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1500 Kinderleben gerettet
SPITZENLEISTUNG DER KINDER-ONKOLOGIE AM LKH GRAZ MEHR ALS 1000 KINDER
Jakob, 9 Jahre alt, ist wahrscheinlich vom Krebs geheilt und darf nach Hause. Das Team der Kinderonkologie am LKH Graz mit den Topmedizinern Christian Urban und Herwig Lackner rettet jährlich 60 weiteren Kindern das Leben. Nach dem ersten Schock der Diagnose Krebs beginnen die Kinder und Eltern damit zu leben. Aber das Bittere für das Team: Jede vierte Krebserkrankung ist noch immer tödlich und der beherzte Kampf gegen den unerbittlichen Sensenmann geht dennoch verloren.
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Es ist beim Klipp-Besuch auf der Onkologie am LKH in Graz erst einige Tage her. Nach mehr als zweijährigem Kampf ist die 8-jährige Heidi* verstorben. Bekommen das die anderen mit? Klipp-Gesprächspartner Prof. Herwig Lackner, Stellvertreter von Christian Urban: „Ja, das kannst du nicht verheimlichen. Da spüren alle, was da vor sich geht. Das ist wie eine Familie, das kannst du nicht verbergen. Es ist ganz rührend. Da bin ich gestern in ein Eltern-Kind-Zimmer gegangen. Da ist der kleine Fabian, er ist 7 Jahre, er hat gebastelt und eine Kerze geklebt. Und da habe ich gefragt: Ja, Fabian, was machst du denn da? Da sagte er: Ich mache eine Kerze für die Heidi. Das war eben das Mädchen. Kinder müssen solche Dinge auf ihre Art verarbeiten, mit dem DamoklesSchwert, das über ihnen schwebt.“ Und trotzdem bleibt Prof. Christian Urban zuversichtlich: „Das Schlimme aber ist, wir lernen nur aus Niederlagen. Jedes Kind, das wir verlieren, ist die Triebfeder für noch intensiveres Arbeiten und der Antrieb, dass man sich ihm, dem Tod, noch unnachgiebiger dagegenstellt. Durch die dauernde Präsenz dieses ,Sparringpartners‘ wird vieles im Leben relativ, sieht man persönlich vieles gelassener.“ Die K.-o.-Siege der Grazer Spitzenmediziner gegen den Sensenmann sind in der Tat beeindruckend: Rund 1.200 todkranke Kinder wurden an der Hämato-Onkologie in Graz in den letzten 25 Jahren organisch, aber auch psychisch wieder gesundgemacht. „Kinder, von denen heute natürlich schon viele erwachsen sind, gäbe es nicht mehr“, so Urban. Die medizinischen Erfolge sind auch nach internationalen Maßstäben absolute Spitze. Bei lymphatischer Leukämie zeigt die Heilungsquote 90 Prozent an!“ Natürlich retten – damit nichts missverstanden wird – auch andere Ärzte in steirischen Spitälern täglich Leben. Doch in unserem Titelreport geht es um Babys und Kinder, denen ein Krebstumor den noch so kurzen Lebensfaden zu durchtrennen drohte.
Schwierigste Zeiten
Kommen die Kinder auf die Station, werden sie praktisch aus
LEBEN GERETTET!
Die Hämato-Onkologen Prof. Christian Urban und Prof. Herwig Lackner: „Das Schlimme aber ist, wir lernen nur aus Niederlagen. Jedes Kind, das wir verlieren, ist die Triebfeder für noch intensiveres Arbeiten.“
ihrem Alltag gerissen und die erste Woche durch die Diagnosemühle gedreht. Danach beginnen die Therapien: Operation und/oder Bestrahlung und/oder Chemotherapie. Die Chemotherapie, die das Krebsgeschwür vernichten soll, kostet nicht nur die Haare, bringt nicht nur Übelkeit, zerstört nicht nur die Schleimhäute in Rachen und Mund, sondern auch das Knochenmark und das Immunsystem des Körpers, die dann durch eine Stammzellentransplantation wieder aufgebaut werden müssen. Für Jakob und seine Mutter gab es nach der Transplantation 20 Tage „Einzelhaft“ in der „sterilen Einheit“, die aber notwendig ist, da in dieser Zeit höchste Gefährdung für das völlig zerstörte Immunsystem besteht. „Die Knochenmarkstransplantation selbst ist ein kleiner chirurgischer Eingriff“, versucht er sein Spezialgebiet verständlich zu machen. „Die größte Problematik liegt darin, dass das transplantierte lebende Gewebe den Körper in der Folge nicht überrollt.“ Urban: „Entscheidend ist, dass man diese Aufmischung von Zellen in der Folge sozusagen medikamentös beherrscht, denn wehe, wenn sie losgelassen werden.“ Zum besseren Verständnis muss man Folgendes anmerken: mittels Chemotherapie werden Krebsgeschwüre zum Schrumpfen gebracht, zerstört. Mit ihr wird aber auch das Knochenmark und das Immunsystem im Körper des Patienten total vernichtet. Schon der kleinste Infekt kann daher zum Tod führen. Und erst die Transplantation von neuem Knochenmark gibt dem Patienten die Chance, zu überleben und ein neues Immunsystem aufzubauen, dem es dann besser gelingt, allfällige restliche Krebszellen zu vernichten. Die große Kunst dabei ist, jenes Maß zu finden, bei dem der Tumor zerstört wird, aber der Organismus des Patienten diese Belastung noch erträgt.
Trotz dieser Dramatik
…herrscht auf der Station eine gute Stimmung, das spürt der Besucher. Kinder fahren mit ihren Dreirädern durch die Gänge der Station, hinter den verglasten, meist offenen Türen der Mutter-Kind-Einheiten spielen Erwachsene mit den kleinen Patienten. Neben den Ärzten und Krankenpflegerinnen verbringen die Eltern, vor allem die Mütter, oft Monate mit ihren Kindern auf der Station, kennen sich, helfen einander durch die Höhen und Tiefen des Lebens mit Krebs und auch, die oft schonungslosen Prognosen zu ertragen. Auch sonst herrscht ein geregelter Tagesablauf: Lehrerinnen unterrichten die Kinder, Ergotherapeutinnen, Logopädinnen sowie Psychologinnen usw. haben mit den Kindern ein Therapieprogramm zu absolvieren, um die Folgewirkungen der zerstörerischen Nebenwirkungen der Therapie – Teilleistungsschwächen, Lähmungen, „neu-
Die Kinder kennen ihn natürlich: Clown Ronald McDonald zu Besuch bei jenen kleinen Patienten, die zu Weihnachten nicht nach Hause dürfen.
rologische Ausfälle“ – zu behandeln bzw. möglichst gering zu halten. „Die Kinder wachsen aber auch an der Krankheit, wachsen regelrecht über sich hinaus, erbringen gigantische Leistungen gegen die Krankheit“, so eine Psychologin über den Überlebenswillen der Kinder.
Gegen die Gefahr des Rückfalls
„Wann ist ein Kind wieder gesund?“, fragen wir. Am Ende der Onkologie-Therapie fängt die Nachsorge an. Die entscheidende Frage ist: Wann ist das Kind wieder gesund und wann kann der Tumor wieder kommen? Also die Gefahr des Rückfalls. Das Wichtigste daran ist, dass wir dies rechtzeitig erkennen. Das ist der Sinn der Nachbetreuung. Wenn wir ein Kind vom Tumor befreit haben, uns nach den Spätfolgen zu fragen, die auftreten können und die Kinder behindern. Die Spätfolgen-Forschung ist das Wichtigste. Prof. Lackner: „Wir haben uns bereits vor 20 Jahren gefragt: Jetzt überleben so viele Kinder, drei Viertel der Kinder und wir müssen uns darum kümmern, dass die Kinder auch gut überleben, dass sie nicht nur dem blanken Tod entrinnen, sondern in ein normales Leben zurückkehren können.“ Die entscheidende Frage war: Was muss da geschehen? Da begann man auf der Kinderonkologie, im wörtlichen Sinne des Wortes die Kinder auf Herz und Nieren zu untersuchen. Denn damals wusste man nicht: Welche Probleme haben die Kinder? Womit kämpfen sie denn? „Wir haben damals ein genaues Konzept entwickelt, in dessen Mittelpunkt stand, die Gefahr eines Rückfalls rechtzeitig zu erkennen.“ Diese Strategie fand auch international höchstes Interesse und dabei stellte sich Folgendes heraus: Es zeigt sich weltweit: Ein Drittel der Kinder muss damit rechnen, in irgendeiner Form eine Erkrankung zu haben, also eine Spätfolge. Zwei Drittel der Kinder sind vollkommen gesund. Das ist die positive Meldung. Aber ein Drittel der Kinder hat Probleme. Und so wurde für jedes Kind ein eigenes Risikoprofil erstellt, denn viele Spätfolgen kann man gut behandeln, wenn man sie rechtzeitig erkennt. „Ein Beispiel“, so Prof. Lackner, „aus der Praxis: Ein Kind hat Leukämie, wird im Rahmen dieser am Kopf bestrahlt. Es kann passieren, dass die Hirnanhangdrüse dabei beschädigt wird, das Kind wächst am Anfang weiter, fällt dann plötzlich aus der Wachstumskurve heraus und bleibt dann bei 145 cm stehen –für einen Buben eine Katastrophe. Mit einer Hormontherapie lässt sich das gut behandeln.“ Die schwierigste Gruppe sind die Gehirntumor-Patienten, weil der Tumor selbst schon sehr viel zerstören kann. Urban und Lackner: „Diese Gruppe macht
uns am meisten Sorgen. Das neurologische Defizit wird dann sehr früh mit Physiotherapien, Psychologen und viel Förderung auszugleichen sein. Bisher gab es diese Programme an der Kinderonkologie selbst, mittlerweile erfolgt diese auch im Rehabilitationszentrum JudendorfStraßengel.“ Der Preis, den diese Kinder für das Überleben bezahlen, ist, dass die Probleme sie ein Leben lang begleiten. Vor knapp 30 Jahren war Leukämie ein Todesurteil. Da hat es keine Überlebenden gegeben. Und heute werden zwei Drittel ganz gesund und ein Drittel – um dieses müssen wir uns kümmern, das ist auch unsere Verantwortung. Die schlimmste Folge bei diesem einen Drittel ist, dass irgendwo anders im Körper ein Sekundärtumor auftritt. Lackner: „Und die Wahrscheinlichkeit dafür steigt eben mit jedem Lebensjahrzehnt. In Graz werden jährlich rund 60 Neuerkrankungen behandelt, darunter sind 20, die einen Zweit-Tumor bekommen können und von diesen 20 überleben wieder 70 Prozent. Die Ältesten sind heute schon mehr als 30 Jahre.“
Moderne Onkologie ist Teamwork
„Wir Onkologen sind sozusagen die Zentrale“, sagt Prof. Herwig Lackner, „bei der die Fäden zusammenlaufen, und zitiert dabei einen Ausspruch seines Kollegen Urban: Der Onkologe muss der Dirigent im Orchester sein. Er muss mit allen anderen Disziplinen super koordinieren können. Das Einzelkämpfertum ist Geschichte. Das ist Steinzeit-
Onkologie. Das kooperative, gemeinsame Arbeiten, damit alle Kräfte gebündelt werden – das ist die Revolution gewesen. Und auch dazu: Wir haben sehr früh begonnen, aus der Not heraus, weil wir kleine Fallzahlen hatten, ein internationales Therapieprotokoll zu erstellen. So haben wir eine Optimierung der Behandlung erreicht. Kinder in ganz Europa werden heute nach denselben Standards behandelt. Ganz egal, ob es in Spanien ist oder in Oslo. Die Vernetzung ist hier komplett gegeben. Wir Kinderärzte sind deswegen vorne, weil wir gezwungen waren aufgrund unserer kleinen Fallzahl. Bei den Erwachsenen hat jeder so sein Süpplein gekocht.“
WAS ES AUCH KOSTET
Während des langen Spitalaufenthalts muss natürlich auch gelernt werden.
Keine billige Medizin
Die Onkologie ist eine sehr teure Disziplin, keine billige Medizin. „Es ist uns bewusst, dass sie viel kostet. Aber in Österreich ist es Gott sei Dank so, dass wir bis jetzt in der Behandlung noch keine Beschränkung haben. Wir konnten bis jetzt jedem Kind die optimale Therapie geben, auch wenn sie noch so teuer war. Aber ich weiß
natürlich, dass es Länder gibt, wo das schwierig ist, weil die Medikamente nicht gegeben werden. Das eine ist billiger, das andere ist besser, aber teurer. Noch sind wir auf einer Insel der Seligen.“
Das Ärgste ist überstanden…
ET, DIE KINDER BEKOMMEN ES
„Mein Kind hat Krebs“ –was löst das aus?
Und wie hoch sind die Kosten im Schnitt?
„Die Leukämie-Behandlung eines Patienten dauert zwei Jahre und kostet so um die 150.000,–Euro. Das ist allerdings nur ein Richtwert“, so Prof. Herwig Lackner. „Wenn ein Kind Schwierigkeiten hat, Probleme hat, dann werden wir natürlich nicht sparen und ihm alles geben, was möglich ist. Aber das reißt oft tiefe Lücken in das Budget. Das müssen wir schon begründen.“ Speziell die Transplantationsmedizin ist sehr teuer. Wenn da ein Kind schwere Komplikationen bekommt, kann das sehr teuer werden. So musste ein Bub mit dem Lear-Jet nach Brüssel geflogen werden, wurde dort operiert, blieb mit seiner Mutter vier Wochen stationär in Brüssel. Der behandelnde Chirurg in
Graz musste bestätigen, dass er diese Operation nicht durchführen könne. Der Bub wurde nach seiner Rückkehr in Graz weiterbehandelt und dann geheilt entlassen. „Das erzähle ich immer, wenn jemand über das Gesundheitssystem in Österreich schimpft. Ein solches Vorgehen würde ich in einem anderen Land gar nicht probieren. Da hat man keine Chance“, zeigt sich Lackner mit dem System zufrieden. Die häufigsten Tumore im Kleinkindalter sind der Nieren-, Leber- und Milztumor, bei Jugendlichen sind es die Knochentumore. Vieles in der Tumorforschung liegt noch im Unklaren. Aber bei gewissen Tumoren könne man nachweisen, dass da eine genetische Veranlagung gegeben sei. Wenn zum Beispiel beim 13er-Chromosom ein Stück fehle, dann wisse man, dass der Mensch die Neigung zu einem Tumor hat. Eine ganz aufwendige Geschichte, die natürlich auch in Graz gemacht wird, ist die Stammzellen-Transplantation. Sie ist überhaupt das Teuerste, was es gibt. In einer Punktebewertung kommt eine Herztransplantation auf 100 Punkte und die Stammzellentransplantation auf 150 Punkte. Prof. Urban: „Du brauchst da ein höchst spezialisiertes Labor und spezialisierte Teams. Auch dort haben wir beim Einsatz der Mittel keine Beschränkung. Wir gehen aber natürlich verantwortungsvoll
damit um und können so den Kindern alle Therapien geben, die erfolgreich sein können.“
Haus und Hof verkaufen?
Eltern sind klarerweise verzweifelt, wenn sie erfahren müssen, dass ihr Kind Krebs hat. Der Onkologe Prof. Herwig Lackner erinnert sich an ein bewegendes Erlebnis unter vielen: „Einmal hat ein Papa aus Kärnten zu mir gesagt: ,Herr Doktor, ich hab’ daheim ein Grundstückerl. Wenn wir das jetzt verkaufen. Kann man dann das Allerbeste für meinen Buben geben? Wir verkaufen alles, das Haus und das Grundstück. Tät’ das dann helfen, Herr Doktor?‘ Und da bin ich immer extrem berührt, wenn ein verzweifelter Papa oder eine Mutter so etwas sagt und ich dann sage: Das brauchen Sie nicht. Sie brauchen nur Ihre E-Card hergeben. In Österreich ist das so. Sie geben die Karte her, Sie sind versichert. Das österreichische Gesundheitssystem übernimmt die Kosten der Behandlung. Ihr braucht’s Eurer Grundstück nicht zu verkaufen.“
Das erste Gespräch sei überhaupt das wichtigste, so Prof. Herwig Lackner. „Vor allem dem Kind zu erklären, warum es über längere Zeit bei uns bleiben muss. Wenn du in diesem Gespräch Fehler machst, dann kannst du eine Katastrophe heraufbeschwören. Ich muss jetzt nach dem Interview ein solches Gespräch führen. Es geht um einen 8-jährigen Buben mit einem Lymphknotenkrebs. Wir haben ihn aufgenommen, er hat einen schon fortgeschrittenen Tumor, dieser war sehr versteckt und jetzt müssen wir dem 8-jährigen Lukas und der Mama noch einmal erklären, was er hat und wie das weitergehen soll. Der Papa ist nicht in der Familie, wie das halt heute oft so ist.“ >