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Europa
Kontinent mit Potenzial
Europa wird oft als wenig innovativ, politisch verkrustet und wachstumsschwach betrachtet. Allerdings verfügt die Region über höchst interessante Unternehmen, die von der Dynamik der Schwellenländer profitieren.
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HARALD KOLERUS
„Von Öffnungsschritten sollten etwa Heineken, Inditex, Ryanair oder Amadeus IT unterstützt werden.“
Wolfgang Fickus, Mitglied des Investment-Komitees bei Comgest
Tassilo Seilern, CEO Seilern Investment Management E uropa sollte man nicht schlechtreden, es gibt gute Argumente für Investments auf dem „Alten Kontinent“. Tassilo Seilern, CEO von Seilern Investment Management, führt aus: „Ein Vorteil einer Investition in Europa besteht darin, dass man von einem ausgefeilteren und verlässlicheren Rechtsrahmen profitieren kann, ohne das zugrunde liegende Verkaufsrisiko europäischer Unternehmen in wachstumsstarken Regionen wie Schwellenländern aufzugeben.“ Und wie steht es um die Bewertungen europäischer Unternehmen? Seilern: „Aktienbewertungen können nicht isoliert gesehen werden, sie müssen im Kontext einer längeren Phase mit niedrigem Wachstum, niedrigen Zinsen und reichlich Liquidität analysiert werden und müssen gegenüber anderen Anlageklassen betrachtet werden. In diesem Zusammenhang macht es wenig Sinn, Aktienbewertungen mit früheren Perioden der Geschichte zu vergleichen.“ Hingegen kommt es laut dem Experten auf die richtigen Wachstumsperspektiven an.
Qualität ist Trumpf
Wachstum in Europa ist knapp und schwieriger zu finden als in anderen Teilen der Welt. In diesem Zusammenhang erzielen qualitativ hochwertige Wachstumsunternehmen in Europa tendenziell eine höhere Prämie als in anderen Regionen der Welt wie in den USA oder den Schwellenländern. Seilern: „Außerdem sind die Zinssätze in Europa seit über einem Jahrzehnt wesentlich niedriger als in anderen Regionen wie Nordamerika. Bei langfristigen Vermögenswerten wie Qualitätswachstumsunternehmen hat dies auch zu dieser höheren Prämie im Vergleich zu anderen Regionen der Welt
EuroStoxx50 vs MSCI World
90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% -10% -20%
EuroStoxx 50 TR EUR MSCI World TR EUR
2016 2017 2018 2019 ´212020
Europa hat im Wettkampf mit anderen Leitbörsen noch Aufholpotenzial.
beigetragen.“ Was uns auch gleich zur Anlagestrategie von Seilern führt: „Wir sind strikt Bottom-up orientiert und investieren in hochwertige Wachstumswerte. Unsere Kernaussage ist, dass langfristig die Gewinne die Aktienkurse antreiben werden. Wenn man also ein Unternehmen findet, das im Laufe der Zeit nachhaltig wachsen kann, sollte sein Aktienkurs in gleichem Maße mit der Ertragskraft dieses Unternehmens zulegen. Um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass dies tatsächlich eintritt, suchen wir nach Unternehmen, die eine Reihe von Merkmalen aufweisen. Das nennen wir unsere „10 goldenen Regeln“ oder das Mantra der Seilern Qualitätswachstums-Anlagephilosophie. Diese Regeln lassen sich in zwei große Gruppen einteilen: Solche, die darauf abzielen, die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass das Unternehmen im Laufe der Zeit tatsächlich nachhaltig wachsen kann, und solche, die darauf abzielen, einen dauerhaften Kapitalverlust zu verhindern.“
Profitieren vom Re-Opening
Bei der französischen Fondsschmiede Comgest ist man ebenfalls auf Bottom-up und Quality Growth fokussiert. Wolfgang Fickus, Mitglied des Investment-Komitees, erklärt im Gespräch mit dem GELD-Magazin: „Un-
ser Europa-Portfolio weist im ersten Quartal ein erfreuliches organisches Wachstum von rund 15 Prozent auf. Die enthaltenen Unternehmen liefern gute Zahlen, wie Ferrari, der Diabetes-Spezialist Nova Nordisk, der Brillenhersteller Luxottica oder Straumann, spezialisiert auf Zahnimplantate. Das Re-Opening unterstützt Unternehmen wie Straumann, denn die Lust auf Zahnbehandlungen war in der Pandemie natürlich enden wollend bzw. waren Praxen auch geschlossen.“ Von Öffnungsschritten sollten laut dem Experten auch Heineken, Inditex, Ryanair oder Amadeus IT (Reisetechnologie) unterstützt werden. Fickus: „Interessant ist ebenfalls ASML, der Halbleiterspezialist profitiert von der hohen Nachfrage auf diesem Gebiet.“
Attraktive Aktien
Auch Seilern verrät dem GELD-Magazin, spannende Unternehmen: „Eine unserer Kernbeteiligungen ist SAP, das führende deutsche Unternehmen für Unternehmenssoftware. SAP hat eine enorme Größe, sowohl in Bezug auf den Betrieb als auch auf die installierte Basis, und liefert seit vielen Jahren erfolgreich, was einen dauerhaften Wettbewerbsvorteil nahelegt.“ Die SAP-Software ist laut dem Experten „geschäftskritisch“, in vielen Fällen gibt es buchstäblich keine praktikable Alternative, was zu überaus treuen Kunden führt. SAPs Treiber sind außerdem gut etabliert und haben Raum für weiteres Potenzial: CloudWachstum ist zwar nicht neu, aber in der komplexen Welt des Enterprise Resource Planning steht es erst am Anfang, während der Wandel zur Digitalisierung dazu führt, dass immer mehr Unternehmen ihren digitalen Fußabdruck verbessern wollen. Wofür SAP eine Schlüsselposition einnimmt. Seilern: „Eine weitere unserer Kernpositionen ist auch das deutsche Schwergewicht Adidas. Es genießt eine der beiden führenden Positionen im globalen Sportbekleidungsmarkt, der um drei bis fünf Prozent wächst. Die Geschäftstätigkeit wurde in den letzten fünf Jahren erheblich gestrafft, um einer Verlagerung vom Großhandels-Einzelhandel hin zum Direktvertriebsangebot Rechnung zu tragen, bei dem der digitale Vertrieb im Mittelpunkt steht. Diese Verschiebung hat den Markt und die Margen erweitert und die Gesamtqualität des Geschäfts verbessert. Die meisten Wettbewerber haben weder den Markenwert noch das Kapital, um in Marketing zu investieren, um adidas in großem Umfang herauszufordern und ihre Wettbewerbsposition im Laufe der Zeit zu stärken.“ Wem allerdings Einzeltitel zu heiß sind, könnte auf breit gestreute Fonds zurückgreifen, eine Auswahl findet sich in der Tabelle auf Seite 50 und 51.
Europa nach Corona
Die Hoffnung ist groß, dass eine Wiedereröffnung der Wirtschaft die Konjunktur und Aktienmärkte weiter beleben wird. Experten warnen allerdings vor übertriebenem Optimismus. Laut Columbia Threadneedle könnten die Erwartungen an eine Konjunkturerholung überhöht sein. Die Verfassung des Arbeitsmarktes dürfte den Spezialisten zufolge der verlässlichste Indikator für die Binnennachfrage sein. Allerdings werden die Daten von der hohen Zahl von Menschen verzerrt, die in Kurzarbeitsprogrammen beschäftigt sind. Es könnte somit noch einige Zeit dauern, bis das ganze Ausmaß der Arbeitsmarktflaute in der Eurozone sichtbar wird.