Sieber Ziitig 4/2017

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SWS

Sieber Ziitig

Sozialwerke Pfarrer Sieber

auffangen – betreuen – weiterhelfen

Nr. 4/2017

Weg von der Gasse und der Einsamkeit! Einsamkeit ist ein prägendes Gefühl für Menschen auf der Gasse. Indem wir auf sie zugehen, zeigen wir ihnen, dass sie nicht allein sind.

Editorial

Ein Schüler fragte einst seinen Rabbi: «Meister, warum haben die Menschen früher Gott so oft gesehen – und wir kriegen ihn kaum noch zu Gesicht?» Der Rabbi antwortete: «Weil wir uns nicht mehr tief genug bücken können.» Die Frage hätte auch von einem Jünger, die Antwort von Jesus von Nazaret kommen können. Jesus weist uns den Weg durch die Dunkelheit und die Kälte zu den Einsamen, Verlassenen und den an Leib und Seele Frierenden. Wo wir uns auf diesem Weg führen lassen, treffen wir Menschen an, die zerbrochen sind am vielfältig wachsenden Druck unserer Gesellschaft. Männer, die trotz Einnahme leistungsfördernder Mitteln die geforderte Leistung irgendwann nicht mehr brachten. Frauen, die am gesellschaft­lichen Druck scheiterten: Immer schön, erfolgreich und charmant sein zu müssen, die strahlende Frau an der Seite ihres perfekten Mannes und die Mutter von hoffnungsvollen und ehrgeizigen Teenagern darzustellen, hat sie ausbrennen lassen. Menschen, die trotz vier gleichzeitig verübten Jobs und 18-Stunden-Tagen ihre Familien nicht mehr zu ernähren vermochten. Jugendliche, die emotional vernachlässigt, geschlagen, missbraucht wurden. Der Beispiele sind viele, und dabei ist jede Geschichte eine zu viel. Und Kälte, Nässe und Dunkelheit des Winters potenzieren diese Geschichten noch. Dabei haben diese Menschen Gaben und Talente, Hände und Herzen. Und wo wir uns tief genug bücken, dürfen wir in ihren gezeichneten Gesichtern Gottes Antlitz ahnen. Das Antlitz Gottes, der Mensch wird, damit kein Mensch in der Einsamkeit und in der Verwahrlosung bleiben muss. Sich bücken zu dürfen, ist übrigens kein Privileg von Gassenarbeitern und Sozialbegleiterinnen. In diesem Sinne: Danke für Ihre Freundschaft und Verbundenheit. Mit Ihnen gehen wir den Weg zu den Frierenden und den Einsamen unserer Tage gestärkt und hoffnungsvoll.

• Christoph Zingg, Gesamtleiter

E

Um die Einsamkeit zu überwinden, müssen wir einander stützen. (Bild: Pfarrer Sieber)

IM NEBEL von Hermann Hesse Seltsam, im Nebel zu wandern! Einsam ist jeder Busch und Stein, Kein Baum sieht den anderen, Jeder ist allein. Voll von Freunden war mir die Welt, Als noch mein Leben licht war; Nun, da der Nebel fällt, Ist keiner mehr sichtbar. Wahrlich, keiner ist weise, Der nicht das Dunkel kennt, Das unentrinnbar und leise Von allem ihn trennt. Seltsam, im Nebel zu wandern! Leben ist Einsamsein. Kein Mensch kennt den andern, Jeder ist allein.

insamkeit, wie sie Hermann Hesse beschreibt, prägt unser Leben und verunsichert zutiefst. Das Verhältnis von Mensch zu Gott und der Menschen untereinander ist denn auch das Grundmotiv der Bibel. Schon in der Schöpfungsgeschichte spricht Gott: «Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei.» Und er stellte dem einsamen Adam Eva zur Seite (1. Mose 2,18). Einsamkeit hat auch in unserer modernen Welt nichts von ihrem Schrecken eingebüsst. Viele Menschen zerbrechen an ihr. Das erleben wir in unserer täglichen Arbeit auf der Gasse leider nur zu häufig. Die zunehmende Zahl der Einpersonenhaushalte, die Digitalisierung und der Populismus tragen zur Verein­ samung von immer mehr Menschen bei. Wenn Erfolg und materieller Reichtum uns beherrschen, wird das Zusammenleben als Kraftquelle zerstört. Egoismus führt zu auswegloser Einsamkeit.

(Mt 26,36) Kraft für seinen Gang ans Kreuz. Er bestand das Alleinsein mit Gottesbewusstsein. Als Bauernknecht war ich oft allein. Die Einsamkeit öffnete mir den Weg zu Gott. Für Menschen auf der Gasse ist die Einsamkeit aber nur schrecklich. Weil sie immer allein sind. Und nicht wie Elia oder ich in eine Gemeinschaft zurückkehren können. Letztlich finden wir Gottes Nähe nur dann, wenn wir anderen Menschen begegnen und mit ihnen Gemeinschaft pflegen. Jesus verhiess: «Wenn zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, bin ich mitten unter ihnen (Mt 18,20).» Wahrer Gottesdienst führt nicht zu individueller Frömmigkeit, sondern zu echter Gemeinschaft.

• Pfarrer Dr. h.c. Ernst Sieber

Allein zu sein, kann eine Quelle der Kraft sein. Das erlebte etwa der Prophet Elia. In der Einsamkeit einer Höhle fand er Gott (1. Könige 19,13). Auch Christus fand in der Einsamkeit des Gartens Gethsemane

Freiwillige gesucht Helfen Sie uns, die Winterangebote für Obdachlose durchzuführen. Wir brauchen Sie. Können Sie sich vorstellen, Gastgeberin oder Gastgeber für Obdachlose zu sein? Für unsere Notschlafstellen Pfuusbus und Iglu sowie die Kältepatrouillen suchen wir für die Zeit vom 15. November 2017 bis 15. April 2018 freiwillige Mitarbeitende. Im Pfuusbus sorgen Sie dafür, dass Obdachlose ein vorübergehendes Daheim erhalten und sich für einige Stunden vom Stress des Gassenalltags erholen können. Im Iglu

N o t schlaf s t e ll e n

heissen Sie mittellose Wanderarbeiter willkommen. Auf den Patrouillen, die jeweils 22.30–3.30 Uhr durchgeführt werden, unterstützen Sie Obdachlose in der ganzen Stadt und machen Sie auf aunsere Notschlafstellen Pfuusbus und Iglu aufmerksam. Wenn regelmässige Einsätze abends und nachts Sie nicht abschrecken und Sie sich die Gastgeberrolle vorstellen können, sollten wir uns kennenlernen. Bitte melden Sie sich. Wir freuen uns auf Sie! • fw-koordination@swsieber.ch


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