Editorial
Was verbinden Verbände?
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Der Ruf der Verbände ist nicht ganz ungetrübt. Dies gilt wohl für alle Gesellschaftsbereiche vom Sport über irgendwelche Eigentümer (den Hauseigentümerverband kennt man. Aber haben Sie gewusst, dass auch die Anschlussgleisbesitzer in einem Verband organisiert sind?) bis zu Handel-, Gewerbe- und Industrie. Verbände sind träge. Verbandspräsidenten sind korrupt und eigenmächtig. Verbände vertreten die Partikularinteressen ihrer Mitglieder zum Nachteil der Gesellschaft. So lauten etwa die wichtigsten Vorurteile gegenüber Verbänden. Verbände heissen so, weil sie Vereine oder Sektionen in einer Dachorganisation «verbinden». Hinter dieser banalen Antwort zur einleitenden Frage versteckt sich denn auch die eigentliche Krux der Thematik. Verbände sind nach guter Schweizer Tradition demokratisch organisiert. Die Delegierten einer Verbandsebene wählen und «entlasten» in eigentlichen Organisationskaskaden die Repräsentanten der nächst höheren Hierarchiestufe – vom Verein zum Bezirks-, zum Kantons- und schliesslich zum Eidgenössischen Verband. Es liegt in der Natur der Sache, dass die typischerweise ein- bis zweimal jährlich stattfindenden Delegiertenversammlungen ihrer Verbandsleitung recht viel Handlungsspielraum für das operative Geschäft gewähren müssen. Wenn diese Vorstände dann unter dem Jahr nicht heftig über die Schnur hauen, wird ihnen an der nächsten DV gewiss «mit Akklamation Décharge erteilt».
« Ohne seine Idealisten könnte kein Verein existieren. Ohne seine Phlegmatiker hätte keiner genug Mitglieder. » (Hans-Heinrich Hitzler, *1929)
Daraus ergibt sich: Die Dynamik eines Verbands wird meist vom Geschäftsführer, vom Präsidenten oder allenfalls noch vom Vorstand geprägt. Dies wiederum erklärt auch, weshalb Verbände mit ähnlichen Interessen und Strukturen so extrem unterschiedlich sein können. Während die einen in ihren Traditionen fast ersticken, legen andere eine Dynamik vor, denen die unteren Ebenen kaum folgen können. Verbände sind primär den Interessen ihrer Mitglieder verpflichtet – das ist so und muss auch so sein. Den guten Verband zeichnet aber aus, dass er nicht nur die kurzfristigen Interessen seiner Mitglieder vertritt, sondern auch die «Sache» – der Sportverband den Sport, der Wirtschaftsverband den Wirtschaftsstandort. Dies erfordert Engagement – für die Sache, für den Verband und damit für die Gemeinschaft. Verbände, die so funktionieren, verbinden Menschen, Informationen, Interessen und Werte weit über ihre Verbandsgrenzen hinaus. Deren Engagement dient der Gesellschaft als Ganzes. Dieses Engagement findet man auch heute noch. Im Interview auf Seite 43 stellen wir zwei Vertreter dieser «Gattung» vor.
Martin Gysi Redaktion technica
03-11 technica 1