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Editorial

Editorial

wir eltern ch 11-13 59x268_Layout 1 07.10.2013 17:55 Seite 1

Staunen

Dies & Das

Staunen

Dies & Das

das Babytragetuch.

Die natürlichste Verbindung

Liebe Leserin, lieber Leser Unsere Titelgeschichte hätte ich gerne an meinem neunundzwanzigsten Geburtstag gelesen. Denn als ich abends nach einer Party in Brooklyn die letzten Weingläser spülte, hörte ich zum ersten Mal meine biologische Uhr ticken. Der Kinderwunsch beeinflusste von diesem Augenblick an alle meine Entscheidungen. Ich lehnte eine Verlängerung meines Jobs in New York ab, nahm eine Redaktionsstelle in der Schweiz an, heiratete und wurde zwei Jahre später schwanger. Nicht, dass ich im Rückblick etwas davon wirklich anzweifeln oder gar bereuen würde. Aber ein bisschen mehr Gelassenheit hätte nicht geschadet. Die Erkenntnisse unserer Titelgeschichte hätten mir dabei vielleicht geholfen. Vor Kurzem hat eine amerikanische Wissenschaftlerin nämlich beweisen können, dass die Fruchtbarkeitsstatistiken, die seit Jahren kursieren, auf einer fragwürdigen Datenbasis beruhen. Die Chance schwanger zu werden, sagt sie, sinkt mit 35 gar nicht so dramatisch, wie stets behauptet wird. Sie zweifelt zwar nicht an, dass die weibliche Fruchtbarkeit Mitte Dreissig stetig abnimmt, aber sie sieht darin keinen Grund für die BabyPanik, die gern geschürt wird. Das sind entlastende Nachrichten für alle jungen Frauen. Nachrichten, die vielleicht helfen, etwas Ruhe und Zuversicht in das Jahrzehnt zwischen Dreissig und Vierzig zu bringen, das als Rushhour im Leben gilt, weil neben der Partnerschaft und Familie auch noch das Berufsleben aufgegleist werden muss. Nicole Althaus, Chefredaktorin wireltern 2/2014

Bild: Anne Gabriel-Jürgens

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Gesundheit | Kinderwunsch

Nur kein Stress, Frauen Mit 35 gehe die Fruchtbarkeit massiv zurück – das wird den Frauen seit Jahrzehnten gepredigt. Bloss: Stichhaltig belegen lässt sich dies nicht. Text Andin Tegen

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Bild: Jamie Grill

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Zusatz | RubRik

«Der negative Effekt des Alters auf die Fruchtbarkeit wurde überschätzt.»

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Gesundheit | Kinderwunsch

ilvia Wiesner* dachte mit Anfang 20: jetzt oder vielleicht nie. Sie war zwar blutjung. Aber sie kannte die Statistiken, die Ärzte und Experten vorbeteten wie ein Mantra: Die Wahrscheinlichkeit, innerhalb eines Monats schwanger zu werden, liegt mit 20 Jahren bei 20 Prozent. Mit 35 Jahren ist man nur noch halb so fruchtbar. Mit 40 Jahren halbiert sich die Chance noch einmal. Sätze, scharf wie eine Guillotine. Silvia Wiesner fühlte sich, als habe sie eine «Knarre am Kopf». Ihr Architekturstudium, ihre Lust aufs Reisen, ihre Pläne, im Ausland zu arbeiten – all das verblasste, wurde von Kinderwunsch und Babypanik überdeckt. Mit 22 Jahren wurde sie Mutter eines Sohnes, zwei Jahre später kam ihre Tochter zur Welt. Sie schüttelt den Kopf, als könne sie noch immer nicht begreifen, warum sie sich so hat unter Druck setzen lassen. «Ich fühlte mich überhaupt nicht reif genug», sagt sie 25 Jahre später, «diese ganze Panikmache hat mich einfach eingeschüchtert – und zur Krönung redete mir meine Mutter auch noch ins Gewissen.»

Erstgebärende sind älter Es gibt Zahlen, die verfestigen sich zu sogenannten Wahrheiten, die wiederum dauerhaft nachhallen. In den Ohren von ganzen Menschengenerationen. Weil sie in den Medien häufig zitiert werden. Und alle irgendwie etwas angehen. Die Fruchtbarkeitsstatistiken gehören dazu. Sie lassen das Ticken der biologischen Uhr bei manch einer Frau mit Kinderwunsch zu einem Domgeläut anschwellen. Immer und immer wieder werden diese Zahlen zitiert. Sie haben viele Frauen verunsichert, ihre Überlegungen zu

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* Name von der Redaktion geändert.

Zahlen

31,5

Jahre ist eine Schweizerin alt, wenn sie Mutter wird.

1,53

Kinder gebärt eine Frau im Schnitt.

1559

Zwillingsgeburten gab es 2012.

20 Prozent

der Babys haben unverheiratete Eltern.

42 435 Jungen und

39 729

Mädchen wurden 2012 geboren.

men: 1975 noch lag das Durchschnittsalter der Erstgebärenden in der Schweiz bei 27 Jahren, heute ist die Frau im Schnitt 31,5 Jahre alt, wenn sie das erste Mal Mutter wird. Der Grund: Junge Frauen in den 20-igern bekommen immer weniger Kinder, dafür nimmt die Zahl der Erstgebärenden mit 40 plus zu. Die Kurve steigt unaufhaltsam an – was schürt also die Angst? Vorab die Fruchtbarkeitsstatistiken: Sie besagen, dass eine von drei 35- bis 40-Jährigen auch binnen Jahresfrist nicht schwanger wird. Erstmalig wurde diese Zahl vor neun Jahren im Wissenschaftsjournal «Human Reproduction» veröffentlicht. Doch laut neuesten Erkenntnissen werden genau diese Statistiken vollkommen falsch zitiert! Denn sie basieren auf veralteten Daten: nämlich auf französischen Geburtseinträgen zwischen 1670 und 1830 – einer Zeit also, in der es weder Elektrizität, Antibiotika, geschweige denn eine Kinderwunschmedizin gab.

Gute Chance für gesundes Kind Auch der Hamburger Frauenarzt Ralph Raben hält die alten Daten, angewandt auf die heutige Zeit, nicht mehr für adäquat. «Diese Statistiken haben für eine einzelne Frau wenig Bedeutung», sagt er. «Die Natur kennt nicht diese magischen Grenzen: 30, 35, 40, 45. Wir lieben solche Zahlen, weil wir die fliessende Lebenszeit gern in Abschnitte mit Zäsuren teilen.» Raben hat sich lange mit dem Phänomen «später Schwangerschaft» beschäftigt und viele Frauen behandelt, die mit über 40 noch Kinder bekommen haben. Ihm zufolge haben alle Schwangeren – egal in welchem Alter – ein gewisses Risiko, dass etwas schiefgeht. Doch gerade heute haben auch ältere Frauen gute Chancen, schwanger zu werden und gesunde Kinder zur Welt zu bringen. «Frauen müssen seltener körperlich schwer arbeiten, sie haben auch generell weniger Schwangerschaften und weniger Geburten in ihrem Leben. Zudem haben sie eine höhere Lebenserwartung, weil sie im Durchschnitt gesünder sind.» Die Schwangerenbetreuung und vor allem die Geburtenmedizin haben sich stark geändert und verbessert. Schwangere gehen zudem zur Vorsorgeuntersuchung, wo Gefahren schon früh erkannt Bild: plainpicture/Isabel Engelhardt

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Quelle: Bundesamt für Statistik Schweiz

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Karriere, Partnerschaft und Kindern wenn nicht geprägt, dann doch beeinflusst. Silvia Wiesner ist ein Beispiel dafür, wie gross die Babypanik schon in jungen Jahren sein kann – und wie sie geschürt wird. Und im Schüren ist unsere Gesellschaft gut. Ein paar Beispiele gefällig? In Grossbritannien finanzierte der Schwangerschaftstest-Hersteller «First Response» jüngst eine Kampagne, in der die 46-jährige TV-Moderatorin Kate Garraway als hochschwangere 70-Jährige mit grauem Haar und faltiger Haut abgebildet wurde: eine schockierende Warnung für Frauen. Die Moderatorin wollte damit ein Zeichen setzen, weil sie glaubt, Frauen seien bei der Partnersuche zu wählerisch und würden unter anderem dadurch den richtigen Zeitpunkt verpassen. Aber wem nützt diese Babypanik? Den Frauen, die einen Kinderwunsch hegen, aber keinen geeigneten Partner haben? Den Frauen, die gerne Karriere machen würden und noch gar nicht wissen, ob sie überhaupt Mutter werden wollen? Panik nützt niemandem was, sie bringt Frauen höchstens dazu, sich in eine Ecke drängen zu lassen, in die sie vielleicht gar nicht gehören. Dabei verkennen viele Panikmacher, was längst Tatsache ist: Frauen werden nun einmal immer älter, wenn sie Kinder bekom-


«Diese ganze Panikmache hat mich eingeschüchtert!»

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