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Mit dem E-Bike auf Patrouille
from Blaulicht 5/2024
by IV Group
Seit 2007 existiert die Bike Police der Stadtpolizei Zürich, seit 2020 sind die Einsatzkräfte mit schnellen E-Bikes ausgerüstet, seit 2023 gar mit Blaulicht und Sirene. Wir sprachen mit Bike-Police-Chef Marcel Baumann über Anfänge, Entwicklungen und Perspektiven.
Mobilität hat viele Facetten – auch bei der Stadtpolizei in Zürich. In den frühesten Anfängen gab es einzig Fusspatrouillen, später trafen die Einwohner der Limmatstadt die Ordnungshüter auch im Streifenwagen an – oder hoch zu Ross. Von 1908 bis ins Jahr 2005 gehörten berittene Stadtpolizisten, zu denen einst übrigens auch PolizeisprecherLegende Marco Cortesi zählte, zum alltäglichen Stadtbild Zürichs. Dann aber wurde diese Art der Patrouillentätigkeit aufgrund des grossen dafür nötigen Aufwands eingestellt.
Ablösung erfuhren die im Privatbesitz der berittenen Einsatzkräfte stehenden Polizeipferde durch von der Stadtpolizei Zürich erworbene Drahtesel. Nach umfassender Evaluierung startete vor 17 Jahren, anno 2007, die Ära der heutigen Bike Police.
Aus dem Pferde- in den Velosattel
Unter der Ägide von Marcel Schäffer patrouillierten bis zu 75 Angehörige der Stadtpolizei Zürich im Nebenamt auf Velos durch die Parkanlagen Zürichs, das Stadtzentrum und durch die Gebiete rund um das Seebecken. Die dabei erzielten Erfolge und Erfahrungen bekräftigten die Stadtpolizei, nicht nur am Konzept der Bike Police festzuhalten, sondern dieses kontinuierlich auszubauen und zu verbessern.
Marcel Baumann, seit 24 Jahren im Polizeidienst tätig, seit 2012 bei der Stadtpolizei Zürich aktiv und seit drei Jahren Chef der Bike Police, erinnert sich: «Als ich 2012 meinen Job als Stützpunktchef der Transportpolizei in St. Gallen und Winterthur aufgab, um zur Stadtpolizei Zürich zu wechseln, trat gerade der , mit dem sich die Stadt Zürich klar zur Förderung des Veloverkehrs bekannte, in Kraft. Für die Stadtpolizei war dies ein Signal zum Aufbruch, denn es war klar: Die anvisierte Neuausrichtung der Verkehrsplanung in Zürich wird Auswirkungen auf die Polizeitätigkeit im gesamten Stadtgebiet haben.»
Das Fahrrad erleichtert manches
In den darauffolgenden Jahren erkannte Marcel Baumann, der zunächst «ganz klassisch» im Streifenwagen auf Patrouille ging, die Vorteile, die der Patrouillendienst auf dem Fahrrad mit sich bringt.
«Im Streifenwagen sind wir zwar sichtbar – aber doch unnahbarer für die Bürgerinnen und Bürger», erklärt Marcel Baumann. «Sind wir indes mit dem Fahrrad unterwegs, profitieren wir von mehr Nähe zu den Menschen. Die Hemmschwelle für die Kontaktaufnahme mit uns sinkt markant, die angestrebte Bürgernähe gelingt viel einfacher und nachhaltiger.»
Zwar, gibt Baumann zu, ernte man auf dem Fahrrad von gewissen Zeitgenossen durchaus manchmal mitleidige Blicke oder auch freche Sprüche der Art «Hast du kein Autobillet, dass du mit dem Velo fahren musst?». Doch derartige Erfahrungen seien Einzelfälle, während die generelle Akzeptanz vonseiten der Bevölkerung, Touristen und Gäste der Limmatstadt erfreulich hoch sei.
Zudem, so Baumann, könne man auf dem Fahrrad seine naturgegebenen, für die erfolgreiche Patrouillentätigkeit eminent wichtigen Sinne viel besser nutzen. «Im Auto bin ich fast schon hermetisch gegen die Umwelt abgeschirmt. Auf dem Velo sitzend aber rieche, sehe und höre ich, nehme die Umwelt und alles, was in meiner unmittelbaren Umgebung geschieht, intensiver und unmittelbarer wahr. Das ist ein eklatanter Vorteil.»
Als weiteren Benefit nennt Marcel Baumann die Tatsache, dass man mit dem Fahrrad nicht an die Strasse gebunden sei. «Unsere Patrouillen kennen jeden Winkel der Stadt, jede noch so enge Gasse, jede lohnende Abkürzung», sagt er. «Entsprechend schnell sind wir bei Bedarf vor Ort.»
Seit 2018 mit Elektro-Power unterwegs
Waren die Angehörigen der Bike Police anfangs nur im Nebenamt aktiv und mit konventionellen – immerhin mit Federgabeln bestückten – Fahrrädern mit Kassettenschaltung unterwegs, sitzen sie seit einigen Jahren im Sattel pfeilschneller E-Bikes, die bis zu einer Geschwindigkeit von 45 km/h eine elektrische Tretunterstützung bieten.
«Im Jahr 2018 definierte der Zürcher Stadtrat unter dem Eindruck stetig steigender Unfallzahlen im Fahrradverkehr als einen von sechs Strategieschwerpunkten für die Stadtentwicklung», erinnert sich Marcel Baumann. «Dazu gehörte – parallel zur steigenden Zahl der Menschen, die mit E-Bikes im Stadtgebiet mobil sind – die Etablierung eines neuen Betriebskonzeptes für die Bike Police.»
Nicht nur wurde die Bike Police personell aufgewertet, indem dem Chef der Bike Police ein Kollege als Einsatzleiter/ technischer Leiter zur Seite gestellt wurde. Es wurde damals auch beschlossen, dass die Bike Police technologisch aufgerüstet werden sollte, um Schritt mit der Zeit zu halten. So erhielt sie im September 2018 drei schnelle E-Bikes der Marke HNF Nicolai (früher HNF Heisenberg) zu Testzwecken zur Verfügung gestellt.
«Nach zwei Monaten intensiver Evaluierungsarbeit war deutlich, dass die E-Bikes ein hervorragendes Einsatzmittel für das gesamte Zürcher Stadtgebiet sind», bestätigt Marcel Baumann. «Der Patrouillenradius vergrössert sich mit dem E-Bike, das bis zu 70 Kilometer elektrische Reichweite mit einer Akkuladung bietet, markant. Zudem sinken die Anfahrtszeiten zu den Einsatzorten teils drastisch – und die Einsatzkräfte sind beim Eintreffen vor Ort voll einsatzbereit. Früher war das anders. Ich erinnere mich nur zu gut, wie ich einmal einen Velokurier durch die halbe Stadt verfolgte.
Als ich ihn endlich stellen konnte, waren wir beide völlig ausser Puste und ich konnte mit viel Mühe ein leises hervorpressen», sagt Marcel Baumann – und schmunzelt angesichts der Erinnerungen an seine Zeiten, als die Bike Police noch ohne EMotorUnterstützung ihren Dienst versehen musste.
Nach der erfolgreichen Evaluierung der E-Bikes wurden anno 2019 weitere 17 Motorfahrräder angeschafft. Zudem wurden die im Bestand verbleibenden klassischen Fahrräder aufgewertet – mit Seitentaschen, besseren Scheinwerfern und kleinen Detailverbesserungen.
Heute ein unverzichtbares Einsatzmittel
Mit der Einführung der E-Bikes wuchs aber nicht nur das Tempo der Bike Police, sondern auch deren Einsatzspektrum. Fortan unterstützten die stets als Zweierpatrouille im Einsatz stehenden BikePolizisten bei Bedarf alle Frontabteilungen der Stadtpolizei Zürich – bei Aktionen, Kontrollen, Anlässen und Demonstrationen ebenso wie bei Verkehrsangelegenheiten, im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit, beispielsweise an Schulen, aber auch mittels eigeninitiativer Patrouillentätigkeit.
«Es zeigte sich rasch, dass die Bike Police überall eingesetzt werden kann, wo ein besonders schnelles, flexibles und –manchmal sehr wichtig – lautloses Element benötigt wird», sagt Marcel Baumann.
Mit dem 2018 modernisierten Betriebskonzept wurde zudem eingeführt, dass die Bike Police nicht nur am Tag, sondern auch in der Nacht regelmässig auf Zürichs Plätzen und Strassen aktiv ist – und dabei auch dringliche Einsätze leisten kann.»
Allerdings ergaben sich mit dem steigenden Potenzial der Bike Police auch steigende Bedürfnisse, wie Marcel Baumann erläutert: «Einerseits kam der Wunsch auf, die Fahrräder aus rechtlichen Gründen für dringliche Einsatzfahrten mit Blaulicht und Wechselklanghorn auszustatten. Zudem erschien es wünschenswert, die Einsatzkräfte der Bike Police für die Einsatzleitzentrale – und damit disponierbar – zu machen. Und drittens wurde es notwendig, sich vom über viele Jahre hinweg gepflegten Konzept des Nebenamtes zu verabschieden – aus Kapazitäts, aber auch aus Sicherheitsgründen.»
So kam es, dass seit dem Schulungsjahrgang 2022 alle Neuzugänge sowie alle bereits auf dem E-Bike ausgebildeten Kräfte der Sicherheitsabteilung (SIA) der Stadtpolizei Zürich das E-Bike als Einsatzmittel nutzen. «Zu diesem Zweck sind die im Bestand befindlichen E-Bikes heute auf alle Regionalund Quartierwachen verteilt zugänglich», erklärt Marcel Baumann.
Zugunsten erhöhter Sicherheit wurde zudem das Ausbildungskonzept adaptiert und erweitert. «Wir haben den zuvor üblichen Grundkurs überarbeitet und passen die Inhalte stetig an die sich verändernden Herausforderungen an», erklärt Marcel Baumann, der die im neuen Bildungszentrum Blaulicht stattfindenden Kurse persönlich leitet – unterstützt von seinem technischen Leiter und sechs Hilfsinstruktoren. «Wir schulen die angehenden Einsatzkräfte der Bike Police im Rahmen des zweiten Ausbildungsjahres (BEF) sowohl in den Bereichen Fahrtechnik als auch hinsichtlich Einsatztaktik», erläutert Marcel Baumann. Dazu gehörten unter anderem das mobile Anhalten flüchtender Fahrradfahrer und die Durchführung von Personenkontrollen.
Mit Blaulicht, Zweiklangwechselhorn und iPhone
Aus rechtlichen sowie sicherheitstechnischen Gründen sinnierte die Stadtpolizei Zürich ab 2020 darüber, ob und wie man die E-Bikes mit Blaulicht und Wechselklanghorn ausstatten könnte. «Da die Einsatzkräfte immer öfter dringliche Fahrten absolvierten, bestanden rechtliche Forderungen für eine derartige Nachrüstung der E-Bikes», erklärt Marcel Baumann. Doch bei der Suche nach geeigneten Technologien stellte sich heraus: Es gibt auf dem Markt keine Signalanlage, die den in der Schweiz geltenden Normen entspricht.
Die Lösung kam dann von Manuel Aebischer, einem vormals in der Elektronikbranche engagierten Angehörigen der Stadtpolizei Zürich. Er entwickelte von 2020 bis 2021 eine kompakte Systemlösung zur Ausrüstung von Einsatzfahrrädern/E-Bikes (Motorfahrrädern) mit Blaulicht, Wechselklanghorn und gelbem Gefahrenlicht. Ein solches System wurde in den Sommermonaten 2022 an zwei E-Bikes der Bike Police montiert und getestet.
2023 wurde Realität, was am 1. April 2022 für einen Aprilscherz gehalten wurde: Die Stadtpolizei begann mit der Ausrüstung aller 18 E-Bikes der Bike Police mit der Signalanlage. Diese soll bis Ende 2024 abgeschlossen sein. Zugleich werden die Velos mit iPhones bestückt, über die eine Ortung und damit eine gezielte Einsatzdisposition durch die Einsatzzentrale ermöglicht wird.
«Beide Lösungen markieren einen Quantensprung für die Bike Police», betont Marcel Baumann. «Dank der Mobiltelefone können die zuvor für die Einsatzzentrale E-Bike-Patrouillen nun geortet und entsprechend zielgerichtet disponiert werden. Zudem können, wie bei den Motorrädern, die laufenden Einsätze auf dem Mobiltelefon angezeigt werden – inklusive Routenanzeige zum Einsatzort, unterstützt durch akustische Navigationshinweise.»
Bike Police bringt deutliche Mehrwerte
Die Bike Police ist heute ein unverzichtbarer Bestandteil der Stadtpolizei Zürich – und wird es auch künftig bleiben. Dank grosser Reichweite, hoher Geschwindigkeit, Flexibilität und Zugänglichkeit erweitern und ergänzen die E-Bikes die drei klassischen Mobilitätslösungen «zu Fuss, mit dem Motorrad und im Streifenwagen» auf sinnvolle Weise. «Die E-Bike-Patrouillen sind ebenso disponierbar wie Motorrad und Auto Patrouillen, erreichen viele Ziele mindestens genauso schnell wie diese, sind aber vergleichbar kostengünstig in Anschaffung und Unterhalt sowie sehr umweltfreundlich», sagt Marcel Baumann. «Zudem bescheren sie Vorteile hinsichtlich der von uns gewünschten Bürgernähe, erweisen sich vielfach als echte Sympathieträger. Dabei ist das Einsatzspektrum nahezu unbegrenzt. Und wenn es darum geht, sich einem Einsatzort lautlos und unauffällig zu nähern, sind sie schlichtweg unschlagbar.»
Grösste (eigentlich einzige) zwei Nachteile der E-Bikes sind das naturgemäss kleine Transportvolumen und die EinPersonen Nutzbarkeit. «Im Fall einer Verhaftung durch Angehörige der Bike Police müssen wir ein Einsatzfahrzeug herbeirufen», sagt Marcel Baumann.
Die Tatsache, dass man auf dem E-Bike nicht nur den Menschen, sondern auch dem Wetter näher ist als im Streifenwagen, erachtet er indes nicht als störend. «Bekanntlich gibt es kein schlechtes Wetter, sondern nur schlechte Ausrüstung», lautet die Devise – und auf die Frage, wie es mit den BikePatrouillen im Winter aussehe, sagt Marcel Baumann mit einem breiten Schmunzeln: «Gleich wie im Sommer – nur kälter!»
Zudem verweist er auf die gefütterten Handschuhe und die Helmunterziehkappen, die der BikePolicePatrouille zur Verfügung stehen. «In Kombination mit unseren sehr gut wetterschützenden Uniformen genügt das», ist Baumann überzeugt.
Blick in die Zukunft der Bike Police
Auch wenn der Chef der Bike Police sehr zufrieden wirkt hinsichtlich des bereits Erreichten, hat er doch auch klare Antworten auf die Frage, was zum Glück noch fehlt. «Mehr Personal!», antwortet Marcel Baumann wie aus der Pistole geschossen. Denn während Streifenwagen einfach fahren müssten, besetzt mit jenem Personal, das verfügbar ist, gebe es keine Einsatzpflicht für die E-Bike Fahrer. «Es können daher immer nur die per E-Bike ausrücken, die noch verfügbar sind», bedauert er. «Dabei hat sich das E-Bike als Einsatzmittel bestens etabliert und wir würden es gerne vermehrt für die vielfältigen Szenarien einsetzen, für die es prädestiniert ist.»
Für die Zukunft gelte es, so Marcel Baumann, dass man mit der technischen Entwicklung Schritt halte. Dazu gehöre auch, dass man sich bereits heute Gedanken mache, wie das künftige Polizei-E-Bike komponiert werden muss. «Ob der heutige Mittelmotor auch künftigen Anforderungen genügen wird, oder ob ein Hinterradantrieb die effizientere Wahl sein wird muss evaluiert werden. Zudem wollen wir die Aus und Weiterbildung der Bike Piloten weiter optimieren», sagt Marcel Baumann.
Eine wichtige Rolle spielt für ihn zudem der korps und institutionenübergreifende Austausch von Ideen, Konzepten und Lösungen. «In den Grundkursen, die wir auch für benachbarte Korps wie beispielsweise die Kollegen der Stadtpolizei St. Gallen, des Bundesamtes für Zoll und Grenzschutz und aus Liechtenstein durchführen, lernen auch wir immer wieder dazu», sagt Baumann. Dieser Austausch sei wichtig und wertvoll für alle Beteiligten. Denn am Ende des Tages sei es für alle wichtig, die vielfältigen Stärken und Vorteile des E-Bikes als Einsatzmittel optimal zu nutzen.