Leseprobe Pflege 1/2020

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Jahrgang 33 / Heft 1 / 2020

Pflege Herausgeberinnen und Herausgeber Dietmar Ausserhofer Katrin Balzer Gabriele Meyer Martin Nagl-Cupal Eva-Maria Panfil Anna-Barbara Schlüer Berta Schrems

Die wissenschaftliche Zeitschrift für Pflegeberufe Advanced Nursing Process im Perspektivenvergleich Die Advanced Practice Nurse in der gynäkologischen Onkologie Menschen mit Demenz im Akutkrankenhaus: Die Sicht des Teams Fallbericht: Herausforderungen bei Demenz Telepräsenzsysteme für die ambulante Pflege?


Die Anleitung zu mehr Achtsamkeit in der Pflege Carmel Sheridan

Achtsamkeit und Mitgefühl in der Pflege Praxisbuch für achtsame und selbstmitfühlende Pflegende Übersetzt von Elisabeth Brock. 2020. 264 S., 73 Abb., 13 Tab., Kt € 34,95 / CHF 45.50 ISBN 978-3-456-85982-8 Auch als eBook erhältlich Die Autorin des Praxisbuchs zeigt, wie man für andere sorgen kann, ohne sich selbst zu erschöpfen. Anhand von 40 praktischen Übungen beschreibt sie Wege, um einem Burnout in der Pflege zu entgehen. Der Pflegenotstand und Fachkräftemangel bringen Pflegende immer stärker an organisatorische und persönliche Leistungsgrenzen und überfordern zahlreiche Pflegefachpersonen. Die Zahlen psychischer Erkrankungen bei Pflegenden, wie Erschöpfungsdepression und Burnout nehmen stark zu. – Neben (berufs-)

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politischen und institutionellen Gegenmaßnahmen bieten sich Pflegenden individuelle Möglichkeiten zur persönlichen Entlastung und Entspannung durch einen achtsamen und selbstmitfühlenden Umgang mit sich selbst sowie den Kolleginnen und Kollegen. Die Psychotherapeutin und Supervisorin Carmel Sheridan, die seit über 25 Jahren mit Pflegefachpersonen zusammenarbeitet, hat ein praxisorientiertes Fachbuch für Pflegende zum Thema Achtsamkeit und Selbstmitgefühl geschrieben.


Pflege Die wissenschaftliche Zeitschrift für Pflegeberufe

Jahrgang 33 / Heft 1 / 2020

Herausgeberinnen und Herausgeber Dietmar Ausserhofer Katrin Balzer Gabriele Meyer Martin Nagl-Cupal Eva-Maria Panfil Anna-Barbara Schlüer Berta Schrems


Herausgeberinnen und Herausgeber

Dietmar Ausserhofer, Bozen/Bolzano Katrin Balzer, Lübeck Gabriele Meyer, Halle (Saale) Martin Nagl-Cupal, Wien Eva-Maria Panfil, Basel Anna-Barbara Schlüer, Zürich Berta Schrems, Maastricht/Wien

Redaktorin

Frederike Lüth, Lübeck

Redaktionssekretariat

Rosemarie S. Völkle, redaktion.pflege@hogrefe.ch

Verlag

Hogrefe AG, Länggass-Strasse 76, 3012 Bern, Schweiz Tel. +41 (0) 31 300 45 00, verlag@hogrefe.ch, www.hogrefe.ch

Anzeigenleitung

Josef Nietlispach, Tel. +41 (0) 31 300 45 69, inserate@hogrefe.ch

Abonnemente

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Herstellung

Stefan Schüpbach, Tel. +41 (0) 31 300 45 77, stefan.schuepbach@hogrefe.ch

Satz und Druck

AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten

Sprachen

Deutsch/Englisch

Erscheinungsweise

6x jährlich

Gelistet in

Pflege ist gelistet in Science Citation Index Expanded (SCIE, SciSearch), Social Sciences Citation Index, Social Scisearch, Journal Citation Reports/Social Sciences Edition, Journal Citation Reports/Science Edition, Cumulative Index to Nursing & Allied Health Literature (CINAHL), Medline, EMCare und Scopus.

Impact Factor

5 Year Impact Factor (2018): 0.331, Journal Citation Reports/Science and Social Sciences Editions (­Clarivate Analytics, 2019)

Preise

Jahresabonnementspreise: Institute: CHF 316.– / € 241.– (print only; Informationen zu den Online-Abonnements finden Sie im Zeitschriftenkatalog unter www.hgf.io/zftkatalog) Private: CHF 123.– / € 91.– Private e-only: CHF 104.– / € 81.– Vorzugspreis für Pflegeschüler/innen, Teilnehmer/innen an Weiterbildungen im Pflegebereich und Studierende (nur gegen Nachweis): CHF 70.– / € 52.– Porto und Versandgebühren: Schweiz: CHF 14.– Europa: € 15.– Übrige Länder: CHF 26.– Einzelheft: CHF 51.– / € 37.50 (+ Porto und Versandgebühren) © 2020 Hogrefe AG, Bern Nachdrucke sind, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Bewilligung des Verlags gestattet. Pflege ist peer-reviewed. Jeder publizierte Beitrag wurde von zwei Mitgliedern des Board of Consultants begutachtet. ISSN-L 1012-5302 ISSN 1012-5302 (Print) ISSN 1664-283X (online)

Pflege (2020), 33 (1)

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Inhalt Editorial

“Nothing about us without us!” ist “en vogue”

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Sabine Hahn Originalarbeiten

Übereinstimmung des Advanced Nursing Process mit ­Beobachtungen, Interviews und Pflegedokumentationen im Akutspital – Eine ­qualitative „multiple case study“

3

Claudia Leoni-Scheiber, Hanna Mayer, Maria Müller-Staub Die Advanced Practice Nurse (APN) in der gynäkologischen Onkologie – Entwicklung eines evidenzbasierten Konzepts

11

Andrea Kobleder, Hanna Mayer, Beate Senn Die Betreuung von Menschen mit Demenz im Akutkrankenhaus aus Sicht des Behandlungs- und Betreuungsteams – Eine qualitative Studie

23

Melanie Burgstaller, Susi Saxer, Hanna Mayer, Adelheid Zeller Fallbericht: Herausforderungen bei Demenz in den eigenen vier Wänden – Die häusliche Situation eines Ehepaares

33

Manuela Grünzig, Christine Schiller, Thomas Klatt, Meyer Gabriele, ­Stephanie Heinrich Wie Pflegekräfte im ambulanten Bereich den Einsatz von Telepräsenz­ systemen einschätzen – Eine qualitative Studie

43

Julia Geier, Melanie Mauch, Maximilian Patsch, Denny Paulicke Les-Art

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Mitteilungen

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In eigener Sache

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Buchbesprechungen

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Kongresskalender

60

© 2020 Hogrefe Pflege (2020), 33 (1)


Unternehmerisch Handeln im Gesundheitswesen Volker B. Schulte / Arie Hans Verkuil (Hrsg.)

Entrepreneurship in der Gesundheitswirtschaft Sachlage, Trends und Ausblicke 2019. 216 S., 22 Abb., 13 Tab., Kt € 39,95 / CHF 48.50 ISBN 978-3-45685727-5 Auch als eBook erhältlich HOG_9783456857275_Schulte_Entrepreneurship.indd 2

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Der Fakten-Check für Mythen im Gesundheitswesen Hartmut Reiners

Mythen der Gesundheitspolitik 3., vollständig überarbeitete Auflage 2019. 312 S., 1 Abb., 23 Tab., Kt € 29,95 / CHF 39.90 ISBN 978-3-456-85907-1 Auch als eBook erhältlich

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„Mythen“ selektieren und stellen Fakten oft so dar, dass sie allgemeinen Erfahrungen und Wissen zu entsprechen scheinen. Bei näherer Betrachtung stehen aber oft auch handfeste wirtschaftliche Interessen im Hintergrund. Die Neuauflage setzt sich

erneut kenntnisreich und streitbar mit den häufigsten Mythen wie „die demografische Entwicklung“ oder „Zwei-Klassen-Medizin" auseinander und liefert nachvollziehbare Argumente für eine rationale Auseinandersetzung mit den realen Problemen.


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Editorial

“Nothing about us without us!” ist “en vogue” Sabine Hahn Fachbereich Pflege, Angewandte Forschung und Entwicklung Pflege, Berner Fachhochschule Gesundheit

Wo man hinschaut, die Gesundheitsversorgung sieht sich mit knapper werdenden Ressourcen und steigenden Anforderungen konfrontiert. Ermutigende Tendenzen zeigen sich international durch den aktiven Einbezug von Patient_ innen und Angehörigen (Health Service User) in die (Versorgungs-)Forschung und Entwicklung. Dadurch können Gesundheitsdienstleistungen effizienter gestaltet und besser an die Bedürfnisse der nutzenden Personen angepasst werden (Bombard et al., 2018). Der englische Begriff „Health Service User“ mag uns im Zusammenhang mit Patient_­ innen und Angehörigen befremden, doch er schlieβt alle Menschen ein, die Gesundheitsdienste nutzten. Auch Sie und mich, die vermeintlich gesund sind und selten zum Hausarzt gehen, vielleicht Vorsorgeuntersuchungen nutzen oder Eltern betreuen, die dank spitalexterner Pflegedienste trotz altersbedingten Einschränkungen zu Hause leben können. Eingeschlossen sind aber auch Patienten- oder Angehörigenorganisationen. Zudem zeigt der Begriff „Health Service User“ den aktiven Part der Nutzung auf, und weniger die passive „patient“-Erduldung. „Health Service User“-Einbezug bedeutet Partizipation bzw. Entscheidungsteilhabe und nimmt den Empowerment-Gedanken auf (SAMW, 2016). In der Forschung bedeutet „Health Service User“-Beteiligung, für die Betroffenen wichtige Themen in Forschungsprojekten anzugehen und ihre Bedürfnisse und Bedarfe dabei fortlaufend zu berücksichtigen. Damit dies gelingt, beginnt die Beteiligung schon bei der Ausarbeitung der Forschungsidee, geht weiter über das gemeinsame Ver­ fassen von Forschungsanträgen, das Umsetzen der Forschungsarbeit inklusive gemeinsame Interpretation der Resultate, Berichterstellung sowie Dissemination. Beteiligung bedeutet also Mitarbeit in den Projekten oder deren Leitung, natürlich unter Voraussetzung der vorhandenen Kompetenzen. Der Trend ist klar “Nothing about us without us!” (Brodt, Norton & Kratchman, 2015) und das Thema ist „en vogue“. Wird jedoch hinter die Kulissen geschaut, scheint echte Beteiligung noch Mangelware. Einige Studien und Projekte versprechen mehr, als sie halten können und der Einbezug besteht lediglich darin, Patient_innen als Informations­ träger zu konsultieren, anstatt sie in die Mitgestaltung ­aktiv einzubeziehen (Bombard et al., 2018). Studien, welche echte Beteiligung umsetzten, stammen häufig aus dem

Bereich der psychiatrischen Versorgung. Dieser Einbezug geschah gleichzeitig mit der Entwicklung der Recovery Bewegung (Amering & Schmolke, 2012). Die Recovery ­Bewegung verändert die psychiatrische Versorgungslandschaft stetig. Beispielsweise gibt es ein Ausbildungsan­ gebot für Betroffene, die danach als Peers „Health ServiceUser“ in der Gesundheitsversorgung arbeiten und Menschen mit psychischen Erkrankungen unterstützen und die Sicht dieser Menschen in den Behandlungsprozess klarer einbringen. Die Recovery Bewegung fordert die Akzeptanz persönlicher Genesungswege, um eigene Ziele zu erreichen und das eigene Potenzial zu leben (NAMI-ThurstonMason, 2019). Der Einbezug dieser Genesungserfahrung in die Gesundheitsversorgung, Forschung, Entwicklung und Lehre scheint eine logische Folge. Die psychiatrische Versorgung kann hier für andere Settings Vorbild sein, denn noch zu häufig werden in den meisten Settings „Health Service User“ durch Fachpersonen bevormundet oder können nicht am Betreuungs- bzw. Behandlungsprozess partizipieren. Die Zeit scheint also reif, dass wir den Schritt wagen und uns auf „Health Service User“-Einbezug bewusst einlassen. Doch verfügen Forschungsabteilungen, Hochschulen oder die Praxis überhaupt über die notwendigen organisatorischen Grundlagen und institutionellen Voraussetzungen für diesen Einbezug? Am Fachbereich Pflege der Berner Fachhochschule waren wir nicht bereit. Die nötigen Voraussetzungen mussten zuerst in einem mehrjährigen Projekt erarbeitet werden (Gurtner & Hahn, 2019). Nun verfügen wir über die Grundlagen, inklusive eines Stufenmodells für das Ausmaβ des Einbezuges sowie über Stellenprofile für Mitarbeitende, welche über Erfahrung als „Health Service User“ verfügen und diese Expertise in Lehre, Forschung und Weiterbildung einbringen können. In den schon umgesetzten Projekten und auch im Literaturreview von Bombard et al. (2018) zeigten sich folgende unterstützenden Elemente für die Kooperation in Forschung und Lehre mit „Health Service Usern“: Trotz Erkrankung sollten „Health Service User“ eine gewisse psychische und physische Stabilität mitbringen. Arbeitsrhythmus und Arbeitskapazität müssen auf die Beeinträchtigungen der „Health Service User“ angepasst werden. Dozierende und Forschende sollten über hohe kommunikative Kompe­ten­ zen, fundierte methodische und didaktische Kenntnisse

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und groβe Projekterfahrung verfügen, um die hohe Diversität im Team konstruktiv nutzen zu können. Die Zusammenarbeit mit bzw. die Mitarbeit von krankheitserfahrenen Menschen erfordert insbesondere zu ­Beginn gröβere zeitliche Ressourcen, die zusätzlich finanziert werden müssen. Herausfordernd ist es, „Health Service User“ zu rekrutieren. Es gilt zu ermitteln, wer die betreffende Thematik vertreten kann und wie die Menschen mit Krankheitserfahrung für die anspruchsvolle und energiezehrende Forschungsarbeit zur Verfügung stehen. Es kann sein, dass nur in kleinsten Schritten gearbeitet werden kann, da auf die Leistungsfähigkeit aller Teammit­ glieder Rücksicht genommen wird. Krankheitsausfälle müssen kompensiert werden. Durch den Einbezug von „Health Service Usern“ befassen sich alle Beteiligten mit „realer Evidenz“. Die in der Forschung häufig verwendete „wissenschaftliche Evidenz“, die dem Individuum in seiner spezifischen Situation nur wenig Spielraum lässt, kann reflektiert werden. Alle Beteiligten lernen voneinander und werden kompetenter, da der Austausch und die Zusammenarbeit das Wissen verbessern. Man sieht sich gegenseitig mit anderen Augen, Haltungen verändern sich. Der Wert der jeweiligen Standpunkte wird anerkannt (Repper & Breeze, 2007). Die Betroffenenperspektive führt zu effizienterer Pflege, Betreuung und Therapie und zu nachhaltigen Veränderungen der Gesundheitsversorgung sowie zu innovativer Forschung und zu wertvollen Lehr- und Lernerfahrungen (Gurtner & Hahn, 2016; Niedermann, 2012). Längerfristig entsteht so Qualitätssteigerung in der Gesundheitsversorgung, in der Ausbildung von Fachpersonen und in der Forschung (Bombard et al., 2018; Spencer, Godolphin, Karpenko & Towle, 2011).

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Literatur Amering, M. & Schmolke, M. (2012). Recovery – Das Ende der Unheilbarkeit (5. Auflage ed.). Bonn: Psychiatrie Verlag. Bombard, Y., Baker, G. R., Orlando, E., Fancott, C., Bhatia, P., ­Casalino, S. … Pomey, M. P. (2018). Engaging patients to improve quality of care: a systematic review. Implementation Science, 13(98), 1 – 22. Brodt, A., Norton, C. & Kratchman, A. (2015). So much more than a “pair of brown shoes”: Triumphs of patient and other stakeholder engagement in patient-centered outcomes research. Patient Experience Journal, 2, 43 – 49. Gurtner, C. & Hahn, S. (2016). Mitgestalten in Forschung, Lehre und Weiterbildung durch Einbezug der Betroffenenperspektive. Psychiatrische Pflege, 1, 25 – 27. Gurtner, C. & Hahn, S. (2019). Patientinnen und Patienten als Expertinnen und Experten – User Involvement in Forschung und Lehre. frequenz, 1(19), 6 – 9. NAMI-Thurston-Mason (2019). 10 Fundamental Components of Recovery. Verfügbar unter https://namitm.org/mhr/10fcr/ Niedermann, K. (2012). Patient Research Partner – der Einbezug von Betroffenen in der Forschung. physioscience, 8, 1 – 2. Repper, J. & Breeze, J. (2007). User and carer involvement in the training and education of health professionals: a review of the literature. International Journal of Nursing Studies, 44, 511 – 519. SAMW (2016). Patienten und Angehörige beteiligen. Swiss Academies Communications, 11(10). Spencer, J., Godolphin, W., Karpenko, N., & Towle, A. (2011). Can patients be teachers? Involving patients and service users in healthcare professionals' education. Newcastle, UK: The Health Foundation.

Prof. Dr. Sabine Hahn Leiterin Fachbereich Pflege Leiterin angewandte Forschung und Entwicklung Pflege Berner Fachhochschule Gesundheit Murtenstrasse 10 3008 Bern Schweiz sabine.hahn@bfh.ch

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Originalarbeit

Übereinstimmung des Advanced Nursing Process mit Beobachtungen, Interviews und Pflegedokumen­ tationen im Akutspital Eine qualitative „multiple case study“ Claudia Leoni-Scheiber1  , Hanna Mayer2, Maria Müller-Staub3 Stadtspital Waid, Zürich Institut für Pflegewissenschaft, Universität Wien 3 Lectoraat Nursing Diagnostics, HANZE University Groningen 1 2

Zusammenfassung: Hintergrund: Pflegefachpersonen mit guter klinischer Entscheidungsfindungskompetenz stellen genauere Pflegediagnosen, setzen wirksamere Pflegeinterventionen um und erzielen bessere pflegesensitive Patientenergebnisse. Studien haben gezeigt, dass die Inhalte der Pflegedokumentationen manchmal nicht mit den Berichten von Patientinnen und Patienten und Pflegefachpersonen übereinstimmen. Fragestellung: Inwieweit stimmen die dokumentierten Pflegediagnosen, -interven­ tionen und ‑ergebnisse mit beobachteten Pflegesituationen und Patientenaussagen überein? Methoden: Eine „multiple case study“ wurde mittels strukturierter Beobachtungen, leitfadengestützter Patienteninterviews und Dokumentenanalysen durchgeführt. Bei 24 Patientinnen und Patienten wurde die Übereinstimmung von Pflegediagnosen, ‑interventionen und ‑ergebnissen zwischen den drei Quellen durch „within-case-“ und „cross-case-analyses“ untersucht. Ergebnisse: Von 114 identifizierten Pflege­ diagnosen waren 66 dokumentiert, 37 gingen aus den Beobachtungen und elf aus den Interviews hervor. Eine hohe Übereinstimmung zwischen den drei Quellen zeigte sich in 59 % der dokumentierten Pflegediagnosen, in 41 % der Pflegeinterventionen und in 33 % der Pflegeergebnisse. Fast allen dokumentierten Pflegediagnosen (89 %) waren die meisten Codes aus allen drei Quellen zugeordnet. Schlussfolgerungen: Um die Übereinstimmung der drei Perspektiven zu erhöhen, sollte die pflegerische Entscheidungsfindungskompetenz unterstützt werden, damit Pflegefachpersonen wirksamere Pflegeinterventionen wählen, die zu besseren Ergebnissen führen. Die Partizipation der Patientinnen und Patienten sollte gefördert werden. Schlüsselwörter: Advanced Nursing Process, Beobachtung, Interview, Pflegedokumentation, Q-DIO The congruence of nursing diagnoses, interventions, and outcomes between care observations, patient perceptions, and nursing records: a qualitative multiple case study Abstract: Background: Nurses with good decision-making competencies state more relevant and accurate nursing diagnoses, perform more effective nursing interventions, and achieve better nursing-sensitive patient outcomes. It was reported that the content of nursing records sometimes doesn't match with statements of patients and nurses. Research question: In what extent do the recorded nursing diagnoses, interventions, and outcomes match with observed care situations and patients' statements? Methods: A multiple case study with structured observations, guided interviews, and document analyses was performed. The congruence of nursing diagnoses, interventions, and outcomes between the three data sources was investigated by within- and cross-case-analysis in a sample of 24 patients. Results: In total, 114 nursing diagnoses were identified of which 66 were recorded, 37 were found by observations, and 11 by patient interviews. A high congruence between the three perspectives was determined in 59 % of the recorded nursing diagnoses, in 41 % of nursing interventions, and in 33 % of nursing-­ sensitive patient outcomes. Almost all documented nursing diagnoses (89 %) were supported by most codes from all three sources. Conclusions: To increase the congruence of the three perspectives, nurses' clinical decision-making competencies should be fostered, so that nurses choose more effective nursing interventions that lead to better nursing-sensitive patient outcomes. Patient participation should be fostered. Keywords: Advanced nursing process, observation, interview, nursing records, Q-DIO

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C. Leoni-Scheiber et al.: Advanced Nursing Process im Perspektivenvergleich

Was ist (zu dieser Thematik) schon bekannt? Für die Patientinnen und Patienten wesentliche Pflege­ diagnosen wurden oft nicht erkannt. Welche Konsequenzen haben die Ergebnisse für die Praxis? Das gemeinsame Verständnis über wesentliche Pflege­ diagnosen sollte zugunsten effektiverer Interventionen und besserer Ergebnisse gefördert werden. Was ist neu? Rund 60 % dokumentierter Pflegediagnosen, 40 % der Interventionen und 35 % der pflegesensitiven Ergebnisse wurden beobachtet und von Patientinnen und Patienten berichtet.

Einleitung Der Advanced Nursing Process wird definiert als der erweiterte, vertiefte Pflegeprozess, der auf validen Assessmentinstrumenten und einheitlich definierten, validierten ­Konzepten von Pflegediagnosen (PD), -interventionen und -ergebnissen basiert, die in Klassifikationssystemen enthalten sind (Müller-Staub, Abt, Brenner & Hofer, 2014). Beispielsweise der NNN-Taxonomie, der drei verlinkten Pflegefachsprachen NANDA-I, NIC-Pflegeinterventionsklassifikation und NOC-Pflegeergebnisklassifikation (Johnson et al., 2011). Nach NANDA-I ist eine PD die klinische Beurteilung der Reaktionen von Einzelpersonen, Familien oder sozialen Gemeinschaften auf aktuelle oder potentielle Probleme der Gesundheit im Lebensprozess. Sie wird von Pflegefachpersonen anhand von Assessments mittels ­Beobachtung, Interview und körperlicher Untersuchung erstellt. „Diese Beurteilung bezieht sich auf die Art, die möglichen Einflussfaktoren und die Merkmale / Risikofaktoren aktueller oder potenzieller Gesundheitsprobleme …“ (Doenges, Moorhouse & Murr, 2014, S. 82). PD bilden die Basis für Pflegeinterventionen, um gemeinsam mit den ­Betroffenen vereinbarte Ziele / Ergebnisse zu erreichen. In der NIC werden Pflegeinterventionen definiert als „jede Behandlung auf der Grundlage klinischer Urteilsbildung und klinischen Wissens die eine Pflegeperson durchführt, um Patienten- bzw. Klientenergebnisse zu verbessern“ (Bulechek, Butcher, Dochterman & Wagner, 2016, S. 53). Ein pflegerisch beeinflussbares Patientenergebnis, auch pflegesensitives Outcome genannt, ist die Folge einer Pflegeintervention. Es ist ein variabler Zustand, ein Verhalten oder die Wahrnehmung der Betroffenen / Angehörigen. Jedem Ergebnis sind Indikatoren zugeordnet anhand derer Pflegefachpersonen den Zustand (bzw. das Verhalten / die Wahrnehmung) der Betroffenen einschätzen (Moorhead, Johnson, Maas & Swanson, 2013, S. 97). Für die Anwendung des Advanced Nursing Process benötigen Pflegefachpersonen klinische Entscheidungsfindungskompetenz (Müller-Staub, 2006). Deren drei Aspekte sind diagnostische Urteilsbildung, therapeutische Meinungsfindung und ethische Entscheidungsfindung. In der dia­ gnostischen Urteilsbildung werden aus wahrgenommenen Informationen Muster erkannt, Erkenntnisse abgewogen, Intuition eingesetzt und aus alternativen Konzepten gePflege (2020), 33 (1), 3–12

wählt (z. B. der NANDA-I-PD). Die Identifikation von PD und die Wahl von Interventionen beruhen auf klinischer Entscheidungsfindung. Um genaue PD zu stellen, sind interpersonelle, fachspezifische und intellektuelle Kenntnisse und Fähigkeiten erforderlich. Diese haben Einfluss auf die Genauigkeit der Interpretationen menschlicher Reaktionen (Müller-Staub, 2006, 275 ff.). Im Sinne der Patientenzentriertheit erfolgt dies im e­ ngen Austausch mit den Betroffenen. Aus dem Assessment ab­ geleitete diagnostische Hypothesen werden mit ihr / ihm überprüft. Die für die Betroffenen relevanten PD (z. B. Schmerzen) sollten ebenso erfasst werden wie jene, die die Pflege­fachperson als wesentlich einschätzt (z. B. Dekubitusgefahr). Pflegeinterventionen und Patientenergebnisse werden möglichst partizipativ mit den Betroffenen erarbeitet. Werden allerdings die Perspektiven der Betroffenen und der Pflegefachpersonen gegenübergestellt, zeigten sich Diskrepanzen. So war beispielsweise nur ein Drittel der von den Betroffenen berichteten PD in deren Dokumentationen enthalten (Kobleder, 2011). Vierzig von 70 (57 %) befragten holländischen Patientinnen und Patienten war es ein Anliegen, dass ihre religiös-spirituellen ­Bedürfnisse notiert werden. Tatsächlich schriftlich fest­ gehalten waren diese bei 29 von 70 (41 %) (Vlasblom, Steen van der & Jochemsem, 2012). Wurden Pflegefachpersonen befragt, gaben sie deutlich mehr PD an, als sie dokumentierten (Ehrenberg & Ehnfors, 2001). Auch auf inhaltlicher Ebene (z. B. zu Fatigue, Schlaf) wurden Unterschiede ­zwischen Beobachtungen, verbalen Beschreibungen der Betroffenen und Inhalten der Pflegedokumentationen festgestellt (Ritmala-Castren, Axelin, Kiljunen, Sainio & Leino-Kilpi, 2014). Zudem ergaben Beobachtungen und Interviews, dass Pflegefachpersonen weniger als die Hälfte der durchgeführten Pflegeinterventionen dokumentierten (De Marinis et al., 2010). Unstimmigkeiten zwischen diesen drei Quellen / Perspektiven – Betroffene, Pflegefachpersonen, Pflegedokumentationen – können Risken bezüglich Patientensicherheit beinhalten und die Kontinuität beeinträchtigen. Ein besseres Verständnis dieser könnte die Zufriedenheit der Pflegefachpersonen und die professionelle Weiterentwicklung fördern. Dazu wurde bisher oft nur eine Komponente des Advanced Nursing Process untersucht, meistens PD aus zwei Perspektiven (Florin, Ehrenberg & Ehnfors, 2005; Kobleder, 2011) oder ausgewählte PD oder Interventionen wie der akute Schmerz oder freiheitseinschränkende Maßnahmen (Laurin, Voyer, Verreault & Durand, 2004; Zanon, Gralher & Müller-Staub, 2017). Es fehlen Studien, welche alle drei Komponenten aus den drei Perspektiven mit diversen Methoden vergleichen.

Fragestellung Daher lautete die Forschungsfrage: Inwieweit stimmen die Komponenten des Advanced Nursing Process (PD, Pflegeinterventionen und -ergebnisse) in der Pflegedokumentation © 2019 Hogrefe


C. Leoni-Scheiber et al.: Advanced Nursing Process im Perspektivenvergleich 5

mit beobachteten Pflegesituationen und Aussagen der Patientinnen und Patienten überein? Durch die Gegenüberstellung der drei Perspektiven a. Beobachtungen von Pflegesituationen durch Advanced Practice Nurses (APNs), b. Interviewaussagen von Patientinnen und Patienten s­ owie c. Analysen von Pflegedokumentationen erfolgte die Evaluation der klinischen Entscheidungsfindungskompetenz, insbesondere der diagnostischen Urteilsbildung, von Pflegefachpersonen. Damit soll beantwortet werden, ob eine außenstehende Pflegefachperson (APN) dieselben wesentlichsten PD erkennt wie sie die / der Betroffene äußert bzw. wie sie die Bezugspflegeperson in der Dokumentation festgehalten hat. Diese Arbeit entstand im Rahmen eines Dissertationsprojektes im Fachbereich Pflegewissenschaft.

Methode Das „multiple case study design“ wurde gewählt, weil damit mehrere Fälle auf Basis einer detaillierten Informationssammlung – generiert aus mehreren Quellen unter Realbedingungen – untersucht werden können (Creswell, 2013). Sie ermöglicht, Daten aus differenten Quellen innerhalb eines Falls und über verschiedene Fälle zu analysieren (Yin, 2009) um Übereinstimmungen sowie Differenzen zu erkennen (Baxter & Jack, 2008). Die Inhaltsanalyse erfolgte durch Datencoding, wobei mehrmalige, in einer bestimmten Art und Weise auftretende Muster identifiziert, gezählt und einer weiteren Analyse unterzogen wurden (Miles & Huberman, 1994).

Setting und Rekrutierung der Teilnehmenden Die Untersuchung erfolgte in einem schweizerischen ­Spital mit 260 Betten in jeweils zwei Stationen dreier K ­ liniken – Medizin, Chirurgie und Akutgeriatrie. Als Richtgröße für „multiple case studies“ werden vier bis zehn Fälle genannt (Eisenhardt, 1989). Je mehr Fälle, desto wahrscheinlicher ist die Repräsentativität von Fallstudien (­Gerring, 2004). Für diese Studie wurden vier Patientinnen und Patienten pro Station ausgewählt (N = 24). Diese wurden eingeschlossen, wenn sie zumindest drei Tage im Krankenhaus waren, eine PD im Pflegeplan hatten, deutsch sprachen und kognitiv, physisch sowie psychisch in der Lage waren, sich an ­einem Interview zu beteiligen (z. B. vollständig orientiert, ohne Atemnot) und dafür zustimmten. Darüber hinaus musste die terminliche Koordination der APN mit den ­Betroffenen und ihrer Bezugspflegeperson für eine mind. 20-minütige Pflegesituation gewährleistet sein.

Datensammlung Für Beobachtungen und Interviews wurde je ein semistrukturierter Leitfaden entwickelt. Die Anwendung dieser wurde im Forschungsteam geschult und getestet. Zu­erst wurden bei den Patientinnen und Patienten nicht-teilnehmende Beobachtungen durchgeführt, zu einem Zeitpunkt während eine Bezugspflegeperson eine Pflegehandlung durchführte. Beobachtet wurden die Patientinnen und ­Patienten auf die wesentlichsten PD, durchgeführte Pflegeinterventionen und angestrebte bzw. erreichte Pflege­ergebnisse. Dokumentiert wurde zudem, woran PD fest­gestellt wurden – die direkten Beobachtungen digitaler (Inhaltsaspekte) and

Abbildung 1. Zur Pflegediagnose Sturzgefahr zugeordnete Codes einer 83-jährigen Patientin, nach Quellen farblich markiert.

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C. Leoni-Scheiber et al.: Advanced Nursing Process im Perspektivenvergleich

analoger Modalitäten der Kommunikation (z. B. Beziehungs­ aspekte wie Tonfall, Blick, Körperhaltung) (Watzlawick, ­Beavin & Jackson, 2017, S. 70 – 78) sowie mittels Feldnotizen (der Ort, situative Kontext, Zeitpunkt und Dauer). Die APN prüfte sämtliche Hinweise anhand der ihr bekannten Konzepte von PD, Pflegeergebnissen und ‑interventionen, um diese zu benennen. Beispielsweise die Schlafstörung anhand auffallender Augenringe, öfterem Gähnen und der Erwähnung der / des ­Betroffenen, die halbe Nacht kein Auge zugetan zu haben. In den Probebeobachtungen zeigte sich, dass die Pflegefachpersonen aufgrund des Skill- & GradeMixes selektiv und nur kurz in der direkten Pflege tätig sind. Daher konnten die Beobachtungen mehrere kurze Sequenzen oder eine längere Sequenz umfassen und sollten min. 20 und max. 60 Minuten dauern, um aussagekräftige Daten abzuleiten und die Belastung für die Betroffenen so gering wie möglich zu halten. Im Anschluss an die jeweilige Beobachtung erfolgte das Interview durch dieselbe APN. Zuerst wurden die Patientinnen und Patienten bezüglich ihrer ­allgemeinen Zufriedenheit mit der Pflege befragt. Anschließend wurden sie nach ihren wichtigsten Bedürfnissen / Sorgen / Wünschen, erhaltenen Pflegemaßnahmen und ihren (Pflege-)Zielen gefragt. Die Gesprächsdauer wurde gemäß den Probeinterviews mit 15 bis 20 Minuten geplant. Als letzten Schritt wurden die Pflegedokumenta­ tionsinhalte (Pflegeanamnese, ‑planung, -bericht) erhoben. Die elektronische Dokumentation beinhaltete eine Liste mit 43 ausgewählten NANDA-I-PD, weitere konnten frei formuliert werden. Pflegeergebnisse und ‑interventionen wurden in Anlehnung an Doenges-Ziele bzw. ‑Maßnahmen formuliert (Doenges et al., 2014). Eine elektronische Verlinkung zu den PD bzw. ein Entscheidungsunterstützungssystem war nicht gegeben. Von Juni bis Juli 2016 führten vier APNs die Beobachtungen und Interviews durch. Um sozial erwünschte Antworten der Patientinnen und Patienten zu vermeiden, wurden diese informiert, dass ihre Aussagen keine Auswirkungen auf ihre Pflege haben und die Ergebnisse in ­aggregierter Form präsentiert werden. Um die nötige ­Offenheit und Unvoreingenommenheit der Beobachterinnen zu gewährleisten, wurde die Datenerhebung jeweils von einer APN einer anderen Klinik durchgeführt ohne ihr zuvor Einblick in die Krankenakte zu gewähren. Die Bezugspflegeperson informierte die APN über den Aufnahmegrund und die Aufenthaltsdauer der Patientin / des ­Patienten und fixierte Zeitpunkt sowie Ort für die zu beobachtende Pflegesituation. Die Inhalte aus Beobachtung und Interview wurden von der jeweiligen APN handschriftlich leitfadengemäß dokumentiert und danach computergestützt übertragen.

Datenanalyse Für die Datenanalyse wurden Beobachtungen, Interviews sowie aus der elektronischen Patientenakte Pflegeassessment, PD, Pflegeinterventionen, ‑ergebnisse und Pflegebericht verwendet und in die Software MAXQDA 12 (VERBI Pflege (2020), 33 (1), 3–12

GmbH, 2015, Berlin) importiert. Die Analyse erfolgte ­zuerst pro Fall: Zuerst die Aufzeichnungen der Beobachtungen, dann jene des Interviews und zuletzt wurden die Inhalte der Patientenakte analysiert. Das Material wurde von der Erstautorin in zwei Phasen kodiert (Saldaña, 2015, S. 45): im „first coding cycle“ – dem initialen Kodieren – wurde paraphrasiert oder Textausschnitte wortwörtlich übernommen (In-Vivo-Codes). Bei diesem induktiven Vorgehen wurden die zugrundeliegenden Inhalte in Bezug auf PD, Pflegeinterventionen und ‑ergebnisse entschlüsselt. Jeder Code wurde entsprechend seiner Informationsquelle eingefärbt, um die Übereinstimmung zwischen den Perspektiven zu visualisieren (siehe Abb. 1). Pflegeanamnese, -planung und -bericht sind der Pflegedokumentation zugeordnet und wurden different eingefärbt, um Zeitpunkt (z. B. Aufnahme) und Bedeutung der Codes darzulegen (eine in der Pflegeplanung gestellte PD fördert kontinuierliche Interventionen und Evaluationen). In der zweiten Phase („second coding cycle“) wurden Verbindungen eruiert. In diesem deduktiven Vorgehen wurden die validierten Konzepte der drei Komponenten (NANDA-I-PD, NIC‑Interventionen, NOC-Ergebnisse) zu Grunde gelegt. Die Codes aus den Beschreibungen der APNs, von Patientenaussagen und Dokumentationen wurden mit den Definitionen, ätiologischen bzw. Risikofaktoren und bestimmenden Merkmalen von PD, den ­Aktivitäten der Interventionen und den Indikatoren der Outcomes abgeglichen und den entsprechenden Konzepten zugeordnet. Beispielsweise wurde die Sturzgefahr (siehe Abb. 1) gewählt, weil neben der zutreffenden Definition eine Reihe von Risikofaktoren identifiziert wurde: ­Alter ≥ 65 Jahre, beeinträchtigte Mobilität, Gangunsicherheit, pharmazeutische Wirkstoffe. Dieses Vorgehen wurde innerhalb jedes Falls (Patient / -in) angewandt („within-case-analysis“) (Creswell, 2013). Alle pro Fall identifizierten PD, Pflegeinterventionen und ‑ergebnisse wurden in einer Tabelle erfasst (im Fall der 83-jährigen Patientin in Abbildung 1 wären das neben der PD Sturzgefahr alle weiteren identifizierten). Exemplarisch wird dieser Schritt anhand einer 93-jährigen Patientin dargestellt (siehe Tab. 1): In der ersten Spalte der Identifikationscode, in der untersten Zeile die Codesumme und die zusammenfassende deskriptive Darstellung der Übereinstimmung unter „within-case-analysis“. Die Bewertung der Übereinstimmung wurde mittels Datensynthese durchgeführt, entsprechend der Fragestellung ausgehend von der Dokumentenanalyse. Diese Bewertung erfolgte dreistufig mit hoch, teilweise und keine Übereinstimmung. Eine hohe Übereinstimmung lag vor, wenn sich in allen drei Datenquellen eindeutige Aussagen zu einer bestimmten PD, Pflegeintervention bzw. einem ‑ergebnis zeigten. Dementsprechend sollten folgende eingefärbte Codes vorliegen (siehe Abb. 1): Beobachtung (rosa), Interview (blau) sowie zumindest eine Quelle aus der Pflegedokumentation (grau / gelb / braun). Die in der rechten Spalte der Tabelle 1 fett markierten Aussagen zum NOC-Ergebnis „Sturzpräventionsverhalten“ weisen eine hohe Übereinstimmung zwischen den drei Datenquellen auf. Eine teilweise Über© 2019 Hogrefe


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einstimmung lag vor, wenn eindeutige Aussagen aus zwei Quellen hervorgingen (in diesem Fall Schmerz­reduktion und erhalten der teilweisen Selbständigkeit) oder unspe­ zifische Hinweise aus allen dreien. Relevante Aussagen aus nur einer Quelle entsprachen keiner Übereinstimmung. Im Anschluss wurde die Analyse über alle 24 Fälle auf Ebene der drei Komponenten vorgenommen („cross-caseanalysis“) (Creswell, 2013) und der prozentuelle Anteil der Ausprägungen der Übereinstimmung zwischen den drei Quellen (hoch, teilweise und keine) ausgehend von der Dokumentenanalyse ermittelt. Beispielsweise wie viele der in den Pflegeplänen gestellten PD mit jenen der Beobachtung und dem Interview übereinstimmten. Bei Unklarheiten wurde jeweils auf die originären Aufzeichnungen zurückgegriffen. Zusätzlich wurde geprüft, ob die Wesentlichkeit der in den Dokumentationen formulierten PD auch aus den anderen zwei Quellen (Beobachtung, Interview) hervorging. Dazu wurden die den einzelnen PD zugeordneten Codes (aus allen drei Quellen) pro Patient_in gezählt und verglichen (Miles & Huberman, 1994). In die Summe wurden auch die Codes der mit den PD assoziierten Pflegeinterventionen und -ergebnisse inkludiert. Die PD, die in allen drei Quellen vorkommt und die meisten zugeordneten Codes erhält, bestätigt sich als die Wesentlichste der / des jeweiligen Patientin bzw. Patienten.

Ethische Aspekte Die Bewilligung für dieses Forschungsvorhaben wurde von der kantonalen Ethikkommission erteilt (PB_2016_00990). Die Untersuchung erfolgte unter Anwendung der ethischen Grundsätze der Deklaration von Helsinki (WMA, 2013) und der „good clinical practices“ (Altpeter et al., 2005). Für den Zugriff auf die elektronische Akte sowie für die Beobachtungen und Interviews wurde ein schriftlicher Informed consent eingeholt. Jedes Dokument pro Patient_in (Beobachtungs- und Interviewaufzeichungen, Daten aus der Pflegedokumentation) wurde aus Datenschutzgründen mit demselben Code pseudonymisiert, um eine korrekte Datenzugehörigkeit zu gewährleisten. Die sichere Aufbewahrung aller Daten (analog wie digital) ist gewährleistet.

Ergebnisse Dreizehn Frauen und elf Männer (N = 24) wurden in die Studie eingeschlossen (Tab. 2). Sie waren zwischen 47 und 93 Jahren alt (78,5) und durchschnittlich zweieinhalb ­Wochen im Spital. Die Interviews wie Beobachtungen dauerten im Durchschnitt 25 Minuten, letztere setzten

Tabelle 1. Exemplarische „within-case-analysis“ (WCA) auf Basis von Beobachtung (B), Interview (I) und Dokumentenanalyse (DA)

KG23 93a, ♀

Pflegediagnosen

Pflegeinterventionen

Pflegeergebnisse

B

Beeinträchtigte körperliche Mobilität, Selbstversorgungsdefizit Körperpflege und sich Kleiden (SVD KK), Selbstversorgungsdefizit Essen / Trinken, Gefahr Flüssigkeitsdefizit?

Essen richten, Hilfe KK, Erfassen der Trinkmenge, Orientierung geben, Schmerzer­ fassung, Begleitung beim Gehen, Sturz­ prävention

Ausreichende Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr, Wohlbefinden, Erhalten der Teilselbständigkeit, Sicherheit und Sturzvermeidung

I

„Das größte Problem ist das Schlafen“, „Man Hilfe beim Waschen und Anziehen, Hilfe mag halt nicht immer sagen“, „Habe Angst beim Aufstehen, bekomme Schlaftablette zu fallen“

LOS: 24

DA PA: Sturzgefahr, beeinträchtigte Mobilität (Gehen), Schlafstörung, Obstipationsgefahr, chronische Schmerzen PP: körperliche Mobilität beeinträchtigt, SVD KK PB: Schlafstörung, beeinträchtigte Mobilität, Sturzgefahr, chronischer Schmerz, Obsti­ pation, SVD KK, Essen / Trinken, WC, Gefahr unausgeglichenes Flüssigkeitsvolumen, Angst? Codes: 249

W C A

PA: zu Hause – Obstipationsprophylaxe, Schlaftabletten, Rollator PP: geeignete Schuhe, Gehtraining mit Unterarmstock links, Hilfe bei Körperpflege PB: Schmerzeinschätzung, Analgesie, ­Intimpflege, Verbandswechsel, Einlagen, Laxans, Beruhigung, Schlafmittel, Hilfe zu Essen / Trinken, zu KK, Sturzprävention, ­Begleitung Mobilisation

Ich möchte gerne etwas mehr laufen, ich brauche ein Gefühl der Sicherheit; es hat sich schon gebessert, ich habe 0 Schmerzen PA: möchte gerne wieder nach Hause PP: äußert Verständnis zu Risikofak­ toren / Situation, Behandlungsplan, ­beteiligt sich an ATLs; fühlt sich gepflegt, führt Aktivitäten zur Selbstpflege entsprechend ihrer Möglichkeiten durch; meldet sich für Begleitung PB: (OP-)Wunde gut abgeheilt, Schmerzen geringer

beeinträchtigte Mobilität / Sturzgefahr, SVD Hilfe KK und zur Mobilität / Sturzprävention Sturzpräventionsverhalten in allen alle 3 Quellen 3 Quellen KK (über PI) in 3 Quellen Das größte Problem der Pat. ist die Schlafstörung: in PA und PB (51 Codes, die meisten), nicht in PP Obstipationsgefahr und chron. Schmerzen (PA) nicht im PP

Schlaftablette (I + PA + PB),

Schmerzen geringer (I + PB)

Schmerzerfassung (B + PB)

teilweise Selbständigkeit erhalten (B + PP)

Angst (I + PB)

SVD Essen / Trinken (B + PB, nicht im PP)

zu Hause Obstipationsprophylaxe, im KH ­Obstipationstherapie

Anmerkungen: LOS = „length of stay“ / Krankenhausaufenthaltsdauer, PA = Pflegeanamnese, PI = Pflegeintervention, PP = Pflegeplan, PB = Pflegebericht, in Fettschrift = Übereinstimmung Sturzpräventionsverhalten.

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C. Leoni-Scheiber et al.: Advanced Nursing Process im Perspektivenvergleich

Tabelle 2. Darstellung der soziodemographischen Daten sowie der ­Angaben zu den Beobachtungen und Interviews ID

♂♀ Alter in Jahren

LOS in Tagen

Beobachtung min

Ort

22

10

30

30

89

13

56

17

83

6

7

Interview

Situation

min

mehrere

Mobilisation

20

Zimmer

Körperpflege

55

20

Zimmer

Körperpflege

20

16

mehrere

mehrere

17

9

30

mehrere

sonstige

20

75

13

30

Zimmer

sonstige

21

91

30

25

Zimmer

Körperpflege

28

1

88

2

85

3

4

5

Abbildung 2. Verteilung der Pflegediagnosen aus den drei Informa­ tionsquellen.

sich durch mehrere Einzelsequenzen zusammen. Aus ­allen drei Quellen wurden 114 PD identifiziert, durchschnittlich 4,8 pro Patient_in (min. 2, max. 8, Median 4,5). Aus den Pflegeplänen gingen 58 % (n = 66) hervor, weitere 32 % (n = 37) wurden in den Beobachtungen und 10 % (n = 11) in den Interviews identifiziert (siehe Abb. 2).

Hilfestellung zur Körperpflege beobachtet, im Interview äußerte sie diese als zentrales Bedürfnis – noch vor ihren starken chronischen Schmerzen: „Die Körperpflege (…) – das kann ich zu Hause alleine nicht.“ Im Pflegeplan war die PD bedingt durch Schwäche und Schmerzen festgehalten. Die hohe Übereinstimmung zwischen den drei Perspek­ tiven liefert Belege für deren reale Präsenz. Die beiden Konzepte zur beeinträchtigten körperlichen Mobilität und Sturzgefahr wurden mehrmals zusammengefasst, weil diese von den Betroffenen – aber auch in der Beobachtung – kaum auseinandergehalten wurden (weil erstere als Sturzrisikofaktor dokumentiert war). Weitere PD mit einer hohen Übereinstimmung waren Hautdefekt, Schmerzen, Obsti­ pation, Harninkontinenz und unwirk­samer Atemvorgang. Ein Drittel aller dokumentierten PD wurde entweder nicht beobachtet, wie z. B. Sturzgefahr, Erschöpfung (HM36), von der Patientin nicht berichtet, wie z. B. Mangel­ernährung (WM41) oder die Übereinstimmung zwischen allen drei Quellen war gering. Manche Betroffene konnten oder wollten ihre zentralen Bedürfnisse nicht (eindeutig) benennen: „kann ich nicht sagen“ (ML25) oder Harninkon­ tinenz (HH41). Ein Patient mit Noncompliance (FR60), der beispielsweise den Infusomat ausschaltete, damit er auf dem Weg in die Raucherzone nicht alarmierte, sagte: „Ich selbst [bin das Problem]“. Vier dokumentierte PD wurden weder von der Patientin / dem Patienten berichtet, noch von der APN beobachtet: Gefahr einer akuten Verwirrtheit mit den Risikofaktoren Polytoxikomanie (RT63) bzw. plötzlicher Unterbruch des Alkoholkonsums (FR60), beeinträchtigte Gedächtnisleistung (BA28) und Selbstversorgungsdefizit Körperpflege (PH58).

Übereinstimmung der Pflegediagnosen zwischen den drei Perspektiven

Zusätzliche Pflegediagnosen aus der Beobachtung

In den Pflegeplänen waren durchschnittlich 2,8 PD pro ­Patient_in festgehalten (min. 1, max. 7, Median 2). Für 59 % (n = 39 von 66 PD) wurde eine hohe Übereinstimmung zwischen allen drei Perspektiven festgestellt, für 35 % (n = 23) eine teilweise, und 6 % (n = 4) waren ausschließlich im Pflegeplan festgehalten (= keine Übereinstimmung) (siehe Abb. 3). Am größten war die Übereinstimmung bei den Selbstversorgungsdefiziten Körperpflege und Sich Kleiden (jeweils 11) sowie bei beeinträchtigter körperlicher Mobilität und Sturzgefahr (12). So wurde bei einer Patientin (SR34) die

Aus den Pflegesituationen gingen 37 PD hervor, am häufigsten Selbstversorgungsdefizite in allen Bereichen (n = 11), Sturzgefahr und Gefahr eines Flüssigkeitsdefizites. Bei einer 80-jährigen Patientin (GI33), die bei hochsommerlicher Außentemperatur an Schwindel litt und sturzgefährdet war, wurde beobachtet, dass die Pflegefachperson Wasser einschenkte und sie zum regelmäßigen Trinken aufforderte. Im Interview erwähnte die Patientin auf die Frage nach erhaltenen Pflegemaßnahmen: „Sie schauen, dass ich immer genug Wasser zum Trinken habe.“ Im Pflegeplan wie auch im ‑bericht fanden sich keine Angaben zur Intervention

8

80

14

30

mehrere

Körperpflege

25

9

93

24

30

Zimmer

sonstige

20

10

79

26

25

Zimmer

sonstige

20

11

68

7

10

Zimmer

Gespräch

25

12

80

20

25

Zimmer

sonstige

29

13

47

10

20

Zimmer

sonstige

15

14

91

13

32

Zimmer

mehrere

13

15

92

33

40

Zimmer

mehrere

19

16

58

9

25

Zimmer

sonstige

20

17

83

8

15

Zimmer

Mobilisation

10

18

53

9

11

Zimmer

mehrere

10

19

76

24

35

Zimmer

Körperpflege

32

20

88

7

20

Zimmer

sonstige

25

21

90

52

25

mehrere

sonstige

45

22

82

8

20

mehrere

Körperpflege

18

23

82

19

22

mehrere

Körperpflege

73

24

75

28

30

Zimmer

sonstige

30

Anmerkungen: LOS = „length of stay“ / Krankenhausaufenthaltsdauer.

Pflege (2020), 33 (1), 3–12

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und auch keine Hinweise für die Gefahr eines Flüssigkeitsdefizites. In 87 % (n = 32) waren die in der Beobachtung identifizierten PD auch im Pflegebericht festgehalten, in erster Linie über dazu gehörende Pflegeinterventionen und -ergebnisse; und 59 % (n = 22) wurden auch von den Betroffenen im Interview genannt (= teilweise Übereinstimmung). So erzählte eine 76-jährige Multiple Sklerose (MS) Patientin (SI40) mit zugleich eingegipstem Arm: „Die letzten Tage bin ich immer alleine an der Wand entlang zur Toilette gegangen – natürlich war ich unsicher – das ist mein Leben“. Beeinträchtigte Gehfähigkeit – sie ging mit einem Rollator mit Unterarmstütze – sowie Sturzgefahr wurden auch beobachtet und laut Pflegebericht stürzte sie im Krankenhaus mehrfach (diese PD kam 57-mal vor und war der zweithäufigste Code). Sturzgefahr war jedoch nicht dokumentiert. Andere beobachtete PD wie z. B. visuelle und auditive Wahrnehmungsstörung (HM36) schienen kein Problem für einen Patienten darzustellen: „Ich höre und sehe halt nicht mehr so gut im Alter“. Zu dieser PD gab es auch keinen Eintrag.

Zusätzliche Pflegediagnosen aus dem Interview Die Patientinnen und Patienten merkten im Interview weitere elf PD an, die weder beobachtet wurden noch im Pflegeplan dokumentiert waren (siehe Abb. 2). In der Hauptsache waren diese psychosoziale Probleme, in drei Fällen Schlafstörungen. Genannt wurden z. B. Ungewissheit im Kontext eines akuten Nierenversagens nach Nierentransplantation (FR60), Sorgen / der Blick in die Zukunft (SM28) oder von einem 80-jährigen Mann: „… mein Pro­ blem ist eigentlich vor allem psychisch – ich muss viel ­weinen und bin traurig“ (HM36). Er berichtete auch von einer Reihe von Pflegeinterventionen, die er dazu erhalten hatte: „[Sie] schauen gut, dass ich nicht leiden muss. Sie können mich auch trösten …, wenn ich traurig bin“. Das Problem und damit verbundene Interventionen fanden sich an keiner Stelle der Dokumentation, wurden aber auch nicht beobachtet.

Übereinstimmung wesentlicher Pflege­ diagnosen zwischen den drei Perspektiven Bei 59 der insgesamt 66 dokumentierten PD (89 %) waren die meisten Codes aus allen drei Quellen pro Pa­ tient_in zugeordnet. So entfielen bei einer 90-jährigen Patientin (EM27), die aufgrund einer Niereninsuffizienz 13 Tage im Krankenhaus war, die meisten Codes auf ihre beeinträchtigte körperliche Mobilität (n = 33), Selbst­ versorgungsde­fizit (n = 27), Sturzgefahr und chronische Schmerzen (beide n = 26). Alle vier PD waren im Pflegeplan dokumentiert. Die restlichen sieben der insgesamt 66 PD waren gut nachvollziehbar, es wurde ihnen aber gemäß der Anzahl an Codes weniger Bedeutung zuerkannt. Aus den drei Quellen wurden anhand der meisten

Codes pro Patient_in 19 weitere wesentliche PD identi­ fiziert, die nicht im ­Pflegeplan standen, u. a. Selbstversorgungsdefizite (n = 5), Sturzgefahr (n = 4), Gefahr eines unausgeglichenen Flüssigkeitsvolumens (n = 2), Schlafstörung (n = 2), chronische Verwirrtheit. Bei der bereits genannten Patientin mit der Diagnose MS (SI40) wurde die chronische Verwirrtheit als wesentlichste PD mit der höchsten Anzahl an Codes identifiziert (69). Im Bericht fanden sich Hinweise wie: „ist desorientiert“, „lässt sich nur schwer beruhigen“, „wirkt emotional sehr aufgebracht“. Chronische Verwirrtheit stand nicht im Pflegeplan.

Übereinstimmung der Pflegeinterventionen zwischen den drei Perspektiven Bei 41 % (n = 30 von 73) der im Pflegeplan angeordneten Interventionen war die Übereinstimmung zwischen den drei Perspektiven hoch, bei 44 % (n = 32) teilweise und bei 15 % (n = 11) fehlend (siehe Abb. 3). Beispielsweise wurde die Unterstützung zur Mobilität / Sturzprävention während der Pflege bei 13 Patientinnen und Patienten beo­ bachtet, diese berichteten auch davon und sie war im Pflegeplan festgehalten. Die Hilfestellung zur Körperpflege und zum Kleiden war in neun Fällen weitgehend übereinstimmend, der Verbandwechsel in vier Fällen. Psycho­so­ ziale Pflegeinterventionen gingen mehrmals ausschließlich aus der Beobachtung hervor. Von weiteren beobachteten und nicht dokumentierten Interventionen berichteten die Betroffenen teilweise auch: z. B. zur Sturzprävention, Wundkontrolle und vom Austrittsgespräch (LA48). Insgesamt führten Pflegefachpersonen deutlich mehr Pflegeinterventionen durch als sie dokumentierten. Die Übereinstimmung war manchmal dadurch eingeschränkt, dass Betroffene ihre erhaltenen Interventionen nicht als solche erkannten. Eine Patientin nannte z. B. die Unterstützung in der Körperpflege nicht, obwohl sie vorher bereits Hauskrankenpflege in Anspruch genommen hatte (EM27). ­Andere unterschieden nicht zwischen pflegerischen und medizinischen Interventionen: So wurde die Frage nach den erhaltenen Pflegemaßnahmen einmal mit Darm- u. Magenspiegelung (ML25) oder „Habe auch noch Blut erhalten“ (PH58) beantwortet.

Übereinstimmung der Pflegeergebnisse zwischen den drei Perspektiven Ein Drittel der Patientenergebnisse (33 %, n = 20) wies in allen drei Perspektiven eine hohe Übereinstimmung auf: am häufigsten die Erhaltung der Funktionsfähigkeit des Bewegungsapparates bzw. Mobilitätsverbesserung (n = 8), die Erhaltung oder Verbesserung der Selbstpflegefähigkeit (n = 6), das Sturzpräventionsverhalten (n = 4), die Wundheilung (n = 3). Aus den Beobachtungen gingen wesent­liche weitere Patientenergebnisse hervor, z. B. die angemessene Flüssigkeitszufuhr bei einem 80-jährigen Patienten mit Gipsschienen an beiden Armen (LH36). Emotionale Patien-

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Abbildung 3. Übereinstimmung von Pflegediagnosen, -interventionen und -ergebnissen zwischen den drei Perspektiven ausgehend von der Pflegedokumentation (absolute Häufigkeiten).

tenergebnisse wurden ausschließlich während der Beobachtung identifiziert: Wohlbefinden nach emotionaler Unterstützung bei zunehmender Angst vor Abhängigkeit einer 90-jährigen Patientin, die eine Schulterluxation erlitten hatte (SM28). In 45 % der Fälle (n = 27) wurde eine teilweise Übereinstimmung zwischen mehreren Quellen festgestellt (am häufigsten zum Sturzpräventionsverhalten), in (22 %, n = 13) keine Übereinstimmung (siehe Abb. 3).

Diskussion Die vorliegende Arbeit zielte darauf ab, die Übereinstimmung der drei Komponenten des Advanced Nursing Process (PD, Pflegeinterventionen und -ergebnisse) in der Pflegedokumentation mit beobachteten Pflegesituationen und Patientenaussagen zu prüfen. Eine hohe Übereinstimmung zwischen den drei Datenquellen zeigte sich in 59 % der PD, in 41 % der Pflegeinterventionen und in 33 % der ­‑ergebnisse. Die hohe Übereinstimmung der PD war deutlich ausgeprägter im Vergleich zu früheren Arbeiten, in d ­ enen jeweils zwei Perspektiven analysiert wurden. Pflegefachpersonen erkannten die Hälfte (53 %) (Florin et al., 2005) bzw. dokumentierten ein Drittel (36 %) der von den Patientinnen und Patienten beschriebenen PD (Kobleder, 2011). Darüber hinaus waren beinahe alle im Pflegeplan dokumentierten PD (89 %) entsprechend der höchsten Anzahl von Codes wesentlich. In anderen Studien waren dies weniger als die Hälfte. Gemäß Kobleder (2011) waren 47 % der PD dokumentiert, welche von den Patientinnen und Patienten als wichtig benannt wurden. In der Gegenüberstellung von Aussagen der Pflegefachpersonen und Betroffenen wurde die Wesentlichkeit der PD in 44 % richtig eingeschätzt ­(Florin et al., 2005). Möglicherweise sind die guten ErgebPflege (2020), 33 (1), 3–12

nisse auf die über zehnjährige Verwendung und ständigen Vertiefung von PD in dem von uns untersuchten Spital zurückzuführen. Allerdings wurden die Patientinnen und Patienten offen nach ihren zentralen Pflegebedürfnissen und ‑problemen gefragt, während in den beiden zitierten Arbeiten strukturierte Instrumente eingesetzt wurden, anhand denen differenziert physische, psychosoziale und spirituelle Probleme (Florin et al., 2005) bzw. Probleme in den ATL's (Kobleder, 2011) identifiziert wurden. Die Auswertung erfolgte dort jeweils bloß quantitativ. Die Übereinstimmung könnte deshalb im Vergleich zu unserer Arbeit niedrigerer ausgefallen sein, wenngleich die Muster der Übereinstimmung somatisch-funktionaler und psychosozialer PD in allen drei Arbeiten vergleichbar sind. So deckte sich die größte Übereinstimmung der PD Selbstversorgungsdefizite bzgl. Körperpflege / Sich Kleiden und beeinträchtigte körperliche Mobilität mit den Arbeiten von Florin et al. (2005), Kobleder (2011) und Stewart, ­Doody, Bailey und Moran (2017). Solche Einschränkungen sind augenscheinlich und für Patientinnen und Patienten hinsichtlich ihrer persönlichen Identität bedeutsam ­(Petzold, 2012). Dass psychosoziale PD fast nie dokumentiert waren, scheint den „Mainstream“ der Pflege darzustellen. Patientinnen und Patienten äußerten psychosoziale und spirituelle Bedürfnisse zwar klar, sie waren aber deutlich seltener bis nie dokumentiert (Kobleder, 2011; Stewart et al., 2017; V ­ lasblom et al., 2012). Wenngleich viele Pflegefachpersonen angaben, dass sie darauf eingingen und diese überwiegend (40 – 91 %) dokumentieren würden (­ Irlinger Wimmer, Glaus & Spreeuwenberg, 2008). Mög­licherweise fällt es schwerer psychosoziale PD im Vergleich zu somatisch-funktionalen zu stellen oder ihnen wird in Zeiten der Ökonomisierung und paralleler Ressourcenminimierung weniger Bedeutung zuerkannt. Ähnliches gilt für Pflegeinterventionen: Pflegefachpersonen tun wesentlich mehr als sie dokumentieren; zum Teil wurde © 2019 Hogrefe


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weniger als die Hälfte dokumentiert (De Marinis et al., 2010; Zanon et al., 2017). Die deutlich geringere Übereinstimmung der Patientenergebnisse könnte auf die Schwierigkeiten von Pflegefachpersonen hindeuten, theoriegeleitete prospektive Ergebnisse zu formulieren. Auch frühere Arbeiten zeigten größere Defizite in der Dokumentation von Pflegeergebnissen (Tuinman, de Greef, Krijnen, Paans & Roodbol, 2017; Wang, Yu & Hailey, 2015).

Stärken und Limitationen Das in dieser Studie angewandte „multiple case study design“ hat sich bewährt und ermöglichte einen vertieften Einblick der Übereinstimmung von PD, Pflegeinterven­ tionen und ‑ergebnissen zwischen den drei Perspektiven. Nähe und Distanz der Dokumentationsinhalte zur Realität konnten dargestellt werden, wenngleich die Übereinstimmung zwischen den drei Perspektiven limitiert sein könnte. Patientinnen und Patienten konnten nur die von ihnen wahrgenommenen PD, Pflegeinterventionen und ‑ergebnisse in ihrer Sprache ausdrücken. Möglicherweise wurden in den kürzeren Interviews Informationen nicht mitgeteilt bzw. aufgenommen, z. B. aufgrund von Scham oder fehlendem kontextuellen Wissen der interviewenden APNs. Die Beobachtungen waren zeitlich limitiert und vereinzelte PD konnten durch Beobachtungen bedingt wahrgenommen bzw. abgeleitet werden (z. B. die Gefahr einer akuten Verwirrtheit bei Polytoxikomanie). Zudem spielt die Dia­ gnosekompetenz der APNs eine Rolle, wie umfangreich ihre Kenntnisse bzgl. validierter Konzepte auf Ebene der PD, wie auch der Pflegeinterventionen und ‑ergebnisse sind. Die Bezugspflegepersonen wiederum waren in der Dokumentation Rahmenbedingungen unterworfen (z. B. EDV, Skill-Grade-Mix, zeitliche Ressourcen). Das größere Datenvolumen aus der Dokumentation im Vergleich zu Beobachtung und Interview könnte die Beurteilung der Wesentlichkeit, zu der die Häufigkeit der Codes herangezogen wurde, beeinflusst haben. Dies würde bedeuten, dass die kurzen Beobachtungen und Interviews nicht alle Übereinstimmungen reflektierten und diese sogar höher sein könnte. Die prozentuellen Angaben der Übereinstimmung von PD, Pflegeinterventionen und ‑ergebnissen in der „cross-case-analysis“ basieren auf dem Abgleich mit den validierten Konzepten innerhalb der „within-caseanalysis“. Die quantitativen Ergebnisse sind im Sinne des interpretativen Paradigmas qualitativer Forschung mit Bedacht zu interpretieren. Es fanden jedoch kommunikative Validierungen mit den Bezugspflegepersonen, welche die Pflegepläne erstellten, statt. Beschrieben wird, dass die durch dieses Design generierte Evidenz robust und zuverlässig ist (Baxter & Jack, 2008). Qualitätssichernde Maßnahmen zur Datenerhebung und -analyse wurden eingehalten. Dem Prinzip der Reflexivität qualitativer Forschung wurde insbesondere durch die Methodenwahl und stringente Ausführung Rechnung getragen.

Das Manuskript wurde unter Beachtung der „Standards for reporting qualitative research“ (SRQR) verfasst (O'Brien, Harris, Beckman, Reed & Cook, 2014).

Schlussfolgerungen Ein gemeinsames – übereinstimmendes – Verständnis zu PD, Pflegeinterventionen und vor allem zu den angestrebten pflegesensitiven Patientenergebnissen zwischen Pa­ tientinnen und Patienten und Pflegefachpersonen sollte gefördert werden. Das erfordert zweierlei: die forcierte Entwicklung der klinischen Entscheidungsfindungskompetenz der Pflegefachpersonen, um in erster Linie zu­ treffende(re) PD zu stellen und Patientinnen und Patienten entsprechend ihres Wunsches im Advanced Nursing Process zu beteiligen. Dies umfasst die Partizipation in der diagnostischen Urteilsbildung, insbesondere die Überprüfung der diagnostischen Hypothesen sowie die gemeinsame Festlegung der Pflegeinterventionen und anzustrebenden Patientenergebnisse. Für zukünftige Forschungsprojekte könnten die Methoden der teilnehmenden Beobachtung oder Videoaufnahmen über längere Zeiträume angedacht werden, um die Validität der identifizierten PD, Pflegeinterventionen und -ergebnisse zu erhöhen. Ebenso könnte die Überprüfung ausgewählter PD, Pflegeinterventionen und -ergebnisse, die über eine hohe Relevanz und Prävalenz in bestimmten Settings verfügen (z. B. Rollenüberlastung pflegender Angehöriger in der ambulanten Pflege), untersucht werden.

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Pflege (2020), 33 (1), 3–12

dernden Pflege bei hospitalisierten Patientinnen und Patienten nach Hüftendoprothesenversorgung im Vergleich zur Pflegedokumentation mittels Q-DIO-Pain: eine Mixed Methods Studie. Pflege, 30, 129 – 138. Historie Manuskripteingang: 15.02.2019 Manuskript angenommen: 22.07.2019 Onlineveröffentlichung: 09.10.2019 Autorenschaft Studiendesign: CLS, HM, MMS Rekrutierung, Datenerhebung und -analyse: CLS, MMS Manuskripterstellung: CLS Kritische Kommentierung und Genehmigung der Letztversion des Manuskripts: HM, MMS Übernahme der Verantwortung für das gesamte Manuskript: CLS, HM, MMS Förderung Diese Studie wurde von der Universität Wien mit einem Auslandsstipendium (LNR: 00035) sowie dem Stadtspital Waid, Zürich (Vertrag vom März 2016) unterstützt. Danksagung Wir bedanken uns bei allen Patientinnen und Patienten für die Partizipation an der Studie. Unser Dank gilt ebenfalls den beteiligten Stationsleitungen, den Bezugspflegenden, den Pflegeexpertinnen APNs Janine Altherr, Anita Eugster, Corinne Giger und Marika Widmann sowie der Direktorin Pflege Alexandra Heilbronner für die Unterstützung dieser Studie. ORCID Claudia Leoni-Scheiber https://orcid.org/0000-0001-8389-2857

Claudia Leoni-Scheiber, MScN, MSc Hafnerweg 3 6600 Lechaschau Österreich c.leonischeiber@aon.at

Was war die größte Herausforderung bei Ihrer Studie? Ausreichend Zeitfenster, in denen Pflegefachpersonen in der direkten Pflege beobachtbar sind. Was wünschen Sie sich bezüglich der Thematik für die Zukunft? Ein angepasster Skill-and-Grade-Mix, um genaue Pflegediagnosen, wirksamere Pflegeinterventionen und bessere Ergebnisse zu erzielen. Was empfehlen Sie zum Weiterlesen / Vertiefen? Zur Vertiefung validierter Konzepte und einer evidenzbasierten Pflegeplanung das „Nursing Diagnosis Handbook“ von Ackley et al. (2020).

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Originalarbeit

Die Advanced Practice Nurse (APN) in der gynäkologischen Onkologie Entwicklung eines evidenzbasierten Konzepts Andrea Kobleder1,2  , Hanna Mayer2, Beate Senn1,3 Institut für Angewandte Pflegewissenschaft, FHS St. Gallen, Hochschule für Angewandte Wissenschaften, St. Gallen Institut für Pflegewissenschaft, Universität Wien 3 Sydney Nursing School, Universität Sydney, Australien 1 2

Zusammenfassung: Hintergrund: Die Advanced Practice Nurse (APN) kann für Frauen mit einer gynäkologischen Krebs­ erkrankung eine bedeutsame Unterstützung im Behandlungsprozess darstellen. In Österreich und der Schweiz steht die APNEntwicklung allerdings erst am Anfang und es fehlt an systematisch entwickelten Konzepten. Fragestellung: Welche Merkmale sollte ein auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basierendes APN-Konzept in der gynäkologischen Onkologie im Versorgungskontext Österreich und Schweiz beinhalten? Methode: Die Entwicklung des Konzepts erfolgte mit Hilfe einer Matrix, die basierend auf dem PEPPA plus-Framework entstand, Inhalte des Nursing Role Effectiveness Models (NREM) enthielt und Daten aus vier vorangegangenen Einzelstudien zusammenführte. Dreizehn Expertinnen und Experten aus Pflege und Medizin waren an der Vernehmlassung des Konzepts beteiligt. Ergebnisse: Unterteilt in Struktur-, Prozess- und Outcome-Kriterien beschreibt das Konzept zentrale Inhalte der APN-Rolle in der gynäkologischen Onkologie im Versorgungskontext Österreich und Schweiz. Zusätzlich werden die Beziehungen zwischen Struktur-Prozess, Struktur-Outcome und Prozess-Outcome dargestellt. Schlussfolgerungen: Das in dieser Studie entwickelte Konzept bietet eine Grundlage zur (1) weiteren Ausgestaltung einer ­APN-Rollenbeschreibung in der gynäkologischen Onkologie auf institutioneller Ebene sowie (2) curricularen Entwicklung entsprechender Studiengänge. Durch die gemeinsame Basis kann eine Harmonisierung der APN-Rolle im Versorgungskontext Österreich und Schweiz gefördert werden. Schlüsselwörter: Gynäkologische Onkologie, Advanced Practice Nursing, erweiterte Pflegepraxis The Advanced Practice Nurse (APN) in gynaecological oncology – development of an evidence-based concept Abstract: Background: The role of an Advanced Practice Nurse (APN) is suggested to provide supportive care for women with gynaecological cancer throughout the caring process. In Austria and Switzerland, APN development is at its beginning and there is a lack of systematically developed role concepts. Aim: The aim of this study was to develop relevant contents of an evidence-based APN concept for gynaecological oncology in Austria and Switzerland. Method: The concept was developed by using a matrix elaborated on the basis of the PEPPA plus framework, and complemented by elements of the Nursing Role ­Effectiveness Model (NREM). The matrix synthesised data from four previous conducted studies. Thirteen experts from nursing and medicine validated the concept. Results: Divided into structure, process and outcome criteria, the concept describes main contents of an APN in gynaecological oncology within the Austrian and Swiss healthcare context. Further, relationships between structure-process, structure-outcome and process-outcome are described. Conclusions: The concept developed in this study provides a basis for (1) the future development of an APN role description in gynaecologic oncology on an institutional level and (2) curriculum development of corresponding degree programs. Due to the common basis, a harmonisation of APN in the Austrian and Swiss context might be supported. Keywords: Gynaecological oncology, advanced practice nursing, supportive care

Hintergrund Die erweiterte und spezialisierte Pflegepraxis, das soge­ nannte Advanced Practice Nursing, gewann in den ver­ gangenen Jahren zusehends an Bedeutung. Gründe für diese Entwicklung waren unter anderem der demografi­

sche Wandel mit einer steigenden Anzahl älterer und multimorbider Menschen, die damit einhergehende zu­ nehmende Komplexität der medizinischen und pflegeri­ schen Betreuung sowie Bestrebungen, die Kosteneffizienz im Gesundheitswesen zu steigern (De Geest et al., 2008; Newhouse et al., 2011). Charakteristika einer Pflegefach­

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Was ist (zu dieser Thematik) schon bekannt? Die APN kann eine bedeutsame Rolle bei der Betreuung von Frauen mit gynäkologischen Tumorerkrankungen einnehmen. Was ist neu? Erstmalig wurde ein Konzept für die APN-Rolle in der gynäkologischen Onkologie für Österreich und die Schweiz entwickelt. Welche Konsequenzen haben die Ergebnisse für die Pflegepraxis? Es können detaillierte APN-Rollenbeschreibungen erarbeitet werden. Ebenso können sie für Curriculumsentwicklungen entsprechender Studiengänge als Unterstützung heran­ gezogen werden.

person, die Advanced Practice Nursing umsetzt (Advanced Pratice Nurse [APN]), sind unter anderem ein Abschluss mindestens auf Masterebene sowie die Kompetenz, As­ pekte der Forschung, Ausbildung und des Managements in die klinische Praxis einzubeziehen (International Council of Nurses, 2009). Sie hat vertiefte Kenntnisse im Bereich des klinischen Assessments, verfügt über fort­ geschrittene Entscheidungsfähigkeiten, arbeitet eng mit anderen Professionen zusammen und stellt eine wichtige Ressource für die eigene Berufsgruppe dar. Indem sie über Systemgrenzen hinweg agiert, kann die Versor­ gungskontinuität der Patientinnen und Patienten opti­ miert werden (Jansen & Zwygart-Stauffacher, 2010). Aus Ländern wie den USA, Australien oder Kanada, in denen die APN bereits seit Jahren integraler Bestandteil des Ver­ sorgungsystems ist, liegen Forschungserkenntnisse zur Wirksamkeit der APN vor. So zeigte sich, dass die Tätig­ keit einer APN unter anderem die Spitalaufenthaltsdauer senken sowie die Zufriedenheit von Patientinnen und Pa­ tienten und deren Angehörigen steigern kann (MorillaHerrera et al., 2016). Durch die Förderung des Symptom­ managements der Patientinnen und Patienten sowie Früherkennung von Komplikationen kann sich die APN langfristig wirksam hinsichtlich der Kosten zeigen (Kil­ patrick et al., 2015). Auch im Kontext der gynäkologischen Onkologie gibt es erste Hinweise, dass die Betreuung durch eine APN einen positiven Einfluss auf die Zufriedenheit der Patientinnen und deren Lebensqualität haben kann (Cook, McIntyre & Recoche, 2015). In Anbetracht der oftmals hochkomple­ xen Situationen, in denen sich die Patientinnen und deren Angehörige befinden, wird in der APN Potenzial gesehen, die Versorgung der betroffenen Frauen zu optimieren. Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass sich die Patien­ tinnen häufig vom Versorgungssystem unzureichend un­ terstützt fühlen (Philp, Mellon, Barnett, D›Abrew & White, 2017) und Lernbedarf in den Bereichen „Schmerzmanage­ ment“, „Medikamenteneinnahme“ und „Erkennen von Komplikationen“ besteht (Akkuzu et al., 2018). Mit steigender Anzahl von Absolventinnen und Absol­ venten von Masterstudiengängen und der Einführung ers­ ter Rollen in die klinische Praxis wuchs in den letzten Jah­ Pflege (2020), 33 (1), 13–23

A. Kobleder et al.: APN in der gynäkologischen Onkologie

ren auch in Österreich und der Schweiz zunehmend das Interesse hinsichtlich der APN-Rolle. Aktuell liegen keine validen Daten vor, wie viele Pflegefachpersonen diese spe­ zialisierte und erweiterte Rolle ausüben. Allerdings wurde 2012 unter der Leitung des Schweizer Berufsverbands der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner (SBK) eine Um­ frage lanciert, in der erstmals Anzahl und Merkmale von Absolventinnen und Absolventen mit einem pflegewissen­ schaftlichen Masterabschluss erhoben wurde. Insgesamt beteiligten sich 211 Personen an der Umfrage, rund die Hälfte hatte eine APN-Rolle respektive eine vergleichbare Funktion inne. 21 % der Befragten gaben eine Spezialisie­ rung in der onkologischen Pflege, 10 % in der Langzeit­ pflege und je 6 % in der Pädiatrie und ambulanten Pflege an (Schwendimann & Koch, 2013). Aus Österreich liegen diesbezüglich noch keine systematisch erhobenen Daten vor. Obwohl einige Masterabsolventinnen und -absolventen die Rolle bereits ausführen und erste APN-Konzepte, bei­ spielsweise jenes der Breast Care Nurse, bereits erfolgreich entwickelt und in die Praxis implementiert wurden (Eicher, 2007), zeigt sich bei der Ausgestaltung der einzelnen Rol­ len eine große Heterogenität. Es herrscht Unklarheit, wel­ che konkreten Kompetenzen die APN aufweisen soll und wie genau ihr Einsatzfeld definiert wird (Schwendimann et al., 2015). Um Patientensicherheit, Effizienz und Quali­ tät zu gewährleisten, wird länderübergreifend das Ziel ­einer Harmonisierung der APN-Rolle innerhalb der einzel­ nen Einsatzfelder verfolgt (DBfK, ÖGKV, SBK, 2013). Eine Möglichkeit dafür ist die evidenzbasierte Entwicklung von Konzepten und Rollenbeschreibungen. Der Begriff des „Konzepts“ wird in diesem Kontext nicht im Sinne eines Pflegekonzepts, welches als „Verallgemeinerung und Über­ begriff für ein oder mehrere ähnliche Phänomene, mit ­denen wir in unserer täglichen Praxis konfrontiert sind“ (Neumann-Ponesch, 2014, S. 58) definiert wird, verstanden. Vielmehr bezieht sich der Begriff auf die allgemeine Defi­ nition eines Konzepts, als „Entwurf oder Plan“ (Duden­ redaktion, 2010). Im Rahmen des Konzepts sollen präzise, systematisch entwickelte Inhalte zur APN dargestellt wer­ den, die als Basis für eine Rollenbeschreibung dienen kön­ nen. Im Zuge der Rollenbeschreibung werden wiederum die Inhalte eines Konzepts auf den lokalen, institutionellen Kontext adaptiert und konkretisiert. Zusätzlich werden in einer Rollenbeschreibung klare Verantwortlichkeiten im interprofessionellen Team festgelegt. Die Verantwortlich­ keiten der APN werden auf institutionsspezifische Struk­ turen und strategische Ziele angepasst (Bryant-Lukosius & Cancer Care Ontario, 2009). Die beschriebenen Unklarheiten hinsichtlich APN zei­ gen sich auch in der gynäkologischen Onkologie im Versor­ gungskontext Österreich und Schweiz. Bislang gibt es noch kein systematisch entwickeltes Konzept, das beschreibt, wie eine APN-Rolle in diesem Kontext ausgestaltet werden könnte. Aus diesem Grund lag das Forschungsinteresse der vorliegenden Studie in der Entwicklung eines evidenz­ basierten Konzepts als Grundlage für die APN-Rolle in der gynäkologischen Onkologie. © 2019 Hogrefe


A. Kobleder et al.: APN in der gynäkologischen Onkologie

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Fragestellung Welche Merkmale sollte ein auf wissenschaftlichen Er­ kenntnissen basierendes APN-Konzept in der gynäkolo­ gischen Onkologie im Versorgungskontext Österreich und Schweiz beinhalten? Die Studie wurde im Rahmen der Kooperation zwischen der Universität Wien und der Fachhochschule St. Gallen durchgeführt und fokussiert aus diesem Grund Österreich und die Schweiz.

Methode und Material Für das APN-Konzept in der gynäkologischen Onkologie wurde Wissen aus vier unterschiedlichen Quellen gene­ riert. Dies erfolgte im Rahmen von vier Einzelstudien für die das Element „evidence“ des PARIHS-Frameworks (Rycroft-Malone et al., 2004) als struktureller Rahmen diente. Diese Einzelstudien spiegeln die Perspektive der Patientinnen (Kobleder, Mayer & Senn, 2017c) und der Gesundheitsfachpersonen (Kobleder, Mayer, Gehrig & Senn, 2017b) wider und stellen den aktuellen For­ schungsstand zur Wirksamkeit (Kobleder, Mayer, Gehrig, Ott & Senn, 2017a) sowie kontextuelle Faktoren (Koble­ der, Mayer, Lauk & Senn, 2018) zur APN in der gynäkolo­ gischen Onkologie dar. Die Datenerhebung für die empi­

rischen Stu­dien wurde sowohl in Österreich als auch in der Schweiz durchgeführt. Die Zusammenführung des Wissens erfolgte anhand einer eigens für die Studie ent­ wickelten Matrix (siehe Abb. 1). Diese basiert auf dem PEPPA (participatory, evidence-based, patient-focused process for advanced practice nursing (APN) role deve­ lopment, implementation, and evaluation) plus-Frame­ work (Bryant-Lukosius et al., 2016), ergänzt durch Inhal­ te des NREM (Nursing Role E ­ ffectiveness Model) (Irvine, Sidani & Hall, 1998). Beide Rahmenkonzepte integrier­ ten als Grundlage das Qualitätsmodell nach Donabedian (1980). Das PEPPA plus wurde von der Forschergruppe ausgewählt, da es im Gegensatz zum PEPPA-Framework (Bryant-Lukosius, Dicenso, Browne & Pinelli, 2004) eine institutionsübergreifende Perspek­ tive zur Entwicklung und Evaluierung von APN-Rollen ­erlaubt. Obwohl das PEPPA plus Struktur-, Prozess- und Outcome-Kriterien der APN definiert, bleibt deren Beziehung zueinander unklar. Diese Beziehung zwischen Struktur-, Prozessund Outcome-Kriterien ist vor allem im Zuge der Evalu­ ierung der Rolle von Bedeutung. Aus diesem Grund wur­ den zusätzlich zum PEPPA plus Inhalte des NREM berücksichtigt, welche diese Beziehung fokussieren. Das PEPPA plus-Framework wurde für den Schweizer Kon­ text sowie für Länder, die erst am Beginn der APN-Rol­ lenentwicklung stehen, entwickelt und bietet einen Rah­ men APN-Konzepte und Rollenbeschreibungen zu entwickeln, zu implementieren und zu evaluieren. Im

Strukturen*

Element „evidence“ des PARIHS-Frameworks (Rycroft-Malone et al., 2004) Perspektive der ­Patientinnen

Perspektive der Gesundheitsfachpersonen

Aktueller Forschungsstand zur Wirksamkeit

Kontextuelle Faktoren

(Kobleder et al., 2017c)

(Kobleder et al., 2017b)

(Kobleder et al., 2017a)

(Kobleder et al., 2018)

Patientinnen APN Organisation Klinische Praxis

Prozesse+

Beratung Coaching und Steuerung Ethische ­Entscheidungsfindung Zusammenarbeit Evidenzbasierte Praxis Leadership

Outcomes+

Patientinnen und ­Angehörige Versorgungsqualität Anbieter von Gesundheitsdienstleistungen Organisation Inanspruchnahme von Gesundheitsdienst­ leistungen und Kosten Abbildung 1. Matrix, + basierend auf dem PEPPA plus (Bryant-Lukosius et al., 2016) und * basierend auf dem NREM (Irvine et al., 1998).

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Zentrum des PEPPA plus-Frameworks steht die APN (z. B. Clinical Nurse Specialist oder Nurse Practitioner) mit ihren Kompetenzen: klinische Praxis, ethische Ent­ scheidungsfindung, Coaching und Steuerung, Beratung, evidenzbasierte Praxis, Leadership sowie Zusammenar­ beit. Das PEPPA plus-Framework definiert für jede Stufe der APN-Rollenentwicklung (Einführung, Implementie­ rung und Nachhaltigkeit) relevante Struktur-, Prozessund Outcome-Kriterien. Diese Kriterien werden wieder­ um aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet, z. B. aus Sicht der Patientinnen und Patienten sowie der Fami­ lienmitglieder, der Anbieter von Gesundheitsdienstleis­ tungen, der Organisation und der Gesundheitssysteme. Für die Phasen „Einführung“, „Implementierung“ und „Nachhaltigkeit“ wurden Evaluationsziele und Fragen formuliert (Bryant-Lukosius et al., 2016). Irvine et al. publizierten 1998 das NREM, welches sie ­literaturbasiert erstellten. Es bietet eine differenzierte Betrachtungsweise professioneller Rollen im Gesund­ ­ heitswesen. Die Strukturkriterien werden im NREM aus Perspektive der Pflegefachperson, der Organisation und der fokussierten Patientengruppe definiert. Prozess­ kriterien sind unterteilt in (1) unabhängige Pflegerolle, (2) abhängige Pflegerolle und (3) voneinander abhängige Pflegerolle. Die unabhängige Pflegerolle umfasst sämt­ liche Tätigkeiten des Pflegeprozesses. Die abhängige Pflegerolle enthält Tätigkeiten, die zwar von einer Pfle­ gefachperson ausgeführt werden, allerdings einer ärzt­ lichen Anordnung bedürfen (z. B. Verabreichung von Medikamenten). Die voneinander abhängige Pflegerolle betrifft jene Tätigkeiten, bei denen die Pflegefachperso­ nen teilweise oder vollständig von anderen Gesundheits­ fachpersonen, oder umgekehrt, abhängig sind (z. B. Überwachen des Gesundheitszustands einer Patientin bzw. eines Patienten durch die Pflegefachperson und entsprechende Berichterstattung an eine Ärztin / einen Arzt). Outcomes werden im NREM in patientenbezoge­ ne Outcomes (z. B. Wissen, Zufriedenheit), unerwünsch­ te Ereignisse und interprofessionelle Zusammenarbeit unterteilt. Das NREM zeigt mögliche Be­ziehungen zwi­ schen Struktur-, Prozess-, und Outcome-­Kriterien auf, die ebenso für die Exploration einer APN anwendbar sind (Irvine et al., 1998; Sidani & Irvine, 1999). Die Mo­ delle beider Rahmenkonzepte, die als Grundlage für die Synthesematrix dienten, sind in Abbildung 2 zusammen­ gefasst dargestellt. Relevante Inhalte beider Rahmenkonzepte wurden in die Matrix eingearbeitet, die in Abbildung 1 dargestellt ist. Die Matrix, die als Rahmen der Datenextraktion zu­ grunde lag, enthält Struktur-, Prozess- und Outcome-­ Kriterien der APN-Tätigkeit. Strukturkriterien beziehen sich auf die Perspektive der Patientinnen, der APNs und der Organisation. Die Prozesskriterien beschreiben die Kompetenzen der APN, untergliedert in klinische Praxis, Beratung, Coaching und Steuerung, ethische Entschei­ dungsfindung, Zusammenarbeit, evidenzbasierte Praxis und Leadership. Die Outcomes der APN-Rolle in der gy­ näkologischen Onkologie werden unterteilt in Outcomes Pflege (2020), 33 (1), 13–23

A. Kobleder et al.: APN in der gynäkologischen Onkologie

in Bezug auf die Patientinnen und Angehörigen, Versor­ gungsqualität, Anbieter von Gesundheitsdienstleistun­ gen, Organisation, Inanspruchnahme von Gesundheits­ dienstleistungen sowie Kosten. Die Extraktion der Daten aus den Einzelstudien er­ folgte durch die Erstautorin. Die Ergebnisse der Extrak­ tion ­wurde von den beiden Co-Autorinnen kritisch ge­ prüft, in mehreren Runden in der Forschergruppe diskutiert und die Ergebnisse entsprechend adaptiert. Als zentrales Ergebnis erarbeiteten wir eine Grafik mit den zentralen Struktur-, Prozess- und Outcome-Kriteri­ en der APN in der gynäkologischen Onkologie (siehe Abb. 3). Zusätzlich formulierten wir gemäß der Annah­ men des NREM (Irvine et al., 1998) mögliche Beziehun­ gen zwischen Struktur-Prozess, Struktur-Outcome und Prozess-Outcome. Strukturkriterien wirken sich primär auf Prozesse aus. Sie können aber auch gemäß Irvine et al. (1998) wie die Prozesskriterien, Outcomes auf di­ rektem Weg beeinflussen. Um mögliche Beziehungen zu eruieren wurden die ein­ zelnen Kriterien jeweils miteinander verknüpft. In der For­ schergruppe diskutierten wir die Sinnhaftigkeit der Kom­ bination, bis wir einen Konsens erreichten. Wir erstellten einen Konzeptentwurf, der unter ande­ rem Informationen zum Hintergrund, zur methodischen Vorgehensweise, Anwendung und eine Erläuterung zu den Struktur-, Prozess- und Outcome-Kriterien sowie deren Beziehungen enthielt. Eine Gruppe von dreizehn pflegeri­ schen und medizinischen Expertinnen und Experten aus Deutschland (n = 3), Österreich (n = 3) und der Schweiz (n = 7) be­teiligte sich in der Zeit zwischen dem 29.01.2018 und 29.03.2018 an der Vernehmlassung des Konzeptent­ wurfs. Obwohl das Konzept primär für den Versorgungs­ kontext Österreich und Schweiz entwickelt wurde, erfolg­ te nach der Erstellung des ersten Konzeptentwurfs der Beschluss im Forscherteam, Expertinnen und Experten aus Deutschland in der Vernehmlassung miteinzube­ ziehen, um die Aussagekraft für den deutschsprachigen Raum zu erhöhen. Die sich aus der Vernehmlassung ergebenden Rückmel­ dungen arbeitete die Erstautorin ein. Insgesamt wurden im Zuge der Vernehmlassung n = 12 Merkmale ausdrück­ lich bestätigt, n = 3 Merkmale erweitert (z. B. Prozesskrite­ rium Zusammenarbeit: Anwesenheit bei der Therapiebe­ endigung) und n = 1 Merkmal ergänzt (Strukturkriterium Organisation: Möglichkeit zur Inanspruchnahme von Super­ vision / Coaching). Zu den übrigen Merkmalen wurden keine weiteren Änderungsanliegen formuliert.

Ergebnisse Ein umfassendes Konzept mit Merkmalen einer evidenz­ basierten APN-Rolle in der gynäkologischen Onkologie für den Versorgungskontext Österreich und Schweiz wurde erarbeitet. Die Ergebnisse werden anhand der Matrix (siehe Abb. 1) in Abbildung 3 dargestellt. © 2019 Hogrefe


Abbildung 2. Hauptinhalte des PEPPA plus-Frameworks (Bryant-Lukosius et al., 2016) und des NREM (Irvine et al., 1998) (eigene Darstellung).

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Strukturkriterien Die APN in der gynäkologischen Onkologie fokussiert Frauen mit Endometrium-, Zervix-, Ovarial-, Vulva- und Vaginalkarzinom, die meist mittels Operation, Radio-, Chemo-, Hormon und / oder Immuntherapie behandelt werden. Das Angebot der APN in der gynäkologischen Onkologie sollte aber auch für Frauen mit selteneren ­gynäkologischen Krebserkrankungen, z. B. vulväres Mela­ nom, zur Verfügung stehen. Die APN sollte mindestens drei Jahre Erfahrung in der gynäkologischen Onkologie und eine abgeschlossene Aus­ bildung auf Ebene „Master of Science in Pflege“ aufwei­ sen, sowie fachspezifische Weiterbildungen absolvieren. Als persönliche Merkmale sollte die APN Empathie und vertiefte Kommunikationsfähigkeiten aufweisen. Die Organisation sollte bei der Besetzung einer APNStelle in der gynäkologischen Onkologie genderspezifi­ sche Aspekte berücksichtigen. Betroffene Frauen gaben beispielsweise an, dass sie sich wünschen, aufgrund der Lokalisation der Erkrankung eher von einer Frau betreut zu werden (Kobleder et al., 2017c). Um der zentralen Kom­ petenz, die einer APN inhärent ist, gerecht zu werden, sollte die Organisation sicherstellen, dass die APN mindestens 60 % in der klinischen Praxis tätig ist. Zudem sollte die APN die Patientinnen über den gesamten Behandlungs­ pfad von der Diagnose bis zur Nachsorge begleiten kön­ nen. Die Organisation sollte Ressourcen zur Verfügung stellen, damit die APN ihre Tätigkeit ausführen kann. Dazu zählen u. a. eine differenzierte Stellenbeschreibung, Räumlichkeiten und Möglichkeiten zur Leistungsabrech­ nung.

Prozesskriterien Die zentrale Tätigkeit der APN in der gynäkologischen Onkologie ist die „klinische Praxis“. Hierbei übernimmt sie Verantwortung für den Pflegeprozess über den gesam­ ten Behandlungspfad hinweg für Patientinnen in komple­ xen Situationen – mit dem Ziel, das Symptom- und Selbst­ management der Patientinnen zu fördern. Von besonderer Bedeutung sind hier ihre erweiterten Fertigkeiten, bei­ spielsweise im Clinical Assessment. Zusätzlich ist sie ver­ antwortlich für jene Bereiche, in denen sie sich spezifi­ sches Wissen angeeignet hat, z. B. Wundmanagement nach Vulvektomien. Die „Beratung“ von Patientinnen und deren Angehö­ rigen ist eine weitere wesentliche Tätigkeit der APN. Spezi­ fische Themen in der gynäkologischen Onkologie sind u. a. Fatigue, psychische Belastung, Sexualität, Inkontinenz und Körperbild. Obwohl pflegerische Themen im Zentrum der Beratung stehen, werden relevante Inhalte auf interpro­ fessioneller Ebene diskutiert. Dies bedeutet, dass die APN mit der Patientin und deren Angehörigen z. B. Arztgesprä­ che nachbespricht und so Themen betreffend Erkrankung, Diagnostik, Therapie und Abläufe wieder aufnimmt und offene Fragen klärt. Pflege (2020), 33 (1), 13–23

A. Kobleder et al.: APN in der gynäkologischen Onkologie

Im Bereich „Coaching und Steuerung“ begleitet sie Pa­ tientinnen und deren Angehörige in komplexen Situa­ tionen. Sie stellt den Kontakt zu weiterführenden Be­ handlungs- und Betreuungsangeboten her. Beispielsweise initiiert sie den Kontakt zu spezialisierten Palliative Care Diensten. Sie nimmt ebenso eine zentrale Rolle im Be­ handlungsteam ein und führt beispielsweise Einzel- oder Gruppenreflexionen durch. Innerhalb des Teams identi­ fiziert sie Wissenslücken, plant und bietet entsprechende Fortbildungen an. Die APN sollte ihre gesamte Tätigkeit gemäß ethischer Grundsätze auslegen und bei Bedarf ethische Fallbespre­ chungen leiten. Mögliche Themen für ethische Fallbespre­ chungen in der gynäkologischen Onkologie sind z. B. Pa­ tientenverfügungen, assistierter Suizid (Kontext Schweiz) oder Fehler bei der Medikamentenverabreichung. Die Kompetenz „Zusammenarbeit“ umfasst das inter­ disziplinäre Handeln der APN. Relevante Stakeholder sind in der gynäkologischen Onkologie z. B. Fachärztinnen und Fachärzte aus den Bereichen Onkologie, Radiologie, ­Gynäkologie, Hausärztinnen und Hausärzte, Pflegefach­ personen, Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten, ­Diätologinnen und Diätologen, Mitarbeitende der Krebs­ liga / Krebshilfe, Sozialarbeiter / -innen oder Seelsorger / -innen. Die APN sollte ferner ein beständiges Mitglied ­eines Tumorboards sein, wodurch sie den Informations­ fluss, beispielsweise zum Team auf der Station, optimieren kann. Ihre Expertise sollte auch auf einer konsiliarischen Ebene verfügbar sein, sodass sie Teams unterstützen kann, die weniger mit der Betreuung von Frauen mit gynä­ kologischen Tumorerkrankungen vertraut sind. Im Rahmen der „evidenzbasierten Praxis“ ist die APN in die Erstellung von Standards und Leitlinien involviert und nimmt eine wichtige Rolle im Theorie-Praxis-Trans­ fer ein. Sie initiiert und ist verantwortlich für Qualitätsent­ wicklungsprojekte und arbeitet an Forschungsprojekten mit. Die APN verfolgt den aktuellen Forschungsstand im Bereich der gynäkologisch-onkologischen Versorgung und verbreitet relevante Ergebnisse im Team. Im Zuge des „Leaderships“ sollte die APN offen für Fragen der eigenen Berufsgruppe sein sowie eine Vorbild­ funktion für Pflegefachpersonen und eine Advocacy-Rolle für die Patientinnen einnehmen. Sie sollte in internen und externen fachlichen und politischen Gremien vertreten sein und ihren Berufsstand repräsentieren.

Outcome-Kriterien Auf der Ebene der Patientinnen und Angehörigen sind re­ levante APN-Outcome-Kriterien in der gynäkologischen Onkologie z. B. Unsicherheit, Selbstmanagement oder Wissen und Fertigkeiten. Outcomes, welche die Versor­ gungsqualität betreffen, sind z. B. Komplikationen oder Versorgungskontinuität. Die Anerkennung der APN-Rolle ist u. a. ein relevantes Outcome auf der Ebene der Anbieter von Gesundheitsdienstleistungen. Wird die APN-Tätigkeit aus Sicht der Organisation evaluiert, kann ein bedeut­ © 2019 Hogrefe


Herstellung des Kontakts zu weiterführenden Unterstützungsangeboten A, B, D, E Durchführung von Einzel-/Gruppenreflexionen D Planung und Durchführung von Fortbildungen B, D Leitung und Durchführung ethischer Diskussionen zu relevanten Themen z.B.: Patientenverfügung, assistierter Suizid (CH), Medikamentenfehler D Leitung und Durchführung ethischer Fallbesprechungen D

• •

Stellenbesetzung durch Frau A Einsatz zu 60 % in der klinischen Praxis über den gesamten Behandlungspfad A, B, D Vorliegen einer Stellenbeschreibung B, D Bereitstellung von Räumlichkeiten B,E Möglichkeit zur Leistungsabrechnung B, E Möglichkeit zur Inanspruchnahme von Supervision/Coaching E

Leadership

Evidenzbasierte Praxis

Zusammenarbeit

Ethische Entscheidungsfindung

Einnahme der Change Agent Rolle D, E Einnahme einer Vorbildfunktion B, D Einnahme einer Advocacy–Rolle A, B Einnahme von leitenden Funktionen in internen und externen Gremien D

• • • •

• • •

Erstellung/Überarbeitung von evidenzbasierten Standards/Leitlinien B, D Unterstützung des Theorie-Praxis Transfers B, D Initiierung/Mitarbeit in Forschungsprojekten B, D Dissemination von (Forschungs-)Erkenntnissen B, D

Zusammenarbeit mit relevanten Fachpersonen, z.B. Onkologen, Radiologen, Gynäkologen, Hausarzt, Pflegefachpersonen, Physiotherapeuten, Diätologen, Krebsliga/Krebshilfe, Sozialarbeiter, Seelsorge, usw. B, C, D, E Anwesenheit bei Diagnoseeröffnung, Tumorboard, Therapiebeendigung B, D, E Einnahme der Vermittlerrolle A, B Durchführung konsiliarischer Tätigkeit D, E

• •

• •

Coping B Symptomerfahrung, -prävalenz, belastung B, C Körperbild A, B, D Lebensqualität C Distress/Belastung B Depressive Symptome C Sexuelle Funktion C Patientensicherheit D

Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen und Kosten

Organisation

Rekrutierung von APN mit MSc Abschluss B, D Mitarbeiterretention B Spitalwiederaufnahmen C Spitalaufenthaltsdauer C Inanspruchnahme von weiteren Gesundheitsdienstleistungen A, C, D Notfallaufnahmen C Medikamentengebrauch C

• • • • •

Zusammenarbeit des Versorgungsteams B, D

B, D

Anerkennung der APN-Rolle B Zufriedenheit mit der Rolle als APN B Wissen und Fertigkeiten der APN

• •

Anbieter von Gesundheitsdienstleistungen

Komplikationen B Versorgungskontinuität B, D Koordination B, D Einhalten von «Best-Practice» D Versorgungsqualität B, D

• • • • •

• • • • • •

Zufriedenheit mit der Information

C

• •

B, C

Unsicherheit A, C Selbstmanagement A, B, C, D Wissen und Fertigkeiten A, B, C, D Zufriedenheit mit der Pflege A, C Zufriedenheit mit der Versorgung

• • • • •

Zentrale Outcomes

Versorgungsqualität

Patientinnen und Angehörige

Ebene

OUTCOMES

in der gynäkologischen Onkologie

APN

Abbildung 3. Merkmale des APN-Konzepts in der gynäkologischen Onkologie (eigene Darstellung). Kriterium basiert auf: A = Perspektive der Patientinnen (Kobleder et al., 2017c), B = Perspektive der Gesundheitsfachpersonen (Kobleder et al., 2017b), C = aktueller Forschungsstand zur Wirksamkeit (Kobleder et al., 2017a), D = kontextuelle Faktoren (Kobleder et al., 2018), E = Expertenmeinung im Rahmen der Vernehmlassung.

Organisation

Coaching und Steuerung

C, D

Erfahrung: mindestens 3 Jahre (Vollzeit) in der gynäkologischen Onkologie B, D, E Ausbildung: MSc in Pflege (mind. 90 ECTS) B, D Weiterbildung: z.B. Clinical Assessment, Kommunikationstraining B, D,E Persönliche Merkmale: z.B. Empathie, Kommunikationsfähigkeiten A, B

APN

Informationsvermittlung zu Erkrankung, Diagnostik, Therapie und Abläufen A, B, C, D Informationsvermittlung zu weiteren relevanten Themen z.B.: Fatigue, Schmerzen, Lymphödem, psychische Belastung, Sexualität, Inkontinenz, Stomapflege, Körperbild, Wundpflege, Rückkehr zum Alltag, Kinderbetreuung A, B, C, D, E Unterstützung bei psychosozialen und intimen Problemen A, B,

Fokus auf folgende therapeutische Interventionen: Operation, Radio-, Chemo-, Hormon-, und/oder Immuntherapie u.a. B, C, D, E

Beratung

Klinische Praxis

Durchführung Pflegeprozess B, D, E Durchführung Clinical Assessment B, D, E Unterstützung im Symptommanagement, z.B. Wundmanagement B, D Angebot über den gesamten Behandlungspfad A, B, D, E

• • •

Kompetenzen

Fokus auf Frauen mit Endometrium-, Zervix-, Ovarial-, Vulva-, und Vaginalkarzinom A, B,

Patientinnen

C, D, E

Zentrale Prozesse

PROZESSE

Zentrale Strukturen

Ebene

STRUKTUREN

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sames Outcome die Mitarbeiterretention darstellen. Im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme von Gesund­ heitsdienstleistungen und Kosten können z. B. die Spital­ wiederaufnahmen oder die Spitalaufenthaltsdauer rele­ vante Indikatoren sein.

Beziehung zwischen Struktur-, Prozess- und Outcome-Kriterien In Abbildung 3 ist die Beziehung zwischen Struktur-, ­Prozess- und Outcome-Kriterien durch Pfeile angedeutet. In Abbildung 4 finden sich Beispiele für theoretische ­Annahmen hinsichtlich der Beziehungen zwischen Struk­ tur-, Prozess- und Outcome-Kriterien.

Diskussion Im Rahmen dieser Studie erfolgte die Entwicklung eines evidenzbasierten APN-Konzepts in der gynäkologischen Onkologie. Innerhalb von vier Einzelstudien (Kobleder et al., 2017a – c, 2018) wurden empirische Daten in Öster­ reich und der Schweiz erhoben und Wissen für das Kon­ zept generiert. Die Zusammenführung der Ergebnisse ­erfolgte mithilfe einer Matrix, die anhand des Rahmen­ konzepts PEPPA plus (Bryant-Lukosius et al., 2016) und ergänzt durch Inhalte des NREM (Irvine et al., 1998) er­ stellt wurde. Abschließend erfolgte eine Vernehmlassung durch dreizehn Expertinnen und Experten aus Pflege und Medizin im deutschsprachigen Raum.

A. Kobleder et al.: APN in der gynäkologischen Onkologie

Das umfassende Konzept kann als Grundlage für die Entwicklung institutionseigener Rollenbeschreibungen sowie für die curriculare Entwicklung APN-spezifischer Studiengänge verwendet werden. Von besonderer Bedeu­ tung scheint im Kontext der gynäkologischen Onkologie der Fokus der APN-Rolle auf die psychosoziale Begleitung der Patientinnen und deren Angehöriger zu sein. Frauen mit gynäkologischen Tumorerkrankungen erleben neben physischen Symptomen bedeutsame emotionale Schwie­ rigkeiten, beispielsweise Traurigkeit, Sorge oder das Ge­ fühl des Kontrollverlusts (Miller, Pittman & Strong, 2003). Die psychosoziale Belastung betrifft ebenso ihre Angehö­ rigen, welche die Erkrankung „als Gefühl, als werde einem der Boden unter den Füssen weggezogen“ beschreiben (Jayde & Boughton, 2016). Von besonderer Bedeutung sind das vertiefte Fachwissen, die kommunikative Kompe­ tenz und Empathie der APN. Diese Aspekte unterstützen die APN dabei, eine vertrauensvolle Beziehung zu den Pa­ tientinnen aufzubauen. In diesem Kontext ist die kontinu­ ierliche Betreuung über den gesamten Behandlungspfad von der Diagnose bis zu Cancer Survivorship oder Palliative Care wichtig. Dabei kann sich die Beziehung zur Patientin verstärken und die APN kann zur Schlüsselperson für die Patientin werden. Das im Rahmen dieser Studie entwickelte APN-Konzept in der gynäkologischen Onkologie ist im deutschsprachigen Raum vergleichbar mit dem Konzept der Breast Care Nurse (BCN), das in der Schweiz entwickelt wurde (Eicher et al., 2014). Die bedeutendsten Unterschiede finden sich in den beschriebenen Struktur- und Outcome-Kriterien. Das BCNKonzept wurde in zwei Stufen unterteilt, wobei Stufe eins eine diplomierte Pflegefachperson (oder Bachelor Pflege)

Abbildung 4. Beispiele für Beziehungen zwischen Struktur-, Prozess- und Outcome-Kriterien (eigene Darstellung).

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A. Kobleder et al.: APN in der gynäkologischen Onkologie

mit zusätzlichem Kommunikationstraining, Weiterbildung in Onkologiepflege oder Senologie und mindestens 3600 Stunden praktische Erfahrung im Feld aufweist. Auf Stufe zwei verfügt die BCN zusätzlich über ein Studium auf Ebe­ ne Master of Science (MSc) (Eicher et al., 2014). In vorlie­ gender Studie wurde keine ent­ sprechende Unterteilung vorgenommen, sondern gemäß Empfehlung des Internati­ onal Council of Nurses (ICN) (International Council of Nur­ ses, 2005) der Master-­Abschluss als grundlegendes Struk­ turkriterium der APN definiert. Dieser Abschluss wurde aufgrund der Komplexität ihrer Tätigkeiten als notwendig erachtet, um die an eine APN gestellten Erwartungen zu erfüllen (Schober & Affara, 2008). Es kann hinterfragt wer­ den, ob spezifisch der Abschluss Master of Science (MSc) der geeignete im Kontext der APN-Ausbildung ist. Hamric (2014) weist darauf hin, dass Masterstudiengänge grund­ sätzlich klinisch orientiert sein sollten, um als Fundament einer Ausbildung zur APN zu dienen. Obwohl MSc-Studien­ gänge einen Fokus auf wissenschaftliches Arbeiten und Forschung legen, gibt es mittlerweile Studiengänge die zu­ sätzlich die Möglichkeit eines stark klinisch ausgerichteten Schwerpunkts bieten. So können MSc-Studierende der Univer­sität Basel beispielsweise zwischen den Vertiefungs­ richtungen „Advanced Nursing Practice“ und „Research“ wählen. Erstere Vertiefungsrichtung ist auf den klassischen APN-Kompetenzen aufgebaut. Zusätzlich erwerben die Studierenden kommunikative Kompetenzen und sie wer­ den u. a. befähigt, Teams fachlich zu führen sowie Praxis­ entwicklungsprojekte zu initiieren und zu leiten (Universi­ tät Basel, 2018). Ist ein Studiengang in Anlehnung an das genannte Beispiel aufgebaut, könnte ein MSc-­Abschluss, trotz seines Fokus auf Forschung und wissenschaftliches Arbeiten, ein geeigneter für eine Ausbildung zur APN sein. Um einen fachspezifischen Schwerpunkt, wie z. B. die On­ kologie, in die Ausbildung zu integrieren, könnte – neben dem Einbezug evidenzbasierter APN-Konzepte wie bei­ spielsweise aus vorliegender Studie – das 2018 publizierte Ausbildungs-Framework der European Oncology Nursing Society (EONS) (European Oncology Nursing Society, 2018) im Zuge der curricularen Weiterentwicklung berück­ sichtigt werden. Neben den Strukturkriterien, die u. a. die Ausbildung betreffen, wurden im Rahmen des vorliegenden APNKonzepts in der gynäkologischen Onkologie zusätzlich Outcome-Kriterien definiert und in Verbindung zu Struk­ tur- und Prozesskriterien gebracht. Dadurch soll in künf­ tigen Evaluationsstudien der Beitrag der APN zur Quali­ tätssicherung und -verbesserung bei der Versorgung der Patientinnen sichtbar gemacht werden (Irvine et al., 1998). Ähnlichkeiten zwischen dem hier erarbeiteten APN- und dem BCN-Konzept zeigen sich in den Prozess­kriterien, die im BCN-Konzept innerhalb der Bereiche ­„Kli­nische Tätig­ keit“, „Ausbildung“, „Management“ und „Forschung“ be­ schrieben sind (Eicher et al., 2014). Auch im BCN-Konzept liegt ein starker Fokus auf der emotio­nalen Unterstützung der Patientinnen und ihrer Angehö­rigen. Die Ähnlichkeit der Prozesskriterien scheint wenig überraschend. Es ist da­ von auszugehen, dass Patientinnen mit einem Mammakar­

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zinom ähnliche Bedürfnisse wie ­Patientinnen mit gynäko­ logischen Tumorerkrankungen aufweisen (Beaver & Booth, 2007). Allerdings zeigte eine aktuelle Studie in Deutschland, dass Frauen mit gynäko­logischen Tumorer­ krankungen einen höheren Bedarf an psychosozialer Un­ terstützung aufweisen, über eine geringere Lebensqualität berichten und mehr emotionalen ­Distress erleben als Frau­ en mit Mammakarzinom (Faller et al., 2017). Dies impli­ ziert, dass die APN in der gynäkologischen Onkologie ver­ tieft die psychosoziale Begleitung der Patientinnen und ihrer Angehörigen fokussieren sollte. Ein internationaler Vergleich des vorliegenden APNKonzepts mit weiteren APN-Konzepten wird erschwert, indem die APN und abgeleitete Rollen, z. B. die Clinical Nurse Specialist, auf sehr unterschiedlichen Ebenen ent­ wickelt werden. Häufig erfolgt die Entwicklung insti­ tutionsspezifisch, beispielsweise mit Hilfe des PEPPAFrameworks (Bryant-Lukosius & Dicenso, 2004). Im Rahmen dieser Studie wurde erstmalig ein breiterer ­methodischer Ansatz gewählt und ein institutionsüber­ greifendes APN-Konzept entwickelt, da sowohl in Öster­ reich als auch in der Schweiz Unklarheiten hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung der APN-Rolle bestehen und noch kein länderübergreifender Konsens zu den Einsatz­ feldern und der Berufsausübung besteht (DBfK, ÖGKV, SBK, 2013). Die Entwicklung des APN-Konzepts in der ­gynäkologischen Onkologie soll die Harmonisierung der APN-Rolle in beiden Ländern unterstützen. Trotz des Strebens nach einem gemeinsamen Verständnis kann aufgrund der Unterschiede in den Gesundheitssyste­ men die APN-Rolle nur bedingt standardisiert beschrieben und in weiterer Folge implementiert werden. Daher wurde bei der Entwicklung darauf geachtet, die Inhalte des Kon­ zepts offen genug zu formulieren, um der Flexibilität, die ­einer APN-Rolle inhärent ist, Rechnung zu tragen. Aufgrund der sich ändernden Bedürfnisse der P ­ a­tientenpopulation sowie eines sich in einem ständigen Wandel befindenden Versorgungssystems muss die APN-Rolle flexibel genug sein, um sich diesen Herausforderungen anpassen zu ­können (Jansen & Zwygart-Stauffacher, 2010).

Limitationen Das Ziel der vorliegenden Studie war, ein evidenzbasiertes APN-Konzept in der gynäkologischen Onkologie für den Versorgungskontext Österreich und Schweiz zu er­arbeiten. Bei der Interpretation der Ergebnisse ist zu berücksichti­ gen, dass nicht wie geplant, alle empirischen Daten in bei­ den Ländern gleichermaßen erhoben werden konnten (sie­ he Kobleder et al., 2017b; Kobleder et al., 2018). Ein Grund dafür war, dass in Österreich keine Pflege­fachperson iden­ tifiziert werden konnte, die bereits eine erweiterte und spe­ zialisierte Rolle in der Begleitung von Frauen mit gynäko­ logischen Tumorerkrankungen ausübt. Nach der Erstellung eines ersten Konzeptentwurfs er­ folgte der Beschluss im Forscherteam, in der Vernehmlas­ sungsrunde auch Expertinnen und Experten aus Deutsch­

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land zu involvieren, um einen Beitrag zur Erhöhung der Aussagekraft für den deutschsprachigen Kontext zu leisten.

Schlussfolgerungen und Ausblick Das vorliegende Konzept bietet eine Grundlage zur (1) wei­ teren Ausgestaltung einer APN-Rollenbeschreibung in der gynäkologischen Onkologie auf institutioneller Ebene sowie (2) curricularen Entwicklung entsprechender Stu­diengänge. Für die Forschung ist es in einem nächsten Schritt emp­ fehlenswert, das entwickelte APN-Konzept unter Verwen­ dung geeigneter Rahmenkonzepte (z. B. dem PEPPA plusFramework) an den institutionellen Kontext zu adaptieren und implementieren. Dies könnte beispielsweise im Rah­ men einer Machbarkeitsstudie erfolgen. Im Zuge dessen sollten noch weitere Perspektiven zur APN-Rolle, z. B. jene des interprofessionellen Teams, systematisch erhoben und eingearbeitet werden. Im Rahmen der Evaluierung einer erfolgreich imple­ mentierten APN-Rolle sollten die im vorliegenden Kon­ zept beschriebenen theoretischen Annahmen hinsichtlich der Beziehungen zwischen Struktur-, Prozess- und Out­ come-Kriterien wissenschaftlich überprüft werden. Für die Lehre kann das entwickelte APN-Konzept eine Unterstützung darstellen, um APN-spezifische Masterstu­ diengänge zu entwickeln um schlussendlich die Ausbil­ dung von APNs zu harmonisieren. Dies mit dem Ziel, APNs in die klinische Praxis zu entlassen, die vergleich­ bares, neuerworbenes Wissen mitbringen. Für die Praxis lässt sich als Implikation ableiten, APNAngebote entlang des gesamten Cancer Care Continu­ ums – mit einem speziellen Augenmerk auf die bislang eher ­weniger fokussierten Phasen vor und nach der akuten Behandlung – aufzubauen. Anhand des APN-Konzepts kann verantwortlichen Personen aus Institutionen veran­ schaulicht werden, welche Anforderungen sie an eine APN stellen können. Gleichzeitig wird dargestellt, welche Strukturen von Seiten der Institution erforderlich sind, ­sodass die APN ihre Rolle ausüben kann. Den Patientinnen ist diese Form der erweiterten und spezialisierten Pflegepraxis häufig noch nicht bekannt. ­Institutionen sollten die Patientinnen daher gezielt über APN-Angebote informieren, z. B. in Form einer Informa­ tionsbroschüre. Die Resultate dieser Studie und die abgeleiteten Emp­ fehlungen sollen dazu beitragen, die Rolle der APN zu ­einer qualitativ hochwertigen, personenzentrierten und sicheren Unterstützungsoption für Frauen mit gynäkolo­ gischen Tumorerkrankungen zu machen.

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Historie Manuskripteingang: 27.11.2018 Manuskript angenommen: 22.07.2019 Onlineveröffentlichung: 06.11.2019 Autorenschaft Beitrag zur Konzeption und Design der Arbeit: AK, HM, BS Beitrag zur Erfassung, Analyse oder Interpretation der Daten: AK, HM, BS Manuskripterstellung: AK Kritische Rückmeldung und Überarbeitung von wichtigen ­intellektuellen Inhalten des Manuskripts: AK, HM, BS Genehmigung der letzten Version des Manuskripts zur Publikation: AK, HM, BS Bereitschaft, für alle Aspekte der Arbeit Verantwortung zu ­übernehmen: AK Förderung Das Projekt wurde finanziert durch das Bundesamt für Gesundheit (REF-1014-50103) und die FHS St.Gallen. Danksagung Ich möchte allen Studienteilnehmerinnen und Fachpersonen herzlich für ihre Offenheit und Unterstützung danken. Ein ­besonderer Dank gilt Frau Prof. Dr. habil. Beate Senn und Frau Univ.-Prof. Mag. Dr. Hanna Mayer für ihre Begleitung während des gesamten Dissertationsprozesses. Vielen Dank an Frau Dr. Diana Staudacher für das Redigat des Beitrags. ORCID Andrea Kobleder https://orcid.org/0000-0001-5246-0584

Mag. Dr. phil. Andrea Kobleder Institut für Angewandte Pflegewissenschaft IPW-FHS FHS Sankt Gallen Hochschule für Angewandte Wissenschaften Rosenbergstrasse 59 9000 St. Gallen andrea.kobleder@fhsg.ch

Was war die größte Herausforderung bei Ihrer Studie? Die Zusammenführung der Ergebnisse aus den vier Einzelstudien zum Konzept. Was wünschen Sie sich bezüglich der Thematik für die Zukunft? Eine Harmonisierung von Lehr- / Studiengängen, die derzeit zum Thema APN angeboten werden sowie systematisch durchgeführte APN-Rollenentwicklungen, -implementierungen und -evaluationen. Was empfehlen Sie zum Weiterlesen / Vertiefen? Bryant-Lukosius et al. (2016). Framework for Evaluating the Impact of Advanced Practice Nursing Roles. Siehe Literatur.

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Wie erleben alte Menschen einen Schlaganfall? Elke Steudter

Stroke – die unbestimmbare Krankheit Erleben von alten Menschen in der Schlaganfall-Akutphase 2020. 272 S., 8 Abb., 10 Tab., Kt € 39,95 / CHF 48.50 ISBN 978-3-456-85951-4 Auch als eBook erhältlich Wie erleben alte Menschen einen Schlaganfall in der Akutphase? Wie gehen sie mit der Unbestimmbarkeit des zukünftigen Lebens um? Ein Schlaganfall oder „Stroke“ verunsichert betroffene Menschen existenziell und löst ein starkes Gefühl der Unbestimmbarkeit des zukünftigen Lebens aus. Einzelne Betroffene beschreiben ihr Erleben mit den Worten „Mein Hirn hat sich selbst nicht begriffen“. Diese erste pflegewissenschaftliche Studie zum Stroke be-

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schreibt und analysiert Erfahrungen von Personen, die einen Schlaganfall erlitten haben. Zum Zeitpunkt der Studie waren die Teilnehmenden über 60 Jahre alt und in der Akutphase der Krankheit. Die Autorin arbeitet zentrale, übergeordnete Erfahrungen mit Hilfe der Grounded Theory Methode heraus und gibt Empfehlungen, wie der Erfahrung der Unbestimmbarkeit bei Menschen nach einem Stroke in der Pflegepraxis, -wissenschaft und -lehre begegnet werden kann.


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Originalarbeit

Die Betreuung von Menschen mit Demenz im Akutkrankenhaus aus Sicht des Behandlungsund Betreu­ungsteams Eine qualitative Studie Melanie Burgstaller1,2  , Susi Saxer1, Hanna Mayer2, Adelheid Zeller1

r‘s Edito e c Choi

Institut für Angewandte Pflegewissenschaft IPW-FHS, Fachhochschule St.Gallen Institut für Pflegewissenschaft, Universität Wien

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Zusammenfassung: Einleitung: Um der Komplexität der Betreuungssituation von Menschen mit Demenz im Krankenhaus gerecht zu werden, ist es erforderlich, bedürfnisgerechte Interventionen zu entwickeln. Dabei sollte die Sichtweise aller für die Situation relevanten Personengruppen miteinbezogen werden, unter anderem auch die Sicht der Betreuungsteams. Ziel: Diese Studie untersuchte, wie sich die Betreuung von Menschen mit Demenz innerhalb der strukturellen Gegebenheiten in drei Schweizer Zentrumspitälern aus Sicht der Betreuungsteams gestaltet. Methode: Es fanden drei Fokusgruppeninterviews mit Teams (bestehend aus Ärztinnen / Ärzten, Pflegenden und Therapeutinnen / Therapeuten) statt. Die Datenanalyse erfolgte mithilfe der Inhaltsanalyse nach Mayring. Ergebnisse: Insgesamt nahmen 20 Fachpersonen teil. Drei Hauptkategorien ließen sich identifizieren: „Menschen mit Demenz konfrontieren das Krankenhaussystem“, „Das Krankenhaussystem wird Menschen mit Demenz nicht gerecht“ und „Notwendige Veränderungen erfolgen innerhalb des Krankenhaussystems“. Es wird deutlich, dass es innerhalb des Krankenhaussystems nicht vorgesehen ist, auf spezifische Bedürfnisse von Menschen mit Demenz einzugehen. Die Teams sehen sich gezwungen, ihre Zusammenarbeit zu verstärken. Dies geschieht unsystematisch und mit wenig Unterstützung durch das System. Schlussfolgerung: Es erscheint essenziell, die Initiative der Teams zur verstärkten Zusammenarbeit bei der Betreuung von Menschen mit Demenz systematisch zu unterstützen. Bei der Entwicklung von Interventionen sollte die Teamzusammenarbeit als ein Hauptaspekt berücksichtigt werden. Schlüsselwörter: Demenz, Akutkrankenhaus, Betreuungsteam, Zusammenarbeit, Fokusgruppen The Healthcare Teams' Perspective on Caring for People with Dementia in Acute Hospitals: A Qualitative Study Abstract: Introduction: To deal with the complexity of the situation of people with dementia in acute hospitals, it is necessary to develop tailored interventions. In doing so, it is important to consider the perspectives of all relevant persons, including health care teams. Aim: The aim of this study was to explore the situation of people with dementia in three Swiss acute hospitals from the perspective of health care teams. Methods: We conducted three focus group interviews with health care teams consisting of medical doctors, nurses and therapists. Data were analysed by means of summarising content analysis according to Mayring. Results: A total of 20 health professionals took part. Three main categories were identified: “People with dementia confront the hospital system”, “The hospital system fails to meet the needs of people with dementia” and “Necessary changes take place in the hospital system”. The results show a lack of intention in the hospital system to address the specific needs of people with dementia. Health care teams feel forced to intensify their teamwork. This occurs unsystematically and with little organisational support. Conclusion: It seems of paramount importance to systematically support the teams' initiatives for enhanced teamwork in caring for people with dementia. Teamwork should be considered as a key aspect when developing interventions. Keywords: Dementia, acute hospital, patient care team, collaboration, focus groups

Einleitung Demenz ist ein Syndrom als Folge einer meist chronischen oder fortschreitenden Krankheit des Gehirns mit Stö­ rung vieler höherer kortikaler Funktionen, einschließlich ­Gedächtnis, Denken, Orientierung, Auffassung, Rechnen,

Lernfähigkeit, Sprache und Urteilsvermögen. Zudem tre­ ten Veränderungen der emotionalen Kontrolle, des Sozial­ verhaltens oder der Motivation auf (World Health Organi­ zation, 2016). Als zentrale psychische Bedürfnisse von Menschen mit Demenz gelten Liebe, Trost, Sicherheit, Einbezug, Beschäftigung und Identität (Kitwood, 2013).

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M. Burgstaller et al.: Menschen mit Demenz im Akutkrankenhaus: Die Sicht des Teams

Was ist (zu dieser Thematik) schon bekannt? Die Betreuung von Menschen mit Demenz im Krankenhaus stellt für Gesundheitsfachpersonen eine besondere Herausforderung dar. Was ist neu? Die Teams in den Krankenhäusern sehen sich gezwungen, ihre Zusammenarbeit zu verstärken und die Koordination zwischen den Professionen zu optimieren. Welche Konsequenzen haben die Ergebnisse für die Pflegepraxis? Die Initiative der Teams hinsichtlich einer verstärkten Zusammenarbeit systematisch zu unterstützen, scheint essenziell zu sein.

Im Jahr 2018 lebten in der Schweiz gemäß Schätzungen 151.000 Menschen mit Demenz, davon die Hälfte ohne fachärztliche Diagnose (Alzheimer Schweiz, 2018). Im Krankenhaussetting ist davon auszugehen, dass ungefähr zwanzig Prozent der Patientinnen und Patienten demen­ zielle Veränderungen aufweisen (Pinkert & Holle, 2012). Es hat sich gezeigt, dass ein Krankenhausaufenthalt mit negativen Konsequenzen für Menschen mit Demenz einhergeht. In einem systematischen Review wird von ­einem signifikanten Anstieg des Spitalaufenthalts von 6 bis 30 Tagen berichtet (Mukadam & Sampson, 2011). In einer Fragebogenerhebung berichten 54 % von 1291 infor­ mell Pflegenden von erheblichen Verschlechterungen der Demenzsymptome ihrer Angehörigen, beispielsweise verstärkte Verwirrtheit und herausfordernde Verhaltens­ weisen (Alzheimer's Society, 2009). Margiotta, Bianchet­ ti, Ranieri und Trabucci (2006) berichten, dass auf einer medizinischen Akutstation 59 % der Patientinnen und Pa­ tienten mit Demenz und 13 % der Patientinnen und Pa­ tienten ohne Demenz ein Delir entwickelten. Es zeigte sich, dass Pflegende vor allem durch Wahnvorstellungen, Aggression und Schlaf-Wach-Rhythmusstörungen der Pa­ tientinnen und Patienten im Krankenhaus belastet sind (Hessler et al., 2018). Ausgehend von der aufgezeigten Problematik nennt die Nationale Demenzstrategie der Schweiz die „Förderung der demenzgerechten Versorgung in Akutspitälern“ als ein Ziel (BAG und GDK, 2016). Um der Komplexität der Betreu­ ungssituation von Menschen mit Demenz im Kranken­ haus gerecht zu werden, gilt es mit einer systematischen Vorgehensweise und anhand einer Analyse der bestehen­ den Praxissituation Maßnahmen zu entwickeln. Dabei ist es essenziell, die Sichtweise aller für die Situation relevan­ ten Personen miteinzubeziehen (Corry, Clarke, While, & Lalor, 2013). Als Teil eines Dissertationsprojektes werden diese Sichtweisen erhoben, um danach ein Modell für die Betreuung von Menschen mit Demenz im Krankenhaus zu entwickeln. In einem ersten Schritt erfolgte die Analyse der Sichtweise der Angehörigen von Menschen mit De­ menz (Burgstaller, Mayer, Schiess, & Saxer, 2018). Mit der vorliegenden Studie erfolgt im zweiten Schritt die Erhe­ bung der Sichtweise des Betreuungsteams. Als Betreu­ ungsteam verstehen wir im Folgenden diejenigen Gesund­ Pflege (2020), 33 (1), 25–33

heitsfachpersonen, welche in die Pflege, Betreuung und Behandlung von Menschen mit Demenz im Krankenhaus involviert sind. Als Definitionsgrundlage verwenden wir die von Xyrichis und Ream (2008) erarbeitete Konzept­ analyse zur Teamarbeit. Demnach besteht ein Team aus zwei oder mehrere Professionen, die eine offene Kommu­ nikation und Informationsweitergabe pflegen, ein Ver­ ständnis für die Rolle der jeweiligen Professionen haben und gemeinsame Ziele verfolgen. Eine funktionierende Teamarbeit gilt als wichtiger Faktor einer qualitativ hoch­ wertigen Betreuung von Patientinnen und Patienten. Das Team kann gleichzeitig Auskunft über die bestehende Pra­ xissituation und über die Zusammenarbeit im Team geben.

Ziel Ziel der vorliegenden Untersuchung war es, zu ergründen, wie sich die Betreuung von Menschen mit Demenz inner­ halb der derzeitigen strukturellen Gegebenheiten in drei Schweizer Akutspitälern aus Sicht der Betreuungsteams gestaltet. Die Ergebnisse können dazu beitragen, ein Mo­ dell für die Pflege und Betreuung von Menschen mit De­ menz im Akutkrankenhaus zu entwickeln.

Methode Fokusgruppeninterviews dienten dazu, die Sichtweise der stationären Teams bezüglich der Versorgungs- und Be­ treuungssituation von Menschen mit Demenz im Kran­ kenhaus zu erheben. Diese Methode ermöglicht, unter­ schiedliche Sichtweisen zu erhalten (Litosseliti, 2007). Fokusgruppeninterviews bieten zudem den Vorteil, dass sich die Perspektive einer Gruppe in ihrem natürlichen Vorkommen untersuchen lässt (Palmer, Larkin, Visser, & Fadden, 2010).

Auswahl und Rekrutierung der Teilnehmenden Zielgruppe der Erhebung waren Fachpersonen aus ver­ schiedenen Gesundheitsprofessionen, die auf einer Station im Akutkrankenhaus zusammenarbeiten und das „natür­ liche“ Betreuungsteam der jeweiligen Station darstellen. Pro Station sollten je zwei bis drei Vertreterinnen bzw. Ver­ treter der Pflegefachpersonen und der Ärztinnen und Ärzte sowie ein bis zwei Vertreterinnen bzw. Vertreter der thera­ peutischen Berufe einbezogen sein. Alle Teilnehmenden sollten seit mindestens einem Jahr auf derselben Station zusammenarbeiten und eine Berufserfahrung von mindes­ tens zwei Jahren aufweisen. Um einen multiperspektivi­ schen Einblick in die Praxissituation zu erhalten, waren Betreuungsteams aus chirurgischen und medizinischen Stationen involviert. Es wurden Krankenhäuser mit unter­ schiedlicher Größe und geografischer Verortung gewählt, um eine möglichst große Vielfalt zu gewährleisten. Von © 2019 Hogrefe


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fünf angefragten Krankenhäusern erteilten drei eine Zu­ sage. Der Zugang zu den Teilnehmenden erfolgte über die Pflegedirektion oder die Pflegeexpertinnen, per E-Mail und telefonisch. In jedem Krankenhaus wurde vorab ge­ zielt eine Station ausgewählt, die den Einschlusskriterien entsprach. Die Kontaktpersonen hielten die Teilnahme dieser Station für umsetzbar. Wir sendeten den Kontakt­ personen schriftliche und mündliche Informationen über die Studie sowie eine Kurzinformation über das Forschungs­ vorhaben für die Teilnehmenden. Die Kontaktpersonen informierten die Teammitglieder auf den Stationen, die sich freiwillig für eine Teilnahme melden konnten. Sie stellten jeweils eine Gruppe zusammen, die den Ein­ schlusskriterien entsprach. Ein Arzt konnte nach seiner ­Zusage aus terminlichen Gründen nicht teilnehmen.

Datenerhebung Die drei Fokusgruppeninterviews fanden im Mai und Juni 2017 in einem separaten Raum der jeweiligen Kranken­ häuser unter Moderation der Erstautorin statt. Eine weitere Person war als Protokollantin anwesend. Das Vorgehen folgte einem Leitfaden, der auf der aktuellen Literatur zu Herausforderungen bei der Betreuung von Menschen mit Demenz im Krankenhaus basierte und in der Diskussion innerhalb des Forschungsteams entstand. Die Fragen dien­ ten zur Orientierung und kamen je nach Diskussionsverlauf zum Einsatz. Die Interviewerin blieb während der Diskus­ sion offen für neue Themen. Die Teilnehmenden bestimm­ ten den Diskussionsverlauf. Als Erzählstimulus zu Beginn der Interviews waren die Teilnehmenden auf­ gefordert, eine Betreuungssituation mit einem Menschen mit Demenz auf ihrer Station zu schildern. Weitere Fragen zielten auf Erfahrungen und Herausforderungen, auf die Organisation der Betreuung sowie auf strukturrelevante Bedingungen. Die Interviewerin achtete darauf, dass die einzelnen Berufs­ gruppen zu allen Themen zu Wort kamen. Zudem betonte sie, dass die subjektive Sichtweise der Teammitglieder so­ wie die des gesamten Teams im ­Fokus steht. Eine studen­ tische Hilfskraft transkribierte die Audioaufzeichnungen anhand vorab festgelegter Transkriptionsregeln.

Datenanalyse Die Software MAXQDA 2018 unterstützte die Datenana­ lyse. Als Methode eignete sich die zusammenfassende In­ haltsanalyse nach Mayring (Mayring, 2015). Diese ermög­ licht, Themen mittels induktiver Kategorienbildung zu explorieren und eine möglichst gegenstandsnahe Abbil­ dung des Datenmaterials zu gewährleisten. Zunächst erfolgte eine Lektüre des Materials und eine Aufzeichnung erster Ideen. Anschließend gingen wir das Material Zeile für Zeile durch und paraphrasierten alle in­ haltstragenden Textstellen. In einem nächsten Schritt schrieben wir die Paraphrasen auf ein einheitliches Niveau um. Dadurch entstehende bedeutungsgleiche Paraphra­

sen haben wir gestrichen. Resultierende Kategorien fass­ ten wir in übergeordneten Kategorien zusammen. Die erste Kategorienbildung durch die Erstautorin diskutierten und revidierten wir mehrmals im Forschungsteam. In einem letzten Schritt prüften wir die einzelnen Kategorien hin­ sichtlich ihrer Beziehungen zueinander. Dieses Kategori­ ensystem haben wir sowohl in Forschungskolloquien mit anderen Dissertantinnen und Dissertanten als auch in der Forschungsgruppe diskutiert und adaptiert.

Ethische Überlegungen Die Teilnehmenden erhielten vorab schriftliche Informa­ tionen über das Forschungsprojekt und konnten sich frei­ willig für die Teilnahme entscheiden. Sie unterschrieben eine Einverständniserklärung. Für die Studie liegt eine Unbedenklichkeitserklärung der zuständigen Ethikkom­ mission vor (BASEC-Nr.: Req-2017-00241).

Ergebnisse In drei Schweizer Zentrumspitälern (300, 470 und 870 Betten) fand jeweils ein Fokusgruppeninterview mit dem Betreuungsteam statt. Die durchschnittliche Berufs­ erfahrung der Teilnehmenden betrug 14,7 Jahre. Die Fo­ kusgruppen bestanden aus vier bis acht Personen aus den unterschied­lichen Berufsgruppen. Detaillierte Angaben sind in Tabelle 1 ersichtlich. Drei Hauptkategorien mit jeweils zwei, drei oder vier Unterkategorien ließen sich identifizieren (siehe Tab. 2). Die ersten beiden Hauptkategorien stellen dar, wie Men­ schen mit Demenz das Krankenhaussystem mit ihren ­psychosozialen Bedürfnissen und ihrem Verhalten kon­ frontieren. Es wird deutlich, dass die Betreuung im Kran­ kenhaus den Menschen mit Demenz nicht gerecht wird. In der dritten Hauptkategorie wird ersichtlich, welche ­notwendigen Maßnahmen Gesundheitsfachpersonen zur Veränderung ergreifen.

Menschen mit Demenz konfrontieren das Krankenhaussystem Es zeigt sich, dass die Teams bei der Betreuung von Men­ schen mit Demenz vor besondere, aus der kognitiven Ein­ schränkung der Patientinnen und Patienten resultierende Herausforderungen gestellt werden. Patientensituationen mit Unklarheiten Die Teams beschreiben, dass bei der Aufnahme von Men­ schen mit Demenz im Krankenhaus Unklarheiten bestehen oder auftreten, u. a. aufgrund fehlender Informationen der überweisenden Institutionen. Hinzu kommt, dass sich Fachpersonen nicht ausschließlich auf externe Informa­ tionen verlassen können, da der Zustand in der akuten

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M. Burgstaller et al.: Menschen mit Demenz im Akutkrankenhaus: Die Sicht des Teams

Tabelle 1. Angaben zu den Teilnehmenden Interview Nr.

Dauer in Minuten

Station

Teilnehmende

1

101

Chirurgie / Orthopädie

8 Teilnehmende: yy Stationsleitung Pflege (dipl. Pflegefachperson) yy Stellvertretende Stationsleitung Pflege (dipl. Pflegefachperson) yy 2 dipl. Pflegefachpersonen yy 2 Physiotherapeuten / Physiotherapeutinnen yy Leitender Arzt Orthopädie yy Assistenzarzt

2

77

Medizinische Station mit geriatrischem Konsil

8 Teilnehmende: yy Stationsleitung Pflege (dipl. Pflegefachperson) yy Dipl. Pflegefachperson, MAS Geriatrie yy Geriaterin (Konsiliarärztin) yy Ernährungstherapeutin yy Physiotherapeutin yy Sozialdienst yy Stellvertretende Chefärztin yy Assistenzärztin

3

74

Medizinische Station

4 Teilnehmende: yy Abteilungsleitung Pflege (dipl. Pflegefachperson) yy Dipl. Pflegefachperson yy Physiotherapeutin yy Assistenzarzt

Tabelle 2. Haupt- und Unterkategorien Hauptkategorien

Unterkategorien

Menschen mit Demenz konfrontieren das Krankenhaussystem

Patientensituationen mit Unklarheiten Nicht ins System passende Bedürfnisse

Das Krankenhaussystem wird Menschen mit Demenz nicht gerecht

Demenzunfreundliche Strukturen und Prozesse Mangel an Ressourcen Nicht adäquat ausgebildetes und überfordertes Personal (Notwendiger) Einsatz inadäquater Maßnahmen

Notwendige Veränderungen erfolgen innerhalb des ­Krankenhaussystems

Einsatz individueller Lösungsstrategien durch Einzelpersonen Stärkung der Kommunikation im Team Träge Veränderung des Systems

Phase von der berichteten Situation abweichen kann. Die Teilnehmenden nehmen es als schwierig wahr, wenn ­keine Demenzdiagnose ersichtlich ist. Bei gleichzeitiger akuter somatischer Erkrankung ist eine Demenz für Fach­ personen im Spital schwer zu erkennen. „Und fehlende Informationen von Patienten, egal ob sie aus der Häuslichkeit kommen oder aus einem Pflegeheim. Oft weiß man nicht genau, was eigent­ lich gelaufen ist“ (I3, A, 3, 115 – 117). Informationen lassen sich nur erschwert erheben, vor allem, wenn Menschen mit Demenz selbst keine Auskunft mehr erteilen können. Bleiben dadurch zentrale Aspekte wie individuelle Bedürfnisse, Vorlieben, Abneigungen oder bekannte Auslöser für herausforderndes Verhalten unklar, kann dies für die Betreuung hinderlich sein. Nicht ins System passende Bedürfnisse Schwierige Situationen entstehen, wenn sich das Verhal­ ten und die Bedürfnisse der Menschen mit Demenz mit dem Krankenhaussystem kaum oder gar nicht vereinbaren Pflege (2020), 33 (1), 25–33

lassen. Die Bedürfnisse der Menschen mit Demenz nach Langsamkeit, Ruhe, Vertrautheit, Kontinuität und Beschäf­ tigung stehen dem Krankenhausalltag gegenüber. „Und ich denke auch so in der Alltagsgestaltung im Sinne von, dass wir sie mobilisieren, dass einfach der Alltag ­irgendwo eine Struktur hat. Ja, möglichst nicht so schnell. Wobei, eben das ist halt schwierig. Wenn ich acht Patienten habe, muss ich vorwärts arbeiten“ (I2, PF, 9, 385 – 388). Menschen mit Demenz können auf die Unruhe im Kran­ kenhaus mit herausfordernden Verhaltensweisen reagie­ ren. Dies nehmen die Teilnehmenden als schwierig wahr. Die Teams berichten von Situationen, in denen sich Patien­ tinnen und Patienten mit Demenz nicht an vorgegebene Regeln halten können und Maßnahmen, beispielsweise Untersuchungen oder Drainagen, nicht tolerieren. „Oder man kommt und man möchte etwas machen. Und er will es nicht, versteht es nicht“ (I3, PF, 8, 353 – 354). © 2019 Hogrefe


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Eine weitere Herausforderung sehen die Teilnehmen­ den in der Heterogenität des Krankheitsbildes. Sie be­ schränkt die Möglichkeit, sich auf die Situation einzustellen. Ein anderer, individuellerer und spontanerer Umgang als mit Patientinnen und Patienten ohne Demenz scheint ­daher notwendig.

Das Krankenhaussystem wird Menschen mit Demenz nicht gerecht Durch die starren Strukturen und eng getakteten Abläufe wird es nahezu unmöglich, die psychosozialen und indi­ viduellen Bedürfnisse von Menschen mit Demenz zu be­ friedigen. Demenzunfreundliche Strukturen und Prozesse Die Teilnehmenden beschreiben das Akutkrankenhaus als „High-Speed“-Organisation. Die Unruhe, die wechseln­ den Betreuungspersonen und der unflexible Tagesablauf stellen sich für die Betreuung von Menschen mit Demenz als ungeeignet heraus. „Dann kommt wieder eine neue Person, die er viel­ leicht nicht kennt. Wir probieren ja schon auch, Konti­ nuität in der Pflege herzustellen, aber das ist so schwie­ rig bei diesem großen Personalwechsel“ (I 3, PF, 8, 368 – 369). Ein spontaner und individueller Umgang mit Menschen mit Demenz ist im Rahmen der bestehenden Prozesse nicht vorgesehen. „Wir haben keinen Entscheidungsprozess für das. […] Also jeder Demenzpatient ist gleich wie der akute Pa­ tient“ (I2, A, 10, 457 – 458). Die Befragten bezweifeln, ob es in einem Akutkranken­ haus überhaupt möglich sein kann, Menschen mit Demenz entsprechend ihren spezifischen Bedürfnissen zu betreuen. „[…] wo die Abläufe einfach so sind, wie sie sind und auch einfach der Akutmedizin geschuldet sind. Und das wird man halt schwer, also schlecht, mein' ich, verbessern können“ (I 3, A, 16, 715 – 7 17). Mangel an Ressourcen Alle teilnehmenden Teams sprechen einen Mangel an personellen und finanziellen Ressourcen an. Sie schät­ zen den Stellenschlüssel der Pflegefachpersonen als nicht adäquat ein. Es besteht Zeitdruck und es ist nicht mög­ lich das Tempo an jenes der Menschen mit Demenz an­ zupassen. „Dann auch der Faktor Zeit, zum Beispiel bezüglich Ernährung. Manchmal haben wir die Ressourcen nicht, dass eine Pflegeperson so lange beim Patienten sitzt. Dass er sicher, also ausreichend ernährt wird.

Im Frühdienst geht das vielleicht noch, im Spätdienst wird das schon schwieriger“ (I 3, PF, 14, 614 – 617). Eine mögliche Konsequenz ist, dass die Ressourcen der Patientinnen und Patienten nicht gefördert werden. Die Ursachenfindung für herausforderndes Verhalten ist er­ schwert, und den Pflegenden sowie Ärztinnen und Ärzten ist es bei Zeitmangel nicht möglich, Gespräche zu führen. „Man hat dann diese Zeit nicht, um wirklich auf den Patienten einzugehen, man wird ungeduldig, man übergeht den Patienten“ (I 1, PF, 3, 136 – 137). „Also nur sich hinzusetzen und Gespräche zu führen und versuchen, das irgendwie verbal zu managen. Das kann man nicht leisten aus dem täglichen Betrieb heraus“ (I 1, A,23, 1073 – 1075). Nicht adäquat ausgebildetes und überfordertes Personal Durch die Konfrontation mit den psychosozialen Bedürf­ nissen der Menschen mit Demenz wird den Teilnehmen­ den bewusst, dass sie nicht ausreichend ausgebildet sind. Obwohl sich einzelne Pflegende in der Betreuung von Menschen mit Demenz kompetent fühlen oder spezifi­ sches Fachwissen aufweisen, manifestiert sich dies nicht im Team. Die Betreuung von Menschen mit Demenz kann das gesamte Team überfordern und belasten. Dies zeigt sich bei allen teilnehmenden Teams und bei allen Profes­ sionen. Die Gesundheitsfachpersonen haben den Ein­ druck, dass sie als Team bei der Planung von Maßnahmen zu langsam agieren. Betreuungssituationen mit Menschen mit Demenz kön­ nen eine psychische Belastung für die Fachpersonen dar­ stellen, insbesondere bei schwierigen ethischen Situatio­ nen, wenn es darum geht, den mutmaßlichen Willen zu eruieren oder damit umzugehen, wenn Patientinnen oder Patienten notwendige Maßnahmen ablehnen. „Viele sagen: Lassen Sie mich einfach in Ruhe! Lassen Sie mich! Oder: Ich will nach Hause! Und du weißt, du müsstest ihm jetzt ein Schema anhängen, welches wirklich wichtig wäre für die Therapie“ (I 3, PF, 8, 355 – 357). (Notwendiger) Einsatz inadäquater Maßnahmen Eine Strategie, um mit dem Mangel an Ressourcen umzu­ gehen, ist der Einsatz von Personal ohne (abgeschlossene) Ausbildung in einem Gesundheitsfachberuf. Beispielsweise kommen auf allen befragten Stationen Sitzwachen zum Einsatz, wenn die Patientin oder der Patient herausfor­ dernde Verhaltensweisen zeigt. Auszubildende überneh­ men die Betreuung von Menschen mit Demenz, um höher qualifiziertes Personal zu entlasten. Dies sehen die Teams zwar als unterstützend, aber auch als problematisch an. Infolge des mangelnden Wissens über das Krankheitsbild kann das Verständnis für das Verhalten der Menschen mit Demenz fehlen und Ungeduld aufkommen. Der Einsatz

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von gering qualifiziertem Personal kann sowohl für die be­ treuenden Personen als auch für Menschen mit Demenz zu Überforderung führen. „Dann sind entweder die Lernenden mit der Situa­ tion oder der Patient mit der Betreuungsperson über­ fordert. Dann machst du mehr kaputt als es nutzt. Und zwar auf beiden Seiten“ (I 1, PF, 22, 1016 – 1018). Freiheitseinschränkende Maßnahmen, zum Beispiel medikamentöse Sedierung, beschreiben die Befragten als zeitweise notwendig. Vor allem das Team der Chirurgie / Orthopädie diskutiert dies hinsichtlich postoperativer Maßnahmen und unter dem Aspekt der Sicherheit. Es sieht dies jedoch auch kritisch und bringt es häufig mit Zeitmangel in Verbindung.

Notwendige Veränderungen erfolgen innerhalb des Krankenhaussystems Für die Teams entsteht die Herausforderung, Menschen mit Demenz innerhalb eines Systems zu betreuen, in dem die Beachtung der individuellen Bedürfnisse von Men­ schen mit Demenz nicht vorgesehen ist. Die Einhaltung vorherrschender Regeln, beispielsweise Richtlinien zur postoperativen Versorgung, oder starre zeitliche Abläufe würden die Betreuung von Menschen mit Demenz un­ möglich machen. Deshalb sind die Fachpersonen gezwun­ gen, bestehende Prozesse, die eigene Arbeit und die Zu­ sammenarbeit im Team zu verändern. Die Veränderungen erfolgen unsystematisch und betreffen lediglich Teilberei­ che der Versorgung. Einsatz individueller Lösungsstrategien durch Einzelpersonen Einzelne Gesundheitsfachpersonen suchen innerhalb des Systems nach Lösungen, um den individuellen Bedürfnis­ sen der Menschen mit Demenz gerecht zu werden. Sie passen die Strukturen und Prozesse soweit wie möglich an. So versuchen sie beispielsweise, ruhige Zimmer auszu­ wählen oder eine Verlegung in ein anderes Zimmer zu ver­ meiden. Zudem gehen sie Kompromisse ein, z. B. passen sie postoperative Vorgehensweisen an, adaptieren Thera­ pien oder brechen diese nach Abwägung im gesamten Team und mit den Angehörigen ab, wenn sie die Patientin oder der Patient nicht annimmt. „Da findet man individuell Lösungen, die man wirk­ lich im Fall anders entscheiden kann, als der Stan­ dard laufen würde“ (I1, PF, 8, 367 – 369). Alle Berufsgruppen im Team achten darauf, Ressourcen frühzeitig sicherzustellen, z. B. bei der Austrittsplanung. Dabei erachten die Fachpersonen die Zusammenarbeit mit Angehörigen als essenziell, wenn auch schwierig. Der Ein­ bezug der Angehörigen geschieht unstrukturiert und je nach Bedarf. Neben bereits eingesetzten Strategien ma­ Pflege (2020), 33 (1), 25–33

chen sich die Teilnehmenden Gedanken über weitere Mög­ lichkeiten, um die Betreuungssituation zu verbessern. Sie beschreiben, dass bestehende Strukturen grundlegend ver­ ändert werden müssen. Sie fordern mehr Kontinuität bei der Betreuung, weniger Zeitdruck sowie eigene Behand­ lungs- und Betreuungspfade oder Settings für Menschen mit Demenz. Zudem benötigt das Personal mehr Wissen und Erfahrung. Aus Sicht der Teilnehmenden sind Fach­ personen mit gezielter Weiterbildung wünschenswert. Stärkung der Kommunikation im Team Aufgrund der schwierigen Patientensituation und beste­ hender Unklarheiten sehen sich die Fachpersonen gezwun­ gen, ihre Zusammenarbeit und vor allem ihre Kommuni­ kation zu verstärken. Sie betonen, dass ein intensiverer Austausch im Team notwendig ist, um Informationen wei­ terzugeben und die Patientensituation zu erfassen. „Der Patient ist eigentlich eine gute Informations­ quelle und ein Medium, mit dem man auch Informa­ tionen weitergeben kann. Das fällt beim Patienten mit Demenz komplett weg. Wir müssen alle Informa­ tionen irgendwie über die verschiedenen Mitarbeiter ständig parat austauschbar haben und uns absprechen“ (I1, A, 8, 339 – 343). Spontane Rücksprachen und ein unstrukturierter Aus­ tausch funktionieren laut den Befragten gut. Strukturen für einen geplanten Austausch im Team bestehen kaum oder wurden sogar abgeschafft. Die Pflegefachpersonen kristallisieren sich in der Teamzusammenarbeit als zentrale Informationsquelle heraus. „Es ging ja vorher auch um Informationsquellen. Das ist für uns in erster Linie die Pflege, die auch die Visite mit den Ärzten hat, die vielleicht Kontakt mit den ­Angehörigen hat“ (I 1, PT, 8, 331 – 332). Zudem erfordert die Betreuung von Menschen mit De­ menz eine Vernetzung zwischen den Professionen innerhalb und außerhalb des Krankenhauses. Als Kommunikations­ mittel erweist sich eine lediglich schriftliche Dokumenta­ tion als nicht ausreichend. Nach einer Operation sprechen Physiotherapeutinnen und -therapeuten, Pflegefachper­ sonen und Ärztinnen und Ärzte des chirurgischen / orthopä­ dischen Teams individuell ab, inwiefern die schriftlichen Richtlinien eingehalten werden können und welche Kom­ promisse möglich sind. Auch die Teams der medizinischen Stationen sehen den mündlichen Austausch als eine Mög­ lichkeit, um die Kommunikation zwischen den Teammit­ gliedern zu verbessern. „Und diese Nuancen, die sind oft schriftlich nicht so einfach hinzukriegen und dann braucht es manchmal Nachgespräche“ (I 1, A, 2, 82 – 83). Die Berufsgruppen informieren sich bei Kolleginnen und Kollegen detaillierter über die Patientinnen und Pa­ © 2019 Hogrefe


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tienten und verbessern die Koordination im gesamten Team. Dabei ist die Zusammenarbeit mit der Geriatrie laut den Befragten bereichernd und sollte noch erweitert werden. Dies zeigt sich im Team der medizinischen Sta­ tion mit geriatrischem Konsiliardienst und im Team der Chirurgie / Orthopädie, welches punktuell mit der Akut­ geriatrie zusammenarbeitet. Träge Veränderung des Systems Entwicklungen im Krankenhaussystem, die auch länger­ fristig zu einer adäquaten Betreuung beitragen könnten, erfolgen aus Sicht der Befragten nur langsam. Fortbildun­ gen zum Thema Demenz und Delir, die Ausarbeitung von Pflegekonzepten und der Ausbau der Akutgeriatrie bzw. des geriatrischen Konsiliardienstes stellen Beispiele für diese Entwicklung dar.

Diskussion Diese Studie zeigt die Sichtweise der Betreuungsteams in drei Schweizer Spitalern hinsichtlich der Betreuung von Menschen mit Demenz. Die beiden Hauptkategorien „Menschen mit Demenz konfrontieren das Krankenhaus­ system“ und „Das Krankenhaussystem wird Menschen mit Demenz nicht gerecht“ machen deutlich, dass Men­ schen mit Demenz die Teams im Krankenhaus vor beson­ dere Herausforderungen stellen. Durch die Konfrontation des Krankenhaussystems mit Menschen mit Demenz, die sich nicht in das bestehende System einordnen, zeigt sich, dass die Beachtung der jeweils individuellen Bedürfnisse der Menschen mit Demenz im Krankenhaussystem nicht im Zentrum steht. Diese Situation und die auftretenden Problemstellungen bestehen in allen teilnehmenden Teams der drei Spitäler. Studien mit ähnlichen Fragestellungen und mit einem Fokus auf die Sichtweise einzelner Gesund­ heitsfachpersonen zeigen ebenso, dass diese Fachperso­ nen die Krankenhausumgebung als ungeeignet für die Be­ treuung von Menschen mit Demenz ansehen (Baillie, 2012; Houghton, Murphy, Brooker, & Casey, 2016; Moonga & Likupe, 2016; Pinkert et al., 2017). Zudem erleben ­manche Pflegende Menschen mit Demenz im Kranken­ haus als störend (Eriksson & Saveman, 2002; Pinkert et al., 2017) und inadäquate Interventionen kommen zum Einsatz. Freiheitseinschränkende Maßnahmen erfolgen vor allem, wenn das Personal zu wenig Zeit hat (Houghton et al., 2016). Diese Ergebnisse zeigen sich auch in der ­vorliegenden Studie: Aufgrund mangelnder Ressourcen wenden Gesundheitsfachpersonen Maßnahmen an, die sie selbst als nicht optimal ansehen, unter anderem frei­ heitseinschränkende Maßnahmen. Dies hat negative Kon­ sequenzen für Patientinnen und Patienten. Es können ­dadurch Gefühle wie Hilflosigkeit, Angst und Frustration auftreten. Zudem kann es zu akuten Verwirrtheitszustän­ den kommen (Bower, McCullough, & Timmons, 2003). Für die Gesundheitsfachpersonen können sich dadurch ethisch herausfordernde und belastende Situationen erge­

ben – vor allem, wenn sie nicht adäquat ausgebildet sind (Eriksson & Saveman, 2002; Houghton et al., 2016). Diese Aspekte finden sich auch in den dargestellten Ergebnissen wieder. Pinkert et al., 2017) beschreiben in diesem Zusam­ menhang eine Unsicherheit der Pflegenden, auf die sie mit unterschiedlichen Strategien reagieren, beispielsweise mit striktem Verharren in bestehenden Routinen bis hin zur Etablierung einer patientenorientierten Pflege. Die vorlie­ genden Ergebnisse zeigen in der dritten Hauptkategorie „Notwendige Veränderungen erfolgen innerhalb des Kran­ kenhaussystems“ ebenso den Einsatz individueller Lö­ sungsstrategien. Hier weisen die Resultate auf einen neuen Aspekt hin: Gesundheitsfachpersonen sehen sich gezwungen, die Kluft zwischen Krankenhausstrukturen und Bedürfnissen der Menschen mit Demenz zu überbrücken. Dies könnte aus einer ethischen Verantwortung heraus geschehen. Gesund­ heitsfachpersonen fühlen sich möglicherweise berührt durch die Vulnerabilität der Menschen mit Demenz und versuchen, eine möglichst würdevolle Betreuung bereit­ zustellen (Bryon, Dierckx de Casterlé, & Gastmans, 2012). Gleichzeitig zeigen die vorliegenden Ergebnisse aber auch die schlichte Notwendigkeit, Menschen mit Demenz durch das System zu lotsen. Dabei s­ ehen die Gesundheitsfach­ personen es als zentral an, ihre Zusammenarbeit und Kommunikation zu stärken, wobei dies unsystematisch und auf Eigeninitiative der Teams geschieht. Eine funktio­ nierende Teamarbeit gilt als wichtiger Faktor für eine qua­ litativ hochwertige Betreuung von Patientinnen und Pa­ tienten (Xyrichis & Ream, 2008). Als zentrale Attribute von Teamarbeit unter Gesundheitsfachpersonen nennen Xyrichis und Ream (2008) gemeinsame Anstrengungen, gemeinsame Entscheidungsfindung und Interdependenz in der Zusammenarbeit. In den vorliegenden Ergebnissen findet sich die gemeinsame Anstrengung hinsichtlich eines Ziels der Teammitglieder: Einen Menschen mit Demenz mit möglichst wenigen Komplikationen durch den Kran­ kenhausaufenthalt zu begleiten. Die Teams arbeiten ­in­sofern verstärkt zusammen, als sie sich vermehrt aus­ tauschen und besser vernetzen. Eine gemeinsame Ent­ scheidungsfindung lässt sich in den Ergebnissen in Grund­ zügen erkennen. Der Anlass für Interdependenz in der Zusammenarbeit ist nach D'Amour und Oandasan (2005) die Patientin oder der Patient selbst. Die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten bestimmen die Interaktionen zwischen den Gesundheitsfachpersonen. Dies unterstrei­ chen die vorliegenden Ergebnisse. Zudem ist in der Literatur zur Zusammenarbeit im Ge­ sundheitsbereich die Wichtigkeit der organisationalen Prozesse beschrieben. Führung gilt als ein Schlüssel­ element, ebenso systematisierte Prozesse (D'Amour & Oandasan, 2005). In den vorliegenden Ergebnissen ­geschieht die Zusammenarbeit bei der Betreuung von Menschen mit Demenz jedoch unsystematisch. Somit genügen die Betreuungs- und Behandlungsteams den Forderungen eines Teams hinsichtlich der Betreuung und Behandlung von Patientinnen und Patienten mit Demenz nur teilweise.

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M. Burgstaller et al.: Menschen mit Demenz im Akutkrankenhaus: Die Sicht des Teams

Limitationen und Stärken Im Rahmen von Fokusgruppeninterviews hatten die Teams die Gelegenheit, gemeinsam über Betreuungssituationen von Menschen mit Demenz auf ihrer Station zu diskutieren. Dadurch war es möglich, bisherige Ergebnisse zur Pers­ pektive von einzelnen Gesundheitsfachpersonen um neue Sichtweisen zu erweitern. Die Hierarchie in den Teams – sowohl zwischen als auch innerhalb der Professionen – ist hierbei jedoch als mögliche Limitation zu sehen. Es gilt zu beachten, dass die gewählte Art der Datenerhebung das Risiko sozial erwünschter Antworten erhöhen kann. Ein Hinweis darauf könnte sein, dass die Teilnehmenden vor allem positive Merkmale der Zusammenarbeit themati­ sierten. Gleichzeitig war jedoch zu beobachten, dass sich alle Teilnehmenden aktiv einbrachten. Obwohl sich die Ka­ tegorien durch die reichhaltigen Daten aus den drei Inter­ views fundieren ließen, ist es nicht möglich, von einer ­Datensättigung auszugehen.

Schlussfolgerung Eine verstärkte Zusammenarbeit der Professionen scheint für eine verbesserte Betreuung von Menschen mit Demenz im Krankenhaus essenziell zu sein. Sie ist bislang jedoch nur in Ansätzen vorhanden und entwickelt sich unsystema­ tisch bzw. spontan im Verlauf des Krankenhausaufenthalts. Es ist daher unerlässlich, die Förderung der Teamzusam­ menarbeit in zukünftigen Interventionen oder Modellen zur Betreuung von Menschen mit Demenz im Kranken­ haus als einen Hauptfaktor zu berücksichtigen. Die Ent­ wicklung und Testung von interprofessionellen Interven­ tionen und Schulungskonzepten sowie der Auf- und Ausbau von Strukturen für den gemeinsamen Austausch und die Entscheidungsfindung sind als konkrete Maßnahmen denkbar.

Literatur Alzheimer Schweiz (2018). Demenz in der Schweiz 2018: Zahlen und Fakten. Verfügbar unter https://www.alzheimer-schweiz.ch/ fileadmin/dam/Alzheimer_Schweiz/de/Publikationen-Produkte/ Zahlen-Fakten/2018-CH-zahlen-fakten.pdf [17.04.2019]. Alzheimer's Society (2009). Counting the cost- Caring for people with dementia on hospital wards. Verfügbar unter https://www. alzheimers.org.uk/sites/default/files/2018-05/Counting_the_ cost_report.pdf [24.05.2018]. BAG und GDK (2016). Nationale Demenzstrategie 2014 – 2019: Erreichte Resultate 2014 – 2016 und Prioritäten 2017 – 2019. Verfügbar unter https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/ strategie-und-politik/nationale-gesundheitsstrategien/ nationale-demenzstrategie.html [24.05.2018]. Baillie, L. (2012). Caring for older people with dementia in hospital. Part one: Challenges. Nursing Older People, 24(8), 33 – 37. Bower, F. L., McCullough, C. S. & Timmons, M. E. (2003). A Synthesis of What We Know About the Use of Physical Restraints and ­Seclusion with Patients in Psychiatric and Acute Care Settings: 2003 Update. The Online Journal of Knowledge Synthesis for Nursing, 10(1), 1 – 29. Pflege (2020), 33 (1), 25–33

Bryon, E., Dierckx de Casterlé, B. & Gastmans, C. (2012). “because we see them naked” – nurses' experiences in caring for hospitalized patients with dementia: Considering artificial nutrition or hydration (ANH). Bioethics, 26(6), 285 – 295. Burgstaller, M., Mayer, H., Schiess, C. & Saxer, S. (2018). Experiences and needs of relatives of people with dementia in acute hospitals-A meta-synthesis of qualitative studies. Journal of Clinical Nursing, 27(3 – 4), 502 – 515. Corry, M., Clarke, M., While, A. E. & Lalor, J. (2013). Developing complex interventions for nursing: A critical review of key guidelines. Journal of Clinical Nursing, 22(17 – 18), 2366 – 2386. D'Amour, D. & Oandasan, I. (2005). Interprofessionality as the field of interprofessional practice and interprofessional education: An emerging concept. Journal of Interprofessional Care, 19 Suppl 1, 8 – 20. Eriksson, C. & Saveman, B.‑I. (2002). Nurses' experiences of abusive / non-abusive caring for demented patients in acute care settings. Scandinavian Journal of Caring Sciences, 16(1), 79 – 85. Hessler, J. B., Schäufele, M., Hendlmeier, I., Junge, M. N., ­Leonhardt, S., Weber, J. et al. (2018). Behavioural and psychological symptoms in general hospital patients with dementia, distress for nursing staff and complications in care: Results of the General Hospital Study. Epidemiology and Psychiatric ­Sciences, 27(3), 278 – 287. Houghton, C., Murphy, K., Brooker, D. & Casey, D. (2016). Healthcare staffs' experiences and perceptions of caring for people with dementia in the acute setting: Qualitative evidence synthesis. International Journal of Nursing Studies, 61, 104 – 116. Kitwood, T. (2013). Demenz. Der person-zentrierte Ansatz im ­Umgang mit verwirrten Menschen. Bern: Verlag Hans Huber. Litosseliti, L. (2007). Using Focus Groups in Research (3rd ed.). ­London, New York: Continuum. Margiotta, A., Bianchetti, A., Ranieri, P. & Trabucci, M. (2006). Clinical characteristics and risk factors of delirium in demented and not demented elderly medical inpatients. The Journal of Nutrition, Health and Aging, 10(6), 535 – 539. Moonga, J. & Likupe, G. (2016). A systematic literature review on nurses' and health care support workers' experiences of caring for people with dementia on orthopaedic wards. Journal of ­Clinical Nursing, 25(13 – 14), 1789 – 1804. Mukadam, N. & Sampson, E. L. (2011). A systematic review of the prevalence, associations and outcomes of dementia in older general hospital inpatients. International Psychogeriatrics, 23(3), 344 – 355. Palmer, M., Larkin, M., Visser, R. de & Fadden, G. (2010). Developing an Interpretative Phenomenological Approach to Focus Group Data. Qualitative Research in Psychology, 7(2), 99 – 121. Pinkert, C., Faul, E., Saxer, S., Burgstaller, M., Kamleitner, D. & Mayer, H. (2017). Experiences of nurses with the care of patients with dementia in acute hospitals: A secondary analysis. Journal of Clinical Nursing, 27(1 – 2), 162 – 172. Pinkert, C. & Holle, B. (2012). Menschen mit Demenz im Akut­ krankenhaus. Literaturübersicht zu Prävalenz und Einweisungsgründen [People with dementia in acute hospitals. Literature review of prevalence and reasons for hospital admission]. Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie, 45(8), 728 – 734. World Health Organization (2016). ICD-10 Version 2016. Ver­ fügbar unter https://icd.who.int/browse10/2016/en#/F00-F09 [17.04.2019]. Xyrichis, A. & Ream, E. (2008). Teamwork: A concept analysis. Journal of Advanced Nursing, 61(2), 232 – 241.

Historie Manuskripteingang: 31.01.2019 Manuskript angenommen: 20.08.2019 Onlineveröffentlichung: 28.10.2019 Förderung Stiftung Pflegewissenschaft Schweiz

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M. Burgstaller et al.: Menschen mit Demenz im Akutkrankenhaus: Die Sicht des Teams 33

Danksagung Besonderer Dank gilt allen Interview-Teilnehmenden und den Pflegeexpertinnen bzw. Pflegedirektorinnen der teilnehmenden Krankenhäuser. Vielen Dank an Nadja Heuberger für die sorgfältige Transkription und an Diana Staudacher für das gewinnbringende Lektorat des Artikels. Danke an Sandra Preinknoll für die Unterstützung während der Interviews. Weiter bedanken wir uns bei den Kolleginnen und Kollegen der Erstautorin für die konstruk­ tiven Diskussionen im Forschungskolloquium. Autorenschaft Beitrag zur Konzeption oder zum Design der Arbeit: MB, SS, HM, AZ Beitrag bei der Erfassung, Analyse oder der Interpretation der ­Daten: MB, HM, AZ Manuskripterstellung: MB Kritische Überarbeitung von wichtigen intellektuellen Inhalten des Manuskripts: MB, HM, SS, AZ Genehmigung der letzten Version des Manuskripts zur Publikation: MB, HM, SS, AZ Bereitschaft, für alle Aspekte der Arbeit Verantwortung zu übernehmen: MB, HM, SS, AZ ORCID Melanie Burgstaller https://orcid.org/0000-0003-0031-2840

Melanie Burgstaller, MA Institut für Angewandte Pflegewissenschaft IPW-FHS Fachhochschule St. Gallen Rosenbergstrasse 59 9001 St. Gallen Schweiz melanie.burgstaller@fhsg.ch

Was war die größte Herausforderung bei Ihrer Studie? Die Moderation der Fokusgruppen so zu gestalten, dass alle Teammitglieder und Berufsgruppen sich zu gleichen Teilen einbringen konnten. Was wünschen Sie sich bezüglich der Thematik für die Zukunft? Dass eine personenzentrierte Pflege von Menschen mit Demenz im Spital möglich wird. Was empfehlen Sie zum Weiterlesen / Vertiefen? Houghton et al. (2016). Healthcare staffs' experiences and perceptions of caring for people with dementia in the acute setting: Qualitative evidence synthesis. Siehe Literatur.

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Originalarbeit

Herausforderungen bei Demenz in den eigenen vier Wänden Die häusliche Situation eines Ehepaares Manuela Grünzig, Christine Schiller, Thomas Klatt, Gabriele Meyer, Stephanie Heinrich  Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft, Medizinische Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Zusammenfassung: Hintergrund: Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen sind aufgrund der Komplexität einer Demenz vor besondere Herausforderungen gestellt. Die Familien benötigen Informationen sowie Beratung, um sich in der unübersichtlichen Versorgungslandschaft zurechtzufinden und bedarfsgerechte Angebote in Anspruch nehmen zu können. Fragestellung / Ziel: Der Fallbericht zielt darauf ab, die häusliche Situation eines Ehepaares aufzuzeigen, bei dem der Ehemann an einer Demenz bei Parkinson-Krankheit leidet und erhebliche Herausforderungen innerhalb der Familie und im Versorgungssystem bestehen. Methode: Im Rahmen des Dementia Care Nurse Projektes erfolgte eine Fallbegleitung. Anhand unterschiedlicher Assessment­ instrumente wurden die verschiedenen Informationen der Familie zusammengetragen und beschrieben. Ergebnisse: Die ­Problemfelder und der Hilfebedarf der betroffenen Familie sind vielfältig und reichen über Kostenerstattung, Beantragung von Pflegeleistungen bis hin zum Umgang mit herausfordernden Verhaltensweisen sowie Reduktion der Belastung der pflegenden Angehörigen. Schlussfolgerung: Die Familie, insbesondere die pflegende Ehefrau, konnte wirksam bei den Herausforderungen der Demenzerkrankung unterstützt werden, indem z. B. professionelle Dienste einbezogen und Leistungsansprüche geklärt wurden. Aus Projektperspektive sind unabhängige Beratungsstrukturen im Sinne eines Case Management Ansatzes notwendig, um die häusliche Situation zu stabilisieren. Schlüsselwörter: Demenz, Versorgung, Häuslichkeit, pflegende Angehörige, Case Management Challenges in dementia care at home – The situation at home of a married couple Abstract: Background: People with dementia and their relatives are faced with major challenges due to complex dementia symptoms. Families need information and counselling in order to find adequate dementia care services tailored to their needs. Aim: This case report's objective is to exemplify the domestic situation of a married couple who is faced with significant challenges within the family and the care system due to the husband's dementia and Parkinson´s disease. Methods: The Dementia Care Nurse project included case monitoring; by means of different assessments relevant information was recorded and the family's situation described. Results: The family's problems and their need for support were multifaceted and entailed reimbursement of costs, application for care services as well as management of challenging behaviours and reduction of the care­ giver's psychosocial burden. Conclusions: The family, particularly the spouse caregiver, was effectively supported in meeting the challenges of dementia, e. g. by drawing on professional services and sorting out entitlement to benefits. From the perspective of the experience in the project, independent counselling structures such as a case management approach are indispenable in order to stabilise the domestic situation. Keywords: dementia, home nursing, informal caregivers, Case Management

Einleitung Demenz ist durch Beeinträchtigungen der zeitlich-­örtlichen Orientierung, der Kommunikationsfähigkeit, der autobiografischen Identität und der Persönlichkeit gekennzeichnet. Der Verlauf ist zumeist progressiv. Durch typische Verhaltensänderungen wie Agitation, Aggressionen, Enthemmung, Wahn oder Stimmungsschwankungen seitens der Erkrankten werden die betroffenen Familien vor oft große Pflege (2020), 33 (1), 34–42 https://doi.org/10.1024/1012-5302/a000710

Herausforderungen gestellt (Cheng, 2017; Chiao, Wu & Hsiao, 2015; Mouriz, Caamaño Ponte, García Tuñas, Dosil & Facal, 2019). Die zunehmende Unselbstständigkeit bedingt einen Rollenwechsel von Partnern und Partnerinnen zu pflegenden Angehörigen und verändert das Beziehungsgefüge. Neben positiven Pflegeerfahrungen, kann es ­jedoch auch zu Beeinträchtigungen der Gesundheit und des Wohlbefindens der pflegenden Angehörigen kommen (Quinn et al., 2019). Die Versorgung des Menschen mit © 2019 Hogrefe


M. Grünzig et al.: Herausforderungen bei Demenz 35

Was ist zu dieser Thematik schon bekannt? Menschen mit Demenz und ihre Angehörige sind aufgrund der Komplexität einer Demenz vor Herausforderungen gestellt. Was ist neu? Dementia Care Nurses stellen eine wirksame Unterstützung dar, um eine gute Versorgung in der Häuslichkeit herzustellen. Welche Konsequenzen haben die Ergebnisse für die Pflege­ praxis? Unabhängige Beratungsstrukturen im Sinne eines Case Management Ansatzes sind notwendig, um insbesondere die ambulante Versorgung von Menschen mit Demenz zu stabilisieren.

Demenz hat oft höchste Priorität, so dass die eigenen Bedürfnisse zunehmend in den Hintergrund rücken (Hoch­ graeber, Dortmann, Bartholomeyczik & Holle, 2014). Um die Ratlosigkeit nach der Diagnosestellung zu überwinden, geeignete Hilfemaßnahmen zu finden und eigene Ressourcen zu stärken, benötigen die betroffenen Familien aufsuchende und kontinuierliche Beratungsstrukturen (Stephan et al., 2018). Behandelnde Hausärzte und Hausärztinnen, die Betroffene oft jahrelang kennen, fühlen sich insbesondere beim Management herausfordernder Verhaltensweisen (Jennings et al., 2018) und der Kommunikation (Wangler, Fellgiebel & Jansky, 2018) überfordert. Außerdem fehlt ihnen Wissen über regionale Beratungsstellen und Unterstützungsangebote in Wohnortnähe, die bei Problemen Hilfestellung leisten können (Stephan et al., 2018). Seit 2009 hat in Deutschland jeder Mensch, der Leistungen aus der Pflegeversicherung erhält, einen Rechtsanspruch auf eine unabhängige Pflegeberatung. Das Wissen darüber ist allerdings bei den betroffenen Familien unzureichend verbreitet (Eggert & Väthjunker, 2015). Unabhängige Beratungsstellen, wie Pflegestützpunkte, sind in Deutschland nicht flächendeckend vorhanden. Die Einrichtung von Beratungsmöglichkeiten im Sinne von Case Management Strukturen wird empfohlen. Ziel dieses Fallberichtes ist es, die häusliche Situation eines Ehepaares aufzuzeigen, bei dem der Ehemann an einer Demenz bei Parkinson-Krankheit leidet und erheb­ liche Herausforderungen innerhalb der Familie und im Versorgungssystem bestehen. Das Paar bzw. die Familie wurde im Rahmen des vom Land Sachsen-Anhalt durch EU-Mittel gefördertem Projekts „Dementia Care Nurse – Qualifikation für erweiterte Kompetenzen von Pflegenden zur vernetzten quartierbezogenen Versorgung von Menschen mit Demenz“ in Form einer aufsuchenden Hilfe begleitet. Im Vorfeld schloss das Projekt eine umfängliche Qualifizierungsmaßnahme für Pflegefachpersonen mit Bachelor-Abschluss ein (Heinrich, Grünzig, Klatt, Schiller & Meyer, 2018). Die quali­ fizierten Dementia Care Nurses erlangten Kenntnisse und Kompetenzen in 226 Unterrichtseinheiten u. a. zum Krankheitsbild Demenz, zu Beratung und Anleitung, zum Umgang mit Menschen mit Demenz, zu Unterstützungsange-

boten sowie zur Umfeldgestaltung und Vernetzung, um in der Praxis tätig zu werden. Zu Beginn der aufsuchenden Hilfe findet im Hausbesuch ein umfassendes Anamnesegespräch mit Erhebung der soziodemografischen, krankheits- und pflegespezifischen Daten statt. Dafür wird ein eigens entwickelter Anam­ nesebogen sowie der Kriterienkatalog der Deutschen ­Gesellschaft für Care und Case Management (Kollak & Schmidt, 2015) genutzt. Je nach Bedarfslage werden ­weitere Assessmentinstrumente, z. B. zur Schmerz- oder Sturzerfassung eingesetzt. Im Anschluss erfolgt die Erstellung eines Hilfeplanes sowie eine fortlaufende Protokollierung der Fallbegleitung. In dem Fallbericht werden folgende Fragestellungen ­behandelt: yy Welche Herausforderungen zeigen sich in der Versorgung des Betroffenen mit Demenz? yy Welche Hilfemaßnahmen wurden ergriffen, um die häusliche Situation zu stabilisieren? yy Welche Barrieren und Probleme ergeben sich innerhalb des Versorgungssystems?

Zuweisung zum Projekt Familie Sommer [Name geändert] hatte Kontakt zu einem Pflegeberater der privaten Krankenversicherung. Im Rahmen der Pflegeberatung traten verschiedene Problemfelder auf, welche nicht ausreichend gelöst werden konnten. Deswegen verwies der Berater Familie Sommer im Oktober 2018 an das Dementia Care Nurse Projekt. Der erste Hausbesuch erfolgte bereits vier Tage später. Im ersten Gespräch war nur Frau Sommer anwesend, da sich Herr Sommer in der Tagespflege befand.

Informationen über den Patienten und die häusliche Situation Herr Sommer ist 70 Jahre alt und lebt seit 1996 mit seiner Frau in einem kleinen Ort in einer ländlichen Region. Im Jahr 2004 hatte Herr Sommer eine starke Erkältung, von der er sich nicht erholte. Aufgrund der nicht abklingenden Symptome fand eine weiterführende Diagnostik statt, woraufhin eine Leukämie und eine Parkinson-Erkrankung im Jahr 2005 diagnostiziert wurden. Seit 2015 stellte Frau Sommer zusätzlich zunehmende kognitive Veränderungen fest. Herr Sommer wurde vergesslicher und zeigte bisher unbekannte Wesenszüge. Im Februar 2017 suchte das Paar eine Gedächtnisambulanz auf, die eine Demenz bei Parkinson-Krankheit diagnostizierte. Das Ehepaar hat zwei Kinder, einen Sohn und eine Tochter, die weit entfernt vom Elternhaus leben. Es besteht regelmäßiger telefonischer Kontakt. Ein Treffen der Familie findet etwa alle drei Monate statt. Frau und Herr

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Sommer sind seit 50 Jahren verheiratet. In der Vergangenheit sind beide viel und gerne verreist. Durch einen schweren Unfall des Sohns sammelte Familie Sommer bereits früh Pflegeerfahrungen. Frau Sommer kümmert sich seit der zunehmenden Pflegebedürftigkeit liebevoll und im Rahmen ihrer Möglichkeiten um ihren Ehemann. Sie ist körperlich und geistig agil. Das Haus, in dem das Ehepaar wohnt, hat vier Etagen mit drei Treppen. Im Erdgeschoss befindet sich ein kleines Badezimmer ohne behindertengerechte Toilette, eine Küche sowie ein Wohnzimmer. Im ersten Obergeschoss liegen das Schlafzimmer sowie das Hauptbadezimmer mit einer ebenerdigen Dusche.

Situationsbeschreibung Zum Zeitpunkt des Kennenlernens versorgt Frau Sommer ihren Ehemann selbstständig ohne professionelle Hilfen. Vor der Mobilisation am Morgen erhält Herr Sommer ­zunächst ein Antiparkinsonmittel, um die morgendliche Muskelstarre und Bewegungsarmut zu lindern. Je nach Tagesform des Ehemannes ist es möglich, ihn beim Waschen einzubeziehen, den größten Teil der pflegerischen Tätigkeit übernimmt jedoch Frau Sommer. Die morgendliche Grundpflege ist deswegen für beide sehr anstrengend. Einerseits liegt durch die Parkinsonerkrankung eine Steifigkeit vor, andererseits kann Herr Sommer die komplexen Handlungen aufgrund seiner Demenz nicht ausführen und zuordnen. Nach Beendigung des morgendlichen Rituals bereitet die Ehefrau das Frühstück vor. Herr Sommer nutzt diese Zeit, um sich von der morgendlichen Grundpflege zu erholen. Die Einnahme der Mahlzeiten führt Herr Sommer selbstständig durch, wobei er teilweise daran erinnert werden muss. Zwischen 8 Uhr und 8.30 Uhr wird Herr Sommer vom Fahrdienst der Tagespflege ab­geholt. Während Herr Sommer von Montag bis Freitag in der Tagespflege ist, organisiert Frau Sommer den Haushalt. Sie kümmert sich um alle häuslichen sowie finanziellen Angelegenheiten der Familie. Frau Sommer geht bei allen Aufgaben sehr strukturiert und geordnet vor. Ein von ihr angelegtes Dokumentationssystem zur Haushaltsführung ist übersichtlich und verständlich. Gegen 16 Uhr bringt der Fahrdienst der Tagespflege Herrn Sommer zurück. Danach geht das Ehepaar, je nach Zustand von Herrn Sommer, gemeinsam spazieren oder Einkäufe erledigen. Während des Spazierengehens ist Frau Sommer oft besorgt, da das Gangbild ihres Ehemannes sehr unsicher ist und er jegliche Hilfsmittel wie Gehstock oder einen Rollator ablehnt. Für Herrn Sommer sind Hilfsmittel mit zu viel Scham besetzt. Durch seine starke Persönlichkeit lässt er sich ungern Hilfestellungen oder Ratschläge von seiner Frau geben. In der Öffentlichkeit ist Herr Sommer in seiner Orientierung eingeschränkt. Er verhält sich nicht situationsadäquat. Am Abend bereitet Frau Sommer das Abendessen vor. Nach den gemeinsamen Mahlzeiten und abendlichen AkPflege (2020), 33 (1), 34–42

M. Grünzig et al.: Herausforderungen bei Demenz

tivitäten wie Fernsehen, erfolgt die Abendtoilette Herrn Sommers durch die Ehefrau. Herr Sommer trägt ganztägig Inkontinenzmaterialien. Die Schutzhosen werden nur unwillig von ihm toleriert. Zur Nacht gibt es deswegen häufig Probleme und Konflikte, da er sich die Inkontinenzmaterialien auszieht. Durch die starke Unruhe, das häufige Wasserlassen und seine Alpträume, schläft Frau Sommer kaum durch. Häufig beträgt die Schlafdauer nur wenige Stunden. Insgesamt ist Herr Sommer sehr unruhig. Gegenüber seiner Ehefrau ist er vorwurfsvoll, fordernd und teilweise aggressiv. Es ist keine Krankheitseinsicht vorhanden. Seine Alltagshandlungen sind stark eingeschränkt, da er diese häufig zeitlich, örtlich und situativ nicht einordnen kann. Eine selbstständige Alltagsbewältigung durch Herrn Sommer wäre nicht möglich. Durch die weite Entfernung der Kinder zum Elternhaus, ist Frau Sommer in allen pflegerischen Tätigkeiten und sonstigen Aufgaben auf sich gestellt. Zu Beginn der Projektteilnahme hat Herr Sommer bereits eine schwere Beeinträchtigung der Selbstständigkeit, welche einem Pflegegrad drei entspricht und einen Grad der Behinderung von 70 Prozent.

Situation der Ehefrau zum Zeitpunkt des Erstkontaktes Im ersten Hausbesuch wirkt Frau Sommer sehr belastet. Die starken körperlichen und psychischen Beanspruchungen, die durch die Pflege ihres Ehemannes entstehen, erschöpfen Frau Sommer sichtlich. Vor allem die fordernde und vorwurfswolle Art und Weise des Ehemannes gegenüber Frau Sommer verkraftet sie nur sehr schwer. Frau Sommer besucht zum Zeitpunkt des ersten Kennenlernens bereits eine Selbsthilfegruppe für pflegende Angehörige. Aufgrund der ungünstig gelegenen Uhrzeit der Selbsthilfegruppe am Nachmittag kann Frau Sommer die Gruppe nicht regelmäßig besuchen. Zu oft müsste sie ihren Ehemann alleine zu Hause lassen. Weitere Maßnahmen zur eigenen Gesunderhaltung führte Frau Sommer zum Zeitpunkt des ersten Treffens nicht durch. Die Einstufung der Familie Sommer als Case-Management-Fall erfolgte anhand des Kriterienkatalogs der Deutschen Gesellschaft für Care und Case Management (Kollak & Schmidt, 2015), wie die Tabelle 1 zeigt.

Hauptprobleme und Hilfemaßnahmen Im ersten Hausbesuch der Familie Sommer zeigen sich ­bereits differenzierte Problemlagen. Die Abbildung 1 liefert einen kurzen Überblick über den zeitlichen Verlauf. © 2019 Hogrefe


M. Grünzig et al.: Herausforderungen bei Demenz 37

Problemfeld 1: Ausbleibende Rückzahlungen der Krankenkasse Bei privaten Krankenversicherungen gilt das Prinzip der Kostenerstattung, d. h. der Patient zahlt zunächst anfallende Rechnungen und bekommt diese im nächsten Schritt

Zunehmende Wesensveränderungen und Vergesslichkeit

durch die Beihilfe und Krankenkasse erstattet. Familie Sommer reichte Rechnungen ordnungsgemäß und fristgerecht bei der Krankenkasse ein. Trotzdem wurden mehrere Rechnungen von Mai bis September nicht erstattet. Familie Sommer wartet seit über fünf Monaten auf eine Kostenrückerstattung von knapp 3000 Euro (ca. 3400 CHF).

2015

Diagnose: Demenz bei ParkinsonKrankheit

2017

2018

Erster Kontakt mit der Ehefrau im Hausbesuch

Kontaktaufnahme zur Behörde bzgl. Höherstufung der Schwerbehinderung

Kontaktaufnahme mit Krankenkasse bzgl. ausbleibender Rückzahlungen

O K T O B E R

Zustandsverschlechterung des Betroffenen, deswegen Einweisung ins Krankenhaus Beantragung der Pflegegraderhöhung

Gemeinsames Gesprächs mit Kindern & Ehepaar

Kontaktaufnahme zum Pflegedienst

Vorerst stabile Situation

N O V E M B E R D E Z E M B E R

Probleme im Ersthausbesuch:  Ausbleibende Rückzahlung der Krankenversicherung  Fehlende Rückmeldung zur Höherstufung der Schwerbehinderung  Kostenbeteiligung der Pflegekasse für Toilettenumbau fraglich  Pflegegradhöherstufung, bisher 3 Ablehnungen

Rückmeldung bzgl. Höherstufung der Schwerbehinderung; Widerspruch, da unzufriedenstellendes Ergebnis

Zustimmung der Pflegekasse zur Kostenbeteiligung für Umbaumaßnahmen der Toilette

Entlassung aus KH: > neue Medikation erhalten > Zunahme der Pflegebedürftigkeit > Zunehmende körperliche und psychische Belastung der Ehefrau

Rückzahlung der offenen Rechnungen seitens der Krankenkasse Hilfe bei der Morgentoilette durch den Pflegedienst Bewilligung Pflegegraderhöhung von 3 auf 4 Höherstufung der Schwerbehinderung von 70% auf 80% Bewilligung Merkzeichen

Abbildung 1. Problemfelder und Hilfemaßnahmen im zeitlichen Verlauf.

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M. Grünzig et al.: Herausforderungen bei Demenz

Tabelle 1. Kriterienkatalog anhand des Fallbeispiels Familie Sommer Kriterien

Situation des Patienten

Alter

70 Jahre

Bestimmte ­Erkrankungen

Chronisch lymphatische Leukämie, z­ uletzt 2006 Parkinson Demenz

Familienstand

Verheiratet, zwei Kinder

Körperliche Situation Stark schwankender Blutdruck Unsicheres Gangbild; lehnt Gehhilfe ab Größe: 1,78 m, Gewicht: 72 kg Wechselnde Steifigkeit Kleinschrittigkeit Psychische Situation

Teilweise desorientiert Antrieb: gemindert, oft sehr unruhig Zeitweise aggressiv Nimmt ungern Hilfe in Anspruch allgemein ablehnende Haltung

Fähigkeit zur ­Selbstsorge

Einnahme der Medikamente: teilweise ­selbstständig, Stellen und Kontrolle durch Ehefrau erforderlich Nahrungsaufnahme: selbstständig mit ­Aufforderung Körperpflege und Kleiden: teilweise selbstständig mit Unterstützung der Ehefrau Kontinenz-Status: harninkontinent; teilweise stuhlinkontinent

Soziale Situation

Ehefrau organisiert Pflege und Versorgung; Kinder leben entfernt

Hauswirtschaftliche Aufgaben

Einkäufe: nur gemeinsam mit Ehefrau, sofern sein Befinden es ermöglicht Mahlzeitenzubereitung: durch Ehefrau Reinigung des Haushaltes: durch Ehefrau

Finanzielle Situation

Ausreichende Rente; privatversichert

Anzahl der benötigten Seit 02 / 2018 Tagespflege: 5d / Woche genutzt Dienstleistungen

Zunächst erfolgte eine Prüfung der eingereichten Unterlagen von Familie Sommer und eine Sichtung der AGBs der privaten Krankenversicherung. Danach wurde das konkrete Vorgehen zur Erstattung gemeinsam besprochen, Fragen geklärt und Frau Sommer ermutigt, den erneuten Kontakt zur Krankenkasse aufzunehmen. Nach mehreren Telefonaten zwischen Frau Sommer und der Krankenkasse sowie schriftlichem E-Mail-Verkehr erfolgte die Rückzahlung der offenen Rechnungen wenige Wochen nach dem ersten Hausbesuch.

Problemfeld 2: Fehlende Rückmeldung bezüglich der Höherstufung der Schwerbehinderung Familie Sommer hatte den Antrag zur Erhöhung des Grades der Behinderung (GdB) im Juni 2018 eingereicht. Bis zum ersten Hausbesuch gab es jedoch keine Rückmeldung der zuständigen Behörde. Es war unklar ob der Antrag überhaupt eingegangen war und in welchem Bearbeitungszwischenstand dieser sich befand. Es wurde Kontakt zur zuständigen Behörde durch die Dementia Care Nurse aufgenommen, um zu erfahren, wie Pflege (2020), 33 (1), 34–42

der aktuelle Bearbeitungsstand war. Am Telefon berichtete die zuständige Sachbearbeiterin, dass die Bearbeitungszeit für die Höherstufung des GdB im Mittel zwischen vier bis sechs Monaten liege. Der Antrag lag zum Zeitpunkt des Telefonates bereits der Gutachterin vor. Ende November erhielt Familie Sommer die erste Rückmeldung der Behörde. Rückwirkend wurde eine Höherstufung des GdB von 70 % auf 80 % bewilligt. Aufgrund der Ablehnung aller beantragten Merkzeichen, wurde gemeinsam mit Frau Sommer ein umfassendes Widerspruchsschreiben formuliert. Durch die Einreichung eines Widerspruchs änderte sich die Zuständigkeit innerhalb der Behörde und die vorliegende Situation von Familie Sommer musste neu erklärt werden. Nach mehreren Telefonaten und der Zustellung fehlender Unterlagen, wurden letztendlich Mitte Dezember die beantragten Merkzeichen bewilligt.

Problemfeld 3: Kostenbeteiligung der Krankenkasse beim Umbau der Toilette Die meiste Zeit verbringt Herr Sommer im Erdgeschoss des Hauses, dort befindet sich das Wohnzimmer und die Küche. Da das Bad im Erdgeschoss nicht barrierefrei ausgestattet war und der Weg in die zweite Etage dauerhaft zu anstrengend gewesen wäre, beantragte Frau Sommer einen Zuschuss bei der Pflegekasse für einen Toilettenumbau. Durch die großräumigen und unkoordinierten Bewegungen, die Herr Sommer aufgrund der Parkinson-Erkrankung zeigt, ist eine montierbare Toilettensitzerhöhung aus Plastik nicht geeignet. Familie Sommer hatte zu viel Angst, dass ein Toilettenaufsatz den starken Belastungen durch die unvorhergesehenen Bewegungen nicht standhalten würde. Deswegen holte sich Frau Sommer einen Kostenvoranschlag von einer Sanitätsfirma für eine erhöhte Keramiktoilette ein. Diese Vorkalkulation reichte Familie Sommer ein. Es erfolgte zunächst eine Ablehnung, da es sich um keine reguläre Leistung der Pflegekasse handelte. Erneut wurde der Kontakt zur Pflegekasse aufgenommen. Nach mehreren Telefonaten und einigem Schriftverkehr übernahm die Kasse die entstandenen Kosten für den Toilettenumbau.

Problemfeld 4: Herausfordernde Verhaltensweisen und zunehmende Belastung der Ehefrau Im Laufe der Fallbegleitung verschlechterte sich der körperliche und geistige Zustand von Herrn Sommer. Frau Sommer berichtete von starken Stimmungsschwankungen, die teilweise von Stunde zu Stunde variierten. Weiterhin stand der stark schwankende Blutdruck im Vordergrund, der vermehrt zu Stürzen führte. Herr Sommer lief unruhig durch das Haus, sprach sehr verwaschen, wirkte andererseits apathisch und abwesend, so dass seine Ehefrau Kontakt zur Hausärztin aufnahm. Die Hausärztin verwies Familie Sommer direkt an den behandelnden Neurologen, © 2019 Hogrefe


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der eine Krankenhauseinweisung in eine Spezialklinik für Menschen mit Parkinson-Erkrankung veranlasste. In der Klinik wurde die Diagnose Überdosierung mit Dopamin festgestellt. Nach knapp fünf Wochen Klinikaufenthalt erfolgt die Entlassung in die Häuslichkeit. Der Zustand von Herrn Sommer stabilisierte sich. Trotzdem nahm die körperliche und psychische Belastung für Frau Sommer zu. Zur Nacht musste Herr Sommer zum Teil von seiner Ehefrau gelagert werden, da seine Muskelsteifigkeit ihn am Umdrehen hinderte. Weiterhin entstanden Probleme in Bezug auf die Inkontinenzversorgung zur Nacht. Häufig musste Frau Sommer die Bettwäsche nachts wechseln, da Herr Sommer das Inkontinenzmaterial auszog oder die Urinflasche ausschüttete. Es gab Nächte in denen Frau Sommer kaum drei bis vier Stunden schlief. Darüber hinaus nahm die verbale Aggressivität von Herrn Sommer gegenüber seiner Ehefrau zu, insbesondere machte er seine Ehefrau für den Krankenhausaufenthalt verantwortlich. Auch verweigerte er sich bei der Grundpflege und übernahm auch nach Anleitung keine eigenen Tätigkeiten. Aufgrund der Zustandsverschlechterung wurde über mehrere Optionen, u. a. eine Entlastung durch einen ambulanten Pflegedienst als auch eine stationäre Versorgung, gesprochen. Da Frau Sommer jedoch keine grundsätz­ lichen Entscheidungen allein treffen wollte, fand als nächstes ein gemeinsames Gespräch mit allen Familienmitgliedern, dem Ehepaar, den beiden Kindern und der Dementia Care Nurse, statt. Die Dementia Care Nurse schilderte im Gespräch die Situation und zeigte Optionen der Versorgung auf. Frau Sommer stellte daraufhin ihre persönliche Sichtweise der häuslichen Situation dar. Innerhalb der Unterhaltung sprachen sich alle Parteien gegen einen Umzug ins Pflegeheim aus. Zunächst sollten alle Mittel der häus­ lichen Versorgung, vor allem durch Einbezug eines ambulanten Pflegedienstes, ausgeschöpft werden. Frau Sommer äußerte mehrmals Bedenken hinsichtlich eines Pflegedienstes, da sie ungern fremde Menschen in ihr eigenes Haus lassen würde und nicht wisse, wie ihr Ehemann darauf reagieren würde. Auch Herr Sommer war verunsichert. Nach der gemeinsamen Abwägung und letztlichen Entscheidung für einen ambulanten Pflegedienst, organisierte die Dementia Care Nurse den Kontakt zu einem Pflegedienst und sprach den Bedarf ab. Seit Ende November erhält Familie Sommer täglich Unterstützung (Montag bis Freitag) bei der morgendlichen Grundpflege. Es dauerte eine Weile bis sich beide Seiten an die Versorgung gewöhnten. In den ersten Wochen gab Frau Sommer dem Pflegedienst Hilfestellungen, so dass die Veränderung für Herrn Sommer nicht zu groß war. Mittlerweile sind die Abläufe routiniert, Herr Sommer toleriert den Pflegedienst und Frau Sommer ist über die Entlastung dankbar. Aufgrund der schwierigen Versorgung der Inkontinenz von Herrn Sommer zur Nacht, klärte die Dementia Care Nurse Familie Sommer über die Nutzung von Urinalkondomen auf. Da die Familie bereits mit einem Urotherapeuten zusammenarbeitete, konnte dieser als Versorgungspartner hinzugezogen werden.

Aufgrund der psychischen Belastung von Frau Sommer wurden im Hausbesuch weitere Entlastungsmöglichkeiten, wie sportlicher Ausgleich oder eine psychologische Begleitung angesprochen. Frau Sommer wurde motiviert, weiterhin die Selbsthilfegruppe zu besuchen. Der ungünstige Zeitpunkt des Gruppentreffens konnte jedoch nicht beeinflusst werden. Hinsichtlich der teils aggressiven verbalen Äußerungen von Herrn Sommer erfolgte eine Analyse der entsprechenden Situationen. Es wurde gemeinsam mit Frau Sommer reflektiert, ob vordergründig objektive Faktoren wie Schmerz, Durst, Unwohlsein oder psychosoziale Faktoren, wie Persönlichkeit und Verhaltensreaktionen auf Stress, das Verhalten bedingen. In Auseinandersetzung mit der Biografie erklärte Frau Sommer, dass ihr Mann eine sehr starke Persönlichkeit habe und in Stresssituationen do­ minant und fordernd reagiere. Sie konnte daraufhin sein ­Verhalten besser einschätzen und schien es besser zu akzeptieren.

Problemfeld 5: Ablehnung der Erhöhung des Pflegegrades Zum Zeitpunkt des Kennenlernens war die Erhöhung des Pflegegrades (PG) bereits dreimal abgelehnt worden. Mit der Zustandsverschlechterung von Herrn Sommer erfolgte die Neuantragstellung. Im Zuge des Krankenhausaufenthaltes erstellte der behandelnde Oberarzt der Klinik einen ausführlichen Brief zur Krankheitsgeschichte und zum Zustand von Herrn Sommer. Zur Vorbereitung auf die Begutachtung erhielt Frau Sommer durch die Dementia Care Nurse einen Selbsteinschätzungsbogen des Medizinischen Dienstes sowie ein Pflegetagebuch. Gemeinsam mit Frau Sommer wurde das Begutachtungsverfahren besprochen. Nach der Entlassung von Herrn Sommer aus dem Krankenhaus fand die Begutachtung, unter Begleitung des Pflegedienstes, statt. Ende November erhielt Familie Sommer den positiven Bescheid über die Höherstufung von Pflegegrad drei auf Pflegegrad vier.

Fallabschluss Im Zeitraum der Fallbegleitung von Oktober bis Dezember erfolgten 32 Kontakte, die sich aus vier Hausbesuchen, 24 Telefonaten und vier E-Mailkontakten ergaben. Zusätzlich war eine intensive Vor- und Nachbereitung der Kontakte notwendig. Die gezeigten Problemfelder waren nicht immer offensichtlich und erhellten sich zumeist erst im Prozess der Fallbegleitung. Die Kontakte fanden überwiegend mit der pflegenden Ehefrau Frau Sommer statt, der Ehemann war größtenteils in der Tagespflege und nur zu zwei Terminen anwesend. In Bezug auf die gesamte Familiensituation, war das gemeinschaftliche Gespräch mit den Kindern und dem Ehepaar sowie der Dementia Care Nurse hilfreich.

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Nachdem die wesentlichen Problemfelder bearbeitet wurden und aus Sicht der Familie eine stabile Versorgungssituation vorlag, kam es zunächst zum Fallabschluss. Sofern in Zukunft Veränderungen eintreten sollten und neue Bedarfe entstehen, ist es der Familie möglich, jederzeit erneut Kontakt zum Dementia Care Nurse Projekt aufzunehmen.

Perspektive der Angehörigen Um die Perspektive der Angehörigen darzustellen, fand im Zuge des Fallberichtes ein Interview mit Frau Sommer statt. Ziel war es herauszufinden, welche Bedarfe und Barrieren Frau Sommer als pflegende Angehörige im Versorgungsprozess wahrgenommen hat. Im Gespräch berichtet Frau Sommer u. a., dass sie eigentlich sehr gerne eine Unterstützung zur Nacht gehabt hätte. Ihr bereiteten, durch den starken Harndrang und die Unruhe ihres Ehemannes, die Nächte große Probleme. Oftmals fehlten ihr viele Stunden Nachtschlaf, die sie am Tag aufgrund der Vielzahl an Aufgaben nicht nachholen konnte. Eine Hilfe in Form einer Nachtpflege wäre in ihren Augen sehr nützlich gewesen. Ein weiteres Anliegen Frau Sommers war es, auf die fehlende Wertschätzung und Anerkennung für pflegende Angehörige hinzuweisen. Obwohl Frau Sommer sich umfänglich um ihren Mann kümmert, begrenzt sich die Anerkennung auf die Zahlung eines Pflegegeldes. Als Frau Sommer einen Pflegedienst benötigte, reduzierte sich sofort das Pflegegeld. Frau Sommer empfand dies als Minderung ihrer Wertschätzung seitens der Pflegekasse.

Diskussion Der vorliegende Fallbericht zeigt die vielfältigen Problemfelder und hohen Anforderungen, die an pflegende Angehörige und an Menschen mit Demenz gestellt werden. Für eine angemessene Beratung und Unterstützung der betroffenen Familien sind aufsuchende und flexible Strukturen sowie Personen erforderlich, die insbesondere über krankheits- und pflegespezifisches, sozialrechtliches Wissen, regionale Kenntnisse als auch kommunikative Kompetenzen verfügen (Karlsson et al., 2015). In diesem Sinne sind neben Kenntnissen zum Case Management Prozess aufgrund der besonderen Situation bei Demenz, geprägt durch kognitive und verhaltensbezogene Veränderungen sowie pflegerische Bedarfe, spezifische Kompetenzen unabdinglich, die im Rahmen der Qualifizierung zur Dementia Care Nurse vermittelt wurden. Wie im Fallbericht unterstützt die Dementia Care Nurse in Abstimmung mit der Angehörigen die Entscheidungsfindung bei komplexen somatischen, psychischen und pflegerischen Problemstellungen. Die Herausforderung für die Dementia Care Nurse besteht darin, das Pflegearrangement derart zu gestalten, dass dieses sich an die Person mit Demenz anpasst und ein Pflege (2020), 33 (1), 34–42

M. Grünzig et al.: Herausforderungen bei Demenz

möglichst selbstbestimmtes Leben zu Hause ermöglicht. Dabei sind unter anderem der Einbezug pflegerischer Fertigkeiten und praktischer Erfahrungen, Kenntnisse über nicht-medikamentöse Interventionen und auch personzentrierte Konzepte erforderlich. Wie durch den Fall erkennbar wurde die Zusammen­ arbeit mit pflegerischen, ärztlichen und therapeutischen Professionellen gefördert und eine Vernetzung im Versorgungsgeschehen entwickelt (Minkman, Ligthart & H ­ uijsman, 2009; Somme et al., 2012). Komplexe Problemlagen innerhalb der Familien sollen so besser erkannt und zielgerichtet zwischen den einzelnen Akteuren koordiniert werden. Aus Projektperspektive gibt es nach wie vor Barrieren und Hindernisse, welche die Versorgung erschweren. In einigen Regionen gibt es beispielsweise kein Nachtpflegeangebot. Dabei leiden Menschen mit Demenz sehr häufig unter einem gestörten Schlaf-Wach-Rhythmus oder wie im Fallbeispiel unter nächtlichen herausfordernden Verhaltensweisen (Deschenes & McCurry, 2009). Besonders pflegende Angehörige leiden unter der gestörten Nachtruhe, da das Schlafdefizit oftmals am Tag nicht nachgeholt werden kann. Im teilstationären Bereich der Tagespflege gibt es ein wachsendes Angebot, dennoch stellen lange Fahrtwege, Ortsteile, die nicht angefahren werden oder festgelegte Öffnungszeiten ein Problem dar. Weitere Barrieren sind undurchsichtige Strukturen und lange Bearbeitungszeiten seitens verschiedener Behörden. Wie im Fallbeispiel dauert die Begutachtung zur Erhöhung des Grades der Behinderung zwischen vier bis sechs ­Monaten. Werden Unterlagen vergessen oder der zum Teil schwer verständliche Antrag falsch ausgefüllt, kann es zu noch längeren Bearbeitungszeiten kommen. Ferner sind die verschiedenen Sozialgesetzbücher zu Pflege, Krankheit, Rehabilitation und Teilhabe schwer zu verstehen. Für Laien ist es oft schwierig, passgenaue Leistungen in Anspruch zu nehmen. Dabei ist der Prozess von der Kenntnis der Leistung, der Beantragung, der regionalen Verfügbarkeit, der Abrechnung bis hin zur Qualität kaum zu durchschauen. Spezielle Leistungen der Pflege- und Krankenversicherung, wie beispielsweise die Zuordnung von Verhinderungs- und Kurzzeitpflege, die Gewährung einer Rehabilitation für Menschen mit Demenz und Angehörige, der Einsatz des Entlastungsbetrages, die Übernahme von Fahrtkosten etc. sind für Angehörige oft unverständlich (Stephan et al., 2018; Weber, Pirraglia & Kunik, 2011; Wolfs, Vugt, Verkaaik, Verkade & Verhey, 2010). Auch stellt der zunehmende Personal- und Zeitmangel im ambulanten Sektor ein großes Problem dar. Dabei benötigen Menschen mit Demenz als auch pflegende Angehörige kontinuierliche Ansprechpartner / -innen, um Vertrauen aufbauen zu können (Bieber et al., 2018; Sutcliffe, Roe, Jasper, Jolley & Challis, 2015). Betroffene sind oft sehr feinfühlig und bemerken kleinste Veränderungen im Verhalten des Pflegenden, z. B. bei Stress und Zeitmangel. Unsere praktischen Erfahrungen zeigen beispielsweise, dass Pflegebedürftige zum Teil täglich von verschiedenen Pflegenden versorgt werden. Das führt kurz- und langfristig zu Verunsicherungen und unvorhergesehenen Verhaltens© 2019 Hogrefe


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weisen, insbesondere bei Menschen mit Demenz. Ohnehin ist es für betroffene Familien schwierig, fremde Menschen in die eigene Häuslichkeit zu lassen. Ein ständiger Personalwechsel verstärkt die Ängste deswegen zusätzlich (Górska et al., 2013). Trotz Verbesserungen im Rahmen der Pflegeversicherung zeigt dieser Fallbericht, dass weiterhin Barrieren und Lücken im Versorgungssystem bestehen können. Es wird deutlich, dass vorhandene Strukturen den hohen Bedarf in Bezug auf Beratung und Fallbegleitung speziell zum Krankheitsbild Demenz nicht decken. Das Projekt greift diese Versorgungslücke auf und versucht durch die qualifizierten Dementia Care Nurses die häusliche Versorgung zu unterstützen und vor allem pflegende Angehörige in ihrer organisatorischen und pflegerischen Kompetenz zu stärken. Wie die Ergebnisse aus europäischen Studien zeigen (Kerpershock et al., 2019), werden kontinuierlich ansprechbare Kontaktpersonen nachgefragt, um eine individuelle und passgenaue Versorgung zu gestalten.

Ausblick Frau Sommer besucht seit Ende Dezember einmal wöchentlich einen Aqua-Trainings-Kurs zur Entspannung. Seit Januar finden weiterhin monatlich ein bis zwei Telefonate mit der Dementia Care Nurse statt, diese unterstützt Frau Sommer und gibt ihr Sicherheit. Mitte Februar wurde Frau Sommer mit dem Verdacht auf Myokardinfarkt ins Krankenhaus eingeliefert, der sich jedoch nicht bestätigte. Seitdem wird Frau Sommer ambulant durch einen Kardiologen betreut. Die Phasen der Steifigkeit, des Vergessens und der verbalen Aggressivität von Herrn Sommers nehmen zu, so dass der Pflegedienst Familie Sommer jetzt auch an den Wochenenden unterstützt. Derzeit lebt Herr Sommer noch in der eigenen Häuslichkeit. Durch die zunehmende pflegerische Belastung und den eingeschränkten Gesundheits­ zustand der Ehefrau, ist jedoch unklar, wie lange die Versorgung in der Häuslichkeit noch möglich sein wird.

Informierte Einwilligung Die Ethikkommission der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg erteilte ein positives Votum zur Durchführung des Dementia Care Nurse Projektes. Vor der Fallbegleitung wurde das informierte mündliche und schriftliche Einverständnis des Paares eingeholt. Der Fallbericht wurde der Familie vor Einreichung des Manuskripts vorgelegt und von dieser zustimmend bewertet. Alle konkreten persönlichen Hinweise zur Familie wurden anonymisiert.

Literatur Bieber, A., Stephan, A., Verbeek, H., Verhey, F., Kerpershoek, L., Wolfs, C. et al. (2018). Zugang zu professioneller Unterstützung für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen: Fallvignetten

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M. Grünzig et al.: Herausforderungen bei Demenz

derungen von Hausärzten in Rheinland-Pfalz. Deutsche medizinische Wochenschrift, 143(19), e165 – e171. Weber, S. R., Pirraglia, P. A. & Kunik, M. E. (2011). Use of services by community-dwelling patients with dementia: a systematic ­review. American Journal of Alzheimer's Disease and Other ­Dementias, 26(3), 195 – 204. Wolfs, C. A. G., Vugt, M. E. de, Verkaaik, M., Verkade, P.-J. & Verhey, F. R. J. (2010). Empowered or overpowered? Service use, needs, wants and demands in elderly patients with cognitive impairments. International Journal of Geriatric Psychiatry, 25(10), 1006 – 1012. Historie Manuskript eingegangen: 14.06.2019 Manuskript angenommen: 02.09.2019 Onlineveröffentlichung: 17.12.2019 Förderung Europäischer Sozialfonds (ESF) und Land Sachsen-Anhalt, ­Verbund Autonomie im Alter. Autorenschaft Substanzieller Beitrag zu Konzeption oder Design der Arbeit: MG, SH Substanzieller Beitrag zur Erfassung, Analyse oder Interpretation der Daten: MG Manuskripterstellung: MG Einschlägige kritische Überarbeitung des Manuskripts: GM, CS, TK Genehmigung der letzten Version des Manuskripts: GM Übernahme der Verantwortung für das gesamte Manuskript: MG, GM

Manuela Grünzig, MSc Institut für Gesundheitsund Pflegewissenschaft Medizinische Fakultät der MartinLuther-Universität Halle-Wittenberg Magdeburger Str. 8 06112 Halle (Saale) Deutschland manuela.gruenzig@uk-halle.de

Was war die größte Herausforderung bei Ihrer Studie? Die Kooperationspartner zu motivieren, die Menschen mit Demenz und ihre pflegenden Angehörigen zur Teilnahme am Projekt zu vermitteln. Was wünschen Sie sich bezüglich der Thematik für die Zukunft? Flächendeckende Implementierung des Dementia Care Nurse Konzeptes, d. h. der Qualifizierungsmaßnahme als auch des ­bedarfsgerechten Beratungsangebotes. Was empfehlen Sie zum Weiterlesen / Vertiefen? Bieber, A., Bartoszek, G., Stephan, A., Broda, A., Meyer, G. (2018). Formal and informal support of patients with dementia at home: A mixed methods study within the Actifcare project. ZEFQ 139: 17 – 27. Video-Clip des ActifCare-Projekts: https://www.youtube. com/watch?v=IEmvud8qFKo

ORCID Stephanie Heinrich https://orcid.org/0000-0002-3162-6503 Anzeige

Bewegung fördern, erhalten und wiederherstellen Elke Schlesselmann (Hrsg.)

Bewegung und Mobilitätsförderung Praxishandbuch für Pflege- und Gesundheitsberufe 2019. 360 S., 61 Abb., 17 Tab., Kt € 39,95 / CHF 48.50 ISBN 978-3-456-85886-9 Auch als eBook erhältlich Bewegung ist ein zentrales Pflegekonzept und die Bewegungsförderung trägt maßgeblich dazu bei, die Gesundheit von Menschen zu fördern, wiederherzustellen und zu erhalten. Das umfassende Praxishandbuch zur Bewegung und Mobilitätsförderung stellt die

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Originalarbeit

Wie Pflegekräfte im ambulanten Bereich den Einsatz von Telepräsenz­ systemen einschätzen Eine qualitative Studie Julia Geier1,4  , Melanie Mauch2,4, Maximilian Patsch3,4, Denny Paulicke5,6 Institut für Pflegeforschung, Gerontologie und Ethik, Evangelische Hochschule Nürnberg Neurologische Klinik, Klinikum Stuttgart 3 Diabetologie und Kardiologie, Klinikum St. Elisabeth und St. Barbara Halle (Saale) 4 Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaften, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg 5 Dorothea Erxleben Lernzentrum Halle, Medizinische Fakultät, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg 6 Internationale Graduiertenakademie, Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft, Medizinische Fakultät, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg 1 2

Zusammenfassung: Hintergrund: Technische Assistenzsysteme werden zunehmend als Lösungsansatz diskutiert, um die gesundheitliche Versorgung älterer Menschen zu unterstützen und die Autonomie im Alter möglichst lange aufrecht zu erhalten. Auch Telepräsenzsysteme (TPS) werden im Zuge dessen im Rahmen von Pflegetätigkeiten eingesetzt. Ziel: Die Studie verfolgt das Ziel, zu beschreiben, inwiefern Pflegekräfte TPS für den Einsatz in der ambulanten Pflege als geeignet einschätzen. Methode: In Fokusgruppen (n = 4) in Sachsen-Anhalt wurde im Anschluss an eine Vorstellung eines TPS über Einsatzmöglichkeiten, Probleme und Potenziale in Bezug zur Einsatzfähigkeit in der ambulanten Pflege diskutiert. Die Datenauswertung erfolgte mittels der Dokumentarischen Methode nach Bohnsack, Nentwig-Gesemann & Nohl (2007). Ergebnisse: Das vor­ gestellte TPS wurde für die praktische Anwendung im ambulanten Bereich aufgrund fehlender Technikkompetenzen aller ­Beteiligten, nicht ausreichender Funktionalität des Geräts sowie ethischen und Finanzierungsfragen als eher ungeeignet eingeschätzt. Die Möglichkeit, den Kontakt zwischen Pflegebedürftigen und Angehörigen durch das Gerät zu intensivieren, wird als äußerst positiv erachtet. Weitere Einsatzoptionen könnten die schnelle Kontaktaufnahme in Notfallsituationen oder die Betreuung der Medikamenteneinnahme sein. Schlussfolgerung: TPS sind für den Einsatz in der ambulanten Pflege nicht ausgereift. Zur Entfaltung ihres Potenzials wäre die frühzeitige Einbindung von Pflegekräften bei der Entwicklung von Pflege­ technologien entscheidend. Der Erwerb von Technikkompetenzen bereits in der Pflegeausbildung würde Pflegekräften dabei ­helfen, an diesem Entwicklungsprozess teilzunehmen. Schlüsselwörter: Telepräsenzsystem, Assistenzsysteme, ambulante Pflege How nurses assess telepresence systems in outpatient care – A qualitative study Abstract: Background: Robotic assistance devices are reviewed as being promising technological developments in healthcare to assist elderly patients and to foster autonomy in their home environment as long as possible. Also, telepresence systems (tps) currently in use to facilitate several nursing tasks are reviewed under the same perspective. Aim: The study aims to des­ cribe how nurses estimate the use of a tps in outpatient care. Method: After a presentation of a tps, focus groups of nurses (n = 4) in Saxony-Anhalt discussed freely on possible applications, concerns and potential of the system in outpatient care. The analysis followed the documentary method developed by Bohnsack, Nentwig-Gesemann & Nohl (2007). Results: The tps ­presented was considered rather unsuitable for practical application in outpatient care. As main reasons nurses voiced theirs and patients’ lack of technical competence; limited mobility functions of the device; ethical and financial concerns. The opportunity to intensify contact between patients and relatives was considered very positive. Faster contact in case of emergency as well as nurse supervised intake of medication were considered as important further practical applications of the device. Conclusions: Tps are not suitable yet for practical implementation in outpatient care. Acquiring appropriate technical know­ ledge during nursing education programs can help nurses to participate in the engineering development process this way increasing the potential of such devices and more in general can help nurses to handle more easily further technical innovations in healthcare. Keywords: Robotic assistance, telepresence system, community nurse, outpatient care

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J. Geier et al.: Telepräsenzsysteme für die ambulante Pflege? – Sichtweise von Pflegekräften

Was ist schon bekannt? International werden Telepräsenzsysteme in der pflegerischen Versorgung eingesetzt. Was ist neu? Telepräsenzsysteme eignen sich nur bedingt für den Einsatz in der ambulanten Versorgung, z. B. für die Kommu­ nikation mit Angehörigen oder die Anwendung in Notfall­ situationen. Welche Konsequenzen haben die Ergebnisse für die Pflege­ praxis? Pflegekräfte sollten in die Entwicklung der telepräsenten Pflegeszenarien eingebunden werden. Die Vermittlung von Technikkompetenzen in der Ausbildung wäre hilfreich.

Einleitung Der demografische Wandel stellt unsere Gesellschaft vor vielfältige Herausforderungen. Neben dem Anteil älterer Menschen steigt die Lebenserwartung der Menschen weiter an (Statistisches Bundesamt, 2015). Mit steigendem Alter wächst auch die Morbidität und die Abhängigkeit von Leistungen des Gesundheitssystems (Murray et al., 2015), wodurch sich angesichts des sich weiter verschärfenden Pflegefachkräftemangels Fragen der adäquaten Versorgung quantitativer sowie qualitativer Natur stellen. Zwischen 1996 und 2008 wurden rund 50.000 Vollzeitstellen abgebaut (DIP, 2009). Weniger Pflegekräfte müssen demnach zum einen mehr und zum anderen verstärkt multimorbide Patienten und Patientinnen versorgen, was zu einer entsprechend hö­ heren Arbeitsbelastung führt (Storm, 2018). Mit dem „Ageing in place“-Ansatz wird versucht zu ermöglichen, dass älter werdende Menschen an einem Ort ihrer Wahl leben und bei Bedarf unterstützt werden können (Boldy, Grenade, Lewin, Karol & Burton, 2011), nicht zuletzt um die Ressourcen des Gesundheitssystems zu schonen. Im Zuge dieser Situation werden zunehmend neue, ­innovative Lösungsansätze auch im Bereich technischer Assistenzsysteme diskutiert. Eine Vielzahl von Förder­ linien (u. a. BMBF, 2008, 2018), die das Ziel verfolgen, den Verbleib älterer Menschen in der Häuslichkeit zu realisieren und somit auch Versorgungsengpässen zu begegnen, sind aus diesem Grund in den letzten Jahren auf den Weg gebracht worden. Da keine Differenzierungsmög­ lichkeiten der Begrifflichkeiten in der Pflege vorliegen, werden technische Assistenzsysteme, assistive Techno­ logien oder auch Digitalisierung häufig synonym verwendet (Kunze & König, 2017). Rösler, Schmidt, Merda und Melzer (2018) teilen aus diesem Grund die Digitalisierung im Pflegebereich in vier Bereiche ein: Elektronische Pflege­ dokumentation, Technische Assistenzsysteme, Telecare und Robotik. Telepräsenzsysteme (TPS) tangieren sowohl den Bereich der Robotik als auch den Bereich Telecare. TPS bezeichnen in der Regel Maschinen, die über Fernsteuerungen bewegt werden können. Diese Systeme ermöglichen es, via Internet in Echtzeit mit nicht physisch anwesenden Personen zu kommunizieren, was durch die Pflege (2020), 33 (1), 43–51

Anbringung eines Mikrofons und einer Webcam erreicht wird. Kennzeichnend für diese Art von Systemen ist die Mobilität des Geräts durch das Anbringen von kleinen Rädern, wobei die Lenkung über das Internet erfolgt, sodass eine Interaktion mit der Umwelt stattfinden kann (Vaughn, Schaw & Molloy, 2015). Die Entwicklung von TelecareAnwendungen hat laut Rösler et al. (2018) gerade erst begonnen, sie sind entsprechend bei Pflegekräften wenig bekannt. Es gibt eine Vielzahl von Forschungsprojekten, die sich mit telepräsenten Anwendungen im Rahmen der Pflege auseinandersetzen, auch mit dem Ziel, den genannten ­gesellschaftlichen Herausforderungen zu begegnen. Beispielsweise werden Einsatzmöglichkeiten eines TPS in Bezug auf die Entlastung pflegender Angehöriger er­ forscht (Hochschule Fulda, 2017). Bakas et al. testen 2018 in den USA das „T-CHAT“-Programm, bei dem eine Pflege­kraft mittels eines TPS eine Beratung von älteren Menschen zu Gesundheitsthemen wie dem Management von chronischen Erkrankungen durchführt. Die Evalua­ tion zeigt eine hohe Zufriedenheit im Hinblick auf Nützlichkeit, Anwenderfreundlichkeit und Akzeptanz. Die ­Autoren und Autorinnen sehen in dieser Technologie eine große Chance, Menschen trotz weiter Entfernungen für gesundheitliche Themen zu erreichen. Eine mixed-­ methods-Studie von Moyle, Jones, Dwan, Ownsworth und Sung (2018) beschäftigt sich mit dem TPS „Giraff “ und dessen Wirkung auf Menschen mit Demenz. So berichten die Teilnehmenden, dass sie sich mit dem Gegenüber durch das TPS verbunden fühlen und eine gewisse Präsenz der Person trotz Entfernung wahrnehmen. Eine weitere explorative Studie von Kristoffersson, Coradeschi, Loutfi & Severinson-Eklundh (2011) fokussierte sich auf die Akzeptanz von TPS und kam zu dem Schluss, dass die Kommunikation zwischen Pflegekräften und Pflegebedür­ ftigen mittels TPS den Pflegebedürftigen Sicherheit trotz Entfernung geben kann. Auch in der psychiatrischen ­Pflege wurden vielversprechende Ergebnisse durch den Einsatz von Telenursing erzielt. Beebe et al. (2008) stellen einen positiven Effekt von „Telenursing Interventions“ auf die Einhaltung von Medikamentenverordnungen bei ambulanten Patienten und Patientinnen mit Schizophrenie fest. In einer qualitativen Studie führen Boissy, Corriveau, Michaud, Labonte und Royer (2007) jeweils eine Fokusgruppe mit älteren Menschen mit Einschränkungen und Angehörigen des Gesundheitssektors durch. Dabei wurde eine intensivere Kommunikation, Beratung bezüglich Medikamenteneinnahme und ein erhöhtes Sicherheitsgefühl der Patienten und Patientinnen als positive Auswirkungen des TPS-Einsatzes im ambulanten Pflegesetting skizziert. Die Anzahl und inhaltliche Spannbreite der in den letzten Jahren durchgeführten Studien zeigt die Aktualität und Bedeutung von telepräsenten Technologien auch für die pflegerische Versorgung. Für den deutschsprachigen Raum gibt es bisher keinerlei Studien, die die Einstellungen von Pflegekräften gegenüber Telepräsenzsystemen im pflegerischen Kontext der ambulanten Versorgung in den Blick nehmen. © 2019 Hogrefe


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Ziel und Fragestellung Ziel der Studie ist es deshalb zu erörtern, ob und inwieweit die ambulante Pflege in Deutschland, aus Sicht der Pflegekräfte, vom Einsatz von TPS profitieren kann. Im Fokus stehen dabei die professionellen Pflegekräfte aus dem ambulanten Bereich, da diese über umfassende Expertise verfügen, um Situation und Rahmenbedingungen für den möglichen Einsatz einschätzen zu können. So soll sichergestellt werden, dass die Technikentwicklung für den Gesundheitsbereich nicht an den Bedarfen der Nutzer und Nutzerinnen vorbeigeht. Deshalb ist die Fragestellung ­dieser Arbeit: „Wie schätzen Pflegekräfte den möglichen Einsatz von Telepräsenzsystemen im ambulanten Bereich ein?“ Im Fokus stehen mögliche Anwendungsfelder, Chancen und Grenzen des Einsatzes von TPS sowie ­notwendige Bedingungen für mögliche Schulungen von ­Pflegekräften.

Methodisches Vorgehen Forschungsdesign Um die qualitative Fragestellung nach der subjektiven Einschätzung der Pflegekräfte in Bezug auf den Einsatz des TPS beantworten zu können, wurden Fokusgruppen durchgeführt, da der kollektive Erfahrungsraum, ent­ stehend durch den gegenseitigen Ideen- und Erfahrungsaustausch der Gruppe, interessierte.

Rekrutierung Nach einer orientierenden Standortrecherche von ambulanten Pflegediensten in Sachsen-Anhalt wurden insgesamt 28 Pflegedienstleitungen dieser Dienste postalisch und per E-Mail kontaktiert, mit der Bitte Pflegekräfte ihrer Einrichtung für die Durchführung einer Fokusgruppe zu gewinnen. Die Teilnehmendeninformation (siehe elek­ tronisches Supplement ESM1), die Einwilligungserklärung (elektronisches Supplement ESM2), sowie Flyer des Projektes (elektronisches Supplement ESM3) wurden mit ­einem Anschreiben versendet. 14 der kontaktierten Pflege­ dienste liegen im Innenstadtbereich in Halle (Saale) und 14 im ländlichen Bereich in Sachsen-Anhalt. Es folgte eine telefonische Kontaktaufnahme. Die Einschlusskriterien für die Pflegedienstauswahl besagen, dass das Einsatz­ gebiet des Pflegedienstes in Sachsen-Anhalt liegen müsse und der Pflegedienst für die interaktive Vorführung des TPS „Double 2“ über ein stabiles W-LAN verfügen sollte. Lehnten Pflegedienstleitungen die Teilnahme ab, wurde kein weiterer Kontaktversuch unternommen. Bei der rekrutierten Teilnehmendenzahl handelt es sich um ein „convenience sampling“ (Kromrey & Strübing, 2009). ­ Folgende Einschlusskriterien lagen für die teilnehmen­ den Pflegekräfte zugrunde: Es wurden nur examinierte

­ flegekräfte im Bereich Krankenpflege, Altenpflege oder P Kinderkrankenpflege angesprochen, die mindestens zwei Jahre Berufserfahrung im ambulanten Bereich vorweisen konnten. Dieses Kriterium wurde in Anlehnung an das Kompetenzstufenmodell nach Benner (2017) festgelegt. Demnach sollen die Teilnehmenden mindestens über die Qualifikation eines „Fortgeschrittenen Anfängers“ verfügen. Mit diesen Kriterien sollte gewährleistet werden, dass die Pflegekräfte umfassend mit den Bedingungen ihres Arbeitsplatzes in der ambulanten Pflege vertraut sind und über ausreichend Praxiserfahrung verfügen, um die Einsatzmöglichkeiten und Grenzen des TPS realistisch einschätzen zu können. Darüber hinaus wurden gute Kenntnisse der deutschen Sprache vorausgesetzt, um die reibungslose Durchführung der Fokusgruppen sicherzustellen.

Datensammlung Für die Gestaltung der Fokusgruppen lag ein halbstrukturierter Leitfaden (elektronisches Supplement ESM4) vor, dessen Erstellung mittels der Richtlinie von Kallio, Pietilä, Johnson und Kangasniemi (2016) stattfand. Demnach fand ein erstes Peerreview des Leitfadens in der Arbeitsgruppe statt. Es folgte ein Experten-Review und ein Pretest mit vier Pflegekräften mit dem Ziel die Präsentation und den Interviewleitfaden auf Verständlichkeit zu testen. Eine Modifikation, die sich aus dem Pretest ergab, bestand darin, eine interaktive Vorstellung des TPS durchzuführen anstatt eine Power-Point-Präsentation zu dem Gerät zu präsen­ tieren. So wurden im Zeitraum von April bis Juli 2018 vier Fokusgruppen, rekrutiert aus jeweils vier Pflegediensten durchgeführt. Nach einer informierten Studieneinwilligung wurde in einem interaktiven Teil das TPS vorgeführt, wozu eine Internetverbindung nötig war. Die Teilnehmenden konnten das Gerät ausprobieren und Fragen stellen. Im Anschluss wurde zur Diskussion der Fokusgruppen übergegangen. Beide Teile wurden mit jeweils zwei Audioaufnahmegeräten aufgezeichnet. Drei der Fokusgruppen fanden in den Räumlichkeiten der Pflegedienste statt, eine im Dorothea-Erxleben-Lernzentrums der Martin-LutherUniversität Halle-Wittenberg. Außer den Forschenden und den in ihrer Freizeit an der Studie teilnehmenden Pflegekräften waren keine Personen anwesend. Die konkrete Durchführung der Fokusgruppengespräche folgte den Empfehlungen von Krueger und Casey (2015). So moderierte ein Forschender die Fokusgruppe, während der oder die andere Feldnotizen anfertigte. Die Fokusgruppen­ gespräche inklusive der Vorstellung des Geräts dauerten ­zwischen 42 und 60 Minuten.

Datenauswertung Die aufgenommenen Fokusgruppengespräche wurden im Anschluss mit dem Softwareprogramm „F4“ nach den Transkriptionsregeln nach Dresing und Pehl (2015) ver-

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schriftlicht. Die Auswertung erfolgte mit der Dokumentarischen Methode nach Bohnsack, Nentwig-Gesemann & Nohl (2007), da die im Gruppenprozess entstehenden Sichtweisen bezüglich des TPS für die Fragestellung von besonderer Bedeutung sind. Im Fokusgruppengespräch interessierte besonders der „konjunktive Erfahrungsraum“ (Bohnsack et al., 2007, S. 2 11), der eine von der konkreten Gruppe gelöste Kollektivität beschreibt und durch die Teilhabe an Handlungspraxen und gemeinsamen Bedeutungsstrukturen entsteht. So sind die gemeinsamen Einstellungen oder Orientierungen der Pflegekräfte hinsichtlich des TPS, die sich im menschlichen Miteinander und der gelebten Praxis ausdrücken, entscheidend. Orientierungen beschreiben in diesem Zusammenhang identi­ fizierte fallübergreifende Themen, die abstrahiert werden konnten (Bohnsack et al., 2007). Im ersten Schritt der Analyse wurde mit dem Ziel, einen strukturierten Überblick über das Datenmaterial zu er­ halten, ein thematischer Verlauf erstellt (Bohnsack et al., 2007). Das Transkript wurde anhand von thematischen Abhandlungen von Seiten der Teilnehmenden in „Passagen“ eingeteilt. Der nächste Analyseschritt bestand in der Durchführung der „formulierenden Interpretation“ (Bohnsack et al., 2007), die eine Feingliederung des Textes ermöglichte. Eine Passage wurde dabei in Ober- und diese wiederum in Unterthemen aufgeteilt, die jeweils thematisch benannt und paraphrasiert wurden. In der „reflektierenden Interpretation“ wurde die Explikation ­ der Handlungsorientierungen durchgeführt (Bohnsack et al., 2007). Die Themen, die besonders intensiv und ­häufig an verschiedenen Stellen der Gespräche auftauchten, wurden nach dem Prinzip des minimalen Kontrasts als „homologe Sinnstrukturen bzw. Orientierungen“ identifiziert. Nach Betrachtung dieser Orientierungen innerhalb der einzelnen Fälle folgte im Sinne einer „kompara­ tiven Analyse“ (Bohnsack et al., 2007) der Vergleich der vier Transkripte untereinander. Es konnten 14 Orientierungen identifiziert werden. Im Sinne der „sinngene­ tischen Typenbildung“ (Bohnsack et al., 2007) wurden diese Orientierungen anschließend durch Präzision zu ­Basistypiken abstrahiert, wobei zwei Basistypiken mittels des Prinzips des „maximalen Kontrasts“ bei der „sozio­ genetischen Typenbildung“ voneinander abgegrenzt werden konnten. Die vier vorliegenden Transkripte wurden für die Analyse auf die Forschenden aufgeteilt und in Einzelarbeit bearbeitet. Nach jedem Analyseschritt wurden

die Ergebnisse im Forschungsteam besprochen und über Uneinigkeiten diskutiert, bis ein Konsens hinsichtlich der Paraphrasierung und Codierung erreicht wurde. Als unterstützendes Softwareprogramm diente „MAXQDA“. Im Hinblick auf die Ergebnisberichterstattung wurde das COREQ-Statement verwendet.

Ethische Aspekte Auf die Prüfung des Forschungsprojekts bei der Ethik­ kommission der Universität Halle-Wittenberg wurde verzichtet, da die Pflegekräfte als Studienteilnehmende keine vulnerable Gruppe darstellen. Des Weiteren wurden keine sensiblen Themen in den jeweiligen Fokusgruppen angesprochen. Die Studie orientierte sich an den Richtlinien zur guten klinischen Praxis (ICH, 2009).

Ergebnisse Die vier durchgeführten Fokusgruppen setzen sich aus ­insgesamt 27 Pflegekräften aus dem ambulanten Setting zusammen, wobei diese in unterschiedlichen Arbeits­ feldern tätig sind. Der Großteil der Befragten ist in der ambulanten pflegerischen Versorgung tätig, wenige Pflegekräfte sind derzeit in der Tagesbetreuung eingesetzt. Abgesehen von zwei Ausnahmen nahmen nur Frauen teil. Die Zusammensetzung der Fokusgruppen ist in Tabelle 1 dargestellt. Die Basistypiken werden im Folgenden mit den identi­ fizierten Orientierungen und illustrierenden Ankerbeispielen dargestellt, wobei sich oftmals Orientierungen auch beiden Basistypiken zuordnen lassen, wie in Abbildung 1 deutlich wird. Die befragten Pflegekräfte zeigen großes Interesse an technischen Systemen zur Unterstützung und Entlastung der Pflegekräfte, gleichzeitig war die Skepsis hinsichtlich des konkreten Systems des TPS sehr hoch. Diese Ambi­ valenz zeichnet sich in den abstrahierten Basistypiken ab: „Offene Einstellung bezüglich des Einsatzes des Tele­ präsenzsystems in der ambulanten Pflege“ (Basistypik 1) und „Skeptische Einstellung bezüglich des Einsatzes des ­Telepräsenzsystems in der ambulanten Pflege“ (Basis­ typik 2).

Tabelle 1. Soziografische Daten der Fokusgruppen FG1

FG2

FG3

FG4

Anzahl Pflegekräfte

13

2

6

6

Geschlechterverteilung

weiblich

weiblich

4 weiblich, 2 männlich

weiblich

Region

Land

Stadt

Land

Stadt

Altersspanne in Jahren

zwischen 21 und 62

zwischen 40 und 50

zwischen 25 und 55

zwischen 21 und 62

Arbeitsbereiche

ambulante Pflege + Führungsperson

ambulante Pflege

ambulante Pflege und Tagespflege + Führungsperson

ambulante Pflege und angegliederte Tagesbetreuung

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Abbildung 1. Überblick der identifizierten Basistypiken und den dazugehörigen Orientierungen.

Offenheit

Skepsis

Die Orientierung „Nutzung durch Angehörige“, beschreibt die vorrangig positive Einstellung der Teilnehmenden gegenüber der Möglichkeit verstärkter Kommunikation zwischen Pflegebedürftigen und Angehörigen. Im Speziellen geht es hier um die soziale Komponente der Kontaktaufnahme auf beiden Seiten, aber auch der Absicherung für die Angehörigen, dass es der betroffenen Person gut geht: „Naja, aber es wäre für mich dann eine Sicherheit, wenn ich irgendwo bin und nach Hause gucken kann und mit Mutti / Ist alles noch in Ordnung?“ (FG1, S. 24, Z. 851). Die Pflegekräfte versetzen sich in die Lage der Angehörigen hinein und betonen, dass eine Kontaktaufnahme mittels TPS hilfreich wäre, um sich zu vergewissern, dass es den Menschen, um die sie sich sorgen, gut geht. Dass hier die Kamera eine wichtige Rolle zu spielen scheint, wird durch den Ausdruck „nach Hause gucken“ deutlich. Der Einsatz in Notfallsituationen wird als mögliches Einsatzszenario gesehen: „So könnte man das Ding halt dahin fahren, wo der Patient liegt, wenn es ihm schlecht geht. Er kann nicht aufstehen und hat eben ein Gesicht schon vor sich und weiß‚ aha, alles gut, kommt gleich ­jemand.“ (FG3, S. 5, 133 – 136). Dabei wird beschrieben, welche Vorteile ein TPS gegenüber einem Hausnotruf ­hätte. So wird ein hypothetisches Szenario der Pflegekräfte, in dem durch ein Signalwort eine Notfallverbindung aufgebaut werden könnte, als äußerst positiv beschrieben. Die Ersteinschätzung der Notfallsituation und die Beruhigung des Patienten oder der Patientin wird als wünschenswert benannt. Weitere Einsatzmöglichkeiten des TPS in der häuslichen Pflege werden in der Assistenz der Medikamenteneinnahme und in Beratungskontexten, beispielsweise der Wundbegutachtung erkannt.

Ein vielfach diskutiertes Thema und deshalb auch eine ­generierte Orientierung beschäftigt sich mit der Rolle des Alters hinsichtlich der Technikakzeptanz sowohl von Pa­ tienten- und Patientinnenseite als auch von Personalseite: „Vielleicht in 20 Jahren, wenn wir diejenigen sind, die so was brauchen. Oder in 40 (lachen). Wir akzeptieren vielleicht so was dann doch eher als die heutige Generation“ (FG1, S. 4, Z. 168 – 170); „Bei diesem älteren Personal ist es wiederum schwierig, dass die mit der Technik klarkommen.“ (FG2, S. 10, Z. 491 – 492). Die Pflegekräfte beschreiben, dass eher wenig Akzeptanz auf Seiten der älteren zu versorgenden Menschen vorherrscht, sich dies aber mit dem Wandel der Generationen ändern wird. Auf der Personalseite werden Schwierigkeiten im Umgang und in der Bedienung des TPS gesehen und festgestellt, dass die meisten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zunächst eine Grundqualifikation benötigen, um diese Kompetenzen ­erlernen zu können. Ethisch relevante Aspekte finden sich etwa in der Orientierung „Überwachung“. Dabei werden vor allem Aspekte der Privatheit thematisiert, die mit dem virtuellen Eintritt in die Häuslichkeit der Pflegebedürftigen aufkommen: „Das ist natürlich ein Überwachungstool, ganz klar. Ich kann zur Medikamentenbox hinfahren und gucken.“ (FG3, S. 2 3, Z.351 – 352). Die mögliche Kontrolle des Patienten oder der Patientin durch das Pflegepersonal oder die Angehörigen wird kritisch gesehen. Die Orientierung „Ungenügende Funktionalität des Geräts“ beschreibt die Einstellungen der Teilnehmenden, dass das TPS nicht genügend bzw. nicht die richtigen Funktionen bietet, um für den Praxiseinsatz in der ambulanten Pflege geeignet zu sein: „Wenn es erkennen könnte,

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dass ein Notfall eingetreten ist. Das wäre eine schöne S­ache.“ (FG1, S. 9, Z. S. 426). Das TPS müsste laut den Pflegekräften Gefahren ausweichen, Hindernisse über­ winden können und am besten durch Sprache bedienbar sein, um in der Häuslichkeit einsatzfähig zu sein. Eng verbunden damit ist die Orientierung „Infrastrukturelle Bedingungen“, die sich mit baulichen, technischen oder strukturellen Gegebenheiten beschäftigt, die notwendig für den Einsatz des TPS sind bzw. diesem entgegenstehen: „Na, ich denke mal, Stufen. Das werden so diese Probleme sein.“ (FG2, S. 11, Z. 547). So wird angemerkt, dass das vorgestellte TPS nicht für die Bedingungen, die in der Häuslichkeit vorzufinden sind, ausgestattet ist. Außerdem wird die unzureichende Internetverbindung in ländlichen Gebieten für die Bedienung als großes Hindernis genannt. Die nächste Orientierung wurde mit „Fürsorge nur von Menschen“ betitelt. Hierbei geht es um die Einstellung der teilnehmenden Pflegekräfte, dass Geräte wie das TPS den Menschen nie ersetzen, sondern nur unterstützen sollten. Vor allem bei pflegerischen Tätigkeiten, die Nähe und Körperkontakt beinhalten, sollte nach Meinung der Befragten auf die Nutzung von Technik verzichtet werden, wobei sie sich auf die Bedürfnisse der Pflegebedürftigen beziehen: „Aber trotzdem sehe ich das große Problem eher in der Hinsicht wirklich, dass die Leute lieber Menschen dann bei sich hätten.“ (FG3, S. 6, Z. 176 – 178). So wird betont, dass die zwischenmenschlichen Kontakte durch den Einsatz des TPS nicht verringert werden dürften, da dies weder dem Wunsch der Pflegebedürftigen entsprechen noch eine als erstrebenswerte gesellschaftliche Entwicklung darstellen würde: „Weil ich weiß sonst nicht, wo unsere Gesellschaft hingeht, wenn ich mich von der Maschine pflegen lassen muss. Also das / die Vorstellung alleine ist (unv.) gruselig.” (FG1, S. 6, Z. 981 – 983). Außer den hier dargestellten wurden folgende Orientierungen im Datenmaterial gefunden, die aus Platzgründen nicht vertieft werden können: Die Orientierung „Anforderungen an den Patienten bzw. Patientin durch Technik“ beschreibt den Blick der Teilnehmenden auf Voraussetzungen, die diese für die Nutzung des TPS erfüllen müssen, vor allem in ­kog­nitiver Hinsicht, z. B. bei Menschen mit Demenz. So wird beschrieben, dass einerseits die Bedienung aber auch die Auseinandersetzung mit dem TPS insgesamt Patienten und Patientinnen viel abverlangt, da das Gerät nicht an deren Lebenswelt angepasst zu sein scheint. Zur Orien­ tierung „Mögliche Gefahren durch das Gerät“ gehören Einstellungen zur Privatsphäre und zum Datenschutz wie auch die mögliche Stolper- oder Verletzungsgefahr. Die befragten Pflegekräfte diskutieren in diesem Zusammenhang die Verletzung der Privatsphäre und fehlende Regulierungen, wenn Angehörige oder auch Pflegekräfte sich durch Einloggen im Gerät virtuellen Zugang zur Häuslichkeit verschaffen. Durch das Fehlen von entsprechenden Sensoren am TPS sehen die Befragten auch die Gefahr von Kollisionen mit Personen oder Gegenständen. In der Orientierung „Finanzierung / Abrechnung“ werden Aspekte zum Umgang mit den Anschaffungskosten des Systems und dem Problem mit der Abrechnung von Pflege (2020), 33 (1), 43–51

Leistungen thematisiert und die Orientierung „Zeitmangel und Effizienz“ beinhaltet Aussagen der beteiligten Pflegekräfte, die sich mit der Zeitersparnis oder auch dem erhöhten Zeitaufwand durch die Nutzung des TPS beschäftigen. Die Orientierung „Zukunftsängste“ bezieht sich auf die Frage, wie Pflege zukünftig gestaltet werden kann während die Orientierung „Schulungsbedingungen“ Gedanken der Teilnehmenden zu inhaltlichen und strukturellen Rahmenbedingungen einer möglichen Schulung zum Umgang mit dem TPS und Anforderungen an das geschulte Personal bündelt.

Diskussion Die herausgearbeiteten Orientierungen auf Seiten der ­ambulanten Pflegekräfte zeigen eine große Spannbreite an relevanten Themen bezüglich der Fragestellungen. Dies weist auf einen sehr reflektierten Umgang der Pflegekräfte mit dem Einsatz oder der möglichen Implementierung von technischen Innovationen hin. Generell zeigen sich die Pflegekräfte offen und neugierig gegenüber Technikanwendungen, was die herausgearbeitete Basistypik 1 belegt und sich mit den Ergebnissen von Rösler et al. (2018) deckt. Des Weiteren benennen die befragten Pflegekräfte gezielt mangelnde Funktionalität und Bedienbarkeit des Geräts bezüglich des Einsatzes in der Pflege, was die Akzeptanz nachweislich erschwert (Hülsken-Giesler, 2011). Positiv ist die hohe Bereitschaft der Pflegekräfte an der Studie teilzunehmen und teilzuhaben. Dies deutet auf ein ausgeprägtes Interesse der Berufsgruppe an technischen Innovationen im Pflegebereich hin. Als mögliche Einsatzszenarien des TPS wird unter anderem die Kontaktaufnahme zu und von Angehörigen und das dadurch verbesserte Sicherheitsgefühl aller Beteiligten genannt, das auch Kristoffersson et al. (2011) identifiziert. Es wird sowohl auf die Rolle der Angehörigen eingegangen als auch auf die Nutzung für die pflegerische Versorgung. Die Begleitung und Sicherstellung der Medikamenteneinnahme des Patienten bzw. der Patientin ist dabei ein Szenario, das auch Beebe et al. (2008) für Patienten und Patientinnen mit Schizophrenie beschreiben. Die Pflegekräfte formulieren ebenfalls deutlich, welche Tätigkeiten das ­ TPS im Speziellen, aber auch technische Systeme wie etwa Roboter im Allgemeinen ihrer Ansicht nach übernehmen sollten und welche nicht. So berichten die Teilnehmenden der Studie von Moyle et al. (2014) ebenfalls, dass der Einsatz des TPS nicht dazu führen dürfe, dass menschlicher Kontakt ersetzt werde. Letztlich erkennen die befragten Pflegekräfte sowohl die Chance des Geräts, soziale Isolation möglicherweise zu verringern, sowie die Gefahr, dass sich Pflegebedürftige vor dem TPS fürchten könnten. Auch ethische Gesichtspunkte werden umfassend beleuchtet. Dabei stehen Aspekte wie der Eingriff in die Privatsphäre im Vordergrund. Ähnliche Ergebnisse lassen sich bei Boissy et al. (2007) finden. Die Vorstellung von „guter Pflege“ spielt ebenfalls © 2019 Hogrefe


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eine große Rolle. Das Anliegen, die Bedarfe der Pflegekräfte sowie der Pflegebedürftigen deutlich zu formulieren, wird in den Fokusgruppen klar kommuniziert. Dieser Umstand sollte genutzt werden, um Pflegekräfte gezielt und vermehrt in die Entwicklung von Pflegetechnologien miteinzubeziehen (Fuchs-Frohnhofen et al., 2018). Große Hemmnisse beim Einsatz solcher Technologien in die Pflegepraxis werden nicht nur beim Gerät an sich, sondern auch im Wissens- und Kompetenzstand der Pflegekräfte gesehen. Eine Schulung, die den Umgang mit dem TPS adressiert, sollte demnach möglichst wenig Technikkompetenzen voraussetzen und durch praktische Übungen begleitet werden. Es ist somit von einem hohen Schulungsaufwand auszugehen, der mit der Implementierung von technischen Innovationen einhergeht, wie ihn auch Isfort et al. (2018) hinsichtlich der Nutzung von Kommunika­ tionstechnologien identifiziert. Schließlich werden neben der mangelnden Funktionalität des Geräts und fehlenden Kenntnissen auf Seiten der Mitarbeitenden auch struk­ turelle Hemmnisse für den Einsatz des Geräts erkannt. Dabei sind vor allem Fragen nach der Kostenübernahme und dem Zugang zum Internet entscheidend. Dieser Aspekt gilt neben der fehlenden Kosteneffizienz und ­ ­Zweifeln an der Wirksamkeit als Ursache für die allgemein noch geringe Verbreitung von technischen Assistenzsys­ temen (Weinberger & Decker, 2015).

Limitationen Im Zuge einer ersten Auseinandersetzung mit dem Thema ließen sich über die Fokusgruppen hinweg ähnliche Orientierungsrahmen identifizieren, somit konnte eine gewisse Datensättigung erreicht werden. Das ursprüngliche Einschlusskriterium der abgeschlossenen Berufsausbildung inklusive mindestens zweijähriger Berufserfahrung in der Pflegepraxis zielte auf Pflegekräfte ab, die derzeit in der Praxis tätig sind. Dennoch waren ungeplant in zwei Fokusgruppen auch Führungskräfte der jeweiligen ambulanten Pflegedienste anwesend. Hiervon geht eine potenzielle Verzerrung aus, da die Führungskräfte zum einen nicht mehr in der Praxis tätig sind, entsprechende Weiterbil­ dungen im betriebswirtschaftlichen Bereich besitzen und zum anderen eventuell das Antwortverhalten der Teilnehmenden beeinflussen können. Obwohl für die Rekrutierung die ambulanten Pflegedienste per Zufall ausgewählt wurden, kann nicht ausgeschlossen werden, dass es hier aufgrund der freiwilligen Teilnahme zu Verzerrungen gekommen ist. Der Großteil der Interviewten war weiblich, was die Realität der Pflegeberufe widerspiegelt. Das genaue Alter der einzelnen befragten Pflegekräfte wurde nicht dokumentiert, es befanden sich jedoch Pflegekräfte unterschiedlichen Alters und Berufserfahrung in der ­Stichprobe. Durch kurzfristige Absagen wurde eine der Fokusgruppen aus organisatorischen Gründen mit nur ­ zwei Teilnehmenden durchgeführt. Dadurch war die Gesprächsdynamik eine andere als bei den restlichen Fokusgruppen, jedoch konnten wiederkehrende Orientierungen

auch hier gefunden werden. Eine Limitation der durch­ geführten Studie besteht indes darin, dass nur ein Gerät einer Firma zur Verfügung stand. Somit beziehen sich die von den Teilnehmenden gezeigten Reaktionen nur auf den „Double 2“, eine Verallgemeinerung auf andersartige Geräte ist nicht möglich. Die Durchführung der Fokusgruppen bezog sich ausschließlich auf das Bundesland Sachsen-Anhalt, somit sind die Ergebnisse auch nur vor diesem Hintergrund zu betrachten. Ferner stellte sich heraus, dass das Einschlusskriterium „stabiles W-LAN“ für die Vorstellung des TPS nicht zwingend notwendig war, da auch über einen Hotspot eine ausreichend stabile Verbindung aufgebaut werden konnte. Zur Qualitätssicherung wurde der gesamte Prozess in Durchführung, Auswertung und Interpretation durch die Teamarbeit der Forschenden begleitet, um die intersubjektive Nachvollziehbarkeit zu gewährleisten (Przyborski & Wohlrab-Sahr, 2014). Dennoch kann nicht ausgeschlossen werden, dass andere ­Forschende die Daten anders interpretieren würden.

Schlussfolgerungen und Ausblick Die Ergebnisse dieses Forschungsprojektes weisen darauf hin, dass aus Sicht der ambulanten Pflegekräfte das verwendete TPS „Double 2“ in dieser Form nur in Ansätzen für den Praxiseinsatz geeignet ist. Die Pflegekräfte sind gegenüber dem Technikeinsatz sehr offen, betonen jedoch die Notwendigkeit von Kompetenzentwicklung innerhalb der eigenen Berufsgruppe. So bietet es sich an, schon frühzeitig, etwa im Rahmen der Ausbildung, eine Grundqualifi­ zierung im technischen Bereich anzustreben, um Pflegekräfte auch in ihrem weiteren Werdegang in die Lage zu versetzen, mit pflegetechnischen Innovationen umzugehen und auch an deren Entwicklungsprozess teilzuhaben. Bei der Entwicklung von Technikinnovationen erscheint es notwendig, die Pflege als Profession nicht nur mit einzubeziehen, sondern vielmehr die Entwicklung auf die konkreten Bedarfe der Pflegekräfte und Pflegebedürftigen auszurichten. Diese Dringlichkeit wird auch im Memorandum „Arbeit und Technik 4.0 in der professionellen Pflege“ (FuchsFrohnhofen et al., 2018) deutlich. Die Pflegewissenschaft kann hierbei Anforderungen an Technik aus Sicht der ­Pflegekräfte und aus Sicht der Betroffenen identifizieren, formulieren und kommunizieren und somit eine Übersetzerrolle zwischen Konstrukteuren und Konstrukteurinnen auf der einen sowie Nutzern und Nutzerinnen auf der an­ deren Seite einnehmen. Dazu bedarf es entsprechender (räumlicher) Möglichkeiten des Ausprobierens und Reflektierens, wie es bspw. in Skills Labs der Fall ist. Wichtig erscheint dabei neben der empirischen Begleitung der ­ Technikentwicklung auch die Evaluationsforschung, um die Auswirkungen implementierter Technologien zeitnah einschätzen zu können. Die Bedingungen, unter denen eine Pflegetechnologie als „nützlich“ für Nutzer und Nutzerinnen erscheint, sind dabei noch weitestgehend unberücksichtigt. Hier bedarf es sowohl einer theoretischen Orientierung, z. B. im Rahmen eines Nutzenmodells für

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Assistenztechnologien (Lutze, Glock, Paulicke & Stubbe, in press), in dem Kriterien der Beurteilung festgelegt sind, als auch einer praktischen Einordnung in Prozessen der Pflege.

Elektronische Supplemente ESM Die elektronischen Supplemente sind mit der Online-­ Version dieses Artikels verfügbar unter https://doi.org/ 10.1024/1012-5302/a000709. ESM1. Teilnehmendeninformation. ESM2. Rekrutierungsflyer 1. ESM3. Rekrutierungsflyer 2. ESM4. Interviewleitfaden.

Literatur Bakas, T., Sampsel, D., Israel, J., Chamnikar, A., Ellard, A., Clark, J. G. et al. (2018). Satisfaction and Technology Evaluation of a Telehealth Robotic Program to Optimize Healthy Independent ­Living for Older Adults. Journal of Nursing Scholarship, 50(6), 666 – 675. Beebe, L, Smith, K., Crye, C., Addonizio, C., Strunk, D., Martin, W. et al. (2008). Telenursing intervention increases psychiatric medication adherence in schizophrenia outpatients. Journal of the American Psychiatric Nurses Association, 14(3), 217 – 224. Benner, P. (2017). Stufen zur Pflegekompetenz (3. unveränderte Aufl.). Bern: Hogrefe. Bohnsack, R., Nentwig-Gesemann, I. & Nohl, A. (Hrsg.) (2007). Die dokumentarische Methode und ihre Forschungspraxis. Grund­ lagen qualitativer Sozialforschung (2., erweiterte und aktuali­ sierte Aufl.). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Boissy, P., Corriveau, H., Michaud, F., Labonte, D. & Royer, M. (2007). A qualitative study of in-home robotic telepresence for home care of community-living elderly subjects. Journal of Telemedi­ cine and Telecare, 13, 79 – 84. Boldy, D., Grenade, L., Lewin, G., Karol, E. & Burton, E. (2011). Older people's decisions regarding “ageing in place”: a Western Australian case study. Australasian Journal on Ageing, 30, 136 – 142. Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) (2008). Förderrichtlinie „Altersgerechter Assistenzsysteme für ein gesundes und unabhängiges Leben – AAL“. Verfügbar unter https:// www.bmbf.de/foerderungen/bekanntmachung-337.html [15.01.2019]. Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) (2018). Bundesbericht Forschung und Innovation 2018. Forschungsund Innovationspolitische Ziele und Maßnahmen 2018. Verfügbar unter https://www.bmbf.de/pub/Bufi_2018_Hauptband.pdf [05.01.2019]. Deutsches Institut für Pflegeforschung (DIP) e. V. (Hrsg.) (2009). Pflegebarometer 2009. Eine bundesweite Befragung von Pflegekräften zur Situation der Pflege und Patientenversorgung im Krankenhaus. Verfügbar unter www.dip.de [14.12.2018]. Dresing, T. & Pehl, T. (2015). Praxisbuch Interview, Transkription & Analyse. Anleitungen und Regelsysteme für qualitativ For­ schende (6. Aufl.). Marburg: Eigenverlag. Fuchs-Frohnhofen, P., Blume, A., Ciesinger, K. G., Gessenich, H., Hülsken-Giesler, M., Isfort, M. et al. (2018). Memorandum Arbeit und Technik 4.0 in der professionellen Pflege. Verfügbar unter http:// www.memorandum-pflegearbeit-und-technik.de/files/memo randum/layout/js/Memorandum%2011-2018.pdf [14.02.2019]. Hochschule Fulda (Hrsg.) (2017). RoboLand. Verfügbar unter https:// www.hs-fulda.de/pflege-und-gesundheit/forschung/forschungs schwerpunkte/pflegeforschung/roboland/ [02.01.2019]. Pflege (2020), 33 (1), 43–51

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J. Geier et al.: Telepräsenzsysteme für die ambulante Pflege? – Sichtweise von Pflegekräften 51

Weinberger, N. & Decker, M. (2015). Technische Unterstützung für Menschen mit Demenz? Zur Notwendigkeit einer bedarfsorientierten Technikentwicklung. Technikfolgenabschätzung – Theorie und Praxis, 24, 36 – 45.

ORCID Julia Geier https://orcid.org/0000-0003-0672-0132

Historie Manuskripteingang: 31.05.2019 Manuskript angenommen: 30.08.2019 Onlineveröffentlichung: 06.11.2019 Autorenschaft Substanzieller Beitrag zu Konzeption oder Design der Arbeit: JG, MM, MP, DP Substanzieller Beitrag zur Erfassung, Analyse oder Interpretation der Daten: JG, MM, MP, DP Manuskripterstellung: JG, MM, MP, DP Einschlägige kritische Überarbeitung des Manuskripts: JG, MM, MP, DP Genehmigung der letzten Version des Manuskripts: JG, MM, MP, DP Übernahme der Verantwortung für das gesamte Manuskript: JG, MM, MP, DP Danksagung Unser herzlicher Dank geht an die Pflegekräfte der ambulanten Dienste, die sich sogar nach dem Frühdienst bereit erklärten, an Fokusgruppen teil­zunehmen und uns mit einer herzlichen Offenheit empfingen sowie rege an der Diskussion teilnahmen. Förderung Die Studie entstand im Rahmen des FORMAT-Projekts. Fördernummer: ZS/2016/07/80201.

Julia Geier, M. Sc. Institut für Pflegeforschung, Gerontologie und Ethik Evangelische Hochschule Nürnberg Bärenschanzstraße 4 90429 Nürnberg Deutschland julia.geier@evhn.de

Was war die größte Herausforderung bei Ihrer Studie? Die Transkription der Fokusgruppengespräche mit bis zu dreizehn Teilnehmenden und den unterschiedlichsten Dialekten. Was wünschen Sie sich bezüglich der Thematik für die Zukunft? Die Ausrichtung der Technikentwicklung an den konkreten Bedarfen der Pflegeempfänger und Pflegeempfängerinnen sowie den Pflegenden. Was empfehlen Sie zum Weiterlesen / Vertiefen? Das Memorandum Arbeit und Technik 4.0 in der professionellen Pflege von Fuchs-Frohnhofen et al. (2018). Siehe Literatur.

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Krisensituationen erkennen und bewältigen André Fringer (Hrsg.)

Das Buchser Pflegeinventar für häusliche Krisensituationen (BLiCK) Analysen, Werkzeuge und Empfehlungen zur Krisenintervention 2019. 240 S., 2 Abb., 12 Tab., Kt € 34,95 / CHF 45.50 ISBN 978-3-456-85856-2 Auch als eBook erhältlich Die Praxisstudie präsentiert die fünf häufigsten häuslichen Krisensituationen Terminal- und Finalphase, Auffinden einer Person in einer Notfallsituation, Einsamkeit und so-

ziale Isolation, Grenzen pflegender Angehöriger und Beziehungsgestaltung im häuslichen Pflegearrangement.

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© 2019 Hogrefe Pflege (2020), 33 (1), 43–51


Das Therapiekonzept für neurokognitive Störungen

Ann-Kathrin Scholz / Andreas Niepel

Das CC©-Konzept Integratives Therapiekonzept für Menschen mit Gedächtnisverlust und neurokognitiven Störungen 2019. 328 S., 36 Abb., 31 Tab., Kt € 39,95 / CHF 48.50 ISBN 978-3-456-85900-2 Auch als eBook erhältlich

Das Therapiekonzept beantwortet differenziert und feinfühlig die Frage: Was braucht ein Mensch mit neurokognitiven Störungen und Gedächtnisverlust, um zu genesen? Wie kann man Menschen mit neurokognitiven Störungen, die infolge eines Unfalls oder neurodegenerativer Prozesse an schweren Gedächtnisverlusten leiden, in geschlossenen Settings bei der Genesung unterstützen?

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Antworten gibt das Praxishandbuch von Scholz und Niepel, die nach 25-jähriger Entwicklungsund Zusammenarbeit mit Menschen mit Gedächtnisverlusten ein integratives und modulares Therapiekonzept vorstellen.


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Les-Art

Informierte Entscheidungen durch kritische Gesundheitskompetenz Jana Hinneburg

Um informierte Entscheidungen treffen zu können, sind zuverlässige Informationen notwendig. In den Medien und der alltäglichen Kommunikation werden Behauptungen zum Nutzen und Schaden von Behandlungen aufgestellt, die häufig nicht vertrauenswürdig sind (z. B. „Kaffee kann tödlich sein“). Viele Menschen sind nicht in der Lage, die Zuverlässigkeit dieser Behauptungen zu bewerten. In der Folge werden möglicherweise ineffektive oder sogar schädliche Behandlungen in Anspruch genommen und ­effektive Behandlungen nicht wahrgenommen. Deshalb sollten Bürger_innen lernen, Behauptungen über Behandlungseffekte kritisch zu bewerten und zuverlässige von unzuverlässigen Behauptungen zu unterscheiden. Um dieser Herausforderung zu begegnen, hat sich die internationale Arbeitsgruppe Informed Health Choices gegründet (Oxman, Chalmers & Austvoll-Dahlgren, 2019). Bereits 2015 wurden seitens der Arbeitsgruppe Schlüsselkonzepte entwickelt, die Lehrenden, Journalist_innen oder anderen Vermittler_innen als Rahmenkonzept zur Entwicklung von Lehr-Lernmaterialien dienen sollen, um Menschen zu helfen, die Konzepte zu verstehen und anzuwenden. Die 44 Schlüsselkonzepte sind drei Oberkatego­ rien zugewiesen, die wiederum Unterkategorien aufweisen: 1. Vorsicht bei Behauptungen zu Behandlungen wie diesen yy Vorsicht bei Behauptungen, −− die zu schön sind, um wahr zu sein (z. B. „100 % ­sicher“). −− die auf fehlerhafter Logik basieren (z. B. „Die Behandlung wirkt folgendermaßen …“). −− die allein auf Vertrauen basieren (z. B. „Bei mir hat es funktioniert.“). 2. Überprüfe die Evidenz von Behandlungsvergleichen yy Werde nicht durch unfaire Vergleiche in die Irre ­geführt (z. B. ungleiche Behandlungsgruppen oder ungleiche Behandlung der Gruppen). yy Werde nicht von unzuverlässigen Zusammenfassungen von Behandlungsvergleichen in die Irre geführt (z. B. ­selektives Berichten). yy Werde nicht davon in die Irre geführt, wie Behandlungseffekte beschrieben werden (z. B. nur verbale Beschreibung ohne Angabe von Zahlen). 3. Treffe gut informierte Behandlungsentscheidungen yy Was ist das Problem und was sind die Optionen? yy Ist die Evidenz relevant? yy Überwiegen die Vor- die Nachteile? Die erste Oberkategorie beinhaltet achtsam zu sein, wenn jemand persönliche Erfahrungen als Grund für die Effektivi-

tät einer Behandlung nennt. In dem Fall sollten Menschen nach der Evidenz fragen. Die zweite Oberka­tegorie meint, dass faire Vergleiche notwendig sind, um ­einen Behandlungseffekt bestimmen zu können. Damit Behandlungsvergleiche fair sind, sollte der einzige Unterschied zwischen den Behandlungsgruppen in der Behandlung bestehen. Die dritte Oberkategorie beinhaltet zu entscheiden, ob die vorgebrachte Evidenz relevant für den Einzelnen ist. Außerdem hat die Arbeitsgruppe die Datenbank Critical thinking and Appraisal Resources Library angelegt, die über 500 Open Access-Lehr-Lernmaterialien in verschiedenen Formaten und Sprachen enthält, welche den Schlüsselkonzepten zugeordnet sind (Castle et al., 2017). Um Schulungen evaluieren zu können, wurden die Claim Evaluation Tools entwickelt. Es handelt sich um einen Pool von Items bestehend aus Multiple-Choice-Fragen. Die Items messen die Fähigkeit, Behauptungen über Behandlungseffekte zu bewerten. Die oben beschriebenen Schlüsselkonzepte werden jährlich literatur-, experten- und erfahrungsbasiert weiterentwickelt. Da die Items der Claim Evaluation Tools den sich über die Jahre verändernden Schlüsselkonzepten zugeordnet sind, wird die Durchführung der internationalen Validierungsstudien allerdings kompliziert. Obwohl versucht wurde, die Schlüsselkonzepte möglichst laienverständlich zu verfassen, setzt insbesondere die zweite Oberkategorie methodische Kenntnisse zu randomisierten kontrollierten Studien voraus und erschwert damit Lehrenden ohne wissenschaftlichen Hintergrund die Anwendung. Resümierend leistet die Arbeitsgruppe ­einen entscheidenden Beitrag, um langfristig zu einer ­evidenzbasierten Gesundheitsversorgung zu gelangen.

Literatur Castle, J. C., Chalmers, I., Atkinson, P., Badenoch, D., Oxman, A. D., Austvoll-Dahlgren, A., … Glasziou, P. (2017). Establishing a library of resources to help people understand key concepts in assessing treatment claims – The “Critical thinking and Appraisal Resource Library” (CARL). PLOS ONE, 12(7), e0178666. Oxman, A., Chalmers, I. & Austvoll-Dahlgren, A. (2019). Key Concepts for assessing claims about treatment effects and making well-informed treatment choices. F1000Research, 7(1784). doi:10.12688/f1000research.16771.2. Jana Hinneburg Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft Medizinische Fakultät, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Magdeburger Str. 8, 06112 Halle, Deutschland jana.hinneburg@medizin.uni-halle.de

© 2020 Hogrefe Pflege (2020), 33 (1), 53 https://doi.org/10.1024/1012-5302/a000712

Les-Art

Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft, Medizinische Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg


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Mitteilungen

Kongressberichte Dem Potenzial klinischer Fachspezialisten auf der Spur – 3. Symposium Klinische Fachspezialisten vom 18. Oktober 2019: Entwicklungsstand und Praxismodelle in der interprofessionellen Versorgung Sie werden Health Officer genannt, Barefoot Doctor oder Physician Associate – weltweit gibt es viele Begriffe für ­einen Beruf, der in der Schweiz noch neu ist, in anderen Ländern aber schon lange existiert: Gesundheitsfachper­ sonen, meist mit pflegerischem Background, die im ärzt­ lichen Auftrag klinisch-medizinische Aufgaben überneh­ men. „Den Beruf gibt es derzeit in 55 Ländern. Doch es werden jährlich mehr“, sagte Scott Smalley, Präsident der International Academy of Physician Associate Educators (IAPAE), an der diesjährigen Konferenz des Verbands Mitte Oktober am ZHAW-Departement Gesundheit. Die rund 60 Teilnehmenden befassten sich unter anderem mit der Standardisierung des Berufs. Für die weltweit rund 370 000 Physician Associates brauche es eine einheitliche Bezeichnung, eine Angleichung der Ausbildung und eine gemeinsame Akkreditierung. „Physician Associates brauchen eine gemeinsame Stim­ me“, sagte auch Stefan Breitenstein, Direktor des Departe­ ments Chirurgie am Kantonsspital Winterthur (KSW), Schweiz, das als eines der ersten Schweizer Spitäler die neue Rolle eingeführt hat. Heute kommen klinische Fachspe­ zialisten – so die hiesige Bezeichnung für das Berufsbild – immer häufiger zum Einsatz, wie das dritte Symposium Klinische Fachspezialisten zeigte, das während der IAPAEKonferenz stattfand. Von der Chirurgie über die Onkologie bis zur Geriatrie: Die Einsatzbereiche sind vielfältig. Neben dem Einblick in den Praxisalltag bot das Sympo­ sium eine Tour d’Horizon über verschiedene Aspekte des neuen Berufs. Dazu gehörten beispielsweise die nicht vor­ handenen Rahmenbedingungen. Annette Jamieson von der Helsana Versicherung sprach etwa die fehlende Tari­ fierung von Leistungen der Fachspezialisten im ambulan­ ten Bereich an. Die Helsana wolle nun in einem Pilotpro­ jekt mit dem KSW ausloten, was diesbezüglich „innerhalb der Vorschriften des Krankenversicherungsgesetzes mög­ lich ist.“ Sonia Barbosa vom Ärzteverband FMH wiederum legte die Haltung der Ärzteschaft dar: „Die Unterstützung der medizinischen Verbände für das neue Berufsbild ist da, wenn diese von Anfang in dessen Entwicklung einge­ bunden werden.“ Das Symposium fand im Rahmen der International Conference of the International Academy of Physician ­Associate Educators (IAPAE) statt. Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW), Departement Gesundheit, Winterthur, https://www.zhaw.ch/ de/hochschule/ Pflege (2020), 33 (1), 54–56 https://doi.org/10.1024/1012-5302/a000713

Was bei Menschen mit Demenz am Lebensende vergessen geht – St. Galler Demenz-Kongress vom 13. November 2019 In den kommenden Jahren wird die Zahl von Personen mit Demenz an ihrem Lebensende stark zunehmen. Aber es fehlen schweizweit angemessene Betreuungsangebote. 150 000 Personen mit Demenz lebten 2018 in der Schweiz. 2040 werden es doppelt so viele sein. Alle 18 Minu­ ten gibt es derzeit statistisch gesehen eine neu an Demenz erkrankte Person. Und aktuell ist Demenz im Alter die dritthäufigste Todesursache. Das sind einige Zahlen, die am St. Galler Demenz-Kongress vom 13. November auf dem Gelände der Olma Messen in St. Gallen genannt wurden. Das Thema End-of-Life Care bei Personen mit Demenz widmet sich den vergessenen Anforderungen in der letz­ ten Lebensphase bei Personen mit Demenz und ist von groβer gesellschaftlicher Relevanz. Das widerspiegeln auch die Anmeldezahlen: Der Kongress war mit über 1 100 Teil­ nehmenden aus dem ganzen deutschsprachigen Raum ausgebucht. „Wir stellen heute die vergessenen Anforde­ rungen in den Fokus, weil Demenz noch immer zu wenig als lebensbeendende Erkrankung wahrgenommen wird. Das liegt unter anderem daran, dass die Anzeichen des Sterbens bei Personen mit Demenz nicht deutlich wahr­ genommen werden“, begrüsste Heidi Zeller, Leiterin der Fachstelle Demenz an der Fachhochschule St. Gallen (FHS), die Teilnehmenden. Eine Folge davon, dass Demenz nicht als terminale Er­ krankung gilt, ist, dass Personen mit Demenz schlechter betreut werden als beispielsweise Personen mit einer Krebserkrankung. Dies ist einer der Forschungsschwer­ punkte von Melanie Karrer und Angela Schnelli, beide ­wissenschaftliche Mitarbeiterinnen am Institut für ange­ wandte Pflegewissenschaft IPW-FHS. Sie haben Interviews mit Pflegenden geführt und so die Anforderungen an die End-of-Life Care bei Personen mit Demenz herausgear­ beitet. Es brauche ein Gespür und Intuition, da Menschen mit Demenz beispielsweise nicht beantworten können, ob sie Schmerzen empfinden, so Melanie Burgstaller. Eine weitere Herausforderung sei, dass sich Institution und ­Intuition im Berufsalltag der Pflegenden oftmals nicht ­vereinbaren lieβen, etwa wegen des Zeitdrucks. Angela Schnelli ergänzte, dass die zweite Anforderung sei, die An­ gehörigen einzubeziehen. Diese seien die wichtigsten Be­ zugspersonen für Menschen mit Demenz. Gleichzeitig sei die kommunikative Brücke zwischen Angehörigen und Pflegenden oftmals nicht stabil. Sterbewünsche von Personen mit Demenz beinhalten auch die Frage nach Selbstbestimmung, Autonomie und Urteilsfähigkeit. Was sollen Angehörige, Pflegende und Ärztinnen und Ärzte tun, wenn eine Person zu einem Zeit­ punkt, wo sie noch urteilsfähig ist, den Wunsch äuβert, ihr Leben mittels Sterbefasten oder Sterbehilfe zu beenden? Am Podiumsgespräch wurde diese Frage äuβerst kontro­ © 2020 Hogrefe


Mitteilungen 55

vers diskutiert. Als klarer Gegner der assistierten Sterbe­ hilfe positionierte sich Raimund Klesse, Psychiater und Präsident der Organisation Alzheimer Graubünden: „Ein Sterbewunsch ist immer Ausdruck einer inneren Not“. Da­ her stehe für ihn die Frage im Vordergrund, wie man auf Suizidwünsche reagieren könne. Zumal diese in den meis­ ten Fällen wieder vorbeigehen würden. In einer Studie seien 700 an Demenz erkrankte Personen zu ihren Suizidge­ danken befragt worden, von denen nur einer übrig blieb, der einen konkreten Plan gefasst hatte, ergänzte Klesse. Am Podium teil nahm auch Marion Schafrot, Ärztin und Präsidentin der Sterbehilfe-Organisation Exit. Gemäss Schafrot hat Exit im vergangenen Jahr 18 Personen in den Freitod begleitet, die an Demenz erkrankt waren. Das ­seien sehr wenige Personen, die sich zudem in speziellen Situationen befunden hätten, sagte sie. „Entweder waren es Personen ab 50 Jahren, die an einer schnell fortschrei­ tenden Sonderform von Demenz erkrankt waren. Oder es handelte sich um betagtere Personen mit Alzheimer-­ Demenz, die noch andere Nebenerkrankungen hatten.“ Basil Höneisen, FHS St. Gallen, Hochschule für Angewandte Wissenschaften, http://www.fhsg.ch

Erster VPU-Kongress mit deutlichem Appell – Deutschland braucht mehr akademisch ausgebildete Pflegende Deutschland braucht deutlich mehr hochschulisch qualifi­ zierte Pflegende. Es ist Zeit zu handeln! Mit diesem Appell endete der erste VPU-Kongress zum Thema „Hochschuli­ sche Qualifizierung in der Pflege – Chancen, Herausforde­ rungen, Best-Practice-Modelle“, der am 15. und 16. Novem­ ber 2019 auf dem Campus der Charité in Berlin stattfand. Der Verband der Pflegedirektorinnen und Pflegedirektoren der Universitätskliniken und Medizinischen Hochschulen Deutschlands (VPU) und das Netzwerk Pflegeforschung hatten mehr als 50 Referentinnen und Referenten aus Wis­ senschaft, Politik, Pflegemanagement und -praxis zum Wissens- und Erfahrungsaustausch eingeladen. Höheres Bildungsniveau rettet Leben und fördert Innovationen In seinem Grußwort an die rund 500 Teilnehmerinnen und Teilnehmer betonte der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Staatssekretär Andreas Westerfellhaus, dass die immer anspruchsvolleren Aufgaben der Patien­ tenversorgung eine hochwertig ausgebildete Pflege bis hin zum Studium erforderten. Dies wurde von Professor Linda Aiken von der Universität Pennsylvania wissenschaftlich untermauert: „Es liegen umfassende Belege vor, dass ein höherer Anteil hochschulisch qualifizierter Pflegender ­positive Auswirkungen auf pflegesensitive Patientener­ gebnisse wie Mortalitäts- oder Infektionsraten hat“, so die renommierte Pflegewissenschaftlerin. Akademisch Ausge­ bildete könnten kritische Situationen früher erkennen und besser bewältigen. Von diesen erweiterten Kompetenzen

profitierten nicht nur Patienten und Angehörige, sondern das gesamte Pflegeteam. Die Akademisierungsquote in Deutschland sei im in­ ternationalen Vergleich erschreckend niedrig. Tatsächlich liege der Anteil hochschulisch qualifizierter Pflegender an deutschen Universitätskliniken aktuell bei nur knapp zwei Prozent, warnte Andreas Kocks, Sprecher des Netzwerks Pflegeforschung. „Dieser Anteil ist weit entfernt von den Empfehlungen des Deutschen Wissenschaftsrates, der eine Akademisierungsquote von zehn bis 20 Prozent fordert“, so Kocks. In den USA reichten die Forderungen sogar bis zu 80 Prozent. Bedeutung von Pflegenden für eine evidenzbasierte Pflegepraxis Doch wie kann eine Veränderung hin zu einem höheren Bildungsniveau in der Pflege gelingen? Und wie können akademisch ausgebildete Pflegende strukturiert und nach­ haltig in die direkte Patientenversorgung integriert wer­ den? Linda Aiken verwies dazu auf Beispiele aus Norwegen, Kanada und Australien, wo die Qualifizierung von Pfle­ genden durch gesetzliche Maßnahmen an die Hochschulen verlagert wurden. Auch eine neue Einstellungspolitik der Kliniken könne ein Motor für Veränderungen sein. Die Professoren Michael Simon und Patrick Jahn von den Uni­ versitäten Basel und Tübingen bestätigten die Bedeutung von Pflegenden für eine evidenzbasierte Pflegepraxis und die damit verbundenen Qualifizierungswege. Beide mach­ ten deutlich, welche Anstrengungen dazu an Hochschulen und in der Pflegeforschung notwendig seien. Wie das Zusammenspiel von Pflegewissenschaft und -management gelingen kann, zeigte Dr. Johanna Feuchtinger von der Universitätsklinik Freiburg. Hier habe man gute Erfahrungen mit geteilten Führungsstrukturen gemacht, in denen pflegefachliche und pflegepädagogische Leitungen die klassische Stations- oder Abteilungsleitung ergänzen. Zusätzlich wurde ein breites Team von Pflegeexperten / APN (Advanced Practice Nurses) eingesetzt. „Auf einer Station haben wir bereits eine Akademisierungsquote von 60 Prozent“, so die Pflegewissenschaftlerin. Wichtig für diese Entwicklung sei der Einsatz und die Begleitung von Studierenden in der Pflege sowie eine breite Forschungs­ aktivität in der direkten Patientenversorgung. Vernetzung von Praxis, Forschung, Management und Bildung Die Referentinnen und Referenten der sieben Parallel-­ Symposien ergänzten dieses Bild mit Diskussionen und Bei­ trägen zur inter- und intraprofessionellen Zusammenarbeit, der erweiterten klinischen Kompetenz bis hin zur Frage, wie ein optimaler Start nach dem Studium in der Pflegepraxis gelingen kann. Schließlich wurden die Preisträgerinnen der 32 eingereichten wissenschaftlichen Poster verkündet. VPUVorstandsvorsitzender Torsten Rantzsch war beeindruckt von der Bandbreite der wissenschaft­lichen Auseinander­ setzung mit konkreten Praxisentwicklungsthemen. Sie ver­ deutlichten das Potenzial einer engen Vernetzung von ­Praxis, Forschung, Management und Bildung mit dem Ziel

© 2020 Hogrefe Pflege (2020), 33 (1), 54–56


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einer guten Patienten- und Angehörigenversorgung, so der Pflegedirektor der Universitätsklinikums Düsseldorf. Mehr Informationen über den VPU: www.vpu-online.de Torsten Rantzsch, MBA, Vorstandsvorsitzender Alt-Moabit 96, 10559 Berlin, Deutschland info@vpu-online.de; www.vpu-online.de

In eigener Sache Die Mitherausgeberin der Zeitschrift Pflege, Anna-Barbara Schlüer, Leiterin Klinische Pflegewissenschaft am Univer­ sitätsKinderspital Zürich, wurde zur Präsidentin der In­ ternational Society of Pediatric Woundcare (ISPeW) ernannt. Wir gratulieren herzlich!

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jedwede Verhaltensänderung von alternden Menschen mit geistiger Behinderung als demenzieller Prozess zu verstehen sei. Sie verortet diese Veränderungen erst einmal lebensgeschichtlich als Eintritt in eine andere Lebens- und Alterungsphase.

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Pflege (2020), 33 (1), 54–56

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In eigener Sache

Refereetätigkeit 2019 Wir danken den Referees, die im Jahr 2019 für unsere Zeitschrift Manuskripte begutachtet haben. Durch ihre Expertise und unentgeltliche Unterstützung haben die Manuskripte oft maßgeblich an Qualität in der Bericht­erstattung gewonnen. Gerne übermitteln wir an dieser Stelle auch stellvertretend für die Autorinnen und Autoren der begutachteten Manuskripte deren Rückmeldungen, die sich für die fundierten, kritisch begründeten, aber auch würdigenden und aufbauenden Reviews bedanken. Wir freuen uns auf eine weiterhin gute und ­kon­struktive Zusammenarbeit.

Abraham Jens, Halle (Saale) Balzer Katrin, Lübeck Bartholomeyczik Sabine, Witten Berg Almuth, Halle (Saale) Berger-Höger Birte, Halle (Saale) Bieber Anja, Halle (Saale) Bleses Helma, Fulda Bosshart Katharina, Zürich Breimaier Helga, Ulm Burkhalter Hanna, Zürich Büscher Andreas, Osnabrück Dach von Christoph, Solothurn Dichter Martin, Witten Dorschner Stephan, Jena Elsbernd Astrid, Esslingen Ewers Michael, Berlin Feuchtinger Johanna, Freiburg Fischer Thomas, Dresden Fleischmann Nina, Fulda Flury Maria, Zürich Fringer André, Winterthur Fröhlich Martin R., Zürich Gattinger Heidrun, St. Gallen Gnass Irmela, Salzburg Gräske Johannes, Saarbrücken Habermann Monika, Bremen Hahn Sabine, Bern Hahnel Elisabeth, Berlin Halek Margareta, Witten Hasseler, Martina, Bremen Heinze Cornelia, Berlin Hirt Julian, St. Gallen Holle Bernhard, Witten

Jenull-Schiefer Brigitte, Wien Kleinknecht Michael, Zürich Knoll Martin, München Kottner Jan, Berlin Kriston Levente, Hamburg Kupfer Ramona, Hamburg Langer Gero, Halle (Saale) Leppla Lynn, Basel Lichterfeld Andrea, Berlin Luderer Christiane, Halle (Saale) Mantovan Franco, Bozen / Bolzano Mayer Hanna, Wien Mayer Herbert, Witten Mazzola Rosa, Lingen Meyer Gabriele, Halle (Saale) Mischke Claudia, Köln Möhler Ralph, Bielefeld Müller Martin, Rosenheim Muths Sabine, Bremen Nestler Nadja, Salzburg Neubert Thomas, Marburg Nguyen Natalie, Halle (Saale) Nover Sabine Ursula, Vallendar Palm Rebecca, Witten Petry Heidi, Zürich Reuschenbach Bernd, München Saal Susanne, Halle (Saale) Schilder Michael, Darmstadt Schoppmann Susanne, Basel Schulze Josefine, Hamburg Seliner Brigitte, Zürich Simon Michael, Basel Sirsch Erika, Vallendar Spichiger Elisabeth, Bern Steinauer Regine, Basel Strassner Cornelia, Heidelberg Stubner Juliane, Halle (Saale) Tannen Antje, Bern Thalhammer Regina, Rosenheim Thilo Friederike, Bern Uzarewicz Charlotte, Ottenhofen Von Siebenthal Doris, Baden Ziegler Sven, Freiburg Zumstein-Shaha Maya, Bern / Fribourg Zuendel Matthias, Bremen

© 2020 Hogrefe Pflege (2020), 33 (1), 57 https://doi.org/10.1024/1012-5302/a000716


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Buchbesprechungen Schröder, Brigitta „Martha du nervst“. Von einem anderen Umgang mit Demenz 2018, Wörterseh, Gockhausen. 201 S., ISBN 978-3-03763 -099-0, CHF 29,90. Schmidt-Römhild, Lübeck. 112 S., ISBN 978-3-03763-099-0, € 24,80 Die Biografie „Martha du nervst“, geschrieben von der Journalistin Franziska Müller, richtet sich an (pflegende) Angehörige von Menschen mit Demenz. Durch die verschiedenen Sichtweisen auf das Thema Demenz entsteht ein neuer Blickwinkel, der sich auf das Individuum und nicht die Krankheit fokussiert. In den einzelnen Kapiteln erhält der Leser einerseits ­Informationen über die Biografie von Brigitta Schröder und andererseits Einblicke in das Leben mit Demenz aus Sicht von Angehörigen und Fachexperten. Brigitta Schröder, eine Diakonissin, pflegte ihre langjährige Freundin Martha, die an Demenz leidet, und zeigt dabei eine neue Sicht auf den Umgang von Menschen mit Demenz. Für sie ist es wichtig, dass in der Zukunft nicht mehr von Demenzkranken, sondern von Menschen mit Demenz geredet wird. Als Experten wurden der deutsche Hirnforscher und Neurobiologe Professor Gerald Hüther interviewt, für den es wichtig ist, rechtzeitig die Selbstheilungskräfte des Gehirns zu aktivieren und Michael Schmieder, der das Demenzheim Sonnweid in Wetzikon (Schweiz) zu einem europaweit besten Kompetenzzentrum entwickelt hat. Weiterhin kommen auch Daniel Wagner (Organisator des Demenz Meets und Initiant der größten digitalen Demenz-Community), Nicole Haas-Clerici (Musiktherapeutin und Gerontologin) und Birte Weinheimer (Leiterin einer Memory Clinic) zu Wort. Für sie werden psycho- und verhaltenstherapeutische Maßnahmen zunehmend wichtig. Aus Sicht der pflegenden Angehörigen schildern Jeannine Zimmermann und Elisabeth Dolderer Thalman, die selbst eine Alzheimerdiagnose erhielten, ihre Erlebnisse. In dem Blog „Lotti Beitz – der tägliche Wahnsinn mit Demenz & Co“ und dem Buch „Ich möchte eine Pampelsine“ werden unter dem Pseudonym Lotti Beitz Erfahrungen im Alltag gesammelt und mit der Öffentlichkeit geteilt. Im Anhang sind dienliche Adressen in Deutschland, Österreich und der Schweiz aufgelistet, ebenso hilfreiche Literatur zu diesem Thema. Der interessierte Leser erhält eine Lektüre, in der (pflegende) Angehörige im Fokus stehen. Es werden auch Aspekte über die Thematik der Demenz hinaus dargelegt. Die Lebenswelt der erkrankten Menschen mit Demenz wird anschaulich dargestellt, weiterführend fließen (sensible und emotionale) Aspekte wie Toleranz, Authentizität, Glück, Wohlbefinden etc. in die Abhandlung mit ein, die das Buch sehr emotional werden lassen. Generell plädiert die Autorin für einen vermehrt humanistischen und liebevollen Umgang mit und bei Menschen, die an Demenz e ­ rkrankt sind. Die Informationen, die der Leser erPflege (2020), 33 (1), 58–59 https://doi.org/10.1024/1012-5302/a000714

hält, sind sehr spannend und aufschlussreich, jedoch ist der Preis etwas hoch ausgefallen. Es zeigt auch, wie viel Entwicklungspotenzial bezüglich dieser Thematik noch zugrunde liegt. Alisa Hemberger Studentin Dr. Christian Heidl Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Wilhelm Löhe Hochschule Fürth, christian.heidl@wlh-fuerth.de

Schölkopf, Martin; Pressel, Holger Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich – Gesundheitssystemvergleich, Länderberichte und europäische Gesundheitspolitik 2017, Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Berlin. 309 S., ISBN 978-3-95466-304-0, € 69,95 Die Publikation „Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich“ erscheint in der von Prof. Dr. Heinz Naegler herausgegebenen Schriftenreihe „Health Care Management: Gestalten, Entscheiden und Führen im Gesundheitswesen“ und ist als Einführungs- und Nachschlagewerk sowohl für Studierende als auch für Lehrende und Praktiker aus dem Gesundheitswesen angelegt. In insgesamt neun Kapiteln wird dem Leser ein umfassender Überblick über Strukturen der Gesundheitssysteme von über 30 Mitgliedstaaten der Europäischen Union und der OECD sowie eine Einordnung des deutschen Gesundheitssystems in einen internationalen Kontext vermittelt. Nach einer Skizzierung der Typologie und Entstehungsprozesse von Gesundheitssystemen im ersten Kapitel wird die Gesundheitsversorgung der in diesem Buch analysierten Industrieländer in ihren Grundzügen auf jeweils ca. drei Seiten im zweiten und längsten Kapitel dargestellt. In diesen Länderberichten erfolgt eine kurze und kompakte Betrachtung von Grundstruktur, Finanzierung, Leistungen und Organisation der Versorgung, welche stets durch Links ­zuständiger Behörden im Internet und vertiefende Literaturangaben ergänzt wird. Die Kapitel drei bis sieben konzentrieren sich auf Querschnittsvergleiche dieser Gesundheitssysteme bezüglich der Aspekte Gesundheitsausgaben und Finanzierung, Struk­ turen der ambulanten und stationären Versorgung, Arzneimittelversorgung und Daten zur Qualität, Effizienz und Nutzerorientierung als Ausdruck der Leistungsfähigkeit der Gesundheitsversorgung. Bei diesen Gegenüberstellungen erfolgt durchgängig eine übersichtliche und aussagekräftige Visualisierung der Inhalte: So werden Grundcharakteristika der Gesundheitssysteme, wie z. B. die Ausgestaltung der hausärztlichen und fachärztlichen ­Versorgung in Tabellen sowie aktuelle Zahlen zu den Industrieländern – überwiegend aus der Datenbank „Health Data“ der OECD – in Balkendiagrammen veranschaulicht. © 2020 Hogrefe


Buchbesprechungen 59

Im Anschluss beschreibt Kapitel acht aktuelle Entwicklungen und Zuständigkeiten der Europäischen Gesundheitspolitik sowie die daraus folgenden Einflüsse und ­Konsequenzen für das deutsche Gesundheitswesen und die nationale Gesundheitspolitik. Kapitel neun ergänzt die Publikation um wichtige, weiterführende Hinweise zur ­Literaturrecherche und -analyse und gibt dem Leser auf diese Weise eine Hilfestellung für eine tiefer gehende ­Auseinandersetzung mit Gesundheitssystemen im internationalen Vergleich. Für den Preis von € 69,95 erhält der Leser ein fundiertes Werk in einer wissenschaftlich aussagekräftigen und präzisen Sprache, welches nicht nur Fachwissen sondern auch Methodenkompetenz zur Thematik „Gesundheitssystemvergleich und europäische Gesundheitspolitik“ verständlich vermittelt. Anna-Kathleen Piereth Studentin des Managements im Gesundheits- und Sozialmarkt an der Wilhelm Löhe Hochschule Fürth Dr. Christian Heidl Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Wilhelm Löhe Hochschule Fürth

Hoehl, Mechthild; Kullick, Petra Gesundheits- und Kinderkrankenpflege 2019, Thieme, Stuttgart, 5. Aufl., 935 S., 845 Abb. ISBN 978-3-13-241587-4, € 89.99 Dieses Lehrbuch führt durch sämtliche Felder der Berufspraxis und richtet sich an alle Pflegefachkräfte der Pädiatrie. Es zeigt fundiertes Wissen und Handeln auf, das benötigt wird in der Pflege und Beobachtung von Kindern und Jugendlichen im gesunden und kranken Umfeld. Es zeigt auf, dass es in der pädiatrischen Pflege nicht nur um das kranke Kind geht, sondern auch ein groβer Beratungsbedarf der Eltern besteht, der unabdingbar zur professionellen Betreuung gehört. Das Lehrbuch ist in vier Teile gegliedert: Grundlagen der Pflege und Betreuung von gesunden und kranken Kindern, Beobachtung und Unterstützung des Kindes und seiner Familie, Unterstützung und Betreuung in speziellen Pflegesituationen und Mit­ wirken bei der Diagnostik und Therapie. Das Buch ist sehr übersichtlich aufgebaut, auch wenn ich persönlich den ersten Teil ans Ende setzen würde. ­Beschriebene Begriffe werden definiert, Merksätze sind farblich hervorgehoben und Abweichungen bis ins Detail

aufgelistet. Fachbegriffe werden erklärt und umschrieben, was eine groβe Hilfestellung im Erlernen der professionellen Sprache darstellt. Es hat mir Spaβ gemacht, mein Wissen in den speziellen Pflegesituationen zu überprüfen und dazu zu lernen. Die vielen Abbildungen sind sehr hilfreich zum Lernen und Umsetzen der benötigten Pflege. Schnell wird klar, dass ein krankes Kind nie ohne Eltern, Angehörige oder Freunde im Krankenhaus ist. In jedem Teil wird vertieft darauf eingegangen, was es als Familie heiβt, wenn das Kind krank oder beeinträchtigt ist. Auch die physiologischen, gesunden Aspekte der kindlichen Entwicklung werden strukturiert aufgezeigt und helfen in der Beratung der Familie. Aufgrund der bildlichen und sprachlichen Beschreibung von einzelnen pflegerischen Abläufen, wie zum Beispiel dem Verabreichen von Nasen- und Augentropfen, kann das Buch auch für Laien sehr hilfreich sein. Gerade die Beschreibungen von Wickeln und Applikation von Salben oder ätherischen Ölen sind für den häuslichen Gebrauch wirkungsvoll und sinnvoll. Auch die Beobachtungskri­ terien, die auf eine Verschlechterung des Allgemeinzustandes hinweisen, sind sowohl für Laien als auch in der professionellen Pflege von groβer Wichtigkeit. Schwächen: yy Comfort Positioning fehlt yy Hierarchie Arzt – Pflege ist stark geprägt von deutschen Krankenhäusern. Im Kinderspital Zürich ist die Pflegende viel selbständiger. yy Pflegemodelle werden nur rudimentär erwähnt yy Kultur und Religion: entweder auf alle Weltreligionen eingehen oder auf keine yy Magensonde, Lagekontrolle: durch Abziehen von Magensaft bzw. Luftinsufflation mit Auskultation. Diese Methode ist nicht mehr zeitgemäβ. Die Lagekontrolle ergibt sich aus der Beobachtung des Kindes auf Symptome wie Husten, Würgen, Atemnot, Erbrechen. Nur ein RX verschafft Klarheit, wobei bei obigen Symptomen die Sonde gezogen wird. Eine Magensonde sollte im Sitzen gelegt werden, damit sich das Kind weniger ausgeliefert fühlt (comfort positioning) und aktiver mitmachen kann. yy Noch nie ist mir die Blutegeltherapie im Krankenhaus begegnet!

Käthi Koblet Pflegeexpertin Praxis Kinderspital Zürich, Steinwiesstr. 75, 8032 Zürich, Schweiz kobletwacker@bluewin.ch

© 2020 Hogrefe Pflege (2020), 33 (1), 58–59


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Kongresskalender

Februar 13. – 15. Februar Basel

EbM-Kongress 2020

21. Jahrestagung EbM-Netzwerk 2020: Nützliche patientenrelevante Forschung Kontakt und Anmeldung: https://www.ebm-kongress.de/ anmeldung/

März 12. – 13. März Bildungswerk Irsee

Geschichtswelten 2020 4. interdisziplinäre Tagung für Geschichte der Pflege und Gesundheitsberufe „Kämpfe in der Pflege“

Kontakt: hpsmedia, www.hpsmedia.info; www.geschichts welten.info 12. – 14. März STATION-Berlin

Deutscher Pflegetag 2020

Kontakt: https://www.deutscher-pflegetag.de/ueber-uns/ veranstalter.html 16. März Universität Heidelberg

Menschen mit Demenz im Akutkrankenhaus Kontakt und Anmeldung: kontakt@nar.uni-heidelberg.de 18. März Kultur- und Kongresshaus Aarau

25. März Careum Weiterbildung Aarau

Chronisch krank in der digitalen Welt

Kontakt: https://dokumente.careum-weiterbildung.ch/ AnmeldeUnterlagen_CWB/2020-03-25_Programm vorschau_Chronisch_krank_in_der_digitalen_Welt.pdf 25. – 26. März Kultur- und Kongresszentrum (KKL) Luzern

16. Trendtage Gesundheit Luzern

Kontakt: Forum Gesundheit Luzern, 6005 Luzern, https:// www.trendtage-gesundheit.ch/ 26. März Bern

22. Schweizer Onkologiepflege Kongress Neue Therapien und Technologien in der Onkologie – wie sprechen wir darüber? Programm und Anmeldung: www.onkologiepflege.ch

April 3. April Nottwil, Schweiz

Notfall Pflegekongress 2020

Kontakt: https://www.notfallpflege.ch/fortbildung/notfall pflege-kongress.html 21. – 22. April Schlossmuseum Linz

10. ANP Jubiläumskongress 2020: Den Kompetenzen verpflichtet. Kontakt: www.fh-ooe.at/anp2020

2. Gesundheits-Recht Tag

Kontakt: https://www.med-innocare.ch/events/intro/info. asp?IDVeranstaltung=805

Mai

20. März University of Applied Sciences, St. Pölten

7. – 8. Mai Kursaal Bern

ACENDIO: Hot eHealth topics make nursing visible Information and registration: http://www.acendio.net/ congresses-events/ Contact: Fabio d'Agostino (PhD, RN), ­Secretariat ­ACENDIO: secretary@acendio.net 20. März Hochschule für Philosophie

Münchner-Gesundheits-Recht Tag

Kontakt: https://www.med-innocare.ch/events/intro/ info.asp?IDVeranstaltung=860 Pflege (2020), 33 (1), 60 https://doi.org/10.1024/1012-5302/a000715

SBK-Kongress 2020

Kontakt: https://www.sbk-asi-congress.ch/ 8. – 9 Mai Berlin

2nd International Conference of the German Society of Nursing Science Deutsche Gesellschaft für Pflegewissenschaft e. V., 47057 Duisburg, Germany Further information is available on: https://conference. dg-pflegewissenschaft.de info@dg-pflegewissenschaft.de

© 2020 Hogrefe


Hinfallen, Aufstehen, Weitergehen! Margaret McAllister / John B. Lowe

Resilienz und Resilienzförderung bei Pflegenden und Patienten Widerstandsfähiger werden trotz widriger Umstände Deutsche Ausgabe herausgegeben von Jürgen Georg / Robert Weller. 2., überarb. u. erg. Aufl. 2019. 288 S., 8 Abb., 9 Tab., Kt € 29,95 / CHF 39.90 ISBN 978-3-456-85949-1 Auch als eBook erhältlich Das Praxishandbuch für Pflegepraktiker und -leitungen macht Pflegende in der rauer werdenden Berufspraxis widerstandfähiger und hilft, eine positive, entwicklungsorientierte Pflegekultur zu schaffen. Das Praxishandbuch zur Resilienzförderung stärkt die Kompetenz durch gezieltes Beobachten positiver Rollenmodelle, begünstigt effektive Kommunikation, präsentiert wichtige Erholungsstrategien und beschreibt in aktualisierter Form alle Pflegediagnosen zur Resilienz.

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In der zweiten Auflage wurden resilienzbezogenen Problemen, Risiken und Entwicklungschancen von Patienten ausführlicher beschrieben und in ein pflegerisches Resilienzmodell eingebettet. Eine aktualiserte Fassung der NANDA-I-Pflegediagnosen zur Resilienz wurde sowie eine Skala zur Einschätzung der persönlichen Resilienz wurden ergänzt. Der Begriff der "Antifragilität" wurde vertieft und die Literaturlisten zum betrieblichen Gesundheitsmanagement und zur Resilienz wurden erweitert und ergänzt.


Pflegediagnosen – konkret, praktisch, umfassend

Marilynn E. Doenges / Mary Frances Moorhouse / Alice C. Murr Maria Müller Staub / Jürgen Georg / Claudia Leoni-Scheiber (Hrsg.)

Pflegediagnosen und Pflegemaßnahmen Übersetzt von Michael Herrmann. 6., vollst. überarb. u. erw. Aufl. 2018. 1488 S., 29 Abb., 10 Tab., Gb Eine Faltkarte liegt bei € 79,95 / CHF 99.00 ISBN 978-3-456-85831-9

Das praktische und erfolgreichste Handbuch zum Pflegeprozess hilft Pflegenden, Merkmale und Ursachen von Pflegediagnosen zu erkennen, Daten des Pflegeassessments zu ordnen und Pflegediagnosen mit einheitlichen Begriffen zu benennen. Es bietet begründete Pflegeziele, Pflegemaßnahmen und -interventionen und gibt Hinweise zur Patientenedukation und Entlassungsplanung.

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Die sechste erweiterte Neuauflage bietet unter anderem: • alle von der NANDA-I bis 2017 anerkannten 235 Pflegediagnosen; • mindestens 7 weitere klinisch nützliche Pflegediagnosen; • vollständig aktualisierte Pflegediagnosentitel, Definitionen, Einflussfaktoren und Symptome; • an den deutschen Sprachraum angepasste Pflegeziele und Pflegemaßnahmen mit Verweisen auf NOC, NIC und NCDB; • Listen von Pflegediagnosen, die den gebräuchlichsten Pflegemodellen zugeordnet werden und das systematische Auffinden von Pflegediagnosen erleichtern; • über 600 Verknüpfungen von Krankheitsbildern, Behandlungssituationen und Pflegediagnosen.


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