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WALD VOLLER WUNDER
Wir alle kennen und nutzen ihn, aber schätzen wir ihn auch genug? Der Wald ist nicht nur Lebensraum für zahlreiche Tier-, Pflanzen- und Pilzarten, sondern auch Klimaschützer und Erholungsort. Er schenkt uns Kraft, Ruhe, Luft und Leben – und genau deshalb möchten wir Sie einladen, seinen Wert wieder neu zu entdecken.
DIE BESTE ZEIT, EINEN BAUM ZU PFLANZEN, WAR VOR 20 JAHREN. DIE NÄCHSTBESTE ZEIT IST JETZT.
Alexei Andrejewitsch Araktschejew (1769–1834) S ind Sie gern im Wald? Vielleicht gehören Sie sogar zu den knapp 60 Prozent der Deutschen, die dort mindestens einmal im Monat oder öfter unterwegs sind – vor allem zum Spazieren, um einfach die Natur zu genießen oder Tiere zu beobachten. Platz gibt es dafür genug, denn Deutschland besteht zu rund einem Drittel aus Wald und ist damit eines der waldreichsten Länder in Europa. Seit Corona dürfte die individuelle Frequenz der Waldbesuche bei vielen Menschen gestiegen sein: Wälder wurden zum konstanten Kraftort, zum Bewegungsparcours, zum Spielplatz. Egal wie gestresst wir gerade noch waren, sobald wir im Wald das feine Knacken von Zweigen, das vertraute Rascheln des Laubes und den herben Geruch des lockeren Bodens wahrnehmen, fühlen wir uns im wahrsten Sinne des Wortes geerdet. Diese beruhigende und heilsame Wirkung des Waldes ist nicht nur spürbar, sondern sogar wissenschaftlich bewiesen.
Der Wald ist außerdem Heimat für Pilze, Insekten und Säugetiere; er fungiert als natürlicher Hüter für alles Leben, als Mittler zwischen Menschen, Tieren und Pflanzen. In stoischer Geduld und natürlicher Perfektion zeigt er uns, dass Wachstum, Vergänglichkeit und Erneuerung ganz selbstverständlich zum Leben dazugehören. Er ist aber nicht nur Lebensraum und Erholungsort, sondern auch ein von Menschen geprägter Wirtschaftswald: Holz ist ein wertvoller und nachhaltiger Rohstoff für die Bauindustrie und die Energiegewinnung. Was viele nicht wissen: In der Forst- und Holzindustrie sind mehr als eine Million Menschen beschäftigt – mehr als in der Automobilindustrie. Trotz oder gerade wegen seiner oft unterschätzten Rolle als Wirtschaftsfaktor und auch als Klimaschützer geht es darum, den Wald sinnvoll zu bewirtschaften und gleichzeitig seine biologische Vielfalt zu erhalten. Vielerorts wird offensichtlich, wie sehr eine einst natürliche Ordnung aus dem Gleichgewicht geraten ist – infolge des Klimawandels setzen vor allem Trockenheit, Stürme und Schädlinge unseren Wäldern zu. Ziel der nachhaltigen Waldwirtschaft ist es, wieder mehr Mischwälder entstehen zu lassen, die in ihrer Gesamtheit widerstandsfähiger sind.
Und was können wir noch tun, um unsere Wälder zu schützen und für die nachfolgenden Generationen zu erhalten? Das erklärte Ziel vieler Naturschützer ist, die Menschen dem Wald wieder näherzubringen – im wahrsten Sinne des Wortes. Die Überlegung: Wenn wir den Wald wieder neu entdecken, erkennen wir seinen Wert – und setzen uns viel eher dafür ein, ihn zu bewahren. Denn er erinnert uns daran, dass wir alle ein Teil von etwas Größerem sind. Dass es von unseren heutigen und zukünftigen Entscheidungen abhängt, wie der Wald, die Natur, die Welt in den kommenden Jahrzehnten aussehen werden. Was wir vom Wald lernen und wo wir heute direkt anfangen können, erfahren Sie in diesem Dossier – wir wünschen Ihnen eine interessante und inspirierende Lektüre. ›
INTERVIEW
3 FRAGEN AN Förster und Revierleiter Carl Weber
WAS MACHT EIGENTLICH EIN FÖRSTER? Meine Hauptaufgaben als Förster sind, nach Borkenkäfer-geschädigten Bäumen zu schauen und die Holzernte zu organisieren. Derzeit ist jedoch eine der wichtigsten Aufgaben die Verkehrssicherung. Da in den letzten Jahren viele Bäume abgestorben sind, müssen wir die Straßen und Waldwege sichern, damit von den absterbenden Bäumen keine Gefahr ausgeht. Außerdem gehören die Jagd und der Naturschutz zu meinen Tätigkeiten.
WIE GEHT’S DEM DEUTSCHEN WALD? In den letzten drei Jahren war unser Wald großer Hitze ausgesetzt und es gab wenig Niederschlag in der Vegetationsphase, sprich in der Zeit, in der der Wald eigentlich am meisten wächst. Das hat den Bäumen schwer zu schaffen gemacht. Wenn der Baum durch Trockenheit geschwächt ist, wird er zusätzlich von Schädlingen befallen, zum Beispiel Borkenkäfern. Borkenkäfer bohren sich unter die Rinde des Baums und legen dort ihre Eier ab. Die Larven fressen unter der Rinde den Baum kaputt und unterbinden so den Wasser- und Nährstofftransport. Dadurch stirbt der Baum ab und es kommt zu flächendeckendem Baumsterben. Alles in allem kann man also sagen: Dem deutschen Wald geht es nicht gut. Allerdings haben die vielen Regentage in diesem Jahr den jungen Bäumen sehr gutgetan – für ältere, bereits geschwächte Bäume kamen die Niederschläge jedoch zu spät.
Die Larven der Borkenkäfer fressen unter der Rinde den Baum kaputt.
WIE WIRD DER WALD GESCHÜTZT? Wir versuchen Bäume, die vom Borkenkäfer befallen sind, frühzeitig zu erkennen, zu fällen und aus dem Wald zu transportieren. So kann sich der Borkenkäfer nicht weiter ausbreiten und weitere Bäume befallen. Der Abtransport befallener, gefällter Bäume ist jedoch nicht immer möglich. Ist das der Fall, wird das Holz mit Insektiziden behandelt, um den Borkenkäfer zum Absterben zu bringen und die Bäume beziehungsweise den Wald zu schützen. Aber auch in der Bepflanzung gibt es ein Umdenken. Es werden vermehrt Bäume gepflanzt, die besser mit Trockenheit zurechtkommen. Es laufen Versuche mit der Anpflanzung südländischer Baumarten, allerdings ist die Pflanzung fremdländischer Baumarten in Deutschland begrenzt. Was jedoch bereits forciert wird, ist die sogenannte Naturverjüngung. Hierbei verjüngen und vermehren sich die Bäume von selbst. Ein selbstgewachsener Baum ist immer besser an den Standort angepasst und hat eine bessere Wurzelentwicklung als Bäume, die aus einer Baumschule gepflanzt und deren Wurzeln beim Umpflanzen unterschnitten werden.
IN EINER HANDVOLL WALDBODEN GIBT ES MEHR LEBEWESEN ALS MENSCHEN AUF DER ERDE: RUND 8 MILLIARDEN
PILZE, BAKTERIEN UND BODENTIERE.
RUND 1200
PFLANZENARTEN WACHSEN IN DEUTSCHEN WÄLDERN.
DIE DEUTSCHEN WÄLDER ENTLASTEN DIE ATMOSPHÄRE FRÜHER WAR MEHR WALD Doch das kann sich wieder ändern, denn trotz negativer Nachrichten über
JÄHRLICH UM den Zustand des deutschen Waldes 127 MILLIONEN gibt es auch Lichtblicke – vor allem weil man vermehrt auf die Vielfalt der Baumarten und ihrer Gene setzt. Damit der Wald in Zukunft bestehen kann, braucht es Baumarten, die
TONNEN CO2. unterschiedlichen Anforderungen standhalten und resistent sind, wie Douglasie, Bergahorn, Eiche und Lärche. Zudem hat jede Art ihre eigene hohe genetische Vielfalt – so ist Fichte nicht gleich Fichte, Eiche nicht gleich Eiche. Wissenschaftler erforschen gerade die Genetik besonders starker und resistenter Baumarten. Deren Erbgut soll dann auf die Erbanlagen heranwachsender Pflanzen kopiert werden, sodass aus ihnen ebenso resistente Bäume werden, mit denen der Wald der Zukunft aufgeforstet werden kann. Auch der Standort der Baumarten wird zukünftig besser an ihre jeweiligen Bedürfnisse und mögliche Bedrohungen angepasst; beispielsweise wird eine empfindliche Art wie die Fichte an vor Sturm und Unwetter geschützte Standorte gepflanzt. Durch diese individuelle Anpassung wird auch das Dürrerisiko gesenkt. Unser Wald wird sich also verändern, damit er auch in Zukunft erhalten werden kann. Er wird aus mehr Laub- und dafür weniger Nadelbäumen bestehen, viel Arbeit, Hoffnung und auch Geduld kosten; und bis diese Änderungen vollbracht sind, werden 100 oder gar 150 Jahre vergehen. Aber der Schlüssel zur Rettung des Waldes ist da.
Wald-Apps
„Naturblick“ kann neben Vogelstimmen auch Amphibien, Insekten und Säugetiere bestimmen.
„PlantNet“ hilft, anhand eines Fotos Pflanzen zu identifizieren.
„Die Waldfibel“ liefert verschiedene Informationen zum Lebensraum Wald.
Die häufigsten Bäume im deutschen Wald
25 % FICHTE
22 % KIEFER
15 % BUCHE
10 % EICHE
4,5 % BIRKE
O Tannenbaum – oder doch nicht?
Hätten Sie’s gewusst? Braune Zapfen auf dem Waldboden sind in der Regel gar keine Tannen-, sondern Fichten- oder Kiefernzapfen. Bei der Tanne „stehen“ die länglichen Zapfen auf den Zweigen, wachsen also nach oben statt nach unten – und fallen auch nicht vom Baum. Die länglichen Fichtenzapfen wachsen hängend, Kiefernzapfen sind deutlich rundlicher und „holziger“.
Kiefer
Fichte Tanne
DA LIEGT WAS IN DER WALDLUFT Ein Ausflug in den Wald kann eine enorme Wirkung auf unsere Gesundheit haben: Der Aufenthalt zwischen Bäumen reduziert nämlich nachweislich Stress, senkt den Blutdruck und entspannt die Muskeln, was sich positiv auf Herz, Hirn und den gesamten Körper auswirkt. Seinen Ursprung hat das sogenannte Waldbaden als „Shinrin Yoku“ in Japan, wo das Spazieren unter Bäumen fester Bestandteil des staatlichen Gesundheitssystems ist. Dort gibt es Waldmedizin sogar als spezifisches Fachgebiet und Waldbaden auf Rezept. Wichtig dabei ist, die Natur so passiv wie möglich auf alle Sinne wirken zu lassen und sich so bewusst in die Verbindung zur Natur zu vertiefen. Das gelingt durch achtsame Bewegung sowie ruhige, tiefe Atmung, ohne die Aufmerksamkeit dabei auf etwas Bestimmtes zu richten.
Doch es muss nicht einmal unbedingt ein langer Spaziergang unter Blättern sein: Forscher des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin haben herausgefunden, dass die Wirkung umso intensiver eintritt, je näher Menschen in Waldnähe wohnen. Verantwortlich dafür sind ätherische Öle, Terpene und andere Aromastoffe, die der Wald abgibt, um sich vor Schädlingen zu schützen. Doch was Insekten, Pilze und Bakterien abhält, beeinflusst unseren Körper glücklicherweise positiv, indem wir diese Stoffe über unsere Atmung oder Haut aufnehmen. Auch in Deutschland nutzen bereits erste Kliniken den Wald als Therapiehilfe, denn er soll nicht nur präventiv wirken, sondern auch zur Heilung bei verschiedenen Erkrankungen beitragen.
WALD-KNIGGE
∙ Achtsam verhalten und somit Pflanzen und Tiere schonen: keine Äste abknicken oder Rinden einritzen, Rückzugsräume der Tiere respektieren. ∙ Maßvoll mitnehmen: Sie dürfen Blumen,
Beeren, Nüsse und Pilze, sofern sie nicht geschützt sind, in kleinen Mengen für den privaten Gebrauch pflücken oder sammeln (sogenannte „Handstraußregelung“). ∙ Hunde anleinen. ∙ Nicht rauchen und kein Feuer machen.
In die Natur gehört KEIN Abfall!
So lange kämpft der Wald mit unserem Müll, bis er abgebaut ist:*
Bananenschale: 3 Jahre
Papiertaschentuch: 5 Jahre
Zigarettenkippe: 10 Jahre
To-go-Becher: 50 Jahre Plastiktüte: 20 Jahre
PET-Flasche/ Getränkedose: 450–500 Jahre Glas: 5000 Jahre
* Die Angaben sind Durchschnittswerte, denn die Zeit, die der Abbau von Abfällen in der Natur benötigt, kann je nach Niederschlag, Temperatur, Bodenbeschaffenheit, Bakterien etc. schwanken.
Rund zwei Drittel der weltweit bekannten 1,6 Millionen Pflanzen-, Tier- und Pilzarten kommen in Wäldern vor – so viele wie in keinem anderen Lebensraum.
mio-online
Ob Märchenwald, Biosphärenreservat oder (K)Urwald: Wir stellen Ihnen die schönsten Waldgebiete Deutschlands zum Wandern, Staunen und Erholen vor. www.mio-online.de/wald
Kleine Walderlebnisse
TIPPS FÜR KIDS Kleine Naturfreunde bewegen sich natürlich am besten einfach selbst im Wald – aber auch online gibt’s jede Menge kostenlose Materialien zum spielerischen Kennenlernen: Poster, Broschüren, Memory und mehr. www.waldkulturerbe.de/waldmaterialien
DER BAUMFLÜSTERER
Peter Wohlleben ist Deutschlands wohl bekanntester Förster – mit eigenem Buch, Podcast, Zeitschrift und Waldakademie. www.wohllebens-waldakademie.de
Psst: Suchen Sie sich ein ruhiges Plätzchen etwas abseits der Waldwege, setzen Sie sich auf den Waldboden und schließen Sie zwischendurch auch mal die Augen. Nehmen Sie den Wald wahr: Was hören Sie? Und was können Sie beobachten?
Mal von oben: Einen spannenden Perspektivenwechsel bietet ein Baumkronenpfad: Auf Augenhöhe mit den höchsten Wipfeln des Waldes sind Sie mittendrin im Lebensraum von Eichhörnchen und Specht.
Auf der Spur: Vielleicht gibt es in Ihrer Nähe Erlebnis- oder Lehrpfade mit Hinweistafeln und Stationen zum spielerischen und sportlichen Erleben des Waldes. Oder die ganze Familie geht auf Tour mit dem Förster oder einem anderen Waldexperten – bei einer Vogel- oder Pilzwanderung können wir alle viel Neues über unsere heimische Natur erfahren.
Waldbuch: Wie wäre es, alle Sinneswahrnehmungen in ein schönes Buch oder Heft einzutragen, zu zeichnen oder zu malen? Es kann natürlich auch mit Blättern oder anderem Waldsammelwerk verziert werden.
Waldkunstwerke: Beim nächsten Spaziergang einfach Blätter, Äste, Steine oder sogar leere Schneckenhäuser, die auf dem Boden liegen, sammeln und daraus Skulpturen bauen – entweder direkt im Wald oder zu Hause. Das macht auch den Kleinsten Spaß!
BUCHTIPP
„Das Waldbuch. Alles, was man wissen muss, in 50 Grafiken“ von Esther Gonstalla
Wie spannend und raffiniert das Ökosystem Wald ist, zeigt Esther Gonstalla genauso verständlich wie anschaulich: Mit zahlreichen Fachleuten hat die Autorin alle wichtigen Zahlen, Fakten und Aspekte in Infografiken umgewandelt und zeigt so, was unsere Wälder leisten, welchen Gefahren sie ausgesetzt sind und wie man sie schützen kann.
Oekom-Verlag, 24,00 € ISBN: 978-3-96238-211-7