwere Verbrechen Text: Rabea Westarp und überall lauern Gegner*innen der Demokratie. Das zeigt die Kriminalserie »Babylon Illustration: Marie Gentzel Berlin«. Der Dozent Hanno Hochmuth holt sie in den Lehrsaal. Kann das gut gehen?

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it »Babylon Berlin«, einer aufwendigen Produktion im Hollywoodstil, findet dieses Semester eine angesagte deutsche Serie Einzug in den Lehrplan des Masterstudiengangs Public History an der FU. Auf Basis der Serie gibt der Geschichtsdozent Hanno Hochmuth ein Seminar zur Vermittlung der Stadtgeschichte der Weimarer Republik. Das weckt Skepsis bei Verfechter*innen konventioneller Unilehre, die für viele nun mal das klassische Durcharbeiten von Standardwerken und direkte Quellenarbeit bedeutet. Wie soll eine auf ein Mainstreampublikum zugeschnittene Serie zur fachgerechten Geschichtsvermittlung- und forschung taugen? Statt schwer verdauliche Texte zu pauken, wird Hochmuths Seminar durch viel Praxisbezug gestützt. Im Gespräch mit Volker Kutscher, dem Autor der Romanvorlage, oder bei einem Besuch der Produktionsfirma der Serie analysieren und hinterfragen die Studierenden die Konzeption der Serie. Als »public historian« müsse man sich gegenüber der in Kritiken für Authentizität gelobten, aber auch hoch-ästhetisierten Serie positionieren. Auf die Kontextualisierung käme es an – und für die Seminarteilnehmer*innen gewiss auch auf fachliches Vorwissen aus Vorlesungen und dem Bachelorstudium. Auf die Frage, ob der Entwurf der goldenen Zwanziger mit den attraktiven Darsteller*innen und einem großen Fokus auf Partynächten denn wirklich ein akkurates Geschichtsbild entwerfe, entgegnet Hochmuth: »Wir können weder wissen, was der ’richtige’ Eindruck einer Zeit ist – noch gibt es den überhaupt. Schon die Zeitgenossen haben ihre Zeit nur ausschnitthaft wahrgenommen.«

Die kritische Betrachtung der Serie in Hochmuths Seminar soll sich nicht auf einen historischen Faktencheck beschränken, sondern das von ihr vermittelte Geschichtsbild der Weimarer Republik analysieren. »Wir mögen zwar einige Fehler im Detail finden, dennoch wird ein sehr breites Geschichtsbild gezeichnet, welches die Weimarer Republik mit ihren vielen Licht- und Schattenseiten sehr ernst nimmt«, erklärt Hochmuth. »Die expressive Freiheit, sexuelle Freizügigkeit auf der einen; das soziale Elend und Demokratiefeinde auf der anderen Seite.« So könne die Serie als eine Erzählung über Demokratie in der Krise gelesen werden und liefert einen unleugbaren Aktualitätsbezug. Zudem habe Babylon Berlin keinen Objektivitäts- oder gar Wahrheitsanspruch. Die Serie möchte glaubhaft sein, was sie laut Hochmuth auch schafft. Lernen aus der Popkultur also – Babylon Berlin mag das Potenzial dafür liefern. Aber wie steht es um andere popkulturelle historische Filme und Serien? »Ein Film ist nie so schlecht, dass man sich nicht damit beschäftigen sollte. Gerade, wenn Filme besonders problematisch oder verzerrend sind, ist es wichtig, sich damit auseinander zu setzen und sich zu fragen: Wie wird daraus Geschichte gemacht?« Die ausschweifenden Partys im Moka Efti hätte Rabea Westarp gern mal besucht. Glücklicherweise ist auch die Clubwelt des modernen Berlins nicht übel.

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Durchzogen von kreolischen Sprichwörtern, spanischen Zitaten und jiddischen Ausrufen, bilden Dalemberts Werke eine Vielstimmigkeit ab, welche die Leser*innen mit dem »Anderssein« konfrontieren soll. Auch der Vagabund stehe permanent unter dem Einfluss anderer Kulturen und forme dabei seine ganz eigene Sprache: »Wenn ich mich dazu entscheide, etwas in Spanisch oder Italienisch zu schreiben, dann meist auch, weil ich dadurch den gewissen Geschmack der Sprache behalte«, erklärt der siebensprachige Schriftsteller. Dabei müsse man nicht jedes Wort verstehen, sondern sich in die Vielsprachigkeit fallen lassen.

Mit Louis-Philippe Dalembert hat ein Zeitreisender die Samuel Fischer-Gastprofessur am Peter-Szondi-Institut übernommen. Der selbst bezeichnete Vagabund verarbeitet die Stationen seines Lebens teils autobiografisch in seinen Werken – nächster Halt: Berlin. Text: Carla Spangenberg Foto: Tim Gassauer

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ie Frage, wohin er niemals reisen würde, ist für Louis-Philippe Dalembert schwer zu beantworten. Und doch gibt es da diesen einen Ort: »Ich bin niemals in das Stadtviertel meiner Kindheit zurückgekehrt.« Für Dalembert ist die Kindheit der Punkt, an dem die Reise durch die Zeit beginnt – einen Weg zurück gibt es nicht. 1962 geboren, verbrachte der Schriftsteller seine Kindheit in Bel-Air, einem Armenviertel von Haitis Hauptstadt Port-au-Prince. Da sein Vater kurz nach seiner Geburt verstarb, wuchs er mit seiner Mutter, Großmutter und großen Schwester auf, die ihm noch heute als Vorbilder dienen. Im Alter von sechs Jahren verließ er gemeinsam mit seiner Familie zunächst Bel-Air und mit 23 alleine Haiti, um in Nancy und Paris zu studieren. Danach lebte er unter anderem in Rom, Jerusalem, Berlin, Milwaukee und im Kongo. Auch nach Haiti kehrt er regelmäßig zurück – nie aber nach Bel-Air. In seinen Romanen und Gedichten erzählt Dalembert vom Vagabundieren: »Das Leben ist eine einsame Reise, auf der du da und dort anhältst und Menschen begegnest«, erklärt er dieses Konzept, das für ihn mehr ist als Reisen oder Weltenbummeln. Nun führt ihn sein Lebensweg nach Berlin – im Wintersemester 2018/19 hat er die Samuel Fischer-Gastprofessur des Peter Szondi-Instituts angenommen. Im Interview erinnert Dalembert sich an seinen ersten Aufenthalt in Berlin im Jahr 2010: »Ich habe mich gefragt, wo ich hier gelandet bin: Überall lag Schnee, alles war vereist und ich konnte kaum laufen.« Doch im Frühling habe er sich mit der Stadt versöhnt: »Ich habe noch nie eine Stadt so erblühen sehen wie

Berlin.« Diese Faszination des Jahreszeitenwechsels entspricht Dalemberts Thematik des Vagabundierens: Der Mensch bereist vielmehr die Zeit als den Raum und wird dadurch genauso verändert, wie die Orte um ihn herum. Aus dieser Idee formt Dalembert das Wort »Zeitenland« (frz. pays-temps). Wie Dalembert selbst, befinden sich auch die Hauptfiguren seiner Werke auf der Reise, sind umgeben von starken Frauen, vielen Sprachen und Kulturen. Der Autor scheint stets präsent zu sein und so lernen die Lesenden vor allem ihn kennen. Ein Übermaß an Autobiografie zeugt nicht immer von literarischer Größe, doch Dalembert schafft es, sein persönliches Thema stets neu zu übertragen. In seinem 2017 erschienenen Roman »Bevor die Schatten verblassen« (frz. Avant que les ombres s’effacent) entfernt er sich am weitesten von seinem eigenen Leben: Er erzählt die Geschichte des polnischen Juden Ruben Schwarzberg, der vor den Nationalsozialisten flieht und schließlich ins Exil in Haiti gelangt. Dalembert macht damit auf die wenig bekannte Tatsache aufmerksam, dass Haiti 50.000 Juden aufnahm. Hierbei wird aber auch deutlich, dass die Gründe für die Reisen in den unterschiedlichen Werken kaum miteinander zu vergleichen sind: Während Ruben Schwarzberg vor dem Nationalsozialismus flieht, treibt andere Figuren eine Sehnsucht nach der Ferne an. So verschwimmen Vertreibung und freiwillige Migration, wodurch das Schicksal Geflüchteter ein Stück weit trivialisiert wird. Dennoch bildet das Vagabundieren ein literarisches Konzept, das durch die Romane wandert und die verschiedenen Biografien miteinander verbindet.

Dass es kein Zurück gibt, thematisiert Dalembert in seinem Roman »Gottes Bleistift hat keinen Radiergummi« (frz. Le crayon du bon Dieu n’a pas de gomme). Er handelt von einem Mann, der nach langer Zeit in seine Heimat Haiti zurückkehrt, und dort weder Menschen noch Orte wiedererkennt. Unterbewusst hat auch Dalembert Angst, das Stadtviertel seiner Kindheit wiederzusehen. »Einmal habe ich von dem Viertel geträumt: Es lag verändert vor mir und ich habe mich gefreut über den Fortschritt, die Urbanisierung und doch bedauert, dass es das Viertel, wie ich es kenne, nicht mehr gibt. Ich glaube, das möchte ich nicht in Wirklichkeit sehen.« Dalembert schreibt getrieben vom ständigen Auf bruch ins Ungewisse. Auf dieser Reise durch die Zeit wandeln die Orte sich, so wie es der Reisende tut. Sollte er jemals den Ort seiner Kindheit aufsuchen, wird es doch niemals eine Rückkehr sein.

Carla Spangenberg reist auch sehr gerne. Im Sommer am liebsten nach Köpenick. ANZEIGE

Im Land der Zeit geht es nur vorwärts

Auch die Präsenz starker Frauen in seinen Werken erklärt Dalembert anhand seiner eigenen von weiblichen Familienmitgliedern geprägten Biografie: »Die Gleichberechtigung der Geschlechter war für mich immer etwas Natürliches – das überträgt sich ganz automatisch in mein Schreiben.« Trotzdem habe er früh gemerkt, dass außerhalb seines Familienhauses das Patriarchat vorherrsche. Die spezielle Rolle der Frau in Haiti hängt laut Dalembert mit der Geschichte der Sklaverei zusammen. Sklavinnen hätten nicht nur die sexuellen Übergriffe der Sklavenhalter erdulden müssen, sondern seien auch den Demütigungen durch männliche Sklaven ausgesetzt gewesen. Diese Geschichte und der in Mittelamerika weit verbreitete Machismus hätten ihre Spuren bei Haitis Frauen hinterlassen: »Die Frauen mussten immer stark sein. Während alleinerziehende Mütter von den Männern verlassen wurden, meist die gesamte Verantwortung innerhalb der Familie tragen, sind die öffentlichen Ämter und Führungspositionen von Männern bekleidet.« Aufgrund dieses strukturellen Sexismus hat Dalembert sich in der Jugend feministischen Bewegungen angeschlossen. Wie die Reise durch die Zeit nur vorwärts geht, hält er auch den Fortschritt des Feminismus für unauf haltsam. Aktuelle Rückschritte möchte er dabei nicht wahrhaben: »Männer wie Trump in den USA oder Bolsonaro in Brasilien sind nur das letzte Aufatmen der Macho-Bestie.«


Wort frei!

Die geklaute Rubrik

Bist du die nächste Herta Müller? Sollte Marvel lieber deine Comics verfilmen? Ob nun Prosa, Lyrik oder Comic, ganz egal, wo eure Begabungen liegen – wir geben euch das Wort frei! In unserer gleichnamigen Rubrik könnt ihr euch ausprobieren. Also schickt uns eure künstlerischen Ergüsse, hier habt ihr das Wort.

Wir sind großartig. Aber andere machen auch schöne Sachen. An dieser Stelle pflücken wir die besten Rubriken aus dem Blätterwald und füllen sie mit unseren Inhalten. Folge XIII: “Gemischtes Doppel” aus Süddeutsche Zeitung Magazin.

Kultur

GEMISCHTES DOPPEL

Schaut! Schaut mich nur an! Wie find ich so nur einen Mann?! Ein langer Hals, ein spitzes Kinn Und meine Haut ist auch dahin Ein Gesicht, von Pickeln übersät Einer nach dem andern aus den Poren späht Und meine Nase, krumm und lang So land ich sicher keinen Fang Und jetzt - jetzt seht euch meinen Bruder an! Ist’s nicht ein wunderschöner Mann! Doch gleichen wir einander auch sehr So hab nur ich es wahrlich schwer Denn was elegant ist bei dem Mann An einer Frau nicht schön sein kann An einer Frau ist’s derart grässlich So gilt sie schlicht als schrecklich hässlich Was durchaus problematisch ist Weil zeitens ihrer Daseinsfrist Die Frau daran gebunden ist Was Männer von ihr denken Da die ihr Schicksal lenken Hat sie stets Mühe, zu gefallen Und ist der Witz auch noch so schlecht Hat sie ein Gelächter ertönen zu lassen Denn gibt sie ihm nur immer Recht Wird er möglicherweise - für sie einen Antrag verfassen Doch ist das wirklich alles? Ist das alles schon gewesen? Ein Mann, ein Kind, ein Herd, ein Heim, um darin zu verwesen?

Wort frei! erscheint auch online unter www.furios-campus.de Sendet eure Arbeiten an kultur@furios-campus.de

Text: Marie Radkiewicz Illustration: Christine Zeides Mein Bruder Johann Wolfgang Goethe Versprach mir einst, mich an die Uni Leipzig nachzuholen Schrieb er mir doch in Briefen unverhohlen Von bunten Kleidern, internationalem Flair, von großen Festlichkeiten Von spannenden Gesprächen, und doch auch von manchen Schwierigkeiten

Beiße Ader

Heiße Bader (Bilder: Pixabay)

Während er dem intellektuellen Leben in Leipzig fröhnte, saß ich daheim und hatte mich auf die Ehe vorzubereiten Verhasst und voll Abscheu schaute ich in diesen Zeiten In den Spiegel - warum stand mir all das, was er hatte, nicht zu? Ja war das wirklich alles, war das alles schon gewesen? Ein Mann, ein Kind, ein Herd, ein Heim, um darin zu verwesen? Wertlos kam mir mein Leben vor, und im Nu - mit 27 – als Vorreiterin des Club of 27 war es dann auch schon vorbei. Anbei ist er der berühmteste Dichter Deutschlands geworden. Diese Worte sprach - vielleicht - eine Frau, uns allen nur wenig bekannt Doch wen hier im Raum kümmert es schon, was Cornelia Goethe einst empfand Stand sie doch zeitlebens im Schatten des berühmten Bruders Der zweifelsohne Großartiges geschaffen hat, das steht hier nicht zur Debatte Anzuklagen ist, dass sie mindestens genauso so viel Begabung hatte Ja, dass ihr Verstand mindestens genauso, wenn nicht sogar fähiger war als der seine

Marie Radkiewicz fällt es manchmal schwer zu glauben, dass wir 2019 haben und immer noch so viel getan werden muss.

Seine Fahne

Feine Sahne

(Bilder: Pixabay, Bastian Bochinski

*aus: »abgrund« von Maja Zade Regie: Thomas Ostermeier Ab April 2019 Übrigens: Studierende zahlen bei unseren Vorstellungen im Vorverkauf und an der Abendkasse nur 9,- Euro.

Hüftentanz

Tüftenhans

(Bilder: Anna Moreno (freeimages.com), Pixabay)

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Wissenschaft

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Der Homo Crispr muss warten

Nähe ≠ Liebe

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Krankheiten heilen oder Designermenschen erschaffen? Mit der Crispr-Genschere kann Text: Jette Wiese die DNA des Menschen schon am Embryo verändert werden – ein ethischer Konflikt. Illustration: Klara Siedenburg Die Erfinderin der Technik und eine Philosophin beziehen Stellung.

as wäre, wenn…?« ist eine Leitfrage, die Debatten über die Möglichkeiten der Gentechnik anführt. Was wäre, wenn wir Pflanzen resistenter, Nutztiere robuster und den Menschen immun gegen Stoffwechselkrankheiten, Krebs oder HIV machen könnten?

All das ist längst kein hypothetisches Vor-Sich-Hin-Philosophieren mehr, sondern Realität. Die Genschere Crispr-Cas9 wurde 2011 von Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna entdeckt. Derzeit wird sie vor allem in der Pflanzenzucht und zur medizinischen Forschung genutzt. Gesetzlich verboten ist in Deutschland jedoch die Behandlung von Erbkrankheiten am menschlichen Embryo, wobei der betroffene Teil der DNA einfach und präzise aufgeschnitten und das schädliche Gen ausgeschaltet wird. Das klingt nach einem revolutionären Fortschritt der Menschheit – der Homo Crispr könnte sich theoretisch selbst erschaffen!

geklärt sei, ob es alternative Behandlungswege gebe und mit welchen Langzeitfolgen zu rechnen sei. Durch Crispr werde eine Norm festgelegt, was ein gesunder Mensch sei und welche Fähigkeiten er haben sollte. Damit werde in die Freiheit des Menschen eingegriffen. »Das ethische Kernproblem ist für mich, dass da jemand gesessen und mit einer bestimmten Absicht beschlossen hat, mir eine genetische Ausstattung auf den Weg zu geben«, so Dietrich. Diese Intention müsse nicht schlecht sein. Das Problem sei aber, dass der Mensch fundamental zum »Gegenstand einer Absicht« werde. Die Fragen, welches Menschenbild wir als Gesellschaft entwickeln, was uns Freiheit bedeutet, wie wir unser Zusammenleben verbessern wollen und welche medizinischen Techniken dafür notwendig sind, erfordern eine grundlegende ethische Diskussion, die für Julia Dietrich zu kurz kommt: »Wissenschaft ist im Moment als Wettbewerb organisiert,

Im Europa des 17. Jahrhunderts galt die Beziehung zwischen Eltern und Kindern lange als kalt und lieblos. Doch das stimmt so nicht ganz, zeigt die Historikerin Claudia Jarzebowski.

Text: Anna Hödebeck Illustration: Lotta Feibicke

m Alter von zweieinhalb Jahren wird Melchior in die Obhut eines Schulmeisters und Priesters gegeben. Er ist das 12. Kind von Peter Hagendorf, einem Söldner im 30-jährigen Krieg, und das erste, dass das Säuglingsalter überlebte. Was aus heutiger Sicht vielleicht kaltherzig und gleichgültig erscheint, war damals die bestmögliche Entscheidung, die der Vater für seinen Sohn treffen konnte. Die Historikerin Claudia Jarzebowski von der FU kritisiert die voreilige Verurteilung derartiger Eltern-Kind-Beziehungen: »Emotionen, die wir heute für gegeben halten, konnten in vergangenen Jahrhunderten je nach kulturellem und zeitlichem Kontext etwas völlig anderes bedeuten.« Sie betreibt historische Emotionenforschung und beschäftigt sich mit den Emotionswelten von Kindern in der Frühen Neuzeit. Die Wissenschaftlerin weiß, dass anders als heute nicht die physische Nähe entscheidend war. Viel wichtiger waren Bildung und Versorgung, die im Mittelpunkt der elterlichen Fürsorge standen und so die emotionale Bindung der Familie bestimmten. Lange galt das Verhältnis von Eltern zu ihren Kindern in dieser Epoche weitgehend als kalt und distanziert. Laut Jarzebowski lediglich ein Narrativ. Denn durch neuere Aufarbeitung von Quellen wie Testamenten konnte die Vorstellung der

elterlichen Kälte widerlegt werden. Zwar werden Emotionen auch in diesen Texten nicht ausbuchstabiert, doch die Art wie sich um die materielle und spirituelle Absicherung der Nachfahr*innen gesorgt wurde, gibt Hinweise auf die Emotionswelten der damaligen Zeit. Für Jarzebowski steht fest: »Über Kinder wurden sich viele Gedanken gemacht. Wie man ihnen am besten hilft zu leben und zu überleben.«

Genau da liegt allerdings das Problem. Skeptiker*innen kritisieren, dass durch die Veränderung der DNA bewusst in die Evolution eingegriffen werde, ohne die Folgen richtig abschätzen zu können. Auf der einen Seite stehen religiöse Kritiker*innen, die in der Praxis eine »Sünde an der Schöpfung« sehen.

in dem der Schnellste und Finanzkräftigste gewinnt, dabei brauchen wir eine Wissenschaft, die es belohnt, ethisch umsichtig zu forschen«. Es müsse »grundsätzlich diskutiert werden, ob man diese Technik überhaupt weiterentwickeln will«, bevor sie vollständig ausgearbeitet sei.

Die Trennungen von Eltern und Kindern, wie im Fall Hagendorfs, waren in der Frühen Neuzeit keine Seltenheit. Die wachsende Mobilität der Menschen ermöglichte immer mehr ferne Reisen, bei denen die Kinder zu ihrem eigenen Wohl zurückgelassen wurden. Auch das Alltagsleben war von Trennungen geprägt. 80 Prozent der Mütter starben spätestens nach der vierten Geburt und viele Kinder wuchsen mit Ersatzmüttern auf. Was heute als Patchworkfamilie bekannt ist, war im damaligen Europa schon ein gelebtes Konzept.

Und auch manche, die nicht von Teufelszeug sprechen, gehen auf die Barrikaden: Es werde nicht nur festgelegt, wie gesund der Mensch sein soll, sondern auch bald, wie er aussehen und sich verhalten muss, welche Hautfarbe oder welches Geschlecht er haben soll. Crispr sei der erste Schritt hin zum »Designermenschen«, so die Kritik. Auch Emmanuelle Charpentier positionierte sich zuletzt im Tagesspiegel, sie sei »entschieden gegen die Verwendung von Crispr-Cas9-Gen-Editierung für menschliche Optimierung«.

Obwohl es unrealistisch klingen mag, dass die Wissenschaft die Ethik um Erlaubnis bittet, fordern einige Kritiker*innen ein Moratorium, also einen Aufschub der Forschung. Dadurch sollen eine breitere Debatte für den Umgang mit der Genschere und die Ausarbeitung von Gesetzen ermöglicht werden. Julia Dietrich schließt sich dieser Reaktion an: »Crispr bringt uns Menschen in eine prekäre Situation, über die die gesamte Gesellschaft diskutieren muss.«

Jarzebowski vermutet, dass die Trennungserfahrungen der Kinder viel weniger traumatisierend für sie waren als man heute denken würde. »Trennungen waren oft selbstverständlich, sodass die Bewertung der Kindeserfahrungen eine andere war«, erklärt die Historikerin. Zum anderen seien sie meist ein begleiteter Prozess gewesen. Familien bildeten soziale Gemeinschaften, die zusammen mit dem Glauben an Gott Stabilität und Sicherheit boten - auch ohne körperliche Nähe.

Julia Dietrich, Professorin für Philosophie an der FU, steht der Methode ebenfalls kritisch gegenüber. Sie sieht in der Gen-Editierung bei Embryonen einen »Menschenversuch«. Die Methode sei ethisch nicht vertretbar, bis nicht mindestens

Jette Wiese wollte immer mal Dolly kennenlernen. Das Schaf. Dolly Parton aber auch gerne.

Anna Hödebeck würde an dieser Stelle gerne ihre Eltern grüßen.

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»Meine Akademie war das Gefängnis« Das kurdische Volk kämpft im Nahen Osten für politische Anerkennung. Trotz der Unterdrückung in mehreren Text & Foto: Herkunftsländern bewahren und gestalten sie bis heute ihre Sprache und Kultur, deren Erforschung sich nun ein Leon Holly Berliner Institut widmet. Ein Gespräch mit dem Gründer.

FURIOS: Herr Omar, wie ist Ihre persönliche Beziehung zur kurdischen Sprache?

Nicht nur im Irak wurden die Kurd*innen immer wieder Opfer von Gewalt. Wer ist das kurdische Volk überhaupt?

Die ist leider sehr schwierig. In meiner Schulzeit im Irak war es den Kurd*innen von der ersten bis zur sechsten Klasse Die Kurd*innen sind eine Volksgruppe, deren historischer noch erlaubt, als erste Sprache Kurdisch zu sprechen. Ab der Ausgangspunkt nicht klar nachgewiesen ist. Vermutlich handelt siebten Klasse war dann alles auf Arabisch. Für mich war das es sich um die Nachfahr*innen der Ursprungsbevölkerung der eine Katastrophe. Der Lehrer, mit dem ich außerhalb der Region, die sie auch heute noch mehrheitlich bewohnen. Schule Kurdisch sprach, schlug uns im Unterricht, wenn wir eine Frage auf Aber heute leben sie in Vier Kerne Kurdisch stellten und antwortete auf verschiedenen Ländern. Wie Arabisch. Als Zwölfjähriger konnte erging es den Kurd*innen dort als Vier trockene Kerne ich das überhaupt nicht begreifen. Minderheit? Waren wir Diese Unterdrückung ist ein Trauma, Und lagen zusammen. das Spuren hinterlässt. In vier Ländern um genau zu sein. Im Man gab uns Wasser, und wir keimten. Iran, Irak, in der Türkei und Syrien Wenn nicht in der Schule, wo wurden sie immer wieder verfolgt, Kleine Kinder waren wir, haben Sie Ihre Liebe zur Sprache ihre Sprache und Kultur unterdrückt. Gleich allen Kindern dieser Welt. entwickelt? Eigentlich hatte das kurdische Volk Und wünschten: bis heute nie ein zusammenhängendes Beisammen zu bleiben 1966 wurden mein Onkel und Gebiet unter ihrer Kontrolle. Ab dem Und miteinander zu wachsen. mein Vater verhaftet – mit der 14. Jahrhundert waren die kurdischen Behauptung, sie seien politisch gegen Fürstentümer aufgeteilt zwischen Als wir dann austrieben die nationalistischen Machthaber dem osmanischen Reich im Westen Und Blätter in Bagdad aktiv gewesen. Ich und den persischen Safawid*innen im Bekamen, war damals 16 Jahre alt und sollte Osten. Dennoch, wenn Sie in Europa Riß man uns aus dem Boden eigentlich in der neunten Klasse eine*n Kurd*in fragen, wie sie*er sich Und trennte uns voneinander. meine Zentralprüfung absolvieren. selbst sieht, wird diese*r sagen, dass Doch dann wurde auch ich gefangen sie*er Kurd*in ist und die kurdische Von Ferzad Fazil Omar. Erstmals veröffentlicht genommen und gefoltert, dabei verlor Sprache spricht. Es ist ein Wunder, auf Kurdisch in 1983. Deutsche Übersetzung ich mein rechtes Auge. Ich wurde dass wir trotz der Unterdrückung aus »Leuchten aus der Stimme« bewusstlos und wachte im Gefängnis heute überhaupt von der kurdischen wieder auf, wo mir die Insassen dazu Geschichte und Literatur sprechen gratulierten, dass ich die Tortur überstanden hatte. Nachdem können. Trotz dieser Zerfetzung in vier Stücke haben sich die ich ihnen mitteilte, dass ich in wenigen Tagen meine Prüfung Kurd*innen nicht assimiliert. schreiben müsse, fragten sie: »In was benötigst du Nachhilfe?« Ich erwiderte: »Arabisch.« Sie riefen einen Mann, den sie als Spiegeln sich diese Erfahrungen in der kurdischen besten Arabisch-Lehrer des Landes beschrieben. Mir wurde mit Literatur wieder? der Zeit klar, dass die klügsten Köpfe des Landes im Gefängnis saßen. In meinen sechs Monaten dort kam ich auch erstmals Zweifelsohne. Das zentrale kurdische Epos zum Beispiel ist »Mem mit Musik, Bühne und der Literatur in Berührung. Wenn u Zîn« (»Junge und Mädchen«). Es wurde im Jahre 1694 von ich gefragt werde, wo ich studiert habe, antworte ich: »Meine Ehmedê Xanî verfasst, den die Kurd*innen als Nationaldichter Akademie war das Gefängnis.« betrachten. Xanî schrieb über die osmanisch-persischen

Kriege, in die die Kurd*innen verwickelt wurden und denen sie schließlich zum Opfer fielen, da sie sich zwischen den beiden Mächten befanden. Der Autor forderte, das kurdische Volk bräuchte einen eigenen »Padischáh«, einen König, der es eint und als eigenständige Macht etabliert. Es hat sich von damals bis heute also nicht viel geändert. Was macht das Epos denn so besonders? Dass es überhaupt auf Kurdisch verfasst wurde. Die kurdischen Schriftwerke entstanden in einer Region, in der es drei große Literatursprachen gab – keine davon war Kurdisch. Schrieben Schriftsteller auf Persisch, Arabisch oder Osmanisch, konnten sie der Weltliteratur zeigen, wer sie waren. Wer auf Kurdisch schrieb, konnte davon ausgehen, vielleicht von zwei oder drei Leuten gelesen zu werden und trotzdem entschieden sich Autor*innen dafür. Wie fielen dann die Reaktionen auf das Werk von Ehmedê Xanî aus? In den drei Ländern, wo die Kurd*innen lebten, war es verboten, Xanîs Buch zu drucken. Eine Schande! Dadurch konnten weniger kurdische Intellektuelle sein Werk lesen. Trotzdem verbreiteten sich seine Verse, da die Kurd*innen – wie andere indigene Bevölkerungen – viel Literatur auswendig lernten und mündlich überlieferten. Auch heute stellt Sprache noch eine Herausforderung dar. Ihre Texte veröffentlichen Sie auf Kurdisch,

Arabisch und Deutsch. Wie navigieren Sie im Feld zwischen den Sprachen und Kulturen? Ich übersetze meine eigene Literatur ins Deutsche. Das ist etwas, was man als Schriftsteller eigentlich gar nicht tun sollte. Aber einige Kolleg*innen Anfang der 1980er Jahre gaben mir den Ratschlag: »Du kannst als Literat in Deutschland nicht existieren, wenn du nicht auch auf Deutsch publizierst. Du darfst nicht auf jemanden warten, der das für dich tut. Du musst selbst dafür sorgen.« Und das habe ich getan. Mit den umfangreichen Deutsch-Kurdischen Wörterbüchern, den Romanen, der Lyrik und den Gedichten möchte ich eine Brücke zwischen den Kulturen schlagen. Feryad Fazil Omar ist Gründer und Vorsitzender des Instituts für Kurdische Studien Berlin und lehrt kurdische Sprache, Geschichte und Literatur an der FU. Er übersetzt kurdische Literatur ins Deutsche, schreibt Gedichte und ist Herausgeber der ersten Deutsch-Kurdischen Wörterbücher. Er war bis 1978 Dozent an der ersten kurdischen Universität in Silêmanî und lehrte an der Bagdader Universität im Irak, bevor er 1982 ans Institut für Iranistik der FU wechselte.

Leon Holly kannte bisher nur deutsche Poeten — von Goethe, über Heine bis Lothar Matthäus.

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Die empörte Studentin Unsere Wurst-Woman hat noch nie eine Grillparty verpasst und fordert nun: Schluss mit der Verbannung der FleischLiebhaber*innen aus der Veggie-Mensa! Text: Carla Spangenberg Illustration: Manon Scharstein

FURIOS STUDENTISCHES CAMPUSMAGAZIN DER FU BERLIN

Verehrte Fleischersatz-Front, liebe Vegetarier*innen, es ist eine Schweinerei: Wenn es um die Wurst geht, wirft die »Freie« Universität ihre Prinzipien in den Fleischwolf und zeigt ihre fiese Fratze. Mit der sogenannten VeggieMensa werden Fleischverliebte kategorisch vom öffentlichen Speisen ausgegrenzt. Längst hat die Gleichschaltung des Geschmacks den gemeinen Gulaschgenossen zu einer Minderheit gemacht. Die rote Theke der Mensa II gilt als Refugium für Bulettenbrüder und Schnitzelschwestern wie mich, die längst auf der roten Liste bedrohter Arten stehen. Bedroht fühle ich mich auch von den blassgesichtigen Veganern, denen ständig die Nase läuft, weil ihnen die tägliche Ration Antibiotika aus dem Industriehühnchen fehlt.

meine Frikadellenfahne nicht riechen müsst. Ich toleriere Seitansympathisanten, die trockene Ballaststoff bratlinge mit Sojaquark verdrücken – ich habe davor sogar äußersten Respekt. Aber ihre Verstopfungen sollten nicht zu geistigen Blockaden führen, die die Offenheit der Gesellschaft bedrohen.

Heute appelliere ich an Eure Vernunft: Der totale Beef muss verhindert werden! Die Spaltung der Gesellschaft darf nicht auf den Tellern ankommen. Denn mit dieser strukturellen Diskriminierung verletzt ihr nicht nur meine Innereien, sondern treibt uns in eine vollständige Segregation. Ich fürchte den Tag, an dem es in der U3 extra Karnivoren-Waggons gibt, damit ihr Sprossenfresser

Liebe geht durch den Magen. Schon Jesus wusste das, als er seinen Jüngern den eigenen Schinken hinhielt und selbst Medea soll ihre Kinder gegessen haben. Und so möchte ich nicht länger die beleidigte Leberwurst spielen. Ich wünsche mir nichts weiter, als mit euch an einem Tisch zu speisen. Freundschaftlich reiche ich euch die Hand – akzeptiert auch ihr meine Wurstfinger?

: E N I L N O l l E e D u . t S k U a P s M e A C t ag S O I R U F WWW.

Auf lange Sicht kann Segregation, können getrennte Tische keine Lösung sein. Und deshalb zitiere ich frei von der Leber weg: »Ich habe einen Traum, dass eines Tages auf den grünen Hügeln von Dahlem die Söhne von Metzgerinnen und die Töchter von Grünkern-Gourmets miteinander am Tisch der Brüderlichkeit sitzen können.«

LAYOUT

Vic Schulte ach kacke ich lass das jetzt einfach so fällt sowieso keinem auf

EDITORIAL- UND AUTOR*INNENFOTOS

Tim Gassauer lebt in Photoshop auf Ebene 4.

Liebst, Eure Königsberger Karla

FURIOS 21 IMPRESSUM Herausgegeben von: Freundeskreis Furios e.V. Chefredaktion: Corinna Cerruti, Leonhard Rosenauer (V.i.S.d.P., Freie Universität Berlin, JK 28/106, Habelschwerdter Allee 45, 14195 Berlin) Ressortleitung Politik: Lucian Bumeder, Felix Lorber Ressortleitung Campus: Anselm Denfeld, Paul Lütge Ressortleitung Kultur: Anna Hödebeck, Klara Siedenburg Ressortleitung Wissenschaft: Leon Holly, Rabea Westarp Layout: Vic Schulte Chef vom Dienst: Corinna Cerruti, Leonhard Rosenauer Redaktionelle Mitarbeit an dieser Ausgabe: Lana Bambetov, Muriel Buchheim, Julian von Bülow, Corinna Cerruti, Anselm Denfeld, Elias Fischer, Carry-Ann Fuchs, Anna Hödebeck, Leon Holly, Felix Lorber, Paul Lütge, Victor Osterloh, Marie Radkiewicz, Leonhard Rosenauer, Klara Siedenburg, Carla Spangenberg, Rebecca Stegmann, Rabea Westarp, Jette Wiese Fotografien: Tim Gassauer, Viviane Scheel, Rebecca Stegmann, Lisa Plesiutschnig, Lucian Bumeder

Illustrationen: Lotta Feibicke, Marie Gentzel, Roxanne Honardoost, Manon Scharstein, Lea Scheidt, Klara Siedenburg, Freya Siewert, Eric Tiedt Covergestaltung: Tim Gassauer, Kai Hilbert, Leonhard Rosenauer, Rabea Westarp Editorial- und Autor*innenfotos: Tim Gassauer Lektorat: Corinna Cerruti, Leonhard Rosenauer ISSN: 2191-6047

Lotta Feibicke Faszination Prokrastination.

Marie K. Gentzel hat sich als Kind immer gefragt, wer diese Sophie ist, die Timon und Pumba genommen wird.

Roxanne Honardoost ist schockiert zu hören, auf was für Volksfeste ihre Kommiliton*innen gehen.

Manon Scharstein nutzt FURIOS regelmäßig als Ausrede, ihre Buntstifte mal wieder hervorzukramen.

Lea Scheidt »Make love to the canvas« – Bob Ross

Klara Siedenburg spart es sich, einen Witz übers »klara sehen« zu machen.

Freya Siewert … 42.

Eric Tiedt hat einen Ghostwriter für seinen Kasten engagiert. Der macht für diese zwei Sätze jetzt Urlaub auf Mallorca.

ILLUSTRATIONEN

www.furios-campus.de redaktion@furios-campus.de Jede*r Autor*in ist im Sinne des Pressegesetzes für den Inhalt ihres*seines Artikels selbst verantwortlich. Die in den Artikeln vertretenen Meinungen spiegeln nicht zwangsläufig die Ansicht der Redaktion wider. Gemäß dem Urheberrecht liegen die Rechte an den einzelnen Werken bei den jeweiligen Autor*innen.



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