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10. Schlusswort
Dieser Band zu den Kunstwerken der spätantiken Übergangszeit von der antiken Tradition zum frühmittelalterlichen christlichen Weltbild beschließt das fünfbändige Werk »Römische Kunst«. Aus gutem Grund wurde der hier behandelte Zeitraum bis hin zu Kaiser Justinian ausgedehnt: Während bis in das 5. Jh. hinein in allen Kunstbereichen ein enger Zusammenhang mit den Spätformen der kaiserzeitlichen Kunst bestand, zeigen die Schöpfungen des 5. und 6. Jhs., dass die frühchristliche Kunst nunmehr eine starke eigene Dynamik in der Lösung architektonischer und bildkünstlerischer Aufgaben entwickelt hatte. Allerdings konnten die Bauten und Bildwerke, die diese Entwicklung veranschaulichen, nicht in einer übergreifenden historischen Abfolge dargestellt werden, sondern sie mussten wegen der Vielfalt der künstlerischen Aufgaben in thematischer Gliederung angeordnet werden. Zum Ausgleich wurde ein geschichtlicher Überblick an den Anfang gestellt, mit der Absicht, dem Leser die angestrebte Einordnung der ausgewählten Einzelmotive in ihren historischen Kontext zu erleichtern. Außerdem nennt dieser Überblick auch historische Ereignisse, die zwar für das Verständnis der weltanschaulichen und künstlerischen Entwicklung wichtig sind, jedoch nicht durch Bildzeugnisse belegt werden können. Als Hinweis sei der Übergang von der religiösen Toleranz, die dem Edikt des Galerius von 311 und der Mailänder Vereinbarung von 313 zugrunde lag, zur Intoleranz der theodosianischen Gesetzgebung genannt. Dieses Beispiel kann zugleich an die gegenwärtig in vielen Ländern zunehmende religiöse und gleichzeitig religionspolitische Intoleranz erinnern.
Bereits beim ersten Blättern in diesem Band dürfte sich dem Leser eine Frage aufdrängen, die sich auf die Auswahl der behandelten Themen und Bildbeispiele bezieht: »Weshalb nehmen die Herrscher und senatorischen Führungskräfte in der Bildauswahl als Auftraggeber und als Dargestellte einen so unverhältnismäßig großen Raum ein?« Nun lässt sich die Bemühung um Objektivität einer Bildauswahl gewiss nur selten ganz verwirklichen, doch die Antwort auf diese Frage muss lauten, dass die genannte Unverhältnismäßigkeit nicht einem subjektiven Interesse entspricht, sondern tatsächlich die sozialen Verhältnisse im behandelten Zeitraum wiedergibt. Besonders auf politischem Gebiet wird deutlich, dass die Beschäftigung mit spätantiker Kunst über die ästhetischen Eindrücke hinaus in der Lage ist, den vielfach sehr abstrakten Vorstellungen, die für diese Übergangszeit geradezu typisch waren, Anschaulichkeit zu verleihen. Die Beeinflussung des hieratischen Christusbildes durch repräsentative Darstellungen tetrarchischer und christlicher Kaiser ist seit dem vierten Jahrhundert gut durch entsprechende Bilddetails bezeugt. Diese »Imperialisierung« der christlichen Kunst entspricht als Spiegelbild der Christianisierung des römischen Kaisertums. Zwar erfahren wir auch aus der spätantiken Literatur, dass die christlichen Herrscher ebenso wie ihre tetrarchischen Vorgänger glaubten (oder zu glauben vorgaben), von einer Gottheit berufen zu sein und von ihr unterstützt zu werden. Doch da in der christlichen Kunst weiterhin die traditionellen künstlerischen Mittel für die Darstellung des symbolischen Bezugs zur Gottheit verwendet wurden, sind die Bildwerke zu diesem Thema viel anschaulicher als alle Texte. Dasselbe gilt für die Darstellungen von Kämpfen mit inneren und äußeren Feinden, in denen der Eindruck vermittelt wird, man habe die Siege mit göttlicher Hilfe errungen. Leider müssen wir feststellen, dass solche mythischen Vorstellungen bis in unsere Gegenwart weiterleben.
Besonders deutlich ist das Streben der Auftraggeber nach Anschaulichkeit bei bildlichen Darstellungen in jenem Bereich, der jeden Menschen unmittelbar betrifft, nämlich am Grabe. Der Brauch, Zukunfts- und Jenseitshoffnungen durch mythische Bilder zum Ausdruck zu bringen, änderte sich in der hier behandelten Übergangszeit nicht grundsätzlich. Die Entwicklung kam im inhaltlichen Wechsel zu den Themen des Alten und Neuen Testaments und christlicher Legenden zum Ausdruck.
Im Zentrum des Bandes stehen die Bau- und Kunstwerke, ihre künstlerische Wirkung und ihre inhaltlichen Aussagen. Die Auswahl der Bilder konnte natürlich von den aktuellen politischen Verhältnissen im Mittelmeerraum nicht unbeeinflusst bleiben. Die Abbildungen illustrieren nicht etwa vorgegebene Texte; vielmehr sollen die Begleittexte helfen, die Aussagen der Bilder zu erfassen. Wäre das Verhältnis umgekehrt, so würde der Band sehr viel ausführlichere Darlegungen zur antiken und christlichen Magie enthalten. Dieses Thema ist religionsgeschichtlich besonders wichtig: In Entsprechung zu den damaligen geringen Möglichkeiten der Medizin galt die Hoffnung auf Übelabwehr durch Amulette und auf wunderbare Heilung durch die Wirksamkeit von Reliquien in allen Schichten der Bevölkerung als unverzichtbar.