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IM INTERVIEW

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FIT & GESUND

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Dr. jur. Jobst Wellensiek IM INTERVIEW

„Man tut gut daran, mit der eigenen Persönlichkeit dem Erfolg immer einen Schritt voraus zu sein“. Dr. jur. Jobst Wellensiek, Deutschlands bekanntester Insolvenzverwalter, vielfältig engagiert in zahlreichen Ehrenämtern und Ehrenvorsitzender des Heidelberger Tennisclubs (HTC) im persönlichen Gespräch mit Matthias Zimmermann

Seit der kleinen privaten Feier zum 89sten Geburtstag ist noch kein Monat vergangen. In Corona-Zeiten wird alles Gesellschaftliche zu einer besonderen Herausforderung – das Feiern genauso wie ein persönliches Gespräch zu zweit. Vor diesem Hintergrund ist das Zustandekommen dieses Interviews schon ein Erfolg. Jobst Wellensiek gehört zu den deutschlandweit bekanntesten Heidelbergern, der Austausch mit ihm ist eine Bereicherung für das Leitthema dieser Ausgabe des RC Premium „Mensch und Erfolg“.

Ich besuche ihn in der Blumenstraße – Sitz der Kanzlei seit 1970 und im Dachgeschoss, bis zum Umzug in die Ziegelhäuser Landstraße, über Jahrzehnte auch Privatwohnung. In seinem Büro verbringt er jeden Vormittag, ist um 8.00 Uhr morgens einer der Ersten und für Kollegen und Mitarbeiter, Mandanten und sonstige Gäste bis 13 Uhr ein Ansprechpartner, Berater und bisweilen auch Mentor. „Herr der Pleiten“ nannte ihn Stefan Willeke, Redakteur der „Zeit“, in einer Reportage, die 2003 im „Stern“ und im „Managermagazin“ erschien und mit dem Quandt Medienpreis ausgezeichnet wurde. Erst jüngst, im Sommer dieses Jahres, berichtete die WirtschaftsWoche über „die graue Eminenz der Insolvenzverwalter“. Seit 1964 steuert „die InsolvenzverwalterLegende“ hunderte Firmen durch Crashs und Notlagen.

Jobst Wellensiek war und ist in vielem erfolgreich: in seinem beruflichen Wirken als – wie er es nennt – „Konsensverwalter“ bei zahlreichen, mitunter sehr öffentlichkeitswirksamen Insolvenzen, als Präsident der Rechtsanwaltskammer Karlsruhe und als Vorsitzender des Anwaltsvereins Heidelberg e. V.. In ehrenamtlichen Engagements wirkt er als Mitglied des Kuratoriums der Stiftung Universität Heidelberg, als Kuratoriumsmitglied Heidelberger Frühling und als langjähriger Präsident und heutiger Ehrenpräsident des Heidelberger Tennisclubs (HTC) – seine „zweite Heimat“, wie er es nennt …

Lieber Herr Wellensiek, wir teilen eine gemeinsame Leidenschaft – den Tennissport. Über unsere Region hinaus gelten Sie als Grandseigneur des weißen Sports. Welche Rolle spielt Tennis in Ihrem Leben? WELLENSIEK: Sie müssen wissen, dass kurz vor Ende des 2. Weltkrieges Bomben auf Heidelberg niedergingen, die im Wesentlichen das Tiergartengelände trafen – und damit auch die Platzanlage des HTC, die erst kurz zuvor aus der Werderstraße dorthin verlegt worden war. Dort nach dem Krieg dem Tennissport wieder ein Zuhause zu geben, war eine große zivilgesellschaftliche Leistung und ein Zeichen für den Aufbruch zu einer neuen Normalität. In diesem Verein, der 1890 gegründet wurde und zur Zeit des Wiederaufbaus bereits eine bedeutsame Tradition aufweisen konnte, wurde ich 1948 Juniorenmeister. Das, muss ich sagen, hatte für mich schon einen hohen persönlichen Stellenwert. 1949 wurden wir dann mit unserer Jugendmannschaft Badischer Meister. In der Zeit als Spieler der 1. Herrenmannschaft, für die ich 12 Jahre aktiv war, habe ich gelernt, mich ein- und bisweilen unterzuordnen. Erfolge haben wir immer gemeinsam gefeiert – und Niederlagen gemeinsam verarbeitet. Durch den Tennissport lernte ich, was Teamgeist heißt. So gesehen spielt Tennis nicht nur in sportlicher, sondern in vielerlei Hinsicht eine große Rolle für mich und mein Leben!

Und Sie begannen eine – wenn man das so nennen darf – Karriere als Funktionär … WELLENSIEK: … was mir eine Ehre war und mir das Gefühl vermittelte, einer gemeinsamen Sache – und nicht allein der eigenen Sache – dienlich sein zu dürfen. Schon zu Studienzeiten brachte ich mich im HTC als Schriftführer ein. Darauf folgte das Amt des Sportwarts in enger Abstimmung mit dem damaligen Trainer, unserem gemeinsamen Freund Laci Legenstein, der auf den Tag genau fünf Jahre älter ist als ich und – soweit mir bekannt – noch immer einmal in der Woche zu Ihnen ins Racket Center kommt, um eine Stunde Tennis zu spielen. Diese Stationen bis in das Amt des 1. Vorsitzenden markieren einen großartigen Lernprozess, für den ich bis heute dankbar bin. Sie kennen das ja auch: In manch tennisbegeisterten Familien sind die Rangreihenfolge auf den Meldelisten und die Vergabe der Positionen in der Mannschaft beinahe ein „Schicksals- thema“ (schmunzelt). Das führt vor Saisonbeginn immer zu lebhaften Dis-

kussionen. Generell hängt der Erfolg der Arbeit in einem Verein von viel Einfühlungsvermögen, kommunikativem Geschick und von Konsensfähigkeit ab. Kennen Sie den Unterschied zwischen Konsens und Kompromiss? Ein Konsens strebt danach, alle hinter einer Entscheidung zu versammeln und jedem das Gefühl zu geben, etwas dabei zu gewinnen. Genau das ist Sinn und Zweck eines Vereins, den es zusammenzuhalten und auf gemeinsame Ziele hin auszurichten gilt. Das Streben nach Gemeinschaft ist das, was einen Verein ausmacht – eine wunderbare Schule für´s Leben!

Und dann haben Sie natürlich auch großartige sportliche Erfolge gefeiert. Die Damenmannschaft des Heidelberger Tennisclubs HTC brachte in den 80er und 90er Jahren mit Steffi Graf, Helena Sukova, Anke Huber, Mima Jaušovec und anderen großen Namen der Damentennisszene neben Titeln auch internationales Flair in den Verein! WELLENSIEK: Wobei Steffi Graf und Anke Huber – wenn Sie so wollen – „Tenniskinder“ unserer Heimat sind. Bitte vergessen Sie nicht die vielen anderen Tennisdamen aus der Region, die für den HTC Großes geleistet haben, wofür wir dankbar sind! Denken Sie an Myriam Kende, Karin Botzke, Susi Schaffner, Kerstin Haas, Elena Wagner und andere. Alle sind uns bis heute eng verbunden, allen voran natürlich Steffi Graf als Ehrenmitglied unseres Vereins. Mit ihr begannen die großartigsten 17 Jahre in der 130-jährigen Geschichte des HTC. Als sie 1982 – mit gerade mal 12 Jahren – zu uns kam, hat das viel Aufmerksamkeit erzeugt. Sie war noch längst kein Star, aber stellen Sie sich vor: ein junges Mädchen, noch nicht einmal ein Teenager, schlägt in der Regionalliga auf. Zu dieser Zeit gab es noch keine Bundesliga, sondern die Regionalligen spielten in einer Endrunde den Deutschen Meister aus – und wir waren auf Anhieb im Finale. Leider konnte Steffi beim entscheidenden Spiel nicht dabei sein, sonst hätten wir damals in Reutlingen den Titel geholt. Später habe ich auch als Jurist noch etwas dazu gelernt, dass man nämlich in einem Spielervertrag konkrete Einsatzverpflichtungen festschreiben muss. In den Folgejahren konnten wir zeigen, dass wir unser Geschäft gelernt haben.

Dr. Jobst Wellensiek und Tennisikone Steffi Graf

Wobei sie mit den besten Verträgen keine Mannschaft zusammenhalten können … WELLENSIEK: Das haben Sie auf den Punkt gebracht. Es braucht mehr als zwei Unterschriften unter einem Vertrag. Was es braucht, ist Teamgeist. Und den erzeugen sie mit Einfühlungsvermögen, Vertrauen und Hingabe. Diese großartige – ja, nennen wir es ruhig Epoche – brachte unserem Verein in den Jahren 1982 bis 1998 eine bislang unübertroffene Erfolgsserie: zehn Deutsche Meisterschaften, fünf Vizemeisterschaften und unzählige unvergessliche Tennistage. Ich darf sagen, dass ich in all diesen 17 Jahren bei nahezu jedem Spiel dabei gewesen bin – allenfalls zwei- oder dreimal hat´s nicht geklappt. Das möchte ich gar nicht als besondere Leistung herausstellen, sondern als Beleg dafür, wie wichtig dieses Dabeisein für mich und auch für viele meiner verdienten Mitstreiter war. Da gab es so viele prägende Ereignisse und Momente. Die Doppelaufstellung zum Beispiel – das war „mein Ding“: Die richtigen Paarungen zusammenzustellen und den Spielerinnen mit großer Überzeugung zu vermitteln: Genau so ist das richtig, auf euch bauen wir, ihr schafft das. Ich glaube, Vertrauen zu haben und Vertrauen zu schenken, ist eine wichtige Voraussetzung für Erfolg. Und die erkämpften Titel zeigen es ja: Meistens lagen wir mit unserer Aufstellung richtig.

Dr. jur. Jobst Wellensiek, am 19. November 1931 in Mannheim geboren, legte 1952 am Kurfürst-Friedrich-Gymnasium in Heidelberg sein Abitur ab und studierte an den Universitäten Heidelberg und München Rechtswissenschaften. Nach der Ersten (1955) und der Zweiten Juristischen Staatsprüfung (1960) wurde er als Rechtsanwalt beim Amtsgericht Heidelberg sowie bei den Landgerichten Heidelberg und Mannheim zugelassen, woraufhin er in die Anwaltskanzlei seines Stiefvaters, Dr. Eugen Moufang, eintrat und alsbald übernahm. 1961 promovierte er bei Prof. Dr. Eberhard Schmidt mit einer Arbeit über „Zulässigkeit und Verwertbarkeit von Tonbandaufnahmen als Beweismittel im Strafprozess“ zum Dr. jur. Heute ist er Seniorsozius der Kanzlei Wellensiek Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB mit über 120 Partnern und Mitarbeitern.

Obwohl es in den sechziger Jahren noch kaum Unternehmenspleiten gab, übernahm er 1964 erstmals ein kleines Konkursverfahren. Mit dem Abflauen des Wirtschaftsbooms wurde Jobst Wellensiek in diesem diffizilen Rechtsbereich zu einem der Pioniere. Im Laufe seiner Karriere war seine Expertise als Liquidator, Vergleichsverwalter, Konkurs- / Insolvenzverwalter, Sachwalter und Treuhänder in über 900 Insolvenzverfahren gefragt. Die größten Verfahren waren die Stahlkonzerne Korf-Stahl AG, „Maxhütte“, Riesa AG und Klöckner sowie Bremer Vulkan Verbund AG, Pentacon, Interflug und Peguform.

Deutschlandweit bekannt und geschätzt wurde Wellensiek aufgrund seines Anspruchs, die Zerschlagung wirtschaftlicher Werte zu verhindern und möglichst viele Arbeitsplätze zu retten. Sein Prinzip „Sanieren statt Liquidieren“ hat auch durch sein Wirken Eingang in die sich fortent- wickelnde Gesetzgebung gefunden. Da haben Sie neben Sachverstand, Einfühlungsvermögen und Vertrauen auch in der ganz konkreten Aufgabe der Taktik- wahl eine glückliche Hand bewiesen … WELLENSIEK: Sie sprechen einen ganz wichtigen Aspekt an: eine glückliche Hand. Erfolg ist natürlich auch eine Frage der Fortune. Dessen sollte man sich bewusst sein – wenn etwas klappt, und auch dann, wenn etwas einmal nicht klappt, was natürlich auch bei uns vorkam. Genau deshalb habe ich es ganz prinzipiell als großes Glück betrachtet, überhaupt so etwas wie Bundesligatennis beim HTC Heidelberg erleben zu dürfen. Ich habe jeden Augenblick mit diesen wunderbaren Sportlerinnen genossen, wir haben uns gemeinsam gefreut, wenn wir gewonnen haben, und waren gemeinsam traurig, wenn wir verloren haben.

Ein besonderer Augenblick dürfte das 100-jährige Jubiläum gewesen sein, bei dem rund 3.000 Menschen einen Schaukampf zwischen Steffi Graf und Helena Sukova erleben durften? WELLENSIEK: Dieses Wochenende im Mai 1990 war mit Sicherheit einer der absoluten Höhepunkte für unseren Verein und auch für mich persönlich. Da kommt Steffi Graf – die zu dieser Zeit unangefochtene Nummer eins der Tenniswelt, Golden Slam Siegerin und Spielerin mit den meisten Turniersiegen und

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Finalteilnahmen im Jahr der Wiedervereinigung – also schon damals die beste Tennisspielerin aller Zeiten. Und diese Persönlichkeit spielt auf unserer Anlage gegen Helena Sukova. Um das einzuordnen: Die beiden standen drei Jahre später bei den US Open in einem Grand Slam Finale. Wenn ich mir das heute überlege, auf welchem Tennisniveau wir uns damals bewegten …

War dies der für Sie größte Erfolg in Ihrer Zeit als Tennismanager, eine gemeinsam mit anderen eine solche Veranstaltung zu organisieren und der regionalen Tennisöffentlichkeit zu präsentieren? WELLENSIEK: Ich könnte sagen, dass ich es durchaus als Erfolg werte, meine persönliche Geschichte mit der Geschichte dieses Traditionsvereins in Verbindung zu sehen. Gleichzeitig sehe ich für mich persönlich sehr viele Erfolge, nämlich die Erfolge in unzähligen Begegnungen und wertvollen Gesprächen mit tollen Menschen. Ein schönes Kompliment, auf das ich stolz bin, machte mir viele Jahre nach der Bundesligazeit Anke Huber, als sie sagte – ich zitiere: „Du warst für uns Chauffeur, Tröster, Manager und Mentor.“ Das hat mir bewusst gemacht, was mir im Berufsleben eher unterbewusst auch schon früh zu einem Prinzip wurde: Du kannst ein brillanter Jurist sein, aber das Leben wird nicht von Verträgen und Paragrafen bestimmt, sondern von guten Beziehungen – gerade dann, wenn es schwierig wird. Und meine Aufgaben im Beruflichen waren meist sehr schwierig!

Wie schafft man es, nicht nur vielfältig engagiert, sondern auch in vielerlei Engagements erfolgreich zu sein? Man könnte vermuten, jedes einzelne Ihrer Engagements sei ein Fulltime-Job gewesen. WELLENSIEK: Sie können nur gelingend agieren im vertrauensvollen Zusammenwirken mit anderen. Schwierige Aufgaben lösen Sie nur in einem guten Team mit Menschen, auf die Sie sich verlassen können. Für mich beruhte der Erfolg nicht nur auf der hervorragenden Unterstützung durch ein qualifiziertes engagiertes Team, sondern auch durch das Verständnis meiner Frau Annelie für meine Arbeit und dass sie im privaten Bereich mir den Rücken freigehalten hat. Und sie hat mich stets bestärkt da-

Zwei, die sich gut verstehen: Angelika Lautenschläger und Dr. Jobst Wellensiek beim TennisWeltranglistenturnier MLP-Cup im Racket Center

bei, dass das, was ich tue, das Richtige ist. Die innere Überzeugung, das Richtige zu tun, motiviert zu Ausdauer, Beharrlichkeit und zu fleißigem Arbeiten. Dabei habe ich es immer als Privileg empfunden, den Großteil meiner Lebenszeit als Schaffenszeit gestalten zu dürfen. Was so manche als Arbeitsbelastung empfinden würden, war für mich zumeist Freude an der Arbeit.

Sie haben immer wieder deutlich werden lassen, wie wichtig das Lernen für Sie ist. Lebenslanges Lernen und anspruchs- volles Arbeiten scheint heutzutage von vielen als Last wahrgenommen zu werden. Für Sie ist es …? WELLENSIEK: … Lebenselixier! Schauen Sie, ich habe meine prägenden Jugendjahre in Kriegszeiten erlebt. Mir war durchaus klar, dass es keine Selbstverständlichkeit und nicht allein eine Frage von Begabung ist, Lernen zu dürfen, das Abitur zu machen und eben auch Tennis zu spielen. Vielleicht ist das der Grund, weshalb ich alle meine Tätigkeitsfelder bis heute als Lernfelder betrachte. Ich bin einfach ein neugieriger Mensch. Es scheint mir gelungen zu sein, ein Engagement auf einem Gebiet gleichzeitig auch als Ausgleich zu den Aktivitäten auf einem anderen Gebiet zu gestalten. Aus Arbeitsfreude, Lernerlebnissen und Erfolgen habe ich Kraft geschöpft. Richtig bewusst wurde mir dies, als man mir sagte, ich hätte mein berufliches Fortkommen auch dem Verein zu verdanken, wobei damit nicht gemeint war, dass mich etablierte Persönlichkeiten in irgend- einer Weise protegiert hätten. Gemeint war die Tatsache – und genauso ist es auch – dass meine frühe Sozialisation im Verein als Spieler in einem Team und als Funktionär im Vorstand meinen Charakter geprägt hat. Jetzt sollte man achtsam sein, wenn man seinen eigenen Charakter beschreibt. Aber man sagt mir nach, dass ich sehr auf Ausgleich bedacht bin und mir mein Einfühlungsvermögen dabei hilft, in meinem beruflichen, sportlichen und privaten Umfeld, ausgleichend zu wirken.

In Interviews, wie z. B. im Handelsblatt oder in der WirtschaftsWoche, haben Sie sich selbst als „Konsensverwalter“ bezeichnet. Sie haben vorher erläutert, was Konsens meint. Steht das im Gegensatz zu Konkurs? WELLENSIEK: Zunächst ist mir diese Bezeichnung lieber als z. B. „Herr der Pleiten“. Pleite ist – finde ich – ein hartes Wort. Und was die „Legende“ angeht – naja, bei aller Schmeichelei: Ich bin ja noch hier! Der Begriff Konkurs aus den Reichsgesetzen von 1877 deutet auf Einstellung von Zahlungen und Betriebsabwicklungen hin. Ein Sinn für Sanierung und Zukunftsstreben lässt sich darin nicht finden. Nein, in meiner Denkwelt war es mir ein großes Anliegen, der Insolvenz den Makel des Scheiterns und Versagens zu nehmen. Ich habe erlebt, wie ein Unternehmer an ein und demselben Tag einen Fachvortrag hält, danach einen Insolvenzantrag stellt und sich im Anschluss das Leben nimmt. Das war für mich persönlich eine schlimme Erfahrung. Daher ist es für mich wichtig, bei all der Suche nach Masse [Vermögenswerte], also der Kernaufgabe des Insolvenzverwalters, dabei stets den Menschen zu sehen, den Arbeitnehmer, den Lieferanten, den Eigentümer und die Vielen, die dahinterstehen und betroffen sind: die gesamte Belegschaft, die Familien, andere Branchen wie die der Zulieferer und nachgelagerter Wirtschaftsakteure. Also – es darf nicht nur um Abwicklung gehen, es muss auch um Zukunftschancen gehen. Das war mein

Interviewpartner Dr. jur. Jobst Wellensiek und Dr. Matthias Zimmermann

Credo. Als ich 1964 mein erstes Mandat bekam, war sich die Mehrzahl der Anwälte für so etwas, wie einen Konkurs zu übernehmen, noch zu vornehm. Als es mir gelang, anstelle der Liquidation und der meist bescheidenen Befriedigung der Gläubigerinteressen die sogenannte „übertragende Sanierung“, die Teilveräußerung von funktionierenden Vermögensteilen und mit dem Fortbestand von Unternehmen auch den Fortbestand von Arbeitsplätzen zu sichern, wurde ich plötzlich wahrgenommen. So stieg ich in meinem Metier auf in die Bundesliga. Dass mir dies gelingen konnte, hat nach meiner Selbsteinschätzung mit der Überzeugung zu tun, dass man – bei allem Durchsetzungsdrang – in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle gut daran tut, wenn man nach Konsens strebt.

Wenn man es nüchtern betrachtet, liegt Ihrem beruflichen Erfolg die Beschäftigung mit Misserfolg zugrunde. Nach einer Studie des Max-Planck-Instituts ist die Mehrzahl der Insolvenzen auf das Missmanagement der Führungskräfte zurückzuführen. WELLENSIEK: Das entspricht durchaus meiner Erfahrung. In vielen Insolvenz- fällen muss man feststellen, dass schlecht gewirtschaftet wurde. Aber zu einer gewissen Demut gehört es auch, folgendes anzuerkennen: Vielfach lässt es sich eben erst im Nachhinein feststellen, dass eine unternehmerische Entscheidung ein Fehler war. Man sollte sich davor hüten, beides – Erfolg und Misserfolg – nur allein der eigenen Kompetenz oder dem eigenen Versagen zuzuschreiben. Der Zufall, die glückliche Hand oder nennen Sie es, wie Sie wollen, sind eben auch mit im Spiel. Im Leben und im Beruf gibt es nun einmal beides: Sieg und Niederlage.

Wobei Sie bestimmt auch mit Charakteren konfrontiert waren, die den Karren ziemlich an die Wand gefahren haben? WELLENSIEK: Auch das ist richtig. Der Charakter der Akteure spielt oft eine wichtige Rolle. Ich habe es im sportlichen und im unternehmerischen Umfeld erlebt, dass viele mit Erfolg nicht umgehen können und die Bodenhaftung verlieren. Viele Sportler scheitern, wenn sie ihre Karriere beendet haben und ihnen der Starkult abhanden kommt, der ihnen offenbar lebenswichtig ist. Was war Diego Maradona für ein grandioser Fußballer, und wie verkorkst war sein Leben danach? Auch bei Unternehmen kommt es nicht selten vor, dass die Ursachen für eine Insolvenz gerade in den Zeiten des Erfolgs ihren Anfang nehmen. Wenn Menschen von Ruhm und Reichtum überrollt werden, sich die Schmeichler und Claqueure um sie scharen und plötzlich ganz eigene Wahrheiten geschaffen werden, wird der Erfolg zur Gefahr. Darf ich Ihnen einen Grundsatz auf den Weg geben? Man tut gut daran, mit der eigenen Persönlichkeit dem Erfolg immer einen Schritt voraus zu sein. Ein untrügerisches Zeichen dafür ist, wenn man auch dem anderen den Erfolg aus tiefstem Herzen gönnt und sich in einem Umfeld bewegt, in dem die Menschen gut geerdet durch´s Leben gehen …! Lieber Herr Wellensiek, vielen Dank für dieses bereichernde Gespräch – und für das wunderbare Schlusswort. Den Grundsatz der Bodenständigkeit behalte ich mir gerne im Gedächtnis, sollte ich jemals in die sehr unwahrscheinliche Gefahr geraten, dass mich Ruhm und Reichtum überrollen …!

An diese Stelle noch eine Anmerkung: Eine gute Portion Humor ist bei Jobst Wellensiek immer mit dabei. Es wurde viel gelacht bei diesem Gespräch. Die erzählten Anekdoten sind Ausdruck von großer Weisheit, menschlicher Zugewandtheit und der Fähigkeit, auch über sich selbst lachen zu können. Über 150 Zuschriften bekam Jobst Wellensiek zu seinem 89. Geburtstag, und täglich erhält er Anrufe von ganz unterschiedlichen Menschen, die ihn zu ganz unterschiedlichen Themen nach seiner Meinung fragen. Nach diesem Austausch weiß ich, warum das so ist. Dieser Mann hat viel bewegt, und er tut es immer noch. Etwas bewegen zu können, das sei für ihn Erfolg. Doch niemand ist immer nur erfolgreich: „Ja, ich hatte Erfolge – und manche Fehlschläge. Beides sollte für die eigene Bodenständigkeit aber keine bedeutende Rolle spielen“, meint Jobst Wellensiek – und sagt ganz zum Abschluss, als ich ihn um ein gemein- sames Foto bitte, noch diesen ganz besonderen Satz: „Sie können mich gerne um alles bitten. Wissen Sie, ich halte mich generell für unkompliziert und eher pflegeleicht. Hoffentlich bleibt das auch so, wenn ich mal ins Alter komme …!“

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