Sieber Ziitig 1/2017

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SWS

Sieber Ziitig

Sozialwerke Pfarrer Sieber

auffangen – betreuen – weiterhelfen

Nr. 1/2017

Wir gratulieren! Ernst Sieber wird 90.

Editorial

Kurz vor Ende einer langen Sitzung griff ein Mitarbeiter zum Telefon und verliess den Raum. Als er zurückkehrte, war er sichtlich bewegt und nicht mehr in der Lage, dem Sitzungsgeschehen zu folgen. Er drückte sein Gesicht in die auf dem Tisch verschränkten Arme. Wir befürchteten das Schlimmste. Bis zum Moment, als er den Kopf hob und mit tränenerstickter Stimme sagte: «Sandy ist wieder da.»

Ernst Siebers Augenblicke bestimmen unsere Zukunft Ernst Sieber wird 90. Die Menschenliebe, die er uns vorlebt, wird von seiner Stiftung fortgeführt.

I

Sandy ist Gast in seinem Betrieb und war während mehrerer Wochen unauffindbar. Sie erschien nicht zu vereinbarten Terminen, reagierte nicht auf Anrufe oder SMS, und niemand wusste etwas – was nichts Ungewöhnliches ist. Gewalt, Übergriffe, Missbrauch sind im Drogenmilieu im Kreis 4 sehr präsent. Umso grösser war deshalb unsere Angst um die junge Frau. Und umso grösser das Glücksempfinden und die Erleichterung, als sie wieder da war.

m markanten Gesicht, genauer gesagt, in den immer noch glänzenden Augen Ernst Siebers spiegelt sich unendlich vieles. Wenn Netzhäute widerspiegeln könnten, was sich im Lauf von 90 Jahren so alles auf ihnen abgebildet hat, bräuchte es die grösste Leinwand eines Multiplex-Kinos. Und der Lebensfilm «Ernst Sieber» könnte nur als «extended version» und «directors cut» laufen. Tatsächlich lässt sich aber seine Lebensleistung kaum ermessen und schon gar nicht vollständig abbilden. Übrigens kann das auch keine Kameraeinstellung wirklich einfangen, so telegen der Stiftungsgründer auch sein mag.

Ich bin tief davon überzeugt, dass gute diakonische Arbeit zwei Dinge eng miteinander verbindet: zum einen eine gute Fachlichkeit. Das Feld der sozialen Arbeit und die darin zu klärenden Fragestellungen werden immer komplexer. Fehlbe­ratungen können fatale Folgen für Betroffene haben. Das wollen und können wir uns nicht leisten – die uns anvertrauten Menschen tragen schwer genug an ihrer Last.

Die abendfüllende Gesamtdokumentation braucht es nicht, denn schon ein einzelner Augenblick Ernst Siebers hat manches

Der Spielbus

Zum anderen wollen wir als Menschen für sie da sein. Beziehungen anbieten, die tragen. Für diese Menschen danken, für sie beten – und um sie weinen. Umso schöner, wenn es Freudentränen sind. «Wisst Ihr, worum ich Euch beneide?», fragte mich kürzlich die Leiterin einer grossen städtischen Notwohneinrichtung. «Darum, dass ihr diese Menschen umarmen könnt.»

Leben grundlegend verändert, sehr häufig konkret verbessert und sogar gerettet. Seine Lebens- und Liebesfilmgeschichte besteht jedenfalls aus unzählbaren, liebevollen Einzelbildern und einer unzähmbar hoffnungsvollen Glaubens-Einstellung. Das diakonisch-lebensrettende Leitmotto «Mit Herz, Mund und Händen» muss jedenfalls spätestens seit Ernst Sieber unbedingt um den Augenglanz ergänzt werden. Sein diakonischer Stil prägt auch die vielen Mitarbeitenden in den Einrichtungen auf intensive Weise. Hier wie dort bündeln sich in diesen Augen­blicken Geschichte, Gegenwart und Zukunft wie in einem Brennglas: Die tiefsinnige Erinnerung an die biblischprophetische Tradition, der brennende

Einmal im Monat findet im Pfuusbus ein Spielsonntag statt. Obdachlose vergessen dort beim Spielen ihren grauen und harten Alltag. Konzentriert blickt Sven* auf die Dominosteine vor sich. Maria* blinzelt ihm zu. «Schau mal, hier passt dein Stein.» Diego* und Ramona* nicken aufmunternd. Sven legt und strahlt. Er gewinnt dieses Spiel. Es berührt zutiefst zu sehen, wie diese Einzelkämpfer sich gegenseitig helfen und das Gewinnen in den Hintergrund rückt. Am Spieltisch wird an diesem Nachmittag viel gelacht.

• Christoph Zingg, Gesamtleiter

P fu u sb u s

Blick auf die gegenwärtigen Verhältnisse, die helle Hoffnung für jeden einzelnen Menschen in Not. So verwundert es nicht, dass viele Menschen Ernst Sieber als Gesicht des reformierten Protestantismus wahrnehmen – wie wir ihn kennen, ist ihm das bewusst und er dürfte sich reformiertzurückhaltend geschmeichelt fühlen. Um die «extended version» der SWS, deren diakonische Zukunft, braucht er sich nicht zu sorgen. Wir werden höchst aufmerksam bleiben, wo es unseren solidarischen Augenglanz braucht. Und den «directors cut» sowie das, was die Zukunft bringen wird, muss er erst recht nicht selbst verantworten: «… Jetzt ist mein Erkennen Stückwerk, dann aber werde ich ganz erkennen, wie ich auch ganz erkannt worden bin. Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei. Die grösste unter ihnen aber ist die Liebe.» (1. Kor. 13, 12-13).

• Thomas Schlag, Co-Stiftungsratspräsident

Nebenan sitzt Lea* und malt. Sorgfältig, Strich für Strich. Und redet mehr mit sich als zu jemand anderem. Sie erzählt von ihrer Jugend und ihrem Schicksal. Gegenüber sitzt Verena Strausak und hört zu. Sie arbeitet als Freiwillige im Pfuusbus und organisiert mit Marianne Suter und Margareta Schöchlin die Spielsonntage. «Wir erleben häufig, dass Menschen, die sonst gestresst sind, sich so entspannen, von sich erzählen und Vertrauen gewinnen.» Das ist die Basis für eine Analyse ihrer Situation und die Erarbeitung möglicher Auswege. (arb) * Namen geändert


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