8 minute read

Nachgefragt bei Schutz & Rettung Zürich

So reagiert SRZ auf den Klimawandel

Vor drei Jahren, am 13. Juli 2021, hinterliess ein Unwettersturm in Zürich Schäden in Millionenhöhe. Wir fragten bei Schutz & Rettung Zürich, der grössten Rettungsorganisation der Schweiz, nach, was sich seither verändert hat –und was sich verändern muss.

Nur 30 Minuten dauerte der Spuk – doch seine Folgen waren dramatisch. Als in der Nacht vom 12. auf den 13. Juli 2021 eine mächtige Gewitterzelle über das Mittelland und die Agglomeration sowie die Stadt Zürich hinwegfegte, kam es zu Sachschäden in Millionenhöhe. Vor allem der nördliche Teil Zürichs war stark getroffen von dem Unwetter mit vielen Blitzen, Starkregen, Sturmböen und einem sogenannten Downburst, bei dem bis zu 200 km/h schnelle Fallwinde vor der Gewitterzelle auftreten.

Innerhalb von nur einer Stunde gingen aus den Zürcher Stadtkreisen 9, 10, 11 und 12 mehr als 1’000 Notrufe bei Schutz & Rettung Zürich ein. Bäume waren umgestürzt, Dächer abgedeckt, Strassen blockiert und Fahrleitungen der VBZ heruntergerissen. Die Einsatzkräfte der Berufs- und Milizfeuerwehren, von Zivilschutz und Polizei standen während Tagen im Dauereinsatz.

Angesichts der diesjährigen Unwetter in der Schweiz fragten wir Jan Bauke, Ausbildungschef Feuerwehr und Zivilschutz und Kommandant Stv. Feuerwehr von Schutz & Rettung Zürich, nach seiner Expertenmeinung zu den Auswirkungen von Klimawandel und Extremwetterereignissen auf die Schweizer Blaulichtorganisationen.

Jan Bauke bei der Vertiefung von Einsatzkonzepten anlässlich eines Besuchs der Baustelle des Entlastungsstollens Sihl-Zürichsee.
Foto © SRZ

Herr Bauke, bei Schutz & Rettung Zürich kennt man sich mit Wetterextremen aus. Ich denke da beispielsweise an das Schneechaos im Januar 2021, an das Sturmtief «Burglind» anno 2018 sowie die Orkane «Kyrill» von 2007 und «Lothar» von 1999. Täuschen wir uns oder werden extreme Unwetter tatsächlich immer häufiger?

Ob Unwetter zahlenmässig tatsächlich zunehmen, kann ich nicht beantworten. Was zunimmt, sind zum einen die Notrufe anlässlich von Unwettern, zum anderen aber auch die von Unwettern angerichteten Schadenssummen. Die Ursachen für beides sind vielschichtig. Zusammengefasst und pointiert formuliert haben sie mit dem im wörtlichen Sinne spannungsvollen Verhältnis von Mensch und Natur zu tun. «Katastrophen kennt allein der Mensch, sofern er sie überlebt», schreibt Max Frisch in seinem Buch «Der Mensch erscheint im Holozän». Und er schreibt auch: «Die Natur kennt keine Katastrophen.»

Neben dem See, der Sihl und der Limmat gibt es viele städtische Bäche in Zürich. Seit dem Jahrhunderthoch­wasser von 1910 und auch nach den Hochwassern von 2005 und 2013 wurde viel in Hochwasserschutz investiert. Dennoch beläuft sich das Schadenpotenzial heute auf drei ­bis fünf Milliarden Franken und im Überschwemmungs­gebiet von Sihl und Limmat sind – je nach Ausmass eines Hoch­wassers – etwa 1’500 bis 3’600 Gebäude betroffen. Können Sie angesichts solcher Zahlen ruhig schlafen, wenn wie dieses Jahr so oft schon besonders schwere Regenfälle vorausgesagt werden?

Es gehört zu meinem Beruf, auch mit dem Schlimmstmöglichen rechnen zu müssen und uns bestmöglich darauf vorzubereiten. Wir spielen solche Worst-Case-Szenarien in Ausbildungen gedanklich durch und entwickeln dabei mögliche Einsatzstrategien. Gleichzeitig investieren Bund, Kanton und die Gemeinden grosse Beträge in den Hochwasserschutz im Kanton Zürich. Beides, Ausbildung und Einsatzplanung, sind die zwei «Brückenpfeiler», die hoffentlich auch ein Jahrhunderthochwasser aushalten. Darum kann ich tatsächlich noch ruhig schlafen.

Man lernt bekanntlich niemals aus. Welche Lehren hat SRZ aus den geschilderten Extremwetterereignissen gezogen?

Nach den starken Schneefällen im Januar 2021 haben wir unser Unwetterkonzept komplett überarbeitet und vereinfacht. Dieses bewährte sich erstmals im Juli 2021, als ein heftiger Gewittersturm über die Stadt Zürich fegte. Gleichzeitig trainieren wir mit den Einsatzleitenden sowie auch mit der gesamten Feuerwehr verstärkt das Thema «Naturgefahren und Elementarereignisse».

Die Einsatzkräfte von Schutz & Rettung Zürich (SRZ) wissen, welche Schäden Extremwetter, so wie das Mega-Gewitter vom Sommer 2021, anrichten können.
Foto © SRZ

Wie beurteilen Sie als Experte von SRZ die Heraus­forderungen, die der Klimawandel für Rettungskräfte ­bedeutet?

Fast täglich neuen Herausforderungen zu begegnen, ist Teil unseres Berufs. Es ist unbestritten, dass sich die Erdatmos­phäre in den letzten 50 Jahren erwärmt hat. Ebenso unbestritten ist aber auch, dass die Erdbevölkerung gewachsen ist und gleichzeitig die Lebenserwartung und der Wohlstand vieler Menschen steigt. Unsere grösste Herausforderung als Rettungsorganisation ist nach wie vor der Mensch mit seinem Verhalten und seiner Einstellung.

Gemäss den Statistiken von Meteo Schweiz ist belegt, dass die Zahl und die Intensität von Starkniederschlägen in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen haben. Wie gut ist SRZ darauf vorbereitet, was die Einsatzkräfte in Zukunft erwartet?

Zum Glück wissen wir nicht, was genau die Zukunft bringt. Die Starkniederschläge werden die Feuerwehren sicher vermehrt in Atem halten – aber das ist eigentlich eine Art Symptombekämpfung. Wir versuchen, im Unwetterfall zu schützen, was noch nicht betroffen ist, und helfen, das ­wieder instand zu stellen, was vom Hochwasser beschädigt wurde. Effizienter Schutz gegen Starkniederschläge beginnt aber vorher: Bei den Baubewilligungen, bei der Einsatzplanung nach erfolgter Baubewilligung, bei vorsorglichen Hoch­wasserschutzmassnahmen an heiklen Gebieten in einer Gemeinde. All diese präventiven Arbeiten werden bei SRZ in der Abteilung «Einsatzplanung & Konzeption» des ­Bereichs «Einsatz & Prävention» koordiniert und geplant.

Worin liegen generell die grössten Herausforderungen durch den Klimawandel? Welche davon sind am brennendsten? Welche wurden bereits gelöst – und wie?

Die grösste Herausforderung ist vermutlich, dass Unwetter potenziell jede Gegend in der Schweiz zu jeder Jahreszeit treffen können. Da wir nicht genau prognostizieren können, welches Unwetter sich wann und wo und mit welcher Intensität ereignen wird, werden die Feuerwehren trotz aller Vorbereitung und aller bereits existierenden Einsatzplanungen immer wieder vor unerwarteten Situationen stehen. Das verlangt Flexibilität und Improvisationsgeschick der Einsatzkräfte. Genau deshalb müssen wir das im Verbund mit unseren Partnern im Bevölkerungsschutz trainieren. Konkret: Ins Übungsprogramm von Feuerwehren gehört neben der Brandbekämpfung mittlerweile in gleichem Masse das Training der Bewältigung von Elementarereignissen.

Sehen Sie Unterschiede bei der Betroffenheit der unterschiedlichen Fachkräfte im Rettungswesen, namentlich Berufs­ und Milizfeuerwehr?

Die Bewältigung von Elementarereignissen ist in der Regel zeit- und arbeitsintensiv. Das fordert die Feuerwehren, von denen der grösste Teil aus Freiwilligen besteht, hinsichtlich ihrer Personalressourcen, aber auch was ihre materiellen Möglichkeiten anbelangt. Die Feuerwehr, die im Verbund des Bevölkerungsschutzes so etwas wie der «Kurz- und Mittelstreckenläufer» ist, ist daher zwingend auf die Zusammenarbeit mit «Langstreckenläufern» wie dem Zivilschutz, der Armee und zivilen Kräften wie Baufirmen oder Transportunternehmen angewiesen. Hinzu kommt, dass Angehörige von freiwilligen Feuerwehren vielfach selbst durch Unwetter zu Schaden kommen – zur physischen Anstrengung kommt so auch noch die psychische Belastung.

Was wird in Zürich alles getan, um die Kräfte von SRZ hinsichtlich des Klimawandels zu stärken? Und was ist landesweit nötig?

Der Kanton Zürich hat nach dem «Jahrhunderthochwasser» 2005 erkannt, dass der Hochwasserschutz an den Flussläufen im Kanton Zürich verbessert werden muss, und investiert daher grosse Summen für den Hochwasserschutz an der Sihl. Gleichzeitig wurden flächendeckend Gefahrenkarten erarbeitet, die einerseits den Feuerwehren die Einsatzplanung und -vorbereitung erleichtern, andererseits aber auch ein Planungsinstrument sind, in dem für Neubauten klare Vorgaben gemacht werden: Was darf wo mit welchen Schutzmassnahmen errichtet werden?

Auch materiell sind die Feuerwehren und der Zivilschutz Stand heute sehr gut ausgerüstet. Der grösste «Engpass» bei der Bewältigung einer flächendeckenden Unwetterlage, wie beispielsweise im deutschen Ahrtal, ist nicht selten die Verfügbarkeit. Der Einbezug der «ungebundenen Helfer», also von Menschen, die sich spontan bereit erklären, die Einsatzkräfte bei ihrer Arbeit zu unterstützen, könnte daher vermutlich noch stärker in die Einsatzvorbereitungen (Ausbildung, Planung) integriert werden.

Zudem ist es sehr wichtig, dass das Milizsystem in der Schweiz in Zukunft sichergestellt und zielgerichtet gestärkt wird. Denn ein wirkungsvoller Bevölkerungsschutz in der Schweiz ist ohne das Milizsystem nicht möglich.

Sie sprachen vorher die Partner von SRZ an, aber auch BehördenwiedasTiefbauamt.WiewichtigsindVernetzung und Kooperation für die Lösung der Herausforderungen?

Diese Vernetzung ist essenziell – und ist in der Schweiz dankenswerterweise hervorragend etabliert. Die Partner im Bevölkerungsschutz, inklusive der sogenannten Technischen Betriebe, kennen sich und trainieren im Sinne des Mottos «KKKK – in Krisen Köpfe und deren Kernkompetenzen kennen» gemeinsam. Die Bewältigung der Unwetter 2024 hat eindrücklich gezeigt, wie gut dieses Netzwerk bereits ist.

Gibt es wertvolle Tipps zum Umgang mit dem Klimawandel aus der Praxis von SRZ, die Sie anderen, insbesondere kleineren (Miliz-)Organisationen mit auf den Weg geben möchten?

Es gilt, das «Undenkbare» in «Friedenszeiten», also vor einem möglichen Unwetter, zu trainieren. Dazu gehören mehrere Dinge. Für die neuralgischen Punkte im Einsatzgebiet müssen Auftragskarten erstellt werden. Die Alarmierung muss sichergestellt sein. Und es muss geklärt werden, über welche Mittel in welcher Qualität und Quantität in welcher Zeit und wie lange verfügt werden kann (PPQQZD = Priorität – Produkte – Qualität – Quantität – Zeitverhältnisse – Durchhaltefähigkeit). Zudem, ich sprach es an, sind Vernetzung und das gemeinsame Trainieren des Ernstfalls mit den Partnern im Bevölkerungsschutz unerlässlich. Sowohl auf Stufe Einsatzleitung als auch auf Stufe Ereignisbewältigung an der Front.

Wo können andere BORS­ Unterstützung, Ratschläge, Know­how erlangen?

Am allereinfachsten bei ihren Partnern – kommunal, regional, national. «Zusammen reden und trainieren!» – so lernt man die Möglichkeiten und Kompetenzen der jeweiligen Partnerorganisationen kennen. Die Bewältigung von Unwetterereignissen ist nur im Team möglich. Und je besser sich Teams kennen, desto grösser wird ihre Leistung sein. Denn gut aufeinander eingespielte Teams wachsen in Krisen über sich hinaus!

This article is from: