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9d. Elfenbeinschnitzereien
Abb.207. Monza, Museo del Tesoro del Duomo, ›Stilicho‹-Diptychon, Elfenbein, Höhe ca. 32 cm, Breite der Tafeln ca. 16 cm. 9d. Elfenbeinschnitzereien
In Abschnitt 4 wurden Beispiele für Konsulardiptychen angeführt. Hier folgen weitere Diptychen aus dem privaten und kirchlichen Leben und Elfenbeinarbeiten anderer Form. Das Diptychon in Monza ist in westlicher Anordnung als ein Gesamtbild der aufgeklappten Tafeln konzipiert, bei dem der Knabe zwischen seinen Eltern so weit wie möglich in die Mitte gestellt ist (Abb.208). Beide Erwachsenen öffnen sich in der Körperhaltung zu dieser Mitte und auch ihre Gesichter sind leicht zu ihr gedreht. Der etwa zehn-
jährige Knabe trägt ein Diptychon in der Hand, das auf eine Ernennung hinweist – vielleicht zum Tribunus und Notarius, der untersten Stufe der Ämterlaufbahn. Dies dürfte der Anlass zur Anfertigung des Diptychons gewesen sein. Aufgrund von Vergleichen mit dem Theodosius-Missorium (Abb.44) und dem Sockel des Obelisken (Abb.34) werden die unter einer zweistöckigen Würdearchitektur dargestellten Personen meist als Stilicho und Serena mit ihrem (389 geborenen) Sohn Eucherius bezeichnet. Stilicho war Sohn eines in römischem Dienst stehenden Vandalen. Seine Karriere ist ein Beispiel für die Aufstiegsmög-
Abb.208. Brescia, Museo civico. Inv. ###. Diptychontafel der Lampadii, Elfenbein, Höhe 29 cm, Breite 11 cm
Abb.209. Berlin, Staatsbibliothek, Inv. Ms.theol.lat. fol.323. Diptychon des römischen Stadtvikars Rufius Probianus, Elfenbein, Höhe ca. 31 cm, Breite ca. 13 cm.
lichkeiten von Männern nichtrömischer Herkunft. 384 wurde er mit Serena, einer Nichte und Adoptivtochter des Kaisers Theodosius verheiratet. 394 ernannte ihn Theodosius aufgrund seiner Verdienste zum Oberbefehlshaber im Westen (magister utriusque militiae), im folgenden Jahr vertraute er ihm kurz vor seinem Tod die Sorge für seine Söhne Arkadius und Honorius an. Die Bekleidung und Bewaffnung des mit Schnurrbart und kurzem Bart dargestellten Stilicho entspricht seinem hohen militärischen Rang. Die langärmelige Tunica und die Chlamys sind reich verziert, letztere mit einer zeittypischen Zwiebelknopf-
fibel gehalten. Der Gürtel ist aus Metall. Hinzu kommen lange Hosen (bracae) und Soldatenschuhe (campagi). Zu Schwert und Speer gesellt sich ein Schild mit einem Rundbild von zwei Kaiserbüsten unterschiedlicher Größe, was dem Altersunterschied zwischen Arkadius und Honorius entspricht. Die Bekleidung des Knaben ist der des Vaters angeglichen, bis hin zur ähnlichen Fibel. Auf seiner Chlamys ist ein kleiner Aufsatz zu erkennen. Serenas Haar zeigt eine Zopfkranzfrisur. Über der langärmeligen Tunica trägt sie die ärmellose Dalmatica, die durch einen mit Gemmen geschmückten Gürtel gerafft wird. Der
Abb.210. Paris, Musée de Cluny, Inv. Cl.17048. Diptychontafel der Nicomachi, Elfenbein, Höhe 29,9 cm, Breite 12,6 cm.
Abb.211. London, Victoria and Albert Museum, Inv. ###. Diptychontafel der Symmachi, Elfenbein, Höhe 29,8 cm, Breite 12,2 cm.
Abb.212. Mailand, Castello Sforzesco, Museo delle Arti Decorative, Inv. 9. Diptychontafel mit Auferstehungsbild (die Frauen am Grabe Christi), Elfenbein, Höhe 30,7 cm, Breite 13,4 cm. locker getragene Mantel, Halsketten, Ohranhänger und ein Tuch in der linken Hand runden das Bild ab. Symbolische Bedeutung hat die Rose in Serenas rechter Hand, denn sie gleicht die Trägerin der Personifikation der Hoffnung an. Die Anordnung der Blüte über der Gestalt des Eucherius lässt erkennen, auf wen sich die (später nicht erfüllte) Hoffnung richtete.
Darstellungen von Wagenrennen zeigen nur zwei der erhalten gebliebenen Elfenbein-Diptychen: die Diptychonhälfte der Lampadii und das Diptychon des östlichen Konsuls Basilius von 541. Die Tafel in Brescia mit der Namensinschrift der Lampadier ist die rechte Tafel eines westlichen Diptychons: Der in der Mitte stehende Spielgeber mit Mappa und Kaiserzepter hat den Kopf zur Mitte des ursprünglichen Gesamtbildes aus zwei Tafeln gedreht (Abb.208). Das verlorene Gegenstück nannte die Familie der Rufii. Da kein öffentliches Amt unter zwei Familien aufgeteilt werden konnte, fand das hier dargestellte Wagenrennen anlässlich eines gemeinsam gefeierten Ereignisses statt, etwa einer Hochzeit. Die Loge im oberen Teil der Tafel hebt unter den drei mit Toga bekleideten Männern durch den Bogen und den größeren Säulenabstand den Spielgeber in der Mitte hervor. Er ist erheblich größer dargestellt als seine Begleiter und trägt ein Zepter mit Kaiserbüsten. Wieso er dieses auch tragen konnte, wenn er nicht als Jahreskonsul (consul ordinarius) fungierte, muss offen bleiben. Die Mittelachse (spina, eigentlich Wirbelsäule) des unten dargestellten römischen Circus maximus trägt den von Augustus aufgestellten Obelisken und zwei Siegesmale mit darunter kauernden Barbaren. An ihrem Ende sieht man die Wendemarken für die Viergespanne der vier Circusparteien (S.). Durch geschickte Schrägstellung der spina wird ihre Länge angedeutet, während sonst Circusdarstellungen in der Regel Breitformat haben (Abb.).
Unter den Elfenbeindiptychen, die nicht von Konsuln in Auftrag gegeben wurden, erweckt das Probianus-Diptychon in Berlin einen gut vergleichbaren offiziellen Eindruck (Abb.209). Die Namens- und Amtsinschrift beginnt auf der linken Tafel, also in westlicher Anordnung: RVFIVS PROBIANVS V(ir) C(larissimvs) / VICARIVS VRBIS ROMAE: – »Rufius Probianus, Exzellenz, Stadtvikar Roms«. Probianus sitzt auf einem durch zwei Stufen erhöhten Sessel mit hoher Rückenlehne (cathedra), vor einer typischen »Würdearchitektur« mit Vorhängen. Er selbst, seine Schreiber und die von unten akklamierenden Senatoren tragen auf der linken Tafel die Toga, auf der rechten über der Tunika den von einer Fibel gehaltenen Mantel. Rechts schreibt Probianus in eine Schriftrolle den ihm zugerufenen Glückwunsch PROBIANE FLOREAS – »Probianus, Du mögest blühen (Erfolg haben)«. Im Relief des Tintenfassständers (theca) huldigen zwei weibliche Personifikationen mit Kränzen den Büsten zweier Kaiser, also Arcadius und Honorius. Da letzterer auf dem Diptychon des Probus aus dem Jahre 406 (Abb.50) bärtig dargestellt ist, sollte das Probianus-Diptychon früher sein. Das Tintenfass und die Kaiserbilder sind wichtige Insignien des Stadtvikars, denn Rechtsprechung erforderte
Abb.213. München, Bayerisches Nationalmuseum. Inv. MA 157. Reliefplatte mit biblischen Szenen, Mittelteil einer fünfteiligen Diptychontafel, Elfenbein, Höhe 18,7 cm, Breite 11,5 cm.
Abb.214. Mailand, Domschatz, Inv. 1385. Diptychon oder Buchdeckel mit zwei fünfteiligen Tafeln. Elfenbein und Silber, teilweise vergoldet, mit Einlagen von Granat, Saphir und Almandin, Höhe 37,5 cm, Breite 28,1 cm. die Schriftform und erfolgte stets im Namen des Kaisers und in seiner im Bild repräsentierten Gegenwart.
An das Diptychon des Probianus schließt sich eine Gruppe von heidnischen und christlichen Elfenbeindiptychen an, für die sich eine Herstellung in derselben römischen Werkstatt im Umkreis des Jahres 400 erschließen lässt. Das Rahmenornament des Probianus-Diptychons stimmt mit den PalmettenLotus-Rahmen beider Tafeln des Diptychons der Nicomachi und Symmachi überein (Abb.210–211), außerdem auch mit der Türeinfassung des Grabes Christi auf der Auferstehungs-Tafel in Mailand (Abb.212). Deren vom sogenannten lesbischen Kyma abgeleiteter Außenrahmen entspricht dem Rahmen einer nicht erhaltenen Parallele zur Tafel der Symmachi, die durch eine Abbildung des 18. Jhs. bekannt ist. Die Einteilung der beiden Tafeln des Probianusdiptychons in ein oberes und ein unteres Feld findet sich auch bei der Auferstehungstafel in Mailand.
Wie bereits oben angedeutet, steht dieses Diptychon trotz heidnischer Darstellungen in engem Zusammenhang mit gleichzeitigen christlichen Arbeiten. Die betonte Richtung der Darstellungen beider Tafeln auf die Mitte eines Gesamtbildes bei geöffnetem Diptychon erweist seine Entstehung im Westen des Reiches. Die Profilansicht der beiden Hauptfiguren verrät formal eine Rückwendung zu kaiserzeitlichen Darstellungsprinzipien. Die linke Tafel ist stärker beschädigt, vor allem an Gesicht und Hand der stehenden weiblichen Figur. Diese meist als Priesterin bezeichnete Frau steht in klassizistischer Bekleidung vor einem brennenden Altar. Sie trägt einen ärmellosen, gegürteten Chiton, dessen rechte Schulterschließe geöffnet ist, so dass die Brust entblößt wird. Das Hymation ist um die Hüften geschlungen. Die brennenden Fackeln in ihren Händen sind nach unten gerichtet und könnten ein Hinweis auf Demeter sein. Am Pinienbaum im Hintergrund hängen zwei Cymbeln, typische Attribute der Kybele, der Großen Mutter. Die Frauengestalt auf der rechten Tafel ist mit Chiton und Hymation voll bekleidet und trägt als Hinweis auf Dionysos einen Efeukranz im Haar. Dasselbe gilt für ihre kleine Begleiterin, die einen Früchtekorb und ein zweihenkliges Gefäß trägt, einen Kantharos, der ebenfalls an Dionysos erinnert. Die Priesterin opfert Weihrauch an einem Altar, der mit einer Girlande von Eichenlaub geschmückt ist. Diese dürfte ebenso wie der Eichenbaum im Hintergund eine Verbindung zum Göttervater Jupiter andeuten. Auf der oben erwähnten verlorenen Parallele zu dieser Tafel opfert eine Priesterin vor einem Tempel des Merkur. Lange Zeit hindurch wurde als Anlass für die Herstellung des Diptychons eine der in der Literatur belegten Hochzeiten zwischen Mitgliedern der beiden Familien vermutet, doch passen hierzu kaum gesenkte Fackeln. Sie könnten eher ein Hinweis auf ein gemeinsames Gedenken an einen herausragenden Verstorbenen sein. Das Diptychon mit seinen Erinnerungen an verschiedene heidnische Kulte ist ebenso wie annähernd zeitgleiche Parallelen mit Darstellungen von Asklepios und Hygieia oder der Vergöttlichung eines Kaisers ein Bildzeugnis für die literarisch gut bezeugte konservative Haltung eines Teils der römischen Aristokratie, der sich dem kaiserlichen Christianisierungsdruck widersetzte und sich für die Erhaltung der traditionellen Kulte einsetzte.
Aus der römischen Werkstatt, die gegen Ende des 4. Jhs. für heidnische und christliche Austraggeber arbeitete (S.), stammt auch die Tafel in Mailand mit einem Bild der Auferstehung Christi (Abb.212). Die Szene vor dem Unterteil des Grabbaus stellt eine Verbindung zweier Ereignisse aus der biblischen Erzählung dar. Für den Engel, der den beiden Frauen die Auferstehung verkündet, ist bezeichnend, dass er auf dem Stein sitzt, den er vom Grabe wegwälzt hat (Matthäus XXVIII 1–6). Seine Flügellosigkeit ist in der Entstehungszeit nicht ungewöhnlich, die Verhüllung der Köpfe bei den Frauen ist ein geläufiges Zeichen der Trauer. Doch könnte die sitzende Gestalt auch Christus selbst sein, dem die Frauen begegnen und zu Füßen fallen (XXVIII 9 f.). Dafür sprechen die Buchrolle in seiner Hand und die Haltung der Frauen. Die Tür des Grabes ist nicht mehr geschlossen; ihr Reliefschmuck zeigt die Auferweckung des Lazarus (Johannes XI 33–44) und die Begegnung mit Zachäus (Lukas XIX 1–10). Im oberen Bildfeld sind vor dem Oberteil des Grabes die beiden Grabwächter (Matthäus XXVIII 4) und ein Baum dargestellt, außerdem in den Ecken zwei der vier apokalyptischen Wesen: Stier und Mensch (Offenbarung IV 6–8). Die beiden anderen Wesen, Löwe und Adler, sind ganz sicher auf der verlorenen zweiten Tafel des Diptychons dargestellt gewesen. Auf dieser könnte die Himmelfahrt Christi das Hauptthema gebildet haben, denn Auferstehung (Frauen am Grabe) und Himmelfahrt sind auf einem werkstattmäßig sehr verwandten Elfenbeinrelief in München vereinigt (Abb.213).
Trotz mancher Ähnlichkeiten unterscheidet sich die Reliefarbeit der Münchener Platte von der Mailänder Diptychontafel (Abb.212) in der weicheren, durch die Gewänder noch verstärkten Rundung der Körper und in einer größeren Liebe zum Detail (Abb.213). Diese kommt besonders im Mauerwerk und Schmuck des zweistöckigen Grabbaus und im Olivenbaum mit
Abb.215. Berlin, Skulpturensammlung und Museum für byzantinische Kunst, Inv. 564. Diptychon mit Darstellung von Christus und Maria, Elfenbein, Höhe noch 29 cm, Breite 12,7–13 cm. Unten um etwa 5 cm beschnitten, so dass von einem Kastenmonogramm nur ein C erhalten blieb. Abb.216. Berlin, Skulpturensammlung und Museum für byzantinische Kunst, Inv. 565. Diptychon mit Darstellung von Christus und Maria, Elfenbein, Höhe noch 29 cm, Breite 12,7–13 cm. Unten um etwa 5 cm beschnitten, so dass von einem Kastenmonogramm nur ein C erhalten blieb.
Früchten und Vögeln zum Ausdruck. Auf die Auferstehung Christi weist die Engelverkündigung nach Matthäus (XXVIII 1–6) hin, die Dreizahl der Frauen folgt Lukas )(XXIV 10). Das Bild der Himmelfahrt Christi (Apostelgeschichte I 9–11) gehört zu den frühesten Darstellungen des Themas. Der mit einem Nimbus versehene Christus eilt weit ausschreitend eine Anhöhe hinauf, vor der zwei erschreckte Apostel kauern. Er hält in der Linken eine Buchrolle und streckt den rechten Arm nach oben, wo er von der rechten Hand Gottes am Handgelenk ergriffen wird, die aus einem Himmelssegment kommt. Die Verbindung eines aktiven Hinaufschreitens mit einem passiven Ergriffenwerden entspricht dem wechselnden Wortgebrauch der biblischen Texte. In diesen kommt jedoch Gott Vater bei der Himmelfahrt Christi nicht vor. Die Einbeziehung seiner Hand lässt sich ohne Rückerinnerung an vorausgehende Entrückungsbilder nicht erklären, wie beispielsweise die Hand der Minerva bei der Himmelfahrt des Hercules auf der Igler Säule bei Trier oder die Hand Gottes auf Consecrationsmünzen Konstantins I. (Abb.8).
Bei zwei großen Tafeln in Mailand ist die Bedeutung der beiden zentralen Symbole durch ihre Rahmung besonders betont: Sowohl der Kranz von Früchten der vier Jahrszeiten mit dem nimbierten Christuslamm wie das Gemmenkreuz auf dem Hügel mit den Paradiesflüssen sind in eine Würdearchitektur gesetzt, die beim Kreuz noch durch die sonst bei menschlichen Gestalten üblichen gerafften Vorhänge betont ist (Abb.214). Die in acht Kränze eingeschlossenen Darstellungen der vier Evangelisten und ihrer Symbole geben Anlass zu der Vermutung, die Tafeln könnten als Buchdeckel entworfen sein. Die Evangelistensymbole (Mensch für Matthäus, Stier für Lukas, Löwe für Markus, Adler für Johannes) halten geöffnete Bücher und sind nimbiert und geflügelt. Die deutlich angegebene Sechszahl der Flügel lässt die Abhängigkeit von den vier Wesen der Apokalypse des Johannes erkennen (Offenbarung IV 8). Auf der linken Tafel enthalten die schmalen senkrechten Platten die Verkündigung an Maria an einer Quelle (Protoevangelium des Jacobus XI), die drei Magier mit dem Stern (Matthäus II 2), die Taufe Jesu (Matthäus III 13–17), den Tempelgang der Maria (Protoevangelium des Jacobus VII), Jesus unter den Schriftgelehrten (Lukas II 46) und den Einzug in Jerusalem (Matthäus XXI 1–11). Auf den waagerechten Platten erscheinen die Geburt Jesu (Lukas II 1–7) und der Kindermord in Bethlehem (Matthäus II 16–18). Auf der rechten Tafel sind in den waagerechten Feldern die Huldigung der Magier
Abb.217. Trier, Domschatz. Reliefplatte mit Darstellung einer Reliquienübertragung, Elfenbein, rechte obere Ecke abgebrochen, Breite 26,1 cm, Höhe 13,1 cm.
(Matthäus II 1–12) und das Weinwunder bei der Hochzeit zu Kana (Johannes II 1–12) dargestellt. Die senkrechten Felder enthalten links eine Blindenheilung (Markus VIII 22–26), die Heilung des Gelähmten (Markus II 1–12) und die Auferweckung des Lazarus (Johannes XI 39–44), rechts nehmen zwei Männer mit verhüllten Händen von Christus Kränze entgegen oder huldigen ihm mit Kränzen. Christus sitzt auf der Weltkugel und hält die Hände flach über den Kränzen. Dann folgt eine verkürzte Darstellung des letzten Abendmahls (Lukas XXII 14–23) und das Opfer der Witwe (Markus XII 41–44). Auffällig ist dieses Bildprogramm von 20 Einzelthemen in zweifacher Hinsicht. Zum einen ist die Aufteilung der Kindheitsgeschichte und des öffentlichen Wirkens Jesu auf jeweils eine Tafel durch die Position der Magierhuldigung gestört, zum anderen ist das einzige überzeitliche Thema, die Kranzszene mit thronendem Christus, an ganz unauffälliger Stelle unter die biblisch-»historischen« Darstellungen eingereiht. Das hochrechteckige Diptychon mit einteiligen Tafeln in Berlin zeigt Ähnlichkeiten formaler und stilistischer Art zur Maximianus-Kathedra in Ravenna (Abb.215–216). Besonders deutlich ist die Ähnlichkeit der Christusdarstellung des Diptychons mit den Gestalten des Johannes und der Evangelisten auf der Vorderseite der Kathedra. Die westliche Anordnung der beiden Tafeln (Christus links, Maria rechts) und die lateinische Form des Monogramms lassen auf eine Herstellung für einen Empfänger in Italien schließen. Das (fast ganz verlorene) Kastenmonogramm des Diptychons unterschied sich zwar von dem an der Kathedra, könnte jedoch einem Kämpfermonogramm des Maximianus im ravennatischen Museum entsprochen haben. Das Diptychon gelangte kurze Zeit nach der Herstellung nach Italien, wie die lateinischen Inschriften auf der Rückseite der Marientafel verraten. Sie sind in einem Schrifttypus geschrieben, der nicht mehr lange nach der Mitte des 6. Jhs. in Gebrauch war. Es handelt sich um eine zweispaltige Liste von
Abb.218. Berlin, Museum für Byzantinische Kunst. Inv. 563. Pyxis, Elfenbein, Höhe 12,2 cm, äußerer Durchmesser 14,5 cm, der Deckel fehlt, Thronender Christus mit Aposteln.
Heiligen- und Märtyrernamen aus der Zeit der Christenverfolgungen, die unten abgeschnitten wurde, als das Diptychon um etwa 5 cm verkürzt wurde (vermutlich zum Einsetzen in einen Buchdeckel). Beide Hauptpersonen des Diptychons, der langhaarige, bärtige Christus und Maria mit dem Jesuskind sitzen auf gleichartigen Sesseln mit Kissen und Fußschemeln vor einer reich geschmückten Bogen-Nischenarchitektur mit Muscheldekor in der Wölbung und an Ringen hängendem Vorhang. Älterer Symbolik entsprechen die Büsten der Personifikationen von Sonne und Mond in den Eckzwickeln als Hinweis auf die zeitliche Universalität von Darstellungs- und Bedeutungszusammenhängen. Sol trägt eine Strahlenkrone und in der Hand die Peitsche zum Antreiben der Pferde des Sonnenwagens, Luna ist an der Mondsichel im Haar zu erkennen und hält eine Fackel in der Hand. Die Frontalität der Hauptfiguren ist durch bewegte Körper- und Gewanddetails aufgelockert. Der Jesusknabe auf der Marientafel ist an den Christus der Gegentafel angeglichen; er trägt allerdings eine Buchrolle statt dessen Kodex mit Gemmen auf dem Deckel. Petrus und Paulus stehen frontal neben Christus und wenden ihm die Köpfe zu. Dagegen sind die geflügelten Engel neben Maria, von denen einer einen Globus trägt, in stärkerer Bewegung dargestellt. Neben dem bandförmigen Diadem im Haar hebt die Bekleidung ihren Rang hervor: die langärmelige Tunika ist mit gemmengeschmücktem Gürtel gerafft, die Chlamys wird auf der Schulter von einer kaiserlichen Rundfibel gehalten. Ein Elfenbeinrelief in Trier, zu dem keine Parallele bekannt ist, könnte Teil eines Reliquiars gewesen sein (Abb.217). Die Darstellung zeigt die Übertragung von Reliquien in eine Basilika, auf deren Neubau oder Restaurierung durch Handwerker auf dem Dach hingewiesen wird. Die Position der Kaiserin vor dem Gebäude lässt auf ihr besonderes Engagement für den Anlass schließen. Konstantinopel wird nicht nur als Herstellungsort des Reliefs vermutet, sondern auch als Schauplatz des dargestellten Geschehens, weil im Hintergrund der Torbau des Kaiserpalastes zu sehen ist, dessen Schmuck mit einer Christusbüste literarisch bezeugt ist. In den Fenstern der Säulenhalle sind Sänger zu sehen, die ihre Hand ans Ohr halten. Der Kaiser führt die Prozession zwar an, geht jedoch zu Fuß, während die Bischöfe mit einem Reliquiar auf einem von Maultieren gezogenen Wagen sitzen. Die Datierungsvorschläge reichen vom 5. bis ins 7. Jh., in Entsprechung zu den unterschiedlichen literarisch bezeugten Reliquienübertragungen, die von den Autoren als Darstellungsinhalt vermutet wurden. Der Empfang von Märtyrer- und Heiligenreliquien galt in Spätantike und frühem Mittelalter als besonders wichtiges Ereignis, an dem die ganze Bevölkerung teilnahm. Man glaubte, dass Reliquien eine Stadt wirksamer schützen könnten als Mauern, Gräben, Waffen und Scharen von Soldaten. Doch verließen sich die Verantwortlichen natürlich nicht auf solche religiösen Wunschbilder, wie sich gut am Bau der großen, 5,7 km langen Stadtmauer Konstantinopels mit 96 Türmen ablesen lässt, die unter Theodosius II. vom Praetorianerpräfekten Anthemios errichtet wurde.
Aus spätantiker Zeit blieb eine sehr große Zahl von Elfenbeinbüchsen mit heidnischen und christlichen Reliefdarstellungen erhalten, von denen das größte Exemplar hier abgebildet ist. Die Wandung solcher Pyxiden wurde aus dem hinteren Teil der Stoßzähne von Elefanten hergestellt, der wegen der Pulpa in der Mitte hohl war. Da der Querschnitt der Zähne in der Regel leicht oval ist, trifft dies auch auf die meisten Büchsen zu. Der in hohem Relief ausgeführte figürliche Schmuck des Exemplars in Berlin behandelt zwei Themen (Abb.218). Die Darstellung des thronenden Christus mit den Aposteln nimmt drei Viertel des Umfangs ein, der Rest entfällt auf die Szene des Abrahamsopfers (Genesis XXII). Der jugendliche Christus sitzt auf einem Thron mit hoher Rückenlehne und Fußschemel vor einer Bogenarchitektur mit Palmetten an den Ecken und mit Säulen, die gedrehte Rillen haben. Seine rechte Hand ist im Redegestus erhoben, die linke hält eine geöffnete Buchrolle. Unter den Aposteln befinden sich zwei nach oben Blickende, die aus einer frühen zweizonigen Darstellung der Himmelfahrt Christi entnommen sind (S.). Auf der Gegenseite der Pyxis ist Abraham bereit, seinen Sohn Isaak zu opfern. Er hält ein Schwert in der rechten Hand und fasst mit der linken in die Haare des Knaben, der vor der hohen Treppe zum Altar steht. Aus einem Himmelssegment erscheint die Einhalt gebietende Hand Gottes, ein Engel bringt einen Widder als Ersatzopfer. An dieser Stelle gehen die beiden Szenen ohne Trennung ineinander über, während auf der Seite des Altars noch ein trennender Baum eingefügt ist. Die Zweckbstimmung des Objekts kann nur vermutet werden. Das auf ihr dargestellte alttestamentliche Abrahamsopfer wurde in der christlichen Literatur schon sehr früh als Vorläufer des neutestamentlichen Opfers Christi und als Hinweis auf dessen Erneuerung in der Eucharistie angesehen. Daher wird man an eine Verwendung der Pyxis beim Gottesdienst denken können, etwa als Behälter für Brot oder Weihrauch. Da für keine der erhaltenen Pyxiden mit christlichem Dekor eine Datierung in das 4. Jh. zu sichern ist, dürfte auch dieses Exemplar erst im frühen 5. Jh. entstanden sein.