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Recht
Neue kartellrechtliche Beurteilung von Vertriebsverträgen
Die EU-Kommission hat im Juli den Entwurf einer überarbeiteten Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Wettbewerbsbeschränkungen (Vertikal-GVO) und überarbeiteter Vertikal-Leitlinien veröffentlicht. Ab 1. Juni 2022 sind insbesondere im Online-Vertrieb deutliche Lockerungen zu erwarten. Die Vertikal-GVO ist für die kartellrechtliche Beurteilung von Vertriebsverträgen im vertikalen Verhältnis - also zwischen Herstellern und Händlern - von grundlegender Bedeutung. Hält nämlich ein Vertriebsvertrag die Vorgaben der Vertikal-GVO ein, ist er kartellrechtlich unbedenklich. Da die geltende Vertikal-GVO zum 31. Mai 2022 ausläuft, hat die EU-Kommission nun einen Entwurf für eine Neuregelung zur Stellungnahme für interessierte Kreise vorgelegt, der insbesondere auch in dem für Textil- und Maschenfirmen wichtigen Bereich des Online-Vertriebs erhebliche praktische Änderungen beinhaltet. Während die Kommission im Grundsatz in der Vergangenheit alles verboten hat, was den Online-Vertrieb beschränkte, wird dieser kartellrechtliche Schutz so wohl nicht mehr aufrechterhalten. Doppelpreissysteme grundsätzlich möglich Im Grundsatz dürfen zwar Händler auch weiterhin nicht an der effektiven Nutzung des Online-Vertriebs gehindert werden. Allerdings sollen bspw. Doppelpreissysteme nicht mehr generell als Kernbeschränkung eingeordnet werden. Hersteller könnten demnach Händlern unterschiedliche Preise für Online- und OfflineVerkäufe gewähren, soweit diese Preisdifferenzen die unterschiedlichen Investitionen bzw. Kosten des jeweiligen Vertriebskanals widerspiegeln. Unterschiedliche Qualitätsanforderungen möglich Auch dürfen nunmehr unterschiedliche Qualitätsanforderungen an den Online- und den stationären Handel gemacht werden, der bislang geltende Grundsatz der Gleichwertigkeit soll aufgegeben werden. Auch Mengenverkaufsvorgaben für stationäre Geschäfte
sollen zulässig werden. Plattformverbote sollen zukünftig unter die Vertikal-GVO fallen und zulässig sein. Der EuGH hatte bislang im sog. „Coty-Urteil“ lediglich zugelassen, dass Hersteller von Luxus- oder Markenprodukten einem Händler vertraglich untersagen können, diese Produkte auf bestimmten Drittplattformen zu verkaufen. Die Einschränkung nur auf Luxus- und Markenprodukte würde hiernach nicht mehr gelten. Allerdings darf der Hersteller den Vertrieb nicht auf solchen Plattformen verbieten, die er selber nutzt. Alleinvertrieb und dualer Vertrieb Neben diesen Neuerungen sollen auch weitere Änderungen insbesondere bei den Themen Alleinvertrieb und dem dualen Vertrieb erfolgen. Beim dualen Vertrieb sollen allerdings eher strengere Vorschriften gelten. Die Zunahme von Herstellern, die auch eigene Webshops eröffnen und damit mit den Händlern auch in direktem Wettbewerb stehen, wird zunehmend kritisch betrachtet. War der zweigleisige Vertrieb bislang bis zu einem Marktanteil von 30 % freigestellt soll diese Marktanteilsgrenze nunmehr auf 10 % abgesenkt werden. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die zu erwartenden Änderungen ab 01.06.2022 insgesamt für die Vertriebsgestaltung erhebliche praktische Auswirkung haben werden, auch wenn die Kommission den jetzigen Entwurf an der einen oder anderen Stelle vielleicht noch nachbessern wird. Die weitere Entwicklung sollte aufmerksam verfolgt werden, um frühzeitig mögliche neue Freiheiten zu nutzen bzw. entsprechende Umstellungen und Anpassungen vorzunehmen.
03 | 2021
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