Optimal 02/2017: Prozess (Wahn)Sinn?

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PANTA RHEI

Kundenmagazin der Agentur kernpunkt

Prozess (Wahn)Sinn - alles im Fluss?


Alles fließt Alles ist stetig im Wandel, nichts bleibt, wie es ist. Trotzdem versuchen Unternehmen, stabile Zustände zu erreichen. Doch Stillstand ist im Unternehmenskontext schwer verzeihlich. Der Handlungsdruck wird erhöht – ob durch disruptive Innovationen oder sich ändernde Wünsche und Anforderungen der eigenen Kunden. Unternehmen stehen daher vor Herausforderungen, die traditionelle Strukturen und Prozesse betreffen. In diesem Kontext begegnet uns der „Prozess“ immer wieder. Transformationsprozesse und neue Geschäftsmodelle stehen auf der Tagesordnung. Es scheint, als liege es an Prozessen – auch an Entscheidungsprozessen – und einem ChangeManagement, die Transformationen zu meistern. Deswegen widmen wir uns in dieser Ausgabe unseres Kundenmagazins Optimal den Prozessen und täglichen Arbeitsschritten, die uns umgeben. Wir haben herausgearbeitet, was für und auch was gegen Prozesse spricht. Welche Methoden und Management-Richtungen setzen sich heute ab, um Prozesse zu optimieren? Bei unserem Kunden, der RLE INTERNATIONAL Group, werden ganze Geschäftsmodelle digital: Wir berichten über die Digital Engine und wie im Zuge dessen alte Prozesse überdacht und prozessuale Lücken geschlossen werden. Mit dem Thema Agilität nähern wir uns außerdem dem Konzept der Selbstorganisation und neuen Wegen in der Entscheidungsfindung an. Was bedeutet es eigentlich, agil zu arbeiten? Unser Kollege Tibor Toth hat als Agilist eine Menge dazu zu sagen und bringt auch kernpunkt bei, der VUCA-Welt (auch hierzu mehr im Inneren) agil zu begegnen.

Viel Spaß bei der Lektüre!

Matthias Steinforth, Geschäftsführung Marketing und Vertrieb

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Inhalt 04 Schwerpunkt Neue Rahmenbedingungen, alte Prozesse?

Autoren dieser Ausgabe

06 Ein Plädoyer pro Prozesse Weil sie die Qualität steigern und für Professionalität sorgen! 08 Innovation erfolgreich verhindern! Mit definierten und starren Geschäftsprozessen 10 Immer in Bewegung Prozesse müssen hinterfragt werden.

Matthias Steinforth Geschäftsführer

12 Geschäftsmodelle werden digital "RLE Digital Engine" optimiert den EngineeringProzess. 14 Was es bedeutet, agil zu arbeiten Der modernen Wirklichkeit begegnen

Judith Geuking Marketing

16 Ich bin Agilist! kernpunkt mit agilen Methoden durchdringen 18 Outside the box Mit Design Thinking kreative Prozesse fördern 20 Gegen die E-Mail-Flut Den eigenen Arbeitstag optimieren

Dominik Neumann Marketing

22 Bye-bye Checkliste Eine Fallstudie

Impressum:

Thomas Scholtyssek Konzepter

kernpunkt Digital GmbH, Oskar-Jäger-Str. 173, 50825 Köln | Verantwortlich für den Inhalt: Matthias Steinforth | Auflage: 2.200 Stück | Erscheinung: dreimal pro Jahr | Layout: Verena Stark | Bildmaterial: kernpunkt Digital GmbH, istockphoto.com www.kernpunkt.de

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Schwerpunkt

Neue Rahmenbedingungen, alte Prozesse? Geschäftsmodelle werden komplexer. Im Zuge der Digitalisierung müssen sich Strukturen und Strategien laufend an neue Rahmenbedingungen anpassen. Nehmen wir einmal den digitalen Handel. Auch im B2B-Geschäft kommen Unternehmen nicht mehr um den Online-Handel herum. Für Hersteller, Großhändler und Zulieferer ändern sich daher die Strukturen. Klassische Bestellwege wie Fax, E-Mail oder Katalog werden durch digitale Plattformen und Online-Shops ersetzt. Dann liest man: „Vertriebsprozesse müssen transformiert werden.“

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Auch außerhalb des Handels wird der „Prozess“ häufig als Begriff verwendet. „Geschäftsprozesse harmonisieren“, „Neue Prozessbausteine sollen Wettbewerbsfähigkeit bringen“, „Neue Prozesse sind gefordert, wenn es an die Digitalisierung geht!“ oder „Prozessoptimierungen werden realisiert.“ Doch was bedeutet das eigentlich? Was ist ein Prozess? Der Begriff Prozess wird folgendermaßen definiert: Der Prozess ist eine Reihe von Aktivitäten, die eine Eingabe in ein Ergebnis verwandeln. Es ist eine Folge von Aktionen. Nach DIN 66201 lautet die Definition:

in einem Unternehmen identifizieren und Kriterien zur Überwachung und zum Eingreifen definieren. Abläufe sollen aufeinander abgestimmt werden, in einer sinnvollen Reihenfolge. Für solche Ansätze gibt es auch Normen, wie die ISO 9001. Diese Norm eines prozessorientierten Ansatzes möchte die Qualitätsfähigkeit einer Firma mithilfe von durchdachten Prozessen und einem sinnvollen QM-System sichern und zertifizieren. Doch wie wichtig sind Geschäftsprozesse wirklich? Wie genau muss man diese Prozesse kennen? Kann das Unternehmen mit

„Ein Prozess ist eine Gesamtheit von aufeinander einwirkenden Vorgängen in einem System, durch die Materie, Energie oder Information umgeformt, transportiert oder gespeichert wird.“ Im Unternehmenskontext redet man von Geschäftsprozessen. Auch ein Geschäftsprozess hat einen eindeutigen Anfang und Abschluss. Er ist auf ein Ziel fixiert und soll ein Ergebnis wie Umsatz liefern. Das Management und die Optimierung dieser Prozesse sind wichtig, um Fehler, zum Beispiel bei den einzelnen Abläufen oder bei der Herstellung und Entwicklung von Produkten, zu vermeiden. Oft besteht ein Prozess

Prozessoptimierungen optimal unterstützt werden? Im Zuge von Digitalisierungsinitiativen nehmen sich Unternehmen verstärkt dem Thema Prozesse an, um diese eben zu digitalisieren. Gerade dann sollten die Zeit und der Fokus genutzt werden: Was brauche ich überhaupt, was nützt dem Ergebnis und dem Kunden? Erst danach sollte gefragt werden: Wo kann Technologie hier unterstützen? Im Endeffekt geht es immer um das systematische Erreichen von Zielen und um das Erfüllen von Kundenanforderungen. Ein Unternehmen möchte handlungsfähig sein und unnötige Fehlleistungen bei der Herstellung und

aus einer Kette von Teilprozessen, und in einem Unternehmen laufen eine Vielzahl von Prozessen ab. Folglich gibt es verschiedene Prozesse und Prozesstypen. Sie werden unterschiedlich betitelt, wie etwa Führungs- und Managementprozesse, Kernprozesse oder Wertschöpfungsprozesse. Dazu kommen Unterstützungsprozesse, die Infrastruktur, Beschaffung und Personal betreffen. Den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen ... oder eben vor lauter Prozessen. Die Gefahr besteht. Doch damit alles im Fluss ist, möchte das Prozessmanagement Prozesse

den begleitenden Abläufen vermeiden. Trotzdem: Sich nur auf die Prozesse und die Optimierung von vorhandenen Produkten zu fokussieren, den Ist-Zustand im Blick, kann hinderlich sein. Wie viel Geschäftsprozess braucht ein Unternehmen also? Fragen, Antworten und Thesen zum Thema Prozesse ergeben sich in beide Richtungen: pro und kontra, durch Prozesse im Fluss sein oder starr dem Stillstand entgegentreiben. Pauschal für ein jedes Unternehmen kann dies gar nicht beantwortet werden. Doch Denkanstöße in eine sinnvolle Richtung können gegeben werden. # 2 | 2017

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Ein Pl채doyer pro Prozesse Weil sie die Qualit채t steigern und f체r Professionalit채t sorgen!

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Stellen Sie sich ein Start-up-Unternehmen vor, das Anwendungen und Landschaften für Virtual-Reality-Umgebungen programmiert. Die Auftragslage ist sehr gut, und Kunden kommen mit immer neuen Aufträgen und Wünschen. Das Unternehmen wächst und gewinnt an Größe, auf Auftragsseite wie auch auf Mitarbeiterseite. Die angestellten Programmierer tun ihr Bestes, um die Kundenbelange zeitnah umzusetzen. Doch das Unternehmen beobachtet zunehmend, dass die Entwicklung mit Kundenaufträgen nicht mehr Schritt halten kann. Dies führt zu einer steigenden Anzahl von Überstunden, Nachtschichten, Fehlern und überlaufenden Projekten. Wie in jedem Unternehmen werden auch bei einem Start-up Geschäftsmodelle immer komplexer; die Qualität für den Kunden darf aber darunter nicht leiden. Wie kann das Start-up seine Vorgehensweise optimieren? In intensiven Diskussionen fallen immer wieder Begriffe wie „Prozessoptimierung“ oder „Prozessmanagement“. Auch wenn diese Begriffe einem Start-up mit selbstorganisierten Einheiten widerstreben, die Verantwortlichen sind sich einig: Das im Moment eher unkoordinierte Arbeiten kann so nicht weitergehen. Abläufe müssen verbessert werden, um den wachsenden Herausforderungen gerecht zu werden. Sie beschließen, mit dem Kunden Prozesse zu etablieren, die sowohl dem Kunden als auch dem Projektablauf in ihrem Unternehmen entgegenkommen. Durch die Beschreibung ihrer Prozesse legen sie den Grundstein für ein Verständnis der notwendigen Abläufe. Was sind die Vorteile von standardisierten Prozessen? Der Ablauf der Tätigkeiten im Start-up war bis zur Prozesseinführung stark polychronisch geprägt, also: Viele Aufgaben liefen gleichzeitig und ungefiltert ab, sorgten für Ablenkung bei Kernaufgaben. Ein „Prozess“ ist ein gerichteter Ablauf von Tätigkeiten. Organisation durch Prozesse fördert die Konzentration auf die Dienstleistung für den Kunden. Mit der Einführung von Prozessen gelingt es den Mitarbeitern zum Beispiel besser, eine Aufgabe nach der anderen zu erledigen und damit eine höhere Konzentration zu erzielen und Fehler in den einzelnen Abläufen zu vermeiden. Durch methodisches Arbeiten und eine Plan-Orientierung werden Termine ernst genommen. Deadlines können eingehalten sowie eine höhere Kundenzufriedenheit erreicht werden. Es kommt außerdem zu einer Vereinfachung von Administration und Koordination und somit zu einer besseren Beherrschung der Arbeitsabläufe. Durch klar definierte Verantwortungen werden weitere Fehlerquellen auf ein Minimum reduziert, und Chaos kann vermieden werden. Ebenso sichert sich das Unternehmen durch eine ordentliche Dokumentation für die Zukunft ab, falls Mitarbeiter wechseln, Wissen verloren geht und weitere Umbrüche bevorstehen. Indem Prozesse dynamisch gehalten werden, kann man weiterhin schnell auf veränderte Gegebenheiten reagieren, und zwar deutlich besser als in einer statischen Problemlösungssituation oder ohne die Steuerungsoptionen eines Prozesses. Nicht alle Prozesse müssen wichtig sein, aber Arbeitsschritte, die oft ausgeführt werden, direkt auf die Kosten und Kundenzufriedenheit einwirken und das Unternehmen nach vorne bringen, diese Schritte sollten genauer unter die Lupe genommen werden. Denn schon kleine Prozessoptimierungen, etwa bei sich häufig wiederholenden

Schritten, können auf längere Sicht eine große Wirkung haben. Mit einem Fokus auf wichtige Kernprozesse und deren Optimierung kann Erfolg maßgeblich beeinflusst werden. Doch ohne Prozesse und deren Definition und Dokumentation gibt es auch diesen Fokus nicht.

Die Vorteile von Prozessen im Überblick: • eine höhere Transparenz in der Organisation • Kostenersparnisse durch spezialisierte Arbeitsteilung, Fehlervermeidung, effektiveres Arbeiten • klare Definitionen sorgen für eine bessere Kommuni kation und für klare Verantwortlichkeiten • schnellere Problemlösungen, da einheitliche Vorgaben • gleiche und ähnliche Prozesse müssen nur einmal abgebildet werden • Nutzung von standardisierten Schnittstellen • Minimierung des Koordinationsaufwands • höhere Produktqualität, kürzere Durchlaufzeiten und bessere Kundenorientierung • Effizienzsteigerungen

Diese Auflistung schneidet nur an, warum „Prozesse sinnvoll und wichtig“ sind. Dass Prozesse sinnvoll und wichtig sind, lesen wir immer und überall, aber leider wird es dann häufig so stehen gelassen. Warum Prozesse sinnvoll sind, das verstehe sich ja von selbst. Daher bleibt das Thema in den Köpfen vieler sehr abstrakt. Abstrakt muss es aber gar nicht sein. Dass Prozesse wichtig sind, aber auch an ihnen gearbeitet werden muss, kann an vier alltäglichen Beispielen verdeutlicht werden:

ZÄHNE PUTZEN

AUTO FAHREN

Routine kann blind machen

Ohne Führerschein?

Sind Ihre Methoden zeitgemäß?

Prozesse verhindern Chaos.

BLUMEN GIESSEN

RASEN MÄHEN

Regelmäßige Pflege/Kontrolle

Dranbleiben und weiterentwickeln

Geeignete Maßnahmen für

Prozessmanagement macht

die Prozessoptimierung finden.

die Arbeit einfacher. # 2 | 2017

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Innovation erfolgreich verhindern! Mit definierten und starren Geschäftsprozessen

Am besten, Sie managen Arbeitsschritte ganz genau bis ins kleinste Detail: Identifizieren Sie die Schritte, steuern und gestalten Sie jeden Workflow. Erfassen Sie den Ist-Zustand detailliert. Dokumentieren Sie auch, wie jeder einzelne Mitarbeiter eingebunden wird. Die Abfolge von Einzeltätigkeiten muss ersichtlich werden, um diese auch schrittweise ausführen zu können. Gehen Sie strukturiert vor. Nach A kommt B, kommt C. Nur so wird am Ende das Unternehmensziel erreicht. Oder?

Unternehmen möchten das Rad nicht neu erfinden. Sie wünschen sich Standards in der Leistungserbringung, setzen auf Business Process Management und nehmen sich dazu vor, innovativ zu sein und Kreativität zielgerichtet einsetzen zu können. Das Problem ist: Bei einem Prozessmanagement besteht die Gefahr, dass der IST-Zustand zu einer Art Referenz und Norm wird. Der Prozess wird das Ziel, nicht das Ergebnis selbst. Innovationen werden ganz aus den Augen verloren. Standards etablieren und gleichzeitig innovativ sein wollen, da passt etwas nicht. Der Duden definiert Innovation ganz richtig: „Realisierung einer neuartigen, fortschrittlichen Lösung für ein bestimmtes Problem, besonders 8

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die Einführung eines neuen Produkts oder die Anwendung eines neuen Verfahrens“. Ebenso bedeutet Kreativität „schöpferische Kraft“, also etwas Neues schöpfen, ein Problem lösen. „Neuartig“, „neu“ - dafür muss das Rad neu erfunden werden. Eine Innovation sollte es per definitionem am besten in dieser Form noch nicht gegeben haben. Und außerdem: Kreativität zielgerichtet einsetzen? Genau! So funktioniert das nicht. Innovation und Kreativität passieren nicht einfach so und vor allem nicht immer dort, wo jemand sie gerade an einem Punkt in der Zeit haben will: Beides muss ermöglicht und genährt werden. Es reicht nicht aus, in einem Unternehmen Kreativität und Innovation


als Treiber wirtschaftlichen Erfolgs zu definieren. Denn trotz einer Definition ersticken starre Prozesse beides im Keim. Spaß bei der Arbeit? Wegoptimiert. Sie haben keine starren Prozesse? Denken Sie noch einmal drüber nach. Prozessschritte werden heutzutage digitalisiert und transparent gemacht. Nicht nur am Fließband und in der Fabrik, sondern auch bei der Büroarbeit finden sich klare und kleine, digitalisierte Arbeitsschritte. Das bringt eine digitale Rechenschaft und Kontrolle durch detaillierte Dokumentation. Workflows, Zeiten und Tickets sind einzusehen und nachvollziehbar: Der Druck steigt. Vielleicht auch die Angst vor nicht erklärbaren Lücken in den Prozessen? Es ist allgemein bekannt, dass Angst und Druck Kreativität nicht gerade fördern und dass Mitarbeiter dann eher verstummen. Innovationen können nur aus Vertrauen entstehen. Fragen Sie sich: Wo ist Platz für kreatives Austoben? Für ein Probieren auch mal ohne Struktur? Für Ideen, die vielleicht auch mal nicht fruchten? Wo bleibt dann das Selbstbewusstsein für kreative Fähigkeiten? Definierte Arbeitsschritte blockieren ein freies Entfalten von Kreativität und hindern damit Innovationen. Wenn es kein Ausbrechen aus Prozessen gibt, kein Verlassen der bekannten Pfade, dann wird erst gar nicht erkannt, an welchen Stellen Ideen entstehen können und wo sie vor allem stecken bleiben. An ein Umsetzen ist nicht zu denken. Management von Instabilität Innovation, Kreativität und die Fähigkeit eines Unternehmens, sich zu wandeln, waren selten so wichtig wie heute. Der Kontext und die Umwelt um ein Unternehmen verändern sich stetig. Unternehmen kommen durch die Digitalisierung und disruptive Lösungen immer öfter in die Situation, sich wandeln zu müssen. Time-to-Market und Skalierbarkeit sind die wichtigsten Voraussetzungen, um wettbewerbsfähig zu bleiben oder zu werden. Schnelligkeit und Agilität sind gefordert. Auch das ist nicht mit einem Fokus auf Prozesse zu vereinbaren. Der verstorbene Netzwerkforscher und Honorarprofessor für Organisationspsychologie, Dr. Peter Kruse, der sich unter anderem durch seine Arbeit und Vorträge rund um „Gute Führung” auszeichnete, formulierte in der Vergangenheit acht Regeln für den totalen Stillstand in einem Unternehmen. Was müssen Unternehmen tun, damit sich gar nichts verändert? Eine dieser Regeln: „Es sollte auf keinen Fall über den Sinn und Unsinn von bestehenden Regeln geredet werden. Lassen Sie die Regeln in Frieden.” Nach Peter Kruse kann Veränderung in einer Organisation nur durch ein gezieltes Schaffen von Instabilität erreicht werden. Veränderung darf nicht erst notgedrungen erfolgen, wenn die Krise da ist. Sie muss proaktiv erfolgen. Wenn Prozesse erwünscht sind, sollten Unternehmer Energie in Prozesse investieren, die sie noch nicht kennen. Nicht ziellos, sondern unter konkreter Beobachtung des Marktes. Auch Kreativität und damit Ideen für Innovationen betrifft der Punkt der Instabilität: Es können Rahmenbedingungen geschaffen werden, um Kreativität herauszulocken und indirekt

zu fördern. Das geht nach Peter Kruse am besten durch eine Abkehr von starren Prozessen hin zu instabilen Phasen und Spannungsverhältnissen. Diese ließen Mitarbeiter neue Muster finden. Amazon-Gründer und CEO Jeff Bezos sieht dies ähnlich. „Day 2 is stasis. Followed by irrelevance. Followed by excruciating, painful decline. Followed by death. And that is why it is always Day 1”, schreibt er in seinem 2016 Brief an seine Shareholder. Zu arbeiten wie am ersten Tag ist notwendig: experimentieren, Fehler zulassen und akzeptieren, lernen und auf den Kunden fokussieren. Tag 2 bedeute Stillstand. Am Tag 2 fokussiere man sich schon zu sehr auf den Prozess und nicht auf das Ergebnis und auf den Kunden, und das sei tödlich.

Also: Eine Möglichkeit, bekannte Wege und Prozesse verlassen zu können, ist wünschenswert und notwendig. Ein Prozess darf niemals im Vordergrund stehen. Nur dann kann Neues entdeckt und der Denkhorizont erweitert werden. So fördern Unternehmen Innovationsfähigkeit in ihren Mitarbeitern. Es geht trotzdem nicht darum, Mitarbeiter ziellos treiben zu lassen. Ein gemeinsames und verstandenes Unternehmensziel sollte immer prominent im Vordergrund stehen. Kommunikation und gute Führung (ohne Druck und Angst) sind wie so oft das A und O. # 2 | 2017

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Immer in Bewegung Prozesse müssen hinterfragt werden.

Jeder, der schon einmal in einem umfangreichen Projekt mitgearbeitet hat, weiß: Nicht alles läuft immer perfekt. Genau aus diesem Grund gibt es Projekt-Reviews, welche die Arbeitsweise in der Retrospektive näher beleuchten mit dem Ziel, Wissen zu sammeln und es in der Zukunft zur Fehlervermeidung einzusetzen.

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Und auch positive Erkenntnisse kommen dabei selbstverständlich nicht zu kurz. Hierbei handelt es sich um die sogenannte Lessons-Learned-Methode. Sie ist eines der einfacheren Beispiele für die zahlreichen professionellen Vorgehensweisen, die darauf ausgelegt sind, Prozesse in Unternehmen zu optimieren. Denn um nicht in alten Denkmustern zu verharren, sondern eine stetige Verbesserung anzupeilen, gilt es, grundsätzlich sämtliche Abläufe und Tätigkeiten immer wieder zu hinterfragen. Ist unser Vorgehen tatsächlich effektiv? Wie gut arbeiten wir eigentlich zusammen? Können wir noch Dinge verbessern? Und wenn ja: welche? Die unbeständige VUCA-Welt Es lohnt sich also, einen genaueren Blick auf etablierte Vorgehensweisen zu werfen. In diesem Zusammenhang ist das VUCAModell besonders erwähnenswert, denn mit ihm wird eine revolutionäre Denkweise vorangetrieben. Es ist ein neuer Prozess der Strategiefindung. VUCA ist ein Akronym und steht für

Volatility (Volatilität): Hinter dem Begriff der Volatilität verbirgt sich die Einschätzung, dass Veränderungen häufiger werden und deutlicher ausfallen.

Uncertainty (Unsicherheit): Entwicklungen und Ereignisse werden immer unvorhersehbarer, Akteure sind schwer lokalisierbar.

Complexity (Komplexität): Abläufe werden durch immer mehr Faktoren und Variablen beeinflusst und vollziehen häufiger Richtungswechsel.

Ambiguity (Ambiguität): Informationen sind nicht mehr eindeutig und auf jeden Fall anwendbar, womit individuelle Lösungen notwendig werden. Das Modell entstammt ursprünglich dem Militärjargon der US Army, die damit die Komplexität der Welt nach dem Ende des Kalten Krieges beschrieb. Heute ist das VUCA-Modell zu einer zentralen Triebfeder der Digitalisierung geworden. Dabei gehen Verfechter des Modells davon aus, dass seine vier Aspekte im Grunde die gesamte heutige Welt bestimmen. Die

Schlussfolgerungen für die Wirtschaft innerhalb der „VUCA-Welt“ sind eindeutig: Geschäftsmodelle stehen immerzu auf dem Prüfstand, müssen angepasst und optimiert werden, um auf die Entwicklungen des Marktes, der Kunden und der Wettbewerber angemessen reagieren zu können. Mit der Digitalisierung, die in allen Branchen unaufhaltbar Einzug hält, hat das VUCA-Modell den perfekten konkreten Anwendungsfall gefunden. Mit VOPA+ gibt es inzwischen sogar ein eigenes Modell für die digitale Transformation, das als Antwort auf VUCA aufgebaut ist und die Faktoren Vernetzung, Offenheit, Partizipation, Agilität „plus Vertrauen“ als zentrale Standbeine einer digitalen Unternehmenskultur deklariert. Mit Führungselementen wie einer transparenten Kommunikation auf verschiedensten Kanälen, einem offenen Informationszugang, kollaborativer und zugleich selbstverantworteter Zusammenarbeit sowie der Kontrolle von Zielen anstelle der Kontrolle von Arbeit verfolgt das Modell den Plan, den Herausforderungen der VUCA-Welt zu trotzen. Entscheidend ist hierbei, dass die Prinzipien von der Führungsetage vorgelebt werden, um das gesamte Unternehmen danach auszurichten und die Mitarbeiter als Akteure mit einzubinden.

Kleine Veränderungen, aber stetig und überall Wem die Prämissen der VUCA-Welt zu radikal erscheinen, dem eröffnen sich selbstverständlich auch andere geeignete Alternativen zur Prozessoptimierung. Ein bewährter Grundgedanke besteht beispielsweise im kontinuierlichen Ver-

besserungsprozess (KVP), der auf dem japanischen Prinzip des Kaizen beruht. Mut zur Veränderung aufseiten der Geschäftsführung ist hier aber ebenso Grundvoraussetzung wie die Einbindung und Motivation der Mitarbeiter, ihre Arbeitskraft und Ideen zum Zweck der kollektiven Weiterentwicklung einzubringen. Potenziale erkennen und verbessern geht jeden im Unternehmen etwas an. Der wichtigste Grundgedanke: alltäglich und stetig verbessern. Denn aus vielen kleinen Verbesserungen kann etwas Großes werden. Wird das größte Hindernis, die typische Trägheit von Unternehmensstrukturen, überwunden, dann gewinnt die Organisation entscheidend an innerer wie äußerer Flexibilität, stärkt die Zusammenarbeit im Team und kann auf veränderte Marktumstände bestmöglich reagieren.

Durchdacht zum Ziel Ganz egal, welche Methode in der eigenen Organisation zur Anwendung kommt: Funktionieren wird sie nur, wenn die Ziele klar gesteckt sind. Dabei gilt es vor allem, die richtigen Fragen zu stellen und nicht den zweiten Schritt vor dem ersten zu gehen. So mag es für eine moderne Unternehmensführung sinnvoll erscheinen, Prozesse zu optimieren und zu verändern, um eine digitale Transformation zu vollziehen. Diese sollte im Sinne des Prozess- und Qualitätsmanagements aber nicht das Ziel, sondern vielmehr das Ergebnis eines Verbesserungsprozesses sein. Denn nur durch ein ergebnisoffenes Vorgehen kann man nachvollziehbar zu dem Schluss kommen, dass die Digitalisierung der Unternehmensprozesse für die eigenen Zwecke nützlich oder gar notwendig ist. # 2 | 2017

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Geschäftsmodelle werden digital „RLE Digital Engine“ optimiert den Engineering-Prozess entlang der Wertschöpfungskette.

Für die RLE INTERNATIONAL Group, die im Bereich Engineering vom Konzept bis hin zur Serienreife eines Fahrzeuges die Geschichte der Mobilität schreibt, sind Prozesse wichtig. Prozesse sind die Wertschöpfung an sich und schaffen Mehrwerte für den Kunden. Als die Rupa und Laufenberg GmbH 1985 mit nur vier Mitarbeitern startete, kannte jeder jeden. Der Prozessablauf war dementsprechend schnell überblickt. Bei inzwischen mehr als 1.800 Mitarbeitern weltweit, die sich dem Claim „Engineering Excellence. Worldwide.“ verpflichtet fühlen, sehen Prozesse etwas anders aus.

Daher stellte sich der Entwicklungsdienstleister die Frage: Wie können Aufgaben und Anforderungen von Kunden auch in diesen Unternehmensdimensionen effizient und agil gehandhabt werden, sodass ein effektiver Prozessablauf gewährleistet werden kann? Und wie kann, trotz komplexer werdender Prozesse, sichergestellt werden, dass die Firma weiterhin für innovatives Know-how steht? Alte Prozesse überdenken, Potenziale erkennen Jedes Unternehmen kennt das: Im regulären Tagesgeschäft kristallisieren sich im Verlauf eines Kundenprojektes immer wieder Optimierungs- bzw. Änderungsbedürfnisse heraus. Konkrete Entwicklungen können zumeist nur bedingt vorhergesagt 12

werden. Prozessanpassungen bedeuten jedoch nicht, dass ein Projekt falsch geplant wurde. So auch nicht bei RLE. Trotzdem: Separate Abstimmungen bedürfen mühsamer Dokumentations-, Freigabe- und Budgetprozesse. Änderungen sorgen neben einem großen bürokratischen Aufwand für enormen Zuwachs an Projektmanagementprozessen. Darunter leidet die Rentabilität eines Projektes, und für Unternehmen lauern bei mangelhafter Dokumentation der Zusatzprozesse auch weitere finanzielle Gefahrenpotenziale. Zusätzliche Abstimmungsschleifen können zudem Auswirkungen auf die Fertigstellungstermine und den Zeitplan haben. Nicht nur aus Rentabilitätsgründen ist die Vermeidung redundanter Abstimmungs-

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prozesse und prozessualer Lücken enorm wichtig. Bei RLE möchte man dem Kunden eine lückenlose 24/7-Betreuung bieten. Intelligente Prozessstrukturen sollen dabei helfen, internationale Kundenprojekte rund um die Uhr sowie standort- und zeitzonenübergreifend bestmöglich zu bearbeiten. Die Konsequenz: Optimierte Prozessstrukturen und ein digitales Geschäftsmodell mussten her. Die sogenannte Digital Engine hilft dem Unternehmen dabei, in neue Marktsegmente vorzudringen, neue Kundengruppen zu generieren und bei bestehenden Partnern mit innovativen Services zu punkten.


TASK

RLE Digital Engine – Arbeitspakete schnüren Bevor die Digital Engine dazu beitragen kann, im RLE-Kundengeschäft neue Prozessstrukturen zu etablieren, heißt es, gemeinsam mit dem Kunden häufig wiederkehrende Aufgaben zentral zu dokumentieren und anschließend konkrete „Work Packages“ zu definieren. Im Rahmen der RLE Digital Engine können die identifizierten Aufgabenpakete dann Projektleitern auf Kundenseite in einem einfachen Bestellprozess zur Verfügung gestellt werden.

einen Umsatzanstieg von rund 30 Prozent über dem veranschlagten Fixpreis verzeichnen. In einem weiteren Pilotprojekt mit 40 Projektverantwortlichen wurden im letzten Jahr 400 Tickets erfolgreich bearbeitet, mehr als 60 davon parallel. Das Feedback des Kunden fiel hier sehr positiv aus: Es hätte demnach nie zuvor ein realisiertes Projekt gegeben, das zu jedem Projektzeitpunkt über eine solch umfassende Projekttransparenz verfügt hätte. Letztendlich ist es das Ziel, mit den innovativen, digitalen Prozessstrukturen alte Zöpfe abzuschneiden, neue Prozesse zu etablieren und die Akzeptanz am Markt zu steigern. Dabei darf jedoch eine kritische Überwachung der Performance neuer Prozesse nicht ausbleiben, auch wenn der Schluss daraus lauten könnte, dass die neuen Strukturen bestehende Prozesse nicht vereinfacht, sondern vielmehr zu deren Verkomplizierung geführt haben. Bei RLE INTERNATIONAL zeigt sich aber bereits jetzt das große Potenzial der neuen Strukturen: „Die Prozesse sind schneller, günstiger, transparenter und letztendlich auch wertschöpfungsfördernd, da Folge- bzw. Neukundenaufträge sehr viel wahrscheinlicher werden. Auch die Ablauferleichterung für die Projektverantwortlichen ist ein wichtiger Punkt. Die Glieder der Kette können viel nahtloser ineinandergreifen und steigern nachhaltig die Ablaufeffizienz im Projektteam“, bestätigt CEO Ralf Laufenberg.

Auch RLE muss die neuen Strukturen jederzeit auf ihre Alltagstauglichkeit und weiteres Optimierungspotenzial hin überprüfen. Das vielschichtige Kundenportfolio des Unternehmens hilft RLE dabei, Best Practices sowie Worst Cases umgehend zu erkennen und gewinnbringend in die neuen Servicestrukturen einzubringen. So konnte ein laufendes Testprojekt bereits

DA TE UP

Testen und lernen Innovative Prozesse und Strukturen müssen sich anfangs meist gegen vorhandene Lösungen beweisen und leiden unter Etablierungsschwierigkeiten im Markt. Sie kommen häufig noch recht hypothetisch daher und müssen bei den Verantwortlichen auf Kundenseite in einer Test-/Learning-Phase Überzeugungsarbeit leisten. Auch ist ein Optimierungsprozess durch die bloße Einführung neuer Strukturen keinesfalls abgeschlossen.

S

Die digitale Plattform als Sammelpunkt für alle Prozesse eines Projektes schafft eine Transparenz in puncto Finanzen, Projektmanagement und Kommunikation. Sie ist eine Abkehr von starren Lastenheft- und Änderungsmanagementstrukturen hin zu prozessualer Klarheit und agilem Projektmanagement. Durch die Prozessstandardisierung unterstützt die Plattform auch den 24/7-Ansatz der RLE INTERNATIONAL Group: „In Kombination mit digital gesteuerten Übergaben und Wissenstransfer können wir mithilfe der Digital Engine Leistungen in verteilten Teams und rund um die Uhr erbringen. Für RLE bedeutet das eine optimale Ressourcenauslastung, für den Kunden eine schnellere Bearbeitungszeit“, so Ralf Laufenberg, CEO der RLE INTERNATIONAL Group.

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Die Digital Engine bietet: • einen zentralen Anlaufpunkt zur Beauftragung einzelner Projektkomponenten, • eine exakte Dokumentation aller Ausgangs- und Anpassungsprozesse, • weniger Streu- und Informationsverluste,

RESULT

• eine Dezentralisierung der Prozessstrukturen: Ein fehleranfälliges Wissensmonopol einzelner Personen wird vermieden. # 2 | 2017

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Was es bedeutet, agil zu arbeiten Immer mehr Projekte kommen ins Stocken, und Unternehmen haben mit weniger erledigten Aufgaben und unfertigen Projekten zu kämpfen. Ob Start-up oder großes Unternehmen: Ab einer gewissen Größe überwiegt vielerorts die Bürokratie und das Feststecken in einer klassische Abteilungsstruktur. Es häufen sich auf den unterschiedlichen Ebenen die Abhängigkeiten, und ein langes Warten auf Input, Ressourcen und Freigaben folgt. Dazu sind Unternehmen oft auch kulturell nicht in der Lage, sich nötigen Transformationsprozessen zu stellen. In einer sich rasant verändernden Wirtschaftswelt ist das fatal.

Wie sieht so eine klassische Struktur aus? Viele mittelständische und langsam gewachsene Unternehmen bauen auf ein Einliniensystem oder die Stablinienorganisation: ein hierarchisches System, in dem Mitarbeiter einen Vorgesetzten haben mit klarer Weisungsbefugnis und vertikalen Kommunikationsformen. Durch solche Strukturen werden interdisziplinäre Zusammenarbeit und Austausch erschwert. Aus fehlender Kommunikation und einem nicht vorhandenen Verständnis des großen Ganzen resultieren beispielsweise unrealistische Zieltermine oder es kommt zu ungenauen Anforderungsspezifikationen. Es entstehen Überstunden, Overhead und Leistungsdruck. Projekte sind nicht mehr im Fluss.

im Kopf. Doch alle Definitionen bauen auf den gleichen Werten und Prinzipien auf. Wenn auch aus der Softwareentwicklung stammend, betrifft agiles Arbeiten aber schon lange nicht mehr nur Software-Teams. Worum geht es also? In ihrem „Manifesto for Agile Software Development“ fassen die Experten um Kent Beck et al. vier agile Leitsätze zusammen:

Individuen und Interaktionen stehen über Prozessen und Werkzeugen

Trotz dieser strukturellen Hürden wünschen sich Unternehmen, innovativer und reaktionsfähiger zu werden. Sie möchten schneller auf neue Kundenanforderungen und Trends reagieren können. In der heutigen Zeit ist es unmöglich, vorhersagen zu können, wie sich der Markt konkret entwickeln wird. Konditionen ändern sich – gefühlt – in Sekundenschnelle. Nicht nur die Kundenseite ist immer in Bewegung, auch die Konkurrenz taucht aus dem Nichts mit disruptiven Lösungen auf. Es ist nicht schwer zu verstehen: Wer hier nicht schnell reagieren kann, steht mindestens genauso schnell am Spielfeldrand.

Funktionierende Software ist wichtiger als umfassende Dokumentation

Agil der modernen Wirklichkeit begegnen? Auch wenn der ein oder andere Marketer das Wort „agil“ nicht mehr hören kann, hat es dennoch seine Berechtigung. „Agiles Arbeiten“ ist ein aus der Softwareentwicklung stammender Lösungsansatz. Es rotieren viele Definitionen und man liest: Jeder, der „agil“ zu arbeiten glaubt, hält für sich eine andere Definition

agilemanifesto.org

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Zusammenarbeit mit dem Kunden geht über Vertragsverhandlungen Reagieren auf Veränderung ist entscheidender als das Befolgen eines Plans

Auch wenn Werkzeuge, Planen und Vertragsverhandlungen etc. als wichtig erachtet werden, seien die Bausteine mit Individuen und Zusammenarbeit und damit Kommunikation weitaus bedeutender und wertvoller. Es gibt noch 12 weitere agile Prinzipien,


Commitment

Fokus

Mut Offenheit

die hinter dem Manifest stehen – von Kundenzufriedenheit durch „early and continuous delivery“ als höchste Priorität bis hin zu selbst-organisierten Teams und regelmäßigen Reflexionen und Anpassungen auf Teamebene. Transparenz, Flexibilität und zyklisches Arbeiten sorgen für schnellere, erste Ergebnisse und einen stetigen und offenen Lernprozess. Studien belegen, dass durch ein agiles Projektvorgehen Misserfolge besser verhindert werden können und Kunden zufriedener sind, vor allem, da man sich nicht schon ganz am Anfang unflexibel auf jede Anforderung festschreibt. Projekte sind erfahrungsgemäß einfach vielen Änderungen unterworfen. Diesen Werten und Prinzipien entsprechen beispielsweise die agilen Konzepte „Scrum“, als iterativer Ansatz mit zeitlich definierten „Sprints“, sowie auch Kanban mit den „Kanban Boards“, um Arbeitsprozesse zu visualisieren und zu planen. Viele dieser Prinzipien konzentrieren sich vom Wording noch stark auf den Bereich der Software- und Produktentwicklung. Trotzdem kann auch eine ganze Firma sich agilen Prinzipien widmen, denn Veränderungsdruck geht auch nicht an Organisation und Führungsprozessen vorbei. Wenn man den Software-Fokus herausnimmt, bedeutet agil im Kern im Endeffekt: Kollaboration, Ergebnisse, Reflexion und Optimierungen: „Collaborate, Deliver, Reflect, Improve“ – wie es Dr. Alistair Cockburn in seinem „The Heart of Agile“ beschreibt. Eine Herausforderung scheint für viele Unternehmen der Tradeoff zwischen Schnelligkeit und Flexibilität auf der einen Seite sowie Stabilität und Maßstäbe durch Struktur und klare Abfolgen

Respekt auf der anderen Seite zu sein. Aber muss es überhaupt ein Tradeoff sein? Firmen wie Netflix, Spotify, aber auch ING aus den Niederlanden setzen auf „Agile“ und sind erfolgreich damit. Sie berichten, dass die neue Art zu arbeiten das Unternehmen dabei unterstützt, schneller auf sich ändernde Kundenwünsche und Bedürfnisse zu reagieren. Bei ING hat man sich beispielsweise von einer traditionellen Unternehmensstruktur wie einem Einliniensystem verabschiedet und arbeitet nun in funktionsübergreifenden „Squads“ zusammen. Kurz erklärt: Jedes Squad-Team hat seine eigenen Verantwortlichkeiten und bearbeitet autonom eine spezifische Kundenmission. Daher setzt sich bei ING ein Squad-Team aus interdisziplinären Mitarbeitern zusammen: alle mit Know-how aus einem anderen Gebiet, etwa aus dem Marketing, Data Analytics, IT und Entwicklung. Ein sogenannter „Product Owner“ verantwortet für das Team, was bearbeitet und priorisiert wird. Die Ergebnisse sind maximal kundenfreundlich und effizient. Auch wenn ein Unternehmen sich dem agilen Arbeiten verschreibt, heißt es nicht, dass es auch wirklich agil arbeitet. Häufig setzen sich alteingefahrene Arbeitsweisen – die zunächst über Bord geworfen wurden – doch wieder durch. Nicht selten mischen sich auch ganz verschiedene Ansätze, die sich teilweise auch widersprechen. Nur weil ein Wasserfallmodell um Meetings erweitert wurde, bedeutet dies noch nicht, dass es agil ist. Dann können sich die erhofften Vorteile durch agiles Arbeiten natürlich nicht durchsetzen.

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Interview

Ich bin Agilist! kernpunkt mit agilen Methoden durchdringen

Tibor, wie lautet deine Stelle? Warum bist du jetzt hier? Die ursprünglich veröffentlichte Stellenbeschreibung war zum „IT-Projektleiter“. Ich habe schon beim Bewerbungsgespräch gemerkt, dass kernpunkt dem Thema Agilität und Scrum sehr offen gegenübersteht. Meinen Probearbeitstermin habe ich primär dazu genutzt, mein Lieblingsthema Agilität in den Fokus zu stellen und von agilen Ansätzen und Methoden zu überzeugen. Daraus entstanden konkrete Transformationsvorhaben. Also schrieb man die Stellenbeschreibung um. Sie lautet nun auf „Scrum Evangelist und Agile 16

Coach“ dessen Aufgabe die Durchdringung der Organisation mit agilen Methoden ist. Wie bist du zu diesem Thema gekommen? Ich habe diverse Tätigkeiten in der IT-Branche ausgeführt. Dazu zählten Vertriebsleiter, Teamleiter und auch Projektleiter. Durch meine Berufserfahrung konnte ich also feststellen, wie Menschen in technischen Berufsfeldern untereinander agieren. Es ist klar: Menschen kann man vor allem gut über Emotionen erreichen. Das verlernen in technischen Berufen viele, an das Menschliche zu denken. Auch Debatten und Diskussionen über technische

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Spezifikationen und Vorgehensweisen basieren oft auf menschlichen Bedürfnissen und Motivatoren. Und das ist meiner Meinung nach der Grundgedanke in der agilen Welt: Die Menschen, ihre Bedürfnisse, ihre Motivatoren und die Kommunikation zwischen ihnen in den Fokus zu rücken, zu adressieren und nach Möglichkeit zu verbessern. Die betriebswirtschaftlichen Versprechungen agiler Vorgehensweisen wie eine „faster-time-to-market“, eine höhere Produktivität oder bessere Qualität sind dann letztendlich nur sehr willkommene, unvermeidbare Konsequenzen neuer, agiler Formen der Zusammenarbeit.


Was sind typische Herausforderungen in „nicht-agilen“ Firmen? Typischerweise findet sich häufig ein SiloDenken. Gedankensilos, die anstatt über Kommunikation über Prozesse verknüpft werden. Außerdem eine fehlende Kultur des Scheiterns. Beides ist nicht sehr zielführend. Ersteres erschwert die Zusammenarbeit und Lösungsfindung. Letzteres wirkt gegenüber dem agilen Ansatz empirischer und inkrementeller Entwicklung als großes Hemmnis. Sehr selten brauchen wir einen Gesamtplan für den gesamten Produktentwicklungszyklus oder eine bis in kleinste Detail bestehende Dokumentation. Man plant oder dokumentiert, um eventuell in drei Jahren vorbereitet zu sein. Man kann einfach nicht jede Eventualität abfangen, auch nicht durch sehr langfristige Planungen oder ausgiebige Dokumentation. Dazu ist die Welt, nicht nur, aber besonders in unserer Branche, einfach zu „VUCA“ (volatility, uncertainty, complexity, ambiguity). Was gewinnt ein Unternehmen durch agile Methoden? Vor allem Unternehmer und Führungskräfte müssen sich vor Augen führen, wie die Welt, der Arbeitsmarkt, auf dem man sich schon heute in einem „War for Talents“ befindet, und die digitalen Geschäftsfelder der Zukunft aussehen können. Wo will man hin? Mich motiviert besonders die These der technologischen Singularität, die irgendwann in den Jahren 2029-2043 eintreten wird. Durch die künstliche Intelligenz wird es viele Jobs und Geschäftsfelder einfach nicht mehr geben. Und wahrscheinlich werden prosperierende Unternehmen nur noch diejenigen sein, die die KI weiterentwickeln und betreiben. Diese Organisationen, bestehend aus höchst kompetenten und kreativen Menschen, werden sich für agile Modelle der Zusammenarbeit entscheiden, um keine Einbußen an Kreativität, Kompetenz und Kommunikation zu erfahren. Sie werden für ihre eigene Weiterentwicklung agile Coaches als „Servant Leader“ einstellen, die sie bei der Weiterentwicklung ihrer Entwicklungsprozesse, Methoden und Kompetenzen unterstützen.

Menschen kann man nur über Emotionen erreichen. Das verlernen in technischen Berufen viele, an das Menschliche zu denken.

Agilität in der Organisation verankern – wie geht das? Die derzeitigen Transformationsvorhaben bei kernpunkt werden von mir mithilfe diverser Methoden und Praktiken aus verschiedenen agilen Management-Frameworks umgesetzt. Natürlich führt man im Bereich der Events und Artefakte Meetings und Backlogs ein, die sich sehr am Scrum Guide orientieren. Zusätzlich aber kommen beispielsweise aus dem Management 3.0 entnommene Teambuilding-Spiele wie die „Moving Motivators“ zum Einsatz, oder Entscheidungsfindungsprozesse werden mithilfe des aus der Holakratie stammenden „Integrative Decision Making Process“ neu strukturiert und beschleunigt. Niemals lässt man aber beim Experimentieren und Einführen der Methoden und Praktiken eins außer Acht: das agile Manifest mit seinen Leitsätzen und Prinzipien, deren bestmögliche Befolgung ich als Agilist im Arbeitsalltag (und bei mir persönlich auch über diesen hinaus) als nicht verhandelbar ansehe. Gibt es bestimmte Methoden, die du bevorzugst? Aus meiner Erfahrung heraus, aus Ge-

sprächen mit anderen Agilisten und der Sichtung sonstiger Medien, kristallisieren sich Vorgehensweisen heraus, die gut oder weniger gut funktionieren. Der Gradmesser für „funktionieren“ richtet sich dabei vor allem an drei Faktoren aus: Macht die Methode den Mitarbeitern Spaß? Sehen sie einen Sinn darin? Ergibt sich ein wie auch immer einzuordnender Mehrwert für das Team oder die Gesamtorganisation? Sollten diese drei Fragen mit einem „Ja“ beantwortet werden können, ist die Frage, ob ich eine Methode bevorzuge, obsolet. Sich selbst organisierende Teams sollten auch über den Methodeneinsatz ein vom agilen Coach unabhängiges Commitment erzielen. Denn was in dem einen Team vielleicht gut funktioniert und angenommen wird, kann in einem anderen Team derselben Organisation eventuell zu Missständen führen. Agil oder doch schon Scrum? Wie geht es bei kernpunkt weiter? Zurzeit ist noch nicht absehbar, ob sich unsere Organisation, die sich in der agilen Transformation befindet, durch Scrum als Management-Framework einengen lassen muss. Vielleicht lautet das Outcome unserer derzeitigen Aufgabe und späteren Kompetenz, agile Transformationsprozesse immerwährend umzusetzen, und auch, dass wir ein eher holakratisches Betriebssystem für unsere Organisation einsetzen oder eines, das wir heutzutage noch gar nicht kennen, weil vielleicht ein allererstes MVP dieses Neuen irgendwo auf dem Globus für einige wenige im Einsatz ist. Ich denke, wir bleiben da: agil!

Tibor Toth, Scrum Evangelist bei kernpunkt # 2 | 2017

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Outside the box Mit Design Thinking kreative Prozesse fördern

Unter einem Mikroskop können Sie kleinste Feinheiten ausmachen. Es hilft dabei, winzige Zellen und Strukturen zu erkennen. Doch so hilfreich das auch ist, Experte auf seinem Gebiet zu sein, sich mit diesem einen Abschnitt genau zu beschäftigen und sich bestens auszukennen – ein Mikroskop ermöglicht nicht, das große Ganze zu verstehen – „The Big Picture“. Anstatt zu einem Mikroskop sollte dafür eher zu einem Teleskop gegriffen werden, um eine Sicht von außen zu schaffen, oder nicht?

Innovation

Technologie Machbarkeit

Wirtschaft

Vermarktbarkeit

Mensch

Wünschbarkeit

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Wie ein Teleskop können Sie sich in etwa die Methode des Design Thinkings vorstellen. Ein Prozess, der das große Ganze angeht, um Innovationen und Problemlösungen voranzutreiben. Warum ist das so wichtig? Zum einen: Innovation ist nicht neu, aber sie ist zur Marke geworden. Märkte und Produktentwicklung verändern sich und werden schneller, es gibt neue Technologien, und Disruptionen eines Marktes treffen immer mehr Unternehmen. Wer sich nicht als innovativ deklarieren kann, wird uninteressant und verliert den Anschluss. Unternehmen müssen ihre Arbeitsweise anpassen, wenn sie der Konkurrenz einen Schritt voraus sein möchten. Und zum anderen: Viele alteingesessene Arbeitsprozesse vernachlässigen den Kunden. Insgesamt geht vielerorts der Fokus auf den Kundennutzen verloren. Experten kennen sich zwar mikroskopisch auf ihrem Gebiet aus, aber ist die Expertenlösung überhaupt noch das, was der Kunde sich wünscht? Nicht selten sind erfolgreiche Prozessabwicklungen das Ziel geworden, nicht aber das Ergebnis für den Kunden selbst. Unternehmen stecken teilweise in ihren Prozessen fest. Es gibt also Handlungsnotwendigkeiten, um auf Veränderungen angemessen zu reagieren. Wie lösen Unternehmen komplexe Probleme oder finden neue Ideen? Wie bekommen sie frischen Input, der viele Anforderungen berücksichtigt? Hier sind Kundeninteraktionen der Schlüssel zum Erfolg. Beim Design Thinking werden Fragen aus der Nutzer- und Kundensicht beantwortet. Das Ziel ist es, mit kreativen Methoden genau die Schnittmenge zwischen Kunde und Unternehmen zu treffen. Wie funktioniert das? Beim Design Thinking greifen Verantwortliche auf eine große Sammlung kreativer Methoden zurück.* Diese werden

in einem mehrstufigen Prozess angewendet, um sich einer Lösung Stück für Stück anzunähern. In einem Design-ThinkingProzess bedienen sich die Teams bei den unterschiedlichen Hintergründen und Sichtweisen aller Mitglieder aus verschiedenen Disziplinen und entwickeln so ganz unterschiedliche Strategien. Oft liefern Personen, die am wenigsten mit der Problemstellung vertraut sind, und das können auch die Kunden oder der Praktikant sein, die wichtigsten Hinweise für das Verständnis des Problems.

1. Verstehen: Abbildung des Status quo und notwendige Basis schaffen, das Problem verstehen.

Es gibt drei notwendige Voraussetzungen im Design Thinking, die auch als die drei „P“ bezeichnet werden: People, Place und Process.

4. Ideen finden: Kreativitätstechniken nutzen, Ideen entwickeln und strukturieren.

Mensch: • die Kundensicht und Empathie sind entscheidend; Perspektive wechseln • Kollaboration und Interdisziplinarität, nicht Hierarchie, bringt Erfolge

Raum: • organisatorische Rahmenbedingungen schaffen: Teammitglieder sollten für gewisse Zeiträume möglichst ablenkungsfrei zusammenarbeiten können. • für Kreativität und neue Ideen raus aus der normalen, bekannten Umgebung

Prozess: • Iteration als Schlüssel: Früh und häufig Fehler machen ist erwünscht und eine der Grundregeln. Dann wird auch früh erkannt, was verbessert werden muss

In einem Design-Thinking-Prozess gibt es dazu verschiedene Phasen, die durchlaufen werden:

2. Beobachten: Verhalten erkennen – Empathie schaffen und sich mit der Zielgruppe auseinandersetzen. 3. Sichtweisen definieren – Synthese: Prüfen, was zusammenpasst. Sortieren, Hinterfragen und Interpretieren der ersten Ergebnisse.

5. Prototypen entwickeln: Die Idee greifbar machen, erste Schwachstellen erkennen. 6. Testen: Dialog mit der Zielgruppe, früh testen und wenn nötig verfeinern, optimieren. Ist Design Thinking also selbst ein Prozess – und damit zu starr? Ja und nein! Denn dieser Prozess ist sehr viel freier. Design Thinking verkürzt lange Prozesse und erreicht ein agiles und nutzerzentriertes Arbeiten. Ungeahnte Potenziale können in Mitarbeitern und damit im ganzen Unternehmen freigesetzt werden, da verschiedene Sichtweisen kombiniert werden. Dabei betrifft Design Thinking nicht nur die Produktentwicklung. Die Methoden können auch auf das ganze Unternehmen und Fragestellungen, die Veränderungen im Unternehmen betreffen, angewendet werden.

* Für eine Ausführung möglicher Kreativmethoden und mehr zum Thema: www.kernpunkt.de/design-thinking # 2 | 2017

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Den eigenen Arbeitstag optimieren

Gegen die E-Mail-Flut Wer kennt das nicht? Am Montagmorgen ist einer der ersten Schritte: den Computer starten und das E-Mail-Programm Üffnen. Was einem als Erstes entgegen springt, ist eine Flut an E-Mails. Mit einem Kaffee bewaffnet geht es an die ganzen ungeÜffneten Mails und To-dos. Viele Newsletter, vielleicht Spam, aber auch Aufträge, Termine und Anfragen von Kollegen. So fragt der Kollege in einer Mail, ob man seiner Bitte um Zulieferung von Informationen schon nachkommen konnte. Spontan denkt man: Wann sollte ich das denn auch noch machen? Die Anfrage vom Kunden war doch viel dringender! Und das Abteilungsmeeting sowieso! Ich habe doch viel Wichtigeres zu tun!

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Subjektiv betrachtet mag dieser Eindruck zutreffen, weil viele von uns sich in der Situation wiedererkennen: Wir ziehen einige Aufgaben vor, schieben damit andere zeitlich nach hinten. Es bleibt was liegen. Objektiv könnte aber gefragt werden: Warum war die Kundenanfrage dringender? Habe ich dem Meeting zu viel Zeit eingeräumt? Sind meine anderen Aufgaben wirklich wichtiger? Dann fallen einige Punkte mit großem Optimierungspotenzial auf. Prozesse und auch Zeit im Büroalltag können sinnvoller geplant und genutzt werden. Schon wenige Prinzipien und einfache Hilfsmittel helfen beim besseren Zeitmanagement am Arbeitsplatz. Die Idee ist, dass mit ein wenig Planungszeit der Rest der Zeit sehr viel besser und effizienter genutzt werden kann. Einige der Techniken sollen hier exemplarisch und in Kürze vorgestellt werden. Vielleicht findet die eine oder andere Idee ja Eingang in Ihren (Arbeits-)Alltag. Eisenhower Das Eisenhower-Prinzip bietet eine einfache Methode zur Einschätzung, welche Aufgaben wichtig, dringend oder beides sind – oder einfach entfallen können. Ziel der Priorisierung ist zunächst die Einteilung „Wichtiges vor Dringendem“: sich nicht von angeblichen Dringlichkeiten beeinflussen lassen. Dinge, die wichtig und dringend sind, erledigen Sie selbst mit einer hohen Priorität. Wichtige, aber weniger dringende Dinge nehmen Sie in Ihre eigene Zeitplanung auf. Dringende, aber nicht wichtige Angelegenheiten delegieren Sie, sodass Sie schnell abgearbeitet werden können, aber nicht unbedingt von Ihnen selbst. Somit verbleiben noch Dinge, die weder wichtig noch dringend sind – und somit keine große Rolle mehr in Ihrer Zeitplanung spielen sollten. Pareto Um die Aufgaben, die nach der Priorisierung noch übrig bleiben, zeitlich einzuschätzen, hilft Ihnen das Pareto-Prinzip. Vilfredo Pareto prägte die These, dass 80 % aller Ergebnisse unter Einsatz von 20 % der zur Verfügung stehenden Mittel (in unserem Fall Zeit) erreicht werden können. Andersherum brauchen 20 % Ihrer Aufgaben 80 % der Zeit. Mithilfe des Pareto-Prinzips sollte ein Gefühl dafür entstehen, wie Sie mit wenig Zeitaufwand viel erledigen können, und dass wenige wichtige Dinge mehr zum Gesamterfolg beitragen. Wenn Sie diesem Grundsatz folgen und auf die priorisierten Bereiche aus dem Eisenhower, Schritt anwenden, bleibt Ihnen sogar noch die Zeit, sich um die Probleme des drängelnden Kollegen zu kümmern. Smarte Alpen Es geht an die methodische „Planung“. Hierfür eignen sich zwei Prinzipien, die Struktur in Ihren Tag bringen und Zielsetzungen definieren. Das erste Prinzip ist die A.L.P.E.N.-Methode. Diese Methode wenden Sie an, um Aufgaben zu notieren, Längen zu schätzen, ausreichend Puffer einzuplanen, Entscheidungen zu treffen und eine Nachkontrolle durchzuführen. Ein großer Vorteil dieses Prinzips ist seine Strukturiertheit, seine Flexibilität und die Tatsache, dass sich ein wachsender Lerneffekt einstellt, je öfter man sich dieses Prinzips bedient. Bei der Erfassung der Aufgaben kommt das sogenannte S.M.A.R.T.Prinzip zum Einsatz: Um eine Aufgabe erledigen zu können, sollte

sie spezifisch, messbar, ambitioniert, realistisch und terminiert sein. Das bedeutet, keine der Aufgaben ist durch Aussagen wie „Auf jeden Fall mehr als …“ oder „Am besten aber bis gestern!“ gekennzeichnet. Das Smart-Prinzip hilft bei der Vermeidung unrealistischer Zielsetzungen und ermöglicht ein Controlling durch gezieltes Planen.

Kanban und Tomaten Neben diesen Methoden gibt es noch weitere Werkzeuge, die Sie bei der Umsetzung der neuen Vorsätze unterstützen. Dabei spielt es keine Rolle, ob Sie eher ein digitaler oder analoger Typ sind. Viel wichtiger ist, dass Sie Ihren eigenen Weg finden, damit Methoden und Werkzeuge gerne und auch zielführend eingesetzt werden. Eine Methode, Aufgaben und vor allem auch Zuständigkeiten sichtbar zu machen, ist das sogenannte Kanban Board. Der japanische Begriff kanban bezeichnet eine Karte, Tafel oder einen Beleg. Solche Karten werden mit der Aufgabe und der zuständigen Person sowie mit einem Fälligkeitsdatum versehen und auf einer Tafel zum Beispiel den Bereichen „To do“, „In Bearbeitung“ sowie „Fertig“ zugeordnet und entsprechend dem Status verschoben. Somit hat man einen guten Überblick, wie der Stand der zu erledigenden Aufgaben ist. Als Erweiterung der oben genannten Prinzipien kann die Pomodoro-Technik angesehen werden. Während der eigentlichen Umsetzung kommt ein Küchenwecker – klassischerweise waren diese oft in Form einer Tomate (ital. pomodoro) zu finden – zum Einsatz. Auch andere Zeitmesser gehen. Mit dieser Technik unterteilen Sie den Zeitraum für Ihre Arbeiten in kleinere Abschnitte, die Sie mit dem Küchenwecker messen. Wenn er klingelt, machen Sie eine kurze Pause. Der positive Effekt ist, dass häufige Pausen die geistige Beweglichkeit verbessern. Ein wichtiges Ziel ist das Verringern von Unterbrechungen. Mögliche Ablenkungen wie Telefonate oder E-Mails werden zu einem späteren Zeitpunkt, als eigene Aufgabe, abgearbeitet.

Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten, dem eigenen Tagesablauf und den anfallenden Aufgaben und Prozessen eine sinnvolle Struktur zu geben. Diese Ausführungen stellen natürlich nur einen kleinen Ausschnitt dar, und auch wenn alle einen guten Ansatz bieten, darf die eigene Persönlichkeit nicht außer Acht gelassen werden. Das Sammeln von Aufgaben in einer noch ungewohnten Art und Weise setzt eben auch die Disziplin der dauerhaften Anwendung des gewählten Werkzeugs voraus. Trotzdem: Aus allen Methoden und Prinzipien lässt sich bestimmt etwas für die persönliche Methodik gewinnen. # 2 | 2017

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Eine Fallstudie

Bye-bye Checkliste Von der Vertragsunterschrift über die Beantragung eines Jobtickets bis hin zu Blumen auf dem Tisch am ersten Arbeitstag: Der Onboarding-Prozess, also die Integration neuer Mitarbeiter in ein Unternehmen, erscheint höchstens auf den ersten Blick simpel. Dabei fällt in der Zeit von der Einstellung bis zur produktiven Eingliederung neuer Kollegen eine ganze Menge Aufgaben an, von der jeder Personaler und jede Personalerin wohl ein Lied singen kann. So war das On- und Offboarding von Mitarbeitern auch bei kernpunkt lange ein mühsamer Prozess, der die Personalabteilung einige Arbeitszeit kostete. Also wurde dieser Vorgehensweise der Kampf angesagt: Mit einem von Grund auf digitalisierten Prozess sollte das On- und Offboarding vereinfacht werden, um zugleich neue Ressourcen für andere Aufgabenfelder zu gewinnen. Mit Erfolg.

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Eine langwierige Checkliste Vor der Neustrukturierung setzte die HR-Abteilung bei kernpunkt auf eine altbewährte Methode: die Excel-Tabelle. In einer Checkliste von bis zu 55 Punkten – 44 bei Einstellung eines neuen Mitarbeiters, 11 bei seinem Arbeitsbeginn – wurden alle notwendigen Schritte festgehalten, um dem neuen Kollegen einen bestens vorbereiteten Empfang zu bereiten. Die Reihenfolge richtete sich dabei grob nach der Zuständigkeit, folgte davon abgesehen aber keiner klaren Struktur. In der Praxis wurde die Checkliste ausgedruckt und bei der Abarbeitung der einzelnen Punkte mitgenommen und per Hand ausgefüllt. Aufgaben, die nicht von den Personalern selbst erledigt werden konnten, wurden auf diese Weise an die zuständigen Kollegen in der IT, im Office oder im Marketing herangetragen. Das war nicht nur umständlich, sondern brachte auch ein zentrales Problem mit sich: Die Verantwortung für die korrekte Ausführung der Aufgaben verblieb stets bei der Personalabteilung. Die Checkliste in Papierform war der einzige Nachweis über den Prozessfortschritt. Weder für die Personaler noch für die Kollegen der anderen Abteilungen ergab sich eine einfache

START

VERTRAG UNTERSCHREIBEN

OFFICE & MARKETING TICKETS ERSTELLT

UNTERLAGEN AUSGETEILT

neuen Kollegen angestoßen wird. Den Anfang macht ein BasisTicket, das sämtliche relevanten Informationen zum neuen Mitarbeiter enthält und allein vom Personal bearbeitet wird. Es dient der Personalabteilung als Ausgangspunkt und Sammelstelle für alle folgenden Aufgaben. Dazu zählen im nächsten Schritt zwei Tickets für die IT-Abteilung sowie das Project Management Office (PMO). Mit dem IT-Ticket wird die Einrichtung des Arbeitsplatzes sowie der digitalen Identität (E-Mail-Adresse, Intranet-Account, Confluence- und JIRA-Zugang) des neuen Kollegen angewiesen und an den verantwortlichen Kollegen der IT-Abteilung übermittelt. Gleiches gilt für das Ticket an das PMO, das sich um die Einsatzplanung des Neuzugangs im Projekt-Staffing kümmert. Alle Vorgänge mitsamt Autoren, Bearbeitern und Status sind zu jeder Zeit transparent einsehbar. Sobald ein Ticket abgearbeitet und sein Status entsprechend aktualisiert wurde, erhält das Personal automatisch eine Rückmeldung und kann mit dem nächsten Schritt fortfahren. Der klar definierte Prozessrahmen sieht weitere Tickets für Kollegen im Office (u. a. Anlegen eines Postfachs), im Marketing (u. a. Anfertigen von Visitenkarten) und im Design

TERMINE EINTRAGEN

TICKETS ERSTELLT

INFOS NEUER MA EINTRAGEN

IN LOHNLISTE AUFGENOMMEN

MITARBEITER EINGESTELLT

Visualisierung des Onboarding-Prozesses bei kernpunkt in JIRA

Möglichkeit, sich einen Überblick über den aktuellen Status zu verschaffen. So war der gesamte Vorgang schnell anfällig für Fehler und ein Bezug zwischen den einzelnen Schritten nur schwer auszumachen. Die digitale Lösung Den Verantwortlichen war klar: Eine effiziente Alternative musste her, nicht zuletzt aufgrund der steigenden Arbeitslast infolge des stetigen Unternehmenswachstums. Eine digitale Lösung wurde bevorzugt, um die Abgabe, die Nachverfolgung sowie die Zusammenarbeit von und an Aufgaben zu gewährleisten und zugleich Wartezeiten und Umwege bestmöglich zu verkürzen. Zu diesem Zeitpunkt wurde die Projektmanagement-Plattform JIRA bei kernpunkt bereits in verschiedenen Projekten eingesetzt. So lag es nahe, das mächtige Tool für die Ausarbeitung eines vollständig neu konzipierten On- und Offboarding-Workflows zu verwenden. Workflow mit klaren Kanten Das Ergebnis ist ein übersichtlicher und zu jeder Zeit nachvollziehbarer digitaler Prozess, der praktisch mit der Unterschrift eines

(Eintragung im Organigramm) vor. Ähnlich simpel gestaltet sich der neue Offboarding-Prozess: Verlässt ein Mitarbeiter das Unternehmen, dann reicht ein einziger Klick aus, und der Vorgang nimmt seinen Lauf. Mithilfe weniger Tickets werden die Themen Kündigung, Austrittstermine und Arbeitszeugnis abgehakt. Mehr Zeit für das Wesentliche Mit dem neuen Workflow kann Verantwortung ebenso unkompliziert nachvollzogen werden wie die Fehlerdiagnose. Gerät der Prozess an irgendeiner Stelle ins Stocken, dann ist das betreffende Problem mitsamt Ticket schnell aufgefunden. Die Abstimmung zwischen Prozessbeteiligten erfolgt dabei schnell und einfach über den Ticketstatus sowie die Kommentarfunktion von JIRA. Während die Personalabteilung mit der neuen Vorgehensweise wesentlich entlastet wird, wird auch die kollaborative Zusammenarbeit im Unternehmen gestärkt. Die freigelegten Ressourcen können für vielfältige Projekte verwendet werden und kommen somit allen Mitarbeitern bei kernpunkt zugute.

# 2 | 2017

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