Ärztinnen und Ärzte für den Frieden Alternative Ärzte-Friedensgruppen in den 1980er-Jahren in der DDR
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m August 1982, also ein halbes Jahr nach Gründung der bundesdeutschen Sektion der IPPNW, wurde auf Beschluss des DDR-Ministerrates das Komitee „Ärzte der DDR zur Verhütung eines Nuklearkrieges“ gegründet. In das Komitee wurden circa 50 Ärzte und Wissenschaftler berufen, die von der staatlichen Einheitspartei nach Kriterien fachlicher Reputation und politischer Zuverlässigkeit ausgewählt worden waren. Partei und Regierung wollten damit demonstrieren, dass Frieden und Abrüstung in der DDR Staatsdoktrin waren, und stellten sich auf die Seite der im Westen von unten her entwickelten Friedens- und insbesondere Ärztebewegung zur Verhütung des Nuklearkrieges. Da die DDR jedoch ein autoritär verfasster Staat war, barg diese Konstruktion einen grundlegenden Konflikt. Dieser zeigte sich bereits darin, dass das staatsparteilich gebildete IPPNW-Komitee für die 46.000 Ärzte und Zahnärzte der DDR sprach, ohne vorher mit diesen zu gesprochen zu haben. Ein Informations-, Diskussions- und Abstimmungsprozess im Inneren der DDR war nicht vorgesehen, weil etwas Derartiges in der Vorstellungswelt der realkommunistisch sozialisierten Machthaber gar nicht enthalten war. Wenn Staat und Partei sowieso für den Frieden sind, was gibt es da noch zu diskutieren?
Alternativen zum staatsparteilichen Engagement Viele, insbesondere jüngere Ärzte in der DDR empörten sich jedoch gegen die zentralistische Einrichtung des Komitees, weil ihnen dieses als Repräsentanz der Staatsmacht ungefragt vorgesetzt wurde. Von diesen Ärztinnen und Ärzten in der DDR werde ich im Folgenden in der Wir-Form erzählen, weil ich zu ihnen gehörte. Wir fühlten uns der westlichen Friedensbewegung nahe und identifizierten uns mit deren Zielen, über die wir über Westradio und -Fernsehen und/oder durch persönliche Kontakte in die Bundesrepublik gut informiert waren. Das von der Staatsmacht installierte IPPNW-Komitee konnte für uns kein legitimer Vertreter der über Staats- und Blockgrenzen hinweg friedensbewegten Ärzte der DDR sein. Indem wir aktiv mitreden und uns als selbstbestimmte Individuen der internationalen Ärzteorganisation anschließen, also ohne SED-staatliche Kontrolle direkte Kontakte zu ärztlichen Kollegen im Westen aufnehmen wollten, stellten wir uns gegen den Alleinherrschaftsanspruch der Staatspartei. Darauf hatten wir es nicht angelegt und anfangs war uns gar nicht klar, dass sich die politischen Machthaber durch unser Bemühen um aktive Teil-
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IPPNW damals
nahme an der internationalen Ärztebewegung derart provoziert fühlten, weil wir nicht in machtpolitischen Kategorien zu denken gewohnt waren. Aber es wurde uns bald schmerzhaft klar gemacht, dass wir in den Augen der Parteiführung die Machtfrage gestellt hatten, und dass dies aufgrund des Monopolanspruches der SED als staatsfeindliche Aktivität wahrgenommen wurde. Hinter dieser Wahrnehmung der Herrschenden stand die alte Klassenkampfideologie, der zufolge sich die politischen Systeme in Ost und West unversöhnlich gegenüberstanden: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Zur staatsparteilichen Konstruktion des Komitees der DDRIPPNW gehörte, dass es wie eine medizinisch-wissenschaftliche Gesellschaft unter staatspolitischer Kontrolle geführt wurde. Dies bedeutete, dass das sogenannte „Generalsekretariat der medizinisch-wissenschaftlichen Gesellschaften“ bestimmte, wer darin in welcher Weise mitarbeiten durfte. Das Generalsekretariat als personalpolitische Steuerungs- und Kontrollzentrale gehörte zum DDR-Gesundheitsministerium. Vom Generalsekretariat wurden die Delegierten instruiert und verpflichtet, Berichte über die Kongressbesuche und alle Kontakte im Westen zu schreiben. Der mächtige Direktor des Generalsekretariats Lothar Rohland war SED-Berufsfunktionär, promovierter „Diplom-Gesellschaftswissenschaftler“ und zugleich mehrfach ausgezeichneter Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes. Nur wenn man um dieses Machtgeflecht von Staat, Einheitspartei und Staatssicherheitsdienst weiß, wie es in der Person des seinerzeit von Medizinern in der DDR gefürchteten „Dr. Rohland“ verkörpert war, durchschaut man die Doppelbödigkeit der offiziellen DDR-IPPNW-Vertretung.
Auf der Suche nach Frieden – Kooperation mit den Kirchen Weil eine individuelle Mitgliedschaft im IPPNW-Komitee der DDR nicht möglich war und wir uns nicht darauf beschränken lassen wollten, die vom DDR-IPPNW-Komitee vorgefassten Resolutionen zu unterzeichnen, hatten Ärzte und Ärztinnen und andere im Gesundheitswesen der DDR Beschäftigte an verschiedenen Orten begonnen, sich in halb privaten, halb kirchlichen Kreisen zu treffen, um ihre Sorgen um die Gefährdung des Lebens auf der Erde zu diskutieren und gemeinsam etwas zu tun. Als staatlich anerkannte Institution bot die Evangelische Kirche solchen Gruppen Schutz, so dass deren Versammlungen von staatlich-polizeilicher Seite nicht als illegale Zusammenrottung