churz&bündig 2015

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SWS

churz & bündig

Sozialwerke Pfarrer Sieber

auffangen – betreuen – weiterhelfen

Jahresbericht 2015

Wenn man ganz unten ist, kann man keine Hilfe mehr organisieren. Deshalb suchen unsere Gassenarbeiter diese Leute auf. Hier zum Beispiel die Nachtpatrouille, die im Winterhalbjahr Obdachlosen Übernachtungsmöglichkeiten an der Wärme anbietet.

Wir beginnen, wo andere aufhören Unser Einsatz gilt Menschen, denen niemand mehr hilft und die sich selbst nicht mehr zu helfen wissen. Gestern, heute und auch morgen.

D

iese Stellungnahme stammt aus einer Umfrage, die wir im April 2015 unter all unseren Mitarbeitenden durchgeführt haben. Wir wollten erfahren, was die Motivation ist, sich täglich mit grossem Engagement in den Dienst der Armen zu stellen. Ehrenpräsident Pfarrer Ernst Sieber und der Stiftungsrat haben anschlies­send diesen bunten Strauss persönlicher Statements gebündelt und daraus die sieben Werte destilliert, die uns in unserem Engagement mit den Armen leiten sollen: Würde, Menschlichkeit, Gerechtigkeit, Augenhöhe, Wertschätzung

und Demut. Und als siebter zentraler Wert der Kern des Evangeliums: Glaube, Liebe, Hoffnung. Wir hüten Geschichten. Wir schreiben sie mit den uns anvertrauten Menschen weiter. Meist in kleinen, unspektakulären Kapiteln. Wir schreiben da weiter, wo andere den Stift längst beiseite gelegt und kapituliert haben. Wir beginnen, wo andere aufhören. Was aber bewirkt unser Engagement bei Menschen, die scheinbar keine Chance mehr haben? Was bedeutet dieses hartnäckige Weiterschreiben

Die Not hat ihr Gesicht verändert.

für ihr Umfeld, für die Gesellschaft, für die Politik? Das Thema «Wirkungsmessung» stellt uns vor Herausforderungen. Wie lassen sich Werte wie «Würde», «Menschlichkeit», «Augenhöhe» und «Demut» in ihrer Wirkung messen? Unsere Arbeit ist weit mehr als ein administrativer Akt. Sie baut auf das Evangelium vom angebrochenen Reich Gottes – dessen erste Adressaten die Armen sind. In diesem Dienst werden Glaube, Liebe, Hoffnung zu realen Wirkungskräften. Christoph Zingg, Gesamtleiter


Strategie: Weichen für die Zukunft stellen Der Stiftungsrat wurde durch eine Neuwahl bereichert. Mit dem profilierten Unternehmer Patrick Hohmann konnten wir eine weitere Persönlichkeit für unser Gremium gewinnen.

I

m Zentrum unserer Arbeit stand die Formulierung der Legislaturziele 2016 bis 2018:

Ein grosses Augenmerk wird auf die enge Verbindung zwischen den einzelnen SWS-Betrieben gelegt. Die verschiedenen Einrichtungen waren lange Zeit «solitäre Perlen» und die Verknüpfung zu einer Angebotskette verlangt besondere Aufmerksamkeit. Diese soll in den nächsten drei Jahren gestärkt werden und an Profil gewinnen. Nieder-

schwellige Gassenarbeit und die Präsenz an sozialen Brennpunkten sind unsere Markenzeichen und sollen es bleiben. Eine der wichtigsten Aufgaben ist die Auseinandersetzung mit der Bedarfsentwicklung. Eindrücklich sichtbar wird das an der Veränderung der Klientel im Fachspital Sune-Egge. Während der Zeit der offenen Drogenszene und der noch nicht zur Verfügung stehenden AidsTherapien war das Haus ein Hospiz, in dem Schwerkranke und sterbende Men-

Wir helfen dort, wo sonst niemand hilft.

schen aufmerksam gepflegt wurden. Unsere Patienten sind mittlerweile älter, jedoch genauso auf eine umfassende Pflege und medizinische Hilfeleistung angewiesen. Welche Herausforderungen stellen sich in zehn Jahren? Ein Spital in einem Wohnhaus bringt zahlreiche Einschränkungen mit sich. Die zentrale Frage ist: Für welche Patienten und Patientinnen suchen wir eine neue bauliche Lösung? Da wir länger­fristig investieren, braucht es eine fundierte Entscheidung. Marlies Petrig und Prof. Dr. Thomas Schlag, Co-Präsidium des Stiftungsrates

auffangen

betreuen

Sunedörfli

Egg

Sune-Egge

Ur-Dörfli

Brothuuse

Nemo

Sunestube

BrotEgge

Pfuusbus Iglu

Gassen­ arbeit

weiterhelfen

Grad der sozialen Integration

ge lsor See

Wohn- und Arbeitsexternat

Unsere Angebotstreppe

Koordinierte Angebote Wir begegnen mit unseren aufeinander abgestimmten Angeboten unterschied­lichen Notlagen. Damit ge­ währleisten wir breitgefächerte Hilfe auf Augenhöhe. Der Einstieg soll möglichst niederschwellig sein. Das Ziel ist die soziale Integration.

Schritt 1: auffangen Menschen in akuten Notlagen an verschiedenen sozialen Brennpunkten aufzufangen, ist eine unserer zentralen Aufgaben.

U

m uns noch wirkungsvoller für Menschen in Not einzusetzen, wur­den unsere Frontprojekte neu organisiert. Folgende Einrichtungen und Aktivitäten bilden den Bereich «auf­fangen»: Anlaufstellen Sunestube und Brot-Egge, aufsuchende Gassenarbeit, Gassentierarzt, Nachtpatrouillen, Not­einrichtung für obdachlose Jugendliche Nemo, Not­ schlafstellen Pfuusbus und Iglu, Notwohnsiedlung Brothuuse, Sozialberatung. Wie wichtig diese leicht zugänglichen Angebote auf Zürichs Strassen sind,

zeigt sich an den Besucherzahlen: 6’078 (7’996) Gäste besuchten den Brot-Egge und 6’608 (12’190) Menüs wurden in der Sunestube serviert. Der Pfuusbus verzeichnete 3’161 (3’626) Übernachtungen von Erwachsenen und Nemo 636 (776) Übernachtungen von obdachlosen Jugendlichen. Die «auffangen»-Angebote sind nicht zuletzt dank der rund 150 Freiwilligen möglich, die insgesamt 13’202 (8’637) Stunden im Einsatz waren. Vielen herz­ lichen Dank allen Beteiligten!

13̕202 Stunden Freiwilligenarbeit wurden geleistet.

3̕161 27̕382 Übernachtungen verzeichnete

Suppen oder Sandwiches wurden

der Pfuusbus im Winterhalbjahr.

von der Sunestube an Hungrige verteilt.

636-mal übernachteten junge

6ʼ608 Menüs wurden Bedürftigen

Obdachlose in Nemo.

in der Sunestube serviert.


Schritt 2: betreuen Im Fachspital Sune-Egge, in der Pflegestation Egg und der Suchthilfe­einrichtung Ur-Dörfli finden Süchtige und Obdachlose Ruhe und Betreuung.

W

ir betreiben das Fachspital Sune-Egge in einem Mehrfami­ lienhaus, das den räumlichen Anforderungen eines Spitals nicht ge­ nügt. Trotz der engen Platzverhältnisse haben wir die Ein- und Austrittsprozesse optimiert, das Projekt «Klinik-Informationssystem» gestartet und die An­er­ kennung zur Ausbildung von Assistenzärzten erhalten. Ausserdem hilft die geklärte finanzielle Situation mit Stadt und Kanton, noch nachhaltiger zu planen.

Die Suchthilfeeinrichtung Ur-Dörfli ist in der deutschsprachigen Schweiz einzigartig. Die öffentliche Hand übernimmt selten für die Bewohnerinnen und Bewohner die vollen Kosten für die Rehabilitation. Für die ungedeckten Kosten müssen wir mit Spenden aufkommen. In den vergangenen fünf Jahren konnten 40 % aller Bewohnerinnen und Bewohner erfolgreich in eine weiterführende Einrichtung entlassen werden. Dies zeigt deutlich, dass sich unsere Arbeit lohnt.

ca.

40%

erfolgreiche Austritte verzeichnete die Suchthilfeeinrichtung Ur-Dörfli.

13̕489 1̕895

Pflegetage wurden im Fachspital Sune-Egge verbucht. Die durchschnittliche

Aufenthaltsdauer betrug 79.54 Tage und

ambulante Behandlungen wurden

die Auslastung lag bei 82.12 %.

im Sune-Egge durchgeführt.

Kommentar zur Jahresrechnung «Wenn ich hier sterbe, bin ich in guten Händen.» Bobas Leben hängt an einem dünnen Faden. Ihre Leber ist von Geburt an schwer geschädigt. In der Pflegestation Egg nimmt sie jeden Tag, wie er kommt. Boba S. wuchs in Kroatien auf. Wegen der Nebenwirkungen ihrer Lebermedikamente musste sie die Schule vor der Matur abbrechen. In einem Restaurant an der Küste fand sie Arbeit und lernte dort einen Schweizer Reiseleiter, ihren zukünftigen Mann, kennen. Sie zogen in die Schweiz, heirateten und bald kam der gemeinsame Sohn zur Welt. Da ihr Mann oft auf Reisen war, blieb Boba mit dem Kind allein. Sie war überfordert, bedrohte ihren Gatten und wurde schliesslich in eine psychiatrische Klinik eingewiesen.

Boba übertünchte ihre Verzweiflung mit Kokain. Nach fünf Jahren Sucht schaffte sie den Ausstieg – von einem Tag auf den anderen. Wegen ihrer kaputten Leber kann sie jedoch nicht mehr ohne permanente medizinische Betreuung leben. Darum wohnt sie seit 2013 in der Pflegestation in Egg. Betreuer und Patienten bilden eine Art Familie. Boba gefällt, dass die Pflegenden auch etwas fordern. Es gibt Ämtli wie Abwaschen, Gärtnern, Einkaufen und Mithilfe beim Kochen. Diese Aufgaben vermitteln Selbstwert – die Patientinnen und Patienten können Verantwortung übernehmen und fühlen sich gebraucht.

2015 konnten wir wieder das Zewo-Gütesiegel für die nächsten fünf Jahre erlangen. Der sorgfältige Umgang mit den uns zur Verfügung gestellten Mitteln wurde in einer Zewo-Vergleichsstudie eindrücklich bestätigt. 2015 haben wir die Spendengelder wie folgt verwendet: 6.9 % Administration und Sach­aufwand

6.9 % Kommunikation und Fundraising

7.3 Mio.

86.2 % Hilfe für Bedürftige Vom Gesamtbudget von 22.4 Mio. Franken wurden 7.3 Mio. Franken durch Spenden finanziert. Das sind ca. 30 Prozent aller Aufwendungen. 15.1 Mio. Franken konnten durch Beiträge von Dritten wie Kranken­ kassen und Sozialämter abgedeckt werden.

Schritt 3: weiterhelfen Bei der Reintegration randständiger Menschen in den Arbeitsprozess und die Gesellschaft spielen unser Therapiezentrum Sunedörfli und das Wohn- und Arbeitsexternat eine Schlüsselrolle.

D

ie Sozialbehörden verordnen neu «unbezahlte Probezeiten», in denen die Therapiemotivation bewiesen werden soll. Deshalb werden im Sunedörfli Menschen ohne vorgängige Kostengutsprache aufgenommen. Der Vorteil dieses Systems ist, dass wir motiviertere Klientinnen und Klienten haben und dadurch therapeutisch wirkungsvoller arbeiten können. Im Berichtsjahr wurde das Sunedörfli erfolgreich durch das QuaTheDAManagementsystem rezertifiziert.

Die Zusammenarbeit mit dem Fach­ spital Sune-Egge und dem Bereich «auffangen» wurde intensiviert. Dies führte zu vier erfolgreichen Transfers aus dem Pfuusbus, der Sunestube und Brothuuse ins Sunedörfli. Im Wohn- und Arbeitsexternat wurden drei Klienten erfolgreich in den ersten Arbeitsmarkt begleitet. Es sind die Berufe Monteur, Bademeister und Siegrist. Das Ziel der Selbständigkeit ist erreicht.

11 867

Gespräche führte die Seelsorge.

Menschen nahmen im Rehabilitationszentrum Sunedörfli an einer Therapie teil mit dem Ziel, suchtmittelabstinent zu leben.


Tagtäglich auffangen, betreuen und weiterhelfen Unsere Arbeit ist bestimmt durch kleine Schritte und zahllose Rückschläge. Trotzdem lohnt sich das Engagement – denn immer wieder finden Menschen zurück in ein selbstbestimmtes Leben. auffangen «Not ist individuell», erklärt Darja Baranova, «es gibt in der Sunestube keine Hauptanspruchsgruppe.» Täglich besuchen drogensüchtige, alkoholabhängige, obdachlose, psychisch beeinträchtigte oder vereinsamte Menschen die Anlaufstelle im Kreis 4. Die Arbeit mit so unterschiedlichen Personen ist enorm anspruchsvoll. Mit Hilfe spezifischer Angebote gelingt es dem Team, die verschiedenen Charaktere anzusprechen: Es gibt Gäste, die kommen wegen der Musik, andere wegen der Gebetsmöglichkeit und dritte wiederum schätzen die Bastel­nach­mittage. «Es ist fundamental, dass es uns gelingt Vertrauen aufzubauen», fasst Darja Baranova zusammen, «denn wir sind überzeugt, dass es keine hoffnungs­losen Fälle gibt.» Darja Baranova ist Betriebsleiterin der Sunestube.

Drei Mitarbeitende erzählen

betreuen «Wir beginnen hier immer wieder von vorne», sagt Sandra Waldron, «aber das macht mir nichts aus.» Wenn man als Betreuerin oder Betreuer keine Ausdauer hat, ist man im Ur-Dörfli am falschen Platz. Alleine schon das Aufstehen am Morgen ist für die Bewohnerinnen und Bewohner oft schon eine Herausforderung. Manchmal geht es ihnen so schlecht, dass sie sich kaum allein erheben können, sie aggressiv reagieren, bei der Arbeit ein­ schlafen oder aus Gesprächen davon- laufen. Das bringt die Mitarbeitenden oft an ihre Grenzen. Doch Sandra Waldron lässt sich nicht beirren: «Unsere Arbeit ist nicht umsonst.» Immer wieder finden Menschen den Weg in die Gesellschaft.

weiterhelfen «Es geht darum, den Klienten neue, positive Erfahrungs­ muster im Alltag zu ermöglichen», fasst Anne Doering das Prinzip der Therapie zusammen. Menschen, die zum Lösen ihrer Probleme jahrelang Drogen oder Alkohol konsumieren, werden nicht nur körperlich abhängig, sondern ihr Suchtverhalten prägt sich als Handlungsstrategie ganz fest im Gehirn ein. Das Sunedörfli ist für Menschen, die einen erfolgreichen körperlichen Entzug hinter sich haben. «Mit der Therapie schaffen wir den Rahmen, damit Süchtige ihre alten Ver­haltensmuster ändern können – sie trainieren einen abstinenten Alltag», erklärt Anne Doering, «am Ende der Therapie steht die Suche nach einem passenden Job und einer Wohnmöglichkeit.»

Sandra Waldron ist Sozial­pädagogin im Ur-Dörfli.

Anne Doering ist Co-Betriebsleiterin im Sunedörfli.

Es braucht niederschwellige Hilfe, die nicht an Vor­ bedingungen geknüpft ist. Wer in Not ist, dem muss die Pedro Lenz, Schriftsteller Hand gereicht werden.

Organisation der Stiftung Sozialwerke Pfarrer Ernst Sieber (SWS)

Gerne schicken wir Ihnen unsere viertel­jährlich g ers­ cheinende Sieber Ziiti und unseren Newsletter. Bestellen Sie unsere aus­ . führliche Jahresrechnung Besuchen Sie unsere h. Website www.swsieber.c

Geschäftsstelle Hohlstrasse 192, 8004 Zürich 043 336 50 80 info@swsieber.ch kommunikation@swsieber.ch www.swsieber.ch Gesamtleitung Christoph Zingg Stiftungsrat Marlies Petrig, Co-Präsidentin Prof. Dr. theol. Thomas Schlag, Co-Präsident Regina Gabriel Cantieni Stefan Elsener Patrick Hohmann Jolanda Huber-Gentile lic. iur. Vanessa Ölz Ehrenpräsident Dr. h. c. Pfarrer Ernst Sieber Revisionsstelle BDO AG, Zürich

Betriebe/Fachbereiche Anlaufstelle Sunestube und Noteinrichtung für obdachlose Jugendliche Nemo Militärstrasse 118, 8004 Zürich Auffangeinrichtung Brot-Egge, Notwohnsiedlung Brothuuse, Notschlafstellen Pfuusbus und Iglu Seebacherstrasse 60, 8052 Zürich Suchthilfeeinrichtung Ur-Dörfli Bahnhofstrasse 18, 8330 Pfäffikon Fachspital für Sozialmedizin und Abhängigkeits­erkrankungen Sune-Egge und Pflegestation Egg Konradstrasse 62, 8005 Zürich Rehabilitationszentrum Sunedörfli mit Wohn- und Arbeitsexternat Postfach 36, 8816 Hirzel

Impressum Jahresbericht 2015 Juni 2016 Redaktion Mathias Kippe, Christoph Zingg, Elena Philipp Gestaltung Claudia Wehrli, Winterthur Druck Spühler Druck, Rüti Herausgeberin Stiftung Sozialwerke Pfarrer Ernst Sieber PC-Konto: 80-40115-7


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