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Geförderte Altersvorsorge – Berlin im Tiefschlaf
Berlin im Tiefschlaf
An Top-Angeboten zur geförderten Altersvorsorge mangelt es wirklich nicht – modernste Garantiemodelle und hohe Renditen inklusive. Doch die Deutschen zeigen sich eher störrisch. Dabei wissen sie genau, dass sie ohne eigenen Aufwand nicht über die Runden kommen werden. Vielen fehlt allerdings auch das Geld für die Beiträge. Und die Politik bleibt die von ihr versprochenen Anreize weiterhin schuldig.
Laut Deutschem Institut für Altersvorsorge (DIA) verstärken sich in der jüngeren Vergangenheit einige Trends, die schon länger zu beobachten seien. So nimmt der Anteil der Bürger, die ihre Vorsorge für ausreichend halten, seit einiger Zeit stetig ab. Inzwischen gehen nur noch 28 % davon aus. 2017 waren es immerhin noch 36 %. Vor vier Jahren überwog auch noch die Zahl jener, die gegen eine unzureichende Vorsorge etwas unternehmen wollten (35 %) gegenüber den wissentlich Untätigen (30 %). Dieses Verhältnis hat sich radikal umgekehrt. „Immer mehr Bürger rechnen damit, dass im Alter das Geld wohl nicht reichen wird. Aber sie können oder wollen keine Abhilfe schaffen”, sagt Klaus Morgenstern, Sprecher des DIA. Angesichts der prekären Lage der privaten Altersvorsorge und damit der Absicherung des Lebensstandards im Alter ist das eine verhängnisvolle Entwicklung, der die Politik unbedingt entgegenhalten sollte. Der Absatz von RiesterVerträgen ist rückläufig, und die betriebliche Altersversorgung erreicht vor allem die kleinen und mittleren Betriebe und die Geringverdiener nicht. Doch in der großen Koalition tut man vor allem eines: Nichts.
Regierung in der Warteschleife
Die Bundesregierung hat sich zur Umsetzung der RiesterReform in dieser Legislaturperiode bekannt, will sich aber nicht auf einen konkreten Zeitplan festlegen. „Wir haben das feste Ziel, in dieser Legislaturperiode eine Einigung zu erzielen“, sagte Finanzstaatssekretär Dr. Jörg Kukies auf der Handelsblatt-Tagung „Betriebliche Altersversorgung“, die coronabedingt virtuell stattfand. Aussagen zum aktuellen Stand der Gesetzgebung vermied Kukies. Das ist nachvollziehbar. Denn einem Bericht der Bild-Zeitung zufolge ist das Thema Riester-Erneuerung klammheimlich von der Agenda in Berlin verschwunden. Und dies, obwohl nicht nur Verbraucherschützer, sondern auch die Anbieter dieser Policen vehement Reformen anmahnen. Die Riester-Reform ist eines der letzten offenen rentenpolitischen Vorhaben der Bundesregierung. Union und SPD hatten im Koalitionsvertrag vereinbart, zur Wiederbelebung der privaten Altersvorsorge ein standardisiertes, kostengünstiges Riester-Produkt zu entwickeln. Denn seit Jahren stagniert das Neugeschäft, die Zahl der Verträge liegt mit rund 16,4 Millionen etwa auf dem Niveau von Ende 2015. Ein Fünftel der Verträge wird gar nicht mehr bespart. Für ihr Reformvorhaben hatte die Bundesregierung einen Dialogprozess mit Riester-Anbietern, Verbraucherschützern und Sozialpartnern gestartet, der inzwischen abgeschlossen ist. „Im Lichte der Ergebnisse dieses Dialogs werden nun verschiedene Handlungsoptionen überprüft“, sagte Dr. Rolf Schmachtenberg, Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium (BMAS). Die Federführung für das Projekt liegt jedoch beim Bundesfinanzministerium, das es nicht bei kleineren Korrekturen belassen will. Es sei völlig klar: Man müsse da sehr grundlegend ran. Und über die Details wird offenbar noch gerungen. Ein Knackpunkt scheint vor allem die Frage, wie hoch die Garantien in der geförderten privaten Altersvorsorge künftig sein sollen. Das Bundesfinanzministerium kann sich wohl eine Lockerung der Beitragsgarantie vorstellen, um die Ertragschancen bei Riester zu erhöhen. „Wir sind sehr realistisch, was die Darstellung von Garantien angeht“, betonte Kukies. Sein Kollege im BMAS macht aus seiner Ablehnung für diese Idee indes keinen Hehl: „Es ist schwer zu vermitteln, wenn der Staat einerseits Zulagen gewährt, aber gleichzeitig keine Garantien sicherstellen will“, sagte Dr. Schmachtenberg. Die Finanzbranche selbst dringt seit längerem auf einen Neustart bei Riester. „Wir ruhen uns auf einem System aus, dass 2001 geschaffen wurde“, sagte Dr. Peter Schwark, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Der GDV hatte zusammen mit anderen Verbänden schon vor einem Jahr einen Reformplan vorgelegt. Dieser beinhaltet unter anderem ein vereinfachtes Zulagenverfahren, ein verständlicheres Fördersystem sowie eine Öffnung von
Riester für Selbstständige. Die Anbieter streben angesichts der extrem niedrigen Zinsen auch eine Lockerung der Bruttobeitragsgarantie an. Es sei widersprüchlich, wenn der Gesetzgeber einerseits von den Lebensversicherern verlange, ihre zugesagten Garantien zu überdenken, in der geförderten privaten Altersvorsorge jedoch daran festhalten wolle, so Schwark.
Geringverdiener sind Tagesordnungspunkt Nummer eins
Vor 20 Jahren wurde mit der Rentenreform 2001 ein Paradigmenwechsel in der deutschen Alterssicherungspolitik eingeleitet und die Lohnersatzfunktion der gesetzlichen Rentenversicherung relativiert. Durch die Einführung verschiedener Dämpfungsfaktoren in der Rentenanpassungsformel sank das Verhältnis zwischen gesetzlichen Renten
und Löhnen. Das sinkende Rentenniveau sollte durch zusätzliche private und betriebliche Vorsorge mindestens ausgeglichen werden. Für diese angestrebte Teilprivatisierung der öffentlichen Altersvorsorge wurden verschiedene Maßnahmen zur Stärkung der kapitalgedeckten betrieblichen und privaten Altersvorsorge eingeführt. Bis heute ist keine der Varianten obligatorisch, obwohl sie zur Aufrechterhaltung des Lebensstandards nach dem Renteneintritt immer wichtiger werden und sozialpolitisch explizit als notwendig eingeplant wurden. Bisher wurden durch unterschiedliche Maßnahmen staatlicher Förderung lediglich Anreize zur Stärkung der kapitalgedeckten Altersvorsorge geschaffen. Die ohnehin bereits heterogene Struktur der bAV wurde im Rahmen der Reform im Jahr 2001 um zusätzliche Möglichkeiten erweitert. Eine zentrale Neuerung war die Einführung eines Rechtsanspruchs auf Entgeltumwandlung ab dem Jahr 2002. Zwischen den Jahren 2001 und 2005 stieg die Zahl der Anwartschaften in der betrieblichen Altersvorsorge von knapp 15 Millionen um rund 25 % auf über 18 Millionen. In den Jahren danach gab es weiterhin eine positive Entwicklung. Diese verlief allerdings wesentlich langsamer hin zu 21 Millionen aktiven Anwartschaften im Jahr 2019. Da die Beschäftigung im selben Zeitraum ebenfalls stark zunahm, hat die relative Verbreitung der betrieblichen Altersvorsorge unter den Beschäftigten laut DIW wesentlich langsamer zugenom-
men und war in den letzten Jahren sogar leicht rückläufig. Im Jahr 2019 hatten rund 54 % der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten aktive Anwartschaften. „Wenn man für Geringverdiener/innen die betriebliche Altersvorsorge voranbringen will, führt vermutlich kein Weg daran vorbei, unterstützend tätig zu werden. Gezielte Anreize und finanzielle Unterstützung könnten hier einen Beitrag leisten“, sagt Johannes Geyer, stellvertretender Abteilungsleiter in der Abteilung Staat des DIW. (hdm)