Dritter Theil der Clavier Übung

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Diese Einspielung konnte realisiert werden mit freundlicher UnterstĂźtzung der Firma Orgelbouw Flentrop sowie der Steinmetz Paetzke GmbH. Die CD wurde aufgenommen mit Mikrophonen der Firma MBHO Mikrophonbau GmbH, www.mbho.de


JOHANN SEBASTIAN BACH

Dritter Theil der Clavier übung CARSTEN ZÜNDORF Flentrop organ of St. Marien, Osnabrück

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Edition Kaleidos · KAL 6338-2 Recording / Aufnahme: 10/2017, St. Marien am Markt, Osnabrück Recording Producer / Tonmeister (Aufnahme, Schnitt): Carsten Zündorf Artwork / Cover-Design & Text-Layout: Jens F. Meier Photos: Fritz Schwarzenberger (Cover-Photo, Organ), Jens F. Meier (Zündorf ), Max Ciolek (Organ p.19) Liner-Notes / Booklettexte: Carsten Zündorf · Translations / Übersetzungen: Imke Pinnow Executive Producer: Jens F. Meier

p& © 2017 Kaleidos Musikeditionen · www.musikeditionen.de

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JOHANN SEBASTIAN BACH (1685–1750)

DRIT TER THEIL DER CL AVIER ÜBUNG

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Praeludium Es-Dur / E flat major BWV 552,1

8:37

2 Kyrie, Gott Vater in Ewigkeit BWV 669 Canto fermo in Soprano, à 2 Clav. e Ped.

3:06

3 Christe, aller Welt Trost BWV 670 Canto fermo in Tenore, à 2 Clav. e Ped.

4:21

4 Kyrie, Gott Heiliger Geist BWV 671 à 5, Canto fermo in Basso cum Organo pleno

4:16

5 Kyrie, Gott Vater in Ewigkeit BWV 672 alio modo manualiter

1:10

6

Christe, aller Welt Trost BWV 673

1:19

7

Kyrie, Gott Heiliger Geist BWV 674

1:30

8 Allein Gott in der Höh’ sei Ehr’ BWV 675 à 3, Canto fermo in Alto Allein Gott in der Höh sei Ehr und Dank für seine Gnade,

3:11

9 Allein Gott in der Höh’ sei Ehr’ BWV 676 à 2 Clav. e Ped.

4:30

10 Allein Gott in der Höh’ sei Ehr’ BWV 677 Fughetta super: Allein Gott in der Höh’ sei Ehr’, manualiter

1:14

CD 1

Kyrie, Gott Vater in Ewigkeit, groß ist dein Barmherzigkeit, aller Ding ein Schöpfer und Regierer: eleison. [EG 178.4]

Christe, aller Welt Trost, uns Sünder allein hast erlöst. O Jesu, Gottes Sohn, unser Mittler bist in dem höchsten Thron, zu dir schreien wir aus Herzensbegier: eleison. [EG 178.4]

Kyrie, Gott Heiliger Geist, tröst, stärk uns im Glauben allermeist, daß wir am letzten End fröhlich abscheiden aus diesem Elend: eleison. [EG 178.4]

darum daß nun und nimmermehr uns rühren kann kein Schade. Ein Wohlgefalln Gott an uns hat; nun ist groß Fried ohn Unterlaß, all Fehd hat nun ein Ende. [EG 179]

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CD 2

1 Dies sind die heil’gen zehen Gebot BWV 678 à 2 Clav. e Ped. Canto fermo in Canone

4:22

2 Dies sind die heil’gen zehen Gebot BWV 679 Fughetta super: Dies sind die heil’gen zehen Gebot, manualiter

2:24

3 Wir glauben all an einen Gott BWV 680 in Organo pleno con Pedale

2:42

4 Wir glauben all an einen Gott BWV 681 Fughetta super: Wir gläuben all an einen Gott, manualiter

1:22

5 Vater unser im Himmelreich BWV 682 à 2 Clav. e Ped. e Canto fermo in Canone Vater unser im Himmelreich, der du uns alle heißest gleich

6:14

6 Vater unser im Himmelreich BWV 683 alio modo manualiter

1:15

7 Christ, unser Herr, zum Jordan kam BWV 684 à 2 Clav. e Canto fermo in Pedal Christ, unser Herr, zum Jordan kam nach seines Vaters Willen;

3:49

6

Dies sind die heilgen zehn Gebot, die uns gab unser Herre Gott durch Mose, seinen Diener treu, hoch auf dem Berg Sinai. Kyrieleis. [EG 231]

Wir glauben all an einen Gott, Schöpfer Himmels und der Erden, der sich zum Vater geben hat, daß wir seine Kinder werden. Er will uns allzeit ernähren, Leib und Seel auch wohl bewahren; allem Unfall will er wehren, kein Leid soll uns widerfahren. Er sorget für uns, hüt‘ und wacht; es steht alles in seiner Macht. [EG 183]

Brüder sein und dich rufen an und willst das Beten von uns han: gib, daß nicht bet allein der Mund, hilf, daß es geh von Herzensgrund. [EG 344]

von Sankt Johann die Taufe nahm, sein Werk und Amt zu erfüllen. Da wollt er stiften uns ein Bad, zu waschen uns von Sünden, ersäufen auch den bittern Tod durch sein selbst Blut und Wunden, es galt ein neues Leben. [EG 202]


8 Christ, unser Herr, zum Jordan kam BWV 685 alio modo manualiter

1:25

9 Aus tiefer Not schrei ich zu dir BWV 686 à 5 in Organo pleno con Pedale doppio

5:33

10 Aus tiefer Not schrei ich zu dir BWV 687 à 4 alio modo manualiter

5:12

11 Jesus Christus, unser Heiland, der von uns den Zorn Gottes wand BWV 688 à 2 Clav. e Canto fermo in Pedal

4:32

12 Jesus Christus, unser Heiland, der von uns den Zorn Gottes wand BWV 689 Fuga super: Jesus Christus, unser Heiland à 4 manualiter

4:34

13

Duetto I e-Moll / E minor BWV 802

3:18

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Duetto II F-Dur / F major BWV 803

4:00

15

Duetto III G-Dur / G major BWV 804

2:46

16

Duetto IV a-Moll / A minor BWV 805

2:54

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Fuga Es-Dur / E flat major BWV 552,2

6:29

Aus tiefer Not schrei ich zu dir, Herr Gott, erhör mein Rufen. Dein gnädig‘ Ohren kehr zu mir und meiner Bitt sie öffne; denn so du willst das sehen an, was Sünd und Unrecht ist getan, wer kann, Herr, vor dir bleiben? [EG 299]

Jesus Christus, unser Heiland, der von uns den Gotteszorn wandt, durch das bitter Leiden sein half er uns aus der Höllen Pein. [EG 215]

CARSTEN ZÜNDORF Orgel / organ

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JOHANN SEBASTIAN BACH (1685–1750)

D RIT TER THEIL DER CL AVIER ÜBUNG Dritter Theil der Clavier Übung bestehend in verschiedenen Vorspielen über die Catechismus- und andere Gesaenge, vor die Orgel: Denen Liebhabern, und besonders denen Kennern von dergleichen Arbeit, zur Gemüths Ergezung verfertiget von Johann Sebastian Bach, Koenigl. Pohlnischen, und Churfürstl. Saechss. Hoff-Compositeur, Capellmeister, und Directore Chori Musici in Leipzig. In Verlegung des Authoris. [Originaltitel, 1739]

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ohann Sebastian Bach veröffentlichte seinen Dritten Teil der Clavier Übung im Jahre 1739. In diesem Jahr feierte die Stadt Leipzig Luthers doppelte Leistung einer reformierten Liturgie und Glaubenslehre. So enthält der Zyklus in seinem ersten Teil neun Choralvorspiele zu Kyrie und Gloria, den Messgesängen des Leipziger lutherischen Gottesdienstes sowie im zweiten Teil zwölf Choralbearbeitungen zu den Katechismus-Liedern Martin Luthers, die dieser seinem Kleinen Katechismus zur besseren Erlernbarkeit für die Gemeinde beigab. Bach schuf insgesamt vier Zyklen mit dem Titel „Clavier Übung“: im ersten Teil sind die Partiten BWV 825–830 zusammengefasst, der zweite Teil besteht aus den Französischen Suiten und dem Italienischen Konzert und der vierte Teil enthält die sogenannten Goldberg-Variationen. Der Dritte Teil der Clavier Übung gehört – wie die anderen Zyklen und u. a. die Kunst der Fuge, das Musikalische Opfer und die H-Moll-Messe – zu Bachs Spätwerk. Diese Schaffensperiode ist dadurch geprägt, dass Bach nicht mehr Sonntag für Sonntag eine neue Kantate komponieren musste und sich daher der Durchsicht und Revision von bestehenden Werken widmen konnte 8


und außerdem Werke geschaffen hat, die gezielt für die Nachwelt gedacht waren (durch sie sollte seine ganze Kompositionskunst nachfolgenden Generationen überliefert werden). So widmet Bach auch den Dritten Teil der Clavier Übung „denen Liebhabern und besonders denen Kennern von dergleichen Arbeit“. Der Begriff „Gemüts Ergezung“ zielt auf die geistig-geistliche Rekreation, auf die Erbauung des Gemüts durch das Studium oder das Spiel der Musik. Hier wird auch deutlich, dass mit dem Titel „Clavier Übung“ nicht etwa Etüden für die Fingerfertigkeit gemeint sind, sondern eine Art geistig-geistlicher Exerzitien zur Durchdringung des theologischen Gehaltes und des subtilen Wort-Ton-Verhältnisses von Bachs Musik. Der Dritte Teil der Clavier Übung beginnt mit einem außergewöhnlich festlichen und ausladenden Präludium in Es-Dur. Das Hauptthema ist in der Art einer französischen Ouvertüre geschrieben. Mit insgesamt drei Themen ehrt Bach in dieser Komposition – wie auch nachfolgend im ganzen Zyklus – die Dreifaltigkeit Gottes. Es folgen dreimal drei Choralbearbeitungen zu den Messteilen Kyrie und Gloria. Auch hier steht die Zahl „Drei“ wiederum deutlich im Vordergrund. Sechs Choralbearbeitungen sind dem Kyrie gewidmet. Zugrunde liegt ihnen das Kyrie, fons bonitatis aus dem 10. Jahrhundert, ein sogenannter Kyrie-Tropus. Dabei werden zwischen die beiden Worte „Kyrie“ und „eleison“ ergänzende Gebetstexte eingefügt, die im frühen 16. Jahrhundert in deutsche Sprache übertragen wurden und erste muttersprachliche Elemente in die Messliturgie brachten. Bach teilt den langen Gesang auf zweimal drei Choralvorspiele auf: drei große Bearbeitungen mit Pedal und drei kleine manualiter (Spiel ohne Pedal). Die ersten drei großen Choralbearbeitungen sind in einem archaischen, streng motettischen Stil gehalten. 9


Die Themen der figurierten Stimmen sind aus dem Cantus firmus abgeleitet und so konsequent behandelt, dass man sie mit Text unterlegen könnte. Der Cantus firmus selbst wird in langen Notenwerten eingebaut: im ersten Satz im Sopran, im zweiten im Tenor – hier steht er für die Mittlerfunktion Christi zwischen Gott und Mensch – und im dritten Teil folgerichtig im Bass. Es folgen drei kleinere Choralbearbeitungen manualiter mit aufsteigend angeordneten Taktarten: 3/4, 6/8 und 9/8, in der ersten Bearbeitung also ein Metrum aus einmal drei Notenwerten für Gott Vater, in der zweiten zweimal drei Notenwerte für Gott Sohn und in der dritten entsprechend dreimal drei Notenwerte für Gott Heiliger Geist. Für das Gloria der Messe stehen drei Triosätze über „Allein Gott in der Höh’ sei Ehr”. Sie sind in aufsteigenden Tonarten angeordnet: F-Dur, G-Dur und A-Dur. Bemerkenswert ist, dass das erste Trio mit der Tonfolge F-G-A in unverhältnismäßig langen Notenwerten beginnt und damit wohl schon auf den folgenden Tonartenplan hinweist. Das erste Trio in F-Dur ist in nur zwei Notensystemen notiert, die Melodie liegt in der Altstimme. Die Notation könnte nahelegen, dass der Satz manualiter zu spielen sei. Ich habe mich jedoch entschlossen, auch diesen Satz als Trio zu spielen und die Melodie mit einer vierfüßigen Registrierung (4‘ Register) ins Pedal zu legen. Im G-Dur-Trio gewinnt Bach die Thematik durch Diminution (Umspielung in kleineren Notenwerten) aus dem melodischen Anfang von „Allein Gott in der Höh sei Ehr“. Die Manualstimmen folgen im Quintabstand aufeinander. Die ersten beiden Melodiezeilen treten abwechselnd in rechter und linker Hand auf. Im weiteren Verlauf des Satzes erscheinen die Choralzeilen jeweils doppelt in linker und rechter Hand, zum Schluss gar dreifach in beiden Manualstimmen und

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im Pedal. Eine kurze Fughette (kleine Fuge) beschließt den Gloria-Teil. Ihr Thema ist ebenfalls aus dem Anfang der Melodie gewonnen, ohne diese jedoch zu zitieren. Es folgt nun der zweite Binnenteil mit insgesamt zwölf Stücken über die Katechismusgesänge Martin Luthers. Bach komponiert jeweils eine große und eine kleine Choralbearbeitung. Die großen Sätze sind zumeist in komplexen Kanontechniken komponiert, die kleinen Sätze jedoch nicht minder kunstvoll als kleine Fugen, alle manualiter zu spielen, alle von Bach mit „alio modo“, also „auf andere Weise“, überschrieben, um deutlich zu machen, wie man einen Choral auch mit vergleichsweise bescheidenen Mitteln kunstvoll durchführen kann. Mit Ausnahme des ersten Satzpaares stehen die großen und kleinen Choralbearbeitungen in unterschiedlichen Tonarten, das kleinere Werk jeweils einen Ganzton bzw. eine kleine Terz höher, im Falle von „Jesus Christus unser Heiland“. Dieser zweite Binnenteil mit Choralbearbeitungen zu den Katechismus-Liedern beginnt mit „Dies sind die heil'gen zehen Gebot“ BWV 678. Hier setzt Bach den Cantus firmus in zweimal fünf (gleich zehn) Choralzeilen in einen Oktavkanon, wobei der Kanon Sinnbild für Altes und Neues Testament ist und so auf Christus als die Erfüllung des Gesetzes hinweist. In „Wir glauben all an einen Gott“ BWV 680 zitiert Bach nicht den gesamten Cantus firmus, sondern entwickelt aus diesem ein Fugenthema. Das fortwährend gleichbleibende Motiv des Pedals signalisiert Beständigkeit und Glaubensgewissheit. Die kleinere Variante nimmt bereits ein rhythmisches Motiv des folgenden Choralvorspieles vorweg.

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„Vater unser im Himmelreich“ BWV 682 ist eine der komplexesten Choralbearbeitung Bachs überhaupt. In einen Triosatz eingebaut, erscheint auch hier der Cantus firmus im Oktavkanon. Das Thema des Triosatzes ist wiederum aus dem Cantus firmus entwickelt und ist vor allem durch seine Seufzermotive im lombardischen Rhythmus geprägt (d. h. die punktierte Note tritt an die zweite, weniger betonte Stelle). Durch das ständige Gegeneinander von lombardischen Seufzern und Sechzehnteltriolen erhält der Satz einen stammelnden Charakter. Den Choral „Christ, unser Herr, zum Jordan kam“ vertont Bach in BWV 684 sehr sinnbildlich. In der manualen Bassstimme hört man die Jordanwellen fließen, die rechte Hand spielt in zwei Stimmen eine ständige Kreuzmotivik, weist damit auf Christus als zweite Person der Dreifaltigkeit hin und setzt die Worte „durch sein selbst Blut und Wunden“ in die Musik um. Der Cantus firmus wird im Pedal in Tenorlage zitiert. „Aus tiefer Not schrei ich zu dir“ BWV 686 ist eine gewaltige sechsstimmige Choralbearbeitung für Organo pleno, also ein voll aufregistriertes Orgelwerk und Doppelpedal. Fünf Stimmen bilden jeweils vor Beginn einer Choralzeile eine Fuge aus dem melodischen Material des Chorals, bis in der zweittiefsten Stimme, gespielt vom rechten Fuß des Organisten, der Cantus firmus erscheint. Ich habe mich entschieden, dieser als einem der am stärksten registrierten Sätze der ganzen Aufnahme das leiseste, mit nur einer achtfüßigen Flöte gespielte Stück folgen zu lassen. „Jesus Christus, unser Heiland, der von uns den Zorn Gottes wand“ BWV 688 ist ein wahres Meisterwerk in seiner schlichten Symbolhaftigkeit. Bach entwickelt für die

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figurierten Manualstimmen ein Thema, dessen erster Takt in sich selbst Originalgestalt, Umkehrung und Krebs (eine rückwärts gelesene Melodie) ist. Folgerichtig kehrt Bach auch den gesamten Takt im Verlauf des Stückes um und lässt ihn als Krebs erscheinen. Er hat also das Thema so vollständig wie möglich gewendet und versinnbildlicht damit, dass Christus den Zorn Gottes von uns abgewandt hat. Der Cantus firmus dieser Choralbearbeitung erscheint wiederum in Tenorlage im Pedal. Über die Bedeutung der folgenden vier Duette ist viel spekuliert worden. Die Nummerierung mit BWV 802 bis 805 zeigt, dass sie nicht immer der Clavierübung zugerechnet worden sind, obwohl sie in Bachs Autograph an eben dieser Stelle stehen. In Bachs Drittem Theil der Clavier Übung stehen sie wohl für eine Musik, die „sub communione“, also während der Austeilung des Abendmahles erklingen sollte. Frescobaldis Fiori musicali scheinen auf diese Stücke einen gewissen Einfluss ausgeübt zu haben; ein Exemplar dieser Publikation Frescobaldis befand sich nachweislich in Bachs Bibliothek. In diesen Fiori musicali steht an der Stelle der Austeilung des Abendmahls eine Toccata cromatica und eine Canzona nach der Austeilung. Bachs erstes Duett ist deutlich von Chromatik geprägt, und das vierte Duett ist im Stil einer Canzona geschrieben. Der gesamte Zyklus wird von der Fuge in Es-Dur beschlossen. Mit ihren drei Themen und der Gleichzeitigkeit der Themen im letzten Teil ehrt Bach ein letztes Mal die göttliche Trinität. Carsten Zündorf

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arsten Zündorf hat seit 2006 das Amt des Kirchenmusikdirektors an St. Marien in Osnabrück inne. In diesen fast zwölf Jahren seiner Tätigkeit in Osnabrück hat er sich in besonderer Weise mit der Flentrop-Orgel der Marienkirche vertraut gemacht; ein Instrument in barocker Bauweise, welches auch heute noch als eine der bedeutsamsten Arbeiten des niederländischen Orgelbaubetriebes gilt und einen hohen Bekanntheitsgrad weit über die Region hinaus genießt. Die Orgel in all ihrer farbenreichen Disposition für den Zuhörer zum Klingen zu bringen ist Zündorf dabei ein besonderes Anliegen, wobei die Werke Johann Sebastian Bachs nicht nur in Konzerten und Gottesdiensten immer wieder einen zentralen Platz einnehmen. So begann Carsten Zündorf aus Anlass des 40jährigen Bestehens der Orgel im Jahre 2007 mit der Einspielung der CD-Reihe „Mit Bach durchs Jahr”, von der inzwischen fünf Folgen vorliegen und die abschließende sechste Folge Ende 2017 erscheinen wird. Diese Bach-Aufnahmen, gelobt als „eine der cleversten und am besten gelungenen Editionen der Orgelmusik Johann Sebastian Bachs, die es überhaupt gibt“, brachten ihm hohe Anerkennung seitens der Fachpresse ein. Die Begegnung mit seinem ersten Orgellehrer Helmut Fleinghaus stellte die Weichen für die organistische Laufbahn Zündorfs. Das Studium der Kirchenmusik nahm er bei Prof. Gisbert Schneider an der Folkwang Hochschule für Musik in Essen auf. Nach langjähriger Tätigkeit als Kantor in Wuppertal und Lehrbeauftragter für Orgel und Chorleitung wurde er 2006 zum Kirchenmusikdirektor an St. Marien in Osnabrück berufen. Den neben seinem Hauptberuf knapp bemessenen Spielraum für freiberufliche musikalische Aktivitäten nutzt Carsten Zündorf immer wieder auch für konzertante Auftritte als Organist und Dirigent sowohl im In- als auch im europäischen Ausland. 2

„Organist Zündorf erweist sich (...) als ein Interpret von hohem Rang. Bei ihm stimmen nicht nur Registrierung und Tempowahl, sondern vor allem auch innerer Werkzusammenhang, musikalische Konsistenz und Phrasierung. Zudem ist er einer von wenigen Orgelmusikinterpreten, die es verstehen, der Orgelmusik Seele zu verleihen.“ (R. Aschemeier, The Listener)

„Hervorstechendes Merkmal der Kompetenz Zündorfs in Verbindung mit einer stets zu spürenden tiefen Zuneigung zum Repertoire ist auch der organische Umgang mit verzierten Cantus firmi in den Choralvorspielen.“ (M. Wersin, RONDO)

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ie Orgel in der Marienkirche zu Osnabrück wurde von 1961 an durch Dirk Andries Flentrop und KMD Traugott Timme konzipiert und im Juni 1967 fertiggestellt und eingeweiht.

Mit der Beauftragung der niederländischen Orgelbaufirma knüpfte man seinerzeit an die erste in der Marienkirche nachweisbare Orgel an, die von dem ebenfalls niederländischen Orgelbauer Slegel im Jahre 1571 erbaut worden war. So war es nur folgerichtig, ein vom Brabanter Orgelbau beeinflusstes, barockes Instrument mit klarem Werkaufbau zu konzipieren. Der damalige Chef der Firma Flentrop Orgelbouw, Dirk Andries Flentrop (1910–2003) erhielt in den 1920er Jahren entscheidende Impulse durch die von Christhard Mahrenholz initiierte Reformbewegung im Orgelbau. Nach dem Krieg entschied sich das Unternehmen konsequent für die klassische, mechanische Orgel als Ausgangspunkt für Neubauten. So ist auch die Orgel der Marienkirche ein vollständig in Handarbeit im Betrieb gefertigtes, rein mechanisches Instrument, das über 47 klingende Stimmen, verteilt auf vier Manualwerke und Pedal verfügt. Ihr besonderes klangliches Merkmal war von Anfang an eine für die damalige Zeit bemerkenswerte Grundtönigkeit und Tragfähigkeit der Prinzipalstimmen und ein sehr ausgewogenes Verhältnis zwischen Grundstimmen, Aliquoten und Mixturen. Ende der 1980er Jahre wurde die Orgel maßvoll überarbeitet. So wurden die Zungenstimmen in Hauptwerk und Pedal nachintoniert und klingen seitdem grundtöniger und damit besser in den Prinzipalchor integriert. Ferner wurden zwei Pedalkoppeln hinzugefügt, die es bis dahin – streng dem Vorbild des norddeutschen Barock folgend – nicht gegeben hatte. Im Rahmen einer Generalreinigung im Jahre 2013 wurde auch der Dulzian 16’ des Pedals nachintoniert und den anderen Zungenstimmen angepasst. Außerdem erhielt die Orgel durch die Initiative einer Spendergruppe einen Zimbelstern als weiteres Register. 17


DISPOSITION RÜCKPOSITIV Prinzipal 8’ Hohlflöte 8’ Octave 4’ Rohrflöte 4’ Superoctave 2’ Flachflöte 2’ Quinte 1 1/3’ Sesquialter II Scharff III-IV Dulcian 16’ Krummhorn 8’ Tremulant

OBERWERK Rohrflöte 8’ Quintatön 8’ Prinzipal 4’ Spitzflöte 4’ Nasat 2 2/3’ Waldflöte 2’ Terz 1 3/5’ Mixtur IV Trompete 8’ Tremulant

HAUPTWERK Prästant 16’ Prinzipal 8’ Octave 4’ Quinte 2 2/3’ Superoctave 2’ Mixtur IV-V Trompete 16’ Trompete 8’ Zimbelstern

BRUSTWERK Gedackt 8’ Gedacktflöte 4’ Prinzipal 2’ Sifflöte 1’ Zimbel II Regal 16’ Vox Humana 8’ Tremulant

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PEDAL I Subbass 16’ Gedackt 8’ Rohrflöte 4’ Nachthorn 2’ Dulcian 16’ Trompete 4’ PEDAL II Prinzipal 16’ Octave 8’ Superoctave 4’ Mixtur VI-VIII Posaune 16’ Trompete 8’

KOPPELN Oberwerk-Hauptwerk Rückpositiv-Hauptwerk Hauptwerk-Pedal Oberwerk-Pedal SPERRVENTILE Hauptwerk ab Pedal I ab Pedal II ab Mechanische Kombinationen für Mixtur, Posaune 16’ und Posaune 8’ im Pedal Manualumfang C - g‘‘‘ Pedalumfang C - f ‘ Mechanische Schleifladen Erbaut 1967 Flentrop (Zaandam, NL) www.flentrop.nl



JOHANN SEBASTIAN BACH (1685–1750)

THIRD PART OF THE CL AVIER ÜBUNG Third Part of the Keyboard Practice consisting of various Preludes on the Catechism and other Hymns for the Organ. Prepared for Music Lovers and particularly for Connoisseurs of such Work, towards the Recreation of the Spirit, By Johann Sebastian Bach, Royal Polish and Electoral Saxon Court Composer, Capellmeister and Director of the chori musici, Leipzig. Published by the Author. [1739]

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ohann Sebastian Bach published his Third Part of the Clavier Übung in 1739. This year the city of Leipzig was celebrating Luther’s reformation of both liturgy and theology. Thus the first part of Bach’s cycle consists of nine chorale preludes on Kyrie and Gloria, liturgical mass chants of Leipzig Lutheran mass, while the second part includes twelve chorale settings on Martin Luther’s catechism chorales which he added to his Small Catechism for better learnability. Bach altogether composed four cycles under the title “Clavier Übung“: the first part is a collection of the partitas BWV 825 – 830, the second part consists of the Italian Concerto and the French Overture, and the forth part contains the Goldberg Variations. The Third Part of the Clavier Übung belongs – like the other three cycles and, i.a., The Art of the Fugue, The Musical Offering, or his Mass in B minor – to his late work. This creative period is characterized by the conductive circumstance that Bach was not committed to compose a new cantata for every Sunday each, anymore, but was able to review already existing work instead, and to also spend his time on new compositions which were deliberately intended for posterity (and by 20


which all of his compositional artistry should be transmitted to next generations). Bach therefore dedicated the Third Part of the Clavier Übung “for Music Lovers and particularly for Connoisseurs of such Work”. The term “Gemüts Ergezung” (“Recreation of the Spirit”) refers to the mind’s edification via the study and the playing of the music. By this it also becomes apparent that the title “Clavier Übung” is not to be understood in terms of etudes for dexterity, but as a kind of spiritual exercise to grasp the theological content and the subtle word-music relation of Bach’s work. The Third Part of the Clavier Übung opens with an exceptionally festive prelude in E flat major. The principal theme is of French overture tradition. With altogether three themes Bach pays homage to the Trinity of God in this composition – like in the whole cycle, as well. After that three times three chorale settings on the mass chants Kyrie and Gloria follow. The number “three” is central here, again. Six of the settings are dedicated to the Kyrie. It is the Kyrie, fons bonitatis of the 10th century, a so-called Kyrietrope, which underlies all three settings. At this, between the two words “kyrie”and “eleison” additional prayers are included that were translated into German in the 16th century and brought first elements of native language into mass liturgy. Bach divides the long chant into two times three chorale preludes: three “greater” settings played on manuals and pedal, and three “lesser” ones played on manuals only. The first three “greater” settings are in archaic, strict motet style. The themes of the figured voices derive from the cantus firmus and are treated that consequently that one could put words to the tune. The cantus firmus itself is built-in in long 21


note values: in the first part in the soprano, in the second one in the tenor – here symbolizing the intermediary role of Christ between God and man – and, in the third part, consequently, in the bass voice. This is followed by three “lesser” choral settings with meters in ascending order: 3/4, 6/8, and 9/8. Thus, in the first setting a meter of one time three note values is chosen for God the Father, in the second one a meter of two times three note values for God the Son, and, finally, in the third setting one of three times three note values for God the Holy Ghost. The Gloria is represented in the form of three trio settings about “Allein Gott in der Höh’ sei Ehr” (“All glory be to God on high”). They are arranged in ascending keys: F major, G major, and A major. It is remarkable, that the first trio already opens with the sequence F-G-A in disproportionate long note values, thus already referring to the following key structure. The first trio in F major is notated in only two systems, the chorale melody occurring in the alto. This notation could suggest that this setting is to be played on manuals only. However, I have decided to treat it like a trio, as well, and to play the chorale melody in the pedal using a four-foot (4´) stop for registration. In the G major trio Bach gains the theme by diminution of the melodic opening of “Allein Gott in der Höh sei Ehr“. The manual voices succeed one another in fifths. The first two melody lines occur alternately in the right and left hand. Afterwards, the chorale lines appear twice each, both in the left and in the right hand; finally even threefold in both manual voices and in the pedal. The Gloria part closes with a short fughetta (a small fugue). Its theme is also gained from the chorale melody, however, without citing it directly.

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The second part of the Clavier Übung consists of altogether twelve chorale settings on Martin Luther’s catechism chorales. Bach composes one greater and one lesser chorale setting each. The greater settings are mostly based on complex canon techniques. The lesser, however, not less elaborately composed, form small fugues, all to be played on manuals only, all headed “alio modo” (“in other ways”) to show how to develop a chorale most artfully by comparatively humble means. Except for the first pair of settings, greater and lesser chorale settings are composed in different keys; the lesser setting always a whole tone higher than the greater one, or, like in “Jesus Christus unser Heiland”, a minor third. This second part opens with the chorale setting on “Dies sind die heil'gen zehen Gebot“ BWV 678 (“These are the holy Ten Commandments”). In this Bach sets the cantus firmus into two times five (equals ten) chorale lines resulting in an octave canon, whereby the canon symbols Old and New Testament, and, by that, points to Christ as the fulfillment of the law. In “Wir glauben all an einen Gott“ BWV 680 („We all believe in One God“) Bach does not present the complete cantus firmus, but develops a fugue subject out of it. The perpetually constant pedal motif indicates stability and certainty of faith. The lesser version already anticipates a rhythmical motif of the succeeding chorale setting. “Vater unser im Himmelreich“ BWV 682 (“Our Father, Who art in Heaven“) is one of Bach’s most complex chorale settings, ever. Composed as a trio setting, the cantus firmus here occurs in the form of an octave canon, as well. The theme of

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the trio setting is taken from the cantus firmus, again, and is mostly characterized by its sighing motifs in Lombard rhythm (meaning, that the dotted note takes the place of the second, less accented one). For the Lombard sighs always go against the sixteenth triplets, the setting attains a stammering character. The chorale “Christ, unser Herr, zum Jordan kam“ (“Christ, our Lord, came to the Jordan”) is set into music by Bach in BWV 684 quite allegorically. In the manually played bass voice one can hear the floods of the Jordan River. In two voices the right hand plays a constant cross motif, thus pointing to Christ as second figure of Trinity, and puts the words “through his own blood and wounds” into music. The cantus firmus appears in the tenor played by the pedal. “Aus tiefer Not“ BWV 686 (“From greatest need”) is a massive six-voice chorale setting for organo pleno and double pedal. Before the beginning of each chorale line five voices form a fugue of the melodic material taken from the chorale, until the cantus firmus appears in the second-deepest voice, played by the right foot of the organist. I have decided, for this being one of the most powerfully registered settings, to place this right in front of the most delicate one of the whole recording, registered only with an eight-food flute register: “Jesus Christus, unser Heiland, der von uns den Zorn Gottes wand“ BWV 688 (“Jesus Christ our Savior, Who turned God’s wrath away from us”) is a real masterpiece concerning its plain use of allegory. For the figured manual voices Bach develops a theme, which first bar forms the original, its melodic inversion, and retrograde motion (a melody read backwards), at the same time. Consequently, Bach also

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reverses the complete bar in the course of the setting, and lets it appear in retrograde inversion, too. Thus, he turned around the theme as much as possible and, by that, allegorizes, how Christ turned away God’s wrath from us. The cantus firmus once more shows up in the tenor played by the pedal. Much has been speculated about the meaning of the now following four duets. The numbering BWV 802 – 805 indicates, that they have not always been attributed to the Clavier Übung, although they occur at exactly that position in Bach’s autograph. Within the frame of Bach’s Third Part of the Clavier Übung they possibly stand for the kind of music that is to be played sub communione, meaning during the distribution of Communion. Frescobaldi’s Fiori musicali seem to have had a specific influence on those pieces. One copy of Frescobaldi’s publication was verifiably stored in Bach’s library. Within these Fiori musicali a Toccata cromatica is placed at the position of the distribution of communion, and a Canzona after it. Bach’s first duet is distinctly characterized by chromaticism, and the fourths duet is composed in Canzona-style. The whole cycle is closed by a fugue in E flat major. With its three themes and their simultaneous occurrence within the last part, Bach honors God’s Trinity for the last time. Carsten Zündorf

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ince 2006 Carsten Zündorf is civic director of church music at the Marienkirche in Osnabrück, Germany.

During these nearly twelve years of professional activity in Osnabrück he has familiarized himself with the Flentrop organ of the Marienkirche in unique ways; an instrument of baroque construction which is still regarded as one of the most significant works by the Dutch organ building company and which enjoys high popularity beyond the region. To demonstrate the organ to the listener in its most rich and colorful specification is Zündorf ’s particular concern; hereby Johann Sebastian Bach’s work is of consistent importance not only in the context of organ recitals and religious services. In 2007, on the occasion of the organ’s 40th anniversary, Carsten Zündorf began recording the CD-series “Mit Bach durchs Jahr” (“Through the year with Bach”), five volumes of which are available already, the sixths and final one being published at the end of 2017. Those Bach-recordings, praised as being “one of the cleverest and most well-made editions of Johann Sebastian Bach’s organ music that ever existed”, found high recognition among the experts. His first organ teacher, Helmut Fleinghaus, set the course for Zündorf ’s organ career. Zündorf studied church music with Professor Gisbert Schneider at the Folkwang Hochschule für Musik in Essen. After long-term activities as choir master and organist in Wuppertal and contract teacher of organ and choral conducting, he finally took position as civic director of church music at the Marienkirche in Osnabrück. Though time for musical activities next to his main profession is short Carsten Zündorf regularly gives concerts both as organist and conductor in Germany and in other European countries. 2

“Organist Zündorf proves (…) to be an interpreter of high degree. Not only are registration and fixation of tempo of great coherence, but also the cohesion of work, the musical consistency, and phrasing. Moreover, he is one of few organ music interpreters who are able to inspirit organ music.” (R. Aschemeier, The Listener) “Notable feature of Zündorf ’s competence, joint by an always tangible deep affection towards the repertory, is his organic handling of the ornamented cantus firmi in the chorale preludes.” (M. Wersin, RONDO) 26


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rgan builder, Dirk Andries Flentrop, and civic director of church music, Traugott Timme, started to design the organ of the Marienkirche in Osnabrück in 1961. In June, 1967 it was finally completed and dedicated. By deciding on a Dutch organ building company at that time one drew on the first verifiable pipe organ of the Marienkirche, built by the likewise Dutch organ maker Slegel in 1571. It has been only consequent, therefore, to design an instrument of baroque construction, influenced by Brabant organ making, and with a clearly constructed division. In the 1920s, former head of Flentrop Orgelbouw, Dirk Andries Flentrop (1910–2003), was specifically influenced by the reform movement in organ making initiated by Christhard Mahrenholz. After the war the company decided to consequently draw on the classical, mechanic organ as a starting point for new organ constructions. Thus, the organ of the Marienkirche is completely hand-made, too, a mere mechanic instrument with 47 speaking arranged for four manual works and pedal. From the beginning its specific tonal attribute especially for those days has been its remarkable fundamental quality and sustainability of its principal registers, as well as a highly balanced relationship between foundation stops, mutation stops, and mixtures. At the end of the 1980s, the organ was moderately reworked. The reeds of the great organ and pedal have been newly voiced, sounding more fundamental since and by that better integrated into the diapason chorus. Two couplers were added, too, which did not exist before for reasons of strictly acting up to the example of northern German Baroque. In the context of general cleaning in 2013 the pedal’s dulcian 16’ was newly voiced and adjusted to the other reeds. Furthermore, a cymbelstern was added due to the initiative of several donors.

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