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ABGEHAKT
Politiker klagen über unhaltbare Zustände auf TWITTER, seit Elon Musk übernommen hat. Dennoch bleiben die meisten beim Kurznachrichtendienst. Ändert die Sache mit dem Haken daran etwas?
Fußballlegende Pelé hat auf Twitter wieder einen blauen Haken. Genau wie US-Journalist Jamal Khashoggi, Schauspieler Chadwick Boseman und Basketballstar Kobe Bryant. Klickt man auf den Haken, erfährt man, der Account-Inhaber habe sich mit einer Telefonnummer ausgewiesen. Das Problem: Pelé, Khashoggi, Bosemann und Bryant sind alle tot. Offenbar hat Twitter auf Anweisung von CEO Elon Musk pauschal allen Accounts mit mehr als einer Million Followern den blauen Haken verliehen, der seit April kostenpflichtig ist. Früher diente er dazu, Prominente und Institutionen zu verifizieren.
Erneut stehen Politiker und Journalisten vor der Frage: Soll man auf der Plattform bleiben oder lieber gehen?
Schon Anfang Dezember hatte Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil seine Entscheidung für sich getroffen und seinen Twitter-Account gelöscht. Viele News-Seiten vermeldeten das prominent. Dabei ging es eigentlich um den unspektakulären Abschied eines mäßig Social-Media-affinen Sozialdemokraten von der Plattform. Doch das weckte die Sensationslust der Presse, denn jede Nachricht über den aus Kritikersicht zunehmend abgedrehten neuen Twitter-Besitzer Elon Musk erregt große Aufmerksamkeit. Weil nannte als Grund explizit die Hetze, die seit Musks Übernahme des Netzwerks zugenommen habe.
Der Unternehmer und Tesla-Gründer Musk führt Twitter seit Ende Oktober 2022. 44 Milliarden US-Dollar hatte er sich das kaum profitable Unternehmen kosten lassen. Sein erklärtes Ziel: die Meinungsfreiheit stärken. Was eigentlich nach einem hehren Vorhaben klingt, beinhaltete aber auch Maßnahmen wie: das Profil von Ex-US-Präsident Donald Trump zu entsperren und rechten Trollen freien Lauf zu lassen. Musk entließ viele Twitter-Mitarbeiter, die zuvor für Moderation zuständig waren. Der „blaue Haken“ zur Verifikation prominenter Persönlichkeiten und offizieller Kanäle war bald nach der Übernahme käuflich. Daraufhin entstanden mehrere Fake-Accounts.
Empörung brach überall aus. Sollten seriöse Medien, Behörden und Unternehmen es Stephan Weil gleichtun und Twitter den Rücken kehren? Bisher ist die Zahl der Abtrünnigen, besonders in der Politik-Bubble, überschaubar, von einem großen Exodus kann nicht die Rede sein. Die ehemals eifrigen Twitter-Nutzer Robert Habeck (Grüne) und Kevin Kühnert (SPD) verließen die Plattform bereits vor Musks Machtübernahme wegen der schlechten Stimmung. In der Musk-Ära löschten nur noch SPD-Chefin Saskia Esken und Bundesdatenschutzbeauftragter Ulrich Kelber (ebenfalls SPD) ihre persönlichen Accounts.
„Mein Missbehagen, was die neue Twitter-Leitung anbelangt, ist immer weiter gewachsen“, erklärt Kelber im Gespräch mit p&k. In seiner Funktion geht es jedoch nicht nur um Abneigung gegen Trolle und Bot-Armeen, sondern auch um Datenschutz. Twitter hat seinen Hauptstandort in Dublin und untersteht der irischen Datenschutzbehörde. Seit Musks Übernahme und der Entlassung zahlreicher Mitarbeiter, inklusive des Datenschutz- und Sicherheitsbeauftragten, bezweifeln europäische Datenschützer, dass Irland bei wichtigen Entscheidungen einbezogen wird. Marit Hansen, Landesdatenschutzbeauftragte Schleswig-Holsteins, sagt gegenüber netzpolitik.org etwa, Twitters jüngste Produktänderungen ließen nicht den Eindruck entstehen, dass „von Europa aus weiterhin die ‚Entscheidungen über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung personenbezogener Daten‘ bei Twitter getroffen werden“. Auch deshalb nahm die Datenschutzbehörde unter Kelber ihren eigenen Account gar nicht erst in Betrieb und löschte diesen: „Wir konnten unsere Twitter-Datenschutzprüfung nicht erfolgreich abschließen. Ein behördlicher Twitter-Account wäre also nicht rechtskonform gewesen“, sagt Kelber.
Das kollektive Zaudern
Transparenz, gepflegter Diskurs, anständiger Umgang: Die Plattform steht vielen der Werte entgegen, die Politiker gerne für sich beanspruchen. Dennoch zögern sie, Twitter zu verlassen. Linken-Politikerin Amira Mohamed Ali und Britta Haßelmann (Grüne) denken zwar laut darüber nach, bleiben dann aber doch. Journalist und Netzaktivist Markus Beckedahl wundert das Zögern nicht. „Ich kann das Dilemma gut nachvollziehen“, sagt er und fügt