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7c. Ausgewählte Bauten in Konstantinopel, Griechenland und den östlichen Provinzen
7c. Ausgewählte Bauten in Konstantinopel, Griechenland und den östlichen Provinzen
Anicia Juliana, die Enkelin Valentinians III., ließ in den Jahren 524–527 an der Hauptstraße Konstantinopels in der Nähe ihres Palastes eine große, mit Atrium versehene Basilika zu Ehren des heiligen Polyeuktos errichten, die nach den erhaltenen Fundamenten 58 m lang und 52 m breit war (Abb.135). Zwischen breiten Fundamenten in West-Ost-Richtung befinden sich die Fundamente eines Ambo und eines Ganges zum Altarraum (solea). Zu den zahlreichen bei Ausgrabungen gefundenen Fragmenten der architektonischen Innenausstattung zählen Nischenbekrönungen und Pilasterkapitelle, auf denen in 11 cm hohen griechischen Buchstaben Teile der ersten 41 Zeilen eines in der Anthologia graeca überlieferten Gedichtes auf die Polyeuktoskirche wiedergegeben sind. Aufgrund der Fundlage der Details ließ sich annähernd die Innenarchitektur rekonstruieren: Im Norden und im Süden des Hauptschiffs der Kirche dürften sich drei Exedren befunden haben, die jeweils aus fünf abwechselnd halbkreisförmigen und rechteckigen Nischen gebildet waren. In den Wölbungen der Rundnischen befinden sich radschlagende Pfauen, unter den Bögen der Rechtecknischen zwei auf die Mitte gerichtete Pfauen in Profilansicht. In diese Nischenarchitektur gehören auch die beiden Pfeiler mit reichem Reliefschmuck, die nach der Plünderung Konstantinopels im vierten Kreuzzug nach Venedig entführt wurden (Abb.136). Dass diese auf der Piazetta di San Marco stehenden Pfeiler aus der Polyeuktoskirche stammen, ist durch vergleichbare Fragmente in Istanbul gesichert. Dasselbe gilt für Korbkapitelle mit Palmettenschmuck, die in der Markuskirche selbst eingebaut sind. Fragmente von Säulen mit Einlegearbeiten in Amethyst, farbigem Glas und Glas mit Goldfolie wurden in der Polyeuktoskirche im Altarraum gefunden. Sie könnten den Altarbaldachin getragen haben. Die vermutete Eindeckung der Mitte des Hauptschiffs mit einer Kuppel ist fraglich.
Abb.135. Istanbul, Archäologisches Museum. Nischenbekrönung aus der Polyeuktoskirche in Istanbul, Marmor, Höhe noch 1,44 m, Breite noch 2,26, ursprünglich 2,75 m. Dekor: Weinranken, radschlagende Pfauen und Inschrift.
Noch bevor Justinian, der Neffe Kaiser Justins, im Jahre 527 dessen Nachfolge antrat, hatte er bei seiner Residenz, dem Hormisdas-Palast, eine den heiligen Petrus und Paulus geweihte Basilika errichtet. Zwischen 531 und 536 fügte er gemeinsam mit Theodora eine weitere Kirche an, die mit der schon bestehenden die Vorhalle und das Atrium gemeinsam hatte. Sie diente dem Kult einer monophysitischen Gemeinschaft, die im früheren Hormisdas-Palast untergebracht war und von Theodora besonders gefördert wurde. Bei dieser den Heiligen Sergios und Bakchos geweihten Kirche ist in einen etwas unregelmäßigen quadratischen Außenbau ein achteckiges, zweistöckiges und überwölbtes Zentrum eingeschlossen (Abb.137–138). Die Kuppel wird von acht Pfeilern und zweigeschossigen Stütznischen mit abwechselnd rechteckigem und halbkreisförmigem Grundriss getragen. Der Pfeilerabstand wurde im Osten für den Zugang zum Altarraum und der Apsis bedeutend vergrößert, im Westen für den Eingang nur geringfügig. Auf dem horizontalen Gebälk des Untergeschosses der Nischen befindet sich eine sorgfältig gemeißelte Versinschrift in zwölf Hexametern. In ihr wird der hochgepriesene Sergios nicht nur für den Erhalt der Herrschaft des schlaflosen Kaisers angerufen, sondern auch für die Vergrößerung der Macht der frommen und für die Mittellosen sorgenden Kaiserin. Dass Justinian bis in die späte Nacht arbeitete, erwähnen mehrere zeitgenössische Autoren, beispielsweise Prokop (Bauten VII 8–10). Der Passus zu Theodora muss sich unter anderem auf ihre Sorge für die monophysitischen Flüchtlinge beziehen. Die Bögen des Obergeschosses und eingeschobene Zwickel tragen die aus Ziegeln gebaute, sechzehnteilige und über den Fenstern stark gedrückte Kuppel von rund 16,50 m Durchmesser. Ihre sechzehn keilförmigen Elemente sind abwechselnd flach oder leicht gewölbt. Die flachen Elemente sitzen über den Bogenscheiteln und sind von Fenstern durchbrochen, die gewölbten befinden sich über den Pfeilern, die außen an ihnen hochgeführt werden konnten.
Die erste Kirche am Ort der Hagia Sophia, der heiligen Weisheit Gottes, wurde als Megale ekklesia – »große Kirche« 360 geweiht (Abb.139). Der Bauauftrag für diese Basilika dürfte von Constantius II. erteilt worden sein. Nach einem Brand im Jahre 404 wurde sie von Theodosius II. wiederum in basilikaler Form erneuert. Von der Vorhalle zum Atrium dieses Baues, der im Jahre 532 beim Nika-Aufstand abbrannte (S.) blieben Architekturteile beachtlicher Qualität erhalten. Kaiser Justinian gab sogleich nach dem Ende der Unruhen von 532 den Architekten Anthemios von Tralles und Isidoros von Milet den Auftrag zum Bau der Hagia Sophia, der bis heute stehenden
Abb.136. Venedig, Piazetta di San Marco, Pfeiler aus der Polyeuktoskirche in Istanbul. Marmor, Höhe ###.
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Abb.137. Istanbul, Kirche der heiligen Sergios und Bakchos, Grundriss. berühmtesten Kirche der Spätantike (Abb.140). Bereits 537 konnte der Neubau eingeweiht werden, der zwar mit 81 m Länge und 70 m Breite flächenmäßig nicht viel größer ist als der Vorgängerbau, in dem jedoch die längsgerichtete Architektur mit einer zentralen Kuppel von 31,30m Durchmesser und 55,60m Höhe verbunden ist. Im Innenraum verbindet sich das überwältigende Erlebnis der Kuppel mit einem starken Eindruck der Längsrichtung vom Eingang zur Apsis, also von Westen nach Osten (Abb.141). Dieser kommt dadurch zustande, dass in dieser Richtung die Schildbögen unter der Kuppel offen sind, weil an sie Halbkuppeln angesetzt sind, unter denen sich weitere Nischen öffnen. Im Norden und Süden dagegen ist der Mittelraum in einer Breite, die dem Kuppeldurchmesser entspricht, räumlich und visuell abgeschlossen. Die Architekten Justinians hatten den Mut, eine Kuppelform in einem Großbau zu verwirklichen, die zuvor nur in kleinem Maßstab vorlag, die Pendentivkuppel über den vier Bögen eines Quadrats. Um die Bedeutung dieses Höhepunkts der spätantiken Wölbungsarchitektur zu erfassen, muss man sich den Unterschied zu einem völlig anderen System der Lastabtragung von Kuppeln vergegenwärtigen, dessen bis heute erhaltenes Meisterwerk das römische Pantheon aus hadrianischer Zeit darstellt. Dessen Kuppel von 43,30m Durchmesser und derselben Höhe wurde von einem kreisförmigen Zylinder mit einer Wandstärke von 6,05 m im ganzen Umfang getragen. Allerdings erfolgte durch innere Bögen im tragenden Zylinder eine Aufteilung der Lasten, damit man zum Innenraum hin Nischen anlegen konnte. Die Gliederung durch Nischen wurde auch stärker aufgelöst, beispielsweise in Rom um 300 beim zehneckigen sogenannten Tempel der Minerva Medica und in Konstantinopel im 6. Jh. bei der Kirche der Heiligen Sergios und Bakchos (Abb.137). Dagegen liegt der Basiskreis der Kuppel der Hagia Sophia nur an vier Punkten auf den Scheiteln der Schildbögen auf. Vom größten Teil der Kuppel wird die Last durch vier Eckzwickel (Pendantifs) auf die Bögen und die Eckpfeiler übertragen. Die Haltbarkeit der Kuppel des Anthemios und Isidoros hing also davon ab, ob die vier Bögen und die vier aus Quadern errichteten
Abb.138. Innenansicht.
Abb. 139. Istanbul, Hagia Sophia, Idealgrundriss. A Atrium B Brunnen C Herologion D Baptisterium E Treppenaufgang F möglicher vierter
Treppenaufgang G Skeuophylakion
Eckpfeiler ausreichend dagegen geschützt waren, unter dem Seitenschub nach außen auszuweichen.
Bereits 557 stürzte die Kuppel der Hagia Sophia nach Erdbebenschäden ein. Da die beiden Architekten bereits gestorben waren, wurde ein gleichnamiger Neffe des Isidoros mit dem Neubau beauftragt. Auch seine Kuppel war aus radial angeordneten Ziegeln errichtet, aber etwa sechs Meter höher als die erste Kuppel und daher statisch günstiger. Außerdem ließ Isidor die ausgewichenen tragenden Bögen im Norden und Süden verstärken und auf diesen Seiten auch die Pfeiler zusätzlich unterstützen. Es sind noch öfter im Lauf der Jahrhunderte Teile der Kuppel eingestürzt, meist als Folge von Erdbeben, immer als Folge der Defizite der Lastabtragung im Norden und Süden. Im Osten und Westen sichert eine Halbkuppel den tragenden Bogen im ganzen Umfang und wird selbst von eingewölbten Nischen gestützt (Abb.). Dagegen reichen im Norden und Süden die zweigeschossigen Nebenräume nur bis zum Fuß der Bögen (Abb.), und die Bögen und Pfeiler mussten immer wieder verstärkt werden, bis hin zu den vier gewaltigen Strebepfeilern, die seit dem 14.Jh. die Außenansicht der Hagia Sophia dominieren. Von der ursprünglichen Innenausstattung blieben nur Architekturdetails erhalten. Nur aus Beschreibungen kennen wir die Priesterbank in der Apsis (Synthronon), den Altar mit prächtigem Baldachin, die Schranken für die Plätze der Sänger, einen Verbindugsgang (Solea) zum ovalen Ambo unter der Kuppel, den Brunnen im Vorhof (Atrium) vor den beiden Vorhallen der Kirche. Ein zeitgenössischer Dichter Paulos, wegen seines Amtes Paulos Silentiarios genannt, verfasste eine Beschreibung (Ekphrasis) der Hagia Sophia und eine weitere des Ambo. In ersterer wird für die Kuppel der Vergleich mit dem Blick in den Himmel erwähnt (490 f.; 529 f.), den schon kaiserzeitliche Autoren verwendeten. Außerdem wird ein nicht erhaltenes Kreuz im Kuppelscheitel beschrieben und seine übelabwehrende Funktion »zum Schutze der Stadt« genannt (491 f.).
Vom Palast des Galerius in Thessaloniki gelangte man durch den ihm errichteten Ehrenbogen (Abb.13) zu einem Rundbau von 24,50m Innendurchmesser und 29,80m Höhe (Abb.142). Er besaß acht innere Rechtecknischen, in der Wand darüber acht Fenster und schließlich eine Kuppel. Die Wände wurden aus abwechselnden Ziegel- und Bruchsteinschichten errichtet, die Tonnengewölbe der Nischen und die Kuppel bestanden aus Ziegeln. Dass der vermutlich nicht ganz fertiggestellte Bau als Mausoleum geplant war, ist nicht sicher; beigesetzt wurde der Kaiser jedenfalls bei seinem Alterssitz Felix Romuliana (S.). Zu ungeklärtem Zeitpunkt, vermutlich unter Theodosius (379–395), wurde diese Rotunde für die Verwendung als christliche Kirche umgestaltet. Die östliche der acht Nischen wurde zum Altarraum mit einer Apsis ausgebaut und die übrigen zu einem neu angelegten, 8 m breiten Umgang geöffnet. Gegenüber der Apsis wurde ein weiterer Eingang eingerichtet. Da im Kuppelscheitel dieselben Ziegel verwendet wurden wie in der Apsis, wäre es möglich, dass die Kuppel des Galeriusbaus nicht vollendet war oder dass sie eine zentrale Öffnung besaß wie das römische Pantheon. Auf die Marmorverkleidung der Wände bis zum Kuppelansatz weisen heute nur noch Dübellöcher hin. In den Tonnengewölben der Nischen befinden sich dekorative Mosaiken mit Blumen und Blüten in geometrischen Feldern, nur über dem Südeingang ein nicht unterteiltes Feld mit Fruchtkörben und Vögeln, in dessen Mitte ein großes Kreuz als Eingangsschutz erscheint. Die unterste Zone der Kuppelmosaiken wurde mit acht großen, zweistöckigen und dreiteiligen Architekturfassaden geschmückt, die gut erhalten blieben, außer der bei einem Einsturz zerstörten östlichen. In der Mitte der Prospekte sieht man Kreuze mit der Taube des Heiligen Geistes oder Tische, auf denen ein geschlossener Kodex liegt. Die reich mit Perlen und Edelsteinen geschmückten Architekturen können keine real existierenden Bauten wiedergeben, daher ist eine Interpretation als Symbol für Himmelsvorstellungen naheliegend. In einen solchen Kontext passt es auch, wenn vor jeder Fassade zwei oder drei überlebensgroße Märtyrer der östlichen Kirche in Gebetshaltung stehen . Die Heiligen sind unterschiedlichen Alters und in den Farben, Gesichtszügen, Haaren und gegebenenfalls Bärten stark von-
Abb.140. Außenansicht von Südwesten.
Abb.141. Innenansicht nach Osten.
einander unterschieden. Eine griechische Inschrift nennt den Namen und Beruf jeden Märtyrers und gibt den Monat, die Provinz und die Diözese an, in denen sein Gedächtnis gefeiert wird. Ein Kriterium für die Auswahl der Märtyrer und ihre Anordnung wurde bisher nicht gefunden.
In der nächsthöheren Mosaikzone der Kuppel müssen sich mehr als 24 Gestalten befunden haben, von denen nur die Füße und die Säume weißer Gewänder erhalten blieben. Es könnten Engel dargestellt gewesen sein, die sich in leichter Bewegung befanden (Abb.143). Nach Vergleichsbeispielen (Abb.) müssen diese Gestalten in Beziehung zu Christus gestanden haben, der im Scheitel der Kuppel auf silbernem Grund erscheint. Wie die Mosaikreste und die Vorzeichnung auf den Ziegeln erkennen lassen, ist Christus jugendlich, bartlos und mit langen Haaren dargestellt; er besitzt einen goldenen Nimbus, hat die rechte Hand triumphierend erhoben und trägt in der linken Hand einen Kreuzstab. Das Medaillon, in dem er mit etwas vorgesetztem rechtem Fuß steht, ist von einem Früchtekranz und weiteren Ornamentmotiven gerahmt. Dieser Rahmen wird von vier geflügelten und nimbierten Engeln »getragen«, zwischen die im Osten ein Phönix als Symbol der Ewigkeit eingefügt ist (S.).
Der Wanddekor in frühchristlichen Kirchen richtete sich nach ästhetischen und statischen Regeln. Über Säulenstellungen, also über einem Architrav oder über Bögen, wurde nur Bemalung oder Mosaik angebracht. Dagegen wurde in geschlossenen Wandteilen eine untere Zone häufig mit Marmorplatten verkleidet (Abb.144). Diese verdankten ihre Wirkung meist der Maserung kostbarer Steinsorten. Doch konnten für diesen Dekor auch Reliefplatten verwendet werden, wie eine in Berlin befindliche Platte zeigt. Der Schmuck des Bogens mit einem ionischen Kyma (»Eierstab«) und Astragal (»Perlstab«) und seine Füllung mit einer Muschel entsprechen östlichen Vorbildern. Der Kindersarkophag in Istanbul (Abb.80) geht ihm sicher zeitlich voraus. Das Hauptmotiv in der Nische ist ein Thron mit hoher Rückenlehne, auf
Abb.142.Thessaloniki, Hagios Georgios, Grundriss.
Abb.143. Mosaikdetail: Christusmedaillon mit Engeln.
dessen Sitzkissen ein mit Rundfibel geschlossener Mantel (Chlamys) und ein Perlendiadem liegen. Rundfibel und Diadem sind Zeichen kaiserlichen Ranges, doch stellt die Taube des heiligen Geistes ebenso wie die dem Thron zugewandten beiden Lämmer sicher, dass diese Insignien auf Christus übertragen sind. Das Relief war unten ursprünglich länger und oben rechteckig abgeschlossen. Fehlende Teile der Taube und des vorderen Lammes waren selbständig gearbeitet und mit Hilfe von Dübeln angesetzt. Bei einem Vergleichsstück in Venedig ist der figürliche Dekor abgearbeitet, bei einer Parallele in Nikosia auf Zypern steht in der Bogennische ein Ziegenbock vor Bäumen.
Als Beispiel für Fußbodenmosaiken in Kirchen des 6. Jhs. wird ein Detail aus der Ausstattung der Kirche des heiligen Demetrios im griechischen Nikopolis abgebildet. Die Kirche wurde von einem Bischof Dumetios I. vermutlich in frühjustinianischer Zeit erbaut. Es handelt sich um eine dreischiffige Basilika mit Vorhof (Atrium), Vorraum (Narthex) und einem Querschiff vor der Apsis. Bei diesem ist das Bemaquadrat des Mittelschiffs von zwei seitlichen, fast quadratischen Nebenräumen von 7,08m Länge und 6,80 m Breite gerahmt, deren Fußböden mit Mosaiken geschmückt sind. Während die Darstellungen im südlichen Nebenraum sich mit der Jagd beschäftigen, enthält das nördliche Mosaik eine bisher einmalige Darstellung. Im Mittelfeld von 3,01m Breite und 2,93m Höhe stehen drei Obstbäume und sechs Zypressen. Unter den Bäumen wachsen Blumen, vor den seitlichen Bäumen steht je ein großer Vogel, neben dem Granatapfelbaum ein kleinerer, über den Bäumen fliegen weitere acht Vögel. Im sehr abwechslungsreich gestalteten Rahmen befindet sich ein 60 cm breiter, umlaufender Wasserstreifen mit verschiedenartigen Fischen, Wasservögeln und -pflanzen, einem Harpunenfischer auf einem Boot und einem weiteren Fischer, der auf einem Felsen sitzt. Wären nur die soeben beschriebenen Mosaikdetails erhalten geblieben, so wäre ihre Deutung kaum über die Annahme einer Paradiesdarstellung hinausgekommen. Doch ist unter den Bäumen des Mittelfeldes eine griechische Mosaikinschrift angebracht:
»Was du hier siehst, ist der berühmte, grenzenlose Ozean, der in seiner Mitte die Erde enthält. Sie trägt
in kunstvollen Bildern alles, was da atmet und kriecht. Stiftung des großherzigen Erzpriesters Dometios.«
Es ist gewiss überraschend, dass einige Vögel alle Lebewesen auf der Erde vertreten sollen, wie mit einem Homerzitat vermerkt wird (Ilias XVII 447; Odyssee XVIII 131). Besonders interessant ist jedoch, dass der Bischof mit seinem Mosaik das Weltbild einer vom Ozean umgebenen flachen Erde vertrat. Dieses wurde in der Mitte des 6. Jhs. besonders von Kosmas Indikopleustes (dem »Indienfahrer«) vertreten und in Miniaturen dargestellt. Er bemühte sich in einer »Christlichen Topographie«, die allerdings nur durch drei Kopien des 9. Jhs. bekannt ist, die seit Pythagoras, Platon und Aristoteles bekannte Vorstellung von der Kugelgestalt der Erde und ihrer Bewegung um die Sonne als widersprüchlich zur Heiligen Schrift zu erweisen.
Bei der Ortschaft Kiti auf Zypern blieb in der mittelalterlichen Kirche Panagia Angeloktistos (von Engeln erbaute Kirche der Allheiligen, also Marias) die mittlere von drei Apsiden einer frühchristlichen Basilika mit dem Mosaikschmuck ihrer Wölbung erhalten (Abb.145). Das ca. 3,70 m breite Mosaik unterscheidet sich von anderen Mosaiken der Insel durch eine technische Besonderheit. Unter den sehr kleinen und sorgfältig aneinandergefügten Mosaiksteinchen gibt es neben den gewohnten Glastesserae auch solche, die aus bemaltem Marmor bestehen. Ihre mattere Oberfläche sollte beispielsweise den stofflichen Charakter von Gewändern betonen. In der Mitte des Mosaiks steht Maria mit dem Jesuskind im linken Arm auf einer mit Gemmen geschmückten Fußplatte. Die Erzengel Michael und Gabriel, die ihr huldigen, sind wie Maria mit Namen bezeichnet (Abb.146). Maria besitzt einen goldenen Nimbus, ist in eine gegürtete Tunika und eine purpurfarbene Palla gekleidet und hat das mit einem Kreuz geschmückte Maphorion (Schleier) über den Kopf gezogen. Das mit Redegestus, Buchrolle und goldenem Kreuznimbus ausgestattete Kind trägt ein Goldgewand und blickt ebenfalls auf den Beschauer. Dagegen schreiten die beiden Erzengel auf Maria und das Kind zu und haben die Köpfe etwas zur Mitte gedreht. Beide tragen ein Diadem und lange Zeremonienstäbe; ihre Nimben sind silbern, ihre Flügel mit Pfauenfedern geschmückt. Zur Huldigung bringt jeder Erzengel dem Christuskind einen großen Globus (sphaera) mit einem aufgesetzten Kreuz dar, das sich auf der Fläche der Kugel spiegelt. Die aus der Herrscherikonographie übernommene sinnbildliche Bedeutung des Globus als Zeichen der umfassenden Weltherrschaft ist hier ausnahmsweise durch die Farben zum Ausdruck gebracht: Im Globus wölbt sich der blaue Himmel über dem graugrünen Erdkreis. In der Laibung des Apsisbogens in Kiti sind zu Seiten eines Kreuzmedaillons dekorative Darstellungen von Tieren, Pflanzen und Gefäßen zu sehen.
Unter dem Berg Sinai errichtete Kaiser Justinian für verstreut lebende Mönche das Katharinenkloster (Abb.147). Wie die Inschrift auf einer der originalen Reliefplatten an den Deckenbalken der Marienkirche des Klosters erkennen lässt, geschah dies nach dem Tode der Kaiserin Theodora im Jahre 548. Die Anlage umgibt eine zehn Meter hohe und zwei Meter starke
Abb.144. Berlin, Staatliche Museen, Skulpturensammlung und Museum für Byzantinische Kunst, Inv. 3772. Reliefplatte mit Throndarstellung, Marmor von der Insel Marmara (Prokonnesos), Höhe noch 1,67 m, Breite noch 86 cm, Herstellungsort vermutlich Konstantinopel.
Abb.145. Kiti (Kition) auf Zypern, Panagia Angeloktistos, Apsismosaik.
Abb.146. Detail: Globus, den der Erzengel Michael dem Jesuskind präsentiert. Mauer aus behauenen Granitblöcken. Die Klosterkirche ist eine dreischiffige Basilika, die abweichend vom Plan des Klosters genau nach Osten gerichtet ist. In den Mosaiken der Apsisstirnwand wird die Mitte von einem Medaillon mit dem Gotteslamm eingenommen (Abb.148). Es steht vor einem Kreuz und einem Hintergrund mit drei Farbzonen als Hinweis auf die göttliche Dreifaltigkeit. Ihm huldigen zwei fliegende Engel mit kreuzgeschmückten Globen. Sie tragen Kreuzstäbe und besitzen Flügel, die mit Pfauenfedern geschmückt sind. Auch Maria und Johannes in den Medaillons der Zwickel sind als Fürbitter dem Gotteslamm zuzuordnen. Weiter oben sind links und rechts neben zwei Fenstern zwei alttestamentliche Szenen dargestellt: Moses, der am brennenden Dornbusch auf dem Berg Horeb seine Sandalen auszieht (Exodus III 1–6) und der hier am Berge Sinai mit verhüllten Händen die Gesetzestafeln empfängt (Exodus XIX–XX). In beiden Bildern ist das Himmelssegment mit der Hand Gottes farblich dreifach abgestuft. In der Apsiswölbung ist die Verklärung Christi mit Moses und Elias und den Aposteln Petrus, Jakobus und Johannes zu sehen (Matthäus
Abb.147. Sinai, Katharinenkloster, Gesamtansicht.
Abb.148. Sinai, Katharinenkloster, Marienkirche. Apsismosaik.
XVII 1–9). Dieses Bild wird oben und unten von zwei Reihen von Medaillons gerahmt. In diesen sind oben zu Seiten eines Kreuzes die Brustbilder von Aposteln dargestellt. Da sie – wie alle menschlichen Personen des Mosaiks – namentlich bezeichnet sind, erkennt man, dass die drei Zeugen der Verklärung Christi nicht wiederholt werden, sondern durch Paulus und die beiden noch fehlenden Evangelisten Markus und Lukas ersetzt sind. Unten sind siebzehn Vertreter des Alten Testaments aneinandergereiht. Die mittlere Gestalt König Davids ist wie ein römischer Kaiser gekleidet und trägt ein Diadem mit seitlichen Perlenanhängern und einem bekrönenden Kreuz. Da der König zudem nicht, wie üblich, bärtig erscheint, ist eine Anspielung auf Kaiser Justinian nicht auszuschließen. An den Ecken sind, durch rechteckige Nimben als Lebende bezeichnet, ein Diakon Johannes und der auch in der Widmungsinschrift über den Medaillons genannte Hegoumenos (Abt) Longinus zu sehen.
Der Kreuznimbus Christi im Verklärungsbild ist an der oberen Kante unterbrochen. Hier sind zwei Ringe befestigt, durch die ursprünglich ein Seil lief, an dem ein Altarkreuz auf- und abwärts bewegt werden konnte. Aller Wahrscheinlichkeit nach war dieses das »Moseskreuz«, ein im Kloster aufbewahrtes Messingkreuz justinianischer Zeit von 1,04m Höhe und 0,78m Breite, das einen Ring zum Aufhängen besitzt. Unter seinen Querarmen gibt es je drei Ringe für Schmuckanhänger, darüber jeweils einen Kerzenhalter. Wollte man Kerzen aufstecken und anzünden, so musste
man das Kreuz herablassen. Das Kreuz trägt in Gravuren dieselben beiden Szenen, die am Apsisbogen als Mosaikbilder erscheinen, also Moses am brennenden Dornbusch und beim Gesetzesempfang am Sinai.
Da sich in Ägypten schon sehr früh Einsiedler (Eremiten) in die Wüste zurückzogen und bedeutende Klöster für das Zusammenleben von Mönchen (Koinobiten) entstanden, hätte man erwarten können, dass sich an einem der großen Klöster, etwa dem Schenutekloster bei Suhan eine ähnliche Entwicklung ergeben hätte, wie beispielsweise bei der Säule des Styliten Symeon in Qal’at Sem’an (Abb.152). Stattdessen entstand das bedeutenste Pilgerziel Ägyptens an einer Stelle, an der man im frühen 5. Jh. das Grab eines nur durch Legenden bekannten Soldaten und Märtyrers mit Namen Menas gefunden zu haben glaubte (Abb.149). Menas, der aus Ägypten stammte, soll in Phrygien als Soldat ein Opfer der Diocletianischen Christenverfolgung des frühen 4. Jhs. geworden sein. Sein Leichnam wurde zu einem militärischen Einsatz nach Ägypten mitgenommen und hier an dem Ort beigesetzt, an dem das zum Transport bestimmte
Abb.149. Ab6 Mpna(Ägypten), Plan des Kultzentrums. 1 Gruftkirche, 2 Große Basilika, 3 Baptisterium, 4 Großer Pilgerhof, 5 Halbkreisförmiger Pilgerhof, 6 Doppelbad, 7 Nordbad, 8 Großer Peristylbau.
Abb.150. Ab6 Mpna, Grabungshaus. Flache Menasampulle. Ton, rötlich-braun, Höhe 11,1 cm, Durchmesser 7,9 cm, Tiefe 2,6 cm, Herstellungs- und Fundort Ab6 Mpna. Kamel nicht mehr weitergehen wollte. Zur Erklärung, wie das Grab des Märtyrers im nächsten Jahrhundert in einer seit vierhundert Jahren verlassenen Siedlung wiederentdeckt werden konnte, dienten Erzählungen von Heilungswundern.
Das Zentrum des Märtyrerkults, die Gruft des heiligen Menas, wurde in einer unterirdischen Grabanlage errichtet, die ursprünglich nur durch einen senkrechten Schacht zugänglich war. Sie gehörte zu einer späthellenistischen Siedlung, die im 1. Jh n.Chr. aufgegeben wurde und von deren Lehmziegelhäusern ansehnliche Reste unter der ersten Phase der Gruftkirche und unter der Großen Basilika erhalten blieben. Der erste Bau der Gruftkirche, die »Kleine Basilika« wurde in der ersten Hälfte des 5. Jhs. errichtet, die dreischiffige »Große Basilika« mit breitem Querhaus vor dem Ende des Jahrhunderts an sie angebaut. Von der Kleinen Basilika blieb eine für das Pilgerwesen wichtige Anlage unter dem Altar erhalten, weil sie beim Neubau der Gruftkirche in justinianischer Zeit zur Weiterverwendung eingerichtet wurde. Unter einer Marmorplatte mit einer Öffnung von 5 cm Durchmesser befand sich ein Marmorkrater, der nach Aussage der vorgefundenen Verkrustungen immer wieder mit Öl gefüllt wurde. Aus ihm konnten mit einem Stäbchen einige Tropfen Öl entnommen und an die Pilger verteilt werden. Offenbar bedankten sich die Gläubigen seit der Mitte des 5. Jhs. beim Heiligen für diese Segensgabe, denn im Gefäß befanden sich über 8000 Kleingeldmünzen. Seit dem Beginn der lokalen Keramikproduktion im letzten Viertel des Jahrhunderts wurden auch Pilgerampullen mit dem Bild des Märtyrers hergestellt; da sie nicht wasserdicht sind, dienten sie vermutlich dazu, einige Tropfen Öl als Andenken mitzunehmen.
Mit der justinianischen Epoche begann die hauptsächliche Blütezeit des Pilgerortes. Der Neubau der Gruftkirche aus dieser Zeit war ein prächtiger Vierkonchenbau. Eine zweite Treppe zur Menasgruft wurde angelegt, damit die Pilger ohne Gegenverkehr am Grab des Heiligen vorbeiziehen konnten. Der Pilgerhof und sein Zugang erhielten Säulenhallen, Pilgerherbergen in Lehmziegeln wurden als Hausteinbauten erneuert. Es entstanden große Neubauten, wie der monumentale große Peristylbau mit zwei Innenhöfen südwestlich des Doppelbades. Dieses stammte aus dem 5. Jh. und erlebte nun eine neue Bauphase mit erweiterter Göpelanlage für die Wasserversorgung; ein weiteres Bad mit ganz ähnlichem großem Brunnen wurde weiter nördlich errichtet. Für den Bau der nur im Westen und Süden der Stadt nachgewiesenen Stadtmauer gibt es keinen Datierungshinweis. Sie wurde nie vollendet, möglicherweise wegen der Perserinvasion um das Jahr 619, bei der große Teile der Stadt zerstört wurden und die Kirchen im Zentrum ausbrannten. Von dieser Katastrophe hat sich die Pilgerstadt nie ganz erholt. Seit der zweiten Hälfte des 7. Jhs. wurden zwar bescheidene Häuser aus wiederverwendeten Steinen gebaut, aber bedeutende Anlagen wie die beiden Bäder nicht wieder hergestellt, sondern als Müllabladeplatz verwendet. In der ersten Hälfte des 9. Jhs. wurde noch einmal eine Kirche errichtet, doch nach Aussage der Münz- und Keramikfunde ging schon mit dem Ende dieses Jahrhunderts das Leben in Ab6 Mpna zu Ende.
Am Gedächtnisort des heiligen Menas konnten die Pilger seit dem ausgehenden 5. Jh. verschiedenste buntbemalte figürliche Andenken erwerben: Reiterfiguren, Tiere, Tiergefäße und Statuetten schwangerer Frauen, die auf die Wundertätigkeit des Märtyrers gegen Kinderlosigkeit hinweisen. Das Hauptandenken
waren jedoch zweihenklige Tonampullen, die in großer Zahl in Ägypten und im ganzen Mittelmeerraum gefunden wurden (Abb.150). Die einfachen, stets unbemalten Gefäße wurden aus zwei in Modeln geformten Hälften zusammengesetzt und nach Ansetzen der Henkel gebrannt. Meistens ist auf beiden Seiten der Heilige als Soldat in Gebetshaltung zwischen zwei an Kamele erinnernden Tieren dargestellt. Um deren merkwürdiges Aussehen zu erklären beschrieb eine spätere Legende, das Schiff mit der Leiche des Märtyrers sei auf der Überfahrt von kamelartigen Ungeheuern bedroht, aber durch die Macht des Heiligen gerettet worden. Nicht selten wird auf einer der Ampullenseiten mitgeteilt, das Gefäß sei ein Segensandenken (Eulogia) des heiligen Menas. Ohne das Vorbild der (bisher zu spät datierten) wertvolleren palästinischen Metallampullen (Abb.160) sind die unscheinbaren Menasampullen kaum vorstellbar.
Auf einer in London befindlichen Elfenbeinpyxis wurde im 6. Jh. die Menaslegende in drei Szenen dargestellt (Abb.151). Bei der Verurteilung ist außer dem Richter und einem Soldaten auch ein Beamter mit einem Diptychon anwesend, ein Hinweis darauf, dass Urteile in schriftlicher Form zu erfolgen hatten. Zur Enthauptung hat der Henker die Haare des fast nackten Märtyrers ergriffen. Dessen Seele will ein herbeieilender Engel mit verhüllten Händen in Empfang nehmen. In der Hauptszene ist der Rang des Heiligen in mehrfacher Weise betont: durch den Nimbus, die Bekleidung mit der Chlamys, die Bogennische mit gedreht gerillten Säulen und vier Gestalten, die ihm mit beiden Händen huldigen. Von links nahen sich zwei Frauen, von rechts zwei Männer, und auch die beiden Kamele fehlen nicht, durch die Menas identifiziert werden kann.
In einer Übersicht über frühchristliche Kunst darf ein Hinweis auf die architektonischen Zeugnisse und die zahlreichen, aber künstlerisch bescheidenen Bildwerke nicht fehlen, die mit dem Leben einer besonderen Gruppe von Asketen verbunden sind, den Säulenstehern (griechisch: Styliten. Abb.152). Als Erfinder dieser Lebensform gilt ein Mönch mit Namen Symeon, der sein Kloster verließ, um einsam auf einem nahen Felsen zu leben. Um das Jahr 417 bestieg er eine kleine Säule, die in der Folgezeit stufenweise erhöht wurde, bis sie 430 eine Höhe von 16 m erreicht
Abb.151. London, British Museum, Inv. PY PY 1879,1220.1. Deckelbüchse (Pyxis), Elfenbein, Höhe 7,8 cm, Durchmesser 12,2 cm, Deckel, Boden und Schloss verloren, Herstellungsort vermutlich Alexandria, Fundort Rom, Kirche S. Paul vor den Mauern.
Abb.152. Qal'at Sem’an, Stylitenheiligtum. Südliche Vorhalle und Haupteingang. hatte. Auf der Plattform dieser Säule lebte Symeon bis zu seinem Tode 459. Er predigte den Besuchern und soll zahlreiche Wunder gewirkt haben. Der Pilgerstrom zu seiner Säule endete auch nicht nach dem Tode Symeons, obwohl sein Leichnam unter militärischem Schutz in die Kathedrale von Antiochia überführt worden war. So enstand zwischen 475 und 490 ein großartiges Pilgerheiligtum unter Verwendung des lokalen Kalksteins, dessen Ausführung ohne Steinmetze aus der Hauptstadt Antiochia nicht vorstellbar ist. Gute Gründe lassen an eine Initiative und finanzielle Beteiligung des Kaisers Zeno (474–491) denken. Der Name der Anlage, Qal’at Sem’an (Symeonsburg), ist erst frühmittelalterlich. Wenn die Pilger aus den Herbergen in Deir Sem’an (Symeonskloster), dem antiken Ort Telanissos, den Hügel hinaufgestiegen waren, bot ein monumentales Tor Zugang zu einem ummauerten Bezirk von etwa 16.000 Quadratmetern. Am Kuppelbau eines Baptisteriums und einem Kloster mit eigener Kirche vorbei gelangte man zur Vorhalle des Haupteingangs im Süden der Gedenkstätte, in deren Zentrum die Säule des Styliten innerhalb eines achteckigen Raumes von etwa 28m Durchmesser stand (Abb.153). Die weiten Bogenöffnungen dieses Oktogons führten in vier kreuzförmig angeordnete dreischiffige Basiliken, von denen die östliche durch drei Apsiden als Raum für die Feier der Eucharistie hervorgehoben ist. Im 6. Jh. berichtete Euagrios Scholastikos, dass die Pilger im Oktogon in Qal`at Sim’an die Säule des Styliten mit ihren Lasttieren umkreisten (historia ecclesiastica I 14). Das nächstgelegene Vorbild einer solchen vierflügeligen Anlage war die im letzten Viertel des 4. Jhs. erbaute Kirche in Antiochia-Kaoussie mit den Gebeinen des heiligen Babylas, eines Märtyrerbischofs von Antiochia aus dem 3. Jh. In seinen architektonischen Details ist der Kirchenbau in Qal’at Sem’an stark von einer Basilika abhängig, die im nahegelegenen Qalblaze einige Jahre zuvor errichtet worden war (Abb.154). Diese Kirche, an deren Wänden es auch Stylitendarstellungen gibt, übte mit ihren weiten, von Pfeilern getragenen Mittelschiff-Arkaden und zwei Türmen an der Westseite starken Einfluss aus, der auch über Syrien hinausging.
Das Beispiel Symeons regte eine große Zahl von Nachfolgern an, nicht nur in Syrien und Mesopotamien, wo mit etwa 70 Styliten gerechnet wird, sondern auch in angrenzenden Gebieten bis nach Konstantinopel. Auch von Stylitinnen wird berichtet. Der berühmteste Nachfolger Symeons (»des Älteren«) hieß ebenfalls Symeon (»der Jüngere«). Er verbrachte
im 6. Jh. fünfzig Jahre als Stylit auf einem Berg in der Nähe von Antiochia, der wegen der Wundertätigkeit des Styliten als »Berg der Wunder« bezeichnet wurde und auf dem schon zu seinen Lebzeiten große Kult- und Pilgerbauten errichtet wurden. Viele aus Lehm gepresste Segensandenken tragen das Bild Symeons des Jüngeren auf der Säule, bisweilen mit der Umschrift: »Eulogie des heiligen Symeon vom Berg der Wunder«. Durch literarische Erzählungen wissen wir, was man dem am Fuß der Styliten-Säulen aufgenommenen Sand an Krankenheilungen, Dämonenaustreibungen und Besänftigung von Seestürmen zutraute. Abgesehen von Stylitendarstellungen, die sich an Kirchenwänden befinden, blieben auch eine Reihe größerer Reliefs mit Stylitenbildern erhalten. Eine Basaltstele aus dem Jahre 492 nennt in ihren Inschriften nicht nur den heiligen Symeon, sondern auch den Namen eines Stifters (Abb.155). Das Basaltrelief Symeons des Älteren in Berlin wurde in der Nähe von Homs gefunden und könnte Teil einer Chorschranke in einer syrischen Kirche gewesen sein. Der Stylit ist in Kurzform auf der Säule dargestellt. Das Kreuz auf seiner Kapuze weist ihn als Mönch aus. Dasselbe gilt für die Gestalt, die mit einem Weihrauchgefäß auf einer Leiter zu ihm emporsteigt. In
Abb.153. Qal'at Sem’an, Stylitenheiligtum. Blick von Norden über die Reste der Säule und ihres Sockels hinweg zur Eingangswand im Süden.
Abb.154. Qalbl3ze, Ansicht der Kirche von Südosten. der Literatur wird das Gebet des Styliten mit aufsteigendem Weihrauch verglichen, und die Beischrift einer Eulogie lautet: »Nimm, o Heiliger, den Weihrauch und heile alle!«. Für den Vogel, der den Säulensteher bekränzt, gibt es eine Parallele auf einer Basaltplatte im syrischen Homs. Das kleinere Silberrelief in Paris wurde nach Aussage der griechischen Inschrift am unteren Rand als Votivbild zum Dank für empfangene Wohltaten hergestellt: »Mit Dank gegen Gott und den heiligen Symeon habe ich (dies) dargebracht.« (Abb.156) Das oben giebelförmige Relief kann eine der Schmalseiten eines Reliquiars sein oder war als Votivbild in einer Kirche aufgehängt, wie dies literarisch für eine Silbertafel mit Bild und Inschrift im Heiligtum des Styliten Daniel (gestorben 493) in Konstantinopel überliefert ist. Auf dem Relief in Paris steht Symeon in Mönchskleidung innerhalb des Gitters, das die Plattform auf dem Kapitell der Säule umgibt. Er hält mit verhüllten Händen die Basis eines unbestimmbaren Gegenstands, der sein Gesicht fast ganz verdeckt. Die Schlange, die sich um die Säule zu ihm hinaufwindet, erinnert an ein Heilungswunder, das der Stylit an einer Schlange vollführte. Während diese Schlange auf weiteren Stylitenbildern erscheint, gibt es für das kreisförmige, stark vergoldete Muschelemblem über dem Kopf Symeons keine Parallele in der spätantiken Kunst. Eine weitere ganze Stadt als Pilgerheiligtum entstand in Syrien zu Ehren eines Märtyrers mit Namen Sergios (Abb.157). Dieser soll als römischer Offizier gemeinsam mit einem Gefährten Bakchos am Anfang des 4. Jhs. in der Diocletianischen Christenverfolgung das Martyrium erlitten haben. Am Ort der Hinrichtung, in Rușafa, einer kleinen Militärsiedlung an der Euphratgrenze, soll er auch beigesetzt worden sein. Seine Verehrung führte im späten 5. Jh. zum Ausbau dieses Ortes zu einer großen Sergiosstadt (Sergiopolis), deren Mauer Kaiser Justinian monumental erneuerte (Prokop, Bauten II 9). Sie umschließt eine Fläche, die von Osten nach Westen 536m lang ist und im Westen 411m, im Osten 350m breit ist. Die Anlage von Straßen und Plätzen, wie auch der Bau großer Zisternen diente den zahlreichen Pilgern zu den Reliquien des Heiligen. Diese wurden zunächst wahrscheinlich in einem Vorläuferbau der »Basilika B« verehrt und später in die um 500 errichtete »Basilika A« (Sergioskirche) übertragen (Abb.158–159). Bei dieser Gelegenheit gab man dem Heiligen auch älteres gestiftetes Kleingeld und kleine Schmuckstücke mit und breitete sie im nordöstlichen Apsisnebenraum aus, bevor man die Platten des Fußbodens legte und einen Sarkophag mit den Reliquien des Heiligen aufstellte. Diese Münzen des heiligen Sergios erinnern an die Parallele im ägyptischen Menasheiligtum (S.). Die Kirche des Sergios war eine dreischiffige
Abb.155. Berlin, Staatliche Museen, Skulpturensammlung und Museum für Byzantinische Kunst. Inv. 9/63. Relief mit Stylitendarstellung, Basalt, Höhe 84,5 cm, Breite 76 cm, Tiefe 16,5 cm, Herstellungs- und Fundort Syrien.
Basilika (Länge 54,40 m, Breite 28,60 m). Sie war aus lokalen Gipsgesteinquadern errichtet und gehörte zum syrischen Typus der Weitarkadenbasilika (vgl. Qalbl3ze, Abb.154). Vor der Apsis mit der Priesterbank (Synthronon) und dem von Schranken umgebenen Sanktuarium befand sich ein weiterer erhöhter Podest (Bema) mit Priesterbänken für den Wortgottesdienst, wie er im syrischen Kirchenbau öfters belegt ist. Neben weiteren kleineren Kirchen gab es seit dem frühen 6. Jh. noch einen großen Zentralbau mit vier Apsiden (tetraconchos). Als es in der Heiligkreuzkirche im 7. Jh. statische Probleme mit ihren weitgespannten Mittelschiffsbögen gab, wurden Säulen der aufgegebenen Basilika B zu ihrer Verstärkung verwendet.
Die Pilgerampulle in Baltimore besitzt auf beiden Seiten dieselbe Darstellung (Abb.160). Sergios ist im
Abb.156. Paris, Musée du Louvre, Inv. Bj 2180. Relief mit Stylitendarstellung, Silber, teils vergoldet, Maße ###.
Abb.157. Sergiopolis (Ruüafa, Syrien), Plan. Vorne links ›Basilika B‹, rechts ›Basilika A‹, hinten links Zentralbau.
Abb.158. ›Basilika A‹, Außenansicht von Norden.
typischen Bild des Reiterheiligen dargestellt, mit Nimbus, wehendem Mantel und einer Lanze, deren Ende ein Kreuz schmückt. Die von zwei Kreislinien gerahmte Umschrift lautet: ΕΥΛOΓΙΑ ΚΥΡΙOΥ ΑΓΙOΥ CΕΡΓΙOΥ – »Segensandenken des Herrn (vom Ort) des heiligen Sergios«. Unverkennbar ist die starke Ähnlichkeit zu palästinischen Pilgerampullen in der Herstellungstechnik, der Anordnung der Details, der Form des Halsdekors und der Buchstabenform der Umschrift, besonders der eigenartigen Spitze des Buchstabens Omega. Da eine ganze Reihe kleiner Steinreliquiare frühchristlicher Zeit aus Syrien erhalten blieben, die eine Einfüll- und eine Entnahmeöffnung besitzen, dürfen wir annehmen, dass die Ampulle Öl enthielt, das seine Segenskraft ebenfalls durch Kontakt mit den Reliquien des Heiligen erhielt.
Östlich von Jerusalem liegt in einer Entfernung von etwa 57km jenseits des Jordan und des Toten Meeres die Stadt Madaba, ein Bischofssitz frühchristlicher Zeit. In der Stadt selbst und in weiteren zum Bistum gehörenden Orten blieben besonders viele Fußbodenmosaiken erhalten, die vor allem seit dem 6. Jh. in Kirchen und Profangebäuden gelegt wurden. Um dem einzigartigen Mosaik einer Landkarte aus der Johanneskirche in Madaba ein künstlerisches Umfeld zu geben, werden einige weitere Arbeiten aus dem geografischen Kontext erwähnt (Abb.161). In einem Kirchenkomplex, der wegen seiner Ausstattung mit einem Baptisterium als Kathedrale angesehen werden kann, fanden sich überwiegend Fußbodenmosaiken des frühen und späteren 6. Jhs. mit Tierdarstellungen in Ranken und geometrisch geformten Feldern. Eine kleine Marienkirche mit kreisförmigem Grundriss wurde gegen Ende des Jahrhunderts mit einem Mosaik geschmückt, in dem eine Widmungsinschrift ausschließlich von unfigürlichem Dekor umgeben ist. Unter dem Narthex dieser Kirche wurde in 1,30m Tiefe ein Raum mit mythologischen Mosaiken entdeckt, die an anderer Stelle zu beschreiben sind (Abb.). Das Mittelschiff der Apostelkirche zeigt ohne Unterteilung in Reihen angeordnete Blumen und einander zugewandte Papageien. Im Zentrum ist in einem Medaillon eine weibliche Meerespersonifikation mit Fischen und Seemonstern dargestellt. Die am Kreisrand umlaufende Stifterinschrift fügt dem Meer auch Himmel und Erde hinzu: »Herr, Gott, der du Himmel und Erde geschaffen hast, gib Leben dem Anastasios und dem Thomas und der Theodora. (Werk) des Mosaizisten Salamanios.« Den Papageienteppich rahmt eine Blätterranke, deren Kreise
Abb.159. ›Basilika A‹, Innenansicht, Mittelschiff mit Blick auf die Apsis.
mit Tieren, spielenden Knaben, Masken und Früchten gefüllt sind. Aus dem Mosesheiligtum auf dem Berg Nebo-Siyagha, das in 7km Entfernung südwestlich von Madaba liegt, sei ein Mosaik mit Jagddarstellungen erwähnt, das man als geeignet für ein Diakonikon hielt. Aus dem benachbarten Mosesheiligtum in El Mukhayyat ist das Hauptmosaik einer Kapelle aus der zweiten Hälfte des 6. Jhs. zu erwähnen: In einem durch Ranken gegliederten Fußboden mit Tierbildern huldigen Jünglinge von beiden Seiten mit Fruchtkörben der inschriftlich bezeichneten Erdmutter. Hinzu kommen noch zwei Fische, die als Hinweis auf das Meer das Weltbild vervollständigen. Das bekannteste Mosaik Palästinas ist die Landkarte, die im Fußbodenmosaik der Kirche des heiligen Johannes in Madaba dargestellt wurde (Abb.162). Die nur teilweise erhaltene Karte lag mit ca.15,70 m Breite und 5,60 m Tiefe in der dreischiffigen Basilika quer vor dem Altarraum. Der Osten liegt oben, die geographische Reichweite von Ägypten im Norden und Syrien im Süden wurde so eingerichtet, dass sich Jerusalem und Madaba genau auf der Mittelachse der Kirche befinden. Die Beschriftung der Gebiete
Abb.160. Baltimore, Walters Art Gallery, Inv. 55.105. Pilgerampulle aus Sergiopolis (Ruüafa), Blei-Zinn-Legierung, Höhe 5,4 cm, Breite 3,8 cm, Tiefe 1,6 cm.
Abb.161. Madaba (Jordanien), Apostelkirche. Detail des Fußbodenmosaiks: Meerespersonifikation.
Abb.162. Madaba (Jordanien), Johanneskirche. Fußbodenmosaik mit Karte Palästinas, Detail: die Stadt Jerusalem.
der zwölf Stämme Israels ist besonders groß und in roter Farbe angelegt, während die Bezeichnungen der Ortschaften und der Ereignisstätten des Alten und Neuen Testaments in kleinerer schwarzer Schrift erscheinen. Die Stadtvignetten, deren Größe die Bedeutung der Orte wiederspiegelt, sind meist als Vorderansicht gegeben, doch bei Jerusalem und einigen weiteren größeren Städten blickt man von oben in das Straßennetz und auf die Bauten. Innerhalb der Darstellung Jerusalems findet sich eine religiös motivierte Verschiebung. Auf der Westseite der wichtigsten, von Süd nach Nord führenden Säulenstraße ist in der Mitte deutlich der Komplex der Grabeskirche (Abb.) zu erkennen: die Stufen, die zu den drei Eingängen der konstantinischen Auferstehungsbasilika führen, deren Giebeldach, davor der freie Hof und schließlich die Kuppel über dem Grab Christi. Diese Details sind korrekt wiedergegeben, doch die ganze Anlage befand sich innerhalb des damaligen Stadtgebiets weiter nördlich, sie wurde also in Entsprechung zu ihrer religiösen Bedeutung in die Mitte versetzt.