Leseprobe Ich Lügner

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Buch: Ich. Lügner | Christian Wiebe www.visionbakery.com/ein-plagiat ............................................................................................................. Fundingtitel: Ich. Lügner Genre/Tags: Roman, Plagiat Manuskript: abgeschlossen, unlektoriert Format: 11 x 18 Visuals: Zeichen: ± 141.370 ␣
 Diese Leseprobe entspricht nicht der Gestaltung und dem Satz der Publikation.

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Jetzt, da es mir leichter fällt zu lügen als die Wahrheit zu sagen, da drei gute Lügen auf eine schlechte Wahrheit kommen, will ich beginnen, mein Leben mitzuschreiben. Zwei große Schulen, nein, die beiden großen Schulen des Lügens habe ich durchlaufen, die Politik und die Kirche, ja, ich war Landtagsabgeordneter und Priester, andersherum, zunächst Priester, denn das Lügen in der Politik ist schwer. Hiervon sollte sich der Anfänger fernhalten, denn eine gute Lüge in der Politik – wer wird sie bestehen? Dieses einfache, billige Politikerlügen, die allzu billigen Versprechen, über die am Stammtisch hinweggeprostet wird, denn der Stammtischler, er kann sich auf dies Niveau kaum noch heruntertrinken, die Wahlkampflügen, diese stumpfen Versprechen, die nicht zu halten sind, was niemand erwartet hat. Die Lüge, die im Besten Fall in ihrer Dreistigkeit von irgendetwas abzulenken vermag, wie der Politiker, der verspricht, dass er sich für den Frieden im Nahen Osten einsetze und mit der linken Hand, die nicht weiß, was die rechte tut, die gar nichts von einer rechten Hand weiß, sie gar nicht kennt, ganz einzeln sich in Unschuld wäscht, den Vertrag für eine Waffenlieferung unterschreibt – all das meine ich nicht! Eine gute Lüge als Politiker zu finden, die niemand durchschaut, die wie eine harte Wahrheit klingt, die ein „na, endlich!“ hören lässt, die nichts von einer Phrase an sich hat: Das ist schwer, äußerst schwer. Niemand gehe in die Politik, um das Lügen zu lernen, besser man kann es schon. Ich ging deshalb zuerst ins Priesteramt.


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Niemand hat es leichter, eine Frau zu verführen als der Priester. Der Zölibat ist aber auch eine zu glückliche Hilfe, der Papst behüte, dass er abgeschafft wird, er behütete, dass dieser abgeschafft wurde, solange ich Priester war, das war die Hauptsache. Der Zölibat, meine Hilfe: Wie betörend für die erste brave Regine, die meinen Beichtstuhl betrat. Wie betörend für sie, und nicht allein für sie. Sie beichtete irgendwelche Belanglosigkeiten, die Steuererklärung mag es gewesen sein, oder eine Hartherzigkeit ihrem Mann gegenüber, dem sie so schwer vergeben konnte, wenn vergeben vergessen sei oder etwas anderes endgültiges, wenn also nichts mehr nachzutragen sei. Ich horchte auf und fragte, was ihr Mann denn getan habe, das sie ihm zu vergeben habe? Jetzt wurde es beinah zu einfach, denn sie sprach von einem harmlosen Flirt, eine

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Arbeitskollegin, die ihm, ihren Mann – ein Klischee natürlich – und sie als Eifersüchtige, das war

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nicht auszudenken. Wie konnte es nun so einfach werden? Ich machte ein irritierendes Kompliment,

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denn der Priester darf das, er hat die Lizenz für die dümmsten Komplimente, er kann es nicht besser.

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Eine kurze Pause entstand, sie hielt die Luft an, was ich hören kann, das Gehör gedeiht prächtig in

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den dunklen Beichtkammern. Wenn die grässlich langweiligen Sünden von den furchtbarsten

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Menschen gebeichtet wurden, dann hörte ich das Knacken und Knarzen des Holzes in der alten

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Kirche. Jetzt hörte ich, dass die arme Regine ganz irritiert auf mich wartete, sie war kurz aus der

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Fassung gebracht, nicht erschüttert, nur irritiert, nur leicht irritiert, sodass der Atem stockte, ganz

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kurz die Worte fehlten. Ich sprang in diese Pause hinein: Das tue mir Leid, jetzt beichten sie mir, dass sie ihrem Mann einen Flirt nachtragen und ich beginne fast selber naja, also entschuldigen sie.

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War das zu viel? Sie ahnte, hier konnte sie schlecht weiterhin ihre Beichte ablegen, aber umso besser Rache nehmen. Stickig sei es, und dann das Knacken und Knarzen des Holzes. Ist es denn eine Lüge, weil mir jemand geglaubt hat? Darf ich das Lüge nennen? Bin ich schuld an dieser Naivität? Abends beim Bier alte Geschichten über die Schule, den Schulsport. Fast hatte ich vergessen, dass ich ein guter Läufer war. Auf der Kurzstrecke nicht zu schlagen, woran mich ein alter Schulkamerad nun erinnerte. Die Pointe, die er ansteuerte, ging daneben, aber ich erinnerte mich nun an die Bundesjugendwettspiele, an die vielen Sportstunden im Freien auf der Laufbahn, auf meiner Laufbahn. Warum ich so gut gewesen sei, fragte ein Herr mir gegenüber, den ich kaum kannte, der mich nicht weiter interessierte. Ob ich geübt hätte, das sei doch eher ungewöhnlich, die Meisten


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begeistern sich doch in diesem Alter viel stärker für Ballspiele und auch Vorbilder gebe es nicht. Wie viele Deutsche Läufer auf der Kurzstrecke ich denn kenne? Nein geübt hatte ich nie, erläuterte ich. Es sei ganz einfach: Ich schlief morgens immer zu lang, blieb dann zu lang, bereits wach, im Bett liegen, und schließlich saß ich zu lange am Frühstückstisch, das Müsli längst fertig, blieb ich sitzen und sah aus dem Fenster, wortlos, viel zu lange. Die Ermahnungen meiner Mutter halfen nicht, erläuterte ich weiter, aber sie waren auch grundlos, denn niemals hatte ich den Schulbus verpasst. Von meinem Fenster hatte ich einen guten Blick auf die Straße, hier musste der Bus vorbei und dann noch einen großen Bogen nehmen, bis er hinter unserem Haus, ein wenig später, zum Stehen kam. Es reichte, schnell in die Schuhe zu schlüpfen und dann loszurennen. Die Bushaltestelle war, wie ich erst später nachmessen sollte, sehr genau 100 Meter von unserer Haustür entfernt. Der kurze Weg zur Haltestelle, schloss ich, und meine Trägheit, hatten mich zu einem hervorragenden Sprinter gemacht.

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Die Wahrheit ist oft einfacher als die Lüge, die ein gutes Gedächtnis erfordert, oder die Überzeugungskraft, dass der Andere sich geirrt habe, dass er das verwechsle, nicht ich. Denn ich

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hatte nie von meinem schwulen Bruder gesprochen, der ist verheiratet, hat gar vier Kinderlein, die kurz nacheinander aus dem Schoß der liebenden Gattin purzelten und Familienglück, das sei Familienglück, oder doch gewesen, bis seine Frau bei einem kroatischen Motorradfahrer auf den Sattel sprang und erst – gar zu breitbeinig – 2000 Kilometer später wieder abstieg. Die Wahrheit ist da weit leichter; und pfui, das ist das widerlichste Argument der widerlichsten Moralisten, die sagen, das Lügen sei zu anstrengend, die Wahrheit dafür herrlich leicht und mache frei. Ein Lob auf das Schwierige, auf die Anstrengung, auf die Last und die Überforderung, die Widerstände, die Gefahren, die reizen und kitzeln. Die Katze hat sieben Leben, der Computerspieler zumindest drei, oder er sichert einen Zwischenstand, sodass er bequem in sein Leben wieder einsteigen kann, bevor die Gefahr beginnt, und die ist bloße Einbildung. Der Märtyrer wird ganz unbegreiflich! Der Selbstmordattentäter ist es längst. Wer soll den noch verstehen, der jede Schwierigkeit ergreift, die Schwierigkeiten bis zum Schluss durchschreitet? Wer soll den verstehen, der nichts unternimmt, um der Gefahr zu entgehen, der sich in die Gefahr hineinwirft, und in ihr geheiligt wird, der in der Gefahr erst zu dem wird, der er ist, Märtyrer oder Attentäter?


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Ich erzählte abends beim Bier von einem kleinen Stamm im Kongo, den Budzomi. Traditionell leben diese, soweit es möglich sei. Diese hätten, so erzählen die Sprachforscher, ein ganz merkwürdiges Wort für Fiktion, sie nennen die Fiktion erlogene Geschichte. Romane, Erzählungen, andere fiktive Texte kamen erst mit widerlichen Weißen, die dazu Wodka, ein paar Blutdruckmessgeräte und ein Alphabet mitbrachten. Im Laufe einiger Jahrzehnte bildete sich diese merkwürdige Wendung heraus, die den Roman als Lüge dastehen lässt. Ich erzählte diese Anekdote, Beifall gewiss, da unterbrach mich ein Herr, flaches Gesicht, Karohemd, es sei ja interessant, die gleiche Wendung wäre bei einigen Rückwanderern aus Russland gebräuchlich, in ihrem niederdeutschen Dialekt. Sie sagen 'gelogene Geschichte' zu jedwedem fiktionalen Text. Es sei, so fügte der Herr hinzu, doch ein ganz unglücklicher Ausdruck – er gab sich nun als Literaturwissenschaftler zu erkennen, erinnerte ganz nebenbei an Platon – denn bei einem Roman wisse doch jeder, es seien keine wahren Geschichten.

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Der Leser lasse sich auf ein Spiel ein, dass mit einer Lüge nichts zu tun habe, niemand werde

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betrogen. Die Phantasie sei so wichtig, die solle man nicht in so billigen moralischen Dreck ziehen.

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Der Herr erntete allgemeine Zustimmung – meine nicht.

Das sei eine allzu oberflächliche Betrachtung. Nehmen wir Don Quixote oder Madame Bovary. Don Quixote las zu viele Ritterromane von Helden, die gegen den Feind zogen und Jungfrauen befreiten. Oder Madame Bovary, die einen Liebesroman nach dem nächsten las, in denen eine ideale Liebe dargestellt sei, eine Liebe mit Glück, Haus, Hof und gutem Ende. Beide lasen vielleicht den ersten Roman noch, wie man einen Roman lesen soll, als Spiel zwischen Autor und Leser, das eine Weile Freude bereite, aber ein Spiel sei und nicht die Wirklichkeit. Doch sie lesen mehr und mehr, verschwinden in dieser Romanwelt und tauchen ganz verändert wieder auf. Don Quixote reitet gegen die Windmühlen und Madame Bovary wird unglücklich mit ihrem Charles, denn sie liebt längst das Bild eines perfekten Mannes. Das heißt doch, sie unterliegen den erlogenen Geschichten, sie durchschauen irgendwann das Gespinst von Lügen nicht mehr, das sie aber durchschauen müssten, um leben zu können. Die fiktiven Geschichten sind Lügen auf die man hereinfallen kann.


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