Leseprobe Therapeutische Umschau

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Übersichtsarbeit

Das Kreuz mit der Kreuzallergie: Betalaktamantibiotika-Allergie Lukas Jörg, Arthur Helbling Allergologisch-Immunologische Poliklinik, Universitätsklinik für Rheumatologie, Immunologie und Allergologie, Inselspital, Universitätsspital Bern

Zusammenfassung: Betalactamantibiotikaallergien sind die am häufigsten erwähnten Medikamentenallergien. In der Hausarztpraxis oder im Falle einer Hospitalisation äussern Patienten oft, an einer Penicillinallergie zu leiden, weswegen in diesen Fällen meist keine Betalactamantibiotika verwendet werden. Häufig handelt es sich bei einer vermeintlichen Allergie jedoch um Nebenwirkungen wie Diarrhoe, Nausea oder Bauchschmerzen. Der grösste Teil dieser Patienten verträgt Betalactam­ antibiotika ohne Probleme, weswegen eine allergologische Abklärung wichtig ist. Hierfür ist eine gute Anamnese und Dokumentation zentral, da Hautteste und in vitro Verfahren eine eingeschränkte Sensitivität haben. Ergänzend kann mittels Provokationstest eine fragliche Allergie oder alternative, potentiell kreuzreaktive Betalactamantibiotika in Hinblick auf ihre Verträglichkeit geprüft werden. Die Kreuzreaktivität mit Cephalosporinen, insbesondere der 3. Generation und höher, wird meist überschätzt. Kreuzreaktionen zu Carbapenemen sind selten. Abstract: Hypersensitivity reactions to betalactam antibiotics are the most commonly mentioned drug allergies. Up to 10 percent of patients report to suffer from a penicillin allergy. However, classical side effects of antibiotics are often misdiagnosed as an allergy. Many of these patients with suspected betalactam allergy tolerate betalactam antibiotics well. Therefore, a ­thorough allergy workup is essential to confirm a suspected allergy or to enable again a treatment with betalactam antibiotics. Most important is a good documentation as skin- and in-vitro tests have a reduced sensitivity. Gold standard is the provo­ cation test to help exclude a supposed allergy or to test alternative, potential cross reactive betalactam antibiotics. Cross-­ reactions between penicillins and cephalosporins, especially cephalosporins of the third and fourth generation are unusual. Cross reactions to carbapenem antibiotics are rare.

Von allen Medikamenten werden Betalactam Antibiotika bei der ärztlichen Untersuchung am häufigsten als Aus­ löser für eine Allergie erwähnt. Jeder 10. Patient berichtet, eine Allergie auf Penicilline zu haben [1]. Dies hat zur ­Folge, dass bei diesen Patienten oft gar keine Betalactam Antibiotika verwendet werden, da allfällige Kreuzreaktionen befürchtet werden. Allerdings vertragen 85 – 90 % dieser vermeintlich penicillinallergischen Patienten Penicilline und Betalactam Antibiotika gut [2]. Gründe hierfür sind, dass pharmakologische Nebenwirkungen wie Diarrhoe, Nausea oder lokaler Soorbefall usw. fälschlicherweise als Allergie inter­ pretiert werden. Gelegentlich kann es während der Behandlung mit Antibiotika zu einer Verstärkung einer allfälligen Hauterkrankung, z. B. einer Urtikaria, kommen, was als Allergie verwechselt werden kann. Unabhängig ­davon kann ein Infekt selber zu kutanen oder respirato­ rischen Symptomen führen. Am wichtigsten bei einer vermuteten Medikamenten­ allergie ist eine gute Anamnese und eine detaillierte Doku­ mentation. Beides kann aufwändige Zusatzuntersuchungen verhindern. © 2019 Hogrefe

Klinische Aspekte Im klinischen Alltag werden Hypersensitivitätsreaktionen auf Betalactam Antibiotika (wie auch im Falle von anderen Medikamenten) in Soforttyp- und Spättypreaktionen ­eingeteilt. Ausschlaggebend ist die Latenzzeit zwischen Medi­kamenteneinnahme und Reaktion. Alles was länger als eine Stunde nach Medikamenteneinnahme auftritt wird in der Regel als Spättypreaktion klassifiziert [3]. Berücksichtigt man den Pathomechanismus handelt es sich bei Soforttyp­ reaktionen meist um ein IgE-vermitteltes ­Geschehen, bei welchem es zu einer Mastzelldegranulation und konsekutiven Symptomen kommt, bei Spättypreak­ tionen sind überwiegend T-Zellen verantwortlich. Soforttypreaktionen bei Betalactam Antibiotika ent­ wickeln sich rasch, bei parenteraler Gabe sogar innerhalb von Sekunden bis Minuten. Oft tritt ein Juckreiz, initial palmoplantar und an behaarten Körperstellen auf. Flush, Urtikaria, Angioödeme und Dyspnoe sind häufig, seltener auch gastrointestinale Symptome. Schwere Allgemein­ reaktionen umfassen akute Hypotonie, kardiale Arrhythmien bis hin zur Asystolie, Bewusstseins­eintrübung und Therapeutische Umschau (2019), 76(1), 7–11 https://doi.org/10.1024/0040-5930/a001055


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