FOOD & BEVERAGES
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REGIONALES SCHWEINEFLEISCH
Grün und Rot vere „Meisterfleisch Schwein“ nennt sich ein Projekt von drei Unternehmen aus dem Münsterland. Ihr gemeinsames Ziel: Artgerechte Aufzucht von Edelschweinen sowie Erzeugung und Vertrieb von handwerklich sauber erzeugtem Schweinefleisch mit traditionellem Geschmacksbild. Von Peter Erik Hillenbach Da stehen also vier Männer in weißen Hygieneanzügen vor mir auf einem Bauernhof in Datteln am Nordrand des Ruhrgebiets und wollen von mir, dass ich das gleiche anziehe. Dabei passt die Verkleidung überhaupt nicht zur bäuerlichen Idylle mit Fachwerk, Sonnenblumenfeld und Hofkastanie. Aber keine Chance: Überschuhe aus Plastik dazu, sonst darf man nicht zu den Schweinen. Schutzanzüge oder betriebseigene Kleidung sind zwingend gesetzlich vorgeschrieben für Besucher. So wird verhindert, dass Krankheiten in den Stall eingeschleppt werden. Schweine sind nämlich empfindlich – wie überhaupt so vieles im Umfeld dieser uns so nahestehenden Tiere. Bewusste Konsumenten wollen keine Massentierhaltung, Veganer und Vegetarier erst recht nicht, ältere Menschen jammern dem Geschmack von früher hinterher, Verbraucher ärgern sich derweil über das wässrige Schrumpelfleisch in ihrer Pfanne. Ganz zu schweigen von steigenden Pachten für Agrarland oder den Daumenschrauben, die der Handel den Bauern anlegt – oder gar von der EU mit ihren Subventionen, dem Green Deal und dem bürokratischen Dschungel, in dem sich ein kleiner Bauer schon mal verirren kann. So wie Stefan Wember, dem der Hof hier gehört. Er sah sich in genau dieser Gemenge lage und vor der Entscheidung „wachsen oder weichen“. Expandieren, weil das gesamte Denkgebäude der EU-Agrarpolitik
Fotos: Meisterfleisch, GW Verlag/PEH (7)
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auf immer größeren Höfen, noch mehr Tieren, effizienteren Strukturen, immer mehr Subventionen und letztlich der Produktion von möglichst billigem (Export-)Fleisch aufgebaut ist. Oder aufgeben, weil ein kleiner Bauer mit nur wenigen, artgerecht gehaltenen Tieren niemals die Preise bekommt, die er zum Überleben braucht. Wember wählte einen dritten Weg, allerdings auf eigene Kappe: Verzichtete auf EU-Gelder und Förderfonds, ging in Vorleistung und investierte in Tierwohl und Nachhaltigkeit. Solardächer hat sein Hof sowieso, nun baute er Offenfrontställe, gab seinen Schweinen mehr Platz, Spielzeug und tiefes Stroh, ist aber eben jemand aus der Praxis. Das heißt, er kennt seine Schweine und gibt ihnen Wahlmöglichkeiten – den verrufenen Beton- und Spaltenboden, den Tierschützer so gern abschaffen wollen, gibt es im Nachbarstall nämlich auch, und die Tiere entscheiden je nach Wetter und Temperatur unterm Dach selbst, ob sie ins Stroh wollen oder auf den kühlenden Beton. Schweine können nicht schwitzen und müssen die überschüssige Wärme an die Umgebung abgeben.
Fachleute entlang der Wertschöpfungskette Schwein Neben Wember stehen Christoph Poker, ein Logistikexperte und Vertreter der örtlichen Viehvermarktungs-Genossenschaft; ferner der Fleischermeister und Fleisch-Sommelier
Norbert Baumeister, der die handwerklichen Fleischer- und Metzgerbetriebe vertritt, sie schult und berät; sowie Georg Schulze Spüntrup als Mitgesellschafter eines auf Schweinefutter spezialisierten Futtermittelunternehmens aus der Region. Gemeinsam berichten diese Fachmänner, dass die Protagonisten entlang der Wertschöpfungskette Schwein erkannt hätten, dass es „so“ nicht weitergeht. Veränderte gesellschaftliche Ansprüche und Kundenwünsche – gerade nach den Erfahrungen der Coronazeit – führten zur Abkehr von der Massentierhaltung und hin zu einem mittelständischen, familiengeführten und handwerklichen Ansatz. Genau hier eröffneten sich Chancen für Nischenangebote und neue Absatzmärkte, natürlich unter Berücksichtigung von Tierwohl und artgerechter Haltung. Wichtig ist den Gründern von „Meisterfleisch Schwein“, die häufig gegeneinander arbeitenden Interessengruppen, vor allem die Bauern auf der einen Seite und die Fleischer und den Handel auf der anderen, kurz: die „grüne“ und die „rote“ Seite der Fleisch erzeugung, miteinander zu versöhnen. Das gemeinsame Projekt hat jedoch weder Bionoch Premiumfleisch zum Ziel und möchte auch keine ländliche Bullerbü-Idylle erschaffen. Das Ziel ist vielmehr ein neues Produkt: Ein qualitativ hochwertiges Schweinefleisch für den wöchentlichen Verzehr, das sich in
5/6.2021