Buch: Für all die schönen Mädchen | André Krüger www.visionbakery.com/fur-all-die-schonen-madchen ............................................................................................................. Fundingtitel: Für all die schönen Mädchen Genre/Tags: Roman, RomCom Manuskript: abgeschlossen Format: 11 x 18 Visuals: Zeichen: ± 302.100 ␣ Diese Leseprobe entspricht nicht der Gestaltung und dem Satz der Publikation.
.................................................................................................. Erstes Treffen Kapitel 1: Backstage Boy
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Ich sah mir diese miserable Lesbenpunkband schon zum dritten Mal in zwei Monaten an. Aber heute Abend wurde ich verprügelt und kam hinter die Bühne.
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Die Band hieß „Mondfotzenstuten“ und ich stand auf die Bassistin. Leider war sie vermutlich mit der Lead-‐Gitarristin zusammen, weil die beiden immer auf der Bühne rumknutschten, aber ich ging trotzdem hin. Ich, entweder zwei Köpfe größer und/ oder zweihundert Pfund leichter als alle anderen in diesem verrauchten Drecksloch von Laden. Ein Laden der Sorte, in dem miserable Lesbenpunkbands mit Namen wie Mondfotzenstuten nun mal auftreten. Läden, in denen es entweder nur Frauen oder Frauen und ihre kurz vor dem Outing stehenden männlichen Freunde gab. Die einzigen Telefonnummern, die ich in solchen Läden erwarten konnte, waren die von Typen. Wenn sie nach meiner Nummer fragten, gab ich ihnen die meines ehemaligen Mitbewohners. Er schuldete mir noch immer ein paar Hundert Euro für die Telefonrechnung, weil er immer mit seiner Freundin in Südafrika telefoniert hatte. Wenn ich seine Nummer noch einige Jahre länger verteilte, wären wir irgendwann quitt. Ich stand in der ersten Reihe, tanzte und zappelte so gut ich konnte und schaffte es sogar, einige Zeilen mitzugrölen, weil ich das Repertoire der Band bereits auswendig kannte. Nachdem die Band eine halbe Stunde gespielt hatte, wurde mein Rücken plötzlich nass. Ich drehte mich um und sah eine 1,45 Meter große Punkerin mit rasierter Schädelhälfte, aggressivem Blick und leerem
Buch: Für all die schönen Mädchen | André Krüger www.visionbakery.com/fur-all-die-schonen-madchen Bierbecher. Sie hatte mich beim Tanzen angerempelt und ihr Bier über mich gegossen. So was passierte. Ich drehte mich wieder zur Bühne und ließ mich zusammen mit den anderen Konzertbesuchern von der Sängerin anschreien, doch auf einmal packte mich die Halbrasierte am T-‐Shirt und zerrte mich wieder herum. Sie schien den Zwischenfall mit dem Bier nicht so gelassen hinzunehmen wie ich. Ihr Blick verriet mir, dass sie mir die Schuld daran gab, dass ihr Bier jetzt in meinem T-‐Shirt und nicht mehr in ihrem Becher steckte. Bevor sie mich niederschlug, fiel mir noch auf, dass sie sich passend zur Schädelhälfte auch eine ihrer Augenbrauen wegrasiert hatte. Mit den Ringen, die sie an den Fingern ihrer rechten Hand trug, brach sie mir zwei Zähne ab. Einen verschluckte ich, den anderen spuckte ich ins Publikum, als ich mit dem Rücken voran auf die Bühne stürzte. Mein letzter Eindruck war, dass die Sängerin der Band zwar einen Rock, aber keine Unterwäsche trug.
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Lärmende Lesben, die Bier tranken und viel zu laut miteinander lachten. weckten mich. Ich lag auf einem klebrigen Sofa mit zerrissenem Bezug, wahrscheinlich im Backstagebereich. Ein kleiner Raum mit einigen Kisten Bier, einem Tisch, dem Sofa, zwei Stühlen und einem Kühlschrank, dessen Tür offen stand und in dem kein Licht schien.
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Ich merkte, wie mir das Blut die Kehle runter lief und spuckte auf den Boden. Ich hasste den Geschmack von Blut. Als ich mir an den Mund fasste, bemerkte ich, dass meine Unterlippe offen war und mir die oberen linken Schneidezähne abgebrochen waren. Als ich die Kanten der beiden Zahnstummel mit der Zunge entlangfuhr, schnitt ich sie mir an den Zahnresten auf. Noch mehr Blut sammelte sich in meinem Mund und ich spuckte noch mal auf den Boden.
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Ich glaubte, mich jeden Moment übergeben zu müssen. Gerade fragte ich mich, ob es nicht selbst bei Punkkonzerten irgendwelche Sanitäter geben muss, die aufgeplatzte Lippen wieder zunähen und Zähne wieder drankleben können. In diesem Moment bemerkten die lärmenden Bandmitglieder, dass ich mich wieder bewegte, und sahen mich an. Jede von ihnen ein Bier in der Hand. Es waren noch ein Mädchen und ein Typ im Raum, die nicht zur Band gehörten. Auch sie sahen mich überrascht an, so, als ob sie gar nicht mehr damit gerechnet hatten, dass ich noch einmal wieder aufstand. Ich starrte zurück. Halb sitzend, halb liegend und kurz vorm Kotzen. Ich spuckte noch mehr Blut auf den Boden und sagte dann, so gut ich es mit der geplatzten Lippe, den fehlenden Zähnen und der blutenden Zunge konnte: „Schannitädah!“ Zuerst reagierte keiner von ihnen, doch dann fingen alle im selben Moment an zu lachen. Die Lead-‐ Sängerin, die vermutlich immer noch nichts unter ihrem Rock trug, löste sich von der Gruppe und kniete sich vor dem Sofa hin. Behutsam legte sie eine Hand auf meine Wange, zog mich zu sich heran und küsste meinen blutverschmierten Mund. Die anderen wurden wieder still und ich dachte zuerst an meine brennenden Lippen und dann an ihren Mund, mit dem sie anschließend sagte: „Das wird schon wieder, mein Süßer. Trink was!“
Buch: Für all die schönen Mädchen | André Krüger www.visionbakery.com/fur-all-die-schonen-madchen Sie gab mir ihr Bier und stand auf. Dann leckte sie sich über ihre Lippen, an denen mein Blut klebte, und sagte: „Ich glaub, ich hab mir an deinen Zähnen die Zunge aufgeschnitten.“ Die anderen fingen wieder an miteinander zu reden. Ich setzte mich aufrecht hin, obwohl mir der Schädel dröhnte, und das nicht nur vom Schwinger der zu kurz geratenen Punkerin, spuckte noch einmal auf den Boden, drehte meinen Hals, um meine Lippen auf die Schulter meines verschwitzten und biergetränkten T-‐Shirts zu drücken und das Blut abzubekommen und nahm einen großen Schluck aus der Flasche. Neues Blut rann mir warm das Kinn herunter, während ich schluckte und ihr hinterher sah. Ich wollte aufstehen, auf sie zugehen, mit ihr reden, aber ich wusste nicht, ob mein Mund in diesem Zustand reden konnte. Ich würde keine gute Figur machen, das stand auf jeden Fall fest. Aber so viel konnte ich eigentlich auch nicht falsch machen, schließlich hatte sie mich ja bereits geküsst.
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Ich trank noch einen Schluck, stand auf, ging leicht schwankend zu ihr und versuchte, sie anzulächeln, ohne dabei meine Unterlippe zu bewegen. Es klappte ganz gut und meine Zahnlücke brachte sie sofort zum Lachen. Auch als ich sprach, bewegte ich meine Lippen so wenig wie möglich, was mich in meinen Ohren wie eine deprimierte und äußerst feminine Person klingen ließ.
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„Hal-‐loh.“
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„Hallo. Du siehst ziemlich beschissen aus und hörst nicht auf zu bluten.“
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„Das ist egal, ich hab keine Zeit, mit bluten aufzuhören, ich will lieber reden.“ „Und du bist sicher, dass du das kannst?“ „Geht schon. Wie heißt du denn?“
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„Du kommst auf alle unsere Konzerte und weißt nicht mal, wie wir heißen? Du bist ja ein merkwürdiger Fan.“ „Du hast mich also bemerkt?“ Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sich die Mädchen an mich erinnern würden. Jetzt war ich im Erklärungsnotstand. Schließlich konnte ich schlecht sagen, dass ich überhaupt kein Fan der Band war, sondern nur die Bassistin geil gefunden hatte. „Du stehst immer ganz vorne und manchmal fällst du halbtot auf die Bühne. Natürlich haben wir dich bemerkt.“ Ich fühlte mich bloßgestellt, nahm noch einen Schluck, der meine Lippe brennen ließ, und fragte dann noch einmal: „Wie heißt du?“ „Elena. Und du?“
Buch: Für all die schönen Mädchen | André Krüger www.visionbakery.com/fur-all-die-schonen-madchen „Jens.“ Mein Lächeln wurde breiter und mir wurde schlecht. „Ich bringe ein Undergroundmagazin heraus.“ Genau, mein Name ist Jens und ich bin verliebt. Kapitel 2: Parklife Mein Name ist Jens und ich bringe ein Undergroundmagazin heraus. Old school in gedruckter Form. Das ist es, was ich den Mädchen erzähle, um sie zu beeindrucken. Ich erzähle ihnen nicht, dass ich Callcenteragent bin und mir täglich von neun bis fünf die Ohren von unbedeutenden Idioten abkauen lasse, denen ich sowieso nicht helfen kann. Ich erzähle ihnen nicht, dass ich damit mein Geld verdiene, das ich brauche, um dieses blöde Magazin herausbringen zu können, das mich mehr kostet, als es mir einbringt, das von ungefähr drei Menschen auf der Welt gelesen wird und auf das ich stolzer bin als auf alles andere, was ich je in meinem Leben gemacht habe.
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Seit über vier Jahren bringe ich es alle zwei Monate raus und schreibe darin über alles, worüber ich schreiben will. Es heißt „Das Arschgeweih“. Ich habe es so genannt, weil „Das Arschgeweih über dem Kamin der eingefahrenen und kommerziell ausgebeuteten Mainstreamgegenkultur“ zu lang war. Ich habe vielleicht keinen anständigen Beruf gelernt und es auch nicht besonders weit gebracht, aber von einer Sache habe ich Ahnung: was cool ist und was nicht. Und zwar nicht so aufgesetzt und pseudo-‐cool wie in diesen Popkulturromanen, wo die Leute immer in abgewrackten, hypermodernen Clubs auf B-‐Prominenz treffen, tschechische Zigaretten rauchen und ihre Jeansjacken auf links tragen. Ich schreibe über richtige Dinge. Wie über den Slam-‐Poeten, der seit fünf Jahren nach einem Verlag sucht und der in meinem Magazin die Tagebücher seines heroinsüchtigen Hundes veröffentlicht. Mich interessiert nicht, welches Biermixgetränk dieses Jahr am Baggersee am angesagtesten ist, sondern wie der Chemiestudent seine eigene Limonade in einem Innenhof fabriziert und wie seine Freundin leere Colaflaschen einschmilzt, um damit Anti-‐Globalisierungskunst zu schaffen. Mein Magazin ist so wie Tracks auf Arte, nur ohne Franzosen. Und jetzt war der Tag nach dem Punkkonzert und ich saß auf meinem Arbeitsplatz vor dem Monitor, mein Headset aus Gewohnheit um den Kopf, surfte im Internet und dachte an Elena. Ich hatte ihr gesagt, dass ich in meiner nächsten Ausgabe ein Feature über ihre Band bringen wollte. Dann hatte ich sie gefragt, ob wir uns mal treffen wollten, wenn mein Gesicht nicht blutete, und ihr meine Nummer gegeben. Von meinem Problem hatte ich ihr allerdings nicht erzählt und versucht, auch selbst nicht daran zu denken. Es ging ganz gut, bis ich ging, um draußen auf die Straße zu kotzen, weil ich zu viel Blut und Bier getrunken hatte.
Buch: Für all die schönen Mädchen | André Krüger www.visionbakery.com/fur-all-die-schonen-madchen Danach war ich mit der Straßenbahn in die Notaufnahme gefahren und hatte mir meine Lippe nähen lassen. Am Morgen schleppte ich mich zur Arbeit und machte einen Termin bei meinem Zahnarzt. Das war vor zwei Stunden gewesen. Und weil ich sowieso nicht länger telefonieren konnte, meldete ich mich bei meinem Chef krank. Davon war er nicht gerade begeistert, aber mir war es egal. Den Rest der Woche nahm ich mir auch gleich frei. Es war ja schon Montagmittag. Die Bassistin hatte ich bereits vergessen. Ich konnte nur noch an Elena denken. Als ich auf dem Parkplatz wieder in mein Auto stieg, sah ich einen Kollegen hinter einem Busch sitzen und sich übergeben. Ich kannte ihn flüchtig. Er tat so was öfters und nahm seinen Job genauso ernst wie ich. Warum landen alle scheinbar angepassten Punks in Callcentern? Das gibt vielleicht auch Stoff für einen Artikel. Ich fuhr nach Hause und schlief mich aus. Am späten Nachmittag erwachte ich und versuchte mich daran zu erinnern, wann ich meinen Zahnarzttermin hatte. Ich vermutete, erst an einem der kommenden Tage. Die würden mich schon anrufen und erinnern, wenn ich es vergaß. Aber was sollte ich bis dahin machen?
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Ich musste raus aus der Wohnung. Früher hatte ich solche Tage einfach zu Hause verbracht und mich betrunken. Das fand ich irgendwann nur noch traurig und weil ich den Song von den Pixies über den traurigen Punk nicht mochte, habe ich aufgehört, allein zu trinken. Vermutlich hatte ich schon viel früher damit aufgehört, Punk zu sein. Eigentlich gibt es ja auch gar keine Punks mehr, seit der erste Jugendliche sich ein Nietenhalsband gekauft hat, um damit seine Eltern zu schockieren. Damals hat es mit der Kommerzialisierung und der gewollten Attitüde angefangen. Seitdem ist es egal, was getragen wird und ob es zu näheren Kontakten mit Wasser und Seife kommt. Punk als Lebensweise war zum Tode verurteilt. Es gab nur noch Punk als Lebenseinstellung. Es war genau die Lebenseinstellung, die schon immer allen Menschen zu eigen war, die sich nicht sonderlich für die Zukunft interessierten. Egal, ob es die Verweigerung war, die Kinder ihren reichen Eltern gegenüber hatten oder das Selbstbewusstsein der Arbeiterklasse, die wusste, dass es für sie niemals mehr geben würde als Fernsehen und eine weitere Generation der eigenen Lebensweise zu zeugen und aufzuziehen, während sie von allen, die mehr hatten, nicht geschätzt wurden. Ein Gefühl, das auf Gegenseitigkeit beruhte. Das war keine apokalyptische Apathie. Es war die Zufriedenheit, sich von dem, was ihnen zur Verfügung stand, das auszuwählen, was sie haben wollten und sich damit abzufinden, dass niemand alles haben konnte. Das Kind reicher Eltern lebte doch vom Geld seiner Erzeuger und die Arbeiterklasse war doch froh, ein ruhiges Leben zu haben, auch wenn sie niemals einen gewissen Lebensstandard überschreiten würden. Jeder findet sich letztendlich mit dem ab, was er gekriegt hat und lehnt alles ab, was er nicht hat und nicht ist. Jeder Mensch ist sein eigener Standard und dazu gezwungen, permanent von all den verschiedenen Standards der anderen umgeben zu sein. Doch so sehr sie auch verabscheut wurden, waren diese anderen Standards trotzdem immer da und übten eine Faszination aus, die die aufrechte Punklebenseinstellung ins Wanken brachte und merkwürdige Verhaltensweisen beim faszinierten Individuum auslöste. So oder so ähnlich hatte ich es zumindest mal in einem meiner Artikel geschrieben.
Buch: Für all die schönen Mädchen | André Krüger www.visionbakery.com/fur-all-die-schonen-madchen Mit solchen Gedanken ging ich zum Park, wo die Skater skateten und wo ich mich mit meinen zwanzigundirgendwas Jahren ohne Probleme alt fühlen konnte. Ich ging dort gerne hin, weil ich wusste, dass ich dort nicht alleine alt war. Der Vorteil als alter Spätmittzwanziger war zweifellos, dass die Skatekids einen, nicht mehr als ihnen zugehörig ansahen, einen aber noch nicht als so alt einstuften, dass sie entweder die Schublade mit der Aufschrift „alter Idiot“ oder „einfach nur alt“ aufmachten, um einen reinzustecken. Wäre ich selbst je ein Skater gewesen, könnte ich sogar noch zu ihnen gehören. Wäre graue Eminenz und unantastbar, solange ich mich korrekt auf dem Brett halten konnte. Doch ich war kein Skater. Nie gewesen. Hatte ich nie sein wollen, außer in dem Alter, in dem ich „Zurück in die Zukunft“ zum ersten Mal gesehen hatte. Doch ich hatte schnell eingesehen, dass ich niemals so cool wie ein Film sein konnte und den Gedanken schnell wieder verworfen.
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Ich musste nicht lange suchen, bis ich zwanzig Meter entfernt von der Halfpipe zwei andere alte Twentysomethings traf, die meinen Abscheu über den Mangel an nichtkommerzieller Gegenkultur teilten.
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Anna hieß eigentlich Anna-‐Lena und Art selbstverständlich Arthur, aber beide waren mit den Namen, die ihre Eltern ihnen mit auf den Lebensweg gegeben hatten, nicht zufrieden. Aber das war vermutlich niemand. Ich habe schon oft darüber nachgedacht, warum es manche Kulturen gibt, in denen sich jeder, sobald er die Volljährigkeit erreicht hat, einen eigenen Namen aussucht oder zumindest einen neuen oder einen zweiten annimmt. Ob dieser Brauch zustande kam, weil die Jugend regelmäßig sich selbst oder die namensverantwortlichen Eltern umbrachte, weil ein solcher Namensfrust Generation um Generation an den Grenzen der Selbstbestimmung scheitern ließ? Durften das eigentlich auch Frauen oder nur Männer, die frisch aus einem Mannbarkeitsritual kamen? Wen interessierte das? Anna und Art würde es vermutlich interessieren. „Hi!“ „Hi.“ „Hi.“ „Ihr kennt doch diese Kulturen, in denen sich die Kinder in einem bestimmten Alter selbst Namen geben, nicht wahr?“ „Ja.“ „Ja.“ „Wisst ihr, ob das nur die Männer dürfen, nachdem sie ihren ersten Jaguar erlegt haben oder so was oder ob das auch Frauen dürfen und die Typen, die niemals einen Jaguar erlegen?“ „Keine Ahnung.“ „Weiß nicht.“
Buch: Für all die schönen Mädchen | André Krüger www.visionbakery.com/fur-all-die-schonen-madchen „Ich dachte, so etwas würde euch interessieren.“ „Nee.“ „Tut’s nicht.“ „Ach so.“ Wir schwiegen so lange, bis ich sagte: „Was macht ihr?“ „Wir schauen den Kids zu.“ „Taugen die was?“ „Nö.“
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„Sind Kids.“ „Sonst gibt es nichts?“
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„Nein.“
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„Hab ein Buch gelesen.“ Art las immer Bücher.
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„Welches?“ „Der Adammoment.“
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Anna war interessiert. „Taugt es was?“
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„Passt schon. Er hat schon Besseres geschrieben.“
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Ich witterte was für meine Literaturecke. „Also, taugt es nun was?“ „Ist toll geschrieben. Passieren einige kranke Sachen.“ Ich: „Sex?“ Art: „Ist drin.“ Anna: „Gewalt?“ „Ist auch drin. Ist trotzdem gut. Ich kann es dir leihen, wenn du willst.“ Art lieh mir permanent Bücher und ich las nur sehr wenig. Wenn ich in meinem Magazin über Bücher schrieb, dann zitierte ich meistens Art und dachte mir den Rest selbst aus, ohne mehr als den Klappentext gelesen zu haben. Wenn mir das Ganze zu viel Arbeit war, bat ich einfach Art, ein paar Seiten für mein Magazin zu schreiben. In einer Machtposition wie meiner war es absolut notwendig, Verantwortung und Arbeit auch delegieren zu können.
Buch: Für all die schönen Mädchen | André Krüger www.visionbakery.com/fur-all-die-schonen-madchen „Ja, leih mir das mal, dann können wir drüber reden.“ In meiner Wohnung stapelten sich Arts Bücher und wenn ich keinen Platz mehr hatte, verkaufte ich entweder ein paar im Internet oder gab sie Art zurück. Er war nicht dumm und wusste sicherlich, dass ich ihn ausnutzte, um so tun zu können, als würde ich selbst Bücher lesen, aber das schien ihn nicht zu interessieren. Ein wahrer Freund. Aber es konnte auch niemand von mir erwarten, dass ich Bücher las. Ich schrieb Artikel. Und niemand kann gleichzeitig an beiden Enden der Nahrungskette stehen. „Bist du gegen eine Tür gelaufen?“ Wollte Anna wissen, während sie meine Lippe anschaute. „Eine Lesbe hat mich auf einem Punkkonzert geschlagen.“ Anna: „Hast du geweint?“ „Nein.“
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Anna: „Hast du zurückgeschlagen?“ „Nein. Sie hat mich ausgeknockt.“
Art: „Nicht so eine Geschichte schon wieder. Du immer mit deinen Lesben. Such dir endlich mal eine Frau, die mit dir an der Hüfte auf gleicher Wellenlänge ist, dann schlagen dich die Mädchen nicht mehr so oft zusammen.“ Ich dachte kurz nach und kam zu dem Schluss, dass ich in der letzten Zeit gar nicht so häufig zusammen geschlagen worden war. „Ich habe halt eine Schwäche dafür. So bin ich eben gepolt.“ Art ließ nicht locker. „Aber komm nicht wieder mit deinem ‚sozialen Aufbegehren’, das nimmt dir nämlich keiner mehr ab. Du lässt dich bloß gern von Mädchen verdreschen.“ „Wie du meinst. Aber auf richtigen Punkkonzerten wird man halt mal verdroschen. Das muss nichts mit den sexuellen Vorlieben der heterosexuellen Minderheit zu tun haben. Außerdem hab ich mich gar nicht an sie rangemacht, ich stand ihr nur im Weg. Sie konnte nichts sehen, als sie hinter mir stand.“ „Also hat dich eine umgehauen, die zwei Köpfe kleiner ist als du?“ Art versuchte nicht einmal sein Grinsen zu unterdrücken. „Sie hatte Ringe.“ Auch Anna gingen die Mundwinkel nach oben. „Schlagringe?“ „Sie hat mich geschlagen und trug Ringe. Also ja, Schlagringe.“ „Du bist so ein Weichei und davon fängst du auch noch an zu bluten.“
Buch: Für all die schönen Mädchen | André Krüger www.visionbakery.com/fur-all-die-schonen-madchen „Tut mir leid. Nächstes Mal lasse ich mir den Schädel öffnen, ohne zu bluten.“ „Will ich dir auch raten.“ Art wirkte so, als ob er irgendeinen Debattierwettstreit gewonnen hätte. „Anderes Thema.“ „Okay.“ „Okay.“ Wir redeten über Filme. Das lief wie immer darauf hinaus, dass die meisten Regisseure, die was draufhaben, am Ende nur intellektuell rumwichsen und die, die das nicht machen, viel zu selten Filme machen. Tarantino ist Gott. Aber Avery ist bedeutend besser und Tarantino ist nur ein blöder Selbstdarsteller, aber dabei nicht so intellektuell tut, sondern einfach nur selbstverliebt ist. Und Avery hatte schon zu lange keinen Film mehr gemacht. Aber dafür gute.
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Art: „Ich hab hier das Buch für dich.“ „Was für ein Buch?“ „Kafka.“ „Stimmt. Danke.“
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Art zog das Buch aus seiner Tasche und gab es mir. Ich legte es neben mir auf die Bank. Ich fand die Geschichte von dem Typen, der aufwacht und ein ungeheures Ungeziefer ist, ganz gut und dachte, davon könnte ich bei Gelegenheit mehr lesen. Oder das Buch verkaufen. „Ich muss weg.“ Sagte Art und ging. Anna: „Wohin?“ Art: „Weg. Bis dann.“ „Tschüs.“ „Bis dann.“ Anna sah den Skatern zu und ich schaute auf das Buch. Auf dem Cover war irgendeine pseudo-‐ expressionistische Zeichnung und ich fühlte mich auf einmal sehr allein. „Wollen wir uns auf den Rasen legen?“ Anna: „Wollen wir? Ich will auf jeden Fall.“ Sie lächelte, stand auf und ging auf die Wiese hinter uns. Ich trottete ihr hinterher, steckte das Buch in eine Jackentasche und blieb neben Anna stehen. Sie hatte sich auf den Boden gesetzt. Ich sackte in
Buch: Für all die schönen Mädchen | André Krüger www.visionbakery.com/fur-all-die-schonen-madchen mich zusammen und blieb neben ihr liegen. Sie legte ihren Kopf auf meine Brust, Blick nach oben. Anna war nett. Ich mochte sie sehr. Schon immer. „Zeig mal her.“ „Was?“ „Das Buch. Ich steh auf Kafka.“
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