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Familienzuwachs

Family Affair

Auch Grosseltern verlieben und verbinden sich neu. Zu leiblichen Kindern und Enkelkindern kommen Stiefkinder und Stiefenkel hinzu. Alles wird etwas lauter und bunter. DOSSIER Wird es auch komplizierter?

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Die Patchwork-Familie von Markus Iseli (67) und Catherine Schuppli (68) aus Windisch (AG). Zusammengezählt haben sie sieben Kinder im Alter zwischen 35 und 44 Jahren und 11 Enkelkinder zwischen 1 und 15 Jahren. Nicht abgebildet ist der Partner von einer von Markus’ Töchtern sowie die beiden Töchter von Catherine. Eine von ihnen lebt mit ihrer Familie im Ausland.

Das Bild wurde coronabedingt in zwei Gruppen aufgenommen und digital zusammengeführt.

Von KARIN DEHMER (Redaktion, Aufgezeichnet) und KRISTINA REISS (Text) und TIBOR NAD (Fotos)

Menschen leben zusammen, trennen sich und verlieben sich neu. Daraus entstehen unter Umständen zusammengewürfelte Gemeinschaften: Patchworkfamilien. Laut Bundesamt für Statistik gehören sechs Prozent der Schweizer Familienhaushalte mit Kindern unter 25 Jahren zu dieser Familienform – Tendenz steigend. Glaubt man Prognosen, wird in etwa zwanzig Jahren die Patchworkfamilie die in der Schweiz häufigste Lebensform sein. Auch Grosseltern müssen in diesem Geflecht ihren Platz finden. Denn bevor es zu einer Patchwork-Konstellation kommt, bricht zunächst eine Familie auseinander – zu der sich auch Grosseltern einst zugehörig fühlten. Deshalb geht die Trennung an ihnen ebenfalls nicht spurlos vorüber. Sie verlieren Schwiegertochter oder -sohn, sehen manchmal ihre Enkel kaum noch, haben aber dafür vielleicht plötzlich Stiefenkel. «Das Schwierigste ist, wenn Grosseltern in solchen Situationen ihre erwachsenen Kinder immer noch wie Kinder behandeln und auf sie einreden – im Sinne von «ihr müsst euch wieder versöhnen» oder «trennt euch endlich», sagt der Psychotherapeut Thomas Hess. Zusammen mit seiner Partnerin Claudia Starke, ebenfalls Psychotherapeutin, berät er in ihrer gemeinsamen Praxis in Männedorf und Wädenswil (ZH) Familien in Trennungssituationen; das Paar lebt selbst in einer Patchworkfamilie. «Grosseltern sollten als wichtige Ressource für die Enkel da sein, sich aber aus der Beziehung der eigenen Kinder komplett heraushalten», findet Starke, «was natürlich sehr schwierig ist.» Doch insbesondere in den ersten ein bis drei Jahren sei das System einer neuen Patchworkfamilie noch sehr fragil und vertrage wenig Einmischung von aussen. Aber ist es in Ordnung, weiter in Verbindung mit der Ex-Schwiegertochter zu bleiben, mit der man sich immer gut verstanden hat – auch wenn das dem eigenen Sohn missfällt? Oma und Opa sollten hier äusserst sorgsam vorgehen, empfiehlt Starke. Und vor allem nicht hinter dem Rücken Kontakt zu Ex-Partnern aufbauen. «Nichts ist schlimmer für die neue Patchworkfamilie, als wenn sich Grosseltern gegen die eigenen Kinder stellen, um die Verbindung zu den Enkeln nicht zu verlieren.» Eine Trennung der Eltern kann allerdings auch einen Keil zwischen Enkel und Grosseltern treiben: Wenn der Nachwuchs sich etwa auf die Seite der Mutter schlägt, die Grosseltern jedoch den Vater – ihren Sohn – unterstützen. «Es liegt in der Natur der Dinge, dass Eltern meist für ihr Kind Partei ergreifen», gibt Thomas Hess zu bedenken. Genauso stellten sich Kinder häufig hinter das schwächere Elternteil. Wichtig für Grosseltern, denen am Kontakt zu ihren Enkel liegt, sei es deshalb, auf keinen Fall Partei zu ergreifen – selbst wenn die Schwiegertochter den geliebten Sohn verlassen oder der Schwiegersohn ein Doppelleben geführt hat. «Denn Kinder – in diesem Fall die Enkel – können es nicht aushalten, wenn Mama oder Papa abgelehnt werden», sagt Claudia Starke. Für das Therapeutenpaar Starke und Hess ist klar: «Grosseltern helfen Enkeln am besten, indem sie eine verlässliche Grösse für sie sind und ihnen Sicherheit geben – gerade, wenn die Eltern sich getrennt haben.» Dies sei auch die grosse Chance von Grosseltern: «Den Kindern eine Konstante bieten in einer sehr unsicheren Zeit, in der scheinbar alles andere zusammenbricht.» Waren es bisher oft Väter, die nach einer Trennung darum kämpfen mussten, ihren Nachwuchs zu sehen, trifft diese Sorge zunehmend auch Grosseltern – wenn ihnen beispielsweise Ex-Schwiegersohn oder -tochter den Kontakt zu den Enkeln verweigert. Haben Grosseltern ein Recht auf ihre Enkel? «Nein», sagt Therapeut Hess, «auf vermeintliche Rechte zu pochen, ist da auch kein guter Ansatz.» Hingegen seien die leiblichen Eltern immer der Schlüssel zu den Enkelkindern. Konkret heisst das: Versuchen den Kontakt zu halten, nicht nachlassen. Mehr könnten Grosseltern nicht tun.

OMAS NEUER Und wie ist es, wenn Oma und Opa getrennte Wege gehen, sich neu verlieben und so zu den eigenen Enkeln plötzlich Stiefenkel hinzukommen? Sich und den Kindern Zeit lassen, nichts überstürzen, empfiehlt Claudia Starke. «Die neuen Stiefgrosseltern sollten in erster Linie zuwarten – sich anbieten, aber nicht anbiedern.» Und vor allem nicht in Konkurrenz zu den leiblichen Grosseltern treten. Dazu gehöre auch, dass das neue Paar nicht immer im Doppelpack erscheine, der Grossvater auch mal ohne die neue Partnerin die Kinder hüte. Die Psychotherapeutin weiss, wovon sie spricht, hat sie doch selbst vier «Stenkel», wie sie ihre Stiefenkel nennt. Stiefgrosseltern rät sie, offen auf die Eltern der hinzugewonnenen Enkel zuzugehen, zu fragen «Wie stellt ihr euch das vor?» «Möchtet ihr, dass ich beim Geburtstag dabei bin oder ist es dafür noch zu früh?». Ihr Partner Thomas Hess ergänzt: «Für eine gute Beziehung zwischen Stiefgrosseltern und Enkeln ist es matchentscheidend, wie die erwachsenen Kinder mit der neuen Partnerschaft ihrer Eltern umgehen. «Zu den leiblichen Enkeln haben viele Grosseltern einfach einen anderen Bezug – und das ist auch völlig in Ordnung.» Gehe es darum, Zeit zu verteilen, dürften diese ruhig ein bisschen mehr bekommen. Trotzdem sollten Stiefenkel nicht leer ausgehen. «Man muss die Balance finden. Manchmal hilft es auch, getrennt mit Patchwork- und leiblichen Enkeln Zeit zu verbringen.» •

Will man es genau nehmen, ist Andrea die Stief-Schwiegertochter von Catherine. Aber wen interessiert das schon im Alltag?

«ES BRAUCHT EIN BEWUSSTSEIN FÜR DIE ROLLE, DIE EINEM ZUSTEHT»

CATHERINE SCHUPPLI (68) UND MARKUS ISELI (67) SIND SEIT 17 JAHREN EIN PAAR. STATT GEMEINSAMER WEIHNACHTEN VERBRINGEN SIE MIT IHRER PATCHWORK-FAMILIE EINMAL IM JAHR EIN WOCHENENDE IN DEN BERGEN.

Markus: Mein jüngstes Kind war 17, als meine erste Frau und ich uns getrennt haben. Wir galten als eine Art Vorzeigepaar, zumindest kam unsere Trennung als grosse Überraschung für unser Umfeld, natürlich auch für die vier Kinder. Erstaunlicherweise haben sie trotzdem relativ gelassen reagiert. Als ich mit Catherine zusammenkam, war es dann anfänglich doch nicht nur einfach. Catherine: Mein erster Mann und Markus sind miteinander verwandt. Markus hat am Anfang meiner Ehe als Student kurze Zeit bei uns gewohnt. Es war nicht so, dass unsere beiden Familien eine enge Freundschaft pflegten, aber man kannte sich. Markus: Ich würde nicht sagen, dass uns dieser Umstand am Anfang geholfen hat. Es war vor allem für unsere Ex-Partner eher befremdend, dass ~ausgerechnet wir nun ein Paar waren.

Catherine: Mein Jüngster war 19 bei der Trennung. Anders als bei Markus zeichnete sich diese schon längere Zeit ab. Meine drei Kinder begegneten denn auch dem Umstand, dass Markus mein neuer Partner ist, von Anfang an offen. Wobei man sagen muss, dass meine Tochter, die damals schon in Deutschland lebte, es als schwierig empfand – und es immer noch tut –, bei Besuchen in der Schweiz nun noch mehr Ansprüchen gerecht werden zu müssen. Für sie bedeutet die Trennung ihrer Eltern ein konstantes Abwägen, wen sie besucht, wem sie mehr Zeit einräumt. Leider kann man ihr diese Zerrissenheit kaum abnehmen. Markus: Überhaupt, dieses Gefühl der Zerrissenheit schwingt für die Kinder immer mit. Es ist gleich, ob sie erwachsen sind oder noch klein. Bei Geburtstagen oder Hochzeiten kann sich das deutlich zeigen. Als eine meiner Töchter heiratete, fragte sie ihre Mutter, ob es okay wäre, wenn Catherine dabei sei. Sie sagte, es wäre ihr wohler, wenn sie nicht käme. Dieselbe Frage stellte sich bei der Hochzeit von Catherines mittlerer Tochter. Sie löste es anders. Sie sagte: «Es ist meine Hochzeit und ich entscheide, wen ich einlade.»

DIE ENKEL ENTSPANNEN DAS VERHÄLTNIS

Catherine: Es kam der Punkt, da haben wir beide realisiert, dass wir unseren Kindern diese Entscheidungen abnehmen müssen. Dass es Sache von uns Eltern und nicht die der Kinder ist. Inzwischen haben wir ein entspanntes Verhältnis untereinander. Wir können gemeinsam an Festen teilnehmen und laden uns gegenseitig ein. Markus: Wir haben mit unseren ehemaligen Partnern die Problematik thematisiert. Schliesslich haben dann die Zeit und vor allem die Enkelkinder den Umgang miteinander entspannt. Wir haben jetzt einen Familienchat, in dem meine erste Frau, die Kinder und Enkel von meiner Seite drin sind. Catherine: Auf meiner Seite gibt es auch einen solchen Chat, aber den nutzen wir nicht so rege. Wo sich allerdings beide Familien kreuz und quer austauschen, ist im «Umzugs-Chat». Da sind dann auch noch Tanten und Götti und Onkel von verschiedener Seite drin. Immer, wenn jemand umzieht und etwas loswerden will, stellt man es in den Chat. Es entsteht eine Art Austausch-Teppich, ein laufendes Netzwerk beider Familien. Markus: Nachdem wir zusammengezogen sind, wurde Weihnachten zu einem Knackpunkt. Wir haben wie gewohnt unsere Kinder und damals das erste Enkelkind zum Fest eingeladen. Bald realisierten wir, dass das für alle zusätzlichen Stress bedeutete. Die, die schon eine eigene Familie hatten, wollten auch für sich feiern, wollten mit uns feiern, wollten mit dem anderen Elternteil und dann auch noch mit der Schwiegerfamilie, die teilweise auch aus getrennt lebenden Eltern besteht, feiern. Wir beschlossen, unseren Kindern einen Teil dieser Zerreissprobe abzunehmen, indem wir auf gemeinsame Weihnachten verzichten. Nun laden wir sie einmal pro Jahr zu einem Familientreffen irgendwo in den Bergen ein. Catherine: Das braucht jeweils etwas Organisation. Aber wir haben den Eindruck, dass sich alle immer auf das Treffen freuen. Zu sehen, wie gut sich unsere Kinder und nun auch die Enkelkinder verstehen, ist sehr schön. Ein Sohn meiner Tochter und ein Enkel von Markus lieben sich heiss und stehen auch unter dem Jahr im Austausch. Wir haben uns ziemlich befreit von Bildern, wie eine optimal gelebte Familienzeit auszusehen hat, wie oder welche Feiertage miteinander verbracht werden sollten. Unser Kontakt zu allen Kindern und Enkelkindern ist gut. Das ist alles, was zählt.

KONKURRENZSITUATIONEN VERMEIDEN

Markus: Als die Enkelkinder kamen, waren wir beide noch voll berufstätig. Insofern konnten wir damals keine regelmässige Enkelbetreuung anbieten. Auch an den Wochenenden waren und sind wir normalerweise viel unterwegs. Catherine: Man hat uns als vielbeschäftigt wahrgenommen und uns so auch nicht oft zum Hüten angefragt. Aber natürlich springen wir immer wieder gerne ein. Markus: Meine erste Frau arbeitete Teilzeit und hatte von Anfang an mehr Zeit für die Enkelbetreuung. Catherine: Ich finde, die leiblichen Enkel sind das Hoheitsgebiet der leiblichen Grosseltern. Es ist wichtig, dass man versucht, Konkurrenzsituationen unter Grosseltern zu vermeiden. Es ist schon so, als Patchwork- Grosseltern muss man sich genauso wie als Patchwork-Eltern immer wieder bewusst machen, welche Rolle einem zusteht. Die verschiedenen Konstellationen und möglichen Verletzbarkeiten müssen im Auge behalten werden. Vor einem Jahr ist mein Jüngster auch Vater geworden. Da ich nun pensioniert bin, hüte ich diese Enkelin einmal die Woche. Es bedeutet mir viel, zu diesem Einzigen meiner vier Enkelkinder, das in der Schweiz lebt, einen engeren Kontakt aufbauen zu können. Markus begleitet mich, obwohl die Kleine anfangs noch sehr fremdelte. Markus: Mittlerweilen hat sie Vertrauen gefasst. •

«MIT DER GEBURT DES EIGENEN KINDES KAM DIE WUT AUF MICH»

F.J. (68) HAT VOR 25 JAHREN IHRE FAMILIE FÜR EINEN NEUEN MANN VERLASSEN. DIE TRENNUNG VERLIEF FRIEDLICH, MAN WUCHS ZU EINER BILDERBUCH-PATCHWORKFAMILIE ZUSAMMEN. BIS DIE TOCHTER SELBST MUTTER WURDE. DANN KAM DER GROLL. ER ZEIGTE SICH AUF UNGEWÖHNLICHE WEISE.

«Mein erster Mann und ich trennten uns einvernehmlich. Da ich diejenige war, die sich neu verliebt hatte, war ich der Meinung, dass auch ich zu gehen hatte und nicht mein Ex-Mann. Mein Sohn war damals 17, meine Tochter 13. Jeden Mittag und Nachmittag verbrachte ich weiterhin im Haus, in dem meine Kinder und mein Ex-Mann lebten. Ich arbeitete Teilzeit, kochte über Mittag ihr Essen, machte die Wäsche, war da, wenn sie aus der Schule kamen. Abends ging ich zurück zu meinem Freund, Daniel. Es dauerte eine Weile, aber irgendwann freundeten sich auch die beiden Männer an. Mein Ex-Mann, Daniel, ich und die Kinder wuchsen über die Jahre zu einer entspannten Patchwork-Familie zusammen. Wir feierten unsere Geburtstage gemeinsam, gingen wandern, verbrachten immer den Ostersonntag zusammen. Ich würde mein Verhältnis zu meinen Kindern, vor allem das zu meiner Tochter, als sehr eng beschreiben. Vor fünf Jahren wurde mein Sohn zum ersten Mal Vater. Seine Frau ist Italienerin. Für sie war klar, dass alle männlichen Grosselternteile ihres Sohnes Nonno heissen würden – auch Daniel – und die beiden Grossmütter Nonna. Mir gefiel nicht nur ihre pragmatische Art, ich konnte mich mit Nonna gut identifizieren. Ich bin äusserst gern eine Nonna. Ich hüte meine Enkelkinder nicht regelmässig, springe aber bei Bedarf jederzeit ein und es ist mir wichtig, eine enge Beziehung zu ihnen aufzubauen. Unsere Familie vergrösserte sich ein weiteres Mal, als mein erster Enkel eine kleine Schwester bekam. Nun feierten wir nicht nur unsere Geburtstage und die unserer Kinder gemeinsam, sondern auch die unserer Enkelkinder.

VERKOPFTE EINGRIFFE Alles war gut. Bis das erste Kind meiner Tochter zur Welt kam. Das war vor drei Jahren. Ein Sohn. Plötzlich wurde alles schwierig. Daniel und ich nannten uns auch beim dritten Enkelkind Nonna und Nonno, aber bald teilten mir meine Tochter und mein Schwiegersohn mit, dass sie das nicht wünschen. Zuerst sagten sie, sie hätten keinen Bezug zum Italienischen, später, dass sie ihr Kind selbst entscheiden lassen wollten, wie es uns nennen will. Ich war gekränkt, sagte aber erstmal nichts. Dann machten sie plötzlich doch Vorschläge: Daniel sollte beim Vornamen genannt werden, ich sollte Oma heissen. Abgesehen davon, dass Oma überhaupt nicht zu mir passt, war ich immer verwirrter und auch wütender über diese verkopften Eingriffe. Es gab mehrere Auseinandersetzungen mit meiner Tochter und ihrem Mann. Ich konnte nicht verstehen, weshalb sie diese Namensgebung so kontrollieren wollten. Auch mein Sohn verstand die beiden nicht. Was die Grossväter betraf, so fand mein Ex-Mann – er bekam von den Eltern den Titel Opapa auferlegt – ich solle dem Frieden zuliebe nicht so störrisch sein, und Daniel liess sich wunschgemäss bei seinem Vornamen nennen. Wir hielten es für das Beste, wenn er sich nicht auch noch in den Konflikt einmischt. Das Ganze zog sich über ein Jahr hin. Ein Jahr, in dem ich regelmässig den Sohn meiner Tochter hütete. Natürlich sagte der Kleine dann schliesslich Nonna zu mir – er hatte es oft genug bei seinem Cousin und seiner Cousine gehört. Die Mutter liess ihn, aber ich selbst durfte mich nicht als Nonna bezeichnen. Es raubte mir den Atem. Das alles belastete unsere Beziehung sehr. Einmal, als ich mich spontan Nonna nannte und meine Tochter mich korrigierte, platzte mir der Kragen. Es kam zum Eklat. Und endlich konnte meine Tochter damit herausrücken, worum es ihr wirklich ging.

BELASTETE BEZIEHUNG Da war viel angestaute Wut und wiederaufgeflammter Schmerz von der Trennung ihrer Eltern vor über 20 Jahren. Sie machte mir Vorwürfe, wie ich meine Kinder damals habe verlassen können und sie diesen Entscheid ungefragt habe akzeptieren müssen. Ich war baff. Damit hatte ich nicht gerechnet. Wenn ich sie richtig verstehe, ging es ihr mit diesem ganzen Benamsung-Theater darum, diesmal die Kont-

rolle über mich zu haben und nicht fremdbestimmt zu werden. Nach einigen Wochen Funkstille willigte sie ein, mit mir eine Therapeutin aufzusuchen. Es war gut, konnte sie da nochmals ihren Schmerz, ihre grossen Verlustängste von damals auf den Tisch bringen. Ja, es tut mir leid, dass sie sich so verlassen gefühlt hatte und es offenbar nicht zeigen konnte. Ich kann akzeptieren, dass ein solcher Schmerz mit dem Mutterwerden wieder hochkommt. Und trotzdem, meine Entscheidung von damals kann und will ich nicht rückgängig machen. Ich finde immer noch, mein erster Mann und ich, wir haben unser Bestmöglichstes gegeben.

DEN KONFLIKT UMSCHIFFEN Mittlerweile hat meine Tochter einen zweiten Sohn geboren. Ich helfe ihr regelmässig mit den beiden Kindern, manchmal ein- bis zweimal die Woche. Meine Tochter schätzt das. Sie sagt, ich sei eine super Grossmutter und wichtig für sie und ihre Familie. Wir umschiffen das Namens-Thema. Sie sagt, für sie sei es abgeschlossen, aber ich bin noch immer traurig darüber, wie das Ganze abgelaufen ist und noch immer abläuft. Ihr älterer Sohn nennt mich manchmal Nonna und manchmal macht er aus meinem Vornamen eine herzige Abkürzung. Wenn diese Coronazeit vorüber ist, werden wir uns sicher als PatchworkFamilie wieder häufiger treffen. Ich wünsche es mir. Auch, dass sich bis dahin meine Enttäuschung gelegt hat. Die einen Enkelkinder nennen mich Nonna, die anderen anders. Wir werden sehen, welche Bezeichnung schliesslich das Rennen machen wird.» •

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BÜCHER, SERIEN, FILME ZUM THEMA

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1 Sachbuch: Das Patchwork Buch, Claudia Starke, Thomas Hess, Nadja Belviso, Beltz 2015, 23 Franken. Wer Patchwork lebt, muss viele Klippen meistern. Anhand der Geschichte einer Patchworkfamilie bietet dieses Buch Erklärungen für häufige Konflikte sowie Rat und Lösungswege. Umfassender Beratungsteil. 2 Sachbuch: Bonuseltern, Jesper Juul, Beltz 2015, 17 Franken. Der dänische Familientherapeut zeigt auf: Wenn Erwachsene und Kinder miteinander im Gespräch bleiben und bestimmte Regeln beachten, dann kann eine Patchwork-Familie ein Gewinn für alle sein. 3 Ab 4 Jahren: Familie – das sind wir! Felicity Brooks, Usborne 2019, 18 Franken. Bilderbuch mit der Darstellung verschiedener Familienformen, das klar macht, dass jede Form gut und in Ordnung ist. 4 Ab 5 Jahren: Alles Familie, Alexandra Maxeiner, Anke Kuhl, Klett 2021, 26 Franken. In diesem Buch sind alle Formen neben der allgemein bekannten versammelt: Alleinerziehende, Patchworkfamilien in ihren verschiedenen Mixturen, Regenbogen- und Adoptivfamilien. Unterhaltsam und mit viel Humor. 5 Roman: Unsere Seelen bei Nacht, Kent Harouf, Diogenes 2019, 13 Franken. Eines Abends klingelt die verwitwete Addie bei ihrem Nachbarn Louis und macht ihm einen Vorschlag: Ob sie nicht ab und zu die Nacht zusammen verbringen wollen? Dass die gesamte Kleinstadt sich das Maul über sie zerreisst, ist ihnen egal. Dass ihre erwachsenen Kinder die Beziehung nicht gutheissen, schon weniger. 6 Serie: Die Patchworkfamilie, Schweden 2017, zwei Staffeln, Netflix und ARD. Patrick liebt Lisa, diese ist aber noch mit Martin verheiratet, der über die Trennung nicht hinwegkommt, obwohl Lisa bereits von Patrick ein Kind erwartet. Die Kinder der drei sind nicht erfreut, Patricks Exfrau Katja hingegen ist alles mehr oder minder egal. Interessant und auch ein wenig pädagogisch wertvoll. 7 Film: Familie mit Hindernissen, Deutschland 2017. Seit ihr Mann sie für eine jüngere Frau verlassen hat, hat Katrin hart an der Patchwork-Konstellation zu beissen, in die sie geraten ist. Die 14-jährige Tochter Saskia ist jüngst zu ihrem Vater gezogen, während der Sohn ihres neuen Lebensgefährten bei ihr wohnt und Saskias Zimmer und Katrins Leben verwüstet. Feine Komödie, die den Alltag einer bunt zusammengewürfelten Familie zeigt. ~KD

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