1 minute read

TEMPOLIMIT FÜR GEFÜHLE

Next Article
YOUNG THINKERS

YOUNG THINKERS

Politiker sind auch Menschen: Sie lachen, weinen, ärgern sich. Weil Politik aber kein Geschäft wie jedes andere ist, können EMOTIONEN nicht nur nützen, sondern auch gefährlich werden.

Von Wolfgang Ainetter

Kürzlich titelte „Bild“ auf der Seite 1 ein Olaf-ScholzInterview: „Haben Sie wegen des Krieges geweint, Herr Bundeskanzler?“

Bei Interviews ist es meist so: Wenn sich aus den Antworten keine spannende Aussage ergibt, wählt man als Überschrift eine überraschende oder provokante Frage. Die Frage an Olaf Scholz erinnerte mich zwar an meine Interviewtechnik als Schülerzeitungsredakteur, aber ich wurde dennoch neugierig.

Wie antwortet der alte Polit-Profi Scholz in dieser kommunikativ schwierigen Situation? Sagt er „Nein, ich heule nicht“, könnte er hartherzig wirken. Sagt er „Ja, ich weine jeden Tag“, denken sich vielleicht Menschen wie ich: Ich will von niemandem regiert werden, der im Kanzleramt täglich drei Packungen Tempo-Taschentücher verputzt. Leadership bedeutet Empathie – aber zugleich ein Tempo-Limit für Gefühle.

Olaf Scholz antwortete geschickt. Er wollte nicht verraten, ob ihm wegen des Ukraine-Krieges die Tränen gekommen seien. Er sagte: „Es zerreißt einem das Herz. Unglaublich viele Menschen sind gestorben. Kinder, Frauen, Männer. Und was wir nicht vergessen sollten: Soldaten, auf beiden Seiten.“ Die Antwort enthält Gefühlsstärke und Souveränität in einem, also genau das, was sich die Wähler von Politikern in den meisten Umfragen wünschen.

Emotionen sind in der Politik wichtig, weil wir Menschen uns für die Gefühle anderer interessieren. Emotionen sind mächtig. Sie entscheiden Wahlen – ohne Emotionen keine Aufmerksamkeit (aus diesem Grund sind auf Wahlplakaten fast nie Sachthemen zu finden). Und zu viele Emotionen sind gefährlich, weil sie jeden zu Fall bringen können, der die Kontrolle über sie verliert.

Der Spitzenpolitiker Stephan Mayer stürzte, weil er nicht in der Lage war, seine Gefühle zu regulieren. Machtmensch Mayer gehörte zum Inner Circle seiner Partei und hielt sich für unangreifbar. Traumkarriere: Bundestagsabgeordneter, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium, schließlich CSU-Generalsekretär. Nach nur zwei Monaten musste er als CSU-General zurücktreten, weil er einem „Bunte“-Reporter am Telefon mit der „Vernichtung“ gedroht hatte – ein unverzeihlicher Fehler. Bereits davor waren seine Ausraster im politischen Berlin Tuschelthema: Mal beschimpfte er einen Facebook-User („Und du kannst dir sicher sein. Mit dir werd‘ ich noch allein fertig und brauch keinen Anwalt. Da bin ich schon mit anderen Kalibern fertig geworden.“), mal schrieb er einer „Spiegel“-Reporterin („Ich werde Sie mit allen legalen Mitteln verfolgen. Sie sind eine der schlechtesten Journalisten, die ich je kennenlernen musste.“), mal wollte er fluchend die Berichterstat-

Oben: Bitte recht freundlich – Kanzler Olaf Scholz (SPD) gibt sich hanseatisch wohltemperiert.

Unten: Bitte recht zerknirscht – seine Ausraster haben Stephan Mayer (CSU) sein Amt als Generalsekretär gekostet.

This article is from: