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Aus der Praxis
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Liebe F.
Unser Hausarzt schreibt seiner ängstlichen Enkelin einen Brief. Sein Rat an sie: Trainiere dir «Muskeln» gegen die Angst an, indem du dich ihr immer wieder stellst.
Du hast manchmal Angst und bist darüber etwas verzweifelt. Es gibt von deiner Urgrossmutter über deinen Grossvater und eine deiner Tanten eine ganze Linie von Vorfahren, die irgendwann Probleme mit der Angst hatten. Das muss eine erbliche Anlage sein. Der prominente holländische Neurowissenschaftler und Hirnforscher Dick Swaab hat über die angelegten Hirnstrukturen ein faszinierendes Buch ge-
EDY RIESEN (70) war als Hausarzt in Ziefen (BL) tätig. Er führte bis vor Kurzem eine Praxis mit seinem Schwiegersohn und ist mehrfacher Grossvater.
schrieben mit dem Titel «Wir sind unser Gehirn». Seine Fazit: Man hat eine Veranlagung, die man nicht wegzaubern kann. Also heisst es, den Umgang damit zu erlernen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten: Man kann sich eine Art Schutzmantel zulegen, der einen vor der Angst schützt. Man kann sehr aktiv sein und mit Leistung der Angst die Stirn bieten. Man kann verrückte Dinge tun, Auftritte auf der Bühne meistern, im Sport brillieren. Man kann malen, schreiben, singen oder tanzen gegen die Angst. Dann wird sie oft kleiner und unbedeutender. Bei vielen Menschen geht sie nie ganz weg, aber sie wird erträglich und stört nicht mehr durch ihre Dominanz. Psychologen und Psychotherapeutinnen kennen Techniken, die man anwenden kann. Bei den kognitiven Therapien beispielsweise geht es darum, das «dysfunktionale» (falsche) Denken zu erkennen und zu verändern, also negative Gedanken umzuformen. Das ist kein Hokuspokus, es funktioniert! Besonders lästig ist es, wenn Angst sich an Situationen oder Objekte bindet. Du kennst das von deiner Angst vor Hunden. Andere können nicht mehr über eine Brücke gehen oder sich in Mengen von Menschen aufhalten oder sie bekommen Angst, wenn sie auf einen Turm steigen. Wichtig ist, dass man sich diesen Ängsten immer wieder stellt. Manchmal braucht es die Begleitung einer Therapeutin oder eines vertrauten Menschen, um ein solches Training zu bewältigen. Mit der Zeit bemerkt man, dass man so etwas wie «Muskeln gegen die Angst» bekommt. Es gibt Medikamente, die helfen können. Diese setzen die Fachleute bei schwereren Störungen vorübergehend ein. Von Selbstmedikation rate ich dir aber ab! Tranquilizer sind verführerisch, sie wirken schnell und zuverlässig, können aber fatalerweise schon nach einigen Wochen abhängig machen. Menschen mit Angststörungen sind im Übrigen ganz normale Menschen. Manchmal werden sie durch ihre ständige Angst traurig und erschöpft und ziehen sich zurück. Dagegen muss man ankämpfen, aktiv bleiben, sich manchmal auch etwas plagen, unter die Leute gehen, Sport treiben ... Das kostet viel Kraft, bringt einen aber weiter. Zum Schluss noch dies: Du glaubst nicht, wie viele Stars auf den grossen Bühnen der Welt Angst haben, zu versagen, wie viele berühmte Bergsteigerinnen gegen die Angst Eiswände hochklettern, wie viele grosse Politiker vor ihren Reden zittern. Angst gehört zum Leben, sie schützt vor Gefahren, kann zu Höchstleistungen antreiben. Sie kann aber auch lähmen, und das sollte sie nicht. Die Angst darf ihren Platz bei dir haben, aber du sollst sie immer wieder in die Schranken weisen können. Das kann man lernen. Und wenn jemand das kann, dann du!
Mit lieben Grüssen und einer festen Umarmung Dein Grossvater
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Ein Grosi für Lena
In der letzten Ausgabe berichtete die Hebamme von der jungen Mutter, die ihr regelmässig Videos ihrer kleinen Tochter schickte. Das Kind hat nämlich keine Grossmutter, mit der sich die Freuden teilen lassen. Hier kommt die glückliche Wendung der Geschichte.
CAROLE LÜSCHER (47) ist Hebamme Msc, Geschäftsführerin der Hebammenpraxis 9punkt9 in Bern, freie Dozentin und engagiert sich berufspolitisch. Sie ist verheiratet und hat drei Kinder. 9punkt9.ch
Daniela filmt ihre zweijährige Tochter Lena, wie sie der älteren Dame zusieht, die am flachen Ufer die Enten füttert. Leise sprechend lässt die Dame klein zugeschnittene Brötchen fallen. Als sie Lena neben sich auftauchen sieht, erhellt sich ihr Gesicht, und sie spricht sie an. Lena schaut zu ihr auf und antwortet. Man versteht nicht, was die beiden miteinander sprechen, doch sie scheinen sich auf Anhieb zu mögen. Bald verfüttert auch Lena ein paar Bröckchen. Daniela filmt weiter. Immer wieder lächeln sich die beiden zu, Lena sucht den Blickkontakt, und die Dame erwidert ihn. Zwischen den beiden ist eine Vertrautheit spürbar. Als eine der Enten Lena ein Stück Brot aus der Hand reisst und sie dabei beisst, erschrickt Lena sehr, zieht die Hand ruckartig zurück. Die Entengruppe reagiert mit lautem Geschnatter. Die Kamera wackelt – auch Daniela ist erschrocken. Man hört sie Luft holen, als wolle sie ihrer Tochter etwas zurufen. Doch sie stockt. Als Lena unsicher zur Dame hochschaut, findet sie einen sicheren, mitfühlenden Blick, und Lenas Schultern senken sich, aus ihrem Gesicht verschwinden Angst und Schmerz. Die Ruhe der Dame wirkt sich auf alle aus – Lena, Daniela, die Enten, selbst auf mich, eine Zuschauerin, die die Szene Stunden später per Video zu sehen bekommt. An dieser Stelle bricht der Film ab. Als Lena danach tagelang vom «Grosi» spricht, Brotstückchen abbricht, diese an ihre Plüschtiere auf dem Bett verteilt, macht das Daniela nachdenklich. «Ich lag die ganze Nacht wach und überlegte mir, wie ich die Frau finden könnte. Ich sah mich schon tagelang mit Lena Enten füttern … Und was würde ich Lena sagen, wenn sie nie mehr auftaucht?», schreibt sie mir. Auch aus Danielas Nachricht spürte ich ihre Hoffnung und Sehnsucht. Die beiden brauchen nicht nur ein Grosi, sondern auch eine Mutter. Daniela hat niemanden ausser mir, ihrer ehemaligen Hebamme, und einer Beiständin. Zum Glück müssen sie nicht lange warten. Margrith, so heisst die ältere Dame, kommt zwei Tage später wieder und freut sich ebenso, die beiden wiederzusehen, wie Lena und Daniela. Margrith ist seit längerem Witwe. Kinder konnten ihr Mann und sie nie haben. «Es sollte nicht sein. Aber wir hatten es auch zu zweit schön. Wir sind viel und weit gereist, und ich hatte nie das Gefühl, dass mir etwas fehlt. Aber seit Hans nicht mehr da ist, ist es schon leer …» sagt Margrith zu Daniela. Daniela sucht nun eine Wohnung in der Nachbarschaft von Margrith, denn sie sehen sich mittlerweile mehrmals pro Woche. Seither erhalte ich nur noch ab und zu Bilder und Videos von Daniela. Highlights. Lena und Margrith im Zoo, Margriths 75. Geburtstag, und letzthin vom gemeinsamen Weihnachtsgüezibacken und Tannenbaumschmücken. •
Zurückgedrängt
EIN GROSSVATER (66) FRAGT: Meine Frau und ich hüten regelmässig unsere Enkeltochter (6 Jahre). Am Anfang war ich noch berufstätig und meine Frau betreute das Mädchen mehrheitlich allein. Sie ist ganz klar mehr auf ihre Grossmutter fixiert. Mittlerweile bin ich pensioniert und würde gern auch ab und zu etwas mit meiner Enkelin allein unternehmen, um eine engere Bindung – losgelöst von der Grossmutter – aufzubauen. Meine Frau meint, das könne ich auch, wenn sie dabei sei. Manchmal kommt es mir vor, als würden wir um die Aufmerksamkeit des Kindes buhlen.
Ja, die Macht der Gewohnheit. Ihre Ehefrau ist es gewohnt, dass sich Ihr Enkelkind stark an ihr orientiert. Sie geniesst diese Aufmerksamkeit und befürchtet möglicherweise, diese unbedingte Zuwendung könnte ihr abhandenkommen, wenn Sie sich vermehrt mit dem Kind abgeben. Vielleicht hat der Widerstand Ihrer Frau jedoch auch einen anderen Grund. Weil Sie sich in früheren Jahren nicht so intensiv um die eigenen Kinder gekümmert haben? Aufgrund einer möglichen Vorgeschichte mag sich in Ihrer Frau vielleicht ein leiser Groll Ihnen gegenüber angestaut haben, den sie jetzt allerdings nur indirekt zeigt. Eine andere Überlegung: Ihre Frau hegt vielleicht aufgrund Ihrer mangelnden Erfahrung mit kleinen Kindern ein gewisses Misstrauen Ihnen gegenüber, ob Sie alles richtig machen. Sie fürchtet, es könnte dem Kind etwas zustossen, wenn Sie mit ihm alleine etwas unternehmen. Eingangs habe ich die Angst vor Liebesverlust erwähnt. Dagegen ist wohl niemand ganz gefeit, vor allem dann, wenn sie auf ganz frühe Erfahrungen zurückgeht und wir nicht immer die notwendige Abgrenzung zu gegenwärtigen Situationen vornehmen können. Bezogen auf die Zuneigung eines Enkelkinds scheint mir eine solche Angst jedoch unbegründet. Das Kind hat nicht einen bestimmten Vorrat an liebevollen Gefühlen, die es nur für eine Person zur Verfügung hat. Vielmehr wachsen mit der Liebe, die es von anderen Menschen erfährt, auch seine eigenen liebevollen Gefühle und die Fähigkeit, diese vielen anderen nahen Menschen zu zeigen. Und wer weiss, vielleicht macht Ihre Ehefrau schon bald eine ganz ähnliche Erfahrung: Wenn sie sieht, dass Sie und Ihr Enkelkind es gut miteinander haben und ihr dadurch nichts abhanden kommt, wächst auch in ihr die Freude, Sie auf neue Weise zu erleben – und zu lieben. •
DAGMAR SCHIFFERLI (67) ist Psychologin und Dozentin für Gerontologie und Sozialpädagogik, veröffentlicht zudem Romane und Erzählungen. Sie hat eine Tochter und drei Enkelkinder. dagmarschifferli.ch
Fragen an: beratung@grosseltern-magazin.ch Die Fragen werden anonymisiert.