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Vom Barock zum Blockrand
Vom Barock zum Blockrand Wandel eines Stadtbilds
Während die Metropolen Europas zunehmend mit ihren mit telalterlichen Struk turen konfrontier t waren und in Paris und Berlin ein teils radikaler Stadtumbau ver folgt wurde, kamen solche Pläne in Wien nicht zur Anwendung. Stat tdessen war 1829 die Bauordnung zur Reglementierung des Neubaus von Straßen und Gebäude entstanden. Durch die neuen Richtlinien von maximal fünf Stock werken und mindestens 10 Meter breiten Straßen wandelte sich langsam das Stadtbild. Die Vorstädte begannen damit vermehr t auch die freien Par zellen zu verbauen. So führ te das Reglement sogar zu einer Ausweitung der Bautätigkeiten.3 Mit der kur z darauf auch in Wien einsetzenden Industrialisierung eskalier te jedoch das Wachstum regelrecht. Eine Welle des Baubooms setzte ein und begann zusammen mit den Ent wicklungen in der Technik wie auch erster Eisenbahnlinien das Stadtbild profund zu ändern. Bahnschneisen wurden ab 1837 in die Landschaf t geschlagen und gleich mehrere Kopfbahnhöfe rund um die Vorstädte Wiens errichtet. Von diesen ausgehend erstreck ten sich Bahnkorridore in alle Himmelsrichtungen, an denen sich Gewerbe und Betriebe ansiedelten. Innerhalb kür zester Zeit wurde die Eisenbahn nicht nur das Transpor tmit tel für Personen und Güter, sondern auch für die Ent wicklung angrenzender Stadt teile treibende Kraf t.4 Wien war aufgrund des anhaltenden Bevölkerungszustroms mit einem immensen struk turellen Wachstum konfrontier t. Obwohl 3 4 Vorstädte innerhalb des Linienwalls 1850 eingemeindet wurden und die acht neuen Bezirke bereits fast lückenlos bebaut waren, wuchs die Stadt rasch über ihre Grenzen hinaus. Zeitgleich wurde die Bauordnung angepasst, indem nun eine Gebäudehöhe von maximal 25 Meter und eine Straßenbreite von mindestens 15 Meter festgelegt wurden. Die Vorgabe, möglichst gerade Straßen anzulegen, war der Versuch, die Flächenausnutzung zu maximieren, was sich besonders in den Voror ten manifestier te. Um Wohnraum en masse zu produzieren und gegen die sozial schlechter werdenden Verhältnisse anzukämpfen, waren viele Freiflächen mit dem populären Blockrandbau bebaut worden. Besonders in den westlichen Voror ten Meidling, Rudolfsheim-Fünfhaus, Ot takring, Hernals und Währing entstanden ganze Rasterstädte mit der neuen Baut ypologie.
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3 vgl. Matznetter, Walter (2005): Von der Grundherrschaft zum Stadtmanagement – Zweihundert Jahre Stadtplanung in Wien, in: Karl Brunner & Petra Schneider (Hrsg.),
Umwelt Stadt – Geschichte des Natur- & Lebensraumes
Wien, Band 1, Wien, Köln, Weimar: Böhlau, S. 61. 4 vgl. Eigner, Peter & Petra Schneider (2005): S. 41-43. 5 vgl. Matznetter, Walter (2005): S. 61-63.
38 Der noch unverbaute Wienfluss vor der Karlskirche und der Technischen Hochschule, 1822

39 Linienwall & die neuen Bezirke am Wienfluss, 1858
Die Industrialisierung versetzte Wien in einen regelrechten Bauboom und Veränder te in kurzer Zeit das Stadtbild.

40 Blockrand-Raster in Ottakring, Hernals & Währing westlich des Gürtels im Vergleich zur gewachsenen Stadt im Osten
Während an Wiens Rändern Massen an Zinshausquar tieren entstanden, war die obsolet gewordene Ringmauer geschlif fen worden und brachte den endgültigen Bruch mit dem mit telalterlichen Stadtmodell. Die Ringstraße wurde zur imperialen Kulisse. Die neue Magistrale veranschaulicht bis heute die deutliche Diskrepanz z wischen prunk voller Baukunst im Zentrum und der ef fizienten Flächenausnutzung außerhalb. Nach der Regulierung der Donau und des Donaukanals, wodurch neue Stadter weiterungsgebiete erschlossen wurden, lebten mit der z weiten großen Stadter weiterung 189 2 mehr als 1,5 Millionen Menschen in Wien. Neu errichtete Zinshausquar tiere wurden immer dichter gebaut und sind Ausdruck eines massiven Stadt wachstums. Kur z nach der Stadter weiterung staf felte der ›Bauzonenplan‹ die Gebäudehöhen einzelner Stadt teile und unter teilte diese Bauzonen in Wohngebiete-, Industriegebiete und gemischte Gebiete. Die daraus entstandenen ›Teilregulierungspläne ‹ und der 1905 geschütz te Wald- und Wiesengür tel verdeutlichen den Versuch zur Regulierung des rasanten Stadt wachstums und die Gewichtung einer durchdachten Stadtplanung dieser Zeit.6 Anfang des 20. Jahrhunder ts war die Metropole mit über z wei Millionen Wiener*innen an ihrer kulturellen Blüte angelangt und bereitete den Weg für großräumige Stadter weiterungskonzepte. Ot to Wagner wurde mit seinen Ideen zum Stadtplaner Wiens erkoren und er weiter te mit der Stadtbahn im Zuge des not wendig gewordenen infrastruk turellen Ausbaus das bereits existierende Straßenbahn-Netz. Wenig später wurde der Linienwall aufgegeben und zu einer neuen Haupt verkehrsader umfunk tionier t. Allerdings hielt der Aufschwung nicht lange an und die Stadtkonzepte Wagners wurden schon bald ad acta gelegt. Denn die Lebensbedingungen verschlechter ten sich schon während des Ersten Weltkriegs im zunehmenden Maß. Es folgte der Stillstand und eine Welle der Abwanderung. Aufgrund der anhaltenden Nahrungsmit telnot legten viele Stadtbewohner*innen z wischenzeitlich eigene Gär ten zur Selbst versorgung an. Hof fnungsträger wurde in der folgenden Zwischenkriegszeit die sozialdemokratische Kommunalpolitik und deren Wohnbauprojek te. Obwohl das ›Rote Wien‹ große Er folge in der Wohnungsproduk tion er zielen konnte, bereitete der Faschismus dem nach nur wenigen Jahren ein Ende.7
6 vgl. Matznetter, Walter (2005): S. 63-70. 7 vgl. Eigner, Peter & Petra Schneider (2005): S. 45-47.
Von dicht zu aufgelocker t Träume & Wirklichkeit
Von dem Größenwahn des Drit ten Reichs blieb Wien, abgesehen von der z wischenzeitlichen Eingemeindung umliegender Gemeinden, jedoch größtenteils verschont. Somit hielt sich die Zerstörung im Vergleich zu vielen anderen Städten in Grenzen. Dennoch kam es in Wien aufgrund der rund 90.000 unbewohnbaren Wohnungen zu einem akuten Wohnungsmangel. Neben dem Wiederaufbau, welchem die oberste Priorität eingeräumt wurde, waren ebenso durch zerstör te Bauwerke entstandenen Lücken mit Neubauten geschlossen worden. Dies resultier te durch kleiner ausfallende Wohnungen und die lückenlose Verbauung in einer Nachverdichtung der bestehenden Zinshausvier tel.8 Parallel dazu folgte Wien dem internationalen Trend neuer städtebaulicher Leitbilder. Stadter weiterungsprojek te mit den Ordnungsprinzipien der Auflockerung und Funk tionstrennung (Arbeiten, Wohnen, Freizeit) entstanden, womit nicht nur mehr Wohnraum, sondern auch ein neuer städtischer Lebensstil etablier t werden sollte. Die Maßnahmen verlager ten sich aufgrund der geringen Flächenver fügbarkeit an den Stadtrand, wo nun Ent wicklungsgebiete entstanden, die den Bau ganzer Stadtquar tiere vorsahen. Der ›Montagebau‹ revolutionier te in Wien durch die Vor fer tigung einzelner Bauelemente die Bauindustrie und sorgte für eine Massenproduk tion an Wohnungen.9 So entstanden auf der grünen Wiese meist von kleinteiliger Bebauung umgebene Inseln frei stehender und monofunk tionaler Anlagen. Die Struk turprobleme der Funk tionstrennung und der Verlust einer urbanen und multifunk tionalen Stadt brachten das ›fordistische‹ Stadtkonzept immer mehr in Verruf. In den 19 70er löste die Funk tionalismuskritik schließlich eine Rückbesinnung auf die Qualitäten der bestehenden und durchmischten Stadt aus. Die Gegenbewegung äußer te sich in Wien mit dem Konzept der (sanf ten) Stadterneuerung und umfasste Maßnahmen wie die Instandsetzung der großteils maroden Bausubstanz als auch Anpassungen und das Schließen von Baulücken. Infolgedessen wurden weite Teile des historischen Bestands unter Schutz gestellt, um das Stadtbild zu wahren. Die wiedererlangte Wer tschätzung der dichten und urbanen Stadt mündete in eine Verdichtung der bestehenden Struk turen, die bis heute anhält.10 Zugleich rück te die Neuorientierung eine großräumliche und vielschichtige Stadtplanung immer mehr
8 vgl. Bihl, Gustav (2006): Wien 1945-2005 – Eine politische
Geschichte, in: Peter Csendes & Ferdinand Opll (Hrsg.),
Wien, Geschichte einer Stadt – Von 1790 bis zur Gegenwart,
Band 3, Wien, Köln, Weimar: Böhlau, S. 585-592. 9 vgl. Matznetter, Walter (2005): S. 74-75. 10 vgl. Bihl, Gustav (2006): S. 585-598.

41 Otto Wagners Studie für die Erweiterung des stark wachsenden Wiens

42 Dicht verbaute Innenhöfe in den Zinshausquartieren
in den Vordergrund. Wien begann von einer autogerechten Stadt abzusehen und neue Leitbilder zu ent wickeln, woraus schließlich der ›Stadtentwicklungsplan‹ entstand, der die Stadterneuerung wie auch die Stadter weiterung als not wendige Bestandteile der Ent wicklungsschwerpunk te ansah.11 Nur wenig später begann Wien auch mit dem Bau mehrerer U-Bahn-Linien. Trotz des damaligen Bevölkerungsrückgangs stellte sich dieses Vorhaben durch das nachfolgend einsetzende Wachstum als großer Vor teil für die Stadt heraus.12 Darüber hinaus wurde die Donauinsel als endgültige Maßnahme zur Donauregulierung und Eindämmung von Hochwasser fer tiggestellt. Mit über 20km Länge und durchschnit tlich 400 m Breite wurde die künstlich aufgeschüt tete und kultivier te Insel nicht nur zu einem der größten städtischen Grünraume, sondern auch zu einem geschütz ten Naherholungsgebiet erklär t.13 Seit dem wurden zahlreiche Stadtent wicklungsideen ent wickelt und der Stadtent wicklungsplan mehrmals neu aufgelegt und angepasst. Doch die Ent wicklungskonzepte beschränk ten sich im Vergleich zu den großräumlichen Transformationen der letz ten z wei Jahrhunder te mehr auf kleinteiligere Maßnahmen. Dies liegt wohl an der bereits bestehenden Morphologie der Stadt, welche einen größeren Stadtumbau nicht zulassen würde. Und dennoch begann die Wiener Stadtplanung seit der Jahr tausendwende damit, brachliegende Gebiete zu revitalisieren und in Stadter weiterungsprojek te umzuwandeln. Trotz der Tatsache, dass solch stadt verdichtende Operationen keine zeitgenössische Strategie städtischer Wandlungsprozesse widerspiegeln und ebenfalls als inadäquate Maßnahme für die heutigen europäische Städte gesehen werden, scheint die Stadt aufgrund des Bevölkerungszuwachses dazu gez wungen, auch jede potenzielle Baufläche zu nutzen. Die maximale Flächenausnutzung erinner t dabei nicht unweigerlich an die lückenlose Verbauung des Blockrand-Rasters, welcher bekanntlich nicht unwesentlich zur schlechter werdenden Lebensqualität der Stadt beigetragen hat.
11 vgl. Seiß, Reinhard (2013): Ist Wien anders?, in: Wer baut Wien? – Hintergründe & Motive der Stadtentwicklung Wien seit 1989, 3.
Auflage, Salzburg, München, Wien: Anton Pustet, S. 13-15. 12 vgl. MeißI, Gerhard (2006): Ökonomie & Urbanität, in: Peter Csendes & Ferdinand Opll (Hrsg.), Wien, Geschichte einer Stadt – Von 1790 bis zur Gegenwart, Band 3 GA, Wien, Köln, Weimar: Böhlau, S. 708. 13 vgl. Bihl, Gustav (2006): S. 583. 14 Bihl, Gustav (2006): S. 596.

43 Wohnträume im Gemeindebau
»Das Credo der Entmischung der städtischen Funk tionen war angesichts der negativen Auswirkungen, wie dem Verlust der urbanen Atmosphäre und den zunehmenden Verkehrsproblemen, aufgegeben worden.«14