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Vom Bohren dicker Bretter“

Die DEHOGA NRW-Regionalpräsidenten Hans-Dietmar Wosberg und Andreas Büscher im Interview. Das Interview fand kurz vor der Hochwasser-Katastrophe statt. Die Fragen stellte Peter Erik Hillenbach

Seit vielen Jahren ist es das erklärte Ziel der drei DEHOGA-Regionalverbände in NRW, näher zusammenzuarbeiten und geschlossener aufzutreten. Bei der Neuwahl des Präsidiums des Landesverbandes Ende April dieses Jahres haben sich die Delegierten einstimmig dazu entschlossen, die drei Präsidenten der Regionalverbände Haakon Herbst (DEHOGA Nordrhein), Andreas Büscher (DEHOGA Ostwestfalen) und Dietmar Wosberg (DEHOGA Westfalen) interimsweise für ein Jahr mit der Führung des Landesverbandes zu beauftragen.

Herr Wosberg, Herr Büscher, wie würden Sie die aktuelle Stimmung unter Ihren Mitgliedern beschreiben?

Wir können nicht bis in den Herbst schauen, aber fordern Sie Stand heute ebenfalls die Aufhebung aller Coronabeschränkungen, sobald alle ein Impfangebot bekommen haben? Andreas Büscher: Sehr unterschiedlich. So unterschiedlich unsere Branche ist, so unterschiedlich sind häufig auch die Einschätzungen in der Branche in Bezug auf den aktuellen Stand. Eine Kneipe ohne Terrasse hat es mit Sicherheit gerade in den Sommermonaten schwerer als ein Betrieb, der seine Gäste im wahrsten Sinne des Wortes vor die Tür setzen kann. Die Situation für Club- und Diskothekenbetreiber bleibt unübersichtlich. Businesshotels leiden weiterhin massiv am ausbleibenden Geschäftsreiseverkehr; Veranstaltungsgastronomen an Veranstaltungen, die nicht stattfinden. Andererseits machen viele Kollegen auch gute Umsätze, weil sie zum Beispiel größere außengastronomische Flächen nutzen können oder weil ihr Betrieb an einem viel frequentierten Radweg liegt. Dietmar Wosberg: Ich stelle mit den gleichen Unterscheidungen, die Andreas Büscher getroffen hat, eine Mischung aus vorsichtigem Optimismus und der Angst vor Herbst und Winter fest. Das Ende des letzten Jahres mit dem monatelangen Lockdown haben wir noch im Hinterkopf. Schöner Sommer, schlimmes Jahresende. So etwas darf definitiv nicht mehr passieren. Aber für einen gewissen Optimismus gibt es ja auch einige gute Gründe, vor allen Dingen der Impffortschritt macht mich zuversichtlich, dass 2021 nicht wie 2020 endet. Allerdings ist die Lage insgesamt und das leider absehbar noch so instabil, dass die Branche weiterhin staatliche Unterstützungsleistungen benötigt. Die Überbrückungshilfe III muss schleunigst verlängert werden. Der 30. September reicht nicht.

Wosberg: Wir fordern in erster Linie, dass der Staat alles – und damit meinen wir auch alles – unternimmt, dass wir geöffnet bleiben dürfen. Das Schlimmste, was passieren könnte, wäre ein neuerliche Schließung der Branche. Das würde uns das Genick brechen. Also lieber Offenbleiben mit einigen wenigen Einschränkungen als ganz geschlossen, nur weil davor einige Wochen ohne Beschränkungen geöffnet war. Das gilt im Übrigen für das gesamte gesellschaftliche Leben. Wenn es die Situation zulässt, hätten wir natürlich die uneingeschränkte Öffnung am liebsten. Dass wir verantwortungsvoll mit der Situation umgehen, haben wir ausreichend unter Beweis gestellt.

„So unterschiedlich unsere Branche ist, so unter-

schiedlich sind häufig auch die Einschätzungen in der Branche in Bezug auf den aktuellen Stand.“

Andreas Büscher ist Inhaber des Hotel-Restaurants Büscher in Bielefeld, das sich seit 1884 in Familienbesitz befindet

„Aber für einen gewissen Optimismus gibt es ja auch einige gute Gründe, vor allen Dingen der Impffortschritt macht mich zuversichtlich, dass 2021 nicht wie 2020 endet.“

Dietmar Wosberg betreibt zusammen mit seiner Frau die Kochschmiede und Wosbergs Kochschule und Genusslandschaft in Arnsberg

Büscher: Das Spiel wird entschieden durch den Impffortschritt. Impfangebote alleine machen nicht den Unterschied, der „Gamechanger“ für die Branche ist der Impfstatus. Ich hoffe sehr, dass wir so schnell wie möglich Herdenimmunität erreichen, dann haben sich viele Diskussionen erledigt. Aber etwas muss sich bis dahin auf jeden Fall ändern: Politische Entscheidungen brauchen aufgrund der Erkenntnisse, die wir heute haben, eine neue Grundlage. Das Abstellen auf den reinen Inzidenzwert reicht schon lange nicht mehr aus. Wenn hohe Inzidenzen fast keine Auswirkungen mehr auf das Gesundheitssystem haben sollten, müssen die Beeinträchtigungen schleunigst aufgehoben werden. Und zwar auch für Clubs und Diskotheken. Ich glaube im Übrigen, dass mit funktionierenden Schutz- und Hygienekonzepten sowie Kontrollen ein Club sicherer ist als eine Privatparty ohne Kontrolle. Das galt für Restaurantbesuche im Übrigen auch. Man muss sich immer die Frage stellen: Gibt es ein Problem weniger, nur weil ich es verboten habe, oder sucht es sich nur anderswo einen neuen Weg?

Wosberg: Bayern nimmt sicherlich eine gewisse Sonderrolle zu, weil der private Tourismus im Süden und damit das Gastgewerbe als sein wichtigster Leistungsträger eine besonders wichtige Rolle einnimmt und schon immer eingenommen hat. In NRW hat bis vor einigen Jahren die Devise geherrscht: Geht es der Industrie gut, ist alles andere nicht so wichtig. Aber das ändert sich Schritt für Schritt. Stichwort Stadtentwicklung: Die Politik hat festgestellt, wie wichtig unsere Branche für unsere Städte, aber auch für das Land sind und welche wichtige gesellschaftliche Funktion wir mit unseren Betrieben übernehmen, unabhängig von der Wichtigkeit als Wirtschaftsfaktor und Job-/Integrationsmotor. Was die Wertschätzung in der Bevölkerung und der Politik insgesamt anbetrifft hat uns Corona geholfen. Unsere Aufgabe als neue Spitze im DEHOGA NRW ist es, die Gunst der Stunde zu nutzen. Wir sind angetreten, den Einfluss, den wir uns in den letzten Wochen und Monaten in dieser existenziellen Krise hart erarbeitet haben, zu nutzen und auszubauen – für unsere Mitglieder und für die Branche. Im Übrigen freue ich mich über die Mischung aus großstädtischer Struktur im Ruhrgebiet oder im Rheinland und der ländlichen Prägung in anderen Teilen von NRW. Wir sind so vielfältig wie das Land. Aus der Außensicht anderer großer Bundesländer mag das einwohnerstarke NRW mit seinen tausenden, oft eher kleineren gastgewerblichen Betrieben eher zersplittert wirken – es spricht nicht mit einer einzigen mächtigen Stimme. Gegenbeispiel: Bayern. Geht diese Zeit nun ihrem Ende zu?

Haakon Herbst ...

... ist seit 2002 Hotelier und Inhaber und Geschäftsführer der hotelfriends-Gruppe mit Betrieben in Köln, Düsseldorf, Hückelhoven und Essen.

Seit Frühjahr 2021 ist er sowohl Präsident des DEHOGA Nordrhein als auch neben Andreas Büscher, Präsident des DEHOGA Ostwestfalen, und Dietmar Wosberg, Präsident des DEHOGA Westfalen, einer der drei Regionalpräsidenten im DEHOGA Nordrhein-Westfalen. Seit Juni sitzt Haakon Herbst als Schatzmeister auch im Präsidium DEHOGA Bundesverband.

„Das Wichtigste, was wir als Verband während der Coronakrise machen können, ist immer und immer wieder von der Politik einzufordern, eine

Offenbleibeperspektive sicherzustellen.“ Dietmar Wosberg

Ihre Aufgabe, Ihr Ziel: eine „langfristige und dauerhafte Neustruktur“ des DEHOGA NRW. Was haben Sie in den ersten drei Monaten Ihrer Interimsführung bereits erreichen können?

Zum Thema Restart und Corona-Krisenbewältigung: In einer Umfrage des DEHOGA Bundesverbandes unter Gastronomen wurden jüngst die aktuell besonderen Herausforderungen abgefragt und besonders das Verhältnis zu den Hausbanken thematisiert. Sehen Sie hier für Ihre Mitglieder in NRW ebenfalls einen problematischen Komplex?

Vor der Pandemie war der Fachkräftemangel im Gastgewerbe bereits omnipräsent. Durch die vergangenen 16 Monate hat sich dieser noch einmal verschärft. Wie unterstützen Sie als Verband hier Ihre Mitglieder? Wosberg: Wir haben uns als Erstes zusammen mit Unterstützung unseres Landesgeschäftsführers einen Gesamtüberblick über die Vielzahl der Aufgaben des Landesverbandes verschafft. Das war die Grundlage dafür, die einzelnen Themenbereiche und Arbeitsfelder dann zwischen uns Dreien überhaupt aufteilen und in Angriff nehmen zu können. Beispiele: Andreas Büscher kümmert sich unter anderem um das Thema Tarifarbeit, Haakon Herbst um die Landespolitik und Hotellerie, während ich mich intensiv den Bereichen Aus- und Weiterbildung und Umwelt widme. Damit wir immer auf dem neuesten Stand bleiben und unsere Ziele schnell, transparent und effizient vorantreiben können, haben wir neue Kommunikationskanäle zwischen uns Dreien aufgebaut. Die ersten Monate waren intensiv und konstruktiv. Wir sind auf einem guten Weg.

Büscher: Es hat sich herausgestellt, dass fast vier Fünftel der Unternehmer im Gastgewerbe während der Coronakrise mit ihren Hausbanken zufrieden waren. Das ist ein guter Wert. Allerdings befürchtet rund die Hälfte, dass sich die Finanzierungsbereitschaft der Banken verschlechtert hat. Das bedeutet für die Zeit während und nach Corona eine weitere Herausforderung. Aber beileibe nicht die einzige: Rückzahlung von (KfW-)Darlehen und gestundeter Pachtbeträge und auslaufende Überbrückungshilfen sind andere Herausforderungen, die uns intensiv beschäftigen werden. Spannend bleibt auch die Entwicklung bei der Rückzahlung der NRW-Soforthilfen aus dem Jahr 2020. Hier sind nach Aussagen der IG NRW-Soforthilfe mittlerweile über alle Branchen hinweg Klagen im unteren dreistelligen Bereich vor den Verwaltungsgerichten anhängig.

Wosberg: Das Wichtigste, was wir als Verband während der Coronakrise machen können, ist immer und immer wieder von der Politik einzufordern, eine Offenbleibeperspektive sicherzustellen. Diese Perspektive ist nicht nur für Gastronomen und Hoteliers enorm wichtig, sondern auch für unsere Beschäftigten. Viele Aushilfen werden erst dann wieder in unsere Betriebe zurückkommen, wenn sie sich sehr sicher sein können, dass sie im Herbst oder Winter nicht wieder vor geschlossenen Restauranttüren stehen werden. Viele ehemalige Mitarbeitende haben uns das genauso bestätigt. Mit der Sicherheit wollen viele von ihnen wieder zurückkommen. Büscher: Aber natürlich ist es ebenso wichtig, gegen den Arbeitskräftemangel, den wir ja wie erwähnt bereits vor Corona zu beklagen hatten, weiter anzugehen. Unser Gesamtpaket muss attraktiver werden. Dazu gehören auch bessere Rahmenbedingungen – zum Beispiel im Bereich der Arbeitszeit, damit wir zusammen mit unseren aktuellen und künftigen Mitarbeitern Modelle entwickeln können, die die Attraktivität in unserer Branche insgesamt erhöhen. Aus meiner Sicht gehört auch dazu, dass wir finanziell flexibler werden, etwa durch einen reduzierten Mehrwertsteuersatz für alle Leistungen des Gastgewerbes. Die sieben Prozent könnten Spielräume schaffen, uns als Arbeitgeber interessanter zu machen. Eines ist sicher: Dieses Brett werden wir noch sehr lange bohren müssen.

„Aber natürlich ist es ebenso wichtig, gegen den Arbeitskräftemangel, den wir ja wie erwähnt bereits vor Corona zu beklagen hatten, weiter anzugehen. Unser Gesamtpaket muss attraktiver werden.“ Andreas Büscher

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