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KARTELLRECHT Lockerung im Online- Vertrieb
from masche 03/2021
Die EU-Kommission hat im Juli den Entwurf einer überarbeiteten Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Wettbewerbsbeschränkungen (Vertikal-GVO) und überarbeiteter Vertikal-Leitlinien veröffentlicht. Ab 1. Juni 2022 sind insbesondere im Online-Vertrieb deutliche Lockerungen zu erwarten.
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Die Vertikal-GVO ist für die kartellrechtliche Beurteilung von Vertriebsverträgen im vertikalen Verhältnis - also zwischen Herstellern und Händlern - von grundlegender Bedeutung. Hält nämlich ein Vertriebsvertrag die Vorgaben der Vertikal-GVO ein, ist er kartellrechtlich unbedenklich. Da die geltende Vertikal-GVO zum 31. Mai 2022 ausläuft, hat die EU-Kommission nun einen Entwurf für eine Neuregelung zur Stellungnahme für interessierte Kreise vorgelegt, der insbesondere auch in dem für Textil- und Maschenfirmen wichtigen Bereich des Online-Vertriebs erhebliche praktische Änderungen beinhaltet. Während die Kommission im Grundsatz in der Vergangenheit alles verboten hat, was den Online-Vertrieb beschränkte, wird dieser kartellrechtliche Schutz so wohl nicht mehr aufrechterhalten.
Doppelpreissysteme grundsätzlich möglich
Im Grundsatz dürfen zwar Händler auch weiterhin nicht an der effektiven Nutzung des Online-Vertriebs gehindert werden. Allerdings sollen bspw. Doppelpreissysteme nicht mehr generell als Kernbeschränkung eingeordnet werden. Hersteller könnten demnach Händlern unterschiedliche Preise für Online- und Offline- Verkäufe gewähren, soweit diese Preisdifferenzen die unterschiedlichen Investitionen bzw. Kosten des jeweiligen Vertriebskanals widerspiegeln.
Unterschiedliche Qualitätsanforderungen möglich
Auch dürfen nunmehr unterschiedliche Qualitätsanforderungen an den Online- und den stationären Handel gemacht werden, der bislang geltende Grundsatz der Gleichwertigkeit soll aufgegeben werden. Auch Mengenverkaufsvorgaben für stationäre Geschäfte sollen zulässig werden. Plattformverbote sollen zukünftig unter die Vertikal-GVO fallen und zulässig sein. Der EuGH hatte bislang im sog. „Coty-Urteil“ lediglich zugelassen, dass Hersteller von Luxus- oder Markenprodukten einem Händler vertraglich untersagen können, diese Produkte auf bestimmten Drittplattformen zu verkaufen. Die Einschränkung nur auf Luxus- und Markenprodukte würde hiernach nicht mehr gelten. Allerdings darf der Hersteller den Vertrieb nicht auf solchen Plattformen verbieten, die er selber nutzt.
Alleinvertrieb und dualer Vertrieb
Neben diesen Neuerungen sollen auch weitere Änderungen insbesondere bei den Themen Alleinvertrieb und dem dualen Vertrieb erfolgen. Beim dualen Vertrieb sollen allerdings eher strengere Vorschriften gelten. Die Zunahme von Herstellern, die auch eigene Webshops eröffnen und damit mit den Händlern auch in direktem Wettbewerb stehen, wird zunehmend kritisch betrachtet. War der zweigleisige Vertrieb bislang bis zu einem Marktanteil von 30 % freigestellt soll diese Marktanteilsgrenze nunmehr auf 10 % abgesenkt werden.
Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die zu erwartenden Änderungen ab 01.06.2022 insgesamt für die Vertriebsgestaltung erhebliche praktische Auswirkung haben werden, auch wenn die Kommission den jetzigen Entwurf an der einen oder anderen Stelle vielleicht noch nachbessern wird. Die weitere Entwicklung sollte aufmerksam verfolgt werden, um frühzeitig mögliche neue Freiheiten zu nutzen bzw. entsprechende Umstellungen und Anpassungen vorzunehmen.
Neu geordnet:
Marktüberwachung in Europa
Am 16. Juli 2021 ist die neue europäische Marktüberwachungsverordnung (EU) 2019/1020 (MÜ-VO) in Kraft getreten. Mit ihr wird die behördliche Marktüberwachung für Non-Food Produkte in Europa vollständig harmonisiert.
Stärkere Durchsetzung der Product Compliance
Die mitgliedsstaatlichen Behörden müssen künftig Marktüberwachungsprogramme nach einheitlichen europäischen Standards entwickeln und sind zur grenzüberschreitenden Kooperation sowie zur Gewährung effektiver Amtshilfe verpflichtet. Ein neues Netzwerk, das EU Product Compliance Network (EUPCN), zielt darauf ab, die Koordinierung und Zusammenarbeit zwischen den Marktüberwachungsbehörden in den EULändern zu strukturieren. So sollen Ressourcen gebündelt und die Umsetzung gemeinsamer Durchsetzungsmaßnahmen durch die Behörden der Mitgliedstaaten, wie beispielsweise gemeinsame Ermittlungen, erleichtert werden.
Überwachung des Online-Handels
Die neue MÜ-VO regelt erstmalig nun auch den Online-Handel. Zukünftig sollen online und offline auf dem Markt bereit gestellte Produkte gleichermaßen in der Marktüberwachung berücksichtigt werden. Das ebenfalls zeitgleich in Kraft getretene deutsche Marktüberwachungsgesetz (MüG) stellt in Deutschland zudem durch entsprechenden Verweis auf die neuen EU-Regelungen eine insgesamt einheitliche Marktüberwachung auch bezüglich der wenigen europäisch nicht harmonisierten Non-Food-Produkte sicher. Deutsche Marktüberwachungsbehörden können damit sowohl für europäisch harmonisierte als auch europäisch nicht harmonisierte Produkte bspw. unter falscher Identität Produktproben erwerben, um diese zu überprüfen. Stellen sie ein von einem Produkt ausgehendes ernstes Risiko für Leben und Gesundheit fest, können die Marktüberwachungsbehörden im Rahmen des Gesetzes nunmehr auch Plattformen anweisen, den Zugang zu einschlägigen Webseiten einzuschränken. Auch die in einem Mitgliedstaat verhängten Vertriebsverbote können andere Mitgliedstaaten künftig ohne weitere Ermittlungen ebenfalls verhängen.
Neues Projekt „REACH4Textiles“ gestartet
Im Bereich der Textilien war die Marktüberwachung für die Behörden schon immer schwierig. Allein der Bekleidungsbereich mit jährlich 28 Mrd. Bekleidungsstücken, von denen 80 Prozent aus Drittländern in die EU eingeführt werden, ist sowohl hinsichtlich der Überprüfung der ordnungsgemäßen Textilkennzeichnung als auch der REACH-Konformität eine Herausforderung. Daher hat die EU-Kommission ein Projekt ins Leben gerufen, das in den nächsten drei Jahren Lösungen für eine faire und effektive Marktüberwachung von Textilerzeugnissen liefern soll. Unter dem Titel Reach4Textiles hat das Projektteam, zu dem auch der Gesamtverband textil+mode und der europäische Textil- und Bekleidungsindustrieverband EURATEX gehören, am 15. September 2021 seine Tätigkeit aufgenommen.
REACH4Texiles soll den Austausch zwischen EU-Ländern über bewährte Verfahren der Marktüberwachung fördern, effiziente Ansätze gegen nicht konforme Produkte auch unter Berücksichtigung der Verkehrswege ermitteln und letztlich durch ein effektives EU-weites Kontrollsystem eine wirksamere Überwachung und gleiche Wettbewerbsbedingungen schaffen, insbesondere im Falle von importierten Produkten.
REACH4Texiles: Kernziele
→ Nicht konforme Produkte vom EU-Binnenmarkt fernhalten
→ Fähigkeiten und Wissen verbessern
→ Unterstützung eines Netzwerks zum Thema
Chemikalien in Textilien und zur Anwendung der
EU-Verordnung 2019/1020
RA Kai-Uwe Götz, goetz@gesamtmasche.de
Gut fürs Klima: Natürlich Baumwolle!
Im Fashion on Climate Report 2020 schreibt McKinsey der Mode- und Schuhindustrie 4 Prozent der globalen Emissionen zu. Um das 1,5-GradKlimaziel zu erreichen, müsse die Branche ihre CO2-Emissionen bis 2030 um die Hälfte reduzieren. Nun unterstreicht eine neue Studie: Baumwolle ist einer der Schlüssel zu einer klimafreundlichen Textil- und Modebranche.
Baumwolle bindet CO2 effektiver als andere Nutzpflanzen
Die Baumwollpflanze wirkt sich auf dem Acker klimapositiv aus: Sie absorbiert CO2 in einem Maß, das die Emissionen bei nachfolgenden Verarbeitungsstufen mehr als ausgleicht. Das unterstreicht eine kürzlich veröffentlichte wissenschaftliche Arbeit von Kai Hughes (3/2021), Leiter des International Cotton Advisory Committee (ICAC). „Dass der ökologische Anbau weniger CO2 verursacht als der konventionelle, ist bekannt“, sagt Roland Stelzer, der als Geschäftsführer der Biobaumwoll-Marke Cotonea seit über 30 Jahren die Wissenschaft verfolgt. „Aber so eine phänomenale Bilanz fürs Klima ist auch mir neu.“
Baumwolle und Flachs haben im Klima-Ranking die Nase vorn
Die Baumwollpflanze enthält mehr Zellulose als andere Agrarpflanzen. Der Prozess der Zellulosebildung ist maßgeblich für die Aufnahme von CO2 verantwortlich. Das ICAC hat eine Vergleichsuntersuchung zu acht häufig verwendeten Fasern vorgenommen. Nylon verursacht im Vergleich zu anderen Fasern am meisten Treibhausgase, Baumwolle hingegen am zweitwenigsten. Nur die Flachsfaser soll das Klima noch mehr schonen. „Allerdings muss Flachs für die Fasergewinnung energieintensiv aufgebrochen werden, was bei der Baumwolle entfällt“, merkt Roland Stelzer an.
Cotonea hat 2020 1,26 Millionen kg CO2 gebunden
Es klingt phantastisch: Die Baumwolle, die für eine Fasermenge von 1 kg benötigt wird, absorbiert über 2,5 kg CO2. Cotonea konnte folglich bei der Baumwollherstellung im vergangenen Jahr 1.260 Tonnen CO2 binden. Gleichzeitig bedroht der Klimawandel gerade auch den Baumwollanbau: „In Uganda, wo eines unserer Baumwollanbau-Projekte liegt, beobachten wir seit fünf Jahren eine Verstärkung der Wetterextreme und Ernteausfälle durch steigende Regenmengen.“
Klasse statt Masse
Wollte man bei Fast Fashion-Massenware auf Baumwolle umstellen, würden die vorhandenen Anbauflächen bei weitem nicht ausreichen. Die Lösung sind haltbare Textilien aus Baumwolle. „Wir schonen bei unseren Prozessen nicht nur das Klima, sondern nachweislich auch die Artenvielfalt, die Bodenfruchtbarkeit, das Grundwasser, verzichten auf Pestizide sowie gentechnisch veränderte Organismen – und erfüllen viele weitere grundlegende Aspekte des Umweltschutzes und fairen Handels entlang der kompletten Lieferkette. Biolandbau ist in Sachen Bodenvitalität und CO2-Bindung im Boden der konventionellen Landwirtschaft deutlich überlegen.“ www.cotonea.de
„Den ökologischen Fußabdruck der Modeindustrie verursacht größtenteils Fast Fashion aus synthetischen Materialien und der damit verbundene Wegwerfkonsum.“
Roland Stelzer, Geschäftsführer cotonea
Handgepflückt: Biobaumwolle für cotonea aus Kirgistan.
Bild: © Cotonea Traditioneller Transport: Biobaumwolle aus Uganda für Cotonea-Produkte.
Bild: Klaus Mellenthin