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9f. Glas
9 f. Glas
Eine Glaswerkstatt, die im 4. Jh. im Rheinland arbeitete, vielleicht in Köln, stellte gewölbte Trinkschalen her, deren Darstellungen und Inschriften auf der Außenseite eingeritzt waren, aber beim Trinken in der Innenseite des Gefäßes seitenrichtig gesehen und gelesen werden konnten. Der Dekor reicht von Jagddarstellungen über Bilder aus der heidnischen Mythologie, beispielsweise Apoll und Diana oder den Kampf zwischen Hercules und Antaios im Beisein Athenas bis zu christlichen Szenen wie Adam und Eva im Paradies, das Abrahamsopfer und die Auferweckung des Lazarus. Die am Rand umlaufenden Inschriften weisen auf den erfreulichen Trank hin »Nimm mich, ich werde dich erfreuen!« (bei der Eberjagd) oder wünschen Glück »Lebe mit den deinen, trink, lebe!« (bei einer Hasenjagd), »Freue dich in Gott, trink, lebe!« (bei Adam und Eva). Abgesehen vom Hinweis auf Gott bei den christlichen Darstellungen ist die Verwandtschaft der Schalen und Inschriften offensichtlich. Die meisten Objekte dieser Gruppe wurden in Gräbern gefunden, sind also Beispiele für eine Zweitverwendung als Grabbeigabe.
Abb.221. Trier, Rheinisches Landesmuseum. Inv. 1956,8 n. Trinkschale mit Ritzdekor, entfärbtes Glas, Durchmasser 19cm, Höhe 6 cm, Grabbeigabe TrierSüd, Dekor Hercules und Antaios.
Die Schale in Trier zeigt den Helden Hercules im Kampf mit dem Riesen Antaeus, einem Sohn des Meeresgottes Poseidon und der Erdgöttin Gaia. Hercules hebt den Riesen in die Höhe, um ihn von der Verbindung mit der Erde zu lösen, die ihm Kraft verleiht. Rechts steht die Schutzgöttin des Hercules, Athena, im Panzer, mit großem Schild und ausgestreckter Hand (Abb.221). Das Löwenfell des Hercules hängt links über einem Pfeiler, seine Keule und der Köcher für seine Pfeile liegen am Boden. Auf einem weiteren Pfeiler im Hintergrund liegen Hinweise auf die Feier nach dem Sieg: ein Trinkhorn und ein Tympanon. Die Umschrift läuft am Rand um: GAVDIAS CVM TVIS PIE Z(eses) – »Freue dich mit den Deinen, trink, lebe!« Auf der Augsburger Schale steht in der Mitte der Baum der verbotenen Früchte im Paradies, um den sich die teuflische Schlange windet (Genesis III). Darüber steht ein großes Christusmonogramm zwischen zwei Sternen. Adam und Eva greifen mit der rechten Hand nach den Früchten im Baum und verhüllen mit der linken Hand ihre Blöße, als hätten sie schon gesündigt (Abb.222). Die Umschrift lautet: VIVAS IN DEO P(ie) Z(eses) – »Lebe in Gott, trink, lebe!«
Bei einer weiteren großen Gruppe von Trinkschalen des 4. Jhs. gibt es neben Beispielen mit heidnischem und christlichem Dekor auch einige Exemplare mit der Darstellung jüdischer Kultsymbole. Es handelt
Abb. 222. Augsburg, Römisches Museum, Inv. 2000,4189. Trinkschale mit Ritzdekor, olivgrünes Glas, Durchmesser 19,5 cm, Höhe 5,2 cm, Siedlungsfund Augsburg, Dekor Adam und Eva im Paradies
Abb.223. London, British Museum, Inv. PY 1863,0727.3. Goldglasschale, Entfärbtes Glas, Goldfolie, Farbe, Bodenfragment, Durchmesser 10,8 cm, Dekor: Hercules und ein Ehepaar.
sich sich um Gefäße, bei denen zwischen zwei Glasschichten eine Goldfolie eingeschmolzen ist, aus der Darstellungen und Inschriften silhouettenartig ausgeschnitten sind. Meist befindet sich dieser Dekor in dem von einem Standring eingefassten Boden der Schale. Es blieben sehr viele solcher wie Medaillons wirkende Gefäßböden erhalten, weil sie in den römischen Katakomben als Graberkennungszeichen in den feuchten Mörtel von Verschlüssen der Gräber eingedrückt waren. Ganz erhaltene Schalen sind selten, aber einige Reste der Wandung sind öfter oberhalb des Standrings vorhanden. Die Goldglas-Trinkgefäße waren als Geschenke beliebt, wie die als Glückwünsche formulierten Inschriften erkennen lassen: »Du Zierde Deiner Freunde, lebe glücklich mit den Deinen, trink!« »Trink, lebe fröhlich!«. »Trinkt, lebt, und lebt für viele Jahre!« Als Herstellungsort wird meist Rom vermutet. Für das Exemplar mit Darstellung der Gesetzesübergabe an Petrus (Abb.) ist dies besonders wahrscheinlich.
Im Londoner Herculesglas ergänzen sich die bildliche Darstellung und die Inschrift vorzüglich (Abb.223). Letztere war zu lang für die Umschrift und wurde über den Porträtköpfen fortgesetzt: ORFITVS ET COSTANTIA IN NOMINE HERCVLIS ACERENTINO FELICES BIBATIS – »Orfitus und Costantia, trinkt (oder: lebt) glücklich im Namen des Hercules Acerentinus!«. Der Beiname Acerentinus bezieht sich wohl auf einen bestimmten Tempel des Hercules. Orfitus und Costantia sind als Halbfiguren dargestellt. Zwischen ihren Köpfen steht auf einer Basisplatte eine kleine Figur des Hercules. Der Heros ist mit dem Fell des nemeischen Löwen bekleidet und hält in der rechten Hand seine Keule, in der linken die rot aufgemalten Äpfel der Hesperiden. Da diese für die
Abb.224. Paris, Bibliothèque nationale de France, Inv. 440. Goldglasschale, Bodenfragment, Durchmesser 8,8 cm, Dekor: Christus bekränzt ein Ehepaar.
Abb.225. Mailand, Civico Museo Archeologico, Inv. A 2840. Diatretglas (›Trivulziobecher‹), aus mehrfarbigem Glas geschliffen, Höhe 12 cm, Durchmesser 12,2 cm, Grabfund bei Novara.
Hochzeit von Zeus und Hera (Jupiter und Juno) gedacht waren, könnte die Trinkschale mit dieser Darstellung ebenfalls als Hochzeitsgeschenk hergestellt worden sein.
Das Goldglasfragment in Paris zeigt dieselbe Anordnung der Figuren wie das Exemplar mit Hercules, nur ist dieser durch Christus ersetzt, der über die Köpfe eines Ehepaars zwei Kränze hält (Abb.224). Unter den Goldglasböden gibt es nicht nur für diese Darstellung mehrere Parallelen, sondern auch für die Bekränzung von Petrus und Paulus durch Christus. Für das Bildmotiv waren kaiserzeitliche und spätantike Münzen vorbildlich, auf denen eine kleine Victoria zwischen zwei Herrschern steht und sie in derselben Weise bekränzt. Auf dem Goldglasfragment in Paris sind Streifen auf den Gewändern Christi und des Mannes mit roter Farbe betont, ebenso der Halsschmuck der Frau. Die Umschrift ist relativ kurz und richtet sich merkwürdigerweise nur an den Ehemann: IVCVNDE CV RA CEZES ES – »Jucundus Curace, lebe!«
Eine der Werkstätten, die dem Goldfoliendekor auch rote und blaue Emaillepunkte und -details zufügte, stellte neben Glasschalen mit christlichem Dekor