Sieber_Ziitig 1/2016

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SWS

Sieber Ziitig

Sozialwerke Pfarrer Sieber

auffangen – betreuen – weiterhelfen

Nr. 1/2016

Hoffnung für Jugendliche und für Tiere Auch das gibt es: Jugendliche, die obdachlos sind. Und Menschen, denen Tiere näher sind als andere Menschen. In beiden Fällen sind wir für diese Enttäuschten da, um ihnen konkret zu helfen, aber ihnen auch Lebensmut zu geben.

Editorial «Ich musste sie einfach aufnehmen.» Es ist Heiligabend, lange nach Büroschluss, mein Mitarbeiter todmüde, denn niemand wollte diese obdachlose, junge Frau beherbergen. Alle hatten schon geschlossen, kannten sie (zu) gut und ahnten, dass das anspruchsvoll werden würde. Und dann ist da noch ihr Hund … Kein Platz in der Herberge. Hatten wir das nicht schon vor 2000 Jahren? Mein Mitarbeiter hat getan, was richtig war und ist. Dass wir die letzte Adresse waren, die noch eine Chance bot, ist das eine. Dass die junge Frau ein wahres Kalb von Hund bei sich hatte, das andere. Viele der Menschen, die bei uns ein Dach über dem Kopf finden, haben andernorts keinen Kredit mehr. Zu viel ist vorgefallen, zu viel hat nicht gepasst. Drogen. Lügen. Diebstähle. Randale. Nicht zu entschuldigen – aber unentschuldbar? Wohl kaum an Heiligabend. Und der Hund: Gerade dieses schöne Tier weist auf eine ganz grosse Stärke dieser jungen Frau hin: Er ist gepflegt, hat ein gekämmtes, sauberes Fell. Die Krallen sind geschnitten, die Zähne sauber, er gehorcht ihr aufs Wort. Auf seine Weise macht er sichtbar, was die Strafzettel, Verwarnungen und Hausverbote schnell verdecken: dass hier jemand achtsam und liebevoll mit dem ihm anvertrauten Leben umgeht und sehr wohl Verantwortung zu übernehmen vermag. Ich habe kürzlich einen alten Hochseekapitän getroffen, der eine schwere Jugend hatte. Als Verdingbub ging er oft zu Kühen, um sich auszuweinen. Sie hätten ihn verstanden. Ohne sie hätte er nicht überlebt. Auf seine Weise spricht er den uns anbefohlenen Menschen aus dem Herzen: Wer von Mitmenschen enttäuscht und versetzt ist, findet oft neuen Mut in der Verantwortung für ein Tier. Auch die junge Frau. Wir mussten sie einfach aufnehmen.

• Christoph Zingg, Gesamtleiter

ambivalente Phase durchmachen. Auf der Suche nach sich selbst entsteht eine Verunsicherung im höchsten Masse. Begleit­ erscheinungen dieser Entdeckungsreise sind oft Einsamkeit, Angst, Orientierungs­ losigkeit und eine Kritikwelle der Erwachsenenwelt gegenüber. Und es kann geschehen, dass diese Vereinsamung schon in jungen Jahren in die Obdachlosigkeit führt.

Eine Insel des Vertrauens

Die Augen des Strassenkindes auf dem Bild reden vom Nemo und der Sunestube. (Bild: Ernst Sieber)

Verunsicherte Pubertierende «Unsere Jugend liebt den Luxus, sie hat schlechte Manieren, missachtet die Autorität und hat keinen Respekt vor dem Alter. Die heutigen Kinder sind Tyrannen, sie stehen nicht auf, wenn ein älterer Herr das Zimmer betritt. Sie widersprechen ihren Eltern, sie schwatzen in Gesellschaft anderer, sie schlürfen beim Essen und tyrannisieren ihre Eltern.» Hätten Sie‘s gewusst? Die Sätze stammen vom griechischen Philosophen Sokrates (5. Jh.v.Chr.). Dieser macht es mir leicht, von unseren heutigen Jugendlichen zu reden. Es muss uns bewusst sein, dass junge Menschen aufgrund der körperlichen und seelischen Veränderungen eine sehr

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Gemeinsam spielen und gestalten

Das Nemo, unsere Noteinrichtung für jugendliche Obdachlose, hat sich zur Auf­ gabe gemacht, entlaufene, verirrte aber auch kranke junge Menschen aufzunehmen. Seit Jahrzehnten begegne ich Minderjährigen auf der Gasse und versuche zu verhindern, dass sie der Prostitution, dem Dealen und der allgemeinen Kriminalität ausgesetzt sind. Niemand soll auf der Strasse übernachten müssen. Das Nemo muss und will ein Daheim sein, wo an erster Stelle Vertrauen und Heimatgefühl stehen. Die zivilisatorische Entwicklung unserer Gesellschaft besitzt nicht die Kraft, die Katastrophen kaputter Ehen und Familien aufzuheben. Es ist Christus, der die Zerbrochenen liebt. Hier setzen wir an. Nemo möchte diese Liebe Christi zu den Zerbrochenen atmen.

Hilfe für Mensch und Tier Diese Liebe atmet auch das Projekt Gassen­­ tierarzt. Ein ganzer Teil der Arche Noah versammelt sich jeweils bei unserer Tierärztin: Hunde, Katzen, Frettchen, Ratten, Nager und Vögel. Da erscheinen Menschen von den Rändern unserer Gesellschaft und diskutieren, weinen und leeren ihren Kropf und ihr Herz bei den engagierten Mitarbeiterinnen Mirjam und Igna. Für die Besitzer der Tiere ist es eine vornehme Pflicht, den Tieren, den Geschöpfen Gottes, auf der Erde eine gerechte Heimat zu bieten. Erstaunlich ist, dass die Tierhalter oft ihren Tieren die grössere Sorge entgegenbringen als sich selbst. Wir danken unserer Gassentierärztin Igna Wojtyna und Mirjam Spring für ihre Pionierarbeit unter den Tieren. Wir danken Gott, dass überall Vertrauen, Freundschaft und Hoffnung geschenkt werden.

• Ihr Ernst Sieber, Pfarrer

Spielsonntage im Pfuusbus helfen Obdachlosen, ihre Sorgen zu vergessen. Sie können sich auch austauschen und erleben so Gemeinschaft.

zu dürfen», strahlt ein Anwesender. «So kann ich meine Sorgen für einige Stunden vergessen.» Ähnlich tönt es bei den anderen.

Ein grauer und kalter Sonntagvormittag. Gäste und Betreuende des Pfuusbusses sitzen an Festbänken im Vorzelt und plaudern, lachen und spielen. Während die einen einen Jass klopfen, frönen andere dem Uno-Spiel. Und wieder andere widmen sich konzentriert und mit viel Geschick dem Gestalten mit Töpfer-Ton. Im Laufe des Nachmittages kommen weitere hinzu. «Es tut so gut, mit anderen zusammen zu sein und einfach spielen

Auch Betreuerin Verena Strausak ist vom Angebot überzeugt. «Die Spieltage haben sich als wichtige Ergänzung zur Notunterkunft herausgestellt. Wir haben hier viel mehr Zeit, um mit den Gästen ins Gespräch zu kommen als jeweils an den Abenden, wenn die Leute müde und abgekämpft in den Pfuusbus kommen.» Vor allem beim gestalterischen Arbeiten fänden Gäste zu sich und würden sich im Gespräch öffnen. (arb)


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