Sieber Ziitig 4/2017

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SWS

Sieber Ziitig

Sozialwerke Pfarrer Sieber

auffangen – betreuen – weiterhelfen

Nr. 4/2017

Weg von der Gasse und der Einsamkeit! Einsamkeit ist ein prägendes Gefühl für Menschen auf der Gasse. Indem wir auf sie zugehen, zeigen wir ihnen, dass sie nicht allein sind.

Editorial

Ein Schüler fragte einst seinen Rabbi: «Meister, warum haben die Menschen früher Gott so oft gesehen – und wir kriegen ihn kaum noch zu Gesicht?» Der Rabbi antwortete: «Weil wir uns nicht mehr tief genug bücken können.» Die Frage hätte auch von einem Jünger, die Antwort von Jesus von Nazaret kommen können. Jesus weist uns den Weg durch die Dunkelheit und die Kälte zu den Einsamen, Verlassenen und den an Leib und Seele Frierenden. Wo wir uns auf diesem Weg führen lassen, treffen wir Menschen an, die zerbrochen sind am vielfältig wachsenden Druck unserer Gesellschaft. Männer, die trotz Einnahme leistungsfördernder Mitteln die geforderte Leistung irgendwann nicht mehr brachten. Frauen, die am gesellschaft­lichen Druck scheiterten: Immer schön, erfolgreich und charmant sein zu müssen, die strahlende Frau an der Seite ihres perfekten Mannes und die Mutter von hoffnungsvollen und ehrgeizigen Teenagern darzustellen, hat sie ausbrennen lassen. Menschen, die trotz vier gleichzeitig verübten Jobs und 18-Stunden-Tagen ihre Familien nicht mehr zu ernähren vermochten. Jugendliche, die emotional vernachlässigt, geschlagen, missbraucht wurden. Der Beispiele sind viele, und dabei ist jede Geschichte eine zu viel. Und Kälte, Nässe und Dunkelheit des Winters potenzieren diese Geschichten noch. Dabei haben diese Menschen Gaben und Talente, Hände und Herzen. Und wo wir uns tief genug bücken, dürfen wir in ihren gezeichneten Gesichtern Gottes Antlitz ahnen. Das Antlitz Gottes, der Mensch wird, damit kein Mensch in der Einsamkeit und in der Verwahrlosung bleiben muss. Sich bücken zu dürfen, ist übrigens kein Privileg von Gassenarbeitern und Sozialbegleiterinnen. In diesem Sinne: Danke für Ihre Freundschaft und Verbundenheit. Mit Ihnen gehen wir den Weg zu den Frierenden und den Einsamen unserer Tage gestärkt und hoffnungsvoll.

• Christoph Zingg, Gesamtleiter

E

Um die Einsamkeit zu überwinden, müssen wir einander stützen. (Bild: Pfarrer Sieber)

IM NEBEL von Hermann Hesse Seltsam, im Nebel zu wandern! Einsam ist jeder Busch und Stein, Kein Baum sieht den anderen, Jeder ist allein. Voll von Freunden war mir die Welt, Als noch mein Leben licht war; Nun, da der Nebel fällt, Ist keiner mehr sichtbar. Wahrlich, keiner ist weise, Der nicht das Dunkel kennt, Das unentrinnbar und leise Von allem ihn trennt. Seltsam, im Nebel zu wandern! Leben ist Einsamsein. Kein Mensch kennt den andern, Jeder ist allein.

insamkeit, wie sie Hermann Hesse beschreibt, prägt unser Leben und verunsichert zutiefst. Das Verhältnis von Mensch zu Gott und der Menschen untereinander ist denn auch das Grundmotiv der Bibel. Schon in der Schöpfungsgeschichte spricht Gott: «Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei.» Und er stellte dem einsamen Adam Eva zur Seite (1. Mose 2,18). Einsamkeit hat auch in unserer modernen Welt nichts von ihrem Schrecken eingebüsst. Viele Menschen zerbrechen an ihr. Das erleben wir in unserer täglichen Arbeit auf der Gasse leider nur zu häufig. Die zunehmende Zahl der Einpersonenhaushalte, die Digitalisierung und der Populismus tragen zur Verein­ samung von immer mehr Menschen bei. Wenn Erfolg und materieller Reichtum uns beherrschen, wird das Zusammenleben als Kraftquelle zerstört. Egoismus führt zu auswegloser Einsamkeit.

(Mt 26,36) Kraft für seinen Gang ans Kreuz. Er bestand das Alleinsein mit Gottesbewusstsein. Als Bauernknecht war ich oft allein. Die Einsamkeit öffnete mir den Weg zu Gott. Für Menschen auf der Gasse ist die Einsamkeit aber nur schrecklich. Weil sie immer allein sind. Und nicht wie Elia oder ich in eine Gemeinschaft zurückkehren können. Letztlich finden wir Gottes Nähe nur dann, wenn wir anderen Menschen begegnen und mit ihnen Gemeinschaft pflegen. Jesus verhiess: «Wenn zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, bin ich mitten unter ihnen (Mt 18,20).» Wahrer Gottesdienst führt nicht zu individueller Frömmigkeit, sondern zu echter Gemeinschaft.

• Pfarrer Dr. h.c. Ernst Sieber

Allein zu sein, kann eine Quelle der Kraft sein. Das erlebte etwa der Prophet Elia. In der Einsamkeit einer Höhle fand er Gott (1. Könige 19,13). Auch Christus fand in der Einsamkeit des Gartens Gethsemane

Freiwillige gesucht Helfen Sie uns, die Winterangebote für Obdachlose durchzuführen. Wir brauchen Sie. Können Sie sich vorstellen, Gastgeberin oder Gastgeber für Obdachlose zu sein? Für unsere Notschlafstellen Pfuusbus und Iglu sowie die Kältepatrouillen suchen wir für die Zeit vom 15. November 2017 bis 15. April 2018 freiwillige Mitarbeitende. Im Pfuusbus sorgen Sie dafür, dass Obdachlose ein vorübergehendes Daheim erhalten und sich für einige Stunden vom Stress des Gassenalltags erholen können. Im Iglu

N o t schlaf s t e ll e n

heissen Sie mittellose Wanderarbeiter willkommen. Auf den Patrouillen, die jeweils 22.30–3.30 Uhr durchgeführt werden, unterstützen Sie Obdachlose in der ganzen Stadt und machen Sie auf aunsere Notschlafstellen Pfuusbus und Iglu aufmerksam. Wenn regelmässige Einsätze abends und nachts Sie nicht abschrecken und Sie sich die Gastgeberrolle vorstellen können, sollten wir uns kennenlernen. Bitte melden Sie sich. Wir freuen uns auf Sie! • fw-koordination@swsieber.ch


Vielen Menschen sieht man ihre Nöte nicht an. Dank ihrer Erfahrung erkennt Gassenarbeiterin Sonja Tena aber zielsicher, wer Hilfe braucht.

Zuhause auf Zürichs Strassen Sonja Tena ist Gassenarbeiterin. Auf der Strasse trifft sie Menschen, die sich aufgegeben haben. Sie ermutigt, hört zu und hilft, wenn sie darum gebeten wird.

E

s gibt stillere Orte als die Langstrasse in Zürich, gewiss. Einsam kann man aber dort sehr wohl sein. Kaum jemand weiss das besser als Gassenarbeiterin Sonja Tena. «Täglich treffe ich auf meinen Touren Menschen, die von der Gesellschaft, ja vom Leben nicht mehr viel erwarten. Menschen, die gescheitert sind, wie man so sagt.» Darunter sind keineswegs nur Prostituierte, Lebemänner und Junkies. Nicht selten landen auch Akademiker und Unternehmerinnen nach schweren Lebenskrisen auf der Strasse. Sonja Tena kennt viele. Bald ein Jahrzehnt ist sie schon für Menschen am Rande der Gesellschaft im Einsatz. Lange Zeit in der Suchthilfeeinrichtung Ur-Dörfli, jetzt in der aufsuchenden Gassenarbeit. Die vielen Berufsjahre haben ihren Blick für die Not geschärft. Dort, wo das ungeübte Auge nur ein buntes Menschengewimmel wahrnimmt, erkennt Sonja Tena sofort, wer mitten im Rummel einsam ist. «Dort, siehst du, die Frau neben dem Bushäuschen beim Rothaus. Sie ist obdachlos, obschon man es ihr nicht ansieht.» Als die Frau mit dem Poschtiwägeli Sonja erblickt, huscht ein Lächeln über ihr Ge-

sicht. Dann bricht ein Redeschwall aus ihr heraus. Sie muss «abladen», viel erzählen. Sie beginnt in ihrem Wägelchen zu wühlen. Habseligkeiten liegen bald in einem Umkreis von zwei Metern herum. Endlich hat sie gefunden, wonach sie suchte: eine Gabel, noch mit Speiseresten verklebt. In einem schmutzigen Plastikeimer bereitet sie ihr Abendbrot zu: drei welke Salat­ blätter, Majo und ungekühlten Mozzarella. Nein, in die Sunestube möge sie nicht gehen, sie habe heute keine Zeit, blockt sie Sonja Tenas Hinweis ab. Die Gassen­arbeiterin hört zu und fragt die Frau dann, ob sie noch etwas benötige. Nein, lautet die Antwort, sie habe zwar Schmerzen im rechten Arm, aber es gehe schon. Eine Stunde später trifft Sonja die Frau am Limmatplatz wieder. «Obdachlose und Randständige sind sehr unstet, ich treffe sie mal hier, mal dort.»

«Wir halten schriftlich fest, wen wir wo in welchem Zustand antreffen», erklärt Tena.

Täglich sind Sonja Tena und ihr Kollege Daniel Pflugshaupt zwischen spätem Vormittag und Abend – manchmal wird es Mitternacht – auf Zürichs Strassen unterwegs. Meist in den Kreisen 4 und 5, aber auch in Altstetten und Oerlikon. Unterbrochen nur durch kurze Administrativpausen im Büro.

Ihr Ziel auf der Gasse ist es, Beziehung zu obdachlosen, verwahrlosten und vereinsamten Menschen aufzubauen. Dadurch entsteht Vertrauen. «Erst, wer anderen und sich selbst wieder vertraut, kann an eine bessere Zukunft glauben und konkrete Schritte dahin unternehmen», weiss Tena.

Helfen und Sinn stiften

Bisweilen begleiten die Gassenarbeiter Obdachlose zu Ämtern oder in Anlauf- und Beratungsstellen wie die Sunestube oder den Brot-Egge. «Aber am wichtigsten ist das Zuhören und Anteilnehmen. Das andere folgt.» Wenn es darum geht, die Einsamkeit zu brechen, spielt Zeit keine Rolle.

• Walter von Arburg, Leiter Kommunikation

Info-Treffen zum Thema Nachlassplanung Wir laden Sie herzlich zu unserem Treffen mit einem Spezialisten für Erbschaft und Testament ein. Gesamtleiter Christoph Zingg und sein Stellvertreter Volker Karbach zeigen zudem, wie wir mit Spenden umgehen und was diese konkret bewirken.

• Donnerstag, 9. November 14–16 Uhr • Freitag, 17. November 14–16 Uhr Jacqueline Arter freut sich auf Ihre Anmeldung unter Tel. 043 336 50 80 oder info@swsieber.ch. Sie erhalten eine Bestätigung und einen Anfahrtsplan.

Wie erstelle m e nt ich ein Testa Erboder einen g? schaftsvertra

Wir freuen uns, Sie in unserer Geschäftsstelle an der Hohlstrasse 192 in Zürich persönlich begrüssen zu dürfen. Vielen Dank für Ihr Interesse.


Die Einsamkeit ist das Schlimmste Michael R. (45) schaffte den Entzug und freut sich, wieder auf eigenen Beinen zu stehen. Rückblickend sieht er neben den Drogen die Einsamkeit als schlimmsten Wegbegleiter. «Warum mich Drogen schon als Jugendlicher faszinierten, weiss ich nicht. Vielleicht hängt das mit meiner Kindheit zusammen. Meine Mutter wollte mich nach der Geburt nicht, so dass ich bei lieben Adoptiveltern aufwuchs. Diese waren stets gut zu mir und sind es immer noch. Sie sind daher meine Eltern. Sie leiden sehr darunter, dass ich «den Rank nicht fand». Sie mussten sich während einiger Jahre von mir «abnabeln», um die Situation auszuhalten. Das schmerzt. Aber ich konnte nicht anders.

einer Untermieterin. Nachdem ich eine Einzimmerwohnung in einem Betreuten Wohnen gefunden hatte, gewährte ich dort einer Bekannten von der Strasse Unterschlupf. Doch die Frau missbrauchte mein Vertrauen. Sie benahm sich so daneben, dass mir gekündigt wurde. Ich stand erneut auf der Strasse.

Vor vier Jahren kam ich dann krankheitshalber ins Spital SuneEgge. Das war der Wendepunkt in meinem Leben. Nach der Genesung war ich in der Pflegestation Sunegarte. Hier glückte mir Irgendwie faszinierte mich schon früh das Buch von Christiane F., endlich der Alkoholentzug. Und auch den Medikamentenkonsum «Wir Kinder vom Bahnhof Zoo», und der Platzkonnte ich reduzieren. Die grossartige UmgeBin ich unter all spitz hatte eine enorme Anziehungskraft auf bung und die wertschätzende Betreuung hier den «normalen» Menschen halfen mir auf die Beine. So kann ich bald eine mich. Aber Heroin und Kokain nahm ich nie. ein Fremdkörper? Ich war auf dem Platzspitz ein Aussenseiter, kleine Wohnung in Winterthur beziehen. eher ein Beobachter. Selbst das Kiffen liess ich Den sehnlichsten Wunsch meines Vaters, dass ich endlich einer bleiben, weil es mir schlecht einfuhr. Dafür lebte ich als Wintergeregelten Arbeit nachgehe, werde ich ihm leider nicht erfüllen thurer nach meiner abgebrochenen Malerlehre in der Alki-Szene können. Mein Körper ist ein Wrack, ich leide an Arthrose und beim Pavillon im Stadtpark der Eulachstadt. Neben Bier – zu meibeziehe IV. Aber ich werde schauen, mich wo immer möglich nen dunkelsten Zeiten trank ich vier Kisten am Tag und rauchte drei nützlich zu machen. Ich freue mich auf meine Selbständigkeit, Päckli Zigis – konsumierte ich Dormicum und andere Medis. Mit aber ich habe auch Respekt davor. Schaffe ich es, allein zu leben dem Mist betäubte ich meine Schmerzen – und die Einsamkeit. und trocken zu bleiben? Bin ich inmitten «normaler» Leute nicht Die Einsamkeit ist das Schlimmste an der Obdachlosigkeit. Zu ein Fremdkörper? Okay, vielleicht bin ich ja gar nicht so anders als wissen, dass man sich auf niemanden verlassen kann und niemandie anderen. Ich bin nämlich selbst etwas pedantisch geworden – den hat, der einem beisteht. Man ist hilflos und von anderen abschon selbst ein kleiner Bünzli.» hängig. Was passiert, wenn man zu sehr vertraut, erlebte ich mit • Aufgezeichnet von Walter von Arburg

G assen arbeit

Hinhören, statt abhören Andreas Käser ist Seelsorger im SuneEgge und auf der Gasse. Im Gespräch erzählt er von seinen Erfahrungen. Woran leiden Menschen auf der Gasse am meisten: Hunger, Kälte, Krankheiten? Alle diese sind sicherlich anzutreffen. Doch sie sind nur die eine Seite der Nöte. Die unsichtbaren Leiden, die tief sitzenden Nöte wie Angst, Einsamkeit und vor allem fehlendes Vertrauen in sich und andere sind mindestens so grosse Herausforderungen. Was sind die Ursachen dieser Nöte? Da gibt es mehrere. Eine wichtige Ur­ sache, die mir immer wieder begegnet, ist der Leistungsdruck. Die Angst, den Job zu verlieren, bringt immer mehr Menschen an den Rand der Erschöpfung. Kommt hinzu, dass heute viele Menschen allein leben. Bei einer Krise wie Jobverlust, Wohnungsverlust, Schulden etc. kann das verheerende Auswirkungen haben.

Kannst du als Seelsorger da überhaupt etwas ausrichten? Es ist in der Tat eine Herkulesaufgabe, die eine einzelne Berufsgattung gar nicht bewältigen kann. Um sozial desintegrierte Menschen zu unterstützen, müssen Seelsorger, Sozialarbeiterinnen und die Medizin zusammenarbeiten. Und selbst dann kommen Notleidende nicht sofort auf die Beine. Denn Vertrauen in sich und an­dere wächst langsam. Die Seele braucht Zeit und ein interessiertes, zuhörendes Gegenüber. Das fehlt leider heute vielen Berufstätigen. Ein Patient, den ich seit einigen Monaten betreue, schilderte mir dies eindrücklich so: Als er neulich zur Behandlung in einem öffentlichen Spital weilte, konnte er dort praktisch nur mit dem Reinigungspersonal sprechen. Das Pflegepersonal hatte kaum Zeit, weil es unter Dauerstress von Patient zu Patient zu Datenerfassung eilte. Hast du als Seelsorger denn mehr Zeit? Es ist wohl der springende Punkt, weshalb wir von den Sozialwerken Pfarrer Sieber

bei Gassenleuten mehr bewirken können als staatliche Anbieter. Wir nehmen uns mehr Zeit für die Klienten – ob im Spital Sune-Egge, in den Anlauf- und Beratungsstellen oder in der Seelsorge. Wie misst du als Seelsorger deinen Erfolg? Das ist eine typische Frage unserer ökonomisierten Zeit. Ich weiss nicht, ob sich Seelsorge mit unseren standardisierten Methoden messen lässt. Und was heisst Erfolg? Wie viele Gesprächsminuten haben wir zur Verfügung, damit jemand die Obdachlosigkeit oder Sucht hinter sich lässt? Was ich weiss, ist, dass ich zu­ frieden nach Hause gehe, wenn heute ein Mensch in mir jemanden gehabt hat, mit dem er seine innersten Ängsten und Fragen hat bereden können. Wenn mein Gegenüber weiss, dass ich nicht nur abgehört, sondern hingehört habe. Wenn es spürt: «Ich bin nicht allein.» Ich bin immer wieder berührt vom tiefen Gehalt der Gespräche und von der Dankbarkeit vieler Gassenleute uns und unserer Arbeit gegenüber. (arb)


Öffentliche Gedenkfeier für verstorbene Obdachlose Sonntag, 12. November, 10 Uhr Wasserkirche Zürich

Kleider machen Leute Im Gegensatz zu ausländischen Grossstädten sieht man bei uns kaum zerlumpte Obdachlose. Gibt es sie hier also gar nicht? Doch, auch in Zürich gibt es Obdachlose, mehr als man denkt. Bloss sieht man es ihnen kaum an. Das hat seine Gründe. Einer davon ist, dass die Sozialwerke Pfarrer Sieber viele Hilfsangebote aufgebaut haben und damit rasch und gezielt auf die unterschiedlichsten Nöte reagieren können.

Wir helfen in Not

Ein anderer Grund hat mit unserer Überflussgesellschaft zu tun. Hierzulande wandern auch fast neuwertige, kaum getragene Klamotten in die Altkleidersammlung. Dank dieser Wegwerfmentalität verfügen wir über reichlich gute Kleider, die wir Bedürftigen in unseren Einrichtungen und im eigens dafür betriebenen Chleiderlade in Seebach (Bild) unbürokratisch abgeben. Für Bedürftige ist das bedeutsam. Ihnen ist damit ihre prekäre Lebenssituation nicht mehr ohne weiteres anzusehen. Mit der erfreulichen Folge, dass Obdachlose von der Gesellschaft nicht allein schon aufgrund ihres Äusseren stigmatisiert werden. (arb)

Die Gassenarbeit ist für die neue Stiftungsratspräsidentin Vanessa Oelz die wichtige Basis unserer Arbeit.

D

ie Sieberwerke haben die aufsuchende Gassen­ arbeit neu ausgestaltet und intensiviert. Dadurch können wir Menschen, um die sich niemand mehr kümmern will oder die am Rande ihrer Existenz stehen, auf der Gasse noch besser erreichen und ihnen zur Seite stehen. Wir begegnen ihnen auf Augenhöhe und lindern ihre Einsamkeit. Wir versorgen sie mit Lebensmitteln. Bei uns finden sie vorübergehend oder für längere Zeit ein Obdach

oder eine begleitete Wohnsituation. Wir nehmen sie bei Krankheit in unserem Spital auf oder sie finden bei uns ein Pflegebett. Auch in ausweglos erscheinenden Situationen helfen wir weiter. Und wir bieten eine statio­näre Therapie, die zurück in ein selbstbestimmtes und verantwortungsvolles Leben führen kann. Unsere Arbeit ist getragen von Zuwendung zu jedem Einzelnen mit seinem speziellen Schicksal und seinen individuellen Möglichkeiten.

• Vanessa Oelz, Stiftungsratspräsidentin

Die Zahlen beziehen sich auf das Jahr 2016.

25’989

Suppen und Sandwiches verteilten unsere Gassenarbeiter/-innen.

Seit mehr als

29

Jahren sind wir auf den Strassen Zürichs für Obdachlose da.

88

Prozent aller Spenden kommen direkt den Betroffenen zugute.

Impressum

Im Gespräch mit Toni Vescoli*

Sieber Ziitig Nr. 56 Oktober 2017 Erscheint 4 x jährlich Jahresabo Fr. 5.– Herausgeberin Stiftung Sozialwerke Pfarrer Ernst Sieber Redaktion Walter von Arburg, Christoph Zingg, Elena Philipp

In den 60er- und 70er-Jahren waren sie gross im Musik­ geschäft. Liefen Sie nie Gefahr, in die Drogen abzurutschen? Nein.

Gestaltung Claudia Wehrli, Winterthur

Warum nicht? Irgendwie scheine ich von «Sucht-Genen» verschont zu sein.

Druck Spühler Druck, Rüti

Gab es für Sie im Showbusiness andere Gefahren, sich zu verlieren? (Geld? Ruhm? Mädchen?) Nein, höchstens die, von irgendwelchen «Gschäftlimachern» über den Tisch gezogen zu werden! Welchen Stellenwert in Ihrem Leben hat Ihre über 50-jährige Beziehung zu Ruth? Den grössten! Wann nahmen Sie erstmals von Pfarrer Sieber Notiz? Ich spielte mit meinen «Les Sauterelles» 1968 aus Solidarität gratis an der ersten Vollversammlung der Zürcher Jugend im Volkshaus Zürich. Unter anderen trat auch Ernst Sieber ans Mikrofon. Weil er aber, als Pfarrer, in den Augen der Jugend­ lichen, zum Establishment gehörte, wurde er niedergeschrien und kam leider nicht zu Wort, was mich masslos ärgerte. Er hätte bestimmt konstruktive Vorschläge einbringen können.

Revisionsstelle BDO AG, Zürich Gesamtleiter Christoph Zingg

Wie stufen Sie sein Lebenswerk ein? Ernst Sieber ist ein überaus wichtiger Eckpfeiler im Sozialwesen der Stadt Zürich, und es war für mich eine Freude, schon mal mit ihm zusammen zu arbeiten. Warum braucht es seine Sozialwerke heute noch? Weil sie von «gebrannten Kindern» als private Institutionen wahrgenommen werden und ihnen deshalb weniger Misstrauen entgegen gebracht wird als staatlichen Angeboten. Und natürlich auch, weil sie wichtige Nischen ausfüllen. *Toni Vescoli (*1942), ist ein Schweizer Musiker und Sänger/Liedermacher

Ehrenpräsident Pfarrer Ernst Sieber IBAN-Nummer CH98 0900 0000 8004 0115 7 PC-Konto 80-40115-7

4’103

Übernachtungen zählte der Pfuusbus im letzten Winterhalbjahr.

Geschäftsstelle Hohlstrasse 192, 8004 Zürich 043 336 50 80 info@swsieber.ch kommunikation@swsieber.ch www.swsieber.ch Stiftungsrat lic. iur. Vanessa Oelz, Präsidentin Stefan Elsener Alfred Gerber Theo Handschin Patrick Hohmann Jolanda Huber Betriebe Anlauf- und Beratungsstelle Sunestube und Noteinrichtung für obdachlose Jugendliche Nemo, Militärstrasse 118, 8004 Zürich Anlauf- und Beratungsstelle Brot-Egge, Seebacherstrasse 60, 8052 Zürich Wohnsiedlung Brothuuse, Mühlackerstrasse 4, 8046 Zürich Suchthilfeeinrichtung Ur-Dörfli, Bahnhofstrasse 18, 8330 Pfäffikon Fachspital für Sozialmedizin und Abhängigkeitserkrankungen Sune-Egge, Konradstrasse 62, 8005 Zürich Pflegestation Sunegarte, Ober Halden 5, 8132 Egg Rehabilitationszentrum Sunedörfli, Postfach 36, 8816 Hirzel


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