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Klimawandel und Extremwetterereignisse

Folgen und Anforderungen des Klimawandels an Schutzund Rettungskräfte

Aufnahme der nach einem Murgang im Juni 2024 zerstörten A13 im Gebiet Buffalora.
Foto © Astra

Wald- und Flächenbrände, Überschwemmungen, Murenabgänge, Lawinen und weitere Extremwetterereignisse sind direkte Folgen des Klimawandels. Eine Schlüsselrolle übernehmen dabei die Blaulichtkräfte, denn diese sind zuallererst und an vorderster Front gefordert.

Die Ursachen des sich verändernden Klimas werden seit Jahren kontrovers diskutiert, sind bisweilen ein Reizthema –für die Menschen und für die Politik. Ungeachtet aller Differenzen ist eines unstrittig: Die Zahl und die Intensität extremer Wetterereignisse wie Hitze- und Dürreperioden, Stürme, Starkregen, Hagel bis hin zu Überschwemmungen, Murenabgängen und Lawinen nimmt zu – und zwar weltweit. Damit einhergehend steigen die Opferzahlen, die Schadenssummen und vor allem Häufigkeit und Umfänge der durch Unwetterereignisse bedingten Blaulichteinsätze.

Neben dieser Herausforderung sehen sich viele Institutionen aus dem Blaulichtsektor mit zwei weiteren, schwerwiegenden Herausforderungen konfrontiert: Einerseits übertreffen die steigenden Anforderungen die finanziellen und organisatorischen Ressourcen zahlreicher BORS, insbesondere kleinerer, im Milizsystem organisierter Institutionen. Andererseits herrscht bei vielen Blaulichtorganisationen teils akuter Fachkräftemangel. Da sollte man sich nicht wundern, wenn nicht wenige Organisationen für Schutz und Rettung angesichts von immer mehr Grossereignissen aufgrund von Extremwetterlagen vergleichsweise rasch an ihre Grenzen stossen.

Angehörige des Katastrophenhilfe-Bereitschaftsverbandes pumpen Wasser aus einer Unterführung ab, die nach den Unwettern vom 29./30. Juni 2024 vollgelaufen ist.
Foto © VBS/DDPS Sébastien Neuhaus

Extremereignisse nehmen seit Jahren zu

Belege für diese Zusammenhänge lieferte bereits vor rund fünf Jahren ein internationales Forschungsprojekt unter Leitung der Technischen Universität (TU) Wien. Die Studie, an der 35 Forschungsgruppen mitwirkten und für welche die Daten von rund 3’700 Hochwassermessstationen aus ganz Europa aus dem Zeitraum von 1960 bis 2010 ausgewertet wurden, zeigte auf: Europaweit verändern sich Art, Stärke und die typischen Zeitpunkte von Hochwasserereignissen. In Mittel- und Nordwesteuropa, zwischen Island und Österreich, nimmt aufgrund steigender Niederschlagsmengen das Ausmass von Hochwassern zu. In Südeuropa indes nimmt die Hitze zu – wodurch Hochwasser seltener werden, im Gegenzug aber die Gefahr von Flächen- und Waldbränden steigt. Im kontinentaleren Klima Osteuropas sinkt das Hochwasserrisiko tendenziell ebenfalls, weil im Winter weniger Schnee fällt und die Schmelzwassermengen zurückgehen.

Laut der Studie ist das Ausmass der Veränderungen bemerkenswert: Gemessen am langjährigen Mittelwert reichen diese von einem Rückgang von bis zu 23 Prozent pro Dekade bis zu einer Zunahme der hochwasserbedingten Wassermengen von mehr als 11 Prozent pro Dekade. Setzen sich diese Trends ungebremst fort, sei mit drastischen Auswirkungen auf das Überflutungsrisiko in vielen Regionen Europas zu rechnen, so die Studienautoren.

Ihr Fazit lautete schon damals: «Das Hochwassermanagement muss sich an diese neuen Realitäten anpassen, sonst werden die jährlichen Hochwasserschäden noch schneller steigen als bisher.»

Die Schweiz ächzt dieses Jahr unter der Last enormer Unwetter

Was Hochwasserereignisse für die Menschen und die Blaulichtkräfte, welche die Bevölkerung im Ernstfall beschützen sollen, konkret bedeutet, erlebte die Schweiz in den vergangenen Wochen, als zuerst über Graubünden, dann über das Wallis und nur wenige Tage später auch über das Tessin mächtige Unwetter hinwegfegten.

Im Bündner Misoxtal lösten am 21. Juni intensive Gewitter mit Extremniederschlägen einen verheerenden Murgang aus. Es kam zu Überschwemmungen und Hangrutschungen, mehrere Personen starben.

Im Tessiner Maggiatal führten Anfang Juli Starkregenfälle zu Überschwemmungen, Erdrutschen und Steinschlägen. Brücken und Strassen wurden weggerissen, teilweise fielen Telekommunikations- und Energieversorgungsanlagen aus. Unzählige Menschen mussten aus dem Unwettergebiet gerettet werden, verloren Hab und Gut – und mindestens fünf Personen leider das Leben.

Ähnliche Bilder erreichten die Schweizer Bevölkerung nur wenige Tage zuvor aus dem Wallis. Zermatt war von der Aussenwelt abgeschnitten, aufgrund von Erdrutschen und Hochwasser waren Bahnstrecken und Strassenverbindungen unterbrochen. Der Kanton rief für das gesamte Wallis die «besondere Lage» aus, die Bundesbehörden hoben die Gefahrenstufe für Teile des Wallis auf die zweithöchste Stufe 4 an.

Sowohl im Wallis als auch im Tessin stiessen die örtlichen Blaulichtkräfte inklusive des Zivilschutzes angesichts der enormen Ausmasse der Ereignisse innert Kürze an ihre Grenzen, weshalb die Armee zur Unterstützung aufgeboten werden musste – insbesondere im Saastal, im Goms und im Val d’Anniviers sowie im Maggiatal, wo eine militärische Hilfsbrücke errichtet werden musste.

Auswirkungen auf Schutz, Rettung und Katastrophenschutz

Die Auswirkungen des Klimawandels sind vielfältig und adressieren zahlreiche Bereiche. Neben der Bevölkerung sind auch die Wirtschaft, die Betreiber kritischer Infrastrukturen und natürlich die Blaulichtkräfte sehr direkt betroffen. Während einer Hitzewelle ist der Rettungsdienst stark gefordert. Nach Unwettern müssen Feuerwehren, der Zivilschutz und auch die Armee die Folgen beseitigen. Die Boden- und Luftrettungsorganisationen müssen Menschen, Tiere und Material evakuieren, die Sanitätsdienste verletzte Personen versorgen.

Doch was, wenn die Einsatzorganisationen überlastet werden oder aufgrund einer herrschenden Extremwetterlage selbst in ihrem Handeln eingeschränkt werden – weil wegen Starkregen, Schneefall oder Nebel nicht geflogen werden kann, Strassen unpassierbar geworden sind, Kommunikationsanlagen und Energieversorgung betroffen oder gar die eigene Ausrüstung und Infrastruktur ganz direkt getroffen wurden?

Wie die Betreiber kritischer Infrastrukturen müssen die Blaulichtkräfte selbst proaktiv agieren, sich für potenziell mögliche Worst-Case-Szenarien rüsten. Wobei insbesondere auch kombinierte Effekte wie weiträumige Blockaden von Verkehrswegen, grossräumige Schädigungen und Ausfälle an Anlagen für Energieversorgung, Telekommunikation, Trink- und Abwasserversorgung sowie Einschränkungen in zentralen Einrichtungen wie beispielsweise Krankenhäusern, Pflege- und Altenheimen in die Vorsorgeplanungen miteinbezogen werden müssen.

Diese Luftaufnahme aus dem Misox zeigt eindrücklich die Ausmasse der Unwetterschäden im Sommer 2024.
Foto © Swisstopo

Anpassung ist gefordert – rasch und effizient

Essenziell für die Fähigkeit, potenziellen Grossereignissen wirkungsvoll zu begegnen, ist die Etablierung einer gesteigerten Selbstschutzfähigkeit – auf allen Ebenen. Können sich die Bevölkerung, die Wirtschaft und die Betreiber kritischer Infrastrukturen selbst besser schützen, treten bei Unwetterereignissen weniger Schäden auf – und es kommt zu weniger Notrufen. Umgekehrt können gut vorbereitete, personell und materiell adäquat ausgerüstete Blaulichtkräfte im Bedarfsfall effektivere und schnellere Hilfe leisten.

Nötig dafür sind Anpassungen auf vielfältigen Ebenen, insbesondere bei der Kommunikation. Das Risikobewusstsein der Bevölkerung muss gesteigert werden – vorzugsweise mithilfe einer Betrachtung konkreter Szenarien. Je greifbarer ein Risiko erscheint, desto höher ist die Bereitschaft der Menschen, selbst vorbeugend aktiv zu werden.

Parallel dazu müssen kritische Infrastrukturen gestärkt und leistungsstarke Risiko- und Krisenmanagementsysteme etabliert werden. Und für den Fall, dass alle Stricke reissen und die Blaulichtkräfte ausrücken müssen, muss deren Einsatzfähigkeit sichergestellt sein. Dazu gehört einerseits, dass basierend auf entsprechenden Gefährdungs- und Risikoanalysen wirkungsvolle Schutzmassnahmen ergriffen werden – hinsichtlich Gebäude, Manpower und Material sowie auch bezüglich potenzieller Abhängigkeiten von Infrastrukturleistungen und Systemen.

Blaulichtorganisationen sind gefordert, ihre Strukturen zu härten. Beschädigte Ausrüstung und Liegenschaften, blockierte Zufahrtswege, Personalausfälle und der Ausfall von Geräten, die Strom benötigen, erschweren die Aufgaben der BORS. Zudem können Hitzestress und wiederholte Dauereinsätze die Einsatzkräfte an ihre Leistungsgrenzen bringen. Entsprechend ist es wichtig, dass eine adäquate Rotation der Einsatzkräfte möglich ist – insbesondere bei sehr kräftezehrenden Arbeiten sowie bei Einsätzen unter hohen Temperaturen.

Damit die nötigen Massnahmen entwickelt und in die Praxis transferiert werden können, müssen Daten gesammelt und systematisch aufgearbeitet werden, um verlässliche Risikoanalysen erstellen zu können. Zudem ist es notwendig, bestehende Systeme und Massnahmen, beispielsweise für Unwetterwarnsysteme, die Waldbrandfrüherkennung und Ausbildungsprogramme für den Katstropheneinsatz weiter auszubauen und zu perfektionieren.

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