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Anderswo: Ungarn
Zwillingsschwestern Gréta (links) und Anna (rechts) mit ihren ungarischen Grosseltern Gábor Papa, Dici Mama, Teri Mama, Gabi Papa (v. l.)
«Ein Treffen über Skype ist nicht dasselbe»
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Von ANNA FEKETE (Text) Beide Grosseltern von Praktikantin Anna Fekete (16) leben in Ungarn. Wegen der Pandemie haben sich Enkelin und Grosseltern schon fast zwei Jahre nicht mehr gesehen.
Neun Jahre ist es schon her, seit ich mit meiner Familie von Ungarn in die Schweiz gezogen bin. Seither hat sich viel verändert, unter anderem auch der Kontakt zu meinen Grosseltern. Sahen wir uns vorher mehrmals in der Woche, treffen wir uns jetzt nur noch viermal im Jahr. Wegen der Corona-Pandemie habe ich sie seit über einem Jahr nicht mehr gesehen. Meine Grosseltern mütterlicherseits, «Teri Mama» und «Gabi Papa», sind 70 und 77 Jahre alt und leben in Székesfehérvár. Meine Grosseltern väterlicherseits, «Dici Mama» und «Gábor Papa», sind 81 und 84 Jahre alt und wohnen in Budapest. Sie sind doch sehr verschieden, aber in einem sind sie gleich; sie haben sich beide unheimlich gefreut, als sie erfuhren, dass sie Grosseltern werden. Auch teilen beide die Meinung, dass Grosseltern in Ungarn eine sehr wichtige Rolle erfüllen. Das liegt daran, dass meist beide Elternteile arbeiten, weshalb die Grosseltern für einen grossen Teil der Kinderbetreuung verantwortlich sind. Bei mir war das auch so: Jeweils am Nachmittag wurden meine Schwester und ich von meinen Gross-
eltern vom Kindergarten abgeholt und sie blieben dann mit uns, bis unsere Eltern von der Arbeit zurückkamen. Da wir uns nicht mehr so oft sehen, versuchen wir die gemeinsame Zeit so gut wie möglich auszunutzen. Wir gehen zusammen ins Kino, essen und reden miteinander. Beide meine Grosseltern haben ein Ferienhaus am Velencer See «Velencei-tó», wo wir jeden Sommer hinreisen. Dort gehen wir dann im See schwimmen, spazieren dem Ufer entlang oder essen ein Eis. Auf diese Tage freue ich mich jedes Jahr. Meine Grosseltern sind sich einig: Das Tollste, was wir gemeinsam unternehmen, ist schlicht und einfach, Zeit mit uns zu verbringen. Wenn wir reden, sprechen wir über Schule, Zukunft, Freunde. «Gabi Papa» erzählt auch oft spannende Geschichten aus seiner Kindheit. Doch «Dici Mama» hat recht, da wir uns nicht mehr regelmässig sehen, haben sich unsere Gespräche sehr verallgemeinert. Sie wissen nicht mehr über jedes kleine Ding in unserem Leben Bescheid. Deshalb haben meine Grosseltern oft das Gefühl, sie seien aus unserem alltäglichen Leben rausgefallen, und leider stimmt das auch. Zwar skypen wir ein- bis zweimal die Woche, aber dann erzählt man sich nun mal nicht so viel, wie wenn man sich persönlich treffen würde. Wenn ich Kindheitsgeschichten von meinen Grosseltern höre, merke ich, wie glücklich ich mich schätzen kann, dass ich heute lebe. Meine Grosseltern sind noch unter ganz anderen Umständen aufgewachsen. Das liegt auch daran, dass in Ungarn damals der Kommunismus herrschte. Die Bildung, die Arbeitssuche, der Lebensstil im Allgemeinen, alles war viel schwieriger als heute. Auch die Weltanschauung habe sich sehr verbessert, findet «Dici Mama». «Die Bildungsmöglichkeiten und die Weltanschauung, die uns in den ersten 40 Lebensjahren gefehlt haben, das ist für euch heute selbstverständlich.» «Gabi Papa» sagt: «Wir hatten keine Kindheit, also zumindest ich nicht. Ich musste schon mit 10 Jahren draussen auf den Feldern arbeiten.» Auch «Teri Mama» musste mit 14 schon arbeiten gehen. Die beiden leben in einer kleinen Wohnung in einem alten, grauen Wohnblock. Ein Überbleibsel des Kommunismus. «Dici Mama» und «Gábor Papa» wohnen auch in einer kleinen Wohnung in einem Mehrfamilienhaus. Das ganze Haus stand früher im Besitz der Familie meiner Grossmutter, doch dann kam der Kommunismus und es wurde ihnen weggenommen. Jahre später durften sie sich dann eine Wohnung mieten, in der sie heute noch wohnen. «Gábor Papa» und seiner Familie ging es ähnlich. Auch sie hatten ein grosses Haus, welches sie an den Staat abgeben mussten. Sein Vater, der im Krieg Oberst war, musste nachher in einer Fabrik arbeiten. Auch «Gabi ~
BUDAPEST
SZÉKESFEHÉRVÁR VELENCEI-TÓ
UNGARN
Einwohner 9 769 526 Fläche 93 036 km2 Hauptstadt Budapest Sprache Ungarisch Währung Forint Staatsform Parlamentarische Republik Ministerpräsident Viktor Orbán Ethnien Die grösste Volksgruppe sind die Magyaren Unabhängigkeit 31. Oktober 1918 von Österreich-Ungarn Vertrag von Trianon Am 4. Juni 1920 unterschrieb im Schloss Grand Trianon bei Versailles eine ungarische Delegation den von den alliierten Siegermächten vorgelegten Friedensvertrag. Ungarn musste in der Folge zwei Drittel des Territoriums abtreten: Mit den Gebietsabtretungen gingen auch die meisten Erz- und Kohlebergwerke verloren, zudem vier Fünftel des Forstlandes. Gewässer Die Donau ist der längste Fluss Ungarns, zu ihrem Einzugsgebiet gehört das gesamte ungarische Staatsgebiet. An ihrem Flusslauf liegt unter anderem Budapest. Der Plattensee (ungarisch Balaton) in Westungarn ist der grösste See in Mitteleuropa. «Das Wunder von Bern» Der gleichnamige Film widmet sich dem Fussball-WM-Final, der 1954 in Bern stattfand. Deutschland gelang damals gegen das favorisierte Ungarn ein Überraschungssieg. Küche Deftig: Pörkölt, Gulasch, Paprikás, Palatschinken, Dobostorte, Strudel ... Berühmte Ungarn Die Schauspielerin Zsa Zsa Gabor, der Komponist Béla Bartók. ~CAP Papa» erzählt viel vom Kommunismus, von dem seine Familie stark getroffen wurde. Seine Eltern besassen einen grossen Bauernhof mit etlichen Feldern. Man nahm ihnen alles weg und liess nur das zurück, was zum Überleben reichte. Dies führte dazu, dass mein Grossvater und seine fünf Geschwister schon sehr früh die Schule abbrechen und arbeiten gehen mussten. «Dici Mama» sagt: «Das Tröstende war vielleicht, dass sich damals alle in einer gleich schwierigen Lage befanden.» Ich frage meine Grosseltern, ob sie für den Rest ihres Lebens in ihren jeweiligen Wohnungen bleiben würden. Beide sind der Meinung, sie könnten sich nicht vorstellen jetzt noch wegzuziehen. Sie hätten sich an ihrem jetzigen Wohnort in all den Jahren ein Leben aufgebaut, das sie nur ungern ändern würden. Rentner haben es grundsätzlich recht schwer in Ungarn. Die Pension ist gering und die Preise steigen ständig. Es sei wichtig, schon im Voraus für eine gute Lebensgrundlage im Alter zu sorgen, damit man dann später keine grossen Ausgaben mehr machen muss, meinen meine Grosseltern. Die medizinische Versorgung wird recht vernachlässigt und es wird immer schwieriger, einen Termin beim Arzt zu bekommen. Grundsätzlich muss man sehr gut aufpassen, wofür man seine Rente ausgibt, man lebt in einem ständigen Zählen. Für einen Umzug reicht das Geld oft nicht. Ein Altersheim ist für viele keine Option. Gewöhnliche Altersheime bieten eine eher mangelhafte Pflege. Auch ist es schwieriger, dort aufgenommen zu werden, da die Plätze beschränkt sind, das Interesse ist aber gross. Bessere Altersheime, von denen zurzeit mehrere gebaut werden, sind für einen grossen Teil der Bevölkerung unbezahlbar. Meine Grosseltern haben mir zwei Sachen mit auf meinem Lebensweg gegeben: «Was du dir vornimmst, versuche zu verwirklichen. Sei bis zu einem gewissen Punkt bescheiden, aber lass dich nicht unterkriegen», und «Ihr müsst mutig genug sein, um eure Vorstellung zu verwirklichen, denn der Mensch wird grösser, wenn er das macht und es so macht, wie er es möchte.» Als mir meine Grosseltern dies gesagt haben, ist mir plötzlich bewusst geworden, wie sehr ich sie vermisse. Die Corona-Situation hat mir auch noch mal verdeutlicht, dass ich die wenige Zeit, die ich mit meinen Grosseltern verbringen kann, auch wirklich schätzen sollte. Ich denke das sollten auch andere wissen und es nicht als selbstverständlich betrachten, dass sie ihre Grosseltern jederzeit besuchen können.» •
«Die Corona-Situation hat mir auch noch mal verdeutlicht, dass ich die wenige Zeit, die ich mit meinen Grosseltern verbringen kann, auch wirklich schätzen sollte.» Teri Mama, Gréta, Anna und Gabi Papa.