Zur Ausstellung | MILIONART

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interpretations of nude


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Zur Ausstellung Der nackte menschliche Körper und die ideale, heroische Nacktheit sind klassische Themen der bildenden Kunst, insbesondere der Zeichnung, Malerei, Skulptur und Fotografie: Die Venus von Willendorf oder der Christus von Michelangelo stehen symbolisch für eine Reihe von Werken, die seit dem 19. Jahrhundert Akt genannt werden. Auch in anderen künstlerischen Darstellungsformen ist Nacktheit ein nicht selten verwendetes Ausdrucksmittel etwa im Theater, Film, in der Aktionskunst und in der Literatur. Spätestens seit die Idole der jungen Generation wie Miley Cyrus ihre Instagram-Follower mit Nackt-Selfies übersähen, ist Nacktheit massentauglich geworden. Geht dadurch der Reiz für die Nacktheit in der Kunst verloren? Das Magazin Playboy gab Ende 2015 bekannt, dass die Nackten künftig bekleidet werden. Wenn nämlich alle nackt seien, dann könne man mit Nacktheit nicht mehr punkten. Und wie verhält es sich dann in der Kunst, wo Nacktheit schon seit Jahrtausenden eine Rolle spielt? Ist die oberflächliche Wahrnehmung der Nacktheit gleichzusetzen mit jener, die seit Jahrtausenden wohltuende Ingredienz der künstlerischen Darstellungsform ist? Öffnen gesellschaftspolitische Themen der modernen und zeitgenössischen Kunst einen tieferen Zugang zu Nacktheit - über die körperliche hinaus hin zur seelischen? Fest steht, dass die Nacktheit jene Ausdrucksform ist, die polarisiert, da sie im Betrachter sowohl positive als auch negative Assoziationen evoziert: Hilflosigkeit, Schamgefühl, Grausamkeit, Rebellion, Ästhetik, Genuss und Leidenschaft, um nur einige zu nennen. Das museale Ausstellungsprojekt interpretations of nude im Rahmen der Art Innsbruck 2016 setzt sich mit den oben genannten Fragestellungen auseinander und zeigt Werke moderner und zeitgenössischer Künstler, die jede Interpretation von Nacktheit zulassen: sinnlich, beängstigend, gewaltsam, berührend, amüsant, erregend. Hugo V. Astner, MilionArt

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Nacktheit – Einklang zwischen Körper und Geist Die von Cosimo de’ Medici und Vasari geförderte Accademia Fiorentina hatte bereits seit 1560 das Ziel jungen und talentierten Menschen “die Kunst des Zeichnens” beizubringen. Hierfür hielt man von Anfang an die Auseinandersetzung mit nackten Körpern und nackt dargestellten Statuen für essenziell. Bereits in der griechischen Antike galt der nackte Körper als Schönheitsideal. Diese Vorstellung blieb in der Kunstgeschichte bestehen: von der vorgeschichtlichen Venus von Willendorf bis heute. Im Laufe der Zeit wurden verschiedene Bedeutungen und Interpretationen mit der Nacktheit in Verbindung gesetzt: die symbolische Darstellung der Schönheit wurde durch Elemente aus der Mythologie, der Religion, der Anatomie und der Erotik erweitert. Dabei strebte man stets die Perfektion an. Die italienische Renaissance hinterließ uns einzigartige Meisterwerke, die den Versuch (weibliche) Schönheit darzustellen, bezeugen. In der zeitgenössischen Kunst verschmilzt die bis dahin bestehende Trennung der Nacktheit, deren Schönheit vom Auge des Betrachters abhängt, mit der Nacktheit, die für den künstlerischen Ausdruck steht. Viele sehr unterschiedliche Künstler zeigen uns neue und ungewohnte Formen, die nicht der Natur entsprechen, sondern Ausdruck von Stärke, innerer Unruhe und Angstzuständen sind: Weit entfernt von den sinnlichen und weichen Konturen, mit denen uns die klassische Kunst gefesselt hatte. Beispielhaft hierfür sind Bacon, Freud und Schiele. Manche Künstler, wie Picasso, konfrontieren uns mit neuen Symbolen, die die Regeln und Konventionen sprengen. Andere, wie Fontana, vermitteln hingegen Leichtigkeit und Vitalität. Die ausgestellten Werke bezeugen und unterstreichen diese Tatsache. Gibt es ihn also noch? Den Einklang zwischen Körper und Geist? Prof.ssa Serena Baccaglini, Kuratorin

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Über Giacomo Balla Als er die Albertinische Akademie in Turin abgeschlossen hatte, zog Giacomo Balla im Alter von 24 Jahren mit seiner Mutter nach Rom. Dort bewohnte er in der Piemontstraße 119 eine zweigeteilte Wohnung, die zur Straßenseite ausgerichtet war. Der hintere, etwas erhöhte Teil diente als Schlafzimmer, der vordere, größere Raum war das Atelier des jungen Künstlers. Die straßenseitige Ausrichtung war kein Manko, ganz im Gegenteil: Es ermöglichte dem Künstler zu beobachten, wie die Passanten auf seine ausgestellte Malerei reagierten. So wurde auch der junge Boccioni auf den Künstler und seinen zukünftigen Meister aufmerksam. Im Vorbeigehen entdeckte er eines seiner divisionistischen Gemälde am Straßenrand, das Balla dort zum Trocknen abgestellt hatte. Es beeindruckte Boccioni so sehr, dass er Ballas Laden betrat: dies war der Anfang einer Meister-Schüler-Beziehung der besonderen Art. “Ballino”, der von seinen Freunden aufgrund seiner schmächtigen Statur so genannt wurde, war sehr großzügig und gab sein Können gerne weiter. Als Boccionis Vater seinen Sohn dem offiziellen Maler des königlichen Haus Savoyen vorstellen wollte, antwortete dieser, dass er bereits seinen Meister gefunden hatte: Giacomo Balla. “Durch seine ersten Ratschläge habe ich bereits mehr gelernt, als ich es in 6 Monaten in der Schule getan habe”, sagte er, um seine Entscheidung zu bekräftigen. Die im Rahmen dieser Schau zum ersten Mal ausgestellte Zeichnung kann aufgrund ihrer eindeutigen Merkmale dem Jahr 1928 zugeordnet werden. Zu jener Zeit hatte der mittlerweile bekannte Balla dem Futurismus bereits wieder den Rücken gekehrt und hatte durch die gesammelten Erfahrungen zurück zur figurativen Malerei finden können. Die Zeichnung ist ein künstlerisches und gleichzeitig ein literarisches Dokument. Sie ist Zeugnis eines gesamten Zeitalters, des Futurismus, der in Italien durch seine unbändige Kreativität die Ausdrucksweise in Malerei, Musik, Theater, Design und Literatur, verwandelte und ganz Europa beeinflusste. Dott.ssa M. Letizia Paoletti, Kuratorin

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Egon Schiele und der nackte menschliche Körper

Im Vergleich verschiedener künstlerischer Positionen manifestieren sich besonders in der Darstellung der menschlichen Gestalt die konträrsten Auffassungen und Auslegungen. Egon Schiele (1890 Tulln – 1918 Wien) suchte unter der Patronanz von Gustav Klimt anfänglich den Kontakt zum Wiener Jugendstil, um sich wenig später in einem radikalen Bruch vom Sujet der Unbeschwertheit, der Harmonie und des Dekorativen abzuwenden. In Folge gelangte er zu einer seine eigene Existenz befragenden expressiven Ausdrucksweise, die vor allem in seinen zahlreichen Selbstdarstellungen und Akten ihren Niederschlag findet. In der Schonungslosigkeit, mit der er der menschlichen Nacktheit begegnet, schwankt der Ausdruck zwischen erotischer Ausstrahlung einerseits und der Intention, dem ungeschützten Körper in seiner Exponiertheit und Angreifbarkeit Sprache zu verleihen. Dr. Elisabeth Maireth, Kuratorin

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Inkarnat Inkarnat stammt aus dem Lateinischen (carnis) und bedeutet „Fleisch“. Das Fleischmalen griff als Erster Jan van Eyck (1390-1441) auf. Der Flame ließ einen bis Dato unbekannten Naturalismus in seine Werke einfließen. Er studierte den menschlichen Körper und gab dem Organ Haut eine neue Wichtigkeit. Hauttöne wurden jetzt bei Frauen und Männern unterschiedlich dargestellt. Frappant ist, dass der Mensch ab dem 14. Jhd. das bedeutsamste Bildsujet der europäischen Kunstgeschichte ist. Naturalistische detailgetreue Farbmodulationen erzeugen jetzt den Anschein lebendiger Körper. Hatten unverhüllte Frauen in der Frührenaissance (1420-1500) noch einen blassen Teint, wandelte sich sodann das Schönheitsideal im Barock (1575-1770). In dieser Epoche dominierte gebräunte Haut, die aus Rosenholz, Umbra, Ocker und Rottönen entstand. Zusätzlich legten die damaligen Maler Wert auf eine künstlerische Umsetzung menschlicher Hautstrukturen. Gekonnte Schattierungen unterstrichen zugleich die fleischliche Plastizität. Das Inkarnat unterzog sich im 20. Jhd. mehrfach einem massiven Wandel. Expressionisten, Kubisten und Surrealisten veränderten die Nudefarbe bis zum Exzess. Die Postmoderne verabschiedete sich wieder von der Abstraktion und ging zurück zu einer realistischen Schaulust des Fleisches, die gleichfalls eine erotische Komponente implizierte. Lucien Freuds (1922-2011) Faible für nackte krude Portraits verdanken wir einen neuen Blick auf Körperoberflächen. Dem Briten gelang, wie keinem Künstler zuvor, Menschen so hautintensiv darzustellen. Das schonungslose direkte Abbild seiner Modelle setzt Freud mit einem möglichst wahrheitsgetreuen Kolorit, dem Inkarnat, um. Mag. Isabelle Mereb, Kuratorin

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Maria Chalela-Puccini

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supports young art talent

Maria Chalela-Puccini, *1985 in Bogotà – Kolumbien

Filmszene „an educated woman“ 2016 Siebdruck-Serie 75 x 40 cm



Constantin Migliorini

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Constantin Migliorini, *1974 in Siena-Poggibonsi – Italien

“Le tre Grazie” Öl und Acryl auf Leinwand 164x145 cm



Dawn Mellor

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Dawn Mellor, * 1970 in Manchester – Großbritannien

Olivia Pencil on paper 2000 59 x 41,7 cm


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Elke Silvia Krystufek

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Elke Silvia Krystufek, *1970 in Wien – Österreich

„No Composition” 2009 Acryl auf Leinwand 100 x 100 cm courtesy Elke Silvia Krystufek



Christiane Vleugels

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Christiane Vleugels, *1963 in Schoten – Belgien

The Kiss Öl auf Leinwand 2015 120 x 150cm



Gotthard Bonell

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Gotthard Bonell, * 1953 in Truden – Südtirol

Schwarze Spiele 36 X 70 cm 2008 Mischtechnik auf Papier



Rolf Ohst

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Rolf Ohst, *1952 in Lübeck – Deutschland

Fürchte dich nicht 2008 Öl / Leinwand 200 x 150 cm



Yahon Chang

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Yahon Chang, *1948 in Taipei – Taiwan

Colour_Faces 2015 ink on paper triptych 366 x 435 cm



Orlando Donadi

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Orlando Donadi, *1943 in Treviso – Italien

Leda & Schwan 2012 125 x 100 cm Tempera, Eigelb auf Holz



Hermann Nitsch

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Hermann Nitsch, *1938 in Wien – Österreich

138. Aktion Centraltheater Leipzig 2013 Foto: Thomas Kolassa



Jos Pirkner

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Jos Pirkner, *1927 in Sillian – Österreich

Liegender Akt Acryl auf Leinwand 2016 100x100cm


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Lucio Fontana

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Lucio Fontana, *1899 in Rosario – Argentinien bis 1968 Varese – Italien

Lucio Fontana Figura Feminile Seduta 1951 50 x 33,5 cm Zeichnung mit Farbstiften auf Papier



Karl Hauk

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Karl Hauk, *1898 in Klosterneuburg – Österreich bis 1974 Klosterneuburg

Schlafende im Mondlicht 1930 Öl/Karton, courtesy Kunsthandel Widder, Wien



Egon Schiele

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Egon Schiele, *1890 in Tulln a.d.D. – Österreich bis 1918 Wien – Österreich

Liegender Akt, Masturbierend 1914 Bleistift auf Papier 30,5 x 48,3 cm Kallir, WVZ Nr. 1579b courtesy W&K Wienerroither und Kohlbacher



Giorgio De Chirico

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Giorgio de Chirico, *1888 in Volos – Griechenland bis 1978 Rom – Italien

Figura Mitologica 1965 23,6 x 34 cm Bleistift-Zeichnung auf Papier



Pablo Picasso

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Pablo Picasso, *1881 in Malaga – Spanien bis 1973 Mougins – Frankreich

Il Torero e la Ballerina 1925 26 x 36 cm Tusche Zeichnung



Giacomo Balla

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Giacomo Balla, *1871 in Turin – bis 1958 in Rom – Italien

Ritratto di Olga 1928 9 x 14 cm Bleistift-Zeichnung auf Papier



Notizen

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Ausstellungspartner:

WEISS

Unterstützt von:

GRAFIK


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