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Historischer Blick auf die „Stillen Örtchen“
„Stille Örtchen“ in der lauten Stadt
Jede und jeder von uns hat das sicherlich schon einmal erlebt: Man ist in der Stadt unterwegs und verspürt plötzlich den Drang, eine Toilette aufsuchen zu müssen. Aber wohin?
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Von Michael Svehla
© SAMMLUNG M. SVEHLA (2) Die Haltestelle „Innbrücke“ der Straßenbahnlinie 4 mit der links befindlichen öffentlichen Toilette (in achteckiger Ausführung)
Heutzutage stellt dies – zumindest in der Innenstadt – kein Problem mehr dar, gewähren doch Kaufhaus Tyrol, RathausGalerien, Hauptbahnhof und Sillpark einen raschen Besuch zwecks Erleichterung. Aber wie war das vor der Zeit der großen Kaufhäuser? Vor rund 100 Jahren hatte man in Innsbruck dafür bereits eine Lösung gefunden, die sogenannten öffentlichen Bedürfnisanstalten. Diese waren jedoch anders als heute gut sichtbar für alle im öffentlichen Raum aufgestellt: entweder in Form von achteckigen metallischen Zylindern für die Nutzung als Pissoir oder als kleine gemauerte rechteckige Häuschen für Damen und Herren. Allenthalben gab es eine sogenannte „Wartefrau“ als Aufsicht, der man einen kleinen Obolus als Eintritt zu bezahlen hatte. In Innsbruck sind alle diese Häuschen verschwunden und eine „Wartefrau“ gibt es höchstens nur noch in den Autobahnraststätten, aber das Eintrittsgeld ist in den meisten Fällen geblieben.
Die ersten Aufregungen
Der Berliner Wilhelm Beetz hatte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in seiner Heimatstadt begonnen, öffentliche Toiletten zu bauen und durfte diese neuartige Idee ab 1880 auch in Wien umsetzen. Von dort kam dann diese praktische Einrichtung auch nach Innsbruck, und wahrscheinlich war jene Bedürfnisanstalt an der südlichen Auffahrt der Innbrücke Anfang der 1890er-Jahre die erste, welche in der Landeshauptstadt erbaut wurde. Nach und nach wurden weitere zumeist achteckige Bauten errichtet, so beispielsweise 1908 am Oberrauchplatz, an der Ecke Kapuzinergasse – Ing.-Etzel-Straße und im Viaduktbogen Nr. 1 oder 1909 am heutigen Sparkassendurchgang, in der englischen Anlage des Hofgartens und im Pechegarten. Mit den bestehenden Anlagen am Landestheater, in der Kiebachgasse und am Adolf-Pichler-Platz zählte man bereits insgesamt zehn Stück. Dennoch beklagte man sich fünf Jahre später im Gemeinderat noch immer über einen sehr fühlbaren Mangel und man läge gegenüber anderen Städten weit zurück. Im städtischen Bauprogramm für 1929 wurde schließlich die Errichtung einer unterirdischen Bedürfnisanstalt am Bozner Platz vorgesehen,
welche bekanntlich bis vor einigen Jahren noch immer zugänglich war. Ein weiterer, viel bedeutenderer Mangel lag in der Nichtberücksichtigung der Frauen: Es gab nämlich nur eine einzige Einrichtung im gesamten Stadtgebiet, nämlich an der Innbrücke. Diese eklatante Benachteiligung veranlasste 1908 sogar eine ältere Dame aus Deutschland zu einem Leserbrief an die Innsbrucker Nachrichten.
Hygienemängel und Unterkunft
Dass die öffentlichen Toiletten hygienemäßig schon immer ein wenig einladender Ort waren, zeigt eine Meldung im Tiroler Anzeiger vom 4. Mai 1929: „Es ist höchst sanitätswidrig, wie dort die Wände, Türen, Kleiderrechen, Fußboden oder gar das Sitzbrett aussehen. Die sogenannte Wartefrau reicht dem Besucher 4 Blatt bedrucktes Zeitungspapier statt Klosettpapier, hebt aber dafür die vorgeschriebene Gebühr ein! … keine Waschgelegenheit, keine Seife, kein Handtuch vorhanden.“ Eine ganz andere Zeitungsmeldung macht jedoch auch heute noch sehr nachdenklich: Die Abortfrau der Bedürfnisanstalt im Sparkassendurchgang wohnte schon seit über sechs Monaten dort, wie der Tiroler Anzeiger vom 31. Jänner 1928 zu berichten wusste. Weil sie keine städtische Unterkunft erhalten hatte, musste sie im Vorraum zwischen Herren- und Damenklosett auf knapp zwei Quadratmeter einziehen. Die wortgetreue Schilderung spricht für sich: „Rechts in der Ecke steht ein Eisenöfchen, dann kommt die schon erwähnte Tür; im Winkel steht ein kleines Tischchen, visà-vis ein ehemaliger Lehnstuhl. Daneben ein Sessel, damit ist der Raum erschöpft. Eine Kiste steht noch da, da hat sie ihre Sachen drin.“ Die arme Frau schlief im Sessel und litt besonders unter der Kälte, weil sie nur eine einzige Wolldecke hatte.
Der Bereich des heutigen Sparkassendurchganges mit dem ehemaligen Abort-Häuschen, 1955.
Bombentreffer und Abbrüche
Die Bedürfnisanstalt am Sparkassendurchgang ist vielen älteren Innsbruckerinnen und Innsbruckern noch in deutlicher Erinnerung, wurde sie nach Bombenschäden doch erst um 1952/53 abgetragen, als der Durchgang erweitert werden sollte. Später ist sie in das an die Sparkasse angrenzende Geschäftshaus übersiedelt. Am längsten gehalten haben sich von jenen Einrichtungen die beiden Anlagen neben dem Landestheater (1966 neu errichtet) und am Bozner Platz, die aber selbst schon seit etlichen Jahren gesperrt sind.
Das städtische Angebot
Heute informieren verschiedene Apps am Smartphone. Seit April 2017 kann man zwischen 17 „Stillen Örtchen“ im Stadtgebiet wählen, wobei es auffällt, dass sich diese hauptsächlich im Innenstadtbereich und an den Promenadenwegen entlang des Inns befinden.
Nur das Eisengeländer erinnert daran, dass es einmal eine unterirdische Bedürfnisanstalt am Bozner Platz gegeben hat.