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PUBLISHER: MilionArt a brand of Froner & Partner Consulting GmbH, Grabenweg 3, A-6020 Innsbruck www.milionart.com Tel.: +43 (0) 512 908468
KNOW
Kunst trifft Wissenschaft
Kakau – Kunst – Karitatives
Eine venezianische Villa in
den Hügeln von Asolo
Cuba Cars 6 COLLECTORS & MUSEUMS
EDITOR & ART DIRECTOR: Hugo V. Astner Magdalena Froner info@stayinart.com
3 ART EXPERTS
Contributing AUTHORS: Beatrice Benedetti Konstanze Caysa Anja Es Martin Duschek Ludwig Geiger Bert Van Gerwen Jörg-M. Hormann Elisabeth Maireth Paulus Rainer Werner Spies Barbara Steffen Elmar Zorn
Outstanding Masters
Die Verschleierung bei Elke Silvia Krystufek
PRINT: Daneels Graphic Group www.daneels.be
70 Nitsch Foundation: Utopie 72 MEC – Eine Symbiose aus Business, Kunst und Design
7 DISCOVERED
Mauro Fiorese
4 ARTISTS
ARTWORK: Dada Weiss Graphicdesign Tel: +43 (0)699 10810574 dada.weiss@mac.com
26 Beatrice Benedetti:
68 21er Haus: Franz West – Aristclub
22 Barbara Steffen:
20 Ludwig Geiger:
MARKETING & SALES: advertising@stayinart.com
SPECIAL NOTE: Most of the pictures are cuttings Bei den meisten Bildern handelt es sich um Ausschnitte
Der Künstler philosoph als Pornosophischer Exzentriker
62 Architektur:
18 Roberto Pietro Pezzolati:
60 Michael Prachensky:
„Viel in der Kunst ist zu viel“
14 Hermann Bühlbecker:
ABO-SERVICE: abo@stayinart.com www.stayinart.com
COVERBILD: Walhalla (detail), 2016 Oil, acrylic, emulsion, shellac, and clay on canvas 380 x 570 cm Copyright Anselm Kiefer, photo: Georges Poncet
54 Wirtschaft: Wörgler Freigeld
12 Charles Schumann:
CE
58 Philiosphie:
written by Werner Spies
2 INTERVIEWS
EDITION: 1.17
TRANSLATION: Studio BONETTI & PERONI +39 0471300066 info@bonetti-peroni.it
5 SCIENCE
06 Anselm Kiefer
MAGAZINE: MilionArt Kaleidoscope www.stayinart.com
DISTRIBUTION: BPV Medien Vertrieb GmbH & Co. KG 79618 Rheinfelden/Germany Römerstrasse 90 Telefon +49 7623 964 266 www.bpv-medien.de
1 COVER STORY
IEN
74 Joseph Marr: Kunst aus Zucker
76 The Bakery Snowboards
77 Villa der Fantasie
30 Stephan Balkenhol
32 Christiane Vleugels
STATEMENT
34 Rolf Ohst
36 Claus Bergen
38 Herbert Danler
40 Augustin Schütti
44 Josef Rainer
46 Bernhard Prinz
50 Irene von Neuendorff
52 Maria Chalela-Puccini
78 Anja Es: Predigt zur Kunst –
die heilige Inspiration
Magdalena Froner und Hugo V. Astner, Acryl auf Leinwand von Bernhard Prinz, 60 x 90 cm, 2016
HERAUSRAGEND – WER ODER WAS IST DAS SCHON? HEUTE, WO TÄGLICH EIN TREND DEN ANDEREN ABLÖST, IM MINUTENTAKT UNSERE REIZE ÜBERFLUTET UND MEDIAL UNUNTERBROCHEN NEUE ÄNGSTE GESCHÜRT WERDEN. WIR SIND VERUNSICHERT, HABEN KAUM AUSREICHEND ZEIT UNS MIT DEM DURCHSCHNITTLICHEN AUSEINANDERZUSETZEN, WER SUCHT DA SCHON NACH DEM AUSSERGEWÖHNLICHEN? WIR NEHMEN SIE UNS – DIE ZEIT. Es gibt Personen und deren Leistungen, die für uns überdurchschnittlich sind, also außergewöhnlich und zwar deshalb, weil sie anders sind, als Vieles, das wir vom Alltag kennen. Damit meinen wir nicht schneller, weiter, höher, größer oder erfolgreicher. Außergewöhnlich bedeutet aus dem Rahmen zu fallen, sich nicht dort sein Plätzchen zu suchen, wo all die anderen sich ohnehin schon wie Sardinen eine Dose teilen, sondern eben neue Orte zu suchen, die oftmals nicht so bequem beschaffen sind und gerade deshalb Herausragendes hervorbringen. Ein Künstler wie Anselm Kiefer ist eben Outstanding. Nicht, weil seine Bilder so groß sind, dass sie nicht in unsere Wohnzimmer passen, sondern weil er sich seine eigene Welt erschaffen hat. Eine Welt, in der er sich ungestört mit existentiellen Fragen beschäftigt: Woher kommen wir? Warum sind wir da? Was wird nach uns kommen? Kiefer hat es geschafft das Kind in sich zu bewahren, spielerisch Einzigartiges zu erschaffen und das ist überragend.
Charles Schumann, auch einer, der aus der Reihe tanzt, bringt es im Interview mit uns in einfachen Worten auf den Punkt: „Aus dem Gewöhnlichen etwas Besonderes machen - das ist Outstanding.“ Chapeau, Herr Schumann, treffender hätten wir es auch nicht ausdrücken können!
OUTSTANDING – WHO OR WHAT IS OUTSTANDING IN OUR DAY AND AGE, WHEN A TREND REPLACES ANOTHER EVERY DAY, OVERFLOODING OUR SENSES EVERY MINUTE, WITH NEW FEARS BEING POKED UNINTERRUPTEDLY BY NEW MEDIA. WE’RE UNSURE, HAVE BARELY ANY TIME TO DEAL WITH THE HUMDRUM AVERAGE ASPECTS OF OUR LIFE, SO WHO’S GOT TIME TO LOOK AROUND FOR THE EXTRAORDINARY? WE’RE TAKING MATTERS INTO OUR OWN HANDS. TIME, THAT IS.
There are people and their performances which, to us, go above and beyond the ordinary. They’re extraordinary because they’re different from what we experience every day. We don’t mean they’re faster, farther, taller, larger, or more successful. Extraordinary means to think and live outside the box, not head for the same pigeonhole everyone else does, packed in like sardines; it means to look for new locations, which are often not as comfortable, but it’s precisely that feature that brings forth the outstanding nature of their work. An artist such as Anselm Kiefer is, indeed, outstanding. Not because his paintings are so big they often don’t fit in our living rooms, but because he’s created his own world. A world where he tackles existential questions unencumbered: where do we come from? Why are we here? What does the future hold? Kiefer has succeeded in preserving his inner child, creating something quite special: that’s what we call outstanding. Charles Schumann is also another figure who stands out, as he explained what ‘outstanding’ means in a nutshell during his interview: ‘Outstanding means making something special out of the ordinary.’ Chapeau, Mr Schumann, we couldn’t have said it any better!
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»Ich lasse mich treiben, aber ich kenne die Strömung, die ich mir ausgesucht habe.«
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Interesse an der Architektur damit zu tun, dass die Zeit, in der Kiefer aufgewachsen ist, Geschichte und Symbolik von Bauwerken mit beV sonderer Gereiztheit unter die Lupe nahm. Bauten verfielen im NachCO 1_ kriegsdeutschland dem Fetischismus der Leugnung und der Leere. Sie mussten büßen, sie wurden strenger entnazifiziert als die Gesellschaft, man sezierte sie oder riss sie ab. Kiefer kennt diese Berührungsangst nicht, er spielt früh mit dem Ruinösen, mit dem Abgelebten und Fatalen, das sich vom Gesicht der Häuser ablesen lässt. Das Krustige, Zerbröselnde der Malerei, die Verwendung von Stroh, das den Gedanken an Feuer, an Brandstiftung nahelegt, all dies besitzt im Werk eine konkrete Bedeutung. Er setzt den Mehrwert des Kaputten ein. Die Faszination durch das Desaster, ein negativer heroischer Aspekt hinterfängt die Wirkung seiner Bilder und Installationen. Diese besitzen einen hohen Grad an materieller Anschaulichkeit. Jeder, der Anselm Kiefer mit ihnen konfrontiert wird, weiß, dass es um mehr als subjektive existentielle Angst geht. Es geht um politisch und letztlich anthropologisch begründete Angst. Wenn es irgendwie geht, übernimmt der SEIT LANGEM LEBT UND ARBEITET ANSELM KIEFER IN FRANKKünstler nicht einfach indifferente Materialien, sondern solche, die REICH. UND MAN FREUT SICH HIERZULANDE DARÜBER, DENN ES ihre eigene Geschichte mitbringen und für die er benennbare Quellen GIBT KEINEN ANDEREN KÜNSTLER, DER DAS, WAS MAN LANGE angeben kann. Die Vernetzung der Fundstücke mit Orten ist wichtig. VOLLER STOLZ „ECOLE DE PARIS“ NANNTE, AUF SO AUFSEHENSeine Steine, Erden, Pflanzen und Textilien verweisen auf präzise, ERREGENDE WEISE WIEDERBELEBT HÄTTE. DER UMZUG IN DAS immer wieder mit Emotionen verbundene Topographien. Nicht von SÜDFRANZÖSISCHE BARJAC, IN DIE NÄHE DES GRANDIOSEN, VON ungefähr ließ er sich das alte Blei, das die Dombauhütte vom Dach HÖHLEN ZERSETZTEN ARDÈCHE-TALS HAT DAS WERK VERÄNDERT des Kölner Doms abräumte, in sein Atelier im Süden Frankreichs INS BLONDERE, STILLERE TRANSPONIERT. KIEFER WAR OFFENtransportieren. Ein Teil davon taucht in den Skulpturen „Zwanzig SICHTLICH AUF DER SUCHE NACH DISTANZ ZU SICH SELBST, ZU Jahre Einsamkeit“ auf. Solche Transfusionen des Geschichtlichen ins SEINEN BIOGRAPHISCHEN DATEN, ZU DEN MÄCHTIGEN THEMEN. Werk interessieren ihn. Er lädt das Schrundige, das Spiel mit Strukturen und pastosem Farbauftrag mit Hinweisen auf historische EreigInzwischen, im neuen Leben verschwanden die „Kyffhäuser“, „Hernisse auf. Nehmen wir nur aus früheren Jahren „Innenraum“, ein mannschlacht“ oder „Brünhildes Tod“. Auch seine Ausflüge ans Rote Bild, in dem die Speersche Reichskanzlei zu verkohlter Kälte verMeer, zu Aaron, den ägyptischen Plagen, zu den Pharaonen, Ausflüwandelt erscheint. Diese Arbeiten Kiefers, die sich in den siebziger ge, die alle um Exodus kreisten, haben einer privateren Thematik Jahren der deutschen Geschichte zuwenden, zählen sicherlich zu den Platz gemacht. An die Stelle der düsteren, kalzinierten Darstellungen eindrucksvollsten Historienbilder der Nachkriegszeit. Als Anselm traten mehr und mehr helle, mit botanischen Funden gespickte TaKiefer vor langen Jahren seinen ersten großen Auftritt in den USA feln. Samenkerne, ausgetrocknete Blüten dienen als diamantener hatte, notierte William Rubin, Chefkonservator des New Yorker MuSternenstaub jener Unendlichkeit, auf die nicht zuletzt all die Riesenseum of Modern Art, über das Werk: „Ich glaube nicht, dass einer der formate in den Remisen und Tunnels hinweisen, die sich der Künstler zeitgenössischen amerikanischen oder europäischen Maler so gut wie in Barjac angelegt hat. Die Auseinandersetzung mit architektonischen Kiefer ist. Auf ihn setze ich.“ Ja, Deutschland habe, meinte der Autor, Ensembles und mit der historischen Zeit verliert sich im grenzenloseit dem Zweiten Weltkrieg keinen außergewöhnlicheren Geist im sen Raum der Weltlandschaften. Anselm Kiefer ist inzwischen erneut Bereich der Kunst hervorgebracht. Er entdeckte in den Bildern des umgezogen, in ein riesiges Atelier im Osten von Paris. Die Wirkung Malers aus Deutschland das, was die Bilderangst der Avantgarde zuseiner Arbeiten hat nicht nachgelassen. Die Beschäftigung mit weitmeist schuldig geblieben war, die Weiterführung der Historienmaleläufigen Gebäuden und jähen Perspektiven liefert von Anfang an ein rei. Und zwar präsentierte Kiefer einen Umgang mit Geschichte, der entscheidendes Motiv im Werk. Immer wieder spielen in den Bildern nicht für Optimismus, für Siege und Eroberungen eintrat, sondern der Bühne und Räume die Hauptrolle. Möglicherweise hat das auffällige ER
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»I let myself drift, but I know the current I have chosen for myself.« Anselm Kiefer
ANSELM KIEFER HAS LIVED AND WORKED IN FRANCE FOR A LONG TIME
NOW. AND WE IN THIS COUNTRY ARE GLAD OF THIS, BECAUSE THERE
IS NO OTHER ARTIST WHO HAS REVIVED WHAT IS PROUDLY CALLED THE
SCHOOL OF PARIS IN SUCH A SPECTACULAR WAY. HIS MOVE TO BARJAC
IN SOUTHERN FRANCE, NEAR THE FABULOUS ARDÈCHE VALLEY WITH ITS
UNCOUNTED CAVES, ALTERED HIS ART IN THE DIRECTION OF LIGHTNESS
has confronted them knows, the point is more than just subjective existential anxiety. It extends to political and ultimately anthropological fear. Whenever possible, the artist employs not neutral materials but ones that contain their own intrinsic history and for which he can name particular sources. The connection between found objects and places is important. His stones, soils, plants and textiles are associated with precise, emotion-charged topographies. It is no coincidence that Kiefer had the old lead sheets that were removed from the roof of Cologne Cathedral shipped to his studio in southern France. Some of them appear in the sculptures in the Twenty Years of Solitude series. Such transfusions of history into the work interest him. He charges battered things, his play with textures and impasto paint application, with references to historic events. Take the early picture Interior, in which Speer‘s Reich Chancellery appears transformed into a charred coldness.
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In the meantime, the ’Kyffhäuser’, ’Hermann‘s Battle’ and ’Death of Brünhilde’ have vanished. And his excursions to the Red Sea, to Aaron, the Egyptian plagues and pharaohs, all the subjects that revolved around the Exodus, have made way for more personal ones. In place of the dark, calcined depictions appeared more and more bright panels bristling with botanical finds. Seeds, dried blossoms served as the shimmering stardust of that infinity to which, not lastly, the gigantic formats in the storerooms and tunnels the artist prepared in Barjac alluded. His involvement with architectural ensembles and historical time dwindled in face of the endless space of universal landscapes. In the meantime Kiefer has moved again, to a huge studio in the eastern part of Paris. The effect of his work has not diminished. His concern with spacious buildings and abrupt perspectives formed a crucial motif in his oeuvre from the start. Again and again, stages and interiors played the starring role. Kiefer‘s evident interest in architecture may well derive from the period in which he grew up, when the history and symbolism of buildings held a particular irritation. In postwar Germany, such edifices were subject to the fetishism of denial and avoidance. They had to suffer, and were more stringently denazified than the society that had produced them, which dismembered or razed them. This fear of infection was foreign to Kiefer; early on he began to toy with 1 Böse Blumen (detail), 2016, oil, acrylic, emulsion, shellac and clay on canvas, 470 x the obsolescence and fatality that were written all over the facades. 760 cm, © Anselm Kiefer, photo: Georges Poncet The encrusted, crumbling nature of his paint application, the employ2 Portrait Anselm Kiefer (detail), photo: Charles Duprat ment of straw to evoke fire and arson, possessed a definite meaning. It 3 20 Jahre Einsamkeit, 1971-1991, wood, lead, paper and sperm, dimension variable, © addressed the added value of the ruinous. A fascination by disaster, a Anselm Kiefer, photo: Margrit Olsen negative heroic aspect, underly the effect of his paintings and installati4 Studio Anselm Kiefer, Barjac, Southern France, 2011, photo: Charles Duprat ons. These possess a high degree of material presence. As anyone who
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These Kiefer works on German history from the 1970s certainly belong to the most compelling history paintings of the postwar period. When Kiefer made his first great appearance in the U.S. many years ago, William S. Rubin, chief curator of the Museum of Modern Art, declared that he didn‘t think any European or American contemporary artist was as good as Kiefer, and that he was ’betting on him.’ Then Rubin went on to state that since the Second World War, Germany had produced no more extraordinary figure in the field of art. In the German artist‘s paintings he discovered something the avant-garde had shied away from out of a fear of figuration: a continuation of history painting. Kiefer presented a way of dealing with history that stood not for optimism, victories and conquests but, in the wake of Picasso‘s Guernica, addressed only fatality and loss. The epic range of themes, the possibility of short circuiting mythologies with the current zeitgeist, and the grand creative gesture with the misery-loving self-mockery of 1960s Arte Povera, led in Kiefer‘s work to a remarkable result. His rapid success derived from the fact that he did not shy away from the tabooed phase of German history. Like no one else but Gerhard Richter, Kiefer did away with the suppression of names, concepts and topographies. He called one painting German Intellectual Heroes. Then he did something more daring still: instead of treating his subjects from a safe distance, the distance of
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AND TRANQUILLITY. KIEFER WAS EVIDENTLY ON A SEARCH FOR DETACH-
MENT FROM HIMSELF, HIS BIOGRAPHICAL DATA AND POWERFUL THEMES.
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sich, im Gefolge von Picassos „Guernica“, ausschließlich dem Fatalen und Verlorenen zuwandte. Der epische Spielraum der Themen, die Möglichkeit, in rasanter Verkürzung Mythisches mit Zeitgeist und die große schöpferische Geste mit dem miserabilistischen Selbstspott der „arte povera“ der sechziger Jahre zu paaren, führten im Werk Kiefers zu einem markanten Resultat. Der schnell einsetzende Erfolg beruhte darauf, dass der Maler dem tabuierten Part der deutschen Geschichte nicht aus dem Weg ging. Kiefer machte, wie nur noch Gerhard Richter, mit der Verdrängung von Namen, Begriffen und Topographien Schluss. Er nannte ein Bild „Deutsche Geisteshelden“. Dazu trat etwas Gewagteres, er gestaltete seine Themen nicht aus einer sicheren Distanz, aus der Distanz des Nachgeborenen, den ein gutes Gewissen retten soll. Er verquickte die Auseinandersetzung mit dem gefährlichen Abglanz der Verblendung, die zu dieser fatalen Vergangenheit geführt hatte. Unübersehbar mischt er in seinen Werken Aufklärung mit einer anästhetisierenden Atmosphäre. Aus dieser Antinomie beziehen die exorbitanten Arbeiten der siebziger und achtziger Jahre ihren rattenfängerischen Sog. Kiefer hat sich mit seinen Geschichtsbildern „Der Rhein“, „Dem unbekannten Maler“, „Athanor“ weiter vorgewagt als seine Zeitgenossen. Das musste zu Anfeindungen und Fehlinterpretationen führen. Doch an der Grundeinstellung des Werks kann keiner zweifeln, sie liegt auf der Seite des Untergangs, einer verantwortungsbewussten tiefen Melancholie. Nicht umsonst hat der Künstler das saturnische, melancholische Blei zur Grundnahrung vieler Skulpturen und Bilder gemacht. Die Mischung aus einem präzisen Bildaufbau und der Anziehungskraft durch das Verbrannte, das Defekte, die in den zerbröselnden, von Schutt bedeckten Bildern materiell greifbar hervortreten, schafft Verwirrung. Man kann hinter dieser Hinwendung zu einem psychischen Materialismus den Einfluss von Beuys entdecken, der die Gestikulation der „arte povera“ und den postdadaistischen Umgang mit dem Niedrigen und Verachteten zu einem privaten Lamento bündelt. Doch Kiefer setzt noch etwas anderes ein, er arbeitet mit der konkreten Anspielung auf geschichtliche Daten, er wendet sich dem genauen Teil der kollektiven Erinnerungen zu. Wie kein anderer versteht er es, in seinen Kompositionen auch das photographische Zitat, als Beleg, aufblitzen zu lassen. In diese Darstellungen, in diese greifbaren Wunden der Zeit muss der Betrachter seinen Finger legen. Die eindrucksvollsten Bilder sind deshalb zweifellos diejenigen, in denen der direkte Malvorgang immer wieder durch stoffliche Zitate und photographische Einsprengsel unterbrochen wird. Das Werk ist auf diese Blutproben des Wirklichen angewiesen, nährt sich von ihnen. In Arbeiten wie „Nothung“ oder „Resurrexit“ arbeitet der Künstler mit Augentäuschung. Er imitiert die verzweigten Maserungen von Holzböden und Dielen. Die Darstellungen architektonischer Motive und Landschaften bleiben zunächst noch stilistisch und technisch getrennt. Denn in den Landschaftsbildern verzichtet Kiefer auf das faksimilehafte Nachzeichnen von Strukturen. Ein Sturzacker wird von einer tiefgepflügten MalMasse aus Farbe und Erde dargestellt. Die pastose Technik erreicht ihre stärkste Wirkung in den schrundigen Malgründen, in die der Maler – nehmen wir Bilder wie „Wege: märkischer Sand“ – die Samen seiner historischen und mythologischen Erinnerung aussät. Die technische Virtuosität steigert sich dabei regelrecht zum wagnerianischen Tutti: Sand, Teer, Schellack, Sägemehl, Bleifolien, sprechende Materialien wie das Stroh der Brandstifter, Stacheldraht und Kleidungsstücke tragen zu der depressiven Stimmung bei, sprechen von diesem „Wasteland“, das T.S. Eliot zur Metapher der verödeten chaotischen Moderne ausgerufen hat. Kiefers großartige Bücher, wunderbare, variantenreiche bleiche Folianten liefern zum Werk den einzigartigen Kommentar: sie umspielen die Apokalypse des Johannes. Kiefer ist sich dessen bewusst, hat er doch unmissverständlich festgehalten: „Ich lasse mich treiben, aber ich kenne die Strömung, die ich mir ausgesucht habe“.
those born at a later date, supposedly saved by a clean conscience, he blended his depictions with the dangerous suggestion of blindness that had led to the fatal past. The enlightenment in his works was evidently combined with an anaesthetic atmosphere. It is this antinomy that lends the exorbitant works of the 1970s and 80s their irresistible attraction. With his history paintings The Rhine, To the Unknown Painter, and Athanor, Kiefer dared to go much farther than his contemporaries. This could not help but lead to enmities and misinterpretations. Yet there can be no doubt about the basic stance of the work – on the side of demise, and a responsible, profound melancholy. His choice of lead, that saturnine, melancholy metal, as a basic component of his sculptures was no accident. The mixture of precise composition and the attraction of charred, defective things that takes on material tangibility in the crumbling, fragment-studded imagery triggers confusion. One might detect behind this turn to a physical materialism the influence of Beuys, who distilled the gesticulations of Arte Povera and the post-Dada concern with the low and despised into a private lamento.
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Yet Kiefer employs something else. He works with concrete allusions to historical dates, turns to the precise aspect of collective memories. Like no other he is skilled at letting the photographic quotation, a piece of evidence, shine out of his compositions. These depictions with their tangible wounds in time challenge us as viewers to put our finger in them. Thus the most compelling images are doubtless those in which the direct painting process is interrupted by concrete quotations and photographic incursions. The work depends on these blood tests of reality and is nourished by them. In pieces like Nothung and Resurrexit the artist works with trompe-l‘oeil, imitating the branching grain of wooden floorboards. His depictions of architectural motifs and landscapes initially remained technically and stylistically separate. Then, in the landscapes, Kiefer abandoned a facsimile-like rendering of textures. A plowed field was evoked by a deeply furrowed mass of paint and soil. This impasto technique developed its stongest effect in the furrowed surfaces – as in Paths of Marches Sand – in which the painter sowed the seeds of his historical and mythological memories. His technical virtuosity increased to a veritably Wagnerian tutti. Sand, tar, shellack, sawdust, lead sheets, eloquent materials like the straw of arsonists, barbed wire and articles of clothing contributed to the depressive mood, evoked the Waste Land ,T.S. Eliot‘s perfect metaphor for the dessicated, chaotic modern age. Kiefer‘s magnificent books, wonderful and various folios, provide a unique commentary on the oeuvre with their allusions to the Apocalypse of St. John. Kiefer is aware of this, having clearly stated that ’I let myself drift, but I know the current I have chosen for myself.’
5 Wege: märkischer Sand (detail), 1980, oil, emulsion, shellac and photograph on canvas, 284,5 x 440,7 cm, © Anselm Kiefer, photo: Atelier Anselm Kiefer 6 nubes pluant, 2016, oil, acrylic, emulsion and shellac on canvas, 330 x 570 cm, © Anselm Kiefer, photo: Georges Poncet 7 Athanor (detail), 1983/1984, oil, acrylic, emulsion, shellac, straw and scorch marks on photograph on canvas, 225 x 380 cm, © Anselm Kiefer, photo: Atelier Anselm Kiefer 8 Die Orden der Nacht, 1996, acrylic, shellac and emulsion on canvas, 356 x 463 cm, © Anselm Kiefer, photo: Atelier Anselm Kiefer 9 Studio Anselm Kiefer, Barjac, Southern France, 2011, photo: Charles Duprat 10 Lilithts Töchter (detail), 1990, oil, emulsion, shellac and ash on canvas with hair, original photographs, lead planes, snake skin, fabric and copper wire, 380 x 280 cm, © Anselm Kiefer, photo: Atelier Anselm Kiefer 11 Portrait WERNER SPIES, Copyright Foto Peter Lindbergh
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AUTHOR
WERNER SPIES, Jahrgang 1937, Verfasser von Werkverzeichnissen von Picasso und Max Ernst, ehemals Direktor des Musée national d’art Moderne im Centre Pompidou in Paris, Professor an der Kunstakademie Düsseldorf, Spiritus Rector von Ausstellungen mit Welterfolg. Das Überschreiten von Grenzen sowie der gleichzeitige Blick auf die Kunst wie auf die Literatur werden zum Beweggrund seines Lebens und Schreibens. Freundschaft und persönliche Nähe zu seinen Freunden, den Künstlern und Schriftstellern - Max Ernst, Pablo Picasso, Marcel Duchamp, Samuel Beckett, David Lynch, Anselm Kiefer, Gerhard Richter sind nur die bekanntesten -, die ihn in der Auseinandersetzung mit ihrem Werk ebenso wie als Anstifter von neuen Werken als Partner akzeptieren, garantieren seine Unverwechselbarkeit. In den Schriften von Werner Spies, einem Oeuvre, das neben Werkmonographien und Zeitungsbeiträgen Aufsätze und Abhandlungen umfasst, haben sich die Facetten dieser gelehrten Persönlichkeit niedergeschlagen. Die literarische Brillanz seiner Texte ist einer originellen Kraft zu verdanken, die dem kreativen Potential seines Gegenstandes nicht nachsteht. Eine tiefe Verpflichtung gegenüber diesem Gegenstand ist Auslöser akribischer Recherchen geworden und hat eine Konsequenz der Analyse zur Folge, die auch Übersehenes oder scheinbar Abgelegenes wieder in das Bewusstsein rückt. Keiner nutzt wie er in der zehnbändigen Ausgabe seiner Schriften, die aus der Vielseitigkeit seiner Interessen und Begabungen entstehende Chance, diese Entwicklung der Kunst der Moderne in ihrer Kohärenz wie in ihren Brüchen und Verwerfungen zu verfolgen. Die einzelnen Darstellungen gewinnen dabei eine Anschlussfähigkeit, die die Vermutung nahe legt, der Autor hätte schon immer, über Jahrzehnte, die Idee einer Gesamtdarstellung verfolgt. Vor unseren Augen entwickelt sich so die Moderne aus der Sicht eines großen Schrift-stellers überzeugend, umfassend und überraschend neu.
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Mag. Peter Tiefenthaler (6. v.l.) Leiter des Private Bankings der Tiroler Sparkasse und das engagierte Team
Was zählt, sind Risikobeurteilung und Leidenschaft
Deshalb ist grundsätzlich zu klären, welchen Anteil die Kunst an der Vermögensaufteilung des Kunden hat und in Zukunft haben soll. Geht es um den Einsatz von Produktivvermögen oder um die Finanzierung einer Liebhaberei? Das kann aber natürlich nur der Kunde selbst entscheiden.
Die Zeiten, in denen ein werthaltiges Portfolio im Schwerpunkt aus einem Sparbuch, Bundesanleihen, Festgeld und vielleicht einigen Aktientiteln bestand, sind vorbei. Eine unüberschaubare Palette aus Fonds verschiedenster Branchen, Themen oder Regionen bis hin zu allen möglichen Derivaten sollen Alternativen für ertragreiches Investieren sein. Anleger werden auf immer noch exklusivere Nischenalternativen angesprochen. So gibt es für Weine inzwischen in London eine eigene Börse. Antiquitäten und eben auch Kunst generell rücken in den Fokus immer breiterer Investorengruppen. Wir wollen einen Überblick zu genau diesem Investment geben. Kunst - auch - als Wirtschaftsgut betrachtet, bedingt die Berücksichtigung besonderer Spielregeln. Mag. Peter Tiefenthaler, Leiter des Private Bankings der Tiroler Sparkasse gibt Antworten auf Fragen, die sich bei der Geldanlage in Kunst stellen.
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Herr Tiefenthaler, was raten Sie Ihren Kunden im Private Banking, die ihr Geld in Kunst anlegen wollen? Jeder Kunstsammler, oder in diesem Fall wohl Kunstinvestor, muss sich bewusst sein, dass der Kunstmarkt sehr schwankungsanfällig ist. Im Private Banking geht es immer an erster Stelle um Risikoeinschätzungen. Eine Geldanlage soll möglichst verlustgeschützt und gewinngesichert erfolgen. Soll also durch Investition in Kunst ein Vermögenszuwachs erzielt oder soll ein Vermögensanteil für Kunst „ausgegeben“ werden? Von der Antwort auf diese Frage hängt alles Weitere ab. Sie empfehlen also Ihren Kunden, sich ganz genau zu überlegen, worum es ihm wirklich geht, um die Kunst oder das Geld? Unbedingt. Denn die Kunst ist als Anlageprodukt betrachtet eben ein riskantes Spekulationsobjekt. Über andere Anlageprodukte wie Wertpapiere, Immobilien und Beteiligungen gibt es unzählige Reports. Währungs- und Zinsbewegungen können nachvollzogen werden, wohingegen der Markt für „Kunst“ deutlich weniger transparent ist. Natürlich, hundertprozentige Sicherheit gibt es auch in den traditionellen Anlageformen nicht, aber die wertmäßige Beurteilung von Kunst – mit oft sehr subjektiven Qualitätskriterien – kann sich besonders stark wandeln. Also Finger weg von Kunst als Geldanlage? So pauschal kann man diesen Satz nicht stehen lassen. Den finanziellen Risiken des Kunstmarktes stehen eben auch große Chancen gegenüber: Wenn ein Künstler populär wird, ist eine explosionsartige Wertentwicklung mit einer Vervielfachung des Kaufpreises durchaus üblich.
Am Ende steht die entscheidende Frage: Was tun? Erstellen Sie mit Ihrem Private-Banker ein Anlageprofil, entscheiden Sie welchen Rang die Kunst in der ganzheitlichen Betrachtung Ihres Vermögens haben soll. Wählen Sie Ihren Interessen folgend einen Profi – so wie beim Kauf von Wertpapieren – als Berater. Auch wenn Sie persönlich kunstverständig sind, folgt die Wertentwicklung am Kunstmarkt eigenen Gesetzen und zumindest auch eine zweite Meinung als Ergänzung zu Ihrer eigenen sollten Sie berücksichtigen. Gerne vermittelt das Private Banking der Tiroler Sparkasse entsprechende Kunstexperten.
What counts are risk assessment and passion The times when a valuable portfolio consisted mainly of a savings account, government bonds, fixed deposits and perhaps some shares, are over. A vast range of funds from different industries, topics or regions, and all sorts of derivates are meant to be alternatives for a profitable investment. Investors are shown increasingly exclusive niche alternatives. In London, for example, there is now a separate stock market just for wine. Antiquities as well as art in general are the focus of a more extensive group of investors. We would like to present an overview of exactly this investment. Art - also regarded as an asset, requires taking into account particular rules. The Private Banking department of the Sparkasse in Tyrol is happy to put forward relevant experts in the art market.
INFO & CONTACT Peter Tiefenthaler (im Bild) ist Leiter des Private Bankings der Tiroler Sparkasse. Er ist bereits seit über 20 Jahren in der Tiroler Sparkasse beschäftigt und konnte so in den unterschiedlichsten Positionen die entsprechende und notwendige Praxiserfahrung sammeln. Ein persönliches Interesse an Kunst ist auch familiär verankert – er ist Großneffe des bekannten Tiroler Malers Anton Tiefenthaler. Telefon: 05 0100 - 70808 E-Mail: peter.tiefenthaler@tirolersparkasse.at Web: www.tirolersparkasse.at/pb
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Telefon: 05 0100 – 70808 – E-Mail: privatebanking@tirolersparkasse.at – Web: www.tirolersparkasse.at/pb
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»Aus dem Gewöhnlichen etwas Besonderes machen - das ist Outstanding.« Charles Schumann
Haben Sie selbst die Inneneinrichtung Ihrer Bar am Odeonsplatz in München beeinflusst und damit dieser Location ihren eigenen Stil und persönlichen Charakter verpasst? Ja, in Zusammenarbeit mit zwei Architekten mit denen ich bereits die Schumann´s Bar in der Maximilianstrasse und die Schumann´s Tagesbar realisiert habe.
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Probieren Sie doch mal Kunstwerke hier reinzuhängen, einfach der Energie halber… Es gibt genug Leute die das wollen, aber mir gibt dies keine Energie. Energie geben mir Menschen, die hier herkommen, meine Mitarbeiter und Essen und Trinken, das wir anbieten und über das ich mich freuen kann.
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„VIEL IN DER KUNST IST ZU VIEL.“ IM GESPRÄCH MIT CHARLES SCH
’A LOT IN AR T IS JUST TO O MUCH.’
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Herr Schumann, unzählige Interviews haben Sie im Laufe Ihres Lebens gegeben und Sie behaupten aber, dass das meiste, was über Sie geschrieben wurde, gar nicht stimmt – wie darf man das verstehen? (Lacht) Ich habe das nie gesagt, ich habe immer gesagt zu viele Interviews. Irgendwann sollte man aufhören zu erzählen. Weil die Leute eh schon alles wissen. Mit Charles Schumann verbindet man Begriffe wie Lifestyle, Luxus, Mode, Bestsellerautor, Bar Kultur und … – alles kreative Bereiche, in denen auch Kunst eine Rolle spielt. Viel in der Kunst ist zu viel oder es ist einfach „trendy“. In der Küche behaupten ja auch viele Köche sie bringen Kunst auf den Teller. Oft wäre weniger „Kunst“ besser. Das Ziel der Einfachheit ist dann erreicht, wenn man nichts mehr weglassen kann. Mein Zugang zur Kunst ist etwas anders, ich habe mich immer für Fotografie interessiert und hatte eine Galerie über 2-3 Jahre. Hier hatten wir großartige Fotografen ausgestellt. Ich bin befreundet mit Herrn Baselitz, aber wir haben nie über Kunst gesprochen. Ich freue mich wenn ich Ihn sehe. Sie meinten einmal, dass Sie keine Ahnung von Zahlen hätten, sondern mit dem Umzug der Bar einfach Glück hatten. Was ist „Glück“ für Sie? Was heißt Glück? Glück ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck, es hat halt funktioniert; es hätte auch nicht funktionieren können, dann wären wir ganz schnell am Ende gewesen. Auch für meine Mitarbeiter war die neue Schumann´s Bar erstmal fremd.
Berühmte Maler der klassischen Moderne wie Max Beckmann, Karl Schmidt-Rottluff, Lyonel Feininger oder Emil Nolde fanden in einsamen Küstenregionen ideale Motive für eine abstrahierende Darstellung der Natur. Was reizt Sie am Meer? Lyonel Feininger ja, Max Beckmann nein. Es ist nicht so, dass ich wegen der Jahreszeiten ans Meer fahre oder wegen der Natur. Wollen wir es ganz einfach sagen, lieber am Meer als in den Bergen sein. Dass Sie kein Familienmensch und gerne alleine sind, daraus machen Sie kein Geheimnis. Diese Eigenschaft teilen Sie mit sehr vielen Künstlern. Denn Einsamkeit ist oft der Schlüssel zu deren Erfolg - wie nutzen Sie Ihre Zeit, wenn Sie alleine sind? Stimmt nicht ganz, weil ich leider zu viel im Geschäft bin. Ich bin sogar zu wenig alleine, viel zu wenig. Ich bin hier alleine, aber trotzdem nicht alleine. Ich bin nicht mehr so neugierig, um zu sagen, jetzt muss ich das und das und das sehen. Also wenn es sich ergibt wunderbar, ansonsten kann ich auch irgendwo stundenlang sitzen ohne Probleme. Ich will in diesen Augenblick dann gar nicht reflektieren. Herr Schumann, aus welchem Fehler haben Sie am meisten gelernt? Ach, ich habe jede Menge Fehler gemacht. Es kommt, wie es kommt. Man muss immer das Beste daraus machen und kann nicht Dingen nachweinen, die man hätte anders machen können. Wenn ich mit 20 gewusst hätte, dass Gastronomie mein Leben ist, hätte ich ganz sicher eine andere Ausbildung gemacht, was damals viel schwieriger gewesen wäre als heute.
Ist die Bar Ihre einzige Leidenschaft? War sie es immer schon oder gab es Alternativen? Nein, ich denke und da habe ich eigentlich Glück gehabt, dass ich die Möglichkeit hatte und immer noch habe, das bis heute zu machen, was mir Spaß macht. Ich komme jeden Tag gerne hier her, wenn ich das nicht mehr mache, dann wäre es höchste Zeit aufzuhören. Aber man hat ja auch Verantwortung wenn man mit so vielen Mitarbeitern lebt und arbeitet. Als Gastgeber braucht man eine besondere Beobachtungsgabe und extremes Einfühlungsvermögen – gelingt es Ihnen, die Wünsche Ihrer Gäste sprichwörtlich von den Augen abzulesen? Also, ich weiß das natürlich was jemand haben will, aber es geht auch
Mr Schumann, you’ve given countless interviews in your life but you always claim that most of what has been written about you isn’t true. How should we interpret that? I’ve never said that; I only said there were too many interviews. At some point you’ve got to stop telling stories. Because people know everything anyway and you don’t have that many new things to say. Words such as lifestyle, luxury, fashion, bestselling author, supreme bar culture and all those creative fields where art plays a role are associated with Charles Schumann. A lot in art is just too much or simply ‘fashionable’. In the kitchen, many chefs claim they serve art on their plates. Often, less art would be better. Simplicity can be achieved once you can’t strip anything else away. My access to art is somewhat different, I’ve always been interested in photography and I’ve also owned a gallery for 2-3 years. I’m a friend of Mr Baselitz, but we never discussed art: never. You once said that you had no clue about numbers, you were just lucky when it came to your business. What does ‘luck’ mean to you? What does luck mean? Luck is, perhaps, not the right expression; it simply worked out; it could have not worked out, that would have led to our swift end. Even my collaborators didn’t find the new Schumann bar any good and that’s just not a matter of luck, but hard work, discipline, and maybe even a bit of narrow-mindedness. Did you choose the furnishing yourself at the bar on Odeon Square in Munich and, in doing so, did you transmit your open style and character to the location? Yes, I did, but I also collaborated with two architects, one of them opened the first Schumann bar, as well as the cafe. If you wanted to give this location a certain energy, which works of art would you choose… There’s plenty of people who would do such a thing, however hanging up paintings doesn’t create any energy. The energy of a place is created by the people who work there, by what is served on a plate. 2
darum, dass man die Leute ein bisschen führt. Das ist natürlich in einer so großen Bar viel zu schwierig. Um wirklich Einfluss auszuüben, müsste das wirklich klein sein, dann könnte man sagen, ich empfehle dir was Anderes zu Trinken oder zu Essen. Dann kannst du sie beeinflussen, sonst nicht. Würden Sie sich selbst als Visionär bezeichnen? Nein, warum soll ich ein Visionär sein? Die ganze Welt schaut auf Sie! Ja, aber das hat damit zu tun, dass ich immer noch arbeite und mir Gedanken mache, wie Gastfreundschaft bei uns aussehen muss. Niemals würde ich Essen und Trinken verkaufen die nur im Trend sind. Aber Sie hatten ja gesagt, sowas wie hier würde kein anderer machen? Lassen Sie mal die Kirche im Dorf. Wir haben das Glück gehabt, dass wir so einen großen Raum bekommen haben. Ich hasse alle Gastronomischen Betriebe die gleich aussehen und in denen viel Geld sichtbar versteckt wurde, die aber keine Seele haben, so ein Platz braucht eine Seele. Das Thema dieser Ausgabe lautet „OUTSTANDING“. Wir finden, dass Sie außergewöhnlich sind. Was denken Sie darüber? Nein, glaube ich jetzt nicht. Ein Teil des Erfolgs ist sicher auch mir zuzuschreiben, vielleicht mehr als ich denke. Aber ich glaube „Outstanding“: ...vielleicht wenn 3-4 Leute sich zusammenraufen und sagen, nicht wir machen etwas Außergewöhnliches, sondern wir finden aus dem Gewöhnlichen etwas Besonderes.
As a host, one needs to have special observation skills and extreme empathy – do you succeed in literally seeing what your guests wish for by just looking at them? I know what people want but then, it’s also about guiding people a bit. It’s way too difficult to do so in such a big restaurant. To really exercise influence, you should be working in a tiny space. Would you call yourself a visionary? No, why would I be a visionary? The whole world looks up to you! Yes, but maybe that’s got more to do with the fact that I’m still working and I really carefully plan how my days and hours look like. But you also said that nobody else could replicate what you do here? Let’s not get carried away now. We were lucky to get such a big venue. I hate all the places which look the same and where a lot of money has visibly gone into them, but which have no soul. Such a location needs a soul. And it was very difficult to infuse it with a Schumann soul. Without me it probably wouldn’t have worked.
Vielen Dank für das Gespräch Herr Schumann und weiterhin viel Erfolg.
1 Portrait Charles Schumann, Photo: ©Charles Schumann 2 Camparino, München, Photo: ©Charles Schumann
Wir bedanken uns bei Frau Ines von Otto zu Krekwitz für den Kontakt.
Let’s return to art: what do you think of our cover story about Anselm Kiefer? I don’t know him that well, I’d have liked to know him better. The last time he was here, I got the impression that he too, just like me, sometimes likes being alone. Thank you for the interview, Mr Schumann, and all the very best for the future!
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But you’ve made something special out of your life, have you not? Have I? Not really, no. Do you know what the problem is? We’re back again to being alone. If you do something like what I do here, you don’t really have that much time to really think about it. Take me, for example: I don’t fear death. Not one bit. I honeslty couldn’t care less. When I’m gone, I’m gone.
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The theme of this edition is ‘OUTSTANDING’. We find you to be outstanding. What do you have to say about that? No, I don’t think so. One part of the success has to do with me, too, maybe more than I think, but outstanding… maybe if three or four people come together and say we won’t create something outstanding, but we’ll make something special out of the ordinary.
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Um wieder auf die Kunst zurück zu kommen: Was fällt einem Schumann abschließend zu unserer Coverstory Anselm Kiefer ein? Ich kenne ihn nicht gut, ich hätte ihn gerne besser kennengelernt. Als er das letzte Mal hier war, hatte ich das Gefühl, dass er sehr gerne alleine ist.
Is the bar your only passion? Has it always been that way or were there ever any alternatives? No. I believe, and this is where I got lucky, I do and have always done that which makes me happy and is fun. I like coming here day in, day out, if I didn’t anymore then it would be high time for me to move on.
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Aber aus Ihrem Leben haben Sie ja etwas Besonderes gemacht? Hab ich das?! Nein. Wissen Sie, was das Problem ist, da kommen wir zum Beispiel auch gleich wieder auf das Alleinsein zurück. Wenn man so etwas macht, was ich hier mache, hat man wirklich zu wenig Zeit ernsthaft darüber nachzudenken. Zum Beispiel habe ich keine Angst vor dem Tod – Null. Es ist mir wurscht, wenn ich weg bin, bin ich weg! Wenn ich heute nach Berlin gehen würde - ich denke in Deutschland ist es die beste Stadt - dann würde ich sicher nichts Großes mehr machen. Ja, mit 2 bis 3 Mitarbeitern wunderbar! So stelle ich mir das vor. Ich könnte es dann so beeinflussen, dass wir alle glücklich wären.
It’s no big secret that you’re not a family man and somewhat of a lone wolf. Moreover, you share this with plenty of artists, because loneliness is often the key to their success. How do you spend your time when you’re alone? Not quite, because I unfortunately spend way too much time in my activity. I actually spend way too little on my own. Too little. I’m here alone, yet not alone. I’m not so curious anymore to say things like ‘now I need to see that, that, and that.’ If it happens, great, if not I can sit somewhere else for hours without a worry in the world.
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Sondereditionen grundsätzlich in Schwarz und Gold gehalten, das Weihnachtsgebäck kleidet sich selbstverständlich in die Farbe Rot und Bio- und Vitalspezialitäten ziehen in einem frischen knackigen Apfelgrün die Aufmerksamkeit der Kunden auf sich“, so Bühlbecker. Die Produktpalette der Firma Lambertz - und das ist überaus faszinierend - schlägt Brücken zwischen Gesellschaft, Wirtschaft, Politik, Kultur, Musik, Sport und Mode. Regelmäßige Präsenz in der internationalen Presse und ein dichtes Netzwerk ermöglichen Hermann Bühlbecker Botschafter seiner eigenen Marke zu sein und sein Content Marketing beansprucht viel Mühe und Zeit: „Was heute als „Content Marketing“ forciert wird, machen wir seit dreißig Jahren: Statt Werbung zu kaufen, erzählen 2 wir Geschichten.“ Auch soziales Engagement und Verantwortung werden im Hause Lambertz groß geschrieben: „Wir fördern zahlreiche humane Projekte im In- und Ausland, unterstützen die Unicef und die Unesco und sponsern auch sportliche Großveranstaltungen“ betont der Unternehmer. Jährlich erhält Bühlbecker beispielsweise eine Einladung des ehemaligen Präsidenten der USA, Bill Clinton, dessen Einrichtung die „Clinton Global Initiative“ finanzstarke Großunternehmer in die Pflicht nimmt, damit soziale Projekte für Mensch und Natur binnen 12 Monaten realisiert werden können. Jedes Jahr veranstaltet die Firma Lambertz die luxuriöse und avantgardistische Monday’s Night im Alten Wartesaal des Kölner Hauptbahnhofs. „Die exklusive Show ist eine Hommage an die Schokolade und einzigartig auf der Welt“, erklärt Bühlbecker. Im Mittelpunkt stehen phantasievolle Schokoladenroben, bzw. Kleider aus Verpackungsmaterialien, die von namhaften Models präsentiert werden und die die tausend geladenen Gäste immer 3 wieder aufs Neue zu Begeisterungsstürmen hinreißen. An diesem Abend schart der Entrepreneur die nationale und internationale Prominenz um sich und vereint so Lifestyle mit „verführerischer Mode“. Bühlbecker geht hier auf unser Nachfragen hin noch weiter ins Detail: „Die Ideen für die Modenschau entstehen unter meiner Regie. Das Kreativ-Team erarbeitet das jährlich wechselnde Show-Motto, das Programm, den Ablauf der Gala und die erlesene Gästeliste. Berühmte Designer entwerfen die sinnlichen Schokoladenträume, die aus Gebäckverpackungen und aus purer Schokolade gefertigt sind.“ Das Fitting der Gewänder, die in Kühlräumen aufbewahrt werden, ist eine diffizile und komplizierte Angelegenheit, weil die Materialien äußerst fragil sind. Nach der Veranstaltung gehen die Kreationen zurück an die Modemacher oder werden entsorgt. Ein weiteres künstlerisches Highlight der Firma Lambertz ist der stilvolle Kalender. Bekannte Fotografen setzen schöne begehrenswerte Frauen und Männer an außergewöhnlichen Orten gekonnt in Pose. Hermann Bühlbeckers ausgeprägter Sinn für Kunst und Ästhetik spiegelt sich in den 12 Kalenderblättern wider. Die Auflage des Jahrbuches beträgt nur 1000 Exemplare, über deren Verteilung der Unternehmer selbst entscheidet.
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»Was heute als „Content Marketing“ forciert wird, machen wir seit dreißig Jahren: Statt Werbung zu kaufen, erzählen wir Geschichten.« Dr. Hermann Bühlbecker
IM ZUGE UNSERER JOURNALISTISCHEN TÄTIGKEIT TREFFEN WIR VIELE UNTERNEHMER ZUM INTERVIEW, JEDOCH WAR DAS TREFFEN MIT DEM ENTREPRENEUR HERMANN BÜHLBECKER IN SEINER PRINTEN- UND SCHOKOLADENFABRIK „HENRY LAMBERTZ“ IN AACHEN FÜR UNS EIN BESONDERES ERLEBNIS. SEINE BEGEISTERUNG ÜBER DIE HAUSEIGENE PRODUKTPALETTE, SEINE DISZIPLINIERTE ZIELSTREBIGKEIT UND SEIN CHARISMATISCHES AUFTRETEN ALS GASTGEBER HABEN UNS BEEINDRUCKT. DER ÄUSSERST SOZIAL ENGAGIERTE GESCHÄFTSMANN UND TRÄGER DES BUNDESVERDIENSTKREUZES IST WEIT ÜBER DIE GRENZEN DEUTSCHLANDS HINAUS BEKANNT UND DURCH SEIN INTENSIVES NETZWERKEN IN INTERNATIONAL PROMINENTEN KREISEN ZUM TESTIMONIAL SEINER
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EIGENEN MARKE GEWORDEN.
Gleich zu Beginn unseres Gesprächs, bei einer gemeinsamen Tasse Kaffee und hauseigenen Printen, bringt Bühlbecker es auf den Punkt: „Auf die Zukunft ausgerichtetes unternehmerisches Denken, wertorientiertes Handeln und die uneingeschränkte Identifikation mit der Marke Lambertz, sind für mich die elementaren Säulen meiner Lebens- und Geschäftsphilosophie.“ Dank eines effektiven Imagewandels führte der studierte Politik- und Wirtschaftswissenschaftler das Unternehmen nach der Übernahme von seinem Onkel 1978 gekonnt an die Marktspitze, was sich nicht nur in den Umsatzzahlen widerspiegelt. Es gelang die „etwas aus der Mode gekommene“ Printe zu modernisieren, um sie für junge Leute attraktiv zu machen. Auch das „Herbst- und Wintergebäck“, eine Wortschöpfung des Firmenchefs, konnte weltweit etabliert werden und wird in der Weihnachtszeit vom hauseigenen Nikolaus in originaler Bischofsrobe mit Pastoralstab in vielen Ländern unter bedürftigen Kindern verteilt. Neben kundenorientiertem Handeln, höchster Qualität, Nachhaltigkeit und Verzicht von Überverpackung, spielen die Haptik und die Optik der Angebotspalette des Hauses eine signifikante Rolle. Die Farben der Aufmachung der Produkte sind optisch strukturiert: „Beispielsweise sind
In unserer bewegten Zeit, die von Unsicherheit und tiefgreifenden negativen Veränderungen geprägt wird, ist Bühlbecker in vielerlei Hinsicht ein Fels in der Brandung. Er setzt alles daran, die Kontinuität und Stabilität für seine Fabrik und seine Mitarbeiter zu erhalten, jene zu unterstützen, die auf der Schattenseite leben, mit der unverändert hohen Qualität seiner Produkte die Kunden zu überzeugen und für Innovationen, der Kreativität und der Kunst den erforderlichen Raum frei zu halten.
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receives an invitation from former US president Bill Clinton whose foundation, the Clinton Global Initiative, reminds financially successful entreTREPRENEUR HERMANN BÜHLBECKER IN HIS PRINT AND CHOCOLATE preneurs of their duty to support social projects to the benefit of people PLANT ‘HENRY LAMBERTZ’ IN AACHEN WAS A SPECIAL EXPERIENCE FOR and nature which can be carried out within 12 months. US. HIS TREMENDOUS ENTHUSIASM FOR THE HOMEMADE PRODUCT Every year, Lambertz organises the luxurious and avant-garde Monday’s RANGE, HIS DISCIPLINED DETERMINATION, AND HIS CHARISMA AS A Night in the old waiting hall of Cologne’s main train station. ‘The excluHOST IMPRESSED US. THE EXTREMELY SOCIALLY ENGAGED BUSINESS sive show is a homage to chocolate and unique in the whole world,’ MAN, WHO WAS AWARDED THE ORDER OF MERIT OF THE FEDERAL REexplains Bühlbecker, positively glowing as he speaks. At the heart of the PUBLIC OF GERMANY, IS WELL-KNOWN BEYOND GERMAN BORDERS event are fantastical creative chocolate robes or clothes created using AND HAS BECOME HIS VERY OWN BRAND THANKS TO HIS INTENSIpackaging materials, worn by renowned models and which have the VE NETWORKING ACTIVITIES ON THE INTERNATIONAL PLAYING FIELD. thousands of invited guests swooning with admiration every single time. On this night, the entrepreneur gathers national and international VIPs Right from the start of our conversation, sipping his first aromatic cup of around his figure, uniting lifestyle with ‘alluring fashion’. coffee and surrounded by homemade prints, Bühlbecker gets to the heart Bühlbecker goes a bit more into detail as we grill him with more questiof who he is, ‘The elementary pillars of my lifestyle and business philosoons: ‘The idea is for the fashion show to take place all under my superviphy are a modern entrepreneurial thought, value-driven trade, and fully sion and guidance. The creative team works on the show slogan - which identifying with the Lambertz brand.’ Thanks to an effective shift in his changes every year - and the programme, plans the Gala evening, and corporate image, the political and economic science graduate expertly drafts the select guest list. Famous designers create beautiful chocolaty led the company to the top after taking over from his uncle in 1978, a dreams using pastry packaging materials and pure chocolate.’ The closuccess not only reflected in the company’s turnover. thes are stored in fridges so fitting the outfits is a difficult and complicaHe succeeded in modernising the ‘slightly dated’ prints and make them ted task, for the material the team is working with is extremely fragile. attractive to younger generations. Even ‘autumn and winter baking’, After the event, the creations are returned to the designers or discarded. a neologism by the CEO, became an international phenomenon and Another artistic highlight at Lambertz is their stylish calendar. Famous bakes are distributed during the Christmas period by the company’s very photographers expertly direct beautiful, desirable men and women to own Saint Nicholas, bishop robe and crosier and all, to needy children pose in unusual locations. across numerous countries. Hermann Bühlbecker’s excellent sense for art and aesthetics is reflected Next to customer-centric trade, top-notch quality, sustainability and avoiin the yearly calendar. It’s a limited edition of only 1,000 runs, and the ding overpackaging, haptic and optical elements play a key role in the entrepreneur decides the recipients himself. product palette. ‘The colour range of the products are structured with visual elements taking centre stage: limited editions, for example, are In the hustle and bustle of our times which are characterised by uncerbasically black and gold, while Christmas pastries are decorated in red, tain and shocking negative changes, Bühlbecker has come to represent and organic and healthy eating products attract the clients’ attention what, in many ways, we can consider a bastion of immutability. He inwith their fresh bright green colour scheme,’ according to Bühlbecker. vests by always maintaining the continuity of his business and personnel, The product palette at Lambertz – and this is particularly fascinating – supports people who are living in the shadows, wins over his clients with throws bridges across societies, the economy, politics, culture, music, the steadfast high-quality of his products, and still manages to create sport, and fashion. A recurring presence in the international press and a enough space for innovation, creativity, and art. vast network allows Hermann Bühlbecker to become a messenger of his own brand, although his Content Marketing requires a lot of effort and 1 Portrait Dr. Hermann Bühlbecker time. ‘Today, what passes as ‘content marketing’ has been around for 2-7 LAMBERTZ MONDAY NIGHT thirty years: instead of buying advertisements, we tell stories.’ 8 Shooting Lambertz Fineart Kalender 2017 Even social engagement and responsibility are taken seriously at Lam Photos: © Henry Lambertz bertz. ‘We promote countless considerate and charity projects in Germany and abroad, support UNICEF and UNESCO and also sponsor Das Interview führten Mag. Isabelle Mereb und Hugo V. Astner huge sport events,’ highlights the entrepreneur. Every year, Bühlbecker MEETING COUNTLESS BUSINESS PEOPLE FOR INTERVIEWS IS PART AND
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WIR HABEN ROBERTO WÄHREND EINES ITALIEN-AUFENTHALTS KENNENGELERNT UND IN EINEM GESPRÄCH ÜBER DIE KUNST HERAUSGEFUNDEN, DASS ER AUSGEBILDETER FOTOGRAF UND DESIGNER IST UND ÄHNLICH WIE WIR, EINE AUSGEPRÄGTE BEGEISTERUNG FÜR CUBA UND SEINE MENSCHEN HAT.
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»These cars represent a connection between the past, the present and the future.«
Seit kurzem betreibt er während der Sommermonate gemeinsam mit seiner Frau Lorena ein individuelles B&B in der idyllischen Hafenstadt Cesenatico. Für die beiden ist es der notwendige Ausgleich nach jahrzehntelanger Werbetätigkeit für internationale Brands in den USA. Während ihrer zahlreichen Reisen haben sie weltweit viele Hotels kennengelernt und nun ihre kleine Oase umgesetzt. Die herzliche Gästebetreuung steht dabei im Vordergrund und das machen die beiden mit außergewöhnlicher Leidenschaft. Dem Fotografieren hat Roberto deshalb aber noch lange nicht den Rücken gekehrt – im Gegenteil – nun kann er endlich seine persönlichen Fotostrecken als Künstler umsetzen und ist nicht mehr auf das „kommerzielle“ Auge angewiesen, wie all die Jahre zuvor. Die Wintermonate verbringt Roberto beispielsweise in Cuba und fängt beeindruckende Momente ein. Wir haben uns mit ihm zu seiner aktuellen Foto-Serie „Cuba Cars“ unterhalten. Wann haben Sie Ihre Leidenschaft für Autos aus den 1950er Jahren entdeckt? Bereits als kleiner Junge! Wie die meisten meiner Altersgenossen bin ich unter dem starken Einfluss der amerikanischen Kultur aufgewachsen: Das Fernsehen war damals noch ganz neu, und wir sogen Filme und Shows aus Übersee mit Begeisterung auf. Auch Comics spielten eine Rolle, denn die großen bunten Automobile der Comichelden waren genauso aufregend wie die der Filmstars. Sie waren in meinen Gedanken ständig da, feuerten meine Fantasie an und vermittelten mir ein Gefühl von Freiheit und Stärke. Außerdem war da noch die Musik... Elvis Presley, American Graffiti, etc. Die Kombination aus alledem lieferte mir ein perfektes und vielleicht etwas surreales Bild eines weit entfernten Landes, das ich eines Tages besuchen wollte. Ich träumte von den herrlichen Wagen mit ihrer weichen, sinnlichen Silhouette, wollte sie sehen und fahren. Sobald sich also die Gelegenheit dazu ergab, begab ich mich auf meine erste Reise in die Vereinigten Staaten. Es war wunderbar, aber gleichzeitig auch eine kleine Enttäuschung.
Roberto Pietro Pezzolati Weshalb waren Sie enttäuscht? Ich flog 1982 zum ersten Mal nach Amerika, und die Autos, die ich so gerne sehen wollte, fuhr damals schon niemand mehr. Sie waren also höchstens in Museen und entsprechend spezialisierten Galerien zu bewundern. Natürlich hatte ich so etwas erwartet. Was wir in den 1980er Jahren im amerikanischen Fernsehen sahen, war anders als die Bilder aus meiner Kindheit. Die Formen der Automobile waren geradliniger und schärfer geworden – die weichen Flügelformen, die mich so faszinierten, waren out. Die kalifornischen Highways und die Boulevards von Los Angeles waren immer noch breit und gaben mir das Gefühl schier grenzenloser Freiheit, aber mein Kindheitstraum, sie in einem herrlichen Wagen aus den 1950ern zu befahren, war nicht mehr zu erfüllen.
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Was geschah dann? Wenn man fest an seine Träume glaubt, werden sie früher oder später auf die eine oder andere Art wahr... bei mir kam es rund 25 Jahre später so, als ich nach Kuba kam und erneut zum ersten Mal auf einem neuen Kontinent stand! Ich traute meinen Augen nicht: Chevrolets, Buicks, Fords und unzählige Autos weiterer Marken, allesamt aus den 1950er Jahren – authentisch, laut und strotzend vor Chrom. Manche waren abgerändert und angepasst oder etwas lieblos repariert worden und gaben eine Menge Rauch ab, aber sie waren funktionstüchtig. Es war, als wäre die Zeit stehengeblieben, um auf mich zu warten, als hätte sie eigens für mich gebremst, um meinen Traum wahr werden zu lassen. Außer den Autos waren überall Gegenstände, Architektur und allerlei andere Spuren aus den 1950ern sichtbar – vielleicht etwas verbraucht und über die Jahrzehnte abgenutzt, aber eben darum noch faszinierender. Ich fühlte mich sofort stark zu alledem hingezogen. Das Land schien in der Zeit gefangen zu sein, und so begann ich, Fotos zu schießen. Als ich die Bilder später durchsah, beschloss ich, wieder nach Kuba zu reisen, um einen der heute symbolträchtigsten Aspekte des Landes zu dokumentieren. Sind alle Bilder aus dieser Serie neueren Datums? Einige stammen aus dem Jahr 2008, aber der Großteil entstand 2016 bei meinem nächsten Aufenthalt in Kuba. Diesmal wollte ich die Autos in dem für das Land typischen architektonischen Kontext ablichten. Ich reiste von Osten nach Westen und fotografierte wann immer möglich auch immer die Menschen, dank derer die Fahrzeuge noch am Leben und funktionstüchtig waren. Es ist unglaublich, dass sie die Autos mit ein paar wenigen Werkzeugen und unter den denkbar schlechtesten Bedingungen (auf der Straße, auf Parkplätzen und in alten Schuppen) immer noch reparieren können! Die Wagen sind für mich eine Verbindung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Sie sind nicht nur Teil der Geschichte, nicht nur eine Erinnerung, sondern vielmehr ein lebendiges Gefühl, das einen verloren geglaubten Teil des Lebens zurückbringen kann. Sie sind weit mehr als Rechner, Smartphones und all die anderen entfremdenden technologischen Hilfsmittel, an die wir uns so sehr gewöhnt haben. Die geflügelten, sinnlichen Formen, von denen ich vorhin gesprochen habe, und ihre lauten Motoren beschwören in unserer Vorstellung das Bild eines weiten Highways aus den 1950ern herauf, der sich in eine zeitlose Zukunft hin erstreckt.
WE MET ROBERTO IN ONE OF OUR TRIPS TO ITALY AND, AS WE WERE CHATTING ABOUT ART, ALSO DISCOVERED HE TRAINED AS A PHOTOGRAPHER AND ART DIRECTOR. HE ALSO JUST HAPPENS TO SHARE AN ALL-CONSUMING PASSION FOR CUBA AND ITS PEOPLE WITH US.
Together with his wife Lorena he’s recently been running a B&B in the idyllic port city of Cesenatico during the summer. For both of them, the business represents the necessary balance after years working for international brands in the USA. During their countless trips, they got to know many hotels all over the world: now it’s time for their small oasis to shine. Their lovely hospitality takes centre stage and you can see it’s a passion for both of them. However, that doesn’t mean Roberto has turned his back on photography. Far from it. Now he can finally carry out his personal photoshoots as an artist and forget the ‘commercial’ look he strived for in the previous years. Roberto spends his winters on Cuba and has captured some impressive shots. We talked about his current photo series Cuba Cars with him. When did your passion for 1950s cars begin? When I was a young boy. Like most of my peers, I grew up with a strong input and influence from American culture. Television was only new back then and I would watch movies and tv-shows from overseas with excitement. Even comic books played their fair part, the big colourful cars of their main characters as much as the ones of movie stars. They were secured in my mind, igniting my imagination, evoking a sense of freedom and power. There was also the music... Elvis Presley, American Graffiti, etc. All of these things combined left me with a perfect and maybe a little surreal image of a far away land I would simply have to visit one day. I dreamt and desired to see and drive those beautiful cars with their soft, sensual silhouettes. So as soon as I had the possibility, I took off for my first visit to the United States. It was a wonderful trip but it was also somewhat a small disappointment. How come? I went to America for the first time in 1982 and those cars I so longed to see simply weren‘t around anymore, if not in museums and galleries dedicated to vintage vehicles. Obviously I half expected this. What we would see of the United States on television in the 80‘s was different compared to when I was a young boy. The shapes of the cars had become straighter and harder, they no longer had the winged curves I was so attracted to. The California highways and the Los Angeles boulevards were still wide and transmitting an immense sense of freedom, but my young boy‘s dream of driving down them in a beautiful 50‘s car was no longer achievable.
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So then what? Well, when you believe in your dreams, sooner or later, in one way or another, they will come true... and mine did about 25 years later as soon as I arrived (again for the first time in a new continent) in Cuba! I couldn‘t believe my eyes: Chevrolet, Buick, Ford and others, all models from the 1950‘s. Real, loud and chromed. Some were adjusted and patched up a little roughly and let out a lot of smoke, but they functioned nevertheless. It was as if time had waited, as if it had slowed down as much as possible to allow me to fulfil my dream. Along with the cars, objects, architecture and other traces of the 1950‘s were visible everywhere, a little worn-out and consumed by the decades but perhaps for this reason, all the more fascinating. I felt immediately attracted to what I saw, this country seemed suspended in a time limbo, so I started taking photographs. After seeing how the pictures turned out, I decided I would return to document further what has now become one of the most iconic aspects of Cuba. So are all the pictures we find in this series recent? Some are from 2008 but most are from 2016, when I went back, eager to take more pictures, this time making sure I would capture the cars within the island‘s architectural context. I travelled from East to West, making sure to also photograph the people thanks to whom these vehicles still live and function. It‘s incredible how they get by with just a few tools and in not so favourable situations (on these streets, in car parks and inside old sheds) and still manage to make them work! I think these cars represent a connection between the past, the present and the future. They‘re not just a part of history, they are not just a memory. They are a present emotion capable of bringing back a part of life we had considered lost. They are something that goes far beyond computers, smartphones and all the alienating modern technology we have grown so used to. Their winged sensual shapes that I mentioned before, along with their loud engines form in our imagination a free highway from the 1950‘s, towards a timeless future.
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1 Portrait Roberto Pietro Pezzolati 2-6 Serie Cuba Cars Photos: ©Roberto Pietro Pezzolati
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Contact: www.robertopietropezzolati.com
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ELO BUONA RRO
MEINEM OXFORD DICTIONARY ENTNEHME ICH DIESE DREI ADJEKTIVE ZUR NÄHEREN INTERPRETATION DES WORTES OUTSTANDING: „HERVORRAGEND“, WENN ES SICH UM EINE KÜNSTLERISCHE LEISTUNG HANDELT, „ÜBERRAGEND“, WENN ES VON BESONDERER BEDEUTUNG UND „AUSSERGEWÖHNLICH“, WENN EINE PERSON GEMEINT IST.
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Dieser Beitrag gilt zwei Persönlichkeiten, auf die alle diese Eigenschaften in gleicher Weise zutreffen. Meine Auswahl ist subjektiv. Zueinander haben Michelangelo und Bach keine direkten Berührungspunkte, - ich zu ihnen aber wohl. Es ist die Musik, die mich mit ihnen verbindet. Bei Bach ist das leicht nachvollziehbar, bei Michelangelo geschieht es über die Literatur, genauer: über Michelangelos Gedichte. Sie wurden von Hugo Wolf und Dimitri Schostakowich vertont. Von Wolf sind es drei Lieder, Schostakowich vertonte eine Suite von elf Liedern. Gemeinsam ist den Komponisten, dass sie die Lieder für Bass-Stimme und Klavierbegleitung schrieben. Ich hatte das Glück, diese Lieder in Konzerten singen zu dürfen.
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TI - JOHANN SEBASTIAN B ACH
Ausbeutung der Frömmigkeit der Gläubigen durch Papst und Priester anklagt, stets beherrscht er das Wort. Seien Sie inspiriert und lesen Sie in einem beliebigen Buch über diese faszinierende „Outstanding-Persönlichkeit.“ Der Dichter Michelangelo soll mit einem Epigramm aus dem Jahr 1544 das Schlusswort haben: Ihr glaubt mich tot. Doch dass die Welt ich tröste, leb‘ ich mit tausend Seelen weiter dort im Herz der Freunde. Nein, ich ging nicht fort: Unsterblichkeit vom Tode mich erlöste.
Johann Sebastian Bach, 1685 in Eisenach geboren und 1750 in Leipzig gestorben ist der bedeutendste Vertreter einer großen Musikerfamilie und gilt darüber hinaus für viele Berufsmusiker als der wohl größte Komponist der Musikgeschichte. In einer von ihm 1735 verfassten „musikalischen-Bachischen Familien-Chronik“ führt er 53 musikalisch tätige Familienmitglieder auf. Er war gleichermaßen Komponist und virtuoser Organist und wurde 1723 der berühmteste Kantor der Leipziger Thomaskirche, dabei ist es heute kaum vorstellbar, dass er nur die 3. Wahl für dieses Amt war. Zunächst wurde Georg Philipp Telemann geMichelangelo di Ludovico Buonarroti Simoni, im März 1475 in Caprese, Toscana, geboren und kurz vor seinem 89. Geburtstag in Rom wählt, der aber absagte, nachdem er an seiner Wirkungsstätte in Hamgestorben, war einer der bedeutendsten Maler, Bildhauer, Architekten burg eine Lohnerhöhung erhielt. In einer weiteren Kantorenprobe wurde und Dichter der Renaissance. Als 13-Jähriger begann er in Florenz das Christoph Graupner, Kapellmeister in Darmstadt vorgezogen, doch desStudium der Freskenmalerei, 14-jährig begann seine bildhauerische Aussen Landgraf verweigerte ihm die Entlassung, sodass er absagen musste und Bach schliesslich Thomaskantor und Musikdirektor über die 4 bildung. Lorenzo di Medici war sein Gönner und Förderer. Mit 21 Jahren größten Kirchen Leipzigs wurde, ein Amt, das er während 27 Jahren, war er erstmals in Rom. Zwei gegensätzliche Werke seiner Bildhauerkunst stammen aus dieser Zeit: Eine Bacchus-Statue, für einen Kardibis zu seinem Ableben ausübte. Es ist heute unvorstellbar, dass schon nal gefertigt und die wunderbare Pietà im Petersdom. Nach fünf Jahren bald nach seinem Tod seine Werke in Vergessenheit gerieten, bis 1829 zurück in Florenz, erhielt er den Auftrag zur Schaffung der überlebensdurch die Aufführung der Matthäus-Passion unter Felix Mendelssohn Bartholdy eine nahezu Bach-Euphorie ausbrach. Bachs musikalisches grossen Statue des David. Rund 375 Jahre stand David auf öffentlichem Schaffen umfasst ausser Oper alle Bereiche. Ob kirchliche oder weltPlatz, bis er gegen eine Kopie ausgetauscht und das Original zu seinem Schutz in die Kunst-Akademie versetzt wurde, inzwischen wohl auch liche Kantate, Oratorium, Messe, Passion, ob Instrumentalmusik, Wermit einem erdbebensicheren Sockel versehen. Nachdem Michelangelo ke für Orgel oder Cembalo, die berühmten Goldberg-Variationen und von 1508 an bereits die Deckenfresken in der Sixtinischen Kapelle ausDas Wohltemperierte Klavier, die Kunst der Fuge, seien erwähnt, die er noch in seinem letzten Lebensjahr überarbeitete und erweiterte, - der geführt hatte, erhielt er 1534 von Papst Clemens den Auftrag zum grosmusikalische Nachlass von Johann Sebastian Bach ist überragend. Nach sen Altarbild in der Sistina, dem Jüngsten Gericht. Ein Monumentalwerk Bachs Verständnis sollte die Musik „zu Gottes Ehre und zur Reception von über 14 Metern Höhe, mit rund 200 dargestellten Personen. Es ist des Gemüths seyn.“ Viele Kompositionen signierte er mit SDG, Soli Deo unmöglich, in der Kürze dieser Zeilen dem Werk Michelangelos auch Gloria, Gott alleine die Ehre. nur annähernd gerecht zu werden. Ich habe auf drei seiner Hauptwerke hingewiesen, -Pietà, David, Jüngstes Gericht-, und möchte noch auf den Dichter Michelangelo verweisen. Ob als feinsinniger Verehrer der DichOutstanding – Die Welt ist voll von außergewöhnlichen Menschen. Im Kleinen, wie im Großen. Jeder kann in vielfältiger Weise dazu kommen, terin Vittoria Colonna, ob als sarkastischer Ankläger des Papstes Julius etwas Außergewöhnliches zu tun. Achten Sie auf das tägliche AußergeII, von dem er sich hintergangen fühlte, oder wortgewaltig in einem Sonett von 1512, quasi am Vorabend der Reformation, in welchem er die wöhnliche, - es ist immer um uns.
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2 Michelangelo’s Pietà, Quelle:
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3 Ludwig Geiger 4 Johann Sebastian Bach mit Rätselkanon, Ölgemälde von Elias Gottlob Haußmann, Quelle: Wikimedia Commons 5 H-Moll-Messe von Johann Sebastian Bach, Quelle: Staatsbibliothek zu Berlin, online
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1 Michelangelo’s David, Quelle:
LUDWIG GEIGER Ludwig Geiger, Jahrgang 1939, Erstausbildung kaufmännische Lehre, anschließend private Gesangsausbildung und kunstgeschichtliche Studien in Leipzig. 1961 erstes Engagement (Bass-Bariton) als Solist am Theater in Eisenach. Nach 12 Jahren an verschiedenen Theatern, 1973 Eröffnung einer Kunstgalerie in Basel. Seitdem im Kunsthandel, als Experte für Versicherungen und Berater privater Sammler tätig. Gleichzeitig und bis heute als Sänger in Oratorium, Kirchenmusik und besonders im Liedgesang aktiv. 3
ACCORDING TO THE OXFORD DICTIONARY OF ENGLISH, THE WORD ‘OUTSTANDING’ CAN BE USED WHEN SPEAKING OF EXCEPTIONAL ART, AN IMPORTANT MATTER, AND AN EXTRAORDINARY PERSON.
This contribution is meant for two figures embodying all those traits in the same measure. My choice, however, is subjective. After all, Michelangelo and Bach don’t have any shared direct points of contact, yet I do. Music connects me to them. It doesn’t take much to find Bach’s contribution; Michelangelo’s music, as it were, is channelled by literature, better said his poems. They were put to music by Hugo Wolf and Dimitri Schostakowich. Three songs by Wolf, while Schostakowich put a suite of eleven songs to music. Together, the composers succeeded in writing songs for bass and piano accompaniments. I was lucky enough to sing these songs in concerts.
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eloquence. I hope this inspires you to pick up any book on the matter and delve deep into this fascinating, outstanding personality. I will let Michelangelo, the poet, have the last word by quoting one of his epigrams from 1544. ‘They do believe me dead I, who still shed delight on all the world living in thousand souls in breasts of lovers true. No death controls, taking one soul alone. I am not dead.’
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Michelangelo di Ludovico Buonarroti Simoni was born in Caprese, Tuscany, in March 1475 and passed away shortly before his 89th birthday in Rome. He was one of the most important painters, sculptors, architects, and poets of the Renaissance. At the age of 13 he started studying fresco painting in Florence, at 14 he started training to become a sculptor. Lorenzo di Medici was his patron and sponsor. He moved to Rome at the age of 21. Two opposite works from his sculpting period hail from that time: a Bacchus statue completed for a cardinal and the wonderful Pietà in Saint Peter’s Cathedral. After five years, he returned to Florence and was commissioned to create the larger-than-life statue of the David. For a good 375 years, the David was placed in an outdoor square until it was replaced by a copy and the original was moved to the Academy of Arts to ensure better protection; in the intervening time, it has been fitted with an earthquake-resistant socle. After Michelangelo completed the ceiling frescoes started in 1508 for the Sistine Chapel, he obtained the commission in 1534 by Pope Clemens to carve the large altar picture in the Sistine Chapel, the Last Judgement. A monumental work measuring more than 14 m in height depicting a good 200 figures. It’s impossible to do justice just with a few lines to Michelangelo’s masterpiece. I’ve mentioned three of his main works: the Pietà, the David, and the Last Judgement. Now, I would ask you to direct your gaze upon Michelangelo the poet. A poet wearing manifold masks, from the refined honourer of poet Vittoria Colonna, sarcastic accuser of Pope Julius II - by whom he felt persecuted -, or forceful wordsmith in a Outstanding – The world is bursting with outstanding people. Every1512 sonnet, penned just moments before the eve of the Reformation one can become outstanding in many ways. Take notice of the extrawherein he accuses the Pope and clergy of exploiting the faith of ordinary in your everyday lives. It always surrounds us. the believers: one unswaying trait throughout his production is his
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Johann Sebastian Bach was born in 1685 in Eisenach and passed away in 1750 in Leipzig. He’s the most important representative of a large family of musicians and, as if that weren’t enough, he’s also considered the best composer in the history of music by many career musicians. In 1735 he wrote a ‘musical chronicle of the Bach family’ where he described 53 musically-inclined relatives. He was a composer and a virtuoso organ player, and became the most famous precentor of the Thomas church in Leipzig in 1723; today, it seems impossible to us he was only the third choice for the post. Georg Philipp Telemann was chosen first, yet he refused after receiving a salary raise in his domain of Hamburg. The second application favoured Christoph Graupner, Kapellmeister in Darmstadt, yet his landgrave refused to accept his dismissal, so he had to turn down the post; Bach finally became precentor at the church und musical director of the four largest churches in Leipzig, a post that he carried out for 27 years right until his death. Once again, it seems unfathomable to us that his works were forgotten soon after his death, until they resurged during a Bach euphoria in 1829, sparked by staging the Matthäus-Passion directed by Felix Mendelssohn Bartholdy. Bach’s musical portfolio includes every area without opera. Bach’s musical heritage is outstanding, regardless of the shape it takes: sacred and profane cantatas, oratorio, masses, passions, instrumental music, sheets for organ or harpsichord, the famous Goldberg Variations, The Well-Tempered Clavier, and The Art of Fugue which he modified and expanded in the year before his death. According to Bach’s understanding of music, it should be made ‘to honour God and wash over the soul.’ He signed many compositions with SDG, ‘Soli Deo Gloria’, meaning Glory to God alone.
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DIE VERSCH
LEIERUNG
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DIE ÖSTERREICHISCHE UND INTERNATIONAL BEKANNTE KÜNSTLERIN ELKE SILVIA KRYSTUFEK ARBEITET IN VERSCHIEDENEN MEDIEN, WIE IN DER MALEREI, ZEICHNUNG, INSTALLATIONSKUNST, FOTOGRAFIE, PERFORMANCE UND SCHMUCKENTWURF. IN IHRER ARBEIT HANDELT ES SICH ZUMEIST UM THEMEN DES FEMINISMUS, DER DARSTELLUNG WEIBLICHER KÖRPER, DER VERSCHLEIERUNG VON FRAUEN, DER STELLUNG DER FRAU IN DER WESTLICHEN TRADITION UND DER INTERPRETATION DER WEIBLICHEN ROLLE IN VERSCHIEDENEN WELTRELIGIONEN.
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Eines der Themen, mit denen sich Krystufek auseinandersetzt, ist das heute noch mehr als früher akute Thema der Verschleierung von Frauen. In ihren Zeichnungen, Installationen und Acrylbildern kommen verschleierte Frauen aus unterschiedlichen Gesellschaften und Religionen vor. Sie empfinden sich als Feministinnen, die durch die Schleier ihre Würde als Frau verstärken. Sie geben aber auch gleichzeitig ein Bild der unterdrückten Frau ab, welches die westliche, moderne Gesellschaft als inakzeptabel sieht. Krystufek variiert zwischen dem christlichen Schleier einer Darstellung Marias, und der einer orthodoxen Jüdin mit geschorenem Kopf und Perücke, und lässt Fragen offen, welche Art der Interpretation Gültigkeit hat. Sie zeigt auf, wie in verschiedenen Kulturen die Verschleierung auch ähnliche Bedeutung haben kann. Wird gegen die Gleichberechtigung der Frauen von heute verstoßen, oder ist man der „Andersartigkeit“ der muslimischen Frau gegenüber so sprachlos, dass wir sie nicht verstehen können. Mit dem Sprichwort „andere Länder- andere Sitten“, behilft sich die moderne Gesellschaft, die Unterschiede der Traditionen zu erkennen, aber gleichzeitig sie nicht zu akzeptieren. Die immer wiederkehrende Frage, ob die Verschleierung von Frauen im Westen akzeptiert werden muss oder kann, stellen sich Politik und Kultur international.
Christentum findet man zahlreiche Beispiele der Verschleierung oder des Kopftuchtragens, wie in der römisch-katholischen Kirche, bei einer Audienz beim Papst, in der russisch- und griechisch- orthodoxen Kirche, im Ordensleben bei Nonnen und Mönchen und bei Witwen, die den Trauerschleier bei Beerdigungen tragen. Die kunstgeschichtliche, christliche Ikonografie des Schleiers oder der Kopfbedeckung der Frau ist in allen Gemälden vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert Symbol von Religiosität und Sittlichkeit, von Maria zu Maria Magdalena bis zu weiblichen Porträts von Tizian bis Rembrandt. Im Koran gibt es vermehrt Stellen zur Befürwortung des Tragens eines Übergewandes (Tschador), eines Gesichtsschleiers (Niqab) oder Burkas, jedoch gibt es zahlreiche unterschiedliche Interpretationen inwieweit es Pflicht und Notwendigkeit ist, dass Frauen dies anziehen müssen. Durch das Tragen einer Burka, Niqab und/oder Hijab wird die muslimische Identität in die Öffentlichkeit getragen, durchaus auch als Selbstbestimmung von Frauen gemeint, die sich zu ihrer Religion bekennen. Es erscheint als Symbol der Gruppenzugehörigkeit und der Glaubenspraxis. Erst durch massive Terror- und Kriegsähnliche Attacken in den westlichen Ländern der Welt wurde die weibliche muslimische Verschleierung als Kritik und Gefahr angesehen, da es sich um unterdrückte Frauen handelt oder um verkleidete Terroristen. Der neutrale Umgang damit ist in der heutigen Gesellschaft sehr schwierig bis unmöglich geworden, da sich Vorurteile, berechtigte Ängste und unterschiedliche kulturelle Traditionen vermischen. In der aufgeklärten westlichen Welt der Moderne ist das Bild einer vermummten Frau noch immer Seltenheit und ungewohnter Anblick, haben doch die Frauen einen langen und bitteren Kampf zur Selbstständigkeit, Selbstfindung und Freiheit in den letzten hundert Jahren hinter sich gebracht, um eigene Rechte und Gleichstellung zu Männern zu bekommen. Krystufeks Installation, bestehend aus einem Goldanhänger, der an einer Wand angebracht ist und durch eine Lichtquelle Schatten wirft,
Im 3. Jahrtausend vor Christus trugen Frauen in Mesopotamien bereits Schleier. Ehefrauen trugen den Schleier als Form des Respekts und des Anstands, damit sie nicht von anderen Männern belästigt werden konnten. Die sozial höher gestellten Gesellschaften unterschieden sich von den niedrigen dadurch, dass Frauen der „Aristokratie“ aus Stolz ihr Haupt bedeckten. Auch im alten Testament war der Schleier beim Treffen von Isaak und Rebekka Symbol des Anstands. Eine notwendige Verschleierung, die sich teilweise als Pflicht für Frauen durchsetzte, gab es erstmals im 9. Jahrhundert im Kalifat. Im
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BARBARA STEFFEN lebte von 1988 bis 2003 in New York und Los Angeles, wo sie an der Eli Broad Art Foundation in Santa Monica an einer der größten Privatsammlungen zeitgenössischer Kunst der USA, als Kuratorin tätig war. Am Solomon R. Guggenheim Museum in New York rief Steffen u.a. den HugoBoss-Kunstsponsoring- Preis ins Leben. Darüber hinaus gründete sie das International Director’s Council (IDC), das mit einer renommierten Gruppe von internationalen Kunstsammlern den Ankauf zeitgenössischer Kunst finanzierte. Steffen kuratierte in Europa unter anderem folgende Ausstellungen: – Kunsthistorisches Museum Wien: Francis Bacon und die Bildtradition – Sammlung Essl, Klosterneuburg: Visions of Amercia – Fondation Beyeler, Basel: Wien 1900 – Klimt, Schiele und ihre Zeit 5
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ELKE SILVIA KRYSTUFEK IS AN AUSTRIAN ARTIST RENOWNED IN THE WHOLE WORLD AND WORKS WITH VARIOUS MEDIA, INCLUDING PAINTING, DRAWING, INSTALLATION ART, PHOTOGRAPHY, PERFORMANCE ART, AND JEWELLERY DESIGN. HER WORK MOSTLY TACKLES THEMES REVOLVING AROUND FEMINISM, THE REPRESENTATION OF FEMALE BODIES, THE CONCEALMENT OF WOMEN, THE STANCE OF WOMEN IN WESTERN TRADITION AND THE INTERPRETATION OF THE FEMALE ROLE
In 3 BC, women in Mesopotamia already wore veils. Wives wore them as a sign of respect and respectability, so as to not be bothered by other men. The higher classes distinguished themselves from the lower classes using the veil, worn by ‘aristocratic’ women who proudly covered their head. Even in the Old Testament, a veil was a symbol of respectability, as seen in the meeting between Isaac during the meeting of Isaac and Rebekah.
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In the Koran, there are countless passages which approve of the veil in one of its iterations: overalls (tschador), a face veil (niqab) or burka, yet there are just as countless different interpretations insofar as the obligation of wearing one is concerned. By wearing a burka, niqab and/or a hijab, a woman openly displays her Muslim identity, also intended as self-determination of being a woman proud of her religion. It appears as a symbol of group belonging and faith. It’s only because of terrorism and warfare attacks in western countries
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The imposition of wearing a veil, a partial duty for women, only came about during the Caliphate in the 9th century. We find countless examples of people wearing a headscarf in Christianity such as in the Roman-Catholic church, at Papal meetings, in the Russian and Greek Orthodox Church, in monasteries worn by nuns and monks, and by widows who wore mourning veils during burial ceremonies. The iconography of the veil in Christian history of art or women covering their heads is a constant theme in paintings from the Middle Ages to the 19th century, regarded as a symbol faith and morality, worn by the Virgin Mary and Mary Magdalene alike, and also found in the female portraits from Titian to Rembrandt.
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One of the themes Krystufek deals with is the veil and women, a topic which has become more current than ever. She depicts veiled women from different societies and religions in her drawings, installations, and acrylic paintings. They see themselves as feminists who cement and increase their worth as women by wearing the veil. However, they also give the impression of being repressed women, an unacceptable element in the eyes of our modern western society. Krystufek sways between the Christian veil in a representation of the Virgin Mary, and an Orthodox Jew with a shaved head and a wig, and never gives us a hint as to which interpretation should be used. She shows us how in different cultures the veil can have even similar meanings. Is it a cry against the violation of equal opportunities for women, or the shock of being speechless before the ‘otherness’ of Muslim women, so much so we fail to understand them? ‘Other countries -other traditions’ is a saying which modern societies use as a crutch to recognise these differences in traditions, but at the same time it stops them from accepting them. The constant question of whether wearing a veil should and can be accepted in our wes-tern world has been on the lips of international political and cultural pundits.
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IN WORLD RELIGIONS.
»Why gold? It is small, it is practical, the transport costs are low, nobody gets struck like by Serra and nobody gets thrown out the window like by Andre, and its value is easier to measure than that of a painting; after all, who knows what an image is worth?« Elke Silvia Krystufek
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that the female veil was perceived as a threat and subject to critique as, after all, it symbolised suppressed women and was used by male terrorists to conceal their identity. Striking a balance and walking down a neutral path has become very difficult, if not nigh-on impossible as prejudices, justified fears, and different cultures have been amalgamated into one. In the enlightened western world, a bastion of modernity, the figure of a masked woman is still a rare and unusual sight in a society where women in the past have fought a long and bitter battle for independence, self-determination, and freedom lasting hundreds of years to receive the same rights and equal standing of men.
trägt das in arabischen Buchstaben geschriebene Wort „Elhaeraka Ensaiaa“, übersetzt „Frauenbewegung“. Das Objekt erfährt hier eine mehrdeutige Interpretation. Das Material Gold, das schönste Metall, um Schmuck für Frauen herzustellen und ihre Schönheit hervorzuheben, ist höchster Luxus und vermittelt den Anspruch des Besonderen als Objekt und Schmuckstück, was gleichzeitig den Begriff der Frauenbewegung in goldenen Buchstaben hervorhebt und so eine bevorzugte Bedeutung bekommt, weil es eine Verbindung zwischen der modernen Frauenbewegung des 20. Jahrhunderts und der arabischen Welt herstellt. Ist dies als Zeichen der Veränderung gemeint, dass muslimische Frauen ihre Rechte in der vom Westen ausgehenden Frauenbewegung neu sehen oder stellt die goldene Schrift einen Widerspruch zur Emanzipation dar? In einer anderen Installation, einer von Objekten gefüllten Vitrine, wo sich auch das Goldteil „Elhaeraka Ensaiaa“ befindet, welches bei dem Juwelier Köchert in Wien ausgestellt war, nimmt Krystufek Bezug zu Schmuckstücken und der möglichen, gleichzeitigen Verschleierung. Der aus Schmucksteinen gefertigte, große Schmetterling ist über dem modernen Frauenporträt angebracht. Er ist in seiner Proportion zum Frauengesicht überdimensional groß. Versperrt der Schmetterling die Sprache der Frau, da er den Mund verdeckt? Ist die Schönheit dieser Frau unantastbar und distanziert, wird sie mit Schmuck bezahlt und dem Betrachter bildlich entzogen oder verstärkt das Schmuckstück die Feinheit ihres Gesichts und die Konzentration liegt gleichzeitig auf dem detailliert verarbeiteten, handgemachten Schmuck? Ist der Schmetterling nicht auch Symbol der weiblichsten aller Organe und möchte verführen? Dieses Objekt, sowie die Arbeit des gezeichneten Medaillons auf dem Gesicht einer weiteren Frau, verdeckt sie, aber verschleiert oder verhüllt sie nicht. Die Frau kann nur mit dem Schmuckobjekt in Verbindung gebracht werden und ihre Eleganz verstärken. Die praktikable und auch nachdenkliche Bedeutung von der Verwendung von Gold sieht die Künstlerin Elke Silvia Krystufek so: „Why gold? It is small, it is practical, the transport costs are low, nobody gets struck like by Serra and nobody gets thrown out the window like by Andre, and its value is easier to measure than that of a painting; after all, who knows what an image is worth?“ 1 1 Zitat von Elke Silvia Krystufek, in: Garage Project II, MAK Center Los Angeles, hrsg. Peter Noever, 2010, S.73.
Krystufek’s installation is a golden pendant placed on a wall. A source of light shines on it and creates shadows on the wall, namely the Arabic letters forming the word ‘Elhaeraka Ensaiaa’, meaning ‘Feminist movement’. The object is therefore open to interpretation. Gold, the most beautiful metal, is used to create female jewellery and to highlight the wearer’s beauty; it’s a luxurious metal and is a unique object and piece of jewellery, highlighting the idea of a feminist movement in golden letters, thus becoming its preferred interpretation as it creates a connection between the modern feminist movement of the 20th century and the Arabic world. Is this meant as a sign of change, to be interpreted as Muslim women should reinterpret their rights as conveyed by the western feminist movement, or are the gold letters just the opposite of emancipation?
In another installation, a display case is filled with objects, including the ‘Elhaeraka Ensaiaa’ gold piece, staged at jewellery shop Köchert in Vienna, Krystufek refers to pieces of jewellery and their possible contemporary concealment. The large butterfly made of precious stones is placed above the modern woman portrait. It’s colossal when compared to the face of the woman. Does the butterfly stop her from speaking by covering her mouth? Is the beauty of this woman untouchable and distant, is she paid with jewels and are the viewers pushed away from the portrait, or does the piece of jewellery enhance the refined features of her face, guiding our attention to the painstakingly detailed, handmade item? After all, isn’t the butterfly also the symbol par excellence of the female organ, and its aim may very well be that of seducing us? This object, as well as the work of the drawn medal on the face of another woman, does indeed cover her, but does not veil or mask her. The woman can now be connected to the jewel she wears, thus enhancing her elegance.
The feasible and pensive meaning of using gold is interpreted in the following way by artist Elke Silvia Krystufek: ‘Why gold? It is small, it is practical, the transport costs are low, nobody gets struck like by Serra and nobody gets thrown out the window like by Andre, and its value is easier to measure than that of a painting; after all, who knows what an image is worth?’ 1 1 Quote by Elke Sylvia Krystufek, in: Garage Project II, MAK Center Los Angeles, ed. Peter Noever, 2010, p. 73.
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Barbara Steffen
1 ”Butterfly”, 2016, 30 x 26 cm, Tusche auf Leinwand 2 Elke Silvia Krystufek 3 ”Each World”, 2016, 30 x 26 cm, Tusche auf Leinwand
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4 ”Exchange of Faith”, 2004, 70 x 70 cm, Acryl auf Leinwand 5 Barbara Steffen 6 ”1975”, 2010-2014, 70 x 50 cm, Farbstift auf Papier 7 ”Sheitel”, 2016 , 70 x 50 cm, Farbstift auf Papier 8 ”Elhaeraka ensaiaa”, 2010, 12 x 2.5 cm, Gold
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Ein Begriff mit Tradition
A term with tradition
Korallenpendel Mittelmeer, 0.87 ct. Brillanten, 18 kt. WeiĂ&#x;gold
Elfenbeinfigur Hofdame im Canton Stil, filigrane Schnitzerei, Anfang 20. Jh., mit CITES Zertifikat
Japankorallen Collier mit geschnitzter Elfenbeinkugel, 18 kt. Gold
1010 Wien * Augustinerstr. 9 (Ecke Josefsplatz) * Tel.: (01) 535 97 69 s.hammerl@mac.com * www.juwelen-hammerl.at
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AUF ENTDEC KUNGSTOUR DIE SCHATZK DURCH AMMERN GR OSSER MUSE EN A GRAND TO MAURO FIO UR THROUG H THE VAULT RESE S OF LEADIN G MUSEUMS
IN DEN VERGANGENEN 25 JAHREN HAT MAURO FIORESE MIT SEINEN BILDERN BEHINDERUNGEN INS RAMPENLICHT GESTELLT (CORPOLIBERO, 1996-97), WÄRME INS PHOSPHORESZIERENDE LICHT VON U.PHO.S GEBRACHT (UNIDENTIFIED PHOTOGRAPHIC SUBJECTS, 2005-2010) UND DIE UMRISSE DER LIEBE „BESTMÖGLICH BELEUCHTET“ (MIND MAP OF LOVE,
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2011-2016).
Über die letzten drei Jahre konzentrierte sich der 1970 in Verona geborene Fotograf allerdings fast ausschließlich auf sein wohl reifstes und ambitioniertestes Projekt: Mit Treasure Rooms hob er in großen Museen glitzernde Schätze. „Die ursprüngliche Idee vereint Kunstgeschichte mit der Geschichte der Fotografie: Die schier endlose Menge an Kunstwerken, die der breiten Öffentlichkeit vorbehalten werden, und die Produktion mehr oder weniger dokumentarischer oder archivarischer Ablichtungen aus mehr als 4000 Museen in Italien 2 inspirierten mich zu einem neuen Blickwinkel.“ So beschrieb Fiorese das Konzept hinter Treasure Rooms in einem kürzlich erschienenen Essay – gewissermaßen das Schlusswort zu den Aussagen von Direktoren und Kuratoren der größten italienischen Museen, die der Fotograf auf seiner Entdeckungstour besucht hat. Kurz gesagt bietet Treasure Rooms über das Auge der Kamera Einblicke in jene Orte, an denen die Meisterwerke aufbewahrt werden, und vermittelt dem Betrachter die majestätische Atmosphäre dieser Schatzkammern der Kultur, die zu den herausragendsten der Welt gehören. Lagerräume werden somit selbst zu Kunstwerken und erhalten durch großformatige Porträts in ehrwürdigen, antik anmutenden Rahmen Würde und Achtung. Die Fotografien, regelrechte Kompositionen des Künstlers und seiner Pinselstriche aus Licht, ahmen vorzügliche Gemälde der Renaissance und späterer Epochen nach. Mauro Fiorese hat unter anderem an Universitäten und Akademien in Mailand, Verona und in den Vereinigten Staaten gelehrt und mit dieser Serie einen innovativen Schritt gewagt: Er hat gewissermaßen in einer kulturellen Rückkehr zu den Wurzeln Fotografie und Malerei zusammengeführt. Das Ergebnis ist eine imaginäre Bildergalerie, die alle versteckten Werke umfasst, darunter auch Fundstücke und Skulpturen. „Was ausgestellt wur3 de, war für mich einerlei,“ so der Künstler weiter. „Ich wollte nicht das sehen, was Besuchern normalerweise auf die Entscheidung der Kuratoren hin beim Kauf einer Eintrittskarte gezeigt wird, sondern vielmehr all das, was wir in den Museen eben nicht zu sehen bekommen.“ Gerade diese Entscheidungen der Kuratoren lösen häufig auch Debatten hinsichtlich ihrer Berechtigung aus und legen fest, was gezeigt wird und was verborgen bleibt. Das Projekt umfasst insgesamt sechsundzwanzig Ablichtungen aus allen Teilen Italiens, von den Uffizien über die Galleria Borghese, das Museo Archeologico Nazionale in Neapel, das GAM in Turin, Correr und Ca’ Pesaro in Venedig, und erweitert auf natürliche Weise das Blickfeld. In erster Linie ermöglicht Fiorese mit seinen Bildern den Museumsdirektoren Einblicke in die Situation anderer Museen, liefert aber auch einen Anstoß zur eingehenden Beschäftigung mit den Methoden zur Aufbewahrung und zum Bewerben ihrer jeweiligen Sammlungen. Die gesamte Bildserie soll 2017 präsentiert werden. Der dazugehörige Katalog will gewissermaßen eine Niederschrift der Größen im Bereich Museologie oder zumindest ein Ausgangspunkt für eine Konferenz zum Grundthema des Projekts sein. Wer Treasure Rooms sieht, bekommt demnach eine Möglichkeit, etwaige Vorurteile abzubauen: Auf internationaler Ebene ist das Ungleichgewicht 4 zwischen Exponaten und nicht ausgestellten Objekten das beste Lebenszeichen der größten Ausstellungszentren. Fachquellen schätzen, dass der den Zauber dieser Orte. Es überrascht nicht, dass Fiorese seine Werke in Anteil an ausgestellten Werken im Vergleich zur gesamten Sammlung in der Stiftung Domus und am GAM in Verona, in den Gallerie d’Italia in der St. Petersburger Hermitage lediglich 7%, im Guggenheim Museum Mailand und Vicenza präsentieren durfte und von der Robert Mann GalNew York rund 8%, im Prado in Madrid etwa 9% und im Britisch Mulery in New York für eine Soloausstellung engagiert wurde. „Bewegt, mit seum in London knapp 10% ausmacht. Eine Ausnahme bildet dabei der dem Gefühl, ein besonderes Privileg genießen zu dürfen, und mit einer Louvre, der 60% seiner Sammlung ausstellt und die übrigen 40% als ReMischung aus purem Voyeurismus und Stendhal-Syndrom wandere ich serve zurückbehält. In einigen Fällen könnte mit Sicherheit mehr getan durch diese Orte und versuche, nichts zu positionieren, sondern vielmehr werden, und Fiorese hebt diese Tatsache mit seinem Projekt auf konmeine eigene Position nach dem, was ich sehe, auszurichten,“ so Fiorese. struktive Art und Weise hervor. Die Öffentlichkeit würde es beispielsDas Projekt begann während eines Auslandsaufenthalts mit Besuchen im weise gewiss zu schätzen wissen, wenn sie häufiger Gelegenheit bekäme, Londoner Victoria & Albert Museum und der Belvedere-Galerie in Wien diese „Reservoirs der Überraschungen“, wie Salvatore Settis sie nennt, und fand mit dem verfrühten Tod Mauro Fioreses im Alter von nur 46 zu besichtigen. Allerdings bleiben Lagerräume in der Regel verschlossen, Jahren ein trauriges und jähes Ende: Der Künstler erlag am 4. Dezember nicht zuletzt aus Gründen der Sicherheit. Dank Mauro Fiorese erhalten 2016 nach heldenhaftem Kampf einem unsichtbaren Feind – Lungenkrebs. wir einen durch die Interpretation des Künstlers bereicherten Einblick in
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1 Mauro Fiorese 2 Treasure Rooms of the Museo di Castelvecchio Verone, 2014, Edition of 2 (51,5 x 65,8 in +1 AP) + 6 (43,7 x 55,5 in + 2 AP) 3 Treasure Rooms of the Galleria Nazionale d’Arte Moderna - Rome, 2014, Edition of 2 (51,5 x 65,8 in +1 AP) + 6 (43,7 x 55,5 in + 2 AP) 4 Treasure Rooms of the Galleria d’Arte Moderna Turin, 2014, Edition of 2 (51,5 x 65,8 in +1 AP) + 6 (43,7 x 55,5 in + 2 AP)
BEATRICE BENEDETTI Beatrice Benedetti is a curator and journalist. Her recent publications include the volume Emilio Isgrò. Come difendersi dall’arte e dalla pioggia (Maretti, 2013) and the catalogue Emilio Isgrò, Model Italy, 2013-1964 (Electa, 2013) for the exhibition at the Galleria Nazionale d’Arte Moderna in Rome. In 2015 she and Paola Marini curated The Wonders of the Year 2000 at the Museo di Castelvecchio in Verona. Since 2006 she has been the artistic director of Boxart, which was founded in Verona in 1995 by Giorgio Gaburro. 9
exist in Italy, inspired me to take a new look at them.” This is how Fiorese described the launch of the project in a recent essay, the latest addition to the words of all the directors and curators of the most important Italian museums on his Grand Tour. In a nutshell, Treasure Rooms uses the camera to shed light on the places where the masterpieces of art are kept, revealing the majesty of those treasure rooms of culture, which are among the most outstanding in the world. The storage spaces thus become works of art themselves, for they are given dignity by large-format portraits in antiquestyle frames. The photographs thus mimic the finest paintings, from the Renaissance onwards, with compositions created by the artist and his brushstrokes of light. Mauro Fiorese, who has taught photography at universities and academies, including those of Milan and Verona, and in the United States, has thus performed an innovative operation, bringing photography to painting, on a cultural return to the origins. The result is an imaginary picture gallery consisting of the sum of all the hidden works, including ancient finds and sculptures. “I wasn’t interested in what is on view,” continues the artist in his essay, “what the visitor normally buys a ticket for and is required 6 to see, depending on the decisions of the curators, but rather everything that is not visible to our eyes in these very same places.” In this case, these curatorial choices, which often lead to debates about their legitimacy, simply form the dividing line between what emerges and what remains concealed. The project, which consists of twenty-six works photographed the length and breadth of Italy, in the Uffizi, the Galleria Borghese, the Museo Archeologico Nazionale in Naples, GAM in Turin, and the Correr and Ca’ Pesaro in Venice, naturally broadens the range of vision. First of all, Fiorese’s photographs meant that the museum directors were given a peek at the situation in other institutions, but they were also able to think more closely about how to preserve and promote each collection. A plan is in place to show the entire series in 2017. This will be accompanied by a catalogue and will constitute a sort of transcription of the major powers of museology, or at least a starting point that will lead to a conference on the theme inspired by the project itself. Those who see the Treasure Rooms will thus have an opportunity to get rid of some prejudices they may have: also at the international level the disproportion between what is on view and what is hidden is the most vital sign for the most important exhibition centres. Authoritative sources estimate that only 7% of the Hermitage collection in St Petersburg is on show, 8% of the Guggenheim in New York, 9% of the Prado in Madrid and 10% of the British Museum in London. The exception is the Louvre, with 60% on display, while the remaining 40% constitutes its reserve collection. In some cases, more could certainly be done and Fiorese points this out in a constructive manner in this project. For example, the public might be given more opportunities to see these “reservoirs of surprises”, as Salvatore Settis has called them, which are always very popular. However, storage rooms generally remain closed, primarily for security reasons. Thanks to the glimpses offered by Mauro Fiorese, the magic of these places is shown to us, and it is enriched by the interpretation of this artist, who has not surprisingly been rewarded with displays at the Domus Foundation and GAM in Verona, Gallerie d’Italia in Milan and Vicenza, as well as by a solo exhibition at the Robert Mann Gallery in New York. “Fired by powerful emotions and a sense of privilege, and with an approach somewhere between pure voyeurism and the Stendhal syndrome,” recalls Fiorese, “I look at these places, attempting not to position anything, but only to position myself with regard to what I see.” The project had started out on a journey abroad, including at the Victoria & Albert Museum in London and the Galleria Belvedere in Vienna, but it was sadly interrupted by the untimely death of Fiorese at the age of just 46 on 4 December 2016, after a heroic battle against an invisible enemy – lung cancer.
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OVER THE PAST 25 YEARS, MAURO FIORESE’S PHOTOS HAVE BROUGHT
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LIGHT TO HANDICAPS (CORPOLIBERO, 1996-97), WARMTH TO THE PHOS-
Edition of 2 (65,8 x 51,5 in + 1 AP) + 6 (55,5 x 43,7 in + 2 AP)
6 Treasure Rooms of the Museo Nazionale di Capodimonte - Naples, 2015
Edition of 2 (51,5 x 65,8 in +1 AP) + 6 (43,7 x 55,5 in + 2 AP)
7 Treasure Rooms of the Gallerie d’Italia - Milan, 2014
Edition of 2 (51,5 x 65,8 in +1 AP) + 6 (43,7 x 55,5 in + 2 AP)
8 Treasure Rooms of the Museo Correr - Venice, 2015
Edition of 2 (51,5 x 65,8 in +1 AP) + 6 (43,7 x 55,5 in + 2 AP)
9 Beatrice Benedetti
All: Pigment print on 100% cotton paper Handmade frame Courtesy Boxart, Verona
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Over the last three years, however, Mauro – who was born in Verona in 1970 – put almost all his efforts into his most mature and ambitious project, which was to make the vaults of museums sparkle in his Treasure Rooms series. “The original idea comes from the study of the history of both art and photography: the incredible number of works of art on display and hidden from the eyes of the general public, and the production of more or less documentary or archival photographs of the over 4000 museums that
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5 Treasure Rooms of the Museo Archeologico Nazionale - Naples, 2015
OUT THE OUTLINES OF LOVE (MIND MAP OF LOVE, 2011-2016).
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PHORESCENCE OF U.PHO.S (UNIDENTIFIED PHOTOGRAPHIC SUBJECTS, 2005-2010), AND THEY HAVE FOUND THE ’BEST POSSIBLE LIGHT’ TO BRING
INFO & CONTACT FO.KU.S, eine Galerie, viele Arten der Fotografie. Auch dokumentarische Fotografie ist Bestandteil des FO.KU.S-Programms. Nach Inge Morath und Paolo Pellegrin zeigen wir nun das Werk des französischen MAGNUM-Fotografen Bruno Barbey.
FO.KU.S Foto Kunst Stadtforum; Bank für Tirol und Vorarlberg; BTV Stadtforum 1 / 6020 Innsbruck Eröffnung der Ausstellung BRUNO BARBEY. PASSAGES: 1. März 2016, 19 Uhr Öffnungszeiten: Mo – Fr 11 – 18 Uhr, Sa 11 – 15 Uhr. Eintritt frei ww.btv-fokus.at
DIE WELT IM SUCHER BRUNO BA
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RBEY
DER NAME MAGNUM PHOTOS STEHT FÜR DIE BESTEN FOTOGRAFEN DER WELT.
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Ihre Bilder prägen das kulturelle Gedächtnis: Die legendäre Fotoagentur wurde vor 70 Jahren in Paris gegründet mit dem Ziel, unabhängig von der Magazinpresse frei über ihre Projekte bestimmen zu können und zugleich war es die Geburtsstunde der Urheberrechte in der Fotografie. Viele Legenden ranken sich um diese Agentur, ihre Mitglieder und ihre Gründer. Nicht zuletzt weil zwei von ihnen, Capa und Seymour, während ihrer Arbeit als Kriegsberichterstatter ums Leben kamen. Fotografen wie Robert Capa, Werner Bischof oder Henri Cartier-Bresson haben mit ihren sensationellen Reportagen von den Brennpunkten der Welt den Ruf der Agentur als beste der Welt begründet. MAGNUMs Maxime ist der Dienst an der Menschlichkeit. Hier versammeln sich nicht nur einige der besten Fotografen der Welt, sie alle widmen ihre Arbeit zudem der conditio humana. Sie begeben sich vielfach an Orte, die niemand freiwillig betreten würde und dokumentieren dort Leben und Sterben. Heute ist die einst kleine Agentur ein internationales Unternehmen mit Büros in New York, Paris, London und Tokyo mit 60 assoziierten Mitgliedern, die in allen Bereichen von traditioneller Reportage-Fotografie bis zur Konzeptkunst über diese Welt berichten und sie dokumentieren. Jedes Jahr im April und Mai bewerben sich mehrere Hundert Fotografen um Aufnahme in die Agentur. Die stimmberechtigten Mitglieder sichten die Bilder online und diskutieren auf der Jahresvollversammlung im Juni, wer zum Kreis gehören soll. Über die Auswahlkriterien dringt nichts nach außen. „Vielleicht würfeln sie oder werfen Münzen“, wird scherzhaft gemutmaßt. „Magnum ist eine Gemeinschaft im Denken, ein gemeinsamer Wesenszug, Neugier auf das, was geschieht in der Welt, Respekt für das, was dort geschieht, und der Wunsch, dieses Geschehen in Bildern festzuhalten.“ Henri Cartier-Bresson BRUNO BARBEY. EIN REISENDER DURCH RAUM UND ZEIT. « In this world we walk on the roof of hell gazing at flowers » Issa, Japanese poet (1819)
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Die Ausstellung PASSAGES entsteht in Kooperation mit MAGNUM PHOTOS Paris.
1 Barbara Psenner, Kuratorin FO.KU.S
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Bruno Barbey (* 1941 in Marokko) ist ein vielfach preisgekrönter französischer Fotograf, Autor und Filmemacher, seit 1968 Vollmitglied der berühmten Fotoagentur Magnum Paris, von 1992 – 1997 Präsident vom MAGNUM International. Seine Fotoreportagen von allen fünf Kontinenten wurden weltweit gedruckt, darunter in Life, Paris Match, Vogue, dem Stern, Geo und National Geographic. Er wagte sich in Kriegs- oder Bürgerkriegsgebiete: In die Kämpfe von Biafra mit Nigeria, nach Vietnam, in den Nahen Osten, nach Bangladesch, Kambodscha, Nordirland, und den Irak. Er wehrt sich aber dagegen, als Kriegsfotograf eingestuft zu werden. Die Ausstellung zeigt, wie der Fotograf in seinem einfühlsamen Stil die Weltereignisse der vergangenen Jahrzehnte dokumentiert – präzise in der Arbeitsweise, poetisch in seiner Sicht. Seine Bilder sind Zeugen von der Schönheit und Fragilität unserer Welt. Seit 2016 ist Bruno Barbey Mitglied der Académie des Beaux-Arts.
2 Bruno Barbey. Magnum Photos. Burgan oil fields burning, Kuwait. 19913 3 Bruno Barbey. Magnum Photos. Zelipie, Poland, 1976 4 Bruno Barbey. Magnum Photos Demonstration against the construction of NaritaAirport and the Vietnam War, Tokyo, Japan. 1971
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5 Caption © Bruno Barbey / Magnum Photos
Bild: © BRUNO BARBEY/MAGNUM PHOTOS. MOROCCO. Meknes. Moulay Ismael Mausoleum. 1985.
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Foto Kunst Stadtforum
BRUNO BARBEY PASSAGES 2. MÄRZ – 6. MAi 2017 Öffnungszeiten: Mo bis Fr 11.00 – 18.00 Uhr, Sa 11.00 – 15.00 Uhr. Eintritt frei. FO.KU.S BTV Stadtforum 1 6020 Innsbruck T +43/(0)5 05 333-1417 info@btv-fokus.at www.btv-fokus.at
Öffentliche Führungen durch die Ausstellung: Samstag, 4. März, Samstag, 25. März und Samstag, 6. Mai jeweils um 11.00 Uhr. Schüler- und Gruppenführungen gerne auf Anfrage.
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DER BILDHA
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THE SCULPTO R STEPHAN B ALKENHOL
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STEPHAN BALKENHOLS SKULPTUREN GEHÖREN ZU DEN BEKANNTESTEN WERKEN ZEITGENÖSSISCHER BILDHAUEREI IN DEUTSCHLAND. SEINE MEIST WIE BEILÄUFIG DASTEHENDEN, NEUTRALEN, „NORMALEN“ FIGUREN BEVÖLKERN ZAHLREICHE MUSEEN UND ÖFFENTLICHE ORTE IN UNSEREN STÄDTEN. ER HAT ÜBERWIEGEND MENSCHLICHE FIGUREN, ABER AUCH TIERDARSTELLUNGEN UND FABELWESEN GESCHAFFEN, DEREN EINFACH UND UNAUFDRINGLICH ANMUTENDE FORMENSPRACHE GLEICHZEITIG ZU SEINEM GROSSEN ERFOLG BEIGETRAGEN HAT UND FÜR EINIGE KRITIKER UND ANDERE VERTRETER DER
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KUNSTSZENE ZUR PROVOKATION WURDE.
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diesem Grund. Balkenhols Mann in Hemd und schwarzer Hose ist zu einem Archetyp geworden, der als Formelement dem einzelnen Granitblock seines Lehrers Ulrich Rückriem oder der lackierten Stahlbox von Donald Judd entspricht. Balkenhols Entscheidung für die handwerklich erschaffene, aus dem Holzstamm geschlagene Figur ist im Hinblick auf die vor ihm entstandenen spezifischen Objekte der Minimal Art keineswegs revisionistisch – er hat diese Skulpturtradition nicht abgelehnt, sondern sich einverleibt und als zusätzliche inhaltliche Dimension seiner Figuren zunutze gemacht. Der amerikanische Maler Alex Katz ist bei seiner figurativen Malerei im Hinblick auf die kompositionslosen Riesenformate von Jackson Pollock genauso vorgegangen. Man muss diese Beziehung zur modernen Tradition nicht unbedingt wahrnehmen, sie ist allerdings dezidiert vorhanden und kann bei einer Beurteilung dieser Werke nicht außer Acht gelassen werden.
So fühlte sich die Leiterin der Großausstellung DoAuch wenn in der Literatur über Stephan Balkenhol die lapidare Neucumenta 13 2012 zu einer distanzierenden Stellungtralität der Ausführung immer wieder beschrieben worden ist, darf man nahme veranlasst, als eine Skulptur von Balkenhol die Genauigkeit und die Details seiner Gestaltungsform nicht übersehen. weithin sichtbar im Turm der Kirche St. Elisabeth Viele seiner Figuren zeigen Mikrogesten, die sie individuell erscheinen aufgestellt wurde, um auf eine Ausstellung des Künstlassen – besonders deutlich wird das ablesbar in seinen Skulpturengruplers in diesem Kasseler Gotteshaus hinzuweisen, die unabhängig von der Documenta stattfand. Kürzlich pen wie etwa den Pinguinen in der Sammlung des Museums für Moderveröffentlichte der Kritiker Hanno Rauterberg in der ne Kunst Frankfurt oder in den Darstellungen tanzender Paare, die als Zeit eine Polemik unter dem Titel „Holzköppe für Gruppe eine erhebliche Bandbreite an Beobachtungen und Feinheiten alle“, in dem er das Werk Balkenhols als „tumbe, dokumentieren. In den vergangenen gut 30 Jahren seiner bildhauerischen ewig gleiche Kunst (…) von possierlicher, manchmal Arbeit hat Balkenhol seine Formensprache immer weiter verfeinert und heiterer Belanglosigkeit“ attackierte (Die Zeit, 2. Juni 2013). Derartige auf verschiedensten Gegenstände angewendet. Schon früh kamen zu den Kritik an der vermeintlichen Oberflächlichkeit, dem Dekorativen und Figuren auch Reliefs, in denen er Landschaftsdarstellungen von erhebliHarmlosen seiner Kunst teilt Balkenhol mit einer ganzen Reihe sehr cher malerischer Überzeugungskraft schuf. Das Repertoire seiner Figuerfolgreicher und bedeutender Künstler, deren Arbeiten für ein sehr ren ging zwar von dem einfach dastehenden Mann im Hemd aus, wurde großes Publikum zugänglich sind – man kann hier etwa die Namen aber um zahllose Variationen erweitert. Diese Variationen betreffen das von Malern wie David Hockney oder Alex Katz anführen, deren WerMotiv insgesamt (Männer, Frauen, Tiere, Mischwesen), aber auch Deke sehr ähnlich kritisiert werden. Zugänglichkeit und Popularität als tails wie Körperhaltungen und Maßstabsänderungen. Balkenhol reflekMakel aufzufassen, zeugt allerdings weniger von Selbstsicherheit und tierte grundlegende bildhauerische Fragestellungen wie die nach dem Souveränität als von Angst. Oberflächlich sind nicht die kritisierten Sockel, meist indem der Baumstamm, aus dem die Figur geholt wurde, Werke, sondern die Kritik an ihnen, wenn sie sich auf den oberflächliauch den Sockel bildet und ihn so untrennbar mit der Figur verbindet. Er nutzte aber auch häufig Tische oder Konsolen für die Montage eichen ersten Eindruck eines Werkes verlässt. ner Figur an der Wand. Seine Skulpturen weichen stets von der realen Lebensgröße seiner Motive ab und unterstreichen so ihre Künstlichkeit. Die Skulpturen von Stephan Balkenhol tragen eine bewusste AuseinMit diesem einfachen Mittel kann Balkenhol ohne emotionalen Überandersetzung mit der bildhauerischen Tradition seit der Klassischen Antike in sich und bündeln eine Reihe teils gegensätzlicher bildhauschwang darauf hinweisen, dass die Kunst eine eigene Sphäre markiert. erischer Ideen und Konzeptionen. Balkenhol ist ein postabstrakter, Dabei strahlen seine Werke immer eine Zeitgenossenschaft aus, die sie postminimalistischer Bildhauer, und seine Figuren sind durch die Erunverwechselbar zu Werken am Übergang des 20. zum 21. Jahrhundert fahrung der modernistischen, bis zur Gegenstandslosigkeit reduziermachen, auch wenn sie bewusst skulpturale Formen aufgreifen, die Jahrten Formensprache hindurchgegangen. Wenn sie ikonografisch unhunderte älter sein können. bestimmt, „neutral“, geschichtslos oder unliterarisch sind, dann aus
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AUTHOR
KAY HEYMER Geb. 1960 in Twistringen 1988 M. A. Kunstgeschichte, Ruhr-Universität Bochum Seit 2008 Leiter Moderne Kunst, Museum Kunstpalast, Düsseldorf.
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the same approach when he observed the freely flowing huge formats by Jackson Pollock. One doesn’t have to necessarily acknowledge this MANY. HIS MOSTLY CASUALLY LOITERING, NEUTRAL, ‘NORMAL’ FIGURES relationship to a modern narrative; however, it’s decisively present and POPULATE COUNTLESS MUSEUMS AND OPEN SPACES IN OUR CITIES. can’t be neglected when judging these works. HE PREDOMINANTLY SCULPTS HUMAN FIGURES BUT HAS ALSO OFFEEven though the literature on Stephan Balkenhol always refers to the laRED US ANIMAL REPRESENTATIONS AND FAIRY-TALE DENIZENS WHOSE pidary neutrality of his painting execution, we can’t ignore the precision SIMPLE AND UNOBTRUSIVE QUAINT FORMAL LANGUAGE CONTRIBUand details of his formats. Many of his figures were sculpted featuring TED TO HIS CONSIDERABLE SUCCESS AS WELL AS IGNITING THE SPARK micro gestures, giving the impression of a well-defined ego – this becoOF PROVOCATION FOR SOME CRITICS AND OTHER REPRESENTATIVES IN THE mes clear in his sculptural groups, e.g. the penguins at the Museum of ART WORLD. Modern Art in Frankfurt, or the representation of dancing pairs which offer us a considerable range of details to observe and analyse. In the It’s for that exact reason that the organiser of the colossal Documenta 13 last thirty years of his sculptural work, Balkenhol has always further re2012 exhibition felt compelled to distance herself from the artist when fined his formal language and used the most diverse objects to do so. one of his sculptures was placed in the tower of the St. Elisabeth church; Reliefs were added to figures in early production stages, creating landthe figure could be spotted from miles away and was a nod to a Balkenscape portrayals of considerable artistic persuasiveness. His repertoire hol exhibition taking place in the place of worship in Kassel. Said event of figures went from the simple man on his feet in a shirt to its iterations had nothing to do with the Documenta. interpreted and depicted in a number of different ways. These changes Recently, critic Hanno Rauterberg published a polemic in Die Zeit magawash over the topoi (men, women, animals, chimaeras) bringing about zine titled Holzköppe für alle (Blockheads for everyone) where he attatransversal changes as well as affecting details such as posture and cked Balkenhol’s work for being ‘naïve, always the same art (…) of sweet changes in size. Balkenhol reflected on fundamental sculptural issues: sometimes cheerful triviality.’ (Die Zeit, 2 June 2013). Critiques lambasone of them was the socle. He often integrated it into the same block of ting said alleged superficiality and the decorative and harmless nature of wood he selected to carve his figures, thus making it inseparable from the art is a badge of honour Balkenhol shares with a packed list of incredibly figure itself. He often used tables or consoles for mounting a figure on the successful artists whose work is accessible to a wide audience – just wall. His sculptures constantly differ from the actual size of the models he think of painters such as David Hockney or Alex Katz, whose works are uses and, by doing so, highlights their artistry. Using this simple method tarred with the same brush. Interpreting ease of access and popularity as Balkenhol can, without stepping into emotional excess, hint to the fact a defect speaks of fear rather than self-assurance and sovereignty. The that art represents its own world. With that narrative in mind, consider examined works aren’t superficial, rather the critique itself is if it relies on how his works always radiate a contemporary feel, making them unequisuperficial first impressions of a work of art. vocal pieces playing a balancing act between the 20th and 21st century Stephan Balkenhol’s sculptures embody a conscious debate with the despite the artist’s decision to mould them using sculptural forms which sculptural tradition of the classic antiquity and unite a sequence of particould be centuries older. ally opposite sculptural ideas and concepts. Balkenhol is a post-abstract, 1 Marianne, 2015, Wawaholz, farbig gefasst, 170 × 40 × 40 cm, Foto: Peter Hinschläger post-minimalist sculptor and his figures have been filtered by a modernist 2 Mann mit weißem Hemd und schwarzer Hose, 2015, Wawaholz, farbig gefasst, sieve, thus becoming an objective amorphous reduction of formal langua 169 × 29 × 24,4 cm, Foto: Peter Hinschläger ge. If they’re undefined, ‘neutral’, stripped of their past or unliterary from 3 Frieda, 2015, Wawaholz, farbig gefasst, 168 × 29,5 × 25 cm, Foto: Peter Hinschläger an iconographic point of view, one should accept that they’re so for the 4 Affe, 2014, Wawaholz, farbig gefasst, 160 × 31 × 31 cm Foto: Peter Hinschläger abovementioned reason. 5 Stephan Balkenhol in seinem Atelier, 2016, Foto: Markus Bullik Balkenhol’s archetype of a man in a shirt and black trousers reflects the 6 Mann im Turm, Kassel, 2012, Sankt Elisabeth, Kassel only formal element hewn from the individual granite block taken from Aluminum, farbig gefasst und Epoxidharz, vergoldet, Höhe: ca. 200 cm his teacher, Ulrich Rückriem, or the lacquered steel box of Donald Judd. Foto: Stephan Balkenhol Balkenhol’s decision to create using his bare hands to bring forth the 7 Sempre più ..., Forum Romanum, Rom, 2009, Zedernholz, farbig gefasst, Edelstahlfigure from the wooden trunk is by no means a revisionist approach to und Kupferscheiben, Höhe: ca. 600 cm, Foto: Stephan Balkenhol minimalist art when considering his resulting objects – he doesn’t reject Alle Arbeiten von Stephan Balkenhol, © VG Bild-Kunst, Bonn 2016 that sculptural tradition, rather incorporates and uses it for the benefit of 8 Kay Heymer his figures to create further content. American painter Alex Katz adopted STEPHAN BALKENHOL’S SCULPTURES ARE SOME OF THE MOST WELL-
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KNOWN WORKS IN THE CONTEMPORARY SCULPTING SCENE IN GER-
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AUSSERORD
ENTLICHES,
REALES GEF CHRISTIANE
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VLEUGELS THE STUNNIN G REAL EMO TION
MIT 12
JAHREN
BESUCH-
TE CHRISTIANE VLEUGELS DIE
KUNSTAKADEMIE
IN
SCHOTEN (BELGIEN). UNTER MEISTER HERMAN CORNELIS ARBEITETE SIE DORT AN IHREN ZEICHEN- UND MODELLIERFERTIGKEITEN. MIT 17 WANDTE SIE SICH AM STÄDTISCHEN INSTITUT FÜR ANGEWANDTE KUNST IN ANTWERPEN DEN BEREICHEN
DEKOR,
WERBUNG
UND NATURZEICHNUNG ZU UND STUDIERTE SCHLIESSLICH AN DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER BILDENDEN KUNST ANTWERPEN FIGURENZEICHNUNG,
ÖLMALE-
REI UND RESTAURIERUNGS-
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TECHNIKEN.
Vleugels heiratete 1986 und zog für sechs Jahre nach Köln, wo sie zwei Jahre lang in der bekannten Galerie der schönen Künste ausstellte. Einige ihrer Arbeiten gelangten bis nach Ägypten und Großbritannien. Zurück in Belgien brachte die Künstlerin mehrere Jahre mit Auftragsarbeiten und zahlreichen Reproduktionen zu und stellte ihre Werke unter anderem im Fernen Osten aus. Seit mehr als 30 Jahren verdient Christiane Vleugels ihr Brot als professionelle Malerin und hat bisher rund 1000 Gemälde geschaffen. Dies erklärt das außerordentliche dass handwerkliches Geschick nicht mehr zu den GrundfähigkeiGeschick, das sie heute bei ihrer Arbeit – sie malt spontan aus dem ten der Kunstschaffenden gehörte. Wenngleich nun seit einigen Stegreif – an den Tag legt. Als Porträtmalerin konzentriert sich Jahren der Realismus weltweit ein Comeback feiert, wird vielerVleugels vor allem auf Einzelpersonen und Gruppen, aber auch orts behauptet, Kunst sei alles andere als Realismus. Wir haben im Tiere und zuweilen Landschaften. Trotz ihrer außergewöhnlichen Rahmen mehrerer Ausstellungen diesbezüglich mit Besuchern und Fähigkeiten und ihres Talents fühlt sie bei jeder neuen Kreation, Sachverständigen über dieses Thema diskutiert. Wer allerdings dass der Lernprozess gerade erst begonnen hat, und tatsächlich Christianes Gemälde eingehend betrachtet, erkennt, was hinter lassen sich in jedem ihrer Werke neue Aspekte erkennen. Ihre GePorträts wie den ihren steckt. Vielleicht wissen Sie, dass in einem mälde beinhalten keine Botschaften oder politischen Statements, farbgetreuen Foto auf Ihrem Computerbildschirm (24 Bit) ganze sondern verleiten zum Träumen und Staunen. 16.777.215 Farben stecken. Wenn Sie sich dann ein beliebiges Beobachtet man die Betrachter von Christianes Gemälden (z.B. Bild von Christiane Vleugels auf einer Leinwand von beispielsin Breda’s Museum, „Dat is ook een portret“, Dutch Master Painweise 120 x 160 cm ansehen, werden Sie feststellen, dass es aus ters, Niederlande 2016), ist die unmittelbare emotionale Reaktion einer Mischung von vielleicht 10 bis 12 Farben besteht. Vleugels offensichtlich. Dies ist nicht nur der erstaunlichen technischen ist eine Zauberin, oder möglicherweise eine Alchemistin, die aus Fertigkeit der Künstlerin zu verdanken, sondern dem Herz und ihren Grundfarben Tausende von Farbtönen schafft, die ein Bild der Seele ihrer Werke, die sich wie beim Blick in die Augen von benötigt, um sich der Realität zu nähern oder sogar darüber hinVermeers „Mädchen mit Perle“ offenbaren. Christiane selbst sagt, auszugehen, um beinahe dreidimensionale Tiefe und mehr emotioPorträtmalerei sei für sie eine „Herzensangelegenheit“. nales Potential als jedes Foto zu schaffen. Die Gefühle des Modells erzählen eine Geschichte. Christiane Vleugels weiß genau, was ein richtig gutes Porträt ausmacht: Darüber hinaus besitzt Christiane die Fähigkeit, das beobach„Wenn die Augen – das Fenster zur Seele – verführen, wenn man tete Objekt in ihrer visuellen Erinnerung für 6 bis 10 Sekunden beim Betrachten mehr über den Menschen im Gemälde erfahren zu speichern, und hat damit mehr Zeit, sich auf die Details an der möchte. Hinter der bloßen Farbe muss Leben stecken. Es ist immer Leinwand zu konzentrieren. Außerdem hat sie eine solch perfekgut, wenn ein Porträt auch Raum für die Fantasie lässt – dann te Kontrolle über den Pinsel, wie ich sie sonst nicht kenne. Ihre will man als Betrachter meist auch mehr über den Künstler erfahHände dirigieren den Schaffungsprozess wie ein Maestro seine ren.“ Wenngleich es für Christiane keine hässlichen Porträts gibt, Symphonie. so möchte sie doch, dass jedes ihrer Modelle mit dem Ergebnis zufrieden ist. Allerdings findet sie es faszinierend, wenn ein Bild Christiane Vleugels gehört zweifelsohne zu den 20 weltbesten hyauch andere Aspekte als Schönheit allein preisgibt. In diesem Zuperrealistischen Malern. Dabei ist Hyperrealismus nur ein Aspekt sammenhang verrät sie uns, dass sie sich selbst stets älter malt, als ihrer Kunst: Ebenso großartig sind die Gefühle, die ein Blick in sie ist: „Ich bin offensichtlich kritischer als mein Spiegel.“ ihre Welt vermittelt. Es ist ein Genuss, Tag für Tag Christianes Seit den 1960er Jahren konzentriert sich die Hauptströmung von Bilder betrachten zu dürfen. Kunst und Malerei auf neue Richtungen. Dieser Trend führte dazu,
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Timeless (2015) Oil paint on Belgian linen canvas, size: 150 x 240 cm
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Brown sugar (2015) Oil paint on Belgian linen canvas, size: 140 x 160 cm
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Desire (2015)
Oil on Belgian linen canvas, size: 140 x 180 cm
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Medusa (2012) Oil on Belgian linen canvas, size: 110 x 130 cm
Count Ibex Collection
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Bert van Gerwen
AUTHOR
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BERT VAN GERWEN ist Mitbegründer von Dutch Master Painters, einer modernen und alles andere als typischen Kunstgalerie, die wichtige Künstler aus den Niederlanden anhand traditioneller und moderner Mittel präsentiert. Die Dutch Master Painters richten zahlreiche kleine und große themenorientierte Ausstellungen in Museen und Anwesen aus. 2016 konnte in Zusammenarbeit mit Breda’s Museum die Ausstellung „Dat is ook een portret!“ organisiert, an der Bert van Gerwen als Kurator und Mitherausgeber des dazugehörigen Buches beteiligt war. bert@dutchmasterpainters.com 5
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good portrait: “If the eyes -in fact the soul- seduce, if you want to know more about the person on the canvas. There needs to be more of a SKILLS IN DRAWING AND MODELLING. AT THE AGE OF 17 SHE WENT life behind the paint. It‘s always nice when a portrait leaves something TO THE MUNICIPAL INSTITUTE OF DECORATIVE ARTS AND CRAFTS IN ANTto the imagination. That also causes the spectator to want to know WERP, WHERE SHE FOCUSED ON DECOR, PUBLICITY AND NATURE DRAmore about the artist.“ Although she knows no ugly portraits, Christiane WINGS. AFTER THAT, IT WAS TIME FOR THE ROYAL ACADEMY IN ANTWERP. prefers her model to be happy with the result. But she admits that it is THERE SHE STUDIED FIGURE DRAWING, OIL PAINTING AND RESTORATION fascinating when the portrait also shows other sides than beauty alone. TECHNIQUES. In that context she admits that she portrays herself always older than she is: “Apparently I am more critical than my mirror.“ Since the sixties She married in 1986 and moved to the city of Cologne (Germany) the main stream of art and painting was focussed on new directions. for six years, where she had two years of continuous exhibitions in the The trend caused that craftsmanship was no longer part of the skills well-known Galerie des Beaux Arts. Some work went abroad including needed to create art. Despite the fact that in recent years realism is Egypt and the UK. Back in Belgium, many years followed with commiscoming back worldwide, still lots of people claim art to be everything sioned work including numerous reproductions and several exhibitions, but realism. In several exhibitions we had discussions with audience also in the Far East. In more than 30 years she managed to make a and experts about this subject. But if you take a close look to paintings living as a professional painter, producing around 1000 paintings of Christiane, you realize what it takes to make portraits like she does. up to now. That explains her extreme skills nowadays, where she still Maybe you know that a true colour photo on your computer screen (24 creates right from the heart. As a portrait painter, subjects are mainly bit) can be composed of 16,777,215 different colours. And when single persons or groups of people, but also animals. Occasionally she you then take a look at any painting by Christiane’s on e.g. a 120 by likes to paint landscapes. Although she has those extreme skills and 160 cm canvas, you must realize that it is composed by mixing maybe talent, still with each new creation she feels that the real learning pro10 to 12 colours. She is really a magician, or should I say alchemist, cess is only beginning, with new aspects revealing in every painting. when mixing the base colours towards the thousands you need to come Her paintings do not wear messages or political statements but just close or beyond reality, which means more depth – close to 3D - and make you dream and wonder.Looking at the audience when they are more emotion than any photo. On top of that she has the skills to fixate facing Christiane’s work in recent exhibitions (like in Breda’s Museum, the object she observes in her visual memory for 6 to 10 seconds, “Dat is ook een portret”, Dutch Master Painters, Netherlands 2016) which gives her more time to concentrate on the details on the canvas. you always see instant emotions. Not only because of the stunning And last but not least, she is in full control over the paintbrush, more technical performance put into each and every painting. It is also than I have ever seen. Her hands conduct the creating process, like a because of ‘the heart and soul’, the spectator recognizes, like looking maestro a symphony. Christiane is one of the world wide top 20 hyperinto the eyes of Vermeer’s “Girl with a pearl”. Christiane states that realistic painters, I am sure. But she is not only about hyper realism, it is painting portraits is “ her heart case”. The emotion of the subject tells the feeling you experience, the emotion, when looking into her painted the story. Christiane is more than convinced about what makes a real world. I enjoy looking at her work every day. AT THE AGE OF 12, CHRISTIANE VLEUGELS WENT TO THE ACADEMY OF
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ART IN SCHOTEN (BELGIUM). ARTIST HERMAN CORNELIS TRAINED HER
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„FÜRCHTE DICH NICHT“ IST DER TITEL EINES GROSSFORMATES IN ÖL. ABER MAN FÜRCHTET SICH. VOR DER MASSE FRAU, DIE EINEM AUS JEDEM BILD ENTGEGEN DRÄNGT. VOR DEM FETT, DEN GLÄNZENDEN FLEISCHBERGEN,VOR DER SCHIEREN KÖRPERLICHKEIT, DER SCHONUNGSLOSEN SICHT AUF ALLES. ABER MAN KANN DEN BLICK NICHT ABWENDEN. DEN BEGIERIGEN BLICK AUF DAS WEIB.
Was hilft? Rationalisierung, Analyse, Interpretation? Sicher. Rolf Ohst hat Gier gemalt. Die kann man nicht klein malen, daher die großen bis übergroßen Formate. Das „Sich-einverleiben“ der Welt, dieses Hauptthema unserer westlichen Gesellschaft, symbolisiert sich in Fett. Das ist abstoßend, schockierend, ekelerregend und verlockend. Wir alle sind gierig und vielleicht ist das vor allem Frauen aufoktroyierte Schlankheitsdiktat eine Art soziales Mieder, eine Larve zur Maskierung der Gier. Rolf Ohst lässt dem Fett freien Lauf. Schönt nichts und sieht nicht zur Seite. Und lässt auch dem Betrachter nicht die Wahl. Erschütternd. Wie das bebende Fett seiner Modelle, die alle weiblich sind. Sehr weiblich. Mit üppigen Hüften, wogenden Brüsten, schweren Schenkeln, dicken Bäuchen. Für Ohst Sinnbilder von Mütterlichkeit, Leben und Trieb. Sein obsessiver Blick auf das Weibliche ist seine Inspiration; nicht nur für die Kunst. Aber mit seiner Kunst will er eine Lanze brechen, für die Frau – und gegen die Unterdrückung der Weiblichkeit. Gegen ihre Ausbeutung und Einschnürung. Besonders deutlich wird das in seiner Arbeit „Earth“, die Mutter Erde zeigt: In einer Abraumhalde auf die Knie gezwungen, mit einem lächerlichen Bau eingerüstet und von Arbeitern und Soldaten zum Abbau bereit gemacht. Auf den Seiten des Altarbildes sind Meteoriten zu sehen, quasi die Leben-bringenden Spermien für unseren Planeten. Klappt man die Flügel zu, erscheint die Erde in einem Endzeitszenario aus der Sicht eines Astronauten. Das alles in altmeisterlicher Klasse. Der HausnerSchüler Rolf Ohst hält sich an die Realität. In Form und Inhalt. Als Maler und Bildhauer. Dabei zitiert er in seinen Inszenierungen ganz nebenbei die Väter seiner Malerei: Botticelli, Tizian, Rubens, Rembrandt, Corinth und viele mehr. Mit seinen barocken Wolken, den dunklen Seestücken und den üppigen Akten bewegt er sich im Duktus der Klassischen Moderne – die er mit seiner zeitgemäßen und gesellschaftskritischen Interpretation zu einem beeindruckenden Stück Gegenwartskunst macht. Darüber hinaus: Sein Sampling hat Humor.
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Allerdings nicht immer. Sein „Vater Unser“ mit einer gekreuzigten, dicken Frau lässt den Betrachter bestürzt zurück. Vielleicht wäre es nicht nur für Psychoanalytiker interessant zu ergründen, warum diese Version eine so viel drastischere Reaktion hervorruft, als ein gekreuzigter Jesus. Rolf Ohst erklärt seine Intention: Das Weibliche wird an´ s Kreuz geschlagen. Überall. Zu allen Zeiten. Von allen Religionen. Rolf Ohst schafft es, alles in seinen Bildern zu vereinen: Anklage, Trieb, Lust und Kampf. Gegensätze wie Sinnlichkeit und Abscheu vereinen sich in seinen Arbeiten zu Kunst, die einem nicht mehr aus dem Kopf geht. Das mag daran liegen, dass Rationalisierung, Analyse und Interpretation allein eben doch nicht helfen. Weil die verfluchten Emotionen... Die Furcht vor dem Weib – die Furcht, so „auszuufern“ – die Furcht, sich gehen zu lassen – die Furcht, nicht geliebt zu werden – die Furcht, die Furcht, die Furcht. „Fürchte dich nicht“ heißt das Gemälde, das an Botticelli´s Geburt der Venus erinnert. Und man weiß nicht, ob dieser Satz sich an die Frau in Öl richtet oder an die Frau oder den Mann aus Fleisch und Blut. So vielschichtig, wie die Bedeutungsebenen in seiner Malerei sind auch die Titel seiner Bilder. Das ist Absicht. Rolf Ohst will verstören. Er will berühren, entsetzen, erschüttern, erfreuen und stimulieren. Er will, „dass sich was bewegt – im Kopf, im Herz oder sonst wo.“ Und natürlich, wie sollte es anders sein, ist jedes Bild ein Selbstportrait. Es zeigt seine Empörung, seine Liebe, seine Ängste, seine Haltung, seine Gefühle und Gedanken. So wie jeder Künstler sich immer nur selber malt.
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1 Rolf Ohst 2 „Littel Boy”, Öl auf Leinwand, 50 x 60 cm, 2014 3 „Der Schrei“, Öl auf Leinwand, 80 x 100 cm, 2008 4 „XXL“, Öl auf Leinwand, 200 x 300 cm, 2006 5 “Earth”, Öl auf Leinwand, 200 x 300 cm, 2010 6 „Vater unser“, Öl auf Leinwand, 150 x 250 cm, 2016 7 „Fürchte dich nicht“, Öl auf Leinwand, 200 x 150 cm, 2008 8 Anja Es
ANJA ES Galeristin: Galerie KUNST!, Timmendorfer Strand. Zeigt Kunst von Belang. www.anja-es-kunst.de Künstlerin: Malt, schreibt, performt und bringt Texte und Bilder als Gesamtkunstwerk mit Musikern auf die Bühne. Ausstellungen und Performances in Deutschland und Dänemark. Mit ihrer Bildserie „La Gonzesse“ in Sammlungen, Galerien und Medien erfolgreich. www.anja-es.de 8
“FÜRCHTE DICH NICHT“ (FEAR NOT) IS THE TITLE OF A LARGE-FORMAT OIL PAINTING. YET FEELING FEAR IS INEVITABLE. VIEWERS ARE FEARFUL OF THE FEMALE BODY WHICH ERUPTS FORCEFULLY FROM EVERY PAINTING, OF FAT, THAT GLOSSY MOUNTAIN OF FLESH, OF THE SHEER PHYSICALITY, THE MERCILESS GAZE ACROSS EVERYTHING. BUT YOU CAN’T TURN AWAY FROM THE GAZE. YOU CAN’T STOP YOURSELF FROM LOOKING. THE GAZE FULL OF DESIRE ON THE WOMAN. What helps viewers when facing fear? Rationalising, analysing, interpreting it? Sure. Rolf Ohst has painted desire. A sentiment which would escape the confines of a small format, hence the need to resort to gargantuan ones. The ‘self-guzzling of the world’ is symbolised by fat in our western society. A repulsive, disgusting, and alluring element.
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We’re all greedy and, maybe, especially to women who feel the imposition of a slim diktat, greed is a sort of social bodice, a cocoon to mask greed. Fat is given free rein in Rolf Ohst’s works. He spares nothing and doesn’t simply observe from the sidelines. Moreover, he doesn’t give the viewer any say on the matter either. They tremble. Like the trembling rolls of fat on his models who are, without exception, all women. Extremely feminine. Wide hips, undulating breasts, heavy calves, fat stomachs. To Ohst they’re an allegory of motherhood, life, and fertility. His obsessive gaze on those feminine details is his inspiration; and not only for artistic purposes. But with his art he wants to stand up for women – and stand against the oppression of femininity. Against its exploitation and confinement. His stance is clear as day in Earth, a work depicting Mother Earth: forced to her knees in a slag-heap, ensconced in a laughable building and ready to be dismantled by workers and soldiers. On the pages of the altar, viewers can glimpse meteorites, spermatozoa for our planets, harbingers of life. If you close the wings, Earth looms, an apocalyptic scene from an astronaut’s perspective. All this is produced with the skill of the masters of old. The student of Hausner, Rolf Ohst, has his feet firmly planted on the ground. Both in terms of form and content. As a painter and sculptor. His staged paintings nod to the fathers of painting itself, masters the likes of Botticelli, Titian, Rubens, Rembrandt, Corinth and many more. With his baroque clouds, the dark roiling ocean, and the lively nudes he moves on what is undoubtedly the modern classic – which he reshapes into impressive pieces with his critical interpretation of our modern times and society. There’s more: his works are bursting with humour.
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Rolf Ohst manages to unite all those facets of being a woman in his paintings: accusations, libido, happiness, and fights. Opposites like sense, beauty, and disgust come together in his works of art, becoming impossible to forget. Why? Because rationalising, analysing, and interpreting alone do not help. Because of those blasted goddamn emotions... The fear of femininity – the fear of letting ‘things go out of hand’ – the fear of letting go – the fear of not being loved – fear, fear, fear. Fear not is the name of the painting, which is reminiscent of Botticelli‘s The Birth of Venus. And one does not know if the title refers to the women in the oil painting or to the viewers, simulacra made of flesh and blood. His titles are just as deeply layered with meaning as the content of his paintings. It’s completely intentional. Rolf Ohst wants to shock. He wants to awaken certain emotions, shock, terrify, shake, bring joy and stimulate his viewers. He wants ‘for something to move – in the head, heart, or anywhere else.’ And of course, how could we even doubt it, every picture if a self-portrait. It depicts his outrage, his love, fears, behaviour, emotions, and thoughts. Just like every other artist, he always only paints a part of himself.
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However, humour doesn’t always transpire in all his paintings. His Vater Unser (Our Father) with a fat woman on a cross, shocks viewers. It may be interesting for psychoanalysts, among others, to posit why such a vision creates a more drastic reaction and awakens a stronger emotion than that of Jesus on the cross. Rolf Ohst explains his intention: femininity is pinned to the cross. Everywhere. At all times. By all religions.
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Bei der Rückkehr der kaiserlichen Hochseeflotte aus der Seeschlacht vor dem Skagerrak 1916 ist Bergen zufällig in Wilhelmshaven. Er spricht als erster Marinemaler mit Besatzungsmitgliedern, empfindet ihre Stimmungen und sieht „stolze“ und zusammengeschossene Schiffe. Claus Bergen gilt seitdem als „der“ Maler, der größten artilleristisch geführten Seeschlacht der Marinegeschichte. Für Marinemaler brechen nach dem Ersten Weltkrieg schwere Zeiten an. Claus Bergens künstlerische Qualität ist jedoch so überzeugend, dass er mit bemerkenswerten Aufträgen versorgt wird. Neben der Einladung zur Jungfernfahrt des Dampfers COLUMBUS gehört dazu auch die Ausstattung des erweiterten Deutschen Museums in München mit 12 monumentalen Gemälden zur Seefahrtsgeschichte. Sie bringen ihm nicht nur Ruhm, Ehre und Auszeichnungen ein, sondern vor allem finanzielle Unabhängigkeit. Die Bekanntschaft zu den Oberbefehlshabern der Kriegs2 marine Raeder und Dönitz sichern Bergen die Aufmerksamkeit der Kriegsmarine bis 1945. Das von späteren Chronisten ihm angeschneiderte „Propagandahemd“ passt Claus BerIN STUTTGART AM 18.4.1885 GEBOREN UND IN MÜNCHEN AUFGEgen jedoch nicht so recht. Auch die jährliche Präsenz einiger weniger WACHSEN. FÜR CLAUS BERGEN SIND KUNST UND KÜNSTLERSCHAFT zeitkonformer Gemälde aus seinem Atelier in Lenggries auf den großen SEINERZEIT EINE GANZ UNPROBLEMATISCHE SACHE. ER LERNT IN Deutschen Kunstausstellungen in München können sein Lebenswerk SEINEN JUGENDJAHREN NICHTS ANDERES KENNEN. ALS ERSTER SOHN nicht diskreditieren. VON FRITZ BERGEN, IM DEUTSCHEN KAISERREICH POPULÄRER MALER Im Herbst 1943 bittet der Unteroffizier Hans Willy Bernartz, späterer UND ILLUSTRATOR, ERGIBT SICH EIN GERADLINIGER WEG ZUM BERUF Mitbegründer des Deutschen Schifffahrtsmuseums in Bremerhaven, DES KUNSTMALERS. MIT ÜBERREICHEM TALENT VERSEHEN, GENIESST Claus Bergen um das nochmalige Malen eines Bildes, das bei einem ER IN MÜNCHEN EINE AKADEMISCHE KUNSTAUSBILDUNG UNTER Bombenangriff verbrannt war. Bergen bezweifelt zwar seine UrheberDEN FITTICHEN DER LANDSCHAFTS- UND GENREMALER: MORITZ schaft des „Bildchens“, aber aus dem ersten Kontakt wächst eine FreundWEINHOLD, OTTO STRÜTZEL, HANS VON BARTELS UND CARL VON schaft zwischen Mäzen und Künstler, die zwanzig Jahre mit Höhen und MARR. UNGEWÖHNLICH IST LEDIGLICH SEINE ENTSCHEIDUNG FÜR DIE Tiefen besteht. Die hinterlassene Korrespondenz der beiden miteinander MARINEMALEREI DIE IN BAYERN UND MÜNCHEN NUN NICHT GERADE dokumentiert Bergens Lebenschaos in den Nachkriegsjahren. IHRE HOCHBURG HATTE. „Das letzte Gefecht des Schlachtschiffes BISMARCK“ gehört zu den bekannten Gemälden Bergens. Die Stiftung der Montanindustrie an die Weniger bekannt sind Claus Bergens Illustrationen für „Karl Mays IlMarineschule in Mürwik ist eines der geschenkten Bergengemälde das lustrierte Reiseerzählungen“, die ab Dezember 1907 erscheinen. Der sich in eine Reihe einfügt, zu dem auch das Atlantikbild an John F. KenKünstler liefert an die 440 Illustrationen in der Form von Einbandvignedy gehört. Wenige Tage vor dem Attentat in Dallas erreicht das Bild netten, farbige Gouachen als Frontispize, schwarzweiße Gouachen als Washington. Bergen äußert die Hoffnung, dass der von ihm verehrte Einschaltbilder und Federzeichnungen als Textillustrationen. Bei KenSchnellbootkommandant sein Bild noch vor seinem Tod in Augenschein nern gilt er bis heute als der einfühlsamste Darsteller der Phantasiewelt nehmen konnte. Die Frage ob Kennedy das Bergenbild noch gesehen des Karl May. hat bleibt genauso unklar wie einige Geschehnisse nach Bergens überraEinen Namen macht sich Bergen bereits ab 1909 mit seinen stimmungsschenden Tod am 4.Oktober 1964. Die verschenkten Chancen sein Werk vollen Gemälden des englischen Fischerhafens Polperro an der Küste einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen und die Rückführung Cornwalls. Mehrere Studienaufenthalte in Polperro in den nächsten Jah„abhanden“ gekommener Gemälde aus den USA sind spannende Inforren bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges erbringen eine größere mationen zum Bergen Nachlass, die erstmals in der Monographie von Zahl von Gemälden mit Motiven des Fischerhafens der Menschen und Jörg-M. Hormann und Eberhard Kliem „Claus Bergen – Marinemaler der Fischerboote. Auf Ausstellungen mit Goldmedaillen bedacht, verbeider Weltkriege“ veröffentlicht sind. kaufen sich Bergens Englische Fischer, trotz happiger Preise recht gut.
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1 ADMIRAL SCHEER, 1937, Ölgemälde auf Leinwand, 177 x 318 cm
Foto: Sammlung Jörg-M. Hormann / © VG Bildkunst 2017
2 1929 Seeflieger, 1917, Gouache auf Karton, 54 x 74 cm
Foto: Andreas Thies / © VG Bildkunst 2017
3 Portrait Claus Bergen, 1963 Lenggries Lessing
Foto: Erich Lessing / Sammlung Jörg-M. Hormann
JÖRG-M. HORMANN Die einzigen farbigen Innenraum Darstellungen des luxuriösen, zwölfmotorigen Flugschiffes DO X von 1929 sind von Claus Bergen. Wie kommt ein Marinemaler an dieses Motiv? So etwas interessiert Jörg-M. Hormann, Journalist und Sachbuchautor des Jahrgangs 1949. Erst neben seinen Redakteursaufgaben und dann seit gut 20 Jahren freiberuflich aktiv, vermittelt Hormann seiner Leserschaft, spannende Geschichten aus der militär- und kunsthistorischen Themenvielfalt. Das Recherchieren bis zum „blanken Knochen“, wie er sagt, ist sein Motiv oft jahrelang an einem Thema dran zu bleiben. 7
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first marine painter, he speaks with members of the crew, understands their emotions and sees ‘proud’ and bullet-riddled ships. Since then, Claus Bergen has been considered the painter of the biggest naval artillery massacre in marine history. Difficult times loom for marine painters after World War One. However, Claus Bergen’s artistic skill was so convincing and outstanding that he was offered impressive commissions. He was invited to the maiden voyage of the COLUMBUS steamer ships as well as being asked to produce twelve monumental paintings depicting the history of seafaring for the expansion of the German Museum in Munich. They brought him fame, honour and recognition, and, above anything else, financial independence. His acquaintance with the commanders-in-chief of the German Navy, the Kriegsmarine, Raeder and Dönitz secure him the attention of the navy until 1945. However, while later chroniclers see the painter as a propaganda pusher, that role doesn’t quite fit Claus Bergen. Even the yearly presence of some paintings adhering to certain dictates of the time from his atelier in Lenggries at the big German art exhibitions cannot discredit his life’s work. In autumn 1943, non-commissioned officer Hans Willy Bernartz, a later cofounder of the German Seafaring Museum in Bremerhaven, asks Claus Bergen to repaint a work which was burnt to ashes during a bomb raid. Bergen had reservations regarding the ownership of the ‘insignificant picture’ but this first contact is the seed of a friendship between patron and artist that will grow, and continue with peaks and throughs for twenty years. The surviving correspondence between the two documents Bergen’s chaotic post-war life. The last battle of the battleship Bismarck is one of Bergen’s most well-known pictures. The donation of the Montanindustrie to the Marineschule in Mürwik is one of the mountain paintings he donated; this list of donated works also includes the Atlantic Room Mural given to John F. Kennedy. The picture reached Washington just days before his assassination in Dallas. Bergen hoped the speedboat captain he admired could have had at least seen his picture before dying. It’s still unclear whether Kennedy saw the painting, and the same state of unclarity applies to some events following Bergen’s surprising death on 4 October 1964. The wasted opportunities to make his work accessible to a wider audience and the repatriation of paintings ‘originating’ from the USA are exciting pieces of information about Bergen’s unfinished works which have been published for the first time in the monograph by Jörg-M. Hormann und Eberhard Kliem Claus Bergen – Marinemaler beider Weltkriege (Claus Bergen – Marine Painter of both World Wars).
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CLAUS BERGEN WAS BORN IN STUTTGART ON 18 APRIL 1885 AND WAS BROUGHT UP IN MUNICH. HE WAS NO STRANGER TO ART AND THE ARTISTIC CIRCLE BACK IN THE DAY. INDEED, HE EXPERIENCED NOTHING OTHER THAN THAT DURING HIS YOUTH. HE WALKED DOWN AN UNENCUMBERED PATH OF THE ‘CAREER PAINTER’ AS FIRST SON OF FRITZ BERGEN, A POPULAR PAINTER AND ILLUSTRATOR IN THE GERMAN EMPIRE. GIFTED WITH TREMENDOUS TALENT, HE ENJOYED AN ACADEMIC ART FORMATION IN MUNICH UNDER THE WINGS OF MORITZ WEINHOLD, OTTO STRÜTZEL, HANS VON BARTELS AND CARL VON MARR, LANDSCAPE AND GENRE PAINTERS. THE ONLY UNUSUAL QUIRK OF YOUNG CLAUS WAS HIS PENCHANT FOR MARINE PAINTING WHICH, ADMITTEDLY, COULD NOT COUNT BAVARIA NOR MUNICH AS ITS
47 x 65 cm, Foto: Daniel Wiedermann / © VG Bildkunst 2017 Foto: Sammlung Jörg-M. Hormann / © VG Bildkunst 2017
6 1924 COLUMBUS, SONNENDECK, Ölgemälde auf Leinwand, 80 x 125 cm
Foto: Sammlung Jörg-M. Hormann / © VG Bildkunst 2017
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4 1917 SEYDLITZ, BACKBORDBREITSEITE, 1921, 32 x 62 cm 5 1916 U-Bootskrieg Gefecht, UNGLEICHER KAMPF, 1917, Mischtechnik auf Karton,
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STRONGHOLDS.
Claus Bergen’s illustrations for Karl Mays Illustrierte Reiseerzählungen (Karl May’s Illustrated Travel Accounts) are less well-known and were published in December 1907. The artist produced 440 illustrations as book cover vignettes, colourful gouaches as frontispieces, black and white gouaches as insets, and pen-and-ink drawings as text illustrations. Among connoisseurs, he’s still considered as the most sensitive representative of the fantasy world of Karl May up to this very day. Bergen made a name for himself from 1909 with his sentimental paintings of Polperro, a fishing harbour on the Cornish coast. A copious amount of paintings depicting the fishing harbour, its people, and fishing boats are the result of countless stays in a studio in Polperro in the following years until the Great War broke out. Despite their steep prices the paintings of English fishermen, which were awarded gold medals at the exhibitions, sold well. Bergen was in Wilhelmshaven by sheer chance when the imperial fleet returned from the naval massacre of the Battle of the Skagerrak in 1916. As the
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viele seiner Kollegen den Einflüssen seines Professors nicht entziehen, der wie kaum ein anderer im Stande war, innovative Vorstellungen eines neuen Landschaftsbildes zu definieren und zu prägen, um sie auch seinen Studenten näher zu bringen. Geschult durch das akademische Vorbild beginnt er - 1957 nach Tirol zurückgekehrt, neben der beruflichen Tätigkeit als Lehrer und Kunsterzieher in Landeck und Zams, die Arbeit als freischaffender Künstler, wobei er sich als Maler, Lithograf und Radierer seinen Platz in der ersten Reihe der Tiroler Kulturlandschaft geschaffen hat. Zum einen war Herbert Danler ein beliebter, rücksichtsvoller Lehrer, dem es gelang, Freund und gleichzeitig Förderer zu sein - bedeutende Künstler wie Elmar Peintner oder Chryseldis Hofer-Mitterer u. a. m. zählen zu seinen erfolgreichsten Schülern - zum anderen hat er sich selbst Zeit gegeben, seine Malerei aus sich heraus zu entwickeln und diese auf der Basis eines eigenständigen, eines auf Distanz zu Vorbildern angelegten Ausdrucks entfalten zu lassen. Neben der Kunst von Herbert Boeckl konnte er auch mit jener des Tiroler Malers Hans Weber-Tyrol viele gemeinsame künstlerische Ansichten teilen. Beiden gelingt es, mit den auf „ihre Welt“ zugeschnittenen und ausgerichteten Bildfindungen einen sehr mitteilsamen und erzählerischen Weg einzuschlagen, beide als glänzende Zeichner und Grafiker bekannt, in den verschiedensten Techniken wie Aquarell und Öl oder Pastell versiert, dabei den unterschiedlichsten Bildvorwürfen zugetan und stets offen, wobei die Liebe zur Landschaft Herbert Danler wie sein Vorbild zu Höchstleistungen inspiriert und angetrieben hat.
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DASS DEM WERK DES STUBAITALER MALERS, GRAFIKERS UND RADIE-
Die geistige Aufbruchstimmung, zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Schaffenszeit Herbert Danlers und ist gekennzeichnet vom Bestreben, die in der Realität vorgefundenen Motive in jene nach seinen momentanen Empfinden gültigen Formenwerte zu zergliedern und mit diesen Bausteinen neue Raumordnungen im Bild zu schaffen. Dieser Zugang lässt es zu, wie kaum ein anderer Künstler ein „Inneres Bild“ zu zeichnen, ein Bild, das sich dem Charakter einer Vedute entzieht, übertriebene Modernismen meidet, dennoch zeitgemäß ist und auf dem Spiel von Form und Farbe seinen Ausgang findet. Danlers Motivwahl – oft konzentriert er sich auf einen Landschaftsausschnitt, ist stets mit der Bekanntschaft des Bewohners oder der Bewohner der Umgebung der Behausung einhergegangen. Er scheute sich nie, mit den Menschen in Kontakt zu treten. Die Geschichte und das Schicksal der Bewohner seiner „porträtierten Motive“ hat ihn stets interessiert und inspiriert, doch keineswegs bewogen der menschlichen Figur im Bild Aufmerksamkeit zu schenken. Der Mensch als Landschaftsgestalter, als Hüter der Geheimnisse und Geschichten, die das alte Gemäuer verbirgt, bleibt vernachlässigt und dennoch gelingt es ihm, ihn im Kern der Aussage evident zu halten. Seinen oft archaisch wirkenden Architekturen lastet viel Geschichte an. Der Interpretation und Fantasie ist mit seinen durch Fenster, Tore, Laubengänge, aufgebrochenen Mauerwerken viel Spielraum geboten, er vergleicht sie mit Augen, Ohren, Nasen und Mündern des Menschen und orientiert sich am Naturschauspiel, das Schluchten, Lawinen und Wasserfälle bieten. Herbert Danler vermittelt trotz Rückzug vom Naturvorbild, Dank kräftigem Duktus, Einsatz starker Farbigkeit, die oft vom Lokalkolorit abweicht und vor allem durch seinen mit viel Weiß gepaarten starken, pastosen Farbauftrag eine Illusion, die sich der dritten Dimension täuschend nähert. Seine künstlerischen Intentionen waren immer dahin gehend ausgerichtet, die erlebte Wirklichkeit mit der Spontanität des Augenblicks, der Emotion und der zum Zeitpunkt des Schaffens gültigen Idee wieder zu geben.
RERS HERBERT DANLER EINIGE JAHRE NACH SEINEM ABLEBEN EINE DERART GROSSE WERTSCHÄTZUNG ENTGEGENGEBRACHT WIRD, WIE
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BEISPIELSWEISE DIE LETZTE AUSSTELLUNG IM TONI KNAPP HAUS IN SCHWAZ GEZEIGT HAT, SPRICHT FÜR DIE QUALITÄT SEINER KUNST, DIE MITTLERWEILE DEN STATUS EINER NICHT MEHR WEGZUDENKENDEN INSTITUTION IN DER KLASSISCHEN MODERNE TIROLS AUSMACHT.
Herbert Danler, der nach der Matura in Innsbruck das Malerhandwerk erlernte und im elterlichen Betrieb in Fulpmes sein erstes Geld verdiente, entschloss sich, 1952 nach Wien zu gehen, um bei keinem geringeren als Professor Herbert Boeckl mit dem Studium an der Akademie der bildenden Künste, zu beginnen. Entbehrungsreiche Zeiten, die er mit vielen seiner Tiroler Kollegen teilte, vor allem aber sein gutes Verhältnis zu seinem Lehrmeister, den er noch in späten Erzählungen verehrend erwähnte, prägten die Jahre des Studiums. Herbert Danler konnte sich wie
Der Landschaftsmaler Danler war auch als glänzender Porträtist zu erleben, was in den Augen vieler Kunstexperten nicht verwundert, da die Auffassung, Parallelen zwischen beiden Sujets zu finden, durchaus legitim ist. In der Auffassung mancher scheint der Kontakt beim Erfassen einer Landschaft ein ähnlicher zu sein, wie beim Erfassen einer Persönlichkeit. Selten praktizierte Exkurse in das Fach des Stilllebens runden neben Arbeiten im öffentlichen Raum die Palette der Sujet-Wahl ab. Der bemerkenswerte Auftritt Danlers als Lithograf und Radierer hängt mit dem Erfolg als Maler eng zusammen. Vermag er in den stark an die Fläche gebundenen Steindrucken - ähnlich der Malerei seiner Burgen, Berghöfe, Kirchen, Kapellen u. a. m. – Plastizität und Tiefe abzuringen, so begegnet uns in der Radierung, in der „Technik mit der Nadel“ – ähnlich dem Zeichenstift, eine Meisterschaft, die die archaischen Lebensumstände als tägliche, harte Wirklichkeit schonungslos vor Augen führt.
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ELISABETH MAIRETH Studium der Kunstgeschichte in Innsbruck. Philosophische Dissertation über die Geschichte der Tiroler Glasmalerei- und Mosaikanstalt und deren Mosaike im Stadtgebiet von Innsbruck. Kurzzeitige Mitarbeit am Tiroler Kunstkataster. Als Ausstellungskuratorin und Autorin von Kunstmonografien und zahlreichen kunstpublizistischen Beiträgen u.a. für Ausstellungskataloge tätig. Für Kontaktinformationen wenden Sie sich bitte an die Redaktion. 6
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his Tyrolean colleagues but, more than anything else, those years of studies were characterised by his good approach to his profession, his voice filled with awe when mentioning that period during later recollections. Herbert Danler couldn’t escape the influence of his professor, just like many other of his artist brethren; indeed, Boeckl could, more than anyone else, define and characterise new landscapes, thus bringing him closer to his students. Trained in the academic tradition, he starts working as a freelance artist upon returning to Tyrol in 1957 as well as becoming a teacher and art tutor in Landeck and Zams. This is where he first made his name as painter, lithographer and engraver, taking centre stage in Tyrol’s cultural landscape. Herbert Danler was a loved, considerate teacher, the students’ best friend and sponsor – important artists such as Elmar Peintner, Chryseldis HoferMitterer, and many more were some of his most successful students – and yet he still managed to dedicate enough time to develop his painting, letting it blossom into an independent expression. The valley dweller shared numerous artistic ideas with the art of Herbert Boeckl as well as points of view with the art of Tyrolean painter Hans Weber-Tyrol. Both succeed in walking down a loquacious path, rich in narrative elements, thanks to their images tailored and focused on ‘their world’. Both were known to be outstanding painters and graphic artists, versed in the most different techniques such as watercolour, oil, and pastel painting, adding the most divers sketches and in doing so continued being open; their love for landscapes inspired Herbert Danler to achieve outstanding artistic performance. The spiritual sense of new beginnings ensconces itself in Herbert Danler’s works as a leitmotif throughout his creative period. It‘s characterised by the forceful urge to parse the themes he glimpsed in reality in the guise of valid shapes and values perceived during specific fleeting moments and to create new divisions of space in the paintings with those new building blocks. This sensibility allows him, more than any other artist, to paint an ‘interior image’, a removed representation of a typical landscape, which eschews excessive modernism, yet is contemporary and finds its outlet in playing with forms and colours.
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DEATH, AS SEEN FOR EXAMPLE AT THE LAST EXHIBITION IN THE TONI KNAPP HAUS IN SCHWAZ; THIS ALONE SPEAKS OF THE OUTSTANDING QUALITY OF HIS ART, WHICH IN THE MEANTIME HAS REACHED THE INDIVISIBLE STATUS OF AN INSTITUTION IN THE MODERN CLASSIC SCENE IN TYROL.
1 Platzgernun / Vinschgau - 1990 - Öl auf Leinwand - 60 x 100 cm 2 St. Kathrein / Navis - 19778 - Öl auf Leinwand - 70 x 70 cm 3 Gehöft / Matschertal - 1979 - Öl auf Leinwand - 70 x 90 cm 4 Hofarchitektur - Öl auf Leinwand - 60 x 100 cm 5 Komposition - Landschaft - Öl/Acryl auf Leinwand - 70 x 105 cm 6 Elisabeth Maireth
Werkabbildungen im Privatbesitz
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Herbert Danler, after learning the trade of painting following his final secondary exams in Innsbruck and earning his first salary working in the family business in Fulpmes, decided to move to Vienna in 1952 to start studying fine arts under the guidance of none other than Professor Herbert Boeckl at the Academy. Those were bleak times of privation he shared with many of
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BORN IN THE STUABAITAL VALLEY, HAVE BEEN HELD IN HIGH ESTEEM AFTER HIS
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THE WORKS OF PAINTER, GRAPHIC ARTIST AND ENGRAVER HERBERT DANLER,
Danler’s choice of themes – he often focused on a snapshot of a landscape – was constantly informed by knowing the locals or the people living in surrounding areas. He wasn’t shy, and always talked with people. The history and destiny of the inhabitants roaming his portraits always interested and inspired him; however, this interest of his didn’t inspire him to give more attention to depicting the human figure. Man as a moulder of the landscape, as protector of secrets and stories, who hides the old ruins of nature, is ignored; yet the artist succeeds in keeping the core of the message at the heart of his work. His often archaic architecture is a repository for a wealth of history. Interpretation and creativity are given space to frolic around freely in his windows, portals, archways, and broken walls, as he compares them to people’s eyes, ears, noses, and mouths, and represents gorges, avalanches, and waterfalls as the playful side of nature. Herbert Danler, despite taking a step back from using nature as a role model, delivers an illusion which is as close as possible to three-dimensionality as it gets thanks to his use of strong colours which often do not reflect nature as well as the application of a powerful, white pastel layer. A depth which is, however, misleading. His artistic intentions were, on the contrary, always focused on reflecting a perceived reality filtered through the lenses of a fleeting, spontaneous moment, of emotion, and the transient idea perceived in the moment of creation. You could also see landscape artist Danler as an outstanding portrait painter, which hardly comes as a surprise in the eyes of art experts., Indeed, finding parallels between the two genre is surprisingly easy. According to the interpretation of some experts, painting a landscape is similar to painting a person. His rare examples of still nature complement the pallet of depicted subjects together with open space projects. The most impressive appearance of Danler as lithographer and engraver is closely connected to the success of the painter. He was capable of creating plasticity and depth on the flat lithographs – similar to the painting of his castle, farms, chapels, and churches and much more – and we encounter a mastery in his etching, the ‘needle technique’, as we do in his pencil sketches, which mercilessly depicts the archaic conditions of life as a daily, hard reality.
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KÜNSTLERIS D I E CHE SCHÖNH EIT IM ALLTAG F I N D E N TO FIND ART A U G U STIN SCH ISTIC ÜTTI BEAUTY IN L IFE’S EVERYD AY ROUTINE
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DIE HERAUSFORDERUNG FÜR DEN KÜNSTLER IST ES, DIE SCHÖNHEIT DER DINGE UND MOMENTE DES ALLTAGS ZUM LEBEN ZU ERWECKEN UND IN SEINEN KUNSTWERKEN FESTZUHALTEN.
Das Spiel mit der Harmonie, dem Schönen und der Lieblichkeit findet in seinen Werken genauso Ausdruck, wie Disharmonie, das Düstere und das vermeintlich Unästhetische. Das Ästhetische spricht Menschen an, aber auch im vermeintlich Unästhetischen kann man unerwartete Schönheit finden. Selbst das Düstere kann unerwartete Ruhe spenden. Dies vermag der Künstler zu vermitteln, weil er sich intensiv mit seinen Werken auseinander setzt und somit bei den Betrachtern Emotionen erzeugt, die die wahre Essenz der Gemälde bzw. der Skulpturen wiedergeben. Augustin Schütti lässt sich nicht einer künstlerischen Kategorie zuordnen. Seine Werke spiegeln verschiedene Phasen seines Lebens wider, in denen er seiner Kreativität und seiner Fantasie bewusst keine Grenzen aufgezwungen oder seinen Horizont eingeengt hat.
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„Als Künstler verfüge ich über diesen inneren Zwang, der sich schwer beschreiben lässt. Es ist der Zwang das Bild, das ich vor meinem geistigen Auge sehe, Wirklichkeit werden zu lassen. Ich kann es am besten mit dem Wort „Sucht“ beschreiben - die Sucht den Augenblick ästhetisch einfangen zu wollen. Eine Sucht, die mich so lange verfolgt, bis ich das Werk vollendet habe.“
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Er orientiert sich in seinem Schaffen sowohl an der Klassik als auch an der Moderne. Sein Drang jede künstlerische Form und jede Technik zu erforschen zeugt von einem ruhelosen Geist auf der Suche nach Materialisation. Der Künstler bedient sich seines Talents diesen Drang zu kanalisieren und ihn in seinen Werken einzufangen. Er versucht weder gesellschaftliche Idealfiguren zu konstruieren, noch möchte er diese wiedergeben. Vielmehr erzeugt er durch seine Beziehung zur Natur ein Abbild der Wirklichkeit. Die Vielfältigkeit Schüttis zeigt sich vor allem in der Auswahl seiner Motive und Techniken. Von Landschaftsdarstellungen, welche die einfache Schönheit des Momentes einer vergänglichen Natur wiedergeben, abstrakten geo2 metrisch-kubistischen Formen, farbenprächtigen Stillleben, impressionistischen Darstellungen des Alltags bis hin zu sakralen Motiven, finden sich im Repertoire des Künstlers noch ein Vielzahl weiterer Topoi mit denen er sich auseinandersetzt. Bei intensiverer Betrachtung seiner Werke ist ein Roter Faden auffallend: der weibliche Akt, der sich durch seine unterschiedlichen Schaffensphasen zieht. Schütti sieht im weiblichen Akt Ruhe und Sinnlichkeit. Im Vordergrund stehen natürliche Proportionen, wie etwa ausladende Hüften. Damit richtet er sich bewusst gegen die heute geltenden und kommunizierten „Schönheitsideale“ in unserer Gesellschaft. Der Künstler stellt in seinen Gemälden und Skulpturen oft nicht den Anspruch auf Vollkommenheit, sondern arbeitet bewusst mit Reduktion. Es sind keine extravaganten Bewegungen oder Gesten, sondern eine schlichte Eleganz durch überlegte Linien, die viele seiner Werke ausmachen. Augustin Schütti arbeitet mit vielen verschiedenen Materialien, aber seine Leidenschaft gilt der Arbeit mit Ölfarben. Diese erlauben Schichten und Strukturen, erschaffen Formen, lassen Dreidimensionalität zu und ermöglichen neue Farbgebungen. Für ihn erfüllen Ölfarben seinen künstlerischen Anspruch und können am besten seinen Inhalt auf die Leinwand transportieren. Für Schütti ist die richtige Technik essentiell: „Die richtige Technik muss gewählt werden. Was bringt jemandem die Idee, wenn man die Möglichkeit verschiedener Techniken nicht nutzt, um sie real werden zu lassen.“ Zur Technik gehört für ihn aber auch eine gewisse Planmäßigkeit und Ordnung, denn Abstraktion muss genauso geplant werden wie Realismus. Schütti sagt über seine Arbeit: „Mir ist nicht wichtig was ich male, sondern wie ich male. Wichtig ist mir die unbemerkte Schönheit in der alltäglichen Routine einzufangen und es zu verewigen. Ich versuche den Blick wieder auf die verborgene Schönheit dieser Objekte und Figuren zu lenken, indem ich sie in ihrer Form ver- und bearbeite.“ Augustin Schütti, geboren 1953, studierte Bildhauerei und Malerei an der Akademie der Schönen Künste in Tirana. Seit 1990 lebt und arbeitet er in Wien.
AUTHOR
MAG. WOLFGANG FANK Pfarrer von Dechanskirchen, Kunstliebhaber und -kenner, der mehrere Ausstellungen von Schütti begleitet und durchgeführt hat. Er begleitet den Künstler seitdem er nach Österreich ausgewandert ist, also seit 26 Jahren.
Emailadresse dechantskirchen@graz-seckau.at 9
AWAKENING BEAUTY IN EVERYDAY OBJECTS AND MOMENTS AND THEN CAPTURING IT IN HIS WORKS OF ART IS THE MAIN CHALLENGE FOR THIS ARTIST.
The interplay between harmony, beauty, and lightness is expressed in his works just as much as the one between disharmony, darkness, and alleged ugliness. Aesthetics talk to people, yet one can find unexpected beauty even in alleged ugliness; even darkness can provide unexpected peace. He can create such settings because he works intensively on his pieces and thus awakens emotions in the viewers which reflect the true essence of the paintings or sculptures.
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Augustin Schütti can’t be pigeonholed: he doesn’t belong to one artistic genre, and his works reflect different phases in his life when he consciously didn’t curtail his creativity and fantasy, nor narrow his horizons. ‘As an artist, I feel this inexplicable inner urge. It’s a pulsion to transform the image I see before my ethereal eyes into reality. At the very best I could describe it as an obsession, for want of a better word – an obsession to capture an aesthetic moment. An obsession that won’t leave me until I’ve completed the piece.’
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As he creates, he plucks elements from both classic and modern narratives. The urge to research every artistic form and techniques speaks of a restless soul looking for materialisation. The artist uses this talent to channel the urge and express it in his works. He doesn’t try to build ideal societal figures nor to depict them. He’s more concerned with producing an image reflecting reality on the strength of his relation with nature. Schütti’s versatility is embodied by his selection of themes and techniques. From landscapes reflecting the simple beauty of an ephemeral moment of a transient nature, abstract geometric and cubist shapes, bright colourful still natures, impressionist snapshots of everyday life to religious topics to name just a few, as there are countless more topoi in his repertoire. A leitmotif emerges upon intense scrutiny of his works: the nude figure of a woman in its various stages of composition. Schütti detects peace and sensuality in the female nude. Natural proportions as well as broad hips occupy the foreground. Such an image is used to consciously counter current ‘ideals of beauty’ conveyed by our society. The artist often doesn’t feel the need to complete his works, rather deliberately decides to work with less. Many of his pieces have become so iconic because of their rarefied elegance delivered by overlapping lines, rather than favouring extravagant movements or gestures. Augustin Schütti works with numerous materials, but he has a passion for oil paintings. These allow him to brush layers and structures onto the canvas, create shapes, convey three dimensions, and give birth to new colour schemes and shades. Oil colours meet his artistic demands and are ideal for transposing his ethereal content on canvas. Using the right technique is essential for Schütti. What use is a specific idea if you can’t use the countless techniques at one’s potential disposal to create it? However, picking the perfect technique also means embracing a certain amount of order and method because abstraction requires the same planning as realism. When Schütti speaks about his work, he says, ‘I don’t only care about what I paint, but also how I paint. I find unnoticed beauty in everyday routine and it’s important to me that I capture and immortalise it. I try to direct the gaze on to the hidden beauty of these objects and figures by using and modifying their shape.’
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7 Nudo auf rotem Sessel AD 1131, Öl auf Leinwand, 1996, 80 x 60 cm 8 Die Badende, Öl auf Leinwand, 2009, 96 x 86 cm 9 Mag. Wolfgang Frank
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alle Fotos: Ingrid Schütti, © Ingrid Schütti
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5 Nudo 53, Öl auf Leinwand, 2010, 80 x 70 cm 6 Die Wienerin AD1443, Ölfarben auf Jute, 2000, 90 x 89 cm
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3 Venus, Bronze, 1995, 53 x 10 x 10 cm, 4 Der Durstige Portrait, Gips Bronzepattina, 1994, 38 x 34 x 20 cm
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1 Augustin Schütti 2 Die Liegende Akt 300, Öl auf Leinwand, 2014, 70 x 90 cm
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Augustin Schütti was born in 1953 and studied how to sculpt and paint at the Academy of Fine Arts in Tirana. He’s been working and living in Vienna since 1990.
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WAS IST KUN RAINER PAR TL ST? DAS STE SUCHT NACH UERRECHT WHAT IS ART ANTWORTEN ? TAX LAW O N THE LOOK OUT FOR A NSWERS.
DAS ÖSTERREICHISCHE UMSATZSTEUERGESETZ BEGÜNS-
THE AUSTRIAN SALES TAX LAX FAVOURS THE SALES OF ARTISTS AS WELL AS
TIGT DIE UMSÄTZE VON KÜNSTLERN SOWIE DIE UMSÄT-
THE SALES OF OBJECTS OF ART. CONVERSELY, THE CONCEPTS OF ‘ART’
ZE MIT KUNSTGEGENSTÄNDEN. DIE BEGRIFFE KUNST UND
AND ‘ARTISTS’ ARE INSUFFICIENTLY REGULATED.
KÜNSTLER SIND IM GESETZ NUR UNZUREICHEND GEREGELT.
Die Umsatzsteuer ist eine Verkehrsteuer und erfasst alle Lieferungen und sonstige Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt erbringt; der Normalsteuersatz beträgt 20% und bewirkt faktisch eine Erhöhung des zu zahlenden Kaufpreises für den Konsumenten. Zur Förderung der Bereiche „Kunst“ und „Kultur“ ermäßigt sich der Steuersatz für die Umsätze eines Künstlers sowie für die Umsätze aus dem Handel mit Kunstgegenständen auf 13%. Der vom Käufer zu zahlende Bruttokaufpreis wird mit dem Ziel der Nachfrageerhöhung zu Lasten des Steueraufkommens reduziert. Für die Begriffe „Kunst“ und „Künstler“ findet das Steuerrecht allerdings nur teilweise die passenden Definitionen. Nach der einschlägigen Rechtsprechung der Höchstgerichte gilt ein Unternehmer aus der Sicht des Steuerrechts als Künstler, wenn er eine persönliche und eigenschöpferische Tätigkeit in einem umfassenden Kunstfach aufgrund künstlerischer Begabung entfaltet und sich nicht darauf beschränkt, Erlernbares oder Erlerntes wiederzugeben. Es werden Leistungen vorausgesetzt, in denen sich seine individuelle Anschauung und Gestaltungskraft widerspiegeln und die eine künstlerische Gestaltungshöhe erreichen; dies ist insbesondere dann nicht der Fall, wenn der Unternehmer Formen aus dem allgemeinen Formenschatz entnimmt, er auf bekannte Vorbilder zurückgreift oder wenn er im Bereich der Auftragskunst vom Auftraggeber derart stark eingeschränkt wird, dass er sich selbst nicht mehr entfalten kann. Anhand dieser allgemeinen Vorgaben aus der Rechtsprechung gilt es nunmehr zu entscheiden, ob wir es mit einem Künstler zu tun haben bzw. ob ein gehandelter Gegenstand von einem Künstler geschaffen wurde.
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Diese eher allgemein gehaltenen Definitionen der Begriffe „Kunst“ und „Künstler“ werden durch eine Vielzahl von höchstgerichtlichen Entscheidungen untermauert. Zur Veranschaulichung der aktuellen Unbestimmtheit der beiden Tatbestände werden nachstehende Erkenntnisse auszugsweise dargestellt: – Die Gebrauchseignung eines Gegenstandes schließt keineswegs aus, dass die in der Herstellung eines Gegenstandes bestehende Tätigkeit eine künstlerische Tätigkeit ist; der Gebrauchswert kann einem Gegenstand somit nicht automatisch die Eigenschaft als Kunstwerk nehmen. – Der Umstand, dass es sich um ein Unikat handelt, ist nicht ausreichend, um ein Werk zu einem Kunstwerk zu machen. – Nur das geschaffene Werk kann Aufschluß darüber geben, ob ein Kunstwerk vorliegt oder nicht; bei der Beurteilung der Frage nach der Künstlereigenschaft können Umstände wie Ausbildungsort, der urheberrechtliche Schutz der Werke, die Mitgliedschaft bei der Berufsvereinigung bildender Künstler oder ein Gutachten des jeweils für Kunst und Kultur zuständigen Bundesministeriums für Zwecke der gesetzlichen Sozialversicherung und einiges mehr als Indizien berücksichtigt werden; entscheidend ist jedoch, das sich die Finanzbehörde eingehend mit den vorgelegten Werken auseinandersetzt. – Eine abgeschlossene künstlerische Hochschulbildung ist nur ein Indiz für die Künstlereigenschaft; auch diesfalls hat die Behörde die Künstlereigenschaft auf Grund der vom Unternehmer entfalteten Tätigkeit zu prüfen. Die Behörde hat sich dabei an einem repräsentativen Querschnitt der Werke eines Künstlers zu orientieren. In der Praxis wird die Finanzbehörde in vielen Fällen nicht über die notwenige Kompetenz zur Beurteilung der von der Rechtsprechung vorgegebenen Fragestellungen verfügen. Somit ist die Qualifikation des Unternehmers als Künstler bzw. die Einstufung eines Werkes als Kunstgegenstandes und die daraus resultierende Erlangung von verkehrsteuerlichen Begünstigungen letztlich in der Beurteilungsgewalt von Sachverständigen. Ob diese Tatsache mit dem Grundsatz der Freiheit von Kunst und Wissenschaft zu vereinbaren ist, sei erneut in Frage gestellt.
The sales tax is a transaction tax and encompasses all performances and related services which an entrepreneur carries out nationally for a fee; the regular tax rate is 20% and causes, basically, a rise of the sale price for clients. To develop ‘art’ and ‘culture’, the tax rate for the sales of an artist as well as the sales from the trade with art objects is reduced to 13%. The gross purchase price paid by the purchaser is reduced with the aim of boosting demand at the expense of tax revenues. For the concepts of ‘art‘ and ‘artist’, tax law only partially identifies the correct definitions. Based on the pertinent ruling by the Supreme Courts, an entrepreneur, seen from a fiscal point of view, is to be considered an artist when he develops a personal and creative activity in an extensive area of art due to his artistic talent and doesn’t limit himself to replicating what can be learnt or he himself has learnt. This implies activities where his individual view and force of creation reflect each other and reach an artistic creative apex; this isn’t the case if the entrepreneur plucks shapes and patterns from a common repertoire of ideas, uses wellknown role models or if he’s so limited by the wishes of the client who commissioned him that he can no longer develop his skills. Based on these general principles from the legislature, the only thing left to decide is if we’re dealing with an artist or if an object was created by an artist. These rather general definitions of the concepts of ‘art’ and ‘artist’ are underpinned by numerous Supreme Court rulings. To shed light on the current uncertainty of both activities, the following excerpts have been selected:
– The suitability of use of an object doesn’t exclude that the activity carried out to create said object isn’t an artistic one; the practical value cannot therefore be automatically assigned to an object as a work of art. – The fact the work of art is an original and unique piece isn’t enough to make an object into a work of art. – Only the created work can provide information on whether it’s a work of art or not; when assessing the artistic value of the object, elements such as the city and venue of the artist’s training, copyright of the work, membership in a trade association of artists in training or an official document from the relevant Federal Office responsible for culture and art for the means of legal social insurance and other information should be considered; however, what’s decisive is for the Fiscal Authorities to deeply tackle the targeted works. – A successfully completed artistic training is only an indication of artistic activity; even in this case the relevant authority has to assess the object created by the entrepreneur minutely. The authority has to base its exam on a representative cross-section of the work of an artist.
Ultimately, the Fiscal Authority won’t have the necessary expertise in many instances to assess the cases presented by the legislature. Consequently, the qualification of the entrepreneur as an artist or the categorisation of a work as a work of art and the resulting recovery of fiscal advantages lies in the assessment of experts. If this fact can be united with the principle of freedom of art and science is a matter which is being questioned yet again.
1 MMag. Rainer Partl, Geschäftsführer der Treuhand-Union Innsbruck, Prüfungskommissär der Kammer der Wirtschaftstreuhänder, Universitätslektor, Fachhochschullektor MCI.
www.treuhand-union.com
Treuhand-Union Innsbruck
STEUERBERATUNG – WIRTSCHAFTSPRÜFUNG – UNTERNEHMENSBERATUNG
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R THE DAEDAL US PRINCIPLE
Hybrid. Als dieser von Theseus getötet worden war, musste sich Dädalus selbst zum Hybriden wandeln: Er war vom erzürnten Minos in das Labyrinth verbannt worden, da er Ariadne jenes Wollknäuel gegeben hatte, mit dessen Hilfe Theseus dieses Labyrinth verlassen hatte können. Um seinem Gefängnis zu entfliehen, formte Dädalus für sich und seinen Sohn Flügel, mit denen sich die beiden – nun halb Mensch, halb Vogel – in die Lüfte erhoben. Der Sohn Ikarus stürzte bekanntlich ins Meer, Dädalus gelangte aber nach Sizilien, wo er für die Liebesgöttin Aphrodite einen weiteren Hybriden schuf: eine goldene Honigwabe, die dermaßen täuschend echt war, dass sie von den Bienen mit Honig befüllt wurde. Zum Hybriden wurde diese Wabe freilich erst durch diesen Akt. Dädalus bediente mit seiner Kunst also verschiedener Formen des Hybriden: seine Bildhauerkunst hauchte toter Materie Leben ein, diese war aber noch nicht hybrid. Seine Nachahmung und Überlistung der Natur 1 ließ hingegen Mischwesen gebären, sich selbst und seinen Sohn machte er zum flugfähigen Mischwesen und die Bienen vervollständigten seine Goldwabe schließlich ebenso zum Hybriden. Diese Gratwanderung auf AUF DER PIAZZA SANTISSIMA ANNUNZIATA IN FLORENZ MACHEN der Klippe zwischen Mensch und Natur mit gelegentlichem Abdriften SICH URLAUBER GERNE EINEN SPASS DARAUS, DIE ANZAHL DER BIEauf die eine oder andere Seite kann man hier als Prinzip des Dädalischen NEN ZU ZÄHLEN, DIE AUF DEM SOCKEL DES REITERSTANDBILDES erkennen. FERDINANDOS I. DE‘ MEDICI PRANGEN. DIE BRONZEPLATTE ZEIGT EINE Dieses Prinzip macht sich auch Josef Rainer zunutze, doch dreht er es IMPRESE DES GROSSHERZOGS: UNTER DEM MOTTO MAIESTATE TANTUM um: nicht die Kunst verbessert, täuscht oder überwindet die Natur, bei (DURCH MAJESTÄT ALLEIN) SCHART SICH EIN SCHWARM BIENEN IN ihm soll die Natur seine Kunst verfeinern. In seinen „Bienen-Arbeiten“ FÜNF KONZENTRISCHEN KREISEN UM DIE BIENENKÖNIGIN. DIE KUNSThat er in diesen Tieren Verbündete gefunden, die dies für ihn übernehVOLL ASYMMETRISCHE ANORDNUNG DER BIENEN ERZEUGT EIN GEWISSES FLIRREN UND ERSCHWERT DAS ZÄHLEN: DER ZÄHLENDE VERmen. Wie Dädalus schuf er eine goldene Wabe, die ebenso vom BienenLIERT IMMER WIEDER SEINE REFERENZPUNKTE UND MUSS VON VORNE volk als Lagerstätte für den Honig anerkannt wurde. Zunächst waren BEGINNEN. IHM SEI HIER GEHOLFEN, ES SIND NEUNZIG BIENEN – UND die Bienen aber damit beschäftig, Unregelmäßigkeiten im Metallguss EINE KÖNIGIN. MIT DIESER IST NATÜRLICH DER GÜTIGE HERRSCHER zu korrigieren; kleine Divergenzen und Gussfehler wurden fleißig mit Wachs ausgebessert, bevor dann die Vorratskammer für den Nachwuchs GEMEINT, DER ALLEIN DURCH SEINE NATÜRLICHE ERHABENHEIT REbezogen werden konnte. Vorher noch schuf Josef Rainer einen verkleiGIERT. IN DIESEM ODER ÄHNLICHEN SINNE FAND DIE BIENE ALS BEDEUTUNGS- UND SYMBOLTRÄGERIN IMMER WIEDER EINGANG IN DIE KUNST. nerten Totenkopf aus Bronze, der genauso vom Bienenvolk umbaut wurde. Die Insekten wurden nun zu Plastikern, die das metallische Skelett mit wächserner Muskel- und Hautmasse überzogen. Dieses Umbauen Das Bienenvolk galt als Musterbeispiel für das Staatsgefüge, die einvorgegebener Formen begann eigentlich mit dem Projekt eines hohlen, zelne Biene als arbeitsam und gerechtigkeitsliebend. Ihr Einsatz für das gläsernen Gehirns, in das die Bienen – so die Grundintention des KünstAllgemeinwohl konnte als beispielhaft hervorgehoben werden, ihre Wabenstöcke waren Zeugnis ihrer Fähigkeit zu geometrischer Ordnung und lers – ihre Waben bauen hätten sollen; sie sollten also dem Inneren des Organisation. Daneben wurden aber auch Jähzorn und Streitsucht mit menschlichen Gehirns ihre Struktur, die man sich wohl nicht anders als den Insekten verbunden. All dies Eigenschaften, die vom menschlichen sechseckig vorstellen konnte, verleihen. Die natura naturans der Bienen Wesen auf das animalische symbolhaft übertragen wurden – also gleichtastete das Innere des Gehirns aber nicht an, sondern umbaute es mit stabilen Waben, also einer schützenden Schädelhülle. Hier manifestierte sam hybrid betrachtet wurden. Hybrid, weil wir bei der Übertragung sich nun das kreativ schöpferische Element des gleichförmig arbeitenden menschlicher Eigenschaften auf das Tier - oder umgekehrt tierischer Schwarmes, dem der Künstler Raum und Recht verleiht, dies zu tun. Er auf den Menschen - im Gedanklichen und Symbolischen einen Bereich selbst ist eigentlich nur mehr Beobachter des Entstehenden. Er erhebt betreten, der von Vermischung, Kreuzung und Bündelung der menschsich dadurch in eine Sphäre, die nicht mehr jene des aktiven Schöpfers lichen und der animalischen Sphäre bestimmt ist. Diese Zwischenwelist, sondern jene, in der lediglich die Initialzündung ausgelöst wird (fiten waren es, die zu vielen Zeiten Interesse und Phantasie zu wecken restarter). In derselben Ebene war wohl Goethes Zauberlehrling, der in wussten und auch den Manierismus befeuert hatten. Ein – im wahrsten seiner Hybris dem Machtrausch unterlag und seine Geister nicht mehr Sinne – sprechendes Zeugnis ist dabei die Darstellung in einem vierbänloswurde. Josef Rainers Geister sind aber von anderer Natur; sie sind digen Bildmanuskript von Joris Hoefnagel mit Tierdarstellungen. Den nicht durch Zaubermacht verwandelt wie der Besen des Lehrlings. Sie ersten Band, in dem die Animalia Rationalia et Insecta, also die vernunftsind unverändert und vom Künstler lediglich eingeladen, sein Kunstbegabten Tiere und die Insekten dem Element des Feuers zugeordnet sind, eröffnet eine Darstellung des „Haarmenschen“ Petrus Gonsalvus werk zu vollenden. Und dies machen sie mitunter in einer Art und Weise, dass sie selbst computergenerierte Architektur alt aussehen lassen, wie und seiner Frau. Gonsalvus, der an Hypertrichose oder dem „Ambras Syndrom“ litt, war zunächst als Affenmensch an den französischen Hof etwa in dem dekonstruktivistisch vervollständigten Gebilde Struktur Nr. Heinrichs II. gelangt, wo man begann, ihn zu erziehen, zu unterrichten 1. Hier verbanden die Bienen vorgegebene Wabenbahnen wie in einem und ihn mit der Tochter eines Hofbediensteten verheiratete. Mit seinem Morphing-Prozess, indem sie die Übergänge zwischen diesen Bahnen tierhaften Äußeren, das in höfischer Kleidung steckt, wandelt er hier auf verbauten. Die von ihnen gebaute Materie ist also wieder in einem Zwidem Grat zwischen humaner und animalischer Welt. Zu seiner Zeit war schenbereich zwischen Kunst und Natur, in der sich auch viele Werke er als beiden Welten zugehörig betrachtet worden, also als Hybrid. der manieristischen Kunstkammern bewegen. Ob dies nun der in Gold Der Meister des Hybriden war aber wohl Dädalus. Er, der mytholoveredelte Korallenast ist, in dem Kunst und Natur Hand in Hand gehen, die in Naturguss abgeformte Silberzikade oder jenes bekannte Blatt aus gische Künstler und Erfinder, dessen Skulpturen man für beseelte Gedem oben angesprochenen Tierbuch Hoefnagels, auf dem zwei Libellen schöpfe hielt, die gehen und sehen können, schuf für die Gemahlin des aus eingeklebten Insektenflügeln und illusionistisch gemalten Körpern Minos eine künstliche Kuh, in die diese schlüpfen konnte, um sich mit gebildet werden – all dies sind hybride Werke aus Naturprodukt und einem Stier zu vergnügen. „Vermittels des Kunstwerks von Dädalus mit menschlicher Zutat. Zu dieser Familie gehören auch die Hybride Josef dem Stier begattet, gebar Pasiphaë den fabelhaften Minotaurus, ein DopRainers, nur findet die Morphose bei ihm unter anderen Vorzeichen statt: pelwesen“, wie uns Diodor berichtet. Das Kunstwerk des Dädalus war Ausgangspunkt ist bei ihm die menschliche Kunst, die von der Natur in diesem Fall also Instrument, um die Natur zu überlisten und damit zu nicht nur veredelt, sondern vervollständigt wird. Letztendlich ist aber überwinden. Durch Dädalus‘ Kunst betrachtete der Stier das menschliauch das in diesem Sinn Entstehende ein Geschöpf des Dädalus-Prinzips. che Wesen als seinesgleichen, das Ergebnis dieser Täuschung war ein
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PAULUS RAINER Paulus Rainer, 1972 in Brixen/ Südtirol geboren. Studium der Kunstgeschichte in Innsbruck und Wien; Kurator in der Kunstkammer und Schatzkammer des Kunsthistorischen Museums Wien.
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used to overcome nature: thanks to his creation, the bull considered the king’s wife as one of its own. The result of this deception was the creation of a hybrid. When Theseus killed the creature, Daedalus had to turn into a hybrid: he had been banned by the incensed King Minos to the Labyrinth, as the inventor had given Ariadne a wool spool which helped Theseus escape from the maze. To flee from his prison, Daedalus created wings for his son and himself with which both – now half man, half bird – soared into the skies. As we all know, his son Icarus plunged into the ocean, while Daedalus made it to Sicily where he created another hybrid for the goddess of love, Aphrodite: a golden honey comb, which was so similar to a real one that it was filled with honey by bees. However, it only became an actual hybrid through the aforementioned task. Daedalus created different types of hybridisation thanks to his art: his sculpting breathed life into inanimate objects, although this didn’t automatically make them hybrids. His imitation of nature as well as his tampering created mixed beings, and he turned himself and his son into a hybrid, and the bees transformed his golden honeycomb into a hybrid. This balancing act on the cusp between man and nature with occasional preference from one side to the other is what we could call the Daedalus principle. Josef Rainer exploits this principle, yet he turns it on its head: art doesn’t improve, swap or overcome nature, rather nature refines his art. In his Bienen-Arbeiten he has found a kindred soul in these animals, for they complement his work. Just like Daedalus, he’s created a golden honeycomb which was recognised by a swarm of bees as an ideal storage unit. However, at first, the bees busied themselves by smoothing out irregularities in the metal mould; small irregularities and errors when the mould was cast were 4 5 improved diligently with wax until the storage unit could be occupied to give birth to the larvae. Before, Josef Rainer had created a small-sized version of ON PIAZZA SANTISSIMA ANNUNZIATA SQUARE IN FLORENCE, TOURISTS WHILE a bronze skull which was modified in the same way by the bee swarm. The THE HOURS AWAY BY COUNTING THE NUMBER OF BEES BUZZING AROUND insects became sculptors, covering the metal skeleton with wax muscles and THE SOCLE OF THE EQUESTRIAN STATUE OF FERDINANDO I DE’ MEDICI. THE skin. Modifying existing forms all started with a project of a whole, glass BRONZE SLAB DEPICTS A MAXIM BY THE GRAND DUKE: BELOW MAIESTATE TANbrain, where the bees – that was the main aim of the artist in the first place TUM (BY MAJESTY ALONE) A SWARM OF BEES CIRCLES THE QUEEN BEE IN FIVE – should have built their own honeycomb; their task would have been to turn CONCENTRIC CIRCLES. THE ARTISTIC ASYMMETRICAL ORDER OF THE BEES CREAthe inner structure of the human brain into a hexagon, the only shape they TES A SHIMMERING EFFECT AND IMPAIRS COUNTING: ONLOOKERS TEND TO could imagine. The natura naturans of bees didn’t touch the interior of the LOSE THEIR POINT OF REFERENCE AND HAVE TO START FROM SCRATCH. WE’LL brain, rather modified it with stable honeycombs, thus becoming a protective SWOOP IN RIGHT NOW AND GIVE THEM A HELPING HAND: THERE ARE NINEcover for the skull. This is where the creative nature of the uniform working TY BEES AND ONE QUEEN BEE. THE LATTER CERTAINLY SYMBOLISES THE KIND swarm came to light, as the artist gave them the space and opportunity to RULER WHO RULES OVER THE CITY BY MEANS OF HIS NATURAL GRANDEUR. do so. He’s a mere observer of the act of creation. He elevates himself into a sphere which differs from that of an active creator, shifting into a world wheBees have always flitted in works of art as symbolic vessels: swarms were re he becomes a fire starter, a person causing the first spark. Goethe’s The used as an example to represent a society’s structure, and individual bees Sorcerer’s Apprentice fits in that same narrative: a person who fell prey to were considered laborious and just. Their commitment to work for the comthe intoxication of power due to his hubris and couldn’t rid himself any longer mon good was exemplary and their honeycombs were proof of their organiof his ghosts. The ghosts of Josef Rainer possess another nature. They’re not sed and orderly, if somewhat geometrical, mind. However, the insects were changed by magic like the mops of the apprentice, rather they remain unalso linked to outbursts of anger and contentiousness. The abovementioned changed and are merely invited by the artist to complete his work. And, from traits were all transposed, symbolically of course, from human beings onto time to time, they do so in a way that make computer animated architecture animals – they were considered hybrids. Hybrids because when shifting huseem old-fashioned (take the deconstructed completed painting of structure man traits onto animals, or vice versa, we enter a symbolic domain ruled by no.1). The bees unite the existing honeycomb tracks by using a morphing mixing, crossing, and uniting the human and animal kingdoms. These limbos process, by building passages between these tracks. The material they build knew how to stir the interest of people and beguile their creativity throughout is once again set in a limbo between art and nature, reminiscent of many a the ages, and even influenced the Mannerism movement. Take the speaking cabinet of curiosity from Mannerism. Be it the coral branch covered in gold, witnesses represented in the four-volume picture manuscript by Joris Hoefnawhere nature and art go hand in hand, the silver cicada or any of the folios gel depicting animals. Volume I is the Animalia Rationalia et Insecta, where from Hoefnagel’s abovementioned books, where two dragonflies are built animals and insects are gifted with reason and assigned to the elemental using glued together insect wings and illusory bodies, what matters is that all force of fire; the tome reveals a representation of Petrus Gonsalvus, a ‘Haarthese are hybrid works between nature and the work of man. The hybrids by menschen’ (a particularly hirsute man) and his wife. Gonsalvus suffered from Josef Rainer also belong to this group, even though his metamorphoses occur hypertrichosis (also called Ambras syndrome), and was ‘welcomed’ to the in other ways: the starting point is human art, which is not only refined by French Court of Henry II as an ‘ape man’. He was schooled, brought up, nature, but also completed by it. Ultimately, even this creation is a creature and married to the daughter of a Court worker. With his animal-like looks of the Daedalus principle. stuffed into court livery, he walks the line between the human and animal kingdom. Back then he would have been considered a member of both worlds, therefore a hybrid. However, Daedalus himself was a master of hyb1 Die Wabe des Dädalus, Feingold, Bienenwachs, Honig, 2016 rids. The mythological artist and inventor whose sculptures were considered 2 Der Bien - Gehirn, Glasguss, Bienenwaben, 2016 constructs imbued with a soul, which could walk and see, created an artifi3 Petrus Gonsalvus, bewegliche Büste, Gips, Motor, 2016 cial cow for the wife of King Minos: she used the vessel to beget the son of 4 Wabe, Diaprojektor, Fön, Honigwabe, 2016, Foto: Damian Pertoll/ES Gallery a bull. ‘And by means of the ingenuity of Daedalus Pasiphaê had intercourse 5 Scull nr.1, 13 x 10 x 10, Bronzeguss, Bienenwachs 2016 with the bull and gave birth to the Minotaur, famed in the myth. This creature, 6 Paulus Rainer they say, was of double form […]’ recounts Diodor. Daedalus’ construct was
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komisch dramatisierter Figuren, die wie im bayerischen, im Wiener oder auch im hessischen und hamburgischen Volkstheater das hervorstechend typische ihrer Individualität durch Mimik, Gestik KÜNSTLERS AN: DEM SPASS DES WIEDERERKENNENS BEKANNTER und Gesichtsausdruck auf plakative und herzerwärmende Weise GESICHTER TROTZ IHRER KARIKATURISTISCHEN VERFREMDUNG. hervorzukehren wissen. Unsere Sympathie gilt insofern nicht nur DEM KANN SICH KEINER ENTZIEHEN. ZU OFT HABEN WIR ALLE SOLder Kunstfertigkeit des Zeichners und Karikaturisten, sondern wird CHE ANTLITZE SCHON GESEHEN, WIE SIE VON BERNHARD PRINZ UNS ebenfalls getragen vom Einblick in die menschlichen Schwächen MALERISCH UND ZEICHNERISCH AUFBEREITET WERDEN, UND IHRE der aufgerufenen Personen. Im Umkehrschluss vermuten wir bei MERKMALE GESPEICHERT, ALS DASS DER AKT DER IDENTIFIZIERUNG dem Künstler ein hohes Maß von Empathie mit seinen „Opfern“, EINES ABGEBILDETEN PROMINENTEN NICHT ZUR LUSTVOLLEN ERein in Kreisen von Satirikern, Parodisten und Kabarettisten nicht LEICHTERUNG GERÄT AUS DEM ÜBERLADENEN BILDERVORRAT IN leicht zu findende Qualität. Woher kommt Bernhard Prinz’ Faible UNSEREN KÖPFEN EINEN TREFFER ZU LANDEN. für die Selbstdarstellungen der Menschen, auf die er trifft, sei es persönlich oder in der Abbildung, und sein so schneller und scharfer Anders aber als die politischen Karikaturisten und Cartoonisten, die Blick auf ihre Eigenheiten – ein eben nicht gnadenloser Blick, ganz durch heftige zeichnerische Übertreibungen der Wesenszüge die geim Gegenteil? Der in München 1975 geborene künstlerische Autodimeinten Personen bloßzustellen pflegen – oft aus guten Gründen, dakt, Sohn eines Porträtmalers und einer Lithografin, hat sich seine zuweilen freilich diffamierend – verstärkt Bernhard Prinz die ChaKunstfertigkeit buchstäblich auf der Straße selbst beigebracht. Über rakteristika seines Personenarsenals nicht satirisch, sondern humoein Jahr verbrachte er als 17jähriger in Spanien als Schnellmaler ristisch. Wenn sie es nicht schon im echten Leben gewesen sind, wervon Porträts und Karikaturen, bevor die ersten prominenten Illusden sie uns durch die Aufnahme ins Repertoire von Bernhard Prinz’ trationsaufträge nach seiner Rückkehr nach München kamen: für Porträtkunst durchaus sympathischer. Das künstlerische Verfahren die Süddeutsche Zeitung, für den „Playboy“, für den „Stern“. Seine aus den zu Pulks gruppierten Sympathieträgern öffentlichen Lebens Gerhard Schröder-Karikatur für die Sendung „GerdShow“ prägte jeweils in überbordenden Tableau Situationen zu Bühnenauftritten sich in der Medienwelt wie auch in der politischen Welt ein. Als die zu inszenieren, bedient sich mit bemerkenswerter Virtuosität der Initiative für eine Münchner Variante der amerikanischen Street Art Technik Eigentümlichkeiten von Habitus, Kleidung und markanvon den Münchner Galeristen und Kunstsammlern Ulrich Richter tem Profil so zu fokussieren, dass die so Gekennzeichneten mit der und Lothar Keuler gemeinsam mit Selena Fletcher ins Leben geruverkürzten Darstellung ihrer „Marke“ verschmelzen. Nichts anderes fen wurde unter dem Titel „Pop Surrealism &Urban Art“, zuerst in macht es der Witz, der ja die direkteste Entfernung vom Gedanden Räumen ihrer Galerie in der Würmtalstraße in München-Haken zum evozierten Bild kurzschlussartig so überraschend herstellt, dern, später als „Arts ‚n’ Boards“ in der Schwabinger Belgradstraße dass Zuhörer und Betrachter diese überraschende Energieentfaltung 9, beteiligte er sich engagiert und wurde einer der Hauptexponenmit Lachen beantworten, wie Karl Kraus anhand der Komikexploten. 2009 war seine erste umfassende Ausstellung in der Galerie sion in Johann Nepomuk Nestroys Sprach- und Bilderfindungen Richter&Masset in der Würmtalstraße – zeitgleich mit dem beginnachgewiesen hat. Bei Bernhard Prinz finden wir Heerscharen solch BEI BERNHARD PRINZ FÄNGT DAS HOHE VERGNÜGEN SEINE BILDER
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ZU BETRACHTEN GANZ SIMPEL MIT EINEM SCHLAUEN TRICK DES
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nenden Siegeszug der Kunstmesse „Stroke Art Fair“ für Urban Art THE SHEER JOY OF LOOKING AT BERNHARD PRINZ’ PAINTINGS STARTS WITH A CLEVER TRICK BY THE ARTIST: THE LUDIC ENDEAVOUR OF RECOGder Gebrüder Schwalbe, die alljährlich „Low Brow“-Kunst abseits vom Mainstream mit Künstlern aus aller Welt zelebriert und heute NISING WELL-KNOWN FACES DESPITE THEIR ALIENATING CARICATURE. zu den Highlights des Münchner Kulturlebens zählt. Unter dem iroNOBODY CAN ESCAPE IT. WE’VE OFTEN SEEN THOSE FEATURES AS DEnischen Titel „Der Große Prinz“ wurden 200 Werke von Bernhard PICTED IN PAINTINGS OR SKETCHES BY BERNHARD PRINZ, AND THEIR TRAITS ARE SAVED, AND THE ACT OF IDENTIFYING A REPRESENTED VIP Prinz in dieser Galerienausstellung gezeigt und ihr Schöpfer sogleich von der Münchner Prominenz gefeiert, allen voran von ThoDOESN’T COME AS EASILY WHEN TAPPING INTO OUR OVERSATURATED mas Gottschalk, der sich öffentlich als ihr Fan zum Stil der Werke PICTORIAL MENTAL DATABASE. von Bernhard Prinz bekannte und zu ihrem größten Sammler wurde. Es kam zu einer denkwürdigen Fernsehübertragung, bei der GottBernhard Prinz, unlike political caricaturists and cartoonists who porschalk dem Modezar Karl Lagerfeld das wohl beste Porträt, das je tray the intended people in a ridiculous manner using graphic exaggevon Lagerfeld entstanden ist, als sein Geschenk überreichte, mit der rations of their facial traits – often for good reasons, sometimes howeprompten Antwort von Lagerfeld, dass auch er ein Fan von Bernver in a defamatory way –, doesn’t enhance the traits of the people in hard Prinz sei. Wie ja die gesamte Münchner Kultur- und Politik- his repertoire in a satirical manner, but gives them a humours spin. If Prominenz begeistert auf jedes neue Werk von Bernhard Prinz zu these people aren’t as fun in real life, then they become so a lot more reagieren pflegt. In einer Stadt, die stolz ist auf ihre Traditionen der by being added to Bernhard Prinz’ repertoire as portraits. Satire und des bairischem „Derbleckens“, von Karl Valentin über To stage the public life of the intended target in excessive tableaus Frank Wedekind, Lion Feuchtwanger und Oskar Maria Graf, von grouped in a throng of other people is a way for the artist to depict Rainer Werner Fassbinder und Herbert Achternbusch bis zu Franz habits, clothing, and outstanding profiles with aplomb, focussing on Xaver Kroetz, Helmut Dietl, Marcus H. Rosenmüller und Gerhard the depicted people and how they blend into their ‘brand’ thanks to Polt, schließlich zur Salvator-Rede auf dem Nockherberg, ist diehis sketched and shortened depiction. Nothing more than the response Beliebtheit sicherlich ein Ritterschlag. Vergessen wir nicht, dass se of viewers makes it into a joke, a joke which surprisingly creates der allergrößte Könner und Kenner des deutschen Humor nahezu 50 the most direct distancing from the evoked picture in a swift way, Jahre bei München, am Starnberger See, verbrachte. Und – im engeas they reply with laughter. Take Karl Kraus, for example, and his ren Sinne zeichnerischer Karikatur – in der Riege solcher Münchner reaction in front of the linguistic and pictorial inventions by Johann Meister der spitzen Feder zu spielen wie Dieter Olaf Klama, Pepsch Nepomuk Nestroy. Gottscheber, Dieter Hanitzsch, Gustav Peichl, Luis Murschetz und In Bernhard Prinz, we find legions of those quirky dramatised figures Gabor Benedek ist mitnichten ein Prädikat, das so leicht zu erhalten which know how to bring forth their striking features of their individuist. Es sind, neben den ausgezeichnet treffsicheren Karikaturen der ality using mimicry, gestures, and facial expressions in an expressive internationalen Prominenz von Politik, Kunst, Musik, Film und des and heart-warming way, just like the characters in folkloric theatre in Münchner Stadtlebens in Einzelporträts vor allem seine großformaBavaria, Vienna, Hesse, and Hamburg. Our affection doesn’t only detigen Szenengemälde, nämlich die Panorama- und Suchbilder, welpend on the skill of the sketch artist and caricaturist, but is also based che die eigentliche künstlerische Handschrift von Bernhard Prinz on our glimpse into the human weakness of the represented figure. ausmachen und als sein Alleinstellungsmerkmal bezeichnet werConversely, we suspect the artist shares a high degree of empathy den können. So sind „Superstarmarket“, „Teatime“, „Maxiwiesn“, with his ‘victims’, a quality which isn’t always easy to find in a circle „Hahnenkamm“, „Nostalgia“ und „Münchner Polit- G eisterbahn“ of satirists, parodists, and cabaret producers. So where does Bernhöchst unterhaltsame Puzzlespiele, die das Bildgedächtnis jedes hard Prinz’s foible for self-representation of people he excels at, either einzelnen Betrachters für die Protagonisten der Kultur-, Film-, Muon a personal level or in his sketches, and his quick and sharp gaze sik- und Kunstgeschichte und für die angesagten Figuren der Politik focusing on their traits come from? A gaze which is far from merciless, und der Bussi-B ussi-Gesellschaft (vorwiegend in München ) sowohl rather the exact opposite? bemühen als auch belohnen. Wichtig ist dabei, dass es dem KünstHe was born in Munich in 1975 and taught himself painting on the ler gelingt ohne Umschweife die Wesensmerkmale der Dargestellten streets of the city, son of a portrait painter and a lithograph artist. herauszuschälen und sie „rüberzubringen“, wie man in der BühnenHe spent over a year in Spain when he was 17, sketching portraits sprache sagt, also ihnen unmittelbare Präsenz zu verschaffen. Darin and caricatures with a deft hand before receiving the first prominent ist Bernhard Prinz genial wie kaum ein anderer. Da er selber Spaß illustration commissions after his return to Munich for the Süddeutsche hat an dieser Methode und ja auch seine Geschöpfe erklärtermaßen Zeitung, Playboy, the Stern. gern hat, begeben wir uns alle mit großem Vergnügen in unserer His Gerhard Schröder caricature for the GerdShow TV programme Fantasie auf die für 2018 geplante Ausfahrt per Dampfer, die sich was etched into the memory of the media and political circles. schon im Suchbild „Queen Mary 2“ andeutet, wenn die auf Deck When the Pop Surrealism & Urban Art initiative for a Munich variant of Versammelten ihre Betrachter allesamt vergnügt anstrahlen. Der American street art was created by local gallery owners and art collOptimismus, mit dem Prinz dann sicherlich sein nach New York ectors Ulrich Richter and Lothar Keuler, together with Selena Fletcher, zu überführendes Bild schaffen wird, möge zur Brücke werden, so at first in the rooms of their galleries in the Würmtalstraße street in the wünschen wir es ihm und gleichfalls auch uns – für die gemeinsaneighbourhood of Hadern in Munich, and later as Arts ‘n’ Boards in men, vorhandenen und immer noch prägenden wie auch zukünftigen Swabia, Belgradstraße 9, he participated in it and became one of Leitfiguren und Leitbilder des European und des American Way of the main artists. In 2009, he staged his first comprehensive exhibition Life. Dass wir solche Bilder und Figuren brauchen, erfahren wir at the Richter&Masset Gallery in the Würmtalstraße – at the same täglich von neuem, leider leidvoll! Was die karikaturistisch schrätime of the incipient triumphal march of the Stroke Art Fair for urban gen Verstellungen in seiner so bemerkenswerten Kunst der Zeichart organised by the Schwalbe siblings, and the yearly Low Brow Art nung betrifft, so schließt Bernhard Prinz in treffender Selbstanalyse event which goes beyond all mainstream art and attracts artists from des künstlerischen Programms als Porträtist seinen Kommentar über all over the world; these two formats are some of the best highlights eine vierfache Karikatur des FC Bayern –Stars Thomas Müller mit of the Munich culture scene. den Worten: „immer erkennbar niemals verletzend“. With the ironic title of Der Große Prinz (The Big Prince), 200 works
AUTHOR
ELMAR ZORN Elmar Zorn (geb.1945), Studium Literatur, Kunst und Theater (M.A., Dr.phil.). 1978 – 1984 Kulturreferat München: u.a. Theaterfestival, Spielmotor, Alabamahalle, „Reden über das eigene Land“, Berufung von Sergiu Celibidache, Münchner Klaviersommer, „aktuell 83“ im Lenbachhaus, Münchner Filmfest, Lesungen „Im Entstehen begriffen“. 1984 – 1988 EZO Kunstdirektion (Italien, USA). 1989 – 1993 Wien: Chefdramaturg Wiener Festwochen, Univers. für angewandte Kunst, Kultursponsoring GTP. Ab 1994 Kunsthalle „Kunstraum Gerdi Gutperle“, Société Imaginaire Buenos Aires/Berlin, Kunstkurator der BUGA 2001 Potsdam, Europaprojekt Art in Nature, Sen. Curator des Museums Orensanz NY, Fondazione Mazzotta Mailand, Uni Innsbruck, Akademie Neapel, Arbeitsgemeinschaft Curatorial Partners, Online-Platform Curator’s Choice. 10
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by Bernhard Prinz were exhibited in this gallery exhibition, their author being celebrated in the same way by the city’s VIPs, but more than anyone else by Thomas Gottschalk, who openly admitted he was a fan of the style and works of Bernhard Prinz, later becoming their biggest collector. There was also a memorable TV moment when Gottschalk gave the fashion czar Karl Lagerfeld a portrait of him, admittedly one of the best ever painted works of the fashion guru; Lagerfeld promptly replied by saying he was also a fan of Bernhard Prinz. A hardly surprising reaction, as the whole Munich cultural and political scene never fails to warmly embrace new works by Bernhard Prinz. In a city proud of its satire tradition and the Bavarian art of Derblecken (taking the mickey out of someone) from Karl Valentin to Frank Wedekind, Lion Feuchtwanger and Oskar Maria Graf, from Rainer Werner Fassbinder and Herbert Achternbusch to Franz Xaver Kroetz, Helmut Dietl, Marcus H. Rosenmüller and Gerhard Polt, to the ‘Salvator’ speeches on the Nockherberg, his popularity is surely tantamount to a knightly accolade. Let’s not forget that the biggest German humourist and expert thereof spent nearly 50 years near Munich, at the Starnberger See Lake. And when considering caricature drawing, how can we not think of Munich masters the likes of Dieter Olaf
Klama, Pepsch Gottscheber, Dieter Hanitzsch, Gustav Peichl, Luis Murschetz and Gabor Benedek. Besides the outstanding accurate caricatures of international VIPs from politics, art, music, movies and the Munich city life, it’s his individual portraits and, more than any others, his large-format scenic paintings which are the hallmark of his artistic style, his unique selling point, if you will. Superstarmarket, Teatime, Tierische Wiesn, Hahnenkamm, Nostalgia, and Münchner Polit‐Geisterbahn = Maxiwiesn are highly entertaining puzzles which occupy and reward the attention of every single viewer for their depiction of figures in the world of culture, films, music, and history of art as well as for the select figures from the political and genteel classes in Munich. What is important here is for the artist to succeed in his endeavour without beating around the bush when unveiling the main traits of his figures, giving them depth and a real presence. In that Bernhard Prinz is an unparalleled genius. As he himself has fun with this method and, to a certain extent, likes his creations, we simply cannot wait for the hint of the steamboat voyage contained in Queen Mary 2 planned for 2018, when all the people gathered on the deck beam at the viewers with a bemused look on their faces. The optimism with which Prinz will create his painting, surely destined for New York, should become a bridge for the common, current and still characterising as well as future main figures and paintings of the European and American Way of Life. That’s our wish for him and for us, too. We experience a, sadly enough, renewed daily need for those types of paintings and figures. As far as his quirky caricatures in his impressive drawings are concerned, Bernhard Prinz gives an accurate self-analysis of his artistic programme as a portrait painter when commenting on a fourfold caricature of the FC Bayern star Thomas Müller with the words, ‘always recognisable, never offensive.’
1 Robert De Niro Gemälde 70x70cm Bleistift / Acryl Mischtechnik © Bernhard-prinz.com 2 Thomas Müller und Bernhard Prinz versteigern Müllerx4-Gemälde 2016 / Acryl Mischtechnik Foto: CFE 3 Thomas Gottschalk & Karl Lagerfeld mit Lagerfeldportrait / 2010 Acryl auf Leinwand Foto: ARD/Hageni 4 Portrait Bernhard Prinz 2016 Foto: CFE 5 Tasteparade-SuperstarMarket 220x100cm Acryl Mischtechnik 2009 © Bernhard-prinz.com 6 Nostalgia 200x100cm Ayrcl Mischtechnik 2009 © Bernhard-prinz.com 7 Teatime-London 200x100cm Acryl Mischtechnik 2009 © Bernhard-prinz.com 8 Albert Einstein Acryl Mischtchnik 80x80cm 2009 © Bernhard-prinz.com 9 Amy Winehouse Acryl Mischtechnik 80x80 2009 © Bernhard-prinz.com 10 Elmar Zorn
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ALS ICH KURZ NACH BEGINN MEINES STUDIUMS ANFING PORTRÄTS ZU MALEN, WAR DIES SO ZIEMLICH DAS UNPOPULÄRSTE, WAS MAN MACHEN KONNTE. DENN ZU BEGINN DER ACHTZIGER JAHRE HERRSCHTE AN DER KARLSRUHER AKADEMIE DER BILDENDEN KÜNSTE DER
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GROSSTEIL DER DORT UNTERRICHTENDEN LEHRER GEPFLEGT WURDE. EINIGE VON IHNEN WURDEN VON IHREN STUDENTEN ALS HEROEN
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Neuendorffs Malerei suggeriert. Auf der Ebene der Bildoberfläche wird diese Wirkung durch eine Art Materialkonstruktion erreicht. Zum einen gewinnt die Künstlerin der Kleidung, dem Pelz, dem Tuch oder dem Leder eine nachgerade laszive Morbidität ab, zum anderen malt sie die Augen des hochrangigen Mörders mit glasharter Präzision, so dass sie wie Waffen, wie Stereoskope der Unerbittlichkeit auf den Betrachter gerichtet sind.“ 1
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VEREHRT, HIESSEN GEORG BASELITZ UND MARKUS LÜPERTZ.
„Indem von Neuendorff das Weiche und Weibliche betont, die verfeiSie blieben nicht lange in der badischen Provinz, sondern zogen weiter nerte stoffliche Qualität der nachgerade anschmiegsamen Hemden, Lenach Berlin oder Düsseldorf. Ihren gestisch neo-expressionistischen derjoppen, Anzüge und Uniformen zur Geltung bringt und nicht zuletzt, Malstil ließen sie in Karlsruhe zurück. Dort herrschte er weiter über indem sie Adolf Hitler vor dem Hintergrund der sexuell animierten Generationen von Nachwuchskünstlern wie ein Dogma. Mit meiner Blumenmalereien einer Zeitgenossin, der nur eineinhalb Jahre älteren figurativen Malerei war ich ziemlich isoliert. Zudem hatte ich mich Amerikanerin Georgia O’Keeffe, wiedergibt, zeigt sie den „Führer“ auf das wenig spektakuläre Thema kapriziert: Männer und Möpse, von als Verführer und stellt dadurch einen verdeckten, verdrängten, wenn denen der spätere Kunstkritiker und damaliger Kommilitone Michael nicht sogar geleugneten Täter-Täter-Zusammenhang her: Der Terror Hübl in einer eleganten Alliteration feststellte, dass beide „Gesichter hat bei von Neuendorff ein menschliches Gesicht – das Gesicht des wie aus Gips geschnitten“ hätten. Meine Lehrer waren sich uneins: Betrachters.“ 2 Rainer Küchenmeister sprach anerkennend von Rummelmalerei und wollte mit mir ein Bild tauschen. Horst Egon Kalinowski raufte sich Am Ende des Projekts, denn es ist seit einigen Jahren abgeschlossen, die Haare: Wenn Sie die Menschen doch wenigstens so wie Ihre Hunde stelle ich mir die Frage: Hat sich Hitler meiner bemächtigt oder bemalen würden! Und Peter Dreher resümierte: Dafür gebührt Ihnen eine mächtigte ich mich seiner? Meine innere Heimatlosigkeit rührt daTapferkeitsmedaille. Doch ich hielt auch nach meinem Studium dem her, dass es in meiner Familie Täter und Opfer gab. Der Kunstkritiker unpopulären Genre des Menschenbildnisses die Treue. 1999 malte ich Volker Bauermeister äußert sich folgendermaßen dazu: „Was soll zum ersten Mal ein Porträt von Adolf Hitler. Es war schlichte Neugier man davon halten? Eine Malerin, die Hitlerbilder malt? Ein Spiel mit statt ein Konzept gewesen, welches mich dazu bewogen hatte. Würde der Provokation? Unverschämtheitsattitüde? Was wir finden, ist das „er“ innerhalb einer Reihe mit meinen anderen Porträts überhaupt aufGegenteil: eine Künstlerin, die alle Selbstgewissheit aufgibt und sich diversen Zumutungen aussetzt. Die sich auferlegt, sich diesem sogefallen – trotz seines Wiedererkennungswertes? Würde ich mich durch das Malen einer solchen Figur verändern? Was als eine Art Laune oder nannten Dritten Reich – den Inszenierungen der Macht und den unExperiment begonnen hatte, wurde systematisch fortgesetzt. Es handelt glaublichsten Gewaltszenen – noch einmal, soweit es geht, vergegensich hierbei aber nicht um historische (Ab-)Bilder, sondern um Collawärtigend auszusetzen. Mit tiefem Unbehagen nimmt sie wahr, dass Menschen verführbar sind. Sie sind es – also bin ich’s! Nachmalend gen. So wird ein beliebiger Hitler-Kopf auf den Rumpf einer anderen Person gesetzt. Schließlich bevölkerten mein Atelier zwanzig überle– im quälenden Nachvollzug – setzt sie sich dem Verdacht aus. Indem bensgroße (120 x 90 cm) Hitlerbildnisse in Öl. Mein Mann weigerte sie Brüche installiert, verfremdend eingreift – reflektiert sie ihre Ersich schließlich dieses zu betreten: Ich kann diesen Kerl nicht mehr mittlung, die auch eine Ermittlung gegen sich selbst ist.“ 3 sehen! Michael Hübl, Kulturredakteur der “Badischen Neuesten Nach1 richten“ und Autor der Fachzeitschrift „Kunstforum“ schreibt über das aus: Badische Neueste Nachrichten, Michael Hübl, 2001 2 Hitler-Projekt: „Es ist weniger die Konfrontation mit der historischen aus: Kunstforum, Michael Hübl, Bd 162, 2002 3 Person, die beim ersten Hinsehen den Blick stocken lässt, es ist die aus: Badische Nachrichten, Volker Bauermeister, 2004 schier unerträgliche grausam-liebliche menschliche Nähe, die von
AUTHOR & A R T IS T
IRENE VON NEUENDORF Arbeitet und lebt als Bildende Künstlerin und Schriftstellerin bei Freiburg. 1980 –1985 Studium an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe; Studium der Germanistik und Philosophie an den Universitäten Stuttgart und Karlsruhe. 1985 Stipendium des „Office franco-allemand pour la jeunesse“. 1985 – 1988 Studium an der „Ècole supérieure des Beaux Arts de Paris“. Ausstellungen in verschiedenen Galerien und Museen in Deutschland. 2015/2016 erschien im Griot Verlag, Stuttgart, eine zweibändige Hitler-Biografie als Hörbuch unter dem Pseudonym Clemens von Lengsfeld. Irene von Neuendorff beschäftigt sich in ihrer schriftstellerischen Tätigkeit vor allem mit zeitgeschichtlichen Themen mit dem Schwerpunkt deutsche Geschichte vom Kaiserreich bis zum Dritten Reich. www.irenevonneuendorff.de 7
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SHORTLY AFTER COMPLETING MY STUDIES I STARTED PAINTING PORTRAITS. AT THE TIME, PORTRAITURE WAS ONE OF THE MOST UNPOPULAR THEMES. AT THE BEGINNING OF THE 80S, THE PREDOMINANT STYLE AT THE ACADEMY OF FINE ARTS IN KARLSRUHE WAS GESTURAL NEO-EXPRESSIONIST PAINTING, USED BY MOST OF THE TEACHING STAFF. SOME OF THE PROFESSORS
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ting something akin to material construction on the surface of the canvas. The artist depicts the clothing, fur coat, textiles or leather with a lascivious softness, juxtaposed to how she paints the eyes of the high-ranking murders: with cold precision, her brushes turn them into weapons, merciless stereoscopes directed onto the viewers.’ 1
WERE HONOURED AS HEROES BY THEIR STUDENTS, NAMELY GEORG BASE-
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They didn’t remain long in the province of Baden, moving to Berlin or Düsseldorf. They left their Gestural Neo-Expressionist style in Karlsruhe. In the city, the style continued to be a dominant dogma across generations of future artists. I had isolated myself by dedicating my art to figurative paintings. Moreover, I had picked the drab theme of men and pugs, more on a whim than anything else. My former colleague at the Academy Michael Hübl who would go on to become an art critic once used an elegant alliteration in German to describe my work which went soAt the end of the project some years ago, I asked myself if Hitler had mething like this: ‘A physiognomy plucked directly from plaster of Paris’. taken me over or had I taken over him? My inner sense of homelessness My teachers simply couldn’t make their minds up: Rainer Küchenmeister stirs because my family was a group of culprits and victims. Art critic spoke with a tone of acknowledgement of my ‘hustle and bustle painting’ Volker Bauermeister expressed himself as follows on the matter: ‘What and wanted to exchange a painting with me. Horst Egon Kalinowski should we make of all this? An artist who paints Hitler? A provocative ran his hands through his hair: ‘if she could at least have the grace of game? Insolence? What we find is the opposite: an artist who surrenders painting the owners looking like their dogs!’ And Peter Dreher summed all her certainties and dives into a sea of different ideas. Who imposes it up as follows: ‘She deserves a medal for her courage.’ Yet even after herself to consciously tackle this so-called Third Reich, staging the power my studies I remained faithful to the unpopular genre of portraiture. In and the most incredible scenes of violence, one more time, as far as that’s 1999, I painted a portrait of Adolf Hitler for the first time. Mere curiosity possible. She traces her journey, an agonising introspection and exposes guided my hand rather than a well-thought idea. Would ‘he’ even attract herself to doubt. She stages breaks, creating unfamiliar scenes, and she any attention if inserted among a row of my other portraits, despite his paints her investigation: an investigation which will also prod and search high recognition factor? Would I change by painting someone like him? into our innermost self’ 3 What had started as a whim or experiment of sorts was systemically 1 developed. In this case, we can’t talk of historical reflections, but of collafrom: Badische Neueste Nachrichten, Michael Hübl, 2001 2 ges. For example, a random Hitler head placed onto the torso of another from: Kunstforum, Michael Hübl, Bd 162, 2002 3 person. After all, my atelier played the gracious host to twenty largerfrom: Badische Nachrichten, Volker Bauermeister,2004 than-life (120 x 90 cm) Hitler depictions in oil colours. My husband didn’t trust himself, he avoided stepping across the threshold into the studio: 1 Mittelteil des Triptychons: Täteropfer – Opfertäter, Öl auf Leinwand, 120 x 90 cm, 2007 ‘Enough! I can’t see that guy anymore!’ Michael Hübl, cultural editor at 2 Aus dem „Hitlerprojekt“, Öl auf Leinwand, 120 x 90 cm, 2003 the Badischen Neuesten Nachrichten and author of the Kunstforum spe3 Aus der Serie „Noli me tangere“, Öl auf Leinwand, 120 x 90 cm, 2000 cialist journal wrote the following about the Hitler project: ‘The viewers 4 Aus dem Hitlerprojekt, Öl auf Leinwand, 120 x 90 cm, 2001 stopped in their tracks upon confronting the historical figure; it’s the aren’t 5 Dto, Öl auf Leinwand, 120 x 90 cm, 2002 sheer unbearable terrible-cum-lovely human closeness which emanates 6 „Ecce homo“, Öl auf Leinwand, 120 x 100 cm, 2007 from Neuendorff’s paintings that freezes them. She achieves this by pain-
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‘Von Neuendorff depicts the Führer as a seducer by painting him with soft and feminine traits, highlighting the refined textile quality of the soft shirts, leather jacket, outfits, and uniforms and, last but not least, by placing Adolf Hitler against the backdrop of a sensual floral painting created by a contemporary painter, the only one-and-a-half-year older American Georgia O’Keeffe, thus portraying a concealed, suppressed, if not even misled culprit: in von Neuendorff terror has a face – the face of the viewer.’ 2
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“RECREATIN AND AGAIN A G YOURSELF AGAIN ND AGAIN AN DA MARIA CHAL GAIN” ELA-PUC CINI
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DIE KÜNSTLERIN MARIA CHALELAPUCCINI, IN KOLUMBIEN GEBOREN UND
AUFGEWACHSEN,
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TE BILDENDE KUNST AN DER UNI-
nur einer Fläche, Frame für Frame mit Ölfarbe gemalt und übermalt, erzählt der Film die Geschichte eines alten Mannes, welcher am Fensterplatz der Stammbar sein Glas hebend so lange verweilt, bis er sich vollkommen mit der Szenerie vereint und in der Wand verschwindet.
VERSITÄT JAVERIANA IN BOGOTA. NACH ABSCHLUSS DES STUDIUMS BEREISTE SIE EUROPA UND BLIEB ERSTMAL IN BERLIN. EINE BEISPIELHAFTE ARBEIT AUS DIESER ZEIT
SIND
BEWEGUNGSSTUDIEN
EINER TÄNZERIN, DEREN KÖRPERSILHOUETTE SIE WÄHREND DES TANZES MIT KOHLE AUF GROSSFORMATIGES PAPIER ÜBERTRUG. DIE DABEI ENTSTEHENDEN ÜBERLAGERUNGEN MACHEN BEREITS ZENTRALE THEMEN CHALELA-PUCCINIS KÜNSTLERISCHER
AUSEINANDER-
SETZUNG SICHTBAR. ES IST DER STETE
VERSUCH
BEWEGUNGEN
Ihr auf Glas gemalter Animationsfilm An educated woman, eine dreiteilige Serie, die 2015 am Tricky women Filmfestival mit dem Hubert Sielecki Preis ausgezeichnet wurde, ist eine Interpretation gesellschaftlicher Praktiken über die Identitätskonstruktion einer Frau. Teile von Frauenkörpern passieren dabei auf Fließbändern mehrere Stationen einer Fabrik um adjustiert zu werden, die Gehirne werden entnommen und die Brüste vergrößert. Ein altes Grammophon spielt dazu eine Schallplatte mit Verhaltenskodizes. Im Epilog erzählt die Künstlerin über ihre Arbeitsweise und auftauchende Absurditäten beim Versuch eines Selbstporträts: “A self portrait is like trying to remember your own existence by recreating yourself again and again and again and again.” Der Arbeitsprozess unterstreicht diese Aussage. Jedes mit Acryl auf Glas gemalte Bild wird für den jeweils nächsten Frame übermalt. Die Kamera dokumentiert dabei die Spuren dieses Wechselspiels von Destruktion und Kreation.
EINZUFANGEN, DEN ABGEBILDETEN MENSCHEN UND OBJEKTEN EIN EIGENLEBEN ZU VERLEIHEN. DIES GESCHIEHT UNTER ANWENDUNG VERSCHIEDENER TECHNIKEN AN DEN SCHNITTSTELLEN ZWISCHEN STILLEM UND BEWEGTEM BILD, ANALO-
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GEM UND DIGITALEM.
Interessiert an der Erkundung unterschiedlicher narrativer und abstrakter Möglichkeiten im Bereich Animationsfilm kam ChalelaPuccini nach Wien und studierte in der Klasse Malerei und Animationsfilm an der Universität für Angewandte Kunst unter der Leitung von Judith Eisler. Die frühen, hier entstandenen Arbeiten zeugen von einem experimentellen Umgang mit verschiedenen Medien und Techniken - entweder sind es digitale Collagen, die ausgedruckt und händisch bearbeitet werden, oder umgekehrt wird Gemaltes eingescannt und digital animiert. Zu sehen ist das in ihrem Animationsfilm Diary of a sailor who did not pay the rent. Der Film erzählt vom tragischen Schicksal eines einsamen Seefahrers, welcher, vertieft auf seine Leinwände malend, so sehr von wilden Abenteuern auf offener See träumt, dass er vergisst seine Miete zu bezahlen. Die persönliche Frage nach der künstlerischen Identität wird dabei auf ironische Weise als filmische Parabel dargestellt. Im Film viejo, old man, alter mann erleidet der Protagonist eine Auflösung seiner Identität. Auf
Aktuell arbeitet Chalela-Puccini an einer Serie von Porträts fiktiver Personen. Neben der Lust am Haptischen und der Unmittelbarkeit des Malens, argumentiert sie die persönliche Entwicklung zur Malerei mit der Erklärung des Begriffes Animation, welcher sich vom lateinischen Wort animatio (das Beleben) ableitet. Erzeugte sie in ihren Filmen Bewegung durch die schnelle Abfolge mehrere Einzelbilder, versucht sie nun diese im Standbild wiederzufinden - den abgebildeten Personen eine Seele zu verleihen. Verrinnen die Ölfarben der Vertikalität wegen über Nacht und verändern dadurch den Ausdruck eines Gesichts, nennt sie es Zufall. Die permanente Wiederholung desselben Motivs, mittlerweile besteht die Serie aus über zweihundert Porträts, findet im Kontext zu Benjamins Aufsatz Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit weitere Bedeutung. Für Chalela ist es ein persönlicher Akt des Widerstands gegen die technologisierte Welt. Die verkannten Gesichter beschreiben dabei die Schnelllebigkeit und den Identitätsverlust des postmodernen, digitalen Individuums - und reihen sich ein in die Geschichte der Porträtmalerei. Mehr Info: mchalela-puccini.tumblr.com
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1 Maria Chalela-Puccini, Photo: André Sumit Spitzinger 2 Portrait 210, oil on canvas, 40 x 30cm, 2016
ANDREJ RUTAR wurde 1988 in Klagenfurt geboren. Nach Studien- und Arbeitsaufenthalten in Udine, Zagreb, New York und Brüssel studierte er Architektur an der TU Wien. Er arbeitet als freischaffender Architekt, Bühnenbildner und Filmemacher.
3 Portrait 209, oil on canvas, 40 x 30cm, 2016 4 Portrait 191, oil on paper, 17.8 x 13.8cm, 2016 5 Stillframe 4, An Educated Woman, gouache on board, 2014/15 6 Stillframe 3, An Educated Woman, gouache on board, 2014/15 7 Filmplatte in Holz, Acrylfarben, 2015
Adresse: Lerchenfelder Strasse 34/5, 1080- Wien
8 Andrej Rutar, Photo: Dina Lucia Weiss
Tel: 069917070608, Email: andrej@gmx.at 8
ARTIST MARIA CHALELA -PUCCINI WAS BORN AND BROUGHT UP IN COLUMBIA. SHE STUDIED FINE ARTS AT THE UNIVERSITÄT JAVERIANA IN BOGOTA. AFTER COMPLETING HER STUDIES, SHE TRAVELLED AROUND EUROPE AND SETTLED IN BERLIN. EXEMPLARY WORKS FROM THIS PERIOD INCLUDE THE STUDIES ON MOVEMENT ANALYSED BY DEPICTING A DANCER WHOSE DANCING SILHOUETTE WAS TRANSPOSED ON LARGE-FORMAT PAPER USING CHARCOAL. THE RESULTING OVERLAPS HIGHLIGHT AN INTRINSIC THEME CENTRAL TO CHALELA-PUCCINI‘S ARTISTIC ANALYSIS: THE CONSTANT ATTEMPT TO CAPTURE MOVEMENT, TO BREATHE LIFE INTO THE DEPICTED PEOPLE AND OBJECTS. THIS OCCURS BY USING DIFFERENT TECHNIQUES IN THE INTERFACES BETWEEN STILL AND MOVING PICTURES, BETWEEN ANALOGUE AND DIGITAL.
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Chalela’s interest in exploring different narrative and abstract possibilities in animated films led her to Vienna where she enrolled in the Painting and Animated Films class at the University of Applied Arts under the guidance of Judith Eisler. Her early work at the university speaks of an experimental approach with different media and techniques: either printed digital collages which are then processed manually or manually painted first, then scanned, and animated digitally. Watching her animated film, Diary of a sailor who did not pay the rent, is a pleasant experience. The short film recounts the tragic destiny of a lonely sailor focused on painting on his canvas; he’s so intent on dreaming of the wild adventures at sea that he forgets to pay the rent. The personal quest for artistic identity is ironically represented as a filmic parable. In the film viejo, old man, alter mann the protagonist suffers from a dissolution of his identity. The film uses one surface, frame after successive frame passing by in a flash of oil colours and constantly painted over; it tells the story of an old man sitting at a window in his usual bar, holding up his glass for so long that he completely merges with the scenery and disappears into the wall. Her painted animated film on glass, An educated woman, is a threepart series which was awarded the Hubert Sielecki Prize at the 2015 Tricky women Film Festival. It’s an interpretation of societal practices influencing the creation of a woman’s identity. Parts of women’s bodies roll by various stations on conveyor belts in a production hall to be adjusted, their brains are removed, and their breasts enlarged. An old gramophone plays a vinyl record during the procedure, spurting behavioural codes. In the epilogue, the artist tells us how she works and of surfacing absurdities she encounters when trying to paint a selfportrait: ‘A self-portrait is like trying to remember your own existence by recreating yourself again and again and again and again.’ Her working process underpins the quote. Every picture painted with acrylic colours on glass is painted over for the respective next frame. The camera documents the traces of this game of changes, destruction, and creation.
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Currently, Chalela-Puccini is working on a series of fictional portraits. Next to her joy for haptic work and the direct nature of paintings, she explains her personal development and shift to painting by means of the word ‘animation’ which originates from the Latino ‘animatio’ (give life to). While in the past she created movements in her films by a quick succession of individual frames, she now tries to convey movement using still frames– the represented people infuse them with a soul. She speaks of chance if, overnight, the oil colours seep because the picture was placed vertically up against a surface, thus changing the face’s expression. Consisting of a permanent repetition of the same pattern, the series now includes more than 200 portraits, and finds further significance when reading Benjamin‘s essay on Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (The work of art in the times of its technical reproduction). For Chalela-Puccini it’s a personal act of defiance, countering this technologically abundant world. The blurry, unrecognisable faces describe the fast-paced lives and loss of identity of the post-modern digital individual – and therefore are part of the history of portraiture. For further information: mchalela-puccini.tumblr.com
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supports young art talent
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von 2% fällig wird. Um den Außenhandel zu ermöglichen, gibt die Raiffeisenkasse aus der Deckung Darlehen zu einem Zinssatz von 6% an die Geschäftsleute, die damit auswärts Waren einkaufen. Sämtliche Einnahmen der Aktion – Klebemark e n g e b ü h r, R ü c k tauschgebühr und Zinseinnahmen – verwendet die Gemeinde zweckgebunden für Armenfürsorge, etwa für den Betrieb der Notstandsküche. Das „Wörgler Laufgeld“ ist 9 bis 10 Mal 1 schneller in Umlauf als die NationalbankDIE TIROLER KLEINSTADT WÖRGL SCHRIEB 1932/33 MIT DER EINwährung. Das lokal gültige Zahlungsmittel bleibt im Ort und sorgt für FÜHRUNG DES WÖRGLER FREIGELDES ALS UMLAUFGESICHERTE REWertschöpfung und Kaufkraftbindung. Während in Österreich die ArGIONALE ZWEITWÄHRUNG EIN KAPITEL WELTWEIT BEACHTETER beitslosigkeit im Zeitraum der Freigeldaktion um 19% ansteigt, geht WIRTSCHAFTSGESCHICHTE. DIE MUTIGE, ERFOLGREICHE INITIATIVE sie in Wörgl um 16% zurück. IN ZEITEN DER GROSSEN DEPRESSION DIENT NOCH HEUTE AUF INDer Erfolg sorgt international für Schlagzeilen. Im Mai 1933 wollen rund 200 österreichische Gemeinden dem Wörgler Beispiel folgen und TERNATIONALER EBENE ALS VORBILD FÜR VIELE REGIONALE GELDfordern das Parlament auf, den gesetzlichen Rahmen dafür zu schaffen. UND TAUSCHINITIATIVEN UND INSPIRIERT SEIT JAHRZEHNTEN KUNSTDer Nationalrat ist zu diesem Zeitpunkt allerdings bereits ausgeschalUND KULTURSCHAFFENDE. ten, Österreich am Weg zu Bürgerkrieg und Diktatur. Die Nationalbank setzt im September 1933 das Verbot durch und dreht Wörgl den im Ort „Lindert die Not, gibt Arbeit und Brot“ steht auf den Arbeitswertscheisprudelnden Geldhahn zu. nen der Wörgler Nothilfe, mit denen die Gemeinde ein InfrastrukturDer Erfolg des Geld-Experimentes führt zu regelrechtem FreigeldBauprogramm finanziert. Ziel des Nothilfe-Programmes ist, Arbeit zu Tourismus. Volkswirtschaftler und Journalisten überzeugen sich ebenschaffen und Arbeitslosen und ihren Familien das Überleben zu sichern. Die 1929 ausgelöste Weltwirtschaftskrise trifft Wörgl und die Region so wie Frankreichs Ex-Premierminister Edouard Daladier von der hart, die Arbeitslosenzahlen steigen ständig. Staatliche Unterstützung Wirkungsweise dieses Geldes, das durch den eingebauten Schwund wird nur wenige Wochen gewährt, danach sind die Gemeinden für das eine andere Dynamik als das herkömmliche Geld entwickelt. Anstatt Überleben der Familien zuständig. durch Zinseszins weiter anzuwachsen und das Geldhorten zu belohnen, Eine leere Gemeindekasse, unerledigte Arbeiten und 400 Arbeitsregt das mit „Liegegebühr“ ausgestattete Freigeld den Geldumlauf an. Es ist als Tauschmittel für die Realwirtschaft besser geeignet, da es lose, 200 davon bereits in der Armenfürsorge der 4.200 Einwohner ebenso wie Waren und Dienstleistungen den Wertverlust einprogramzählenden Gemeinde – in dieser aussichtslosen Lage schlägt 1932 der Wörgler Bürgermeister Michael Unterguggenberger dem Gemiert hat. „… in der Tat liegt hier der Hase im Pfeffer. Der Staat braucht nicht meinderat ein Experiment vor: Die Gemeinde führt ein Straßen- und borgen wie Wörgls Bürgermeister nachwies“ schreibt Ezra Pound in Infrastrukturbauprogramm durch, beschäftigt dafür Arbeiter und gibt, seinen 1945 unter dramatischen Umständen verfassten Pisaner Geum das alles auch bezahlen zu können, Freigeld entsprechend der Freiwirtschaftslehre von Silvio Gesell aus. Das Wörgler Schwundsängen. Nach antikem Vorbild wollte der amerikanische Dichter die Menschheitsgeschichte in 100 Gesängen darstellen und schuf damit geld wird mit einer monatlichen Notabgabe von 1% des Nennwertes Weltliteratur. Er verurteilte den Wucher und sah im Wörgler Geld-Exausgestattet, um den Umlauf anzuregen. Um dem Banknoten-Ausgabemonopol der Nationalbank zu entsprechen, hinterlegt die Gemeinperiment einen Ausweg aus Kapitalismus und Kommunismus. Pound de den Gegenwert der ausgegebenen Arbeitswertscheine in Schilling kam nach Wörgl, um sich selbst vom Erfolg des zinseszinslosen Geldes bei der örtlichen Raiffeisenkasse. Die Arbeitswertscheine sind also ein Bild zu machen. Vermittlerin war dabei Rosa Unterguggenberger, die sprachgewandte Frau des Bürgermeisters, die sich selbst italienisch Geld-Gutscheine, ausgegeben im Wert von 1, 5 und 10 Schilling, und französisch beigebracht hatte und von Anfang an als Ladenbesitwobei sie durch das monatliche Aufkleben von Stempelmarken zerin eines Konfektionswarengeschäftes bei Vorbereitung und Durchihren vollen Wert behalten. führung des Geld-Experimentes tatkräftig mitwirkte. Die Freiwirtschaftsgruppe Wörgl bereitet das Experiment vor und der Mit ihrem jüngsten Sohn Silvio im Arm steht Rosa mit Ezra Pound vor Gemeinderat beschließt das Reglement 1932 einstimmig. Im Juli 1932 startet das erste Bauprogramm. Gemeindebedienstete und Bauarbeiter ihrem Geschäft, das sie bis zu ihrem Tod 1961 weiterführte. Doch das erhalten Freigeld als Lohn. Sie kaufen damit in Wörgler Geschäften ist es nicht, was ihr Lebenswerk überdauert – sondern das Andenken an ein. Diese tragen mit Freigeld ihre Steuerschulden bei der Gemeinde ihren Mann Michael inklusive des bürgermeisterlichen Schriftverkehrs ab, bezahlen Abgaben oder örtliche Zulieferer. Die Notabgabe wirkt in alle Welt, den Rosa zuhause aufbewahrte und vor der Vernichtung in dabei als Schwungrad – niemand will am Monatsende die Scheine beder NS-Zeit rettete. Was Rosa begann, führte ihre Tochter Lia weiter. Auf den Spuren des 1936 mit erst 52 Jahren früh verstorbenen Vaters sitzen und die Stempelgebühr zahlen und so steht das Geld rasch für suchte sie dessen Wegbegleiter. Während Silvio 1951 seine Diplomarweitere Baumaßnahmen zur Verfügung. Zunächst werden Straßen repariert, Abwasserkanäle und Straßenbeleuchtungen errichtet, dann folbeit übers Wörgler Freigeld-Experiment verfasste, wirkte Lia 1951 bei gen Einrichtungen für den Tourismus wie Wanderwege, ein Schluchder Organisation eines Freiwirtschaftskongress in Wörgl federführend ten-Erlebnissteig und eine Sprungschanze sowie im Frühjahr 1933 ein mit und sammelte fortan alles, was an das bald vergessene Wörgler Gebäude und eine Stahlbetonbrücke. Geld-Experiment erinnerte, u.a. trat sie mit Ezra Pounds Tochter Mary Die Arbeitswertscheine können für den Zahlungsverkehr außerhalb de Rachewiltz auf der Brunnenburg in Meran in Kontakt. Ihre eigene Berufskarriere als Bildhauerin stellte Lia der Familie zuliebe hinten an Wörgls jederzeit in Schilling gewechselt werden, wobei eine Gebühr
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1 Wörgler Freigeldscheine 2 Zeitungsreportage zum Wörgler Freigeld 1933
VERONIKA SPIELBICHLER Die Aufgaben des Unterguggenberger Institutes, dessen Obfrau Veronika Spielbichler ist, umfassen die Dokumentation, Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit zum Wörgler FreigeldExperiment 1932/33 sowie zu Komplementärwährungen, Geldsystemen und gemeinschaftlichen Organisationsformen heute. Weitere Informationen finden Sie auf unterguggenberger.org
3 1932 – Rosa & Michael (Tippfehler) Unterguggenberger 4 Rosa Unterguggenbergers Kaufhaus in Wörgl 1942 5 Veronika Spielbichler 6 1935 – Rosa mit Sohn Silvio & Schriftsteller Ezra Pound 7 Wörgl – Salzburgerstrasse 8 Die Raiffeisenkasse Wörgl half bei der Freigeld-Aktion 9 Zahltag – Arbeiter erhielten Freigeld als Lohn 10 Wörgl – Zellulose-Fabrik 11 1955 – Freigeld-Brücke 12 Freigeld-Hausbau 13 Photos: Unterguggenberger Institut
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– so sind nur wenige künstlerische Arbeiten öffentlich zu sehen. Etwa eine Anna Plochl-Skulptur beim Grazer Landhaus sowie ein BronzeRelief ihres Vaters am steinernen Unterguggenberger-Denkmal in der Wörgler Bahnhofstraße. Wer Kunst als soziale Skulptur begreift, wird als Lias bedeutendstes Werk ihr umfangreiches Wissen über die Freiwirtschaft, ihr Archiv und die vielen Gespräche zur Vermittlung jener Idee eines anderen Geldes und Wirtschaftens sehen, das angetrieben durch neuerliche Wirtschaftskrisen wieder vermehrt seinen Weg in die praktische Umsetzung findet – ob als Regionalwährung, Tauschsystem oder virtuelle Währung, Komplementärwährungen boomen weltweit. Das Wörgler Freigeld-Experiment inspiriert auch Kunst- und Kulturschaffende seit Jahrzehnten: Beim „Knochengeld-Experiment“ 1993 in Berlin mit Beteiligung von rund 60 Künstlern zirkulierte Freigeld ebenso wie 1995 bei der Kunstaktion „Welkende Blüten“ der Künstlergruppe Herzgehirn in Köln. 1998 füllte Henning Venske und Liederjan Hallen mit dem Kabarettprogramm „Eine Reise nach Wörgl“. Im Wörgler Freigeldjahr 2007 zählte zu den zahlreichen Kultur- und Bildungsprojekten eine Intervention des Künstler-Kollektives Wochenklausur in Form des wissenschaftlichen Dialoges „weitsichtig.wirtschaften“ und beim Steirischen Herbst war Lia Rigler beim Schwarzmarkt für nützliches Wissen und Nicht-Wissen als Expertin im Einsatz. Zu jenen Regionalwährungs-Initiativen, die nach Vorbild des Wörgler Freigeldes seit der Jahrtausendwende entstanden sind und ihre Gutscheine als Geld mit sozialem Mehrwert sehen, zählt der Hallertauer in Pfaffenhofen in Bayern. Die Regiogeld-Macher verstehen sich als soziale Skulptur im Sinne von Joseph Beuys und feierten 2015 ihr 10-jähriges Bestehen inklusive Musik-CD-Präsentation und neuer Gutscheinserie, die Gemeinwohl-Pioniere abbildet – darunter Wörgls Freigeld-Bürgermeister Michael Unterguggenberger. Geld gestaltet unsere Beziehungen zueinander und zur Natur, durchwirkt alle Lebensbereiche und stellt in seiner jetzigen Form die Basis für ausbeuterische Strukturen dar. Dass Geld auch gestaltet werden kann, diese Erkenntnis wächst erst langsam – auch dank aufgeschlossener kreativer Köpfe, die dieses große Tabu-Thema unserer 7 Zeit zum Gegenstand ihrer Kunst machen.
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ravine fitted with themed trails, and a ski jump as well as a building and reinforced concrete bridge in the spring of 1933. The aid currency could be exchanged into shillings for circulation outside Wörgl at any time for a 2% tax. To guarantee foreign trade, the local bank gave loans at a 6% interest rate to business people who purchased goods outside of town. All income from the initiative – stamp duty, exchange duty, and interest rates – was used by the municipality to provide for the poor, i.e. running the soup kitchen.
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The Wörgl demurrage circulated between 9 to 10 times more quickly than the national bank currency. The locally valid payment tool remained and created value and cemented purchasing power. While the rest of Austria saw an increase of 19% in unemployment during the Freigeld period, in Wörgl it receded by 16%. The success lead to international headlines. In May 1933, a good 200 Austrian municipalities wanted to adopt the example of Wörgl and demand Parliament to create the necessary legal framework. However, at the point in time the National Assembly had fallen apart, and Austria was on its way to civil war and dictatorship. The national bank banned the initiative in September 1933 and turned off the gushing money tap in Wörgl. The success of the experiment led to a proper Freigeld tourism. Economists and journalists were convinced, just like France’s former Prime Minister, Edouard Daladier, of the efficacy of the currency which, thanks to the planned demurrage, developed another dynamic compared to traditional money. Rather than increasing interest rates or rewarding money hoarding, the Freigeld and its stamp duty stimulated currency circulation. It was better suited as an exchange tool for the economy as it had an inbuilt depreciation system just like goods and services had.
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‘… in fact that is the cat in the woodshed. The state need not borrow as was shown by the mayor of Wörgl’ wrote Ezra Pound in his Pisan Cantos, published under dramatic circumstances in 1945. The American poet wanted to follow an ancient role model and recount the history of mankind in 100 cantos and, in doing so, created world literature. He judged usury and saw a way out of capitalism and communism in the Wörgl money experiment. Pound visited Wörgl to get an idea of the success of the interestfree money. The middleperson at hand was Rosa Unterguggenberger, the articulate wife of the mayor, who had taught herself Italian and French; right from the very start of the experiment she had contributed heavily to the preparation and implementation thereof, as she was also the owner of a ready-made clothing shop.
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THE SMALL TOWN OF WÖRGL IN TYROL WROTE A CHAPTER IN HISTORY PRAISED BY THE WHOLE WORLD IN 1932/33 WHEN IT INTRODUCED THE WÖRGLER FREIGELD AS A REGIONAL DEMURRAGE. THE BRAVE AND SUCCESSFUL INITIATIVE IN THE TIMES OF THE GREAT DEPRESSION HAS BEEN INSPIRING ARTISTS AND CREATIVE ARTISTS FOR CENTURIES, AND TODAY STILL SERVES AS A ROLE MODEL ON AN INTERNATIONAL LEVEL FOR MANY REGIONAL CURRENCIES AND EXCHANGE INITIATIVES.
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‘Reduce hardship, give work and bread’ is printed on the emergency assistance Wörgl banknote with which the municipality financed an infrastructure building programme. The aim of this aid programme was to create jobs and guarantee the survival of the unemployed and their families. The global economic crisis in 1929 hit Wörgl and the region hard, and unemployment kept growing. State aid was guaranteed for just a few weeks before the municipalities had to step in and become responsible for the survival of families. An empty coffer at the municipality, unfinished works and 400 unemployed, 200 of which were receiving benefits, in a municipality of 4,200 souls - in this hopeless situation the Mayor of Wörgl, Michael Unterguggenberger suggested an experiment to the Municipality Council: the municipality would implement a building programme for roads and infrastructure, employ people, and create free money (Freigeld) to pay for it all in accordance with the principles of the free economy (Freiwirtschaft) posited by Silvio Gesell. The demurrage is printed with an aid decree at 1% of the nominal value to drive the circulation of the currency. To meet the printing monopoly the national bank had over the regular currency, the municipality deposited the equivalent of the printed aid currency in shillings at the local bank as collateral. The aid money was thus printed as banknotes with the value of 1, 5, and 10 shillings and they acquired their full value every month when stamped. The Freiwirtschaftsgruppe Wörgl prepared the experiment and the municipal council unanimously approved the decree in 1932. In July 1932, the first building programmes starts. Municipal employees and workers received the free currency in lieu of payment. They purchased goods in the Wörgl shops; the shops then paid their debts to the municipality, taxes, or local suppliers with the Freigeld. The aid currency becomes a demurrage – nobody wanted to possess the notes by the end of the month and pay the stamp duty, and so the money quickly became available for other building measures. At first, roads were repaired, sewage systems and road lighting created, followed by infrastructures for tourism such as hiking paths, a
Carrying her youngest son Silvio with her, Rosa stood with Ezra Pound in front of her shop, which she managed right up to her death in 1961. However, the shop wasn’t what we still remember of her today – rather the memory of her husband Michael, including the mayorly correspondence he had received from all corners of the world, which Rosa kept at home and protected from being destroyed by the Nazis. Her daughter Lia picked up where her mother left off. She followed in the steps of her father, who passed away in 1936 at just 52, and looked for his travel companion. While Silvio wrote his dissertation in 1951 on the Wörgl Freigeld, in the same year Lia was in charge of organising a Freiwirtschaft congress in Wörgl and collected all that remained from the currency experiment; she also got in touch with Ezra Pound’s daughter, Mary de Rachewiltz at the Brunnenburg in Merano. Lia, for the love of her family, put her own career as a sculptor on hold, hence the lack of artistic works in open spaces. Some of them include an Anna Plochl sculpture at the Town Hall in Graz as well as a bronze relief of her father at the rocky Unterguggenberger memorial at the Wörgl train station. If you consider art as a social sculpture, then Lia’s most important work has to be her extensive knowledge on Freiwirtschaft, her archives, and the many talks on ideas for making money and economising driven by new economic crises, pushing us to find practical implementations of these new models: as a regional currency, bartering system or virtual currency, complementary currencies are booming across the whole world. The Wörgl Freigeld experiment has been inspiring artists and creative artists for centuries. Take the ‘Knochengeld-Experiment‘ in 1993 in Berlin which saw the participation of a good 60 artists; and Freigeld also circulated in 1995 during the ‘Welkende Blüten’ artistic initiative organised by the Herzgehirn artists group in Cologne. In 1998 Henning Venske and Liederjan had theatres packed with their cabaret show, ‘Eine Reise nach Wörgl’ (A journey to Wörgl). In the Wörgl Freigeld year in 2007 one of the countless cultural and training projects was an intervention by the Wochenklausur artist collective in the form of a scientific dialogue on longsighted economy and, during the Steirischer Herbst Festival, Lia Rigler was there as an expert on knowledge and ignorance.
The Hallertauer in Pfaffenhofen in Bayern is a regional currency initiative created on the model of the Wörgl Freigeld since the turn of the century and which considers its notes as money with a social added value. The creators of the regional currency see themselves as social sculptors as conceived by Joseph Beuys and celebrated their 10th anniversary with a music CD presentation and a new series of notes depicting the common good pioneers, including none other than Wörgl’s Freigeld mayor Michael Unterguggenberger. Money shapes our behaviour with one another and with nature, affects all spheres of life and is the base for exploitative structures in its current form. We can also shape money, an idea which is slowly growing thanks to open creative souls which have brought this taboo subject to life in their art.
DANIEL RICHTER LONELY OLD SLOGANS 3. FEBRUAR BIS 5. JUNI 2017
Daniel Richter, Tarifa (Detail), 2001, Collection Ken and Helen Rowe, London © Bildrecht, Wien 2016
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D E ALS PORNOS R KÜNSTLERPHILOSO PH OPHISCHER EXZENTRIKE THE ARTIST P HILOSOPHER R AS A PORNO SOPHIST E CCENTRIC
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Ekstase ist nicht unkontrolliert, sie ist geordnet, um Bedingungslosigkeit bis hin zur Bindungslosigkeit zu ermöglichen; Ekstase ist geformte ÜberUND THEOZENTRISCHE EKSTASE, SIE BEWEGT SICH IM SPANNUNGSschreitung, damit der Rausch gelingt. Der Ekstatiker ist ein FormulieFELD DER EROTIK DES GESCHLECHTS UND EROTIK DES GEHIRNS, VON rer – ein Formgeber. Der Künstlerphilosoph ist erotischer Heiliger. Sein GESCHLECHTSEROTIK UND GEHIRNEROTIK. Exerzitium ist der heilige Eros, er ist ein heiliger Asketiker. Der Künstlerphilosoph ist der Asket, der die Askese zum Exerzitium macht; er beDer sexzentrische Ekstatiker ist Phallogozentrist und Vulvafetischist. treibt die Askese als Exerzitien. Kunst ist ihm Kult: Kult der Schönheit. Im Phallus und in der Vulva findet er das All- und Ureine. Die VereiniSchönheit umgibt nicht einfach die Macht – sie verspricht Macht. Schöngung mit dem Göttlichen ist für ihn die geschlechtliche Vereinigung. Je heit ist nicht leistend, sondern versprechend – das ist ihre Leistung. Das mehr er von den Abstraktionen des Denkens entfernt ist, je näher glaubt Schöne wird nicht nur im Schönen gezeugt, sondern auch im Medium er sich dem Göttlichen, dem Phallus, der Vulva. des Hässlichen. Nicht nur die Schönheit ist faszinierend, sondern auch das Hässliche. Das Hässliche ist in seiner Repulsion Attraktion. AttrakDer theozentrische Ekstatiker glaubt, je mehr er dem sexuell Sinnlichen tion verspricht immer Macht, egal ob schön oder hässlich, allzu oft ist entfremdet ist, je näher ist er dem göttlichen Denken, dem reinen Hirn. die Hässlichkeit in ihrer Macht schön – weil auch das Hässliche fasziFür den Einen ist die mystische Vereinigung mit dem Absoluten ein Geniert. Der Dämon Eros ist schön und hässlich, arm und reich, kynisch schlechtsphänomen; für den Anderen ein Gehirnphänomen. Der sexzenund zynisch. Nicht nur das Schöne ist Objekt der Kunst, sondern auch trische Ekstatiker glaubt, je weiter man die Kellertreppe zum Sexuellen das Abstoßende, Ekelhafte, die Abjekte. Die Kunst, die sich den Abjekten hinabsteigt, je näher komme man dem Absoluten. Der theozentrische Ekzuwendet, ist Pornosophie, sie stellt die Wahrheit der Abjekte, der “Hustatiker glaubt, je weiter man sich der Sphäre des Sexuellen entfernt, je ren” dar. Dieser ästhetische Extremismus ist eine skandalisierende Lenäher kommt man Gott. Beide streben eine Katharsis an: der Eine eine bensform, die dem “Skandal” (genannt Leben) auf den Grund geht. Die Katharsis durch das Gehirn, der Andere eine Katharsis durch den Sex. barbarische Wahrheit des Lebens kommt ans Licht. Dieser Skandalismus Der Eine will sich vom Sexuellen ablösen und der Andere vom Gehirn, stellt sich gegen die political correctness der Massendemokratie, gegen um sich mit Gott, dem Ur-Alleinen, zu vereinen. Der sexzentrische Eksdie Hässlichkeit ihres grunzenden, schmatzenden, saufenden Hedonismus tatiker strebt die Loslösung des Sexes vom Gehirn an. Der theozentrische mit elitärem Hedonismus: kynischer Aristokratismus = Pornosophie. Die Ekstatiker strebt die Loslösung des Gehirns vom Sex an. Der Eine will gelingende Skandalisierung ist aber nicht grenzenlose Enttabuisierung. Sex ohne Hirn; der Andere Hirn ohne Sex. Beide Denken nicht. Beide Ist Skandalisierung entgrenzte Enttabuisierung, dann ist sie unerotisch sind Mystiker: Mystiker des Sexes einerseits, Mystiker des Gehirns andeund pornographisch. Der Skandal, der ein Wahrrerseits. Der Sexmystiker steht gegen den Gehirnmystiker und vice versa. Sagen ist, braucht Tabus, um die Erotik zu Beide sind tolle Menschen, ihnen ist ein obsessiv-manischer Zug eigen, ermöglichen. Die Garantie der Tabus als sie sind maßlos, bedenkenlos, gewissenlos, auf je verschiedene Art und Bedingung der Möglichkeit von Erotik Weise jenseits von Gut und Böse. Sie sind methodische Amoralisten mit ist die Form, der Stil. Pornosophie ist je umgekehrten Vorzeichen. Beide sind Dionysiker: Der Eine ist Sexdiostilisierte Erotik, kein Sex, sie ist nysiker, der Andere ist Hirndionysiker. Gegen die Vereinseitigungen von ästhetisierte Religion, Erotik als sexzentrischer und hirnzentrischer Ekastase steht die erotische Ekstase, Religion. Was griechisch phallos die beide aufhebt. Die erotische Ekstatik ist eine göttliche, heilige Eroheißt ist lateinisch fascinus. Das tik, die die Erotik des Sexes und die Erotik des Gehirns, die die “Erotik Bündel, das Beil, als Symbol der der Körper” und die “Erotik der Herzen” aufhebt. Erotik ist nicht etStrafgewalt, fasziniert, verzaubert, was Menschlich-Allzumenschliches, sondern eine Seinserfahrung. Durch verführt, bannt uns. Insofern stand sie begegnet mir in meinem Dasein das kosmische Sein, meine sinnliche der Phallus immer für Souveränität Endlichkeit begegnet mir im Medium der Erotik der Unendlichkeit – in und im Anschluss daran das gebünAugenblicken der Ekstase. Der erotische Ekstatiker ist ein Mystiker ohne delte Feuer: die Fackel. Der PornoGott – denn Gott ist die Liebe und Geschlechtsverkehr ist ihm Liebesversoph, insofern er den Phallus heiligt, kehr zwischen Sex und Hirn, Sinnlichkeit und Denken, Leidenschaft und ist also der Fackelträger der Kunst: Vernunft, Leben und Tod. Die bedingungslose Hingabe in der heiligen der Künstlerphilosoph. EXPRAKTIK IST ASKESE BIS ZUM EXZESS, ZUM EXERZITIUM EROTI-
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SCHER EKSTASE. EROTISCHE EKSTASE STEHT GEGEN SEXZENTRISCHE
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AUTHOR & A R T IS T
1 Die Phänomenologie des Geistes
Papier übermalt und Acryl auf Holz, 1999-2016, 148 x 27cm
2 Der Parrhesiast
Selbstgedrechseltes Holz in Gipsfuss mit Acrylfarbe, 2013, 8 x 35cm
3 Pornosophiert Euch!
Öl auf Spanplatte, 2012,
30 x 40cm
Photograph: Hagen Wiel, ©Konstanze Caysa
KONSTANZE CAYSA Dr Konstanze Caysa is a philosopher of art. She completed her PhD on the topic ‘Yearning bodies – a metatropy’ at the University of Leipzig. Between 2002 and 2010, she served as member of the BoD of the Nietzsche-Gesellschaft e.V. She’s taught at the Institute for Philosophy of the University of Leipzig, at the HGB Leipzig and at the Kulturwissenschaftlichen Institut of the University of Leipzig. Between 2012 and 2013, she was the temporary replacement of a junior professor at the University of Leipzig. She’s been writing as a columnist for the ‘Leipziger Zeitung’ newspaper since March 2015. Publications: ‘Askese als Verhaltensrevolte‘ (2015) / ‘Denken des Empraktischen‘ (2016). www.empraxis.net
4 Konstanze Caysa
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cult of beauty. Beauty doesn’t simply surround power – it promises power. Beauty is not performative, rather it promises something – that is its performance. Beauty is not only found in beautiful things, but also in ugliness. TRIC ECSTASY, IT SWAYS BETWEEN SEXUAL EROTICISM AND SAPIOSEXUALITY. Beauty isn’t the only thing which is fascinating, but also ugliness. Ugliness is, by being repulsive, attractive. Attractivity always promises power, Sexcentric ecstatics are phallocentric individuals and vulva fetishists. regardless of its beauty or ugliness, more often than not ugliness is alluThey find the original and only divine being in the phallus and vulva. ring in its power – because even ugliness fascinates. The demon Eros is Union with the divine for them equates to a sexual, physical union. The beautiful and ugly, poor and rich, cynic and cynical. Beauty and repulmore they’re distanced from the abstraction of thought, the closer they sive, disgusting, abject subjects are depicted in art. Art dedicated to the believe themselves to be to the divine, the phallus, the vulva. abject elements in our life is called pornosophy: it represents the truth of abject elements, of ‘whores’. This aesthetic extremism is a scandalising Theocentric ecstatics believe that the more distance they put between form of life, which gets to the bottom of said ‘scandal’ (i.e. life). The barthemselves and sexuality, the closer they become to divine thinking, the baric truth of life comes to light. This scandal opposes the political corone and only brain. For the former, mystical union coincides with sexual rectness of mass democracy, the ugliness of its grunting, noisily eating, relations; for the latter, it’s a mental and intellectual process. Sexcentric intoxicating drinking hedonism with elitist hedonism: cynic Aristotelism ecstatics believe the more you ascend to the sexual plane, the closer you = pornosophy. The successget to the absolute truth. Theocentric ecstatics believe the more distance ful scandal isn’t an infinite you put between yourself and the sexual sphere, the closer you’ll get to removal of taboos. If scangod. Both strive for catharsis: an intellectual and sexual one respectively. dal knows no limits when reOne wants to shed all sexual pulsions, while the other wants to shed all moving taboos, then it’s not thought. Both want to unite with God, the one and only god. Sexcentric erotic but pornographic. The ecstatics strive to separate sex from the brain. Theocentric ecstatics strive scandal, a blessing in disto separate the brain from sex. One wants sex without intellect; the other guise, breaks taboos to enawants intellect without sex. Both don’t think. Both are mystics: sexual ble eroticism. The guarantee and intellectual mystics. Sex mystics oppose intellectual mystics and vice of a taboo as a condition for versa. Both are great human beings, they’re characterised by an obsesthe possibility of eroticism is sive-compulsive trait, they’re extreme, thoughtless, without a conscience, a form, a style. Pornosophy beyond good and evil in differing ways. They’re methodical amoralists is stylised eroticism, not sex, with reverse polarities. Both are followers of Dionysius: one highlights the it’s an aestheticised religion: sexual aspect of the divinity, the other the intellectual one. Erotic ecstasy eroticism as religion. In Anelevates both sexcentric and theocentric ecstasy and removes their polar cient Greece, they spoke of nature. Erotic ecstasy has a divine, holy nature which elevates sexcentric phallus, in Rome of fascinus. and theocentric eroticism, or even ‘physical eroticism’ and an ‘erotic of The bundle, the axe, the symthe heart’. Eroticism is not something human or otherworldly: it means disbol of legality fascinates, encovering one’s ego. You can reveal the cosmic ego in yourself, and our chants, tempts and entrances limited senses encounter infinity thanks to eroticism – in moments of ecstaus. In that sense, the phallus sy. Erotic ecstatics are mystics without a god – because god is love and has always stood for sovesexual relations to them equate as a relation between sex and the brain, reignty and the bundled fire: senses and thought, passion and reason, life and death. Unconditional the torch. The pornosopher, devotion to holy ecstasy isn’t uncontrolled, it follows a specific order, to insofar as he makes the phalallow for that unconditional and unbound moment; ecstasy is practiced lus into a holy relic, is also transgression to reach that rush of ecstasy. Ectsatics thus provide forms. torchbearer of art: the the The artist philosopher is an erotic saint. His army is the holy Eros, he’s a artist philosopher. holy ascetic. The artist philosopher is the ascetic who turns asceticism into an exercise; he manages asceticism as exercises. To him, art is a cult: the EXPRAXIS MEANS TAKING ASCETICISM TO ITS VERY EXTREME, THE EXERCISE OF
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EROTIC ECSTASY. EROTIC ECSTASY OPPOSES SEXCENTRIC AND THEOCEN-
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A RT M E E T S S MICHAEL PR CIENCE – TH ACHENSKY E AGE OF A NEW ARCHIT ECTURE LOO MS Nicht nur, dass die Mega-Kraftwerke, Stromnetze, Überlandleitungen bis hin zur Anwendung fossiler Brennstoffe samt ihrer Infrastruktur mit Tankstellen, Gasleitungen, Ölraffinerien und -förderungen überflüssig wären, auch internationale Gefüge und Wohlstand der Volkswirtschaften würden sich auf Grund der Mikro-Kraftwerke und der Mikro-Plasmareaktoren verschieben. Darüber hinaus sind verkehrstechnische und städteplanerische Konzepte bis zu internationalen, alternativen Projekten zu erkennen, zu beschreiben und damit in die Zukunft zu leiten.
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KOSMISCHE STRAHLEN, PLASMAEXPLOSIONEN, QUANTENEFFEKTE – MICHAEL PRACHENSKY SPRENGT ROT AUF LEINWÄNDE, UM EMOTIONALES VERSTÄNDNIS FÜR EINE WISSENSCHAFT JENSEITS AKTUELLEN VORSTELLUNGSVERMÖGENS ZU ERZEUGEN. DER ARCHITEKT, KÜNSTLER, VISIONÄR UND QUERDENKER SIEHT IN SEINEM SCHAFFEN DIE SCHNELLSTE UND EFFEKTIVSTE INTERPRETATION KOMPLIZIERTER VORGÄNGE – VORGÄNGE, DEREN RESULTATE LEBEN UND WELT VERÄNDERN WERDEN.
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Schon bald werden neue Werkstoffe die Art zu bauen, Energie zu erzeugen und zu speichern oder die Fortbewegungsmöglichkeiten grundlegend verändern – zum Positiven. Glaubt man den Visionen des Tiroler Architekten, Künstlers und Querdenkers, Michael Prachensky, so steht die industrielle Nutzbarmachung von Fullerene-Komposites mit seinen Partnern der Trans-Tech GmbH & Co KG unmittelbar bevor. Diese nanotechnologisch erzeugten Werkstoffe auf Kohlenstoffbasis verfügen über Eigenschaften, die selbst Harry Potter erstaunen lassen würden. So werden leichte, ESES (Environmentally Sound Energy Storag) Batterien ganze Häuserzeilen mit Strom versorgen oder Elektromobilen zu Tausenden Kilometer Reichweite verhelfen, ohne seltene Erden wie Lithium oder umweltschädigenden Säuren. Hauchdünne, hochstabile Glasscheibenelemente wechseln mit Hilfe der Komposite nach Belieben Farbe und Lichtdurchlässigkeit, werden mit Niedervoltspannung zu infraroten Heizelementen oder erzeugen aus elektromagnetischen Wellen aller Art speicherbaren Strom. „Jenseits des aktuellen Dekonstruktivismus“ „Wenn wir auf Isolierung, Wärmedämmung, Isolierscheiben und Oberflächenschutz wie Verzinken verzichten und gleichzeitig bahnbrechende statische Eigenschaften nutzen können, werden zarte Baukörper realisierbar, die noch weit jenseits der Phantasie des aktuellen Dekonstruktivismus liegen“, prophezeit Prachensky und sieht in der Architektur seiner ursprünglichen Profession als Architekt entsprechend die ersten Anwendungen der Fullerene-Komposites. Prototypen liegen bereits vor, deren immenses Potential wird seitens Univ.-Prof. Dr. Erich Gornik von der TU Wien begleitend bestätigt. Prachensky, selbst Partner und Begleiter des internationalen Forscherteams, sieht seine Aufgabe auf zwei Gebieten. Als Querdenker erkennt, entwickelt und beschreibt er zunächst die Zusammenhänge rund um diese Technologien: Die Auswirkungen einer dezentralen Denkweise der Stromerzeugung und -speicherung sind in ihrer Breite z. B. kaum absehbar.
„Mein interdisziplinärer Ansatz vereint Wissenschaft, Forschung, Architektur und Kunst“ Die zweite Aufgabe des Tiroler Visionärs besteht im Erzeugen von Verständnis bei Menschen außerhalb des Forscherkreises. Anders wie die klassische Mechanik oder Elektrizität, die man sich Wasserläufen vergleichbar vorstellen kann, entziehen sich diese neuen Technologien dem menschlichen Vorstellungsvermögen, weil die Alltagserfahrungen fehlen. Quantenphysikalische Prozesse sind zwar in aller Munde, widersetzen sich aber dem normalen Menschenverstand. Deshalb müsse auf andere Weise ein emotionales wie visuelles Verständnis erzeugt werden, um die Menschen zu erreichen, so Prachensky. In seinen jüngsten, extrem kraftvollen großformatigen Werken thematisiert er energetische Entladungen in Plasmareaktoren, kosmische Strahlen, fragile, (noch) undenkbare Baukörper, amorphe Glastempel und Energien ganz allgemein. Dominierend dabei immer ein kräftiges Rot, ein Rot, das zu seiner Familie gehört, wie Prachensky meint, und quasi generationsübergreifend wirkt, wenn es auch in ganz unterschiedlichen Kontexten verwendet wird. Kunst wird bei Prachensky so zur Sprache einer Wissenschaft, die sich sonst der menschlichen Vorstellungskraft und damit auch einem tiefen Verständnis entzieht. „Ich will den Menschen helfen, diese neuen Techniken sehen, begreifen und spüren zu lernen. Hier funktioniert auch mein interdisziplinärer Ansatz: Wissenschaft, Forschung, Architektur und Kunst hängen eng zusammen, die Kunst wird zur Ausdrucksform der Technik, die Architektur zur Ausdrucksform der Kunst“, so der Visionär. Architektur wird leichter, transparenter, schwebender und menschlicher werden – das können die jetzigen Technologien noch nicht. Darüber hinaus werden die ökologischen Anforderungen der Gärten, der Hydro-, Aero- und Aquaponik-Anlagen in die Gebäudehüllen integriert.
Kunst, Technik und Naturwissenschaft – ein künstlerischer Gestaltungsansatz? Über das Spannungsverhältnis, aber auch über die Überschneidungen und Berührungspunkte von Kunst und Wissenschaft lohnt es zu denken. Im Schaffen von Michael Prachensky spiegelt sich ein interessantes Beispiel für den komplexen Zusammenhang von Naturwissenschaft, Technik und Kunst wider. In diesem Zusammenhang können solche Überschneidungen auch einem neuen Aufklärungsdenken zugesprochen werden. Es sei ein wichtiger Denkansatz der Moderne, zudem er sich mittels seiner Kunst philosophisch verpflichte, so Michael Prachensky. Der Künstler selbst sieht in seinen Werken die schnellste und effektivste Interpretation der komplizierten Vorgänge in den Forschungslabors in St. Petersburg. Das explodierende Rot steht für die undenkbaren Prozesse im Plasmareaktor, die Kohlenstoff-Atome in völlig neue, unnatürliche, aber extrem stabile Strukturen ordnen. Aus der Explosion, dem Chaos, der Entropie entsteht einem fast göttlichen Schöpfungsprozess folgend eine neue Ordnung, ein neues Material mit Eigenschaften, dessen Möglichkeiten in ihrer Summe noch gar nicht bekannt sind.
Ohne Visionen gibt es keine Zukunft „Wissenschaft, Architektur und Technik verändern sich“, predigt Prachensky, „Innovation und Kreativität sind ureigene Schöpfungskräfte des Menschen, folgen seinem Streben nach Erkenntnis. Ich folge dem Drang, der Mitwelt Ideen und Visionen verständlich zu machen und sie letztlich auch umzusetzen.“ Der Visionär, Querdenker, Architekt und Künstler nennt sein aktuelles Thema nicht von ungefähr „der Zeit ihre Wissenschaft, der Wissenschaft ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit“. Es gelte, Perspektiven interdisziplinär zu verknüpfen und ein universelles Zusammenwirken von Geistes- und Natur-Wissenschaften mit der Kunst anzustreben.
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1 Michael Prachensky 2 Implosion – Acryl auf Leinwand 100 x 140 cm 3 Sonneneruption – Acryl auf Leinwand 100 x 140 cm 4 Schnitt durch die ESES-Hochleistungs-Batterie - Acryl auf Leinwand 100 x 210cm 5 Martin Duschek 6 Elektroauto mit ESES-Batterien dürfen nicht mehr wie Benzin-Karossen aussehen 7 und 8 Baukünstler Michael Prachensky: Die Gedächtnisstätte des Todesmarsches der 1500 KZ-Häftlinge durch Seefeld in den letzten Kriegstagen 1945 (Eröffnung September 2016) 9 „Pax Kosmogral“ mit einer 5.000 Besucher-Arena im aufgelassenem Steinbruch von Zirl mit dem ehemaligen Kloster St Martinsbühel entsteht hier ein besonderer Kulturbereich an einem der ältesten historischen Kreuzungsbereiche im Castell „Teriolis“ in Tirol. 10 Kristallpalast Swarovski in Wattens - Einscheibengläsern sollen umweltfreundliche 60 m hohe transparente Glasgebäude ermöglichen
MARTIN DUSCHEK lebt als freier Journalist, Autor und Inhaber einer gleichnamigen Werbeagentur in Innsbruck. Neben der Full-ServiceBetreuung von Krankenhäusern schreibt er für namhafte Medien Reise- und Wissenschaftsreportagen. presse@duschek.info
11 Greenfarm mit heizbaren Nano-Netzen im Niedervoltbereich für Weinbau, Obstplantagen
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bzw. Aqua-, Hydro- und Aeroponik Anlagen
COSMIC RAYS, PLASMA EXPLOSIONS, QUANTUM EFFECTS – MICHAEL PRACHENSKY THROWS EXPLOSIVE RED SLASHES OF COLOUR ON CANVASES TO CREATE AN EMOTIONAL UNDERSTANDING FOR A SCIENCE BEYOND OUR CURRENT IMAGINATION AND COMPREHENSION. THE ARCHITECT, ARTIST, VISIONARY, AND INTRANSIGENT THINKER CONSIDERS HIS CREATIVE PROCESS AS THE QUICKEST AND MOST EFFECTIVE INTERPRETATION OF A COMPLICATED PROCESS – A PROCESS WHOSE RESULTS WILL CHANGE LIVES AND WORLDS.
Soon, new materials will drastically change the way we build, create and save energy or how we move from A to B in a positive ground-breaking way. If we’re to believe the vision of the architect, artist, and unusual thinker from Tyrol, Michael Prachensky, and his partners at Trans-Tech GmbH & Co KG, then the industrialisation of polymer-fullerene is just around the corner. This nanotechnological carbon material features traits which would make even Harry Potter drop his wand in surprise! Light ESES (Environmentally Sound Energy Storage) batteries will provide electricity to entire housing grids or help e-cars clock thousands of kilometres without employing rare metals such as lithium or environmentally-damaging acids. Razor-thin, highly stable glass panel elements will change colour and transparency with the help of the polymers, turn into infrared low voltage heating tools or create all types of storable electricity using electromagnetic waves. ‘Beyond current deconstructivism’ ‘If we give up insulation, heat insulation, insulation layers, and superficial protection like galvanisation and use trailblazing static traits at the same time, then fragile buildings beyond our wildest dreams of current deconstructivism will become reality,’ prophesises Prachensky and sees in architecture, his original profession, an area reflecting the ideal prerequisites for the first implementation of polymer-fullerene. Prototypes have already been tested
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and implemented whose immense potential is being continually confirmed by Professor Erich Gornik, PhD, from the Technical University of Vienna. Prachensky, partner and supervisor of the international research team, considers his a two-fold role. As an innovative thinker, he recognises, develops, and describes the framework surrounding these technologies: the effects of decentralised electric production and savings potential are, for example, barely discernible at the moment. Mega power plants, electric grids, overhead lines as well as using fossil fuels and all relevant infrastructure including petrol stations, gas pipes, oil refineries and drilling would become superfluous; even international structures and the wellbeing of countries would shift due to micro power plants and plasma reactors. Moreover, we’d have to recognise the need for new international and alternative traffic and urban planning projects leading the way into the future.’ ‘My interdisciplinary thoughts unite science, research, architecture, and art.’ The second task of the visionary from Tirol is to help people outside scientific circles understand the abovementioned science. Contrary to the classic concepts of mechanics and electricity which can be pictured as courses of water, these new technologies don’t align themselves to people’s imagination as we lack everyday experiences which can explain them. Quantum physics processes are, indeed, on everyone’s lips, however they oppose regular human understanding. That’s why we need to find another way of creating an emotional and visual comprehension to reach people, says Prachensky. In his most recent and extremely powerful large-format works he thematises energetic discharges in plasma reactors, cosmic rays, fragile (still) unthinkable buildings, amorphous glass temples, and energy in general. The works always feature a powerful red splash of colour, a red that Prachensky says is part of his family history and has a nearly transversal effect across generations, even if it’s used in completely different contexts. Art in Prachensky turns into a scientific language which would normally flee from human understanding and imagination and, consequently, flee from a deeper understanding of science itself. ‘I want to help people see these new technologies, help them touch and feel them. This is where my interdisciplinary approach works: science, research, architecture, and art are closely connected, art is the expressive form of technology, architecture is the expressive form of art,’ says the visionary. Architecture becomes lighter, more transparent, flexible and human – current technologies can’t achieve that yet. Moreover, the ecological demands of garden, hydro, wind, and aquaponic plants are integrated in the husks of the buildings.
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Art, technology, and natural science – an artistic initial attempt at planning? We should take some time to think about the tension but also the overlap between art and science. In Michael Prachensky’s works we see an interesting example reflected by the complex balance occurring between natural science, technology, and art. In this context, such an overlap can be associated with a new, enlightened school of thought. It’s an important drive for how we think in our modern times; moreover, Michael Prachensky says it has become his philosophical duty to explain these issues through art. The artist himself considers his works as the quickest and most effective form of interpretation for the complex process in the research lab in Saint Petersburg. The explosive red represents the unfathomable process in the plasma reactor, which turn carbon atoms into completely new, unnatural, but extremely stable ordered structures. From the explosion, the chaos, the entropy one obtains a nearly divine creation process following a new order, a new material with traits whose possibilities are as of yet unknown.
Without vision there is no future ‘Science, architecture, and technology change,’ preaches Prachensky, ‘Innovation and creativity are original creative forces which belong to man, and they follow his quest for knowledge. I follow the urge to make ideas and visions comprehensible and even to implement them.’ The visionary, innovative thinker, architect, and artist calls his current theme ‘the time of its science, the science its art, the art its freedom.’ Not a casual title by far. It speaks of weaving together interdisciplinary perspectives and to develop a universal cooperation of humanistic and natural sciences with art.
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IANISCHE VI LLA IN DEN HÜGELN VO N ASOLO A VIL LA VENETA IN THE ASOLO HILLS
„(…) UND DENNOCH ÜBEN HERRSCHAFTLICHE LANDHÄUSER ODER VILLEN EINE STARKE FASZINATION AUF UNS AUS, DA SIE ÜBER DIE JAHRHUNDERTE HINWEG ZUR VERKÖRPERUNG DER STANDPUNKTE UND IDEEN VERSCHIEDENER KULTUREN ZUR BEZIEHUNG ZWISCHEN STADT UND LAND, NATUR UND VOM MENSCHEN GEFORMTER LANDSCHAFT, DEM FORMELLEN UND DEM INFORMELLEN GEWORDEN SIND. DIE VILLA VERLEIHT DEN UNIVERSELLEN FRAGEN DER MENSCHHEIT FORM.“ James S. Ackerman
Dies ist ein Auszug aus einem Text, den James S. Ackerman für den Katalog zur 2005 vom Centro Internazionale di Studi di Architettura Andrea Palladio in Zusammenarbeit mit dem Royal Institute of British Architects (RIBA) in Vicenza abgehaltenen Ausstellung Andrea Palladio e la villa Veneta da Petrarca a Carlo Scarpa verfasst hat. Bei der Veranstaltung handelte es sich nicht lediglich um eine Ausstellung zur Villa Veneta als eine in die Architekturgeschichte eingegangene feste Form, sondern vielmehr um eine Studie der Villa als lebender Organismus, der Jahrhunderte überlebt hat und gewissermaßen ein Sinnbild gesellschaftlicher Veränderungen ist, die ihrerseits wieder von den Auftraggebern und ihren Architekten verkörpert wurden. Die Geschichte hat uns ein Konzept der Villa als aus architektonischer Sicht epochentypisches, in die Natur eingebettetes herrschaftliches Landhaus vermittelt. Natur und Architektur sind seit jeher Teil eines Ganzen in der Definition dessen, was wir als „Landschaft“ verstehen – dies trifft besonders auf die historische Entwicklung der Villa Veneta zu, deren charakteristische Merkmale über die Zeit uns heute immer noch begegnen: Die formelle und visuelle Beziehung zur umliegenden Landschaft, unabhängig davon, ob diese eben oder hügelig ist, die Art der Ausrichtung und die so gewährte Aussicht auf die Umgebung, der monumentale Charakter der Arbeit, das eingesetzte Baumaterial, und vieles mehr. Allesamt sind Planungslösungen, die konzeptuell ähnlich aber stilistisch für ihre Zeit typisch sind. Eine moderne Villa sollte, wie auch in der Vergangenheit, etwas über uns selbst, die Architekten und ihre Auftraggeber aussagen, die gemeinsam am Land ein ideales architektonisches Modell für das Leben suchen.
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Der Grundriss eröffnet drei Bereiche: Ein großzügiger zentraler Bereich mit teilweise doppelter Höhe wird symmetrisch von zwei weiteren Zonen flankiert. Dies ist eine der heutigen Zeit und dem speziel-
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Durch die Ausrichtung nach den Konturen des Hügels erhielt das Gebäude eine symmetrische Fächerform, die durch ihre Drehung sich ständig ändernde Blickwinkel auf die Umgebung eröffnet. Die Villa hat zwei Etagen, die beide teilweise in den Hügel gebaut wurden, und deren obere nach hinten versetzt ist und so der Linie des Hügels folgt. Die Fassade weist auf beiden Ebenen eine Neigung auf, die ebenfalls jener des Hügels folgt. Das Ergebnis ist, dass die Villa unabhängig vom Blickpunkt stets mit ihrer Umgebung verschmilzt und das Auge ohne Unterbrechung der Linie des Hügels folgen kann.
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Im Herzen des Veneto zwischen Dolomiten und Adria liegt ein einzigartiges Gebiet, das im Norden vom Fluss Piave und im Süden vom Fluss Brenta begrenzt wird: Die Marca di Treviso ist ebenso alt wie wunderschön und wurde bereits um 1200 als „marca gioiosa et amorosa“ (ein fröhliches und liebliches Gebiet) beschrieben. Die alte Marca entspricht mehr oder weniger der heutigen Provinz Treviso und wurde im Zuge des bedeutenden wirtschaftlichen Wachstums der vergangenen Jahrzehnte durch den Bau zahlreicher, möglicherweise zu vieler, Handwerks- und Gewerbegebiete landschaftlich stark verändert. Dennoch behauptet sich in geradezu romantischer Beharrlichkeit die Schönheit in kleinen, alten Örtchen, die selbst kunstverständigste Reisende noch zu überraschen vermögen. Hier liegen zahlreiche Dörfer und Städtchen eingebettet in die außergewöhnliche Hügellandschaft mit ihren Olivenbäumen und Weinbergen, die von einem einzigartigen Mikroklima profitieren: Das Grappamassiv schützt das Gebiet vor den kalten Winden aus den Dolomiten, und der Monte Grappa selbst gibt mit seinem schneebedeckten Gipfel jenes besondere Licht, das die Werke von Giorgione di Castelfranco Veneto und Cima di Conegliano auszeichnet. Vor diesem herrlichen Hintergrund entstand ein besonderes Architekturprojekt: Ein verlassener Hügel wurde wiederbelebt, und Villa und Hang verschmelzen durch den Einsatz von Formen und umweltfreundliche Materialien, die sich ausgezeichnet in die Umgebung einfügen.
“(…) AND YET THE GRAND COUNTRY RESIDENCE, OR VILLA, CAPTURES OUR ATTENTION BECAUSE IT HAS, OVER THE CENTURIES, COME TO REPRESENT THE OPINIONS AND IDEAS OF A RANGE OF CULTURES ON THE RELATIONSHIP BETWEEN TOWN AND COUNTRY, BETWEEN NATURE AND NURTURE, BETWEEN THE FORMAL AND THE INFORMAL. THE VILLA GIVES SHAPE TO UNIVERSAL HUMAN QUESTIONS”. James S. Ackerman
This is an extract from a piece written by James S. Ackerman for the catalogue for the Andrea Palladio e la villa Veneta da Petrarca a Carlo Scarpa exhibition, held in 2005 in Vicenza by the Centro Internazionale di Studi di Architettura Andrea Palladio in collaboration with RIBA the Royal Institute of British Architects. This was not, then, simply an exhibition about the Villa Veneta as an object frozen in the history of architecture, but rather a study of it as a living organism surviving through the centuries to become emblematic of changes in society, themselves represented by those that commission the residences and their architects. History has provided us with a concept of the Villa as a grand country residence immersed in nature and regarded as a piece of architecture that represents its time. Nature and Architecture have always been part of a single whole in the definition of what we perceive as The Landscape, and this is particularly true in the historical evolution of the Villa Veneto from which we still see features that characterise these residences over time: the formal and visual relationship with the surrounding countryside, whether flat or hilly, the manner in which the house is laid out and the prospects of the countryside provided by this layout, the monumental character of the work, the building materials used, and much more besides. All of these are design solutions which are conceptually similar but which are stylistically representative of their times. A modern Villa should, as in the past, tell us something about ourselves, about the architects and the people who commission these residences, together seeking in the countryside an ideal architectural model for living.
len Standort angepasste Hommage an die klassische Villa von Andrea Palladio. Für den Betrachter gehen das Dach des Erdgeschosses und die Landschaft ineinander über, da der Bereich aus zwei großen, von einer Glasstruktur getrennten Terrassen besteht. Das Dach des Obergeschosses ist mit demselben Gras bepflanzt, das auf dem Hügel wächst, und geht damit nahtlos in diesen über. Die Vorderseite des Gebäudes wird von vier großen Holzbalken dominiert, die senkrecht aus dem Boden aufsteigen und in die Linie des Dachs übergehen. Sie teilen die Vorderansicht symmetrisch auf, umrahmen den Eingang und verweisen so wieder auf das traditionelle Modell der klassischen Villa mit einem soliden, dreidimensionalen Block, an dem die Fassade angebracht wird (Palladio würdigte mit dieser Technik die klassischen Tempel der Antike). Aus seitlicher Sicht wird klar, dass die Balken als Träger für die Holzplatte dienen, welche die Decke des offenen Raums im Erdgeschoss bildet. Die Holzelemente bestehen aus belastbarem Brettschichtholz, das von einem Hohlraum zur unsichtbaren Unterbringung der Abflussrohre sowie der Trägerelemente für die Außenverkleidung aus wärmebehandelter Esche umgeben ist.
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Im Geiste einer beinahe vergessenen uralten Bautradition stammt der eingesetzte Stein aus den Felsbrocken, die beim Bau des Fundaments aus dem Hügel gebrochen wurden. In der alten Kunst von Marmorschnitt und -verarbeitung gewandte Steinmetze aus dem Grappa-Gebiet formten mit Hilfe von Wassersägen die goldfarbenen Blöcke aus uraltem Gletschersediment. So entstanden Steinelemente verschiedener Größe, die anschließend händisch bearbeitet wurden, um die raue, irisierende Oberfläche zu schaffen, die innen wie außen die Wände der Villa ziert. Die Vorderseite der Villa ist mit vier motorbetriebenen Fenstern aus Stahl und Glas in voller Höhe ausgestattet, die denselben Neigungswinkel wie die Fassade aufweisen. Diese Lösung ist das Ergebnis eines besonderen Projekts des Architekten und komplexer Fertigungsverfahren eines Zusammenschlusses bekannter Fachhandwerker aus der Umgebung.
In the heart of the Veneto, between the Dolomite mountains and the sea, there is a unique area bordering with the river Piave to the north and the river Brenta to the south. This is the Marca di Treviso, an area as ancient as it is lovely, described as far back as 1200 as “marca gioiosa et amorosa” (a joyful and loving place). The historic Marca has now become, more or less, the Province of Treviso. The area has undergone significant economic growth over the last few decades, growth which has profoundly altered the landscape through the construction of many, too many perhaps, manufacturing and industrial zones. And yet, in almost romantic defiance, Beauty still holds out in small, ancient cities filled with art ready to surprise and delight even the weariest traveller. Towns and cities nestled in an extraordinary hillside landscape, planted with olive trees and vines and fed by a unique microclimate. This microclimate comes from the sheltering effect of the Grappa range which protects the area from the cold Dolomite winds. Monte Grappa itself provides the snowy peaks that bring the special light which is the defining feature of works by Giorgione di Castelfranco Veneto and Cima di Conegliano. It is against this remarkable backdrop that a unique architectural project has taken shape. A project where an abandoned hillside has been brought back to life and where the Villa and the hillside have become one through the use of shapes and materials which fully respect the surrounding landscape.
The way the building plan is laid out, following the contours of the hill, generates a symmetrical fan-shaped form which as it turns provides constantly changing prospects of the surrounding countryside. The building has two floors, both partially inserted into the hillside, the upper floor being set back so as to follow the line of the hillside. The facade of the building on both levels is then angled so it too follows the line of the hillside. The result is that from wherever the Villa is observed it blends into its surroundings, allowing the eye to travel uninterrupted along the line of the hill.
The layout of the floorplan provides for three zones made up of a large, partially double-height, central area and two zones laid out symmetrically Im Einklang mit der Idee einer lebendigen Verbindung zu den klassion either side. This is a respectful homage to the layout of a classic Andrea schen Landhäusern wurde symmetrisch zwischen den beiden mächPalladio villa, yet adapted to our time and to its particular location. To tigen mittleren Balken ein klar moderner verglaster Raum geschafthe eye the ground floor roof is permeable to the landscape as it is made fen. Zusammen mit den bodenmontierten Glaselementen sichert up of two large terraces separated by a glass structure. The second floor dieser sich über zwei Geschosse erstreckende Bereich eine ausreiroof flows uninterrupted into the hillside as it has been planted with the chende Durchflutung des Erdgeschosses mit natürlichem Licht von same grass that grows on the hill. The front of the building is dominated oben. Die Struktur aus Glas und Stahl dient als Wintergarten für die by four monumental wooden beams which rise vertically from the ground Pflanzen, die ihren Sommer auf den großen Terrassen im Schatten and fold back into the line of the roof. These elements section up the front der hölzernen Brisesoleils verbringen. Im Innenbereich finden sich of the building symmetrically and frame the entrance, once again recalling weitere Beispiele von Exzellenz im lokalen Handwerk: Sämtlichen the traditional model of the classic Villa, which presented a solid threeVerzierungen sind aus Stucco Veneziano, einer vom bekannten italidimensional block onto which a facade was attached (Palladio used this enischen Architekten Carlo Scarpa bevorzugten Technik, gefertigt. technique to pay homage to the classic temple). Seen from the side, the beDie maßgefertigten Einrichtungslösungen im Innenbereich stamams reveal themselves to be structural supports for the wooden slab which men von einer Tischlerei aus der Umgebung, während die Treppen forms the roof of the open-plan ground floor. These wooden elements are und Geländer aus Stahl und Holz in einer Fachwerkstatt angefertigt made up of load-bearing glulam beams around which there is an empty wurden. space designed to accommodate the drainpipes, which remain invisible, and also the hardware connecting the exterior cladding, made from sheets Das Gebäude entspricht hinsichtlich seines Energieverbrauchs der of heat-treated ash. Klasse A, was neben den sorgfältigen Untersuchungen zur WärmeFollowing in an almost forgotten ancient building tradition, the stone dämmung des Gebäudes auch dem zeitgemäßen, offenen Gerätehaus used throughout the project is taken from the rocks removed from the mit seiner hochmodernen dachmontierten Photovoltaikanlage zu verhillside during construction of the foundations. Stonemasons from the danken ist. Das Gerätehaus wurde eigens für die Unterbringung der local Grappa area skilled in the ancient traditions of marble cutting landwirtschaftlichen Maschinen und Geräte entworfen, die zur Pflege and working cut the large golden blocks of stone - formed from ancides alten, einst verwilderten Olivenhains gebraucht werden. Die Wieent glacial sediment - using water saws. They produced stone slabs derbelebung des Hains ist ein grundlegender Teil des Gesamtprojekts, in a range of sizes which were then hand beaten to create the raw, mit dem den Hügeln von Asolo ein Stück traditioneller Landschaft iridescent surface which adorns the walls of the villa, both inside and zurückgegeben werden soll. out. The front of the Villa presents four full-height glass and steel moto-
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The building is rated in Class A for energy consumption which is the result of careful research into the thermal insulation of the villa and of the design - by the project architect - of a contemporary-styled open-sided storage building which has a state-of-the-art PV system on its canopy roof. This building is used to house the agricultural machinery and equipment used to maintain the old olive grove which had fallen into a state of abandon. The recovery of this olive grove is a key part of the overall project and, once complete, will bring back a piece of the traditional landscape to the Asolo area.
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In keeping with the philosophy of maintaining a connection with classic country residences, a strikingly contemporary glass-enclosed area sits symmetrically between the two large central beams. On the inside, this double-height space, alongside floor-mounted glass sections, ensures that natural light from above flows down to the ground floor. This glass and steel structure is used in winter to house the plants which spend the summer on the large terraces, shaded by wooden brise soleil. The inside presents further examples of local artisanal excellence with all plastering done using
Stucco Veneziano, a technique much loved by revered architect Carlo Scarpa. The bespoke internal furnishing solutions were made by a local carpenter, while the steel and wood stairs and railings were made in a specialist workshop.
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rised windows, inclined to the same angle as the facade. This solution required a specific design project from the architect and complex manufacturing solutions from a company of internationally renowned specialist artisans based in the area.
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PAOLA CATTANEO ist eine italienische Architektin und Mitglied des Architects Registration Board UK (ARB) sowie des Royal Institute of British Architects (RIBA). Cattaneo ist auf zeitgenössische Projekte und deren Anpassung an ihre jeweilige natürliche und kulturelle Umgebung spezialisiert. Seit Kurzem arbeitet sie an Infrastrukturprojekten in der Landschaftsgestaltung nach den Prinzipien der Smart City. Sie ist diplomierte Flötistin mit Abschluss am Conservatorio Venezze in Rovigo und hat ein technisches Diplom für Akustisches Design am Institut für Akustik der Fakultät für Design, Universität Ferrara (Italien), erlangt.
INFO & CONTACT Dr. Georg Huber, LL.M. ist Partner der Innsbrucker Rechtsanwaltskanzlei Greiter Pegger Kofler & Partner. Er hat in Innsbruck und Chicago studiert und ist sowohl in Österreich als auch New York als Rechtsanwalt zugelassen. Zu seinen bevorzugten Tätigkeitsgebieten zählen unter anderem IT- und IP-Recht, wobei er sich auch immer wieder mit urheberrechtlichen Fragen befasst. Email: georg.huber@lawfirm.at, www.lawfirm.at
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RISIKEN BEI M KUNSTKAUF RISKS WHEN BUYING ART There’s an intrinsic ‘aleatory element’ when it comes to buying art. This was established by the Austrian Supreme Court (OGH) already back in 1929. At the time, a plaintiff purchased a violin, which had allegedly been crafted by the famous Absam luthier, Jacobus Stainer (17th century), off an antiques dealer for 1,200 dollars. However, it then emerged the violin was a less valuable model made by Egidi Klotz II. The plaintiff wanted to reverse the transaction, but had to enter legal proceedings.
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Der Buddha aus der Sui-Dynastie wird zur billigen Kopie Dem Kunstkauf wohnt ein „aleatorisches Element“ inne. Das hat der Oberste Gerichtshof (OGH) bereits 1929 festgestellt. Damals kaufte der spätere Kläger von einem Antiquitätenhändler eine Geige um 1.200 Dollar, die vom berühmten Absamer Geigenbauer Jakobus Stainer (17. Jhd.) stammen sollte. Später stellte sich jedoch heraus, dass es eine weniger wertvolle Geige des Egidi Klotz II war. Der Kläger begehrte die Rückabwicklung, unterlag aber im Rechtsstreit. Der Fall liegt bereits Jahrzehnte zurück, trotzdem ist die Problematik aktueller denn je. Häufig zahlen Käufer für vermeintlich echte Kunstwerke einen hohen Preis und können diesen später nicht mehr rückverlangen. Im Wesentlichen geht es immer darum, wer das Risiko einer Fälschung trägt. Wenn der Verkäufer von der Fälschung wusste, diesen Umstand aber arglistig verschwieg, kann der Kaufvertrag 30 Jahre lang angefochten werden. Gewährleistungsansprüche und die Irrtumsanfechtung stehen dem Käufer auch dann offen, wenn der Verkäufer die Echtheit zusagte. Hier gelten aber relativ kurze Fristen von 2 bzw. 3 Jahren.
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Ein Auktionshaus aus Lindau hat etwa im Jahr 2009 eine BuddhaStatue als aus der Sui-Dynastie (581-618) stammend beschrieben. Gleichzeitig wurde in den Versteigerungsbedingungen die Haftung und Gewährleistung ausgeschlossen. Der Kläger erwarb die Statue, die sich später als Fälschung herausstellte, um € 20.295,-. Der deutsche Bundesgerichtshof gab der Klage statt, da die Versteigerungsbedingungen in diesem konkreten Fall unwirksam und das Alter aufgrund der Beschreibung eine zugesagte Eigenschaft der Staute sei. Schwieriger zu beurteilen sind jene Fälle, in denen sowohl der Verkäufer als auch der Käufer von der Echtheit des Kunstwerkes ausgingen und die Echtheit nicht zugesagt wurde. Es bieten sich zwei Lösungsansätze an: Entweder kann man auf den Grundsatz der Ausgewogenheit der Leistungen oder aber auf die Eigenverantwortung der Vertragsparteien abstellen. Im ersten Fall trägt der Verkäufer das Risiko, im zweiten Fall der Käufer. Im Stainer-Geigen Fall hat sich der OGH für die Eigenverantwortung entschieden. Das ist aber nicht immer so und variiert auch von Land zu Land. In Österreich und Frankreich etwa kann der Käufer einen Vertrag wegen eines auffälligen Missverhältnisses von Wert und Kaufpreis unter bestimmten Umständen rückgängig machen (laesio enormis).
While the case is many decades behind us now, the inherent issue is more current than ever. Often purchasers pay a princely sum for apparently genuine artefacts only to then discover they can’t demand their money back. Essentially, it’s always all about who takes the risk when forgeries are involved. If the dealer knows of the object’s forged nature but cunningly kept quiet about it, the bill of sale can be contested for as long as 30 years. Warranty claims and avoidance on account of mistakes can be used by the purchaser if the dealer assured the item’s true provenance. However, in this case, we’re talking about relatively brief periods of time, from 2 to 3 years. In 2009, an auction house in Lindau described a Buddha statue as originating from the Sui dynasty (581-618). At the same time, liability and warranty were excluded from the auction conditions. The plaintiff purchased the statue, which at a later stage turned out to be a forgery, for €20,295. The German Federal Supreme Court of Justice sustained the lawsuit, as the auction conditions in this specific case were ineffective and the age of the statue, due to its description, was earmarked as a trait the original statue would have had.
Cases which are more difficult to assess are those where both the dealer and purchaser were convinced of the genuine nature of the work of art and its provenance was not assured. There are two possible solutions: focus on the principle of balance of the services or on the personal responsibility of the parties in the contract. In the first instance, the dealer takes on the risk, in the second case the purchaser. In the Stainer violin case the OGH issued a decision based on the parties’ personal responsibility. That’s not always the case and can vary from country to country. In Austria and France, for instance, in certain circumstances the purchaser can rescind the agreement due to a conspicuous disproportion between the sale price and its actual value (laesio enormis). 1 Schnecke einer Stainer Kopie, Quelle: Wikimedia Commons 2 Buddha, Sui or early Tang dynasty, late 6th or early 7th century AD, hemp cloth, lacquer, wood, metal wire, and glass with traces of pigment and gilding, Quelle: Wikimedia Commons 3 Georg Huber
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Ihr Anliegen wird zu unserem. Individuelle juristische Beratung und Vertretung. Seit 1897.
Maria-Theresien-StraĂ&#x;e 24, 6020 Innsbruck, Austria | +43 512 57 18 11 | office@lawfirm.at | www.lawfirm.at
DAS 21ER HAUS ZEIGT BIS 23. APRIL 2017 IN DER AUSSTELLUNG FRANZ WEST – ARTISTCLUB ZENTRALE ARBEITEN DES BEDEUTENDEN ÖSTERREICHISCHEN KÜNSTLERS FRANZ WEST (1947-2012). DIE AUSGESTELLTEN WERKE VON 36 KÜNSTLERINNEN UND KÜNSTLERN SIND ALLE IN KOOPERATION MIT FRANZ WEST ENTSTANDEN. DER SOGENANNTE ARTISTCLUB IST EIN PARTIZIPATIVES PROJEKT VON WEST AUS DEM JAHRE 1999.
Zu Lebzeiten des Künstlers konnte er nie in gewünschter Form umgesetzt werden, nun wird er als kuratorische Idee im Sinne einer interaktiven Ausstellung erfahrbar. Die Besucher sind dazu eingeladen, selbst Teil des Kunstwerks zu werden. In Wests Kunstschaffen spielen die Partizipation des Betrachters und die Kollaboration mit anderen Künstlern eine zentrale Rolle. Das Verhältnis zwischen dem Künstler, der künstlerischen Arbeit und dem Rezipienten wird von ihm stets hinterfragt. Die Ausstellung reflektiert Wests Auffassung von Kunst als zugänglichen Akt, sein Konzept der Einbindung unterschiedlicher künstlerischer Positionen sowie seinen damit in Zusammenhang stehenden Begriff der Autorschaft. „Franz West war unter den Kunstschaffenden in Österreich eine Ausnahmeerscheinung. Sein Prinzip der Zusammenarbeit mit anderen Künstlern und der Teilhabe der Kunstbetrachter ist bis heute einzigartig. Die Ausstellung im 21er Haus folgt seinem künstlerischen Ansatz und wurde dank der Unterstützung vieler Weggefährten des verstorbenen Künstlers möglich. So kehrt Franz West nach zwanzig Jahren an den Ort seiner großen Personale Proforma zurück,“ so Dr. Agnes Husslein-Arco, Direktorin des Belvedere und 21er Haus. Das 21er Haus lässt mit der Ausstellung Wests Konzept vom ARTISTCLUB wieder aufleben. Der Besucher ist in der Ausstellung im 21er Haus im Sinne von Franz West dazu aufgerufen, mit den Objekten zu interagieren und unter anderem auf den Sitzgelegenheiten Platz zu nehmen. „Die Idee des ARTISTCLUB von Franz West als postkonzeptuelles Kunstwerk liefert den kuratorischen Rahmen zum großen Thema der künstlerischen Kollaboration und der Komplizenschaft bei Franz West. Dies lässt die Ausstellung zu einem partizipativen Ereignis werden. So wissen auch wir nicht, was der ARTISTCLUB in unserer Ausstellung alles zutage fördern wird. Es bleibt spannend – so wie man es von Franz West immer gewohnt war“, so Harald Krejci, Chefkurator des 21er Haus.
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1947 in Wien geboren, entdeckte Franz West bereits in seiner Jugend die Leidenschaft für die Kunstwelt. Er verschaffte sich Einblick in internationale Kunstbewegungen und pflegte Kontakte zur Intellektuellenszene Wiens. Die intensive Lektüre und Reflexion philosophischer Schriften wirkte sich zeitlebens entscheidend auf Wests künstlerisches Schaffen aus. 1970 begann West spontan und autodidaktisch mit seiner eigenen Kunstproduktion. Nach kleinformatigen Papierarbeiten entstanden ab Mitte der 1970er-Jahre die ersten sogenannten Passstücke. Diese dienen als plastische Erweiterungen des menschlichen Körpers und machen den Betrachter zum elementaren Bestandteil des Gesamtkunstwerks. Auch die berühmten Sitzmöbel sowie die großformatigen Außenskulpturen Wests basieren auf dem Grundsatz der Partizipation. Sein Werkbegriff ist durch wandelbare Bedeutungs- und Beziehungsgefüge definiert. Anders als bei einem gänzlich autonom gedachten Werk sollen keine endgültigen Antworten formuliert werden. Wests Skulpturen und Installationen offerieren stets die Möglichkeit für einen Dialog mit dem Besucher, sowohl auf physisch erlebbarer als auch auf intellektueller Ebene. Wests offener Werkbegriff, der mit den Passstücken seinen Anfang nahm, fand konsequente Erweiterung in der Relativierung der Bedeutung der Autorschaft. Durch Mitautorschaft und Kollaboration sowie durch das Wiederaufgreifen von Werken aus diversen Schaffensphasen und die Einbeziehung von Arbeiten anderer Künstlerinnen und Künstler führte West ein subversives, oftmals auch humorvolles Spiel mit der Autorschaft von Kunstwerken. Wests Werke sind Elemente künstlerischer Interaktion. Ziel der Ausstellung im 21er Haus ist, die unterschiedlichen Szenarien seiner Vorgehensweisen aufzuzeigen und zu untersuchen. In diesem Zusammenhang ist auf die äußerst bedeutende Arbeit Extroversion hinzuweisen, die West für die Biennale di Venezia 2011 konzipierte. West stülpte für die Installation die Wände der Küche seines Ateliers quasi um. Die darin enthaltenen 43 künstlerischen Arbeiten von Freunden, Künstlerkollegen und Mitarbeitern traten so nach außen. Sie behielten ihre Autonomie, wurden aber zugleich Teil eines großen, komplexen Kunstwerks.
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1 Portraitfoto Franz West, © Peter Rigaud, Agentur Shotview Berlin 2 Franz West – Anselm Reyle, Stolen Fantasy, 2011, Courtesy Anselm Reyle und Verlassenschaft nach Franz West, Ausstellungsansicht Franz West - ARTISTCLUB, 2016, Foto: © Belvedere, Wien, © Archiv Franz West 3 Franz West – Douglas Gordon, Every, Little, 2003, Franz West Privatstiftung,
Die Ausstellung zeigt Franz West gemeinsam mit Bizhan Bassiri, Elisabetta Benassi, Songül Boyraz, Jean-Marc Bustamante, Plamen Dejanoff & Svetlana Heger, Mathis Esterhazy, Marina Faust, Marco Fedele di Catrano, Urs Fischer, Herbert Flois, Gelatin, Douglas Gordon, Heiri Häfliger, Richard Hoeck, Peter Höll, Franz Kapfer, Mike Kelley, Leopold Kessler, Roland Kollnitz, Anita Leisz, Sarah Lucas, Otto Muehl, Albert Oehlen, Michelangelo Pistoletto, Rudolf Polanszky, Andreas Reiter Raabe, Anselm Reyle, Tamuna Sirbiladze, Josh Smith, Johann Szenizcei, Octavian Trauttmansdorff, Zlatan Vukosavljevic, Hans Weigand, Erwin Wurm, Heimo Zobernig.
Ausstellungsansicht Franz West – ARTISTCLUB, 2016, Foto: © Belvedere, Wien, © Archiv Franz West Diwane: Metall, Schaumstoff, Leinen Diwane: 92 x 236 x 82 cm; 92 x 236 x 84 cm Gesamtinstallation: Maße variabel 4 Franz West – et al., Extroversion, 2011, Franz West Privatstiftung, Ausstellungsansicht Franz West – ARTISTCLUB, 2016, Foto: © Belvedere, Wien, © Archiv Franz West
Installation bestehend aus 43 Kunstwerken von Franz West und Assistenten, Kunstfreunden und Kollegen Diverse Materialien ca. 345 × 800 × 900 cm (mit hängenden und stehenden Objekten)
5 Ausstellungsansicht „Franz West - ARTISTCLUB“, Foto: © Belvedere, Wien, 2016, © Archiv Franz West
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UNTIL APRIL 23, 2017, THE 21ER HAUS WILL PRESENT CENTRAL WORKS BY THE AUSTRIAN ARTIST FRANZ WEST (1947–2012) IN AN EXHIBITION ENTITLED FRANZ WEST – ARTISTCLUB. THE WORKS ON VIEW WERE MADE BY 36 DIFFERENT ARTISTS IN COLLABORATION WITH FRANZ WEST. THE SO-CALLED ARTISTCLUB BEGAN AS A PARTICIPATORY PROJECT STARTED BY WEST IN 1999.
Even though it did not achieve its desired form while the artist was alive, here it can be experienced as a curatorial idea. Viewer participation and the collaboration with other artists play a central role in West’s artistic practice. He continually challenged the relationship between the artist, the artistic work, and the recipient in a radical way. The exhibition aims to reflect West’s concepts of art as a participatory act, the inclusion of various artistic positions via the process of collaboration, and the associated idea of authorship. Born in Vienna in 1947, Franz West discovered his passion for the art world early on in his youth. He gained insight into international art movements and maintained constant contact with Vienna’s intellectual scene. His intensive pursuit of and reflection upon philosophical writings throughout his life had a crucial impact on his artistic work. Spontaneous and self-educated, West started his artistic production in 1970. His initial works, small and on paper, were followed by his first so-called Adaptives (Passstücke), that emerged in the 1970s. These functioned as sculptural extensions of the human body that turned the viewer into an integral part of each artwork. West’s prominent pieces of seating furniture and his large-scale outdoor sculptures were based on his principle of participation. His work concept was defined by structures that were transformable, perceptual, and relational. As opposed to works conceived of as fully independent, his work avoided formulating any definite answers. West’s sculptures and installations always offer the visitor the opportunity to engage in a dialogue, and are read on both a physical and an intellectual level. Beginning with his Adaptives (Passstücke), West’s open work concept is played out in his modification of the meaning of authority. Through co-authorship and collaboration as well as through the re-launching of works from various creative phases and involvement by other artists, West introduced a subversive and often humorous form of play with the way authorship is attributed to artworks. This 21er Haus exhibition aims to display and investigate the different scenarios by which this play manifested itself. With this in mind, it is important to note another significant work by West, named Extroversion, that was conceived for the 2011 Biennale di Venezia. In this work, West practically turned the walls of his studio kitchen inside out. Made by friends, colleagues, and co-workers, it involves 43 different artistic works that similarly upend themselves. While retaining their autonomy, they also come together to form a larger, more complex work of art. In addition to the typical conceptual displacement between work and the author, Extroversion also introduces a new and exciting aspect of West’s experience and treatment of space and architecture. The work itself, therefore, forms the starting point for an additional focus of the exhibition, one that concretely explores his approach toward space and architecture. The exhibition shows Franz West together with Bizhan Bassiri, Elisabetta Benassi, Songül Boyraz, Jean-Marc Bustamante, Plamen Dejanoff & Svetlana Heger, Mathis Esterhazy, Marina Faust, Marco Fedele di Catrano, Urs Fischer, Herbert Flois, Gelitin, Douglas Gordon, Heiri Häfliger, Richard Hoeck, Peter Höll, Franz Kapfer, Mike Kelley, Leopold Kessler, Roland Kollnitz, Anita Leisz, Sarah Lucas, Otto Muehl, Albert Oehlen, Michelangelo Pistoletto, Rudolf Polanszky, Andreas Reiter Raabe, Anselm Reyle, Tamuna Sirbiladze, Josh Smith, Johann Szenizcei, Octavian Trauttmansdorff, Zlatan Vukosavljevic, Hans Weigand, Erwin Wurm, Heimo Zobernig.
(Decke Salammbô) und Galerie Bärbel Grässlin, Frankfurt a. M., Ausstellungsansicht Franz West – ARTISTCLUB, 2016, Foto: © Belvedere, Wien, © Archiv Franz West Bett/Liege: Metall, 4 Rollen, Matratze, Leinen, Decke Salammbô Gemälde Ohne Titel
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6 Franz West – Rudolf Polanszky, Siesta, 2003, Courtesy Franz West Privatstiftung
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21er Haus – Museum für zeitgenössische Kunst Quartier Belvedere / Arsenalstraße 1 / 1030 Wien Öffnungszeiten Mi: 11 – 21 Uhr / Do – So: 11 – 18 Uhr / An Feiertagen geöffnet Kontakt: +43 1 795 57 770 / public@21erhaus.at / www.21erhaus.at ................................................................................................
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Gesamtinstallation: Maße variabel
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(1990) von Rudolf Polanszky: Acryl, Plastik auf Leinwand Gemälde: 197 × 146 cm,
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DIE KONZEP
TIONELLE A
THE CONCE PTUAL
RCHITEKTUR
ARCHITECTU
WERK
DES
KÜNSTLERS, INSBESONDERE DIE WECHSELWIRKUNG ZWISCHEN
AKTION
UND
ARCHITEKTUR UND ZEIGT EINEN ÜBERBLICK VON DEN 1960ER JAHREN BIS HEUTE.
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das neue theater hat alle grenzen gesprengt, es gibt kein theatergebäude mehr, keine bühne, keine bühnenbilder, keine schauspieler, keine sitzreihen, der schauspieler wird zum spielteilnehmer. der vollzug der welt, des seins, wird zum ereignis, zum theaterereignis. wozu also ein theatergebäude? trotzdem, im sinne des gesamtkunstwerkes ließ mich der gedanke nie los, einen tempel, eine riesige theateranlage zu bauen, ja sogar unterirdische städte für theatralische geschehnisse zu entwerfen. ich wollte theateranlagen bauen, die dem sinnlichen prunk des aktionstheaters rechnung tragen. vielleicht gab es auch die sehnsucht für mein theater einen gralstempel zu bauen. die sakralisierende dem säkularisierenden entgegen wirkende grundsätzliche tendenz meiner arbeit ist nie müde geworden, einen tempel für alle heiligen handlungen meines theaters zu entwerfen. selbst wenn diese vorgänge in ihrer tiefsten profanen istigkeit ihre grundsätzliche dem ritual und kult entbundene metaphysische wirklichkeit gefunden haben.
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der analytische abstieg in unbewußte vegetative bereiche, den meine aktionen anstreben, hat nun seine tatsächliche entsprechung durch räumliche, architektonische gegebenheiten. es wird in erdhöhlen, in katakomben, in grabkammern hinabgestiegen. beim zeichnen der theateranlage merkte ich sehr bald, dass eine wechselbeziehung zwischen aktion und architektur entstand. die jeweilige art der aktionen beanspruchte eine bestimmte beschaffenheit von räumen, und umgekehrt verlangten verschiedene räume und gänge bestimmte aktionen. die beiden medien architektur und aktion beeinflussten einander, forderten einander heraus. 1
»o.T.« aus Mappe I, »Die Architektur des Orgien Mysterien Theaters«, Lithografie auf Büttenpapier, 105,5 x 74 cm, Auflage A/P, 1984-87
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»o.T.« aus Mappe III, »Die Architektur des Orgien Mysterien Theaters«, Lithografie auf Büttenpapier, 106 x 75 cm, Auflage III 25/35, 1984-92
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»o.T.« aus Mappe III, »Die Architektur des Orgien Mysterien Theaters«, Lithografie auf Büttenpapier, 106 x 75 cm, Probedruck, 1984-92
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Portrait Hermann Nitsch – © Simon Harsent, New York
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Ausstellungsansicht, Nitsch Foundation Wien
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ungefähr mitte der sechziger jahre als sich mein partitursystem entwickelte und festigte, eine eigene notenschrift entstand, begann ich angeregt durch meine kollegen pichler, hollein, abraham und durch
»UTOPIE«
einige entwürfe der landart architekturskizzen zu zeichnen. das meiste der gegenwartsarchitektur war mir ein greuel, so war es mir ein anliegen meine architektur unter der erde anzusiedeln, anzubauen. wir graben uns in die eingeweide der erde. ich begann damit die räume, in welchen sich mein „6-tage-spiel“ ereignen soll, selbst zu entwerfen. ich plane in prinzendorf an der zaya für alle aktionen, die nicht im freien und nicht in den räumen des schlosses durchgeführt werden, ein unterirdisches theater zu bauen. die uterale dunkelheit von unterirdischen gängen und raumanlagen, wie überhaupt das geborgene vegetative leben im lichtlosen mutterleib übt auf mich eine große anziehungskraft aus. im unterreich, im grab, in der erde ereignet sich der keimende todesschlaf.
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»o.T.« aus Mappe »Frühe Architekturzeichnungen«, Offset Lithografie, 50 x 35 cm, Auflage A/P, 2007
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Einladung »o.T.« aus Mappe I, »Die Architektur des Orgien Mysterien Theaters«, Lithografie auf Büttenpapier, 105,5 x 74 cm, Auflage A/P, 1984-87
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the new theatre has broken through all boundaries, there is no longer a theatre building, no stage, no stage sets, no actors, no rows of seats, the actor is now a participator in a play. performatively consummating the world, being, is turned into an event, a theatre event. who needs a theatre building?
the analytical descent into unconscious vegetative areas which my action performances aspire to, now has its actual correspondence in spatial, architectonic realities. descending into caverns, catacombs, burial chambers. while drawing the theatre installations i quickly noticed that an interrelationship between performance action and architecture arose. the respective
NITSCH FOUNDATION Hegelgasse 5, A-1010 Wien, Tel.: +43 1 513 55 30, Fax: +43 1 513 55 30 – 13, office@nitsch-foundation.com, www.nitsch-foundation.com Öffnungszeiten: Dienstag – Freitag 11:00 - 18:00 Uhr, Eintritt frei. Ausstellungsdauer: bis 30. April 2017 ................................................................................................
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we delve into the very bowels of the earth. i began to design the spaces in which my six-day-play was to occur. in prinzendorf an der zaya i plan to build a subterranean theatre for all the actions which are not performed outdoors and not in the rooms of the castle. the uteral darkness of subterranean passageways and spaces, as generally the secure vegetative life in lightless womb, has a great gravitational pull for me. in the subkingdom, in the tomb, in the earth is where the germinating sleep of death occurs.
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around the mid 1960s, as my score system gestated and became cemented and a unique notation arose, inspired by my colleagues pichler, hollein, abraham, and drafting my own land art ideas, i began to draw architectural sketches. i loathed most of contemporary architecture, so it was my wish to locate and complete my architecture under the ground.
my action performances demand the most extreme sensuousness. turning psychological and physical realities inside out is the leitmotif of the o.m. theatre, contemplating the soggy bloody inner organs occurs constantly. guts and entrails are exposed, the vegetative-creaturely incarnated event of our species is demonstrated constantly. in this sense organic forms flow repeatedly into my architecture drawings. the whole, all developmental stages of the nature-event that is the human being, is to flow symbolically into in this mushrooming architecture. time and again therefore structures of entrails, kidney and liver forms, human and botanical forms of organs. the mannerist extension of my theatre project makes it conceivable that my action performances occur in an architecture through which not only the single organs but the whole human body is reconfigured into spaces. that which is initially somewhat abstractly turned into organ formations ends up leading to the situation that i now actually create architectonic figures which objectively reproduce whole bodies or refer to them. drawings, like the last supper, or the entombment, are architecture drawings based on representational role models.
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nevertheless, in the sense of the synthesis of the arts the idea has never let go of me to build a temple, a giant theatre installation, nay even more, to create whole subterranean cities for theatrical happenings. i wanted to build theatre installations which would do justice to the sensual pageantry of the action theatre. perhaps there was also the yearning to build a grail temple for my theatre. the fundamental sacralising tendency of my work, countering secularising, has never grown weary with creating a temple for all the holy actions of my theatre. even if these instances in their deepest profane isness have found their fundamental metaphysical reality, absolved from ritual and cult.
character of the action performances demanded a specific character for the spaces, and conversely, the different spaces and passageways called for specific actions. the media of architecture and action performance have an effect on one another, they provoke one another.
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EINE SYMBIO BUSINESS, K S E UNST UND K AUS U MEC – NEUE L T UR S M E E T I NG & EVEN IM HOTEL T S BY SHERAT CENTER ON BOZEN
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A SYMBIOSIS OF BUSINES S , A RT A N D DESIGN
BEREITS SEIT SEINER ERÖFFNUNG SETZT DAS HOTEL FOUR POINTS BY SHERATON IN BOZEN AUF DIE ERLEBNISDIMENSIONEN KUNST & DESIGN. EINE UMFANGREICHE SAMMLUNG ZEITGENÖSSISCHER KUNST MIT WERKEN VON FRIEDRICH BIEDERMANN, ARNOLD MARIO DALL’O, ROBERT PAN, JASMINE DEPORTA, PATRICK RAMPELOTTO, SYLVIA PICHLER UND THOMAS ZANON LARCHER PRÄSENTIERT SICH EINDRUCKSVOLL IN ZIMMERN, SUITEN UND ÖFFENTLICHEN BEREICHEN. ES IST KEIN GEHEIMNIS, DASS DIE GELUNGENE SYMBIOSE AUS BUSINESS, KUNST & DESIGN IN DIESEM HAUS EIN FASZINIEREND KREATIVES AMBIENTE SCHAFFT.
Erst kürzlich wurde direkt im Hotel das MEC - Meeting & Event Center eröffnet. Meetings, Konferenzen, Events und Business werden hier am Puls der Zeit gelebt und professionell organisiert. Das MEC bietet 14 individuell konfigurierbare, moderne und hochtechnologische Säle mit über 1800 m 2 Fläche, einem Big Room mit einer Kapazität von bis zu 1000 Gästen sowie einem Full-Service Banqueting Team. “Das MEC stellt in unseren Augen eine große Chance für ganz Südtirol dar. Es ist nun möglich internationale Events und Kongresse in einer modernen Struktur mit Full Service Angeboten zu beherbergen. Die Schlüsselwörter dabei sind Flexibilität, Innovation und Professionalität“, meint Isidoro Di Franco, Direktor des Hotel Four Points by Sheraton. Der Big Room “Ortler-Ortles” besticht durch eine farblich vollständig individualisierbare Atmosphäre, eine bis zu 10m breite Bühne, eine Projektionsfläche von über 8m, einen Beamer mit 20000 Ansilumen Leuchtkraft und ein Audiosystem der Marke „Bose“, welches KonzertFeeling schafft. Abgerundet wird das Angebot durch Regieraum, zwei Simultan Übersetzerkabinen, Backstage-Bereich und angebundener Küche für Gala-Dinner und Events.
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Das Networking Foyer im ersten Stock und im Erdgeschoss bietet eine eigene Bar, einen Zugang zum Open Air Bereich der Messe Bozen, und eine Terrasse im ersten Stock. Natürlich darf auch dort die künstlerische Note nicht fehlen. ARNOLD MARIO DALL’O hat sich etwas ganz Besonderes einfallen lassen: Höhenlinien erstrecken sich über die gesamte Wand im Foyer. Eine zeitgenössische Interpretation der weltbekannten Südtiroler Bergwelt, die sich stimmig zum Gesamtkonzept auch in der Namensgebung der einzelnen Räumlichkeiten wiederfindet: Ortler, Schlern, Drei Zinnen. Der Künstler Arnold Mario Dall’O, Schüler von Emilio Vedova an der Kunstakademie in Venedig, wo er Bildhauerei, Video und Design studiert hat, versteht es, die zeitgenössische Gesellschaft durch das Zusammenführen ihrer Ikonen kritisch und mit einem hohen Maß an Ironie unter die Lupe zu nehmen. Seine Werke schöpfen aus dem reichen kulturellen Erbe Italiens und bedienen sich dabei an Symbolen und Emblemen des christlichen Abendlandes genauso wie an der modernen Popkultur.
MEC Das Hotel Four Points by Sheraton besticht durch internationale Service Standards, einem vollständig individualisierbaren Banqueting-Angebot, Live Cooking und nachhaltigen Green Event Optionen.
Hotel Four Points by Sheraton Bruno Buozzi Straße 35, 39100 Bozen Tel. 0471 1950000 E-Mail: info@fourpointsbolzano.it www.fourpointsbolzano.it 5
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EVER SINCE ITS OPENING, THE FOUR POINTS HOTEL BY SHERATON IN BOLZANO HAS RELIED ON THE EXPERIENCE DIMENSIONS OF ART & DESIGN. A COMPREHENSIVE COLLECTION OF CONTEMPORARY ART WITH WORKS BY FRIEDRICH BIEDERMANN, ARNOLD MARIO DALL’O, ROBERT PAN, JASMINE DEPORTA, PATRICK RAMPELOTTO, SYLVIA PICHLER AND THOMAS ZANON LARCHER IS PRESENTED IMPRESSIVELY IN ROOMS, SUITES AND PUBLIC AREAS. IT’S NO SECRET THAT THIS SUCCESSFUL SYMBIOSIS OF BUSINESS, ART & DESIGN ACCOMPLISHES A FASCINATING, CREATIVE AMBIENCE IN THIS HOTEL.
Recently, the MEC - Meeting & Event Center - was opened at the hotel. Meetings, conferences, events and business happen in touch with the latest trends, professionally organised. The MEC offers 14 individually configurable, modern, high-tech rooms with an area of over 1800 m2, a Big Room with a capacity of up to 1000 guests and a full service banqueting team.
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‚The MEC represents a great opportunity for South Tyrol. It is now possible to host international events and congresses in a modern structure with full service offers. The key words are flexibility, innovation and professionalism,‘ says Isidoro Di Franco, director of the Four Points by Sheraton Bolzano.
The “Ortler-Ortles” Big Room is captivating, with an atmosphere that can be completely individualised in terms of colour, a stage up to 10m wide, a projection area of more than 8m, a projector with Ansilumen light output and an audiosystem by “Bose” which creates a concert feeling. The facilities are rounded off by a control room, two booths for simultaneous interpretation, a backstage area and a connected kitchen for Gala dinners and events.
von Arnold Mario Dall‘O 2 Eingangsbereich MEC 3 Big Room „Ortler-Ortles“ mit farblich individualisierbarer Atmosphäre 4 Bar im Foyer 5 Networking Foyer mit Lounge-Bestuhlung
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1 Networking Foyer mit der gestaltenen Wand
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The Networking Foyers on the first floor and ground floors have their own bar, access to the Bolzano Trade Fair Open Air area, and a terrace on the first floor. Of course, this can’t do without an artistic touch. ARNOLD MARIO DALL’O had a very special idea: Contour lines stretch across the entire wall in the foyer. A contemporary interpretation of the world famous South Tyrolean mountain world which is also reflected in the names of the individual rooms, matching the overall concept: Ortler, Schlern, Drei Zinnen.
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US ZUCKER JOSEPH MAR
R SCULPTURE O F SUGAR „BEGEHREN IST DER SCHÖPFER, BEGEHREN IST DER ZERSTÖRER. OHNE BEGEHREN ZU LEBEN, BEDEUTET FREI ZU SEIN“.
Joseph Marr steht in seinem Atelier in Berlin-Neukölln zwischen all seinen leuchtend anmutigen Skulpturen aus farbiger Zuckermasse und zitiert aus einem Text des HinduMeisters Neem Karola Baba, dessen Foto an einer Wand hängt. „Ich liebe diese Person“, sagt er. Natürlich hätten seine Skulpturen mit Begehren zu tun. Doch die Lehren des Meisters von der Kunst des Loslassens seien für ihn lebenswichtig geworden. Wer einmal Marrs mehrere Meter lange Skulptur „Together“ im Berghain, Berlins bekanntestem Techno-Club, gesehen hat, würde auf den ersten Blick nicht glauben, dass dieses Werk einen spirituellen Hintergrund hat. Zwischen den schwitzenden Feiernden und bei ohrenbetäubenden Sounds findet man mehrere Figuren verführerisch erleuchtet in die lange, gläserne Theke einer der Club-Bars eingelassen: männliche, gleichsam ineinander verschmelzende Körper beim Liebesspiel, passend zur glückseliglibertären Atmosphäre des Hauses. Dass die Skulptur aus einer farbigen, halbtransparenten Glukose-Masse besteht, so dass man sie – zumindest theoretisch – auch oral genießen könnte, komplettiert ihren kecken Auftritt hier.
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Marrs Werk aber nur über seine zweifellos spektakuläre Intervention an diesem einen Ort zu definieren, wäre ein Missverständnis. Er deutet auf die beiden Figuren, mit denen die Figurenreihe im Berghain abschließt, und sagt, dass auch diese Arbeit eigentlich eine Geschichte erzählen solle, wie sich Lust in Liebe und inneres Loslassen verwandele. Eng umschlungen ruhen da zwei Körper in träumender Zweisamkeit wie eine Antithese zum wilden Treiben drumherum. Skulpturen aus farbigem Zuckerstoff beschäftigen den gebürtigen Australier bereits viel länger und unabhängig von Animationsanlässen. Seine Fähigkeit, mit seinen Figuren die Emotionen und das Begehren selbst als ein theatralischsymbolisches Spiel zu inszenieren und dabei gekonnt auf einer mitunter hauchdünnen Grenze zwischen High and Low, Affirmation und Entlarvung, Kitsch und Appropriation zu balancieren, wie es etwa ein Richard Prince oder Helmut Newton oder Jeff Koons vorgemacht haben, hat Marr zu einer eigenständigen künstlerischen Strategie weiterentwickelt. In seinem Neuköllner Hinterhof-Atelier fühlt man sich fast in die Werkstatt eines Archäologen versetzt, der in Kartons und Regalen die antiken Scherben von Ausgrabungen aufbewahrt. Die stummen Antlitze aber, die einen hier weinrot oder bonbongelb ansehen, haben nichts von edler Einfalt und stiller Größe. Sie wirken mit ihrem gefrorenen Charme surrealistischer Figurinen so gegenwärtig, dass es sich um materialisierte Traumgebilde handeln könnte. Ihr Anblick befremdet und fasziniert unweigerlich. Marr besteht darauf, dass jede Person, die hier als Skulptur erscheint, tatsächlich existiert – beginnend mit einer Ex-Freundin, die das Modell für seinen ersten Versuch mit dem Glukose-Guss darstellte: „Das sind keine Interpretationen von mir“, sagt Marr, „das sind eben ‚sie’“: Keine Re-Präsentationen, sondern Präsentationen von Menschen, wie sie sind, nur in einem anderen Medium. Bekannte, meist jedoch Zufallsbegegnungen und Kontakte aus dem Internet, die er in sein Atelier einlädt und mit einem 3 D-Scanner in einer festgelegten Pose fotografiert, was je nach Situation eine ziemlich anstrengende oder intensive Erfahrung sein kann – wie im Fall der aus Liebesszenen männlicher Körper für die Skulptur im Berghain, die Marr in der Gleichzeitigkeit von Intimität und Inszenierung als existenzielle Erfahrung beschreibt. Der auf die 3D-Scans folgende Werkprozess entspricht allerdings im Wesentlichen den Abläufen industrieller Fertigung, wie bei üblichen Werkstücken für Design- oder Ingenieurszwecke: Nach der Bearbeitung der 3D-Aufnahmen mit einem für Architektur ausgelegten Computerprogramm erstellt eine Firma anhand der Daten mit einer Spezialfräse ein Figurenmodell aus faserverstärktem Kunstholz, an dem Marr dann mit Silikon eine Gussform abnimmt. Diese lässt er im Potsdamer KatjesWerk mit Glukose-Masse füllen, die nach ihrer Aushärtung abschließend
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mit einer Klarlackschicht haltbar gemacht wird. Zwei Jahre habe er gebraucht, um das Material zu verstehen, erzählt Marr. Am Ende verleihe eben nur Glukose der Farbe diesen goldenen Schimmer, dem seine Arbeiten ihre glorios-klebrige Aura verdanken. Ursprünglich hatte er mit Malerei begonnen, als Jugendlicher von seinem Vater angeleitet, der selbst ein bemerkenswerter figurativer Maler war und ihn stets ermuntert hat. Nachdem es Joseph der Liebe wegen nach Deutschland verschlagen hatte, unternahm er 2008 einen radikalen Bruch mit seinem bis dahin eher konventionellen Malstil und widmete sich appropriativen Techniken. Seine Motive entnahm er nun den Massenmedien und dem Internet und setzte sie als Collagen aus Acrylglas mit Aluminium-Inlays oder auch als Lightbox um. Damit hatte er rasch Erfolg. Eher aus einer zufälligen Eingebung heraus kam ihm vor sechs Jahren die Idee für die skulpturalen Arbeiten – aus der zwiespältigen Erfahrung des Begehrens, das eine verführerische und verfängliche, eben „klebrige“ Seite an sich habe, wie er sagt. Womit wir wieder beim spirituellen Hintergrund wären: Die so verführerische wie gleichzeitig distanzierte Wirkung seiner Figuren entspricht vielleicht doch jener eingeübten Notwendigkeit des inneren Loslassens, einer am Ende wiedererlangten Gelassenheit, die zwischenmenschlichen Erfahrungen den Glanz gelebter Träume verleiht.
AUTHOR
CARSTEN PROBST Carsten Probst lebt als Autor in Berlin.
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tell a story: of how lust transforms into love and letting yourself completely go. Intertwined, the two bodies rest in a dreamy union offering an antithesis to the wild dancing surrounding them. Sculptures made with colourful sugar are more time-consuming for the original Australian and for reasons that have nothing do to with animation issues. His skill lies in staging emotions and desire itself using his figures as a theatrical and symbolical game; in doing so, he consciously balances on an at sometimes razor-thin border between High and Low, Affirmation und Exposure, Kitsch and Appropriation, like Richard Prince, Helmut Newton or Jeff Koons wanted to do. Marr has thus developed that concept into an independent artistic strategy.
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Step into the courtyard atelier in Neukölln and you’ll be whisked away into what has all the trappings of an archaeological storage site, home to a hoarder of ancient shards from excavation sites kept in cardboard boxes and bursting from the shelves. The mute faces however, a refraction of shifting ruby and bright yellow, don’t speak of refined naivety or silent largeness. Their frozen charm turns them into surreal, contemporary figurines: so much so they could be figments from our dreams stalking reality. Their gaze inevitably disconcerts and fascinates at the same time. Marr insists that every person he sculpted actually exists – it all started with one former girlfriend, who modelled for his first attempt with sugar. ‘These are not my interpretations,’ says Marr, ‘they’re real people.’ No re-presentations of people, rather presentations of people in their true form, just in another medium. The models are acquaintances, but mostly people he’s met during chance encounters or contacted online. They’re invited into his atelier where he then proceeds to take pictures of them as they pose using a 3D scanner; depending on the situation, the photoshoot can be an extremely taxing or intense experience, like the male sculptural love scene at the Berghain, which Marr describes as an intimate moment he staged, representing an existential experience. The working process based on the 3D scans however reflects a process we normally find in industrial production halls for design or engineering aims. After processing the 3D scans with a computer programme developed for architects, a company creates a model of reinforced artificial wooden fibre using a special mortising machine and available data. Marr then uses the model to create a silicone mould and fills it with sugar in the Katjes-Werk in Potsdam. After setting, he applies a clear lacquer layer to make the figures resistant. It took him two years to fully understand the material. Ultimately, only sugar gives that golden molten shimmer to the colours of his sculptures, creating a refulgent sticky aura.
Whoever has seen Marr’s metres-long sculpture Together at least once in Berghain, Berlin’s most well-known techno club, wouldn’t believe the claim of it being a spiritual work. Not at first glance, at least. Between the sweaty revellers and the deafening tunes in one of the bars at the club you’ll find manifold figures placed in long glass cabinets bathed in a seductive light: male bodies melting into each other, an amorous game, basking in the blissful and libertine atmosphere of the venue. Their risqué appearance is complemented by the notion that, in theory, the half-transparent colourful sugar used to mould the statues could be enjoyed with a flick of the tongue. Enjoy!
Which brings us right back to the spiritual element in his works: the tempting and at the same time distancing effect of his figures maybe reflects that well-rehearsed necessity of letting go, finding peace: all interpersonal experience which give them the glow of lived dreams.
1 Portrait Joseph Marr - @Deutsche Presse Agentur 2 „Together I“ – @Berghain Cola Pipes 3 „Vania Faces“ – @Joseph Marr 4 „Cherry Laura“ - @Joseph Marr 5 “Together II” - @Berghain Cola Sculpture
To define Marr’s work only by his doubtless spectacular intervention in the club would be a grave mistake. He points to the two figures at the end of the row in the Berghain and says that even this work should
6 “Melting Cola Sculpture” - @Joseph Marr 7 “Leila Vanitas Blackberry” - @Joseph Marr 8 Carsten Probst, Foto-Credits: privat.
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Joseph Marr stands in his atelier in Berlin Neukölln among all his resplendent and quaint colourful sugar sculptures, quoting Hindu Master Neem Karola Baba whose photo hangs from a wall. ‘I love him,’ he says. Considering his sculptures are linked to desire in one way or another, such a statement is hardly surprising. The teachings of the Master regarding the art of letting go have become vital to Marr.
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‘DESIRE IS THE CREATOR, DESIRE IS THE DESTROYER, AND TO LIVE WITHOUT DESIRE IS TO BE LIBERATED.’
He’d originally started painting as a young man under the guiding hand of his father, an impressive figurative painter who continually encouraged him. Joseph moved to Germany after falling in love and, in 2008, experienced a radical break with his conventional painting style and dedicated himself to appropriative techniques. He plucks his themes from mass media and the Internet, placing them as collages on acrylic glass with aluminium inlays or as lightboxes. He achieved immediate success. The idea to try out the sculptures came to him more by chance than anything else – from the polarising conflicting experience of desire which has, according to him, a seducing and captivating side. Sticky, as it were.
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THE BAKERY SNOWBOARD S HANDCRAFT ED IN
Grafinger Straße 6 81671 München Telefon: 0170/2781187 E-Mail: contact@ thebakerysnowboards.com Weitere Information: www.thebakerysnowboards.com
MUNICH
The Bakery Snowboards Eine kleine Snowboard Manufaktur im kreativen Herzen Münchens. Auf dem Gelände der alten Pfanni Werke, dem Kunstpark am Ostbahnhof, haben zwei passionierte Snowboarder ihre eigene Werkstatt aufgebaut und backen seit 2014 Snowboards ganz nach ihrem Geschmack. Die Macher Das sind wir, Johannes Nissen-Meyer und Michael Mardofel. Als theoretischer Physiker und Medientechniker haben wir unabhängig voneinander schnell festgestellt, dass uns der praktische und kreative Teil im Berufsleben fehlt. Seitdem gestalten wir unseren Arbeitsalltag in unserer eigenen Manufaktur selbst, lernen interessante Menschen kennen und setzen unserer Kreativität kaum noch Grenzen. Die Philosophie Wir haben natürlich den Anspruch innovative High-End Sportgeräte zu produzieren, aber uns ist auch klar, dass wir als Neueinsteiger nicht den Markt revolutionieren werden. Unsere Steckenpferde sehen wir viel mehr in den Bereichen Nachhaltigkeit, Ästhetik und Qualität. Anders als die meisten großen Produzenten bauen wir unsere Snowboards „dahoam“ und nicht in unpersönlichen Werken in China oder Dubai. Bei uns kann jeder persönlich vorbeikommen und auch selbst mit anpacken. Unser großes Ziel ist es zukünftig soweit wie möglich nur noch schnell nachwachsende und recycelte Rohstoffe zu verwenden. Das Handwerk Im Grunde genommen handelt es sich beim Ski- und Snowboardbau um das Schreinerhandwerk erweitert um den Einsatz von Faserverbundstoffen. Ein Snowboard sowie ein klassischer Ski entstehen in der Sandwichbauweise. Jeder kennt die unterste Lage, den Belag mit der fixierten Stahlkante. Darauf wird das Innenleben gelegt, das bei uns aus einem mit Glasfaser ummantelten Bambuskern besteht. Ganz oben folgt dann das edle Topsheet in Form von handverlesenen Holzfurnieren, oder einer graphisch aufbereiteten Plastikschicht. Anschließend wird das Sandwich unter Hitze in Form gepresst, oder auch „gebacken“.
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Die Kunst Neben der Kunst des Handwerks legen wir natürlich Wert auf ein besonderes Design unserer Bretter. Daher haben wir begonnen Kooperationen mit lokalen Künstlern einzugehen. So werden unsere Snowboards zur Leinwand für die Künstler. Das geht von handbemalten Einzelstücken bis zur Produktion kleiner, limitierter Serien. Aktuell arbeiten wir mit dem Künstler Sebastian Wandl vom Haus 75 in München zusammen, der uns ausgewählte Werke zur Verfügung stellt. Mit dem Innsbrucker Street Art Talent HNRX, der eines unsere Bretter auf seiner Vernissage in München ausgestellt hat, arbeiten wir ebenfalls an weiteren spannenden Projekten. Generell freuen wir uns über jeden Kontakt aus der Künstlerszene und sind offen für neue Kooperationen. Der Weg zur eigenen Manufaktur Die Idee ein Snowboard zu bauen hatte Hannes schon vor über 10 Jahren. Seitdem hat er alle verfügbaren Informationen hierzu recherchiert und gesammelt. Über ein gemeinsames Surfboard Projekt sind wir auf das Thema Snowboard Produktion gekommen und uns war schnell klar: „Das machen wir!“. Freunde und Bekannte habe uns verständlicherweise erst einmal belächelt. Erst als eine halbe Tonne Stahl für unsere selbstkonstruierte Presse vor der Haustür stand, begannen Sie unsere Vision ernst zu nehmen. So ging es weiter, über Maschinen und Rohstoffe bis hin zur eigenen Snowboard Manufaktur.
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THE BAKERY SNOWBOARDS GBR Michael Mardofel Johannes Nissen-Meyer
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VILLA ZEITLOS GMBH info@villa-zeitlos.com Gerlinde Schumacher Herzog-Friedrich-Straße 8 D-83278 Traunstein Tel.: +49 861 90 99 40 50
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VILLA DER FANTAS IE
GEHEIMNISVOLL UND VERLOCKEND IST DIE WELT DER „VILLA zeitlos“.
THE WORLD OF ‘VILLA zeitlos’ IS AN ALLURING WINK TO THE CASUAL PASSER-
IN DEN ALTEN MAUERN FINDET GERLINDE SCHUMACHER, EIN TAU-
BY BRIMMING WITH SECRETS. WITHIN THE OLD WALLS OF HER REFUGE
SENDSASSA AUS DEM PINZGAU, IHR „AUS DER ZEIT GEFALLENES“ REFU-
‘FALLEN OUT OF THE STREAM OF TIME’ SITS GERLINDE SCHUMACHER, A
GIUM, DAS FÜR SIE AUCH EINE QUELLE DER KREATIVITÄT DARSTELLT.
JACK OF ALL TRADES FROM THE PINZGAU REGION. A HOME BUT ALSO A
„ICH VERKAUFE FANTASIE, ICH GEBE EIN STÜCK VON MIR. ICH ER-
SOURCE OF INSPIRATION. ‘I SELL FANTASY, I OFFER PEOPLE A GLIMMER OF
REICHE DIE MENSCHEN PERSÖNLICH INNENDRIN, GANZ TIEF. ZEIT
MYSELF. I TALK TO PEOPLE ON AN INTIMATE LEVEL, STRIKING A CHORD
UND DAS ECHTE ZÄHLEN IN DIESEN ZEITEN! TRENDS UND MEGA-
WITHIN. TIME AND GENUINENESS COUNT IN THESE DAYS! TRENDS,
TRENDS BERÜHREN „VILLA ZEITLOS“ NICHT – AUCH KEIN LIFESTYLE.“
MEGA TRENDS, AND LIFESTYLES DON’T AFFECT ‘VILLA ZEITLOS’. ’THIS IS
SO BESCHREIBT SIE IHRE GEDANKEN, ZIELE UND GRUNDSÄTZE.
HOW SHE DESCRIBES HER THOUGHTS, GOALS, AND BASIC PRINCIPLES.
Besucher werden in den Räumen der schönen Gründerzeitvilla 1891 auf eine anregende Reise der Inspiration mitgenommen. So präsentieren sich in einer historischen Apotheken-Einrichtung von 1880 – die übrigens im Film „Das Parfum“ als Kulisse diente – wunderschöne und gleichsam wundersame Raritäten zum Verkauf.
Visitors are taken on an exciting and inspiring journey across the rooms of the villa built during the period of promoterism. Stunning and wonderful rarities on sale are staged in a historical apothecary setting from 1880 which, incidentally, was also used as a backdrop in the film ‘Perfume’. In a traditional cobbler workshop from 1906 you can still find the original tools, all types of materials, boots, and shoe lasts. The elegant Pfauenzimmer (Peacock Room) reveals a wholly new world dominated by a beautiful royal peacock wearing an opulent Venetian carnival costume (1850) a masterpiece vying for opulence and regal bearing.
Prof. Heiderose Engelhardt
Prof. Heiderose Engelhardt
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do not work anyway, should find an end in today’s throw-away society.’ A core element at ‘VILLA zeitlos’ is the extravagant and artistically prepared jewellery: parts of antlers, crown caps and precious stones, snakeskin and groundhog pelt, gold and silver meet in a playful atmosphere. You’ll never have seen anything like it before. Gerlinde Schumacher, who actually manages an interior design and space management business, highlights, ‘In here you’ll encounter a free, cheerful game mixing colours, shapes, and materials always paired with a down-to-earth practicality reflecting the available budget’.
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„Es wird einfach nicht hingenommen, dass Sachen, die nicht mehr dem Zeitgeist entsprechen oder nicht mehr funktionieren, in der heutigen Wegwerf-Gesellschaft ihr Ende finden sollen.“ Ein Schwerpunkt der „VILLA zeitlos“ ist der ebenso extravagante wie auch kunstvoll verarbeitete Schmuck: Geweihteile, Kronkorken und Edelsteine, Schlangenleder und Murmeltierfell, Gold und Silber finden scheinbar spielend zusammen. Nichts dergleichen hat man jemals zuvor gesehen. Gerlinde Schumacher, die eigentlich ein Planungsbüro für Raumgestaltung und Innenarchitektur betreibt, betont: „Bei mir ist das lustvolle freie Spiel mit Farben, Formen und Materialien immer auch mit der Bodenhaftung des vorgegebenen Budgets gepaart.“
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In einer urigen Schuster-Werkstatt von 1906 findet man noch die originalen Werkzeuge, allerhand Material, Stiefel und Schuhleisten. Ganz anders wiederum das elegante „Pfauenzimmer“, wo ein wunderschöner Königs-Pfau mit einem opulenten venezianischen Karnevals-Kostüm (1850) im Wettstreit um Pracht und Noblesse steht. In the grocer’s store from 1890 you can admire the old till, enamel Im Kramer-Laden aus dem Jahr 1890 bestaunt man die alte Registriersigns, pretty tins, overbearing sweet jars, and a plethora of objects kasse, Emaille-Schilder, schöne Blechdosen, große Zuckerl-Gläser which wouldn’t have gone amiss during your grandmother’s lifespan. und ein Warenangebot aus Großmutters Zeiten. Wo das Auge auch Fabulous ‘wacky’ objects as far as the eye can see will surprise and hinschaut: überall wird es von fabelhaften „ver-rückten“ Objekten delight you. Ancient pieces meet unique design handled with artistic überrascht. Antike Stücke begegnen einzigartigem, mit künstlerischer passion and absolute perfection. Used everyday objects are reused, Leidenschaft und handwerklicher Perfektion erschaffenem Design. made to appear unfamiliar, and thus given a new life. Stilettos turned Gebrauchte Alltagsgegenstände wurden wiederverwertet, verfremdet into wardrobe hooks, worn out inner spring grilles turned into partitions, und damit zu neuem Leben erweckt. So haben sich Stöckelschuhe old silver cutlery and crystals in staircase chandeliers or car tyres in in Garderobe-Haken, ausgediente Federkern-Roste in Raumteiler, advent wreaths. Baroque chairs are covered in silver and upholstered altes Silber-Besteck und Kristalle in Stufen-Lüster oder Autoreifen with refined pelts, a table will delight whoever sets eyes upon it for its in Adventkränze verwandelt. Barocke Stühle wurden mit Silber unusual combination of powerful buffalo horns, a glass top and white beschichtet und mit edlen Fellen bezogen, ein Tisch fasziniert in lacquer, all in shiny condition, of course. der ausgefallenen Kombination von mächtigen Büffelhörnern, einer Glasplatte und weißem Lack, Hochglanz selbstverständlich. ‘We simply don’t accept that objects not reflecting our modern times or
statement
PREDIGT ZU R KUNST: DIE HEILIGE INSPIRATION
HERE WE ARE, ONCE AGAIN, FOR THE NEXT EDITION IS LOOMING
SIE MÖGE ÜBER MICH KOMMEN, DENN SCHON WIEDER DROHT EINE NEUE AUSGA-
AND WITH IT THE SUBMISSION DEADLINE FOR A SERMON ON ART.
BE UND MIT IHR DER ABGABETERMIN FÜR
MOST OF THE TIME, I HAVE AN IDEA. AFTER ALL, I AM AN ARTIST AND
EINE PREDIGT ZUR KUNST. DABEI FÄLLT
AS SUCH PRETTY MUCH PERSONIFIED INSPIRATION. IN MY STUDIO,
MIR SONST IMMER WAS EIN, SCHLIESSLICH
I HAVE A MASSIVE FOLDER ENTITLED ‘IDEAS’. USING THAT, I COULD
BIN ICH KÜNSTLERIN UND ALS SOLCHE
BRIDGE A CREATIVE CRISIS STARTING FROM THE MIDDLE AGES. BUT
QUASI
NOT EVEN THAT CONTAINS A TOPIC FOR EDITION 1.17. INSPIRATI-
DIE
PERSONIFIZIERTE
INSPIRATI-
ON. IM ATELIER HABE ICH EINEN DICKEN,
ON ALONE IS NOT ENOUGH. IT ALSO HAS TO BE SUITABLE. THIS, IN
FETTEN ORDNER MIT DER ÜBERSCHRIFT
TURN, CONTRADICTS THE FUTILITY OF ART ITSELF: L‘ART POUR L‘ART.
IDEEN, DARAUS KÖNNTE ICH EINE SCHAFFENSKRISE VON DER DAUER DES MITTELALTERS ÜBERBRÜCKEN ABER NICHT MAL DA DRIN FINDET SICH EIN THEMA FÜR DIE AUSGABE 1.17. INSPIRATION ALLEIN REICHT NÄMLICH NICHT; SIE MUSS AUCH ZWECKMÄSSIG
SEIN.
DAS WIEDERUM
WIDERSPRICHT DER ZWECKLOSIGKEIT DER KUNST AN SICH; LÁRT POUR LÁRT HEISST ÜBERSETZT LEIDER NICHT DIE KUNST FÜR DIE KOLUMNE.
Mit der Inspiration ist das sowieso so eine Sache. Die kommt und geht, wann sie will und meist im unpassendsten Moment. Entweder hat man gerade nichts zu schreiben oder sitzt in katatoner Starre vor dem Bildschirm und wartet auf längeres Haar. Manchmal, wenn sie denn kurz da war, die heilige Inspiration, kann man sich merken wie sie aussieht und anschließend ein Phantombild in Form einer Skizze anfertigen. Und in ganz glücklichen Augenblicken bleibt sie und hängt einige Tage im Atelier rum. Dann kann man sich mit ihr überaus kunstvoll amüsieren, sie ins rechte Licht setzen, sie nach eigenem Gusto und Stil verkleiden und frisieren, sie fett füttern oder durch den Wolf drehen, Orgien mit ihr feiern oder sie zum Äußersten treiben. Man wundert sich, was sie sich alles gefallen lässt aber allein lassen darf man sie nie. Kurz was essen gehen oder die e-mails checken ist nicht drin. Dann ist sie beleidigt und verschwindet. Wenn man ins Atelier zurück kommt, kann man lange suchen. Da steht man dann wie ein armer Tropf vor der Staffelei, dem Text oder der Skulptur und fühlt sich verlassen. Die Schlampe ist weg und nicht mal beten hilft. „Bitte, komm zurück“ fleht man und versucht ein paar zaghafte Pinselstriche oder Kommas. Natürlich alle an der falschen Stelle. Ist sie lange genug geblieben, zum Beispiel weil man sich ihr mit Haut und Haar hingegeben hat, können wunderbare Arbeiten entstehen. Manchmal entsteht weltbewegende Kunst, weil sie einen einzigen, kurzen Atelierbesuch gemacht hat und manche Künstler verlässt sie ein ganzes Leben lang nicht. Wie auch immer: Heute hängt sie wahrscheinlich bei ‚ner anderen Künstlerin rum oder nimmt ein Vollbad in Magenta. Bei mir ist sie jedenfalls nicht.
Anja
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Inspiration is a bit tricky anyway. It comes and goes when it wants. Usually at the most inappropriate time. Either you haven’t got anything to write or you’re sitting in front of the screen in a catatonic trance waiting for longer hair. Sometimes, after it had visited briefly, the holy inspiration, you can remember what it looked like and draw an identikit picture of it in the form of a draft afterwards. And, when you’re really lucky, it remains and hangs out in the studio for days. Then you can have a lot of artistic fun with it, put it in the right light, dress it and style it according to your own taste and flair, feed it up or mangle it, celebrate orgies with it or push it to the extreme. You’ll wonder what it will put up with, but never leave it alone. You can’t just go and have a bite to eat or quickly check your emails. Then it will sulk and disappear. When you return to the studio, you will be searching in vain. There you are, like a poor wretch, in front of the easel, text or sculpture, feeling all alone. The bitch is gone and not even praying will help. “Please come back”, you’re pleading, trying a few tentative brushstrokes or commas. Of course, all in the wrong place. If it remained for long enough, for example because you devoted yourself wholeheartedly to it, great work can be created. Sometimes, ground-breaking art is created because inspiration briefly visited the studio. Other artists benefit from its presence their whole lives. Either way: Today, it’s probably hanging out with another artist or it’s taking a bath in magenta. I just know that it’s not here.
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Ideen alleine verändern nichts. Sondern der Mut, sie umzusetzen. Der neue Panamera.
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