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Regionales Schweinefleisch
from gastrotel 5/6-2021
by GW VERLAG
Grün und Rot vere int
„Meisterfleisch Schwein“ nennt sich ein Projekt von drei Unternehmen aus dem Münsterland. Ihr gemeinsames Ziel: Artgerechte Aufzucht von Edelschweinen sowie Erzeugung und Vertrieb von handwerklich sauber erzeugtem Schweinefleisch mit traditionellem Geschmacksbild. Von Peter Erik Hillenbach
Da stehen also vier Männer in weißen Hygieneanzügen vor mir auf einem Bauernhof in Datteln am Nordrand des Ruhrgebiets und wollen von mir, dass ich das gleiche anziehe. Dabei passt die Verkleidung überhaupt nicht zur bäuerlichen Idylle mit Fachwerk, Sonnenblumenfeld und Hofkastanie. Aber keine Chance: Überschuhe aus Plastik dazu, sonst darf man nicht zu den Schweinen. Schutzanzüge oder betriebseigene Kleidung sind zwingend gesetzlich vorgeschrieben für Besucher. So wird verhindert, dass Krankheiten in den Stall eingeschleppt werden. Schweine sind nämlich empfindlich – wie überhaupt so vieles im Umfeld dieser uns so nahestehenden Tiere. Bewusste Konsumenten wollen keine Massentierhaltung, Veganer und Vegetarier erst recht nicht, ältere Menschen jammern dem Geschmack von früher hinterher, Verbraucher ärgern sich derweil über das wässrige Schrumpelfleisch in ihrer Pfanne. Ganz zu schweigen von steigenden Pachten für Agrarland oder den Daumenschrauben, die der Handel den Bauern anlegt – oder gar von der EU mit ihren Subventionen, dem Green Deal und dem bürokratischen Dschungel, in dem sich ein kleiner Bauer schon mal verirren kann. So wie Stefan Wember, dem der Hof hier gehört. Er sah sich in genau dieser Gemengelage und vor der Entscheidung „wachsen oder weichen“. Expandieren, weil das gesamte Denkgebäude der EU-Agrarpolitik auf immer größeren Höfen, noch mehr Tieren, effizienteren Strukturen, immer mehr Subventionen und letztlich der Produktion von möglichst billigem (Export-)Fleisch aufgebaut ist. Oder aufgeben, weil ein kleiner Bauer mit nur wenigen, artgerecht gehaltenen Tieren niemals die Preise bekommt, die er zum Überleben braucht. Wember wählte einen dritten Weg, allerdings auf eigene Kappe: Verzichtete auf EU-Gelder und Förderfonds, ging in Vorleistung und investierte in Tierwohl und Nachhaltigkeit. Solardächer hat sein Hof sowieso, nun baute er Offenfrontställe, gab seinen Schweinen mehr Platz, Spielzeug und tiefes Stroh, ist aber eben jemand aus der Praxis. Das heißt, er kennt seine Schweine und gibt ihnen Wahlmöglichkeiten – den verrufenen Beton- und Spaltenboden, den Tierschützer so gern abschaffen wollen, gibt es im Nachbarstall nämlich auch, und die Tiere entscheiden je nach Wetter und Temperatur unterm Dach selbst, ob sie ins Stroh wollen oder auf den kühlenden Beton. Schweine können nicht schwitzen und müssen die überschüssige Wärme an die Umgebung abgeben.
Fachleute entlang der Wertschöpfungskette Schwein
Neben Wember stehen Christoph Poker, ein Logistikexperte und Vertreter der örtlichen Viehvermarktungs-Genossenschaft; ferner der Fleischermeister und Fleisch-Sommelier Norbert Baumeister, der die handwerklichen Fleischer- und Metzgerbetriebe vertritt, sie schult und berät; sowie Georg Schulze Spüntrup als Mitgesellschafter eines auf Schweinefutter spezialisierten Futtermittelunternehmens aus der Region. Gemeinsam berichten diese Fachmänner, dass die Protagonisten entlang der Wertschöpfungskette Schwein erkannt hätten, dass es „so“ nicht weitergeht. Veränderte gesellschaftliche Ansprüche und Kundenwünsche – gerade nach den Erfahrungen der Coronazeit – führten zur Abkehr von der Massentierhaltung und hin zu einem mittelständischen, familiengeführten und handwerklichen Ansatz. Genau hier eröffneten sich Chancen für Nischenangebote und neue Absatzmärkte, natürlich unter Berücksichtigung von Tierwohl und artgerechter Haltung. Wichtig ist den Gründern von „Meisterfleisch Schwein“, die häufig gegeneinander arbeitenden Interessengruppen, vor allem die Bauern auf der einen Seite und die Fleischer und den Handel auf der anderen, kurz: die „grüne“ und die „rote“ Seite der Fleischerzeugung, miteinander zu versöhnen. Das gemeinsame Projekt hat jedoch weder Bio- noch Premiumfleisch zum Ziel und möchte auch keine ländliche Bullerbü-Idylle erschaffen. Das Ziel ist vielmehr ein neues Produkt: Ein qualitativ hochwertiges Schweinefleisch für den wöchentlichen Verzehr, das sich in
Fotos: Meisterfleisch, GW Verlag/PEH (7) 5/6.2021
Grün und Rot vere int Farbe, Geschmack und Produktionsstandards von den meisten Wettbewerbsprodukten abgrenzt. Edelschweine im Offenfrontstall Verwirklicht wird das Vorhaben durch eine ausgeklügelte Kombination von Haltung, Fütterung und Genetik. Die Edelschweine, so heißt die alte Rasse, werden in emissionsarmen Offenfrontställen mit Einstreu und Außenklimareiz aufgezogen. Sie haben mehr als doppelt so viel Platz wie gesetzlich vorgeschrieben, um sich zu bewegen und Muskeln aufzubauen. Das Projekt orientiert sich an Tierwohl und artgerechter Haltung sowie an der Haltungsstufe 3 des Handels. In Klammern: Die Pläne von Aldi, ab dem Jahr 2030 ausschließlich Fleisch dieser Haltungsstufe verkaufen zu wollen, halten die drei Männer vom Fach für „reines Marketing“. Und wenn dieses Ziel nicht erreicht werde, weil Politik und Bürokratie die Spielregeln etwa im Baurecht und Emissionsschutz immer wieder ändern, hieße es am Ende, man habe ja gewollt, aber die Bauern hätten nicht liefern können. Nein, auf bestimmte Praktiken des Handels ist man hier wahrlich nicht gut zu sprechen. Zurück zum Meisterfleisch: Das Spezialfutter ist ein Mix aus Getreide, Mineralstoffen und ätherischen Ölen. Die Zusammensetzung des Futters ist immer gleichbleibend. GMO (gentechnisch manipulierte Organismen)freies Soja und heimische Leguminosen sichern die Eiweißversorgung. Es wird exklusiv nur für Meisterfleisch produziert. Die kontinuierliche Zusammensetzung des Linke Seite: Futters ist wichtig, weil nur so konstante Qualitäten Meisterfleisch- erreicht werden. Aufgrund des enormen Kostendrucks Gründer Baumeister, müssen Landwirte „alles außer Stacheldraht füttern“, Schulze Spüntrup und gestehen die Männer ein, und unterstreichen damit die Poker (von links); Hof brisante Lage, in der unsere Fleischerzeugung steckt. Wember mit neuen GMO-freie Fütterung ist für die „Macher“ von MeisterOffenfrontställen, fleisch ein Kundenwunsch, der sich auch im Preis wieHofladen in spe und derfinden muss. Die aufwändige Fütterung hat natürlich 24-Stunden-Verkaufs- einen höheren Preis. automat Die Schlachtung der Tiere erfolgt regional und handwerklich in nahegelegenen Schlachtereien. Lange RuheRechte Seite: phasen vor der Schlachtung und wenig Stress wirken Stefan Wember mit sich positiv auf die Fleischqualität aus. seinen Tieren Wenig Bratensaftverlust
Am Ende hat der Metzgereikunde oder Restaurantgast – denn an Fleischer und Gastronomen richtet sich das Meisterfleisch-Angebot – ein mit feinem intermuskulären Fett marmoriertes Stück Fleisch auf dem Teller, das in der Pfanne nicht geschrumpft ist, weil Tropfsaft- und Bratensaftverlust auf ein Minimum reduziert wurden. Es überzeugt durch einen traditionellen Fleischgeschmack. Fleisch-Sommelier Norbert Baumeister weist nebenbei auf gesundheitliche Probleme des Menschen durch moderne Fehlernährung hin: Er erinnert an traditionelle Schmorgerichte und scheinbar minderwertige Teile des Tieres wie Bäckchen, Pfötchen oder Kopf, die heute kaum noch auf dem Einkaufszettel oder der Speisekarte stehen. Dadurch, dass die meisten Verbraucher das fettarme Filet bevorzugen, fehlt es ihnen an Kollagen, das beim Zubereiten der genannten Gerichte gelöst und etwa für den Knorpelaufbau gebraucht wird. Schweinebauer Stefan Wember hat 800 Tiere. Zwei weitere Betriebe im nördlichen Münsterland und am Niederrhein gehören zum Netzwerk, das sich zurzeit noch im Aufbau befindet. Diese Betriebe sorgen dafür, dass Meisterfleisch ein regionales Erzeugnis für den Großraum Rhein-Ruhr bleibt. Zucht, Mast, Schlachtung und Verkauf finden in einem Radius von 50 Kilometern statt. Meisterfleisch ist eben kein anonymes Massenprodukt, sondern erzeugt von namentlich bekannten landwirtschaftlichen Familienbetrieben, die der Verbraucher sogar besuchen kann und soll. Getreu dem Motto „Fair und nachhaltig für Mensch, Tier und Ressourcen!“ ist Transparenz gewünscht und wird durch sogenannte Fleischerlebnistouren gefördert. Der Verbraucher ist durch die Praktiken im Handel nämlich häufig verwirrt, wenn er im Supermarkt vor fünf verschiedenen Qualitätsstufen in der Fleischtheke steht. Meisterfleisch zielt dagegen – auch mit der Gastronomie als Zielgruppe – auf die ganzheitliche Vermarktung vom Filet bis zur Currywurst, vom Fond über die Leber bis zur Bratwurst. Für die Belieferung der Gastronomie hat man sich mit einem weiteren regionalen Partner verbündet, dem Lieferanten Spitzer Gastro-Food-Service in Recklinghausen.