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Der Glaube

Alle Fotos: MKK, Studienreeise 2008

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Der Geburtsort mit der Krippe Jesu wird mit einem Silberstern (1717 angebracht) in der Basilika in Betlehem markiert. Die Gläubigen knien davor nieder und küssen ihn.

MAN DENKE NUR AN DIE KINDER UND IHREN GLAUBEN AN DAS CHRISTKIND. ZU KEINER ANDEREN ZEIT DES JAHRES WIRD IN DER CHRISTENWELT DER BEGRIFF „GLAUBE“ (AN EINEN GOTT) UND MIT IHM LIEBE, HOFFNUNG UND MENSCHENRECHTE SO OFT BEMÜHT WIE IN DIESEN WOCHEN – UM WEIHNACHTEN.

Die Frage nach Gott ist uns allen aufgegeben –von unserer Endlichkeit, von unserer Furcht, von unserer Geschichte, von unserer Kultur, von unserer Intelligenz, von unserer Ignoranz. Man kann weder so tun, als ob sie einen nichts anginge, noch vorgeben, man hätte keine Meinung dazu,

schreibt der französische Philosoph André Comte-Sponville in seinem neuen Buch „Woran glaubt ein Atheist – Spiritualität ohne Gott“ (Diogenes Verlag). Was die Religion den Gläubigen bereithält, muss dem Atheisten nicht verwehrt sein. Es gibt Wege zu einer Spiritualität ohne Gott, ohne Dogmen und ohne Kirche.

Vom Fanatismus oder die Gefährlichkeit der Religionen

Nicht Glaube führt zu Massakern, sondern Fanatismus, egal ob religiös oder politisch. Intoleranz. Hass. Religion kann gefährlich werden. Siehe die Bartholomäusnacht, die Kreuzzüge, die Religionskriege, den Dschihad, die Anschläge vom 11. September 2001 ... Religionslosigkeit kann auch gefährlich werden. Siehe Stalin, Mao Zedong oder Pol Pot ... Wer wollte die Toten beider Lager aufrechnen, und was würde das letztlich bedeuten? Die Schrecken sind unermesslich, ob mit oder ohne Gott. Das sagt nichts über den Glauben aus, desto mehr leider über die Menschen (und wie tagtäglich unsere Menschenrechte missachtet werden). Aber es gibt auch anbetungswürdige Helden, Künstler, so André Comte-Sponville, geniale Denker, hinreißende Menschen – unter Gläubigen mindestens so viele wie unter Ungläubigen. In Bausch und Bogen zu verwerfen, was sie glaubten, hieße sie

verraten. So hegt der Autor viel zu viel Bewunderung für Pascal und Leibniz, Bach oder Tolstoi, ganz zu schweigen von Gandhi, Etty Hillesum oder Martin Luther King, als dass er den Glauben, auf den sie sich beriefen, verachten könnte. Und viel zu viel Zuneigung für die vielen Gläubigen unter seinen Lieben, als dass er sie auch nur im Geringsten verletzen möchte. Meinungsverschiedenheiten zwischen Freunden können heiter, heilsam und anregend sein. Herablassung oder Verachtung nicht.

Welche Wahl sollte man treffen?

Was Agnostiker und Atheisten also unterscheidet, ist nicht das Fehlen oder Vorhandensein eines vorgeblichen Wissens. Glück für die Atheisten! Wenn Sie jemanden treffen, der behauptet: „Ich weiß, dass Gott nicht existiert“, ist das kein Atheist, sondern ein Idiot. Und genauso verhält es sich nach Ansicht André Comte-Sponvilles, wenn einer sagt: „Ich weiß, dass Gott existiert.“ Das ist ein Idiot, der seinen Glauben für Wissen hält. Manche Gläubige mögen jetzt entgegenhalten, sie seien keineswegs unwissend, Gott habe ihnen ein für allemal die Wahrheit offenbart. Wozu noch Beweise, Argumente, Gründe? Ihnen reicht die Offenbarung. Und sie stürzen sich Hals über Kopf in die heiligen Schriften, um sie auswendig zu lernen und immer wieder neu zu kommentieren ... Darauf könne er als Philosoph nichts anderes erwidern, als dass jede Offenbarung nur für den gilt, der an sie glaubt, und in einem Zirkelschluss selbst den Glauben begründet, auf dem sie beruht. Und welche Offenbarung überhaupt? Die Bibel? Mit oder ohne Neues Testament? Der Koran? Die Veden? Das Avesta? Warum dann nicht auch der Unfug der Raelisten? Die Religionen sind unzählbar. Welche Wahl soll man treffen? Wie zwischen ihnen vermitteln? Seit Jahrhunderten bekriegen sich ihre Jünger, selbst wenn sie sich auf dieselbe Offenbarung berufen (Katholiken gegen Orthodoxe, Katharer und Protestanten, Schiiten gegen Sunniten usw.). So viele Tote im Namen ein und desselben Buches! So viele Massaker im Namen des einen, einzigen Gottes! Ist das nicht ein hinreichender Beweis des Nichtwissens, in dem sie alle befangen sind?

Hass und Grausamkeit

Nie wurde für die Mathematik getötet, noch für eine Wissenschaft, nicht einmal für eine Wahrheit, sofern gut genug etabliert. Man tötet nur für das, was man nicht weiß und nicht beweisen kann. So liefern ausgerechnet die Religionskriege ein hervorragendes Argument gegen jeden religiösen Dogmatismus. Mit ihrem Hass und ihren Grausamkeiten zeigen sie nicht nur dessen Gefahren auf, sondern auch den schwankenden Boden, auf dem er steht: Wenn irgendeine von all diesen Religionen den geringsten Beweis vorbringen könnte, hätte sie es nicht nötig, die anderen zu vernichten. „Einen Menschen bei lebendigem Leibe zu verbrennen ist ein sehr hoher Preis für bloße Mutmaßungen“, sagt der Politiker und Philosoph Michel de Montaigne (1533–1592). Für eine beweisbare Wahrheit braucht man keine Scheiterhaufen anzuzünden. Deshalb gibt jede Inquisition, jeder Kreuzzug, jeder Dschihad, was immer auch die Eiferer denken, dem Zweifel Recht, den sie besiegen wollen. All diese Gräuel bestätigen bloß, dass niemand über ein echtes Wissen bezüglich Gott verfügt. Damit sind wir zu Religionskriegen oder zu Toleranz gezwungen, je nachdem, ob blinde Leidenschaft oder Vernunft triumphiert. „Wenn man glaubt, im Besitz der Wahrheit zu sein“, schreibt der französische Philosoph Jules Lequier, „sollte man wissen, dass man glaubt, aber nicht glauben, dass man weiß.“

André Comte-Sponville wurde 1952 in Paris geboren. Der ehemalige Professor für Philosophie an der Sorbonne widmet sich seit 1998 ausschließlich dem Schreiben. Mit dem internationalen Bestseller „Ermutigung zum unzeitmäßigen Leben“ begründete er eine neue Welle, die „Philosophie für alle“, die den Philosophiemarkt explodieren ließ. André Comte-Sponville lebt in Paris.

Das allgegenwärtige Jerusalemer Kreuz

JERUSALEM

DIE STADT KÖNNTE EINE STATION AUF DEM WEG INS PARADIES SEIN

Ist sie aber nicht, weil wir Christen-Menschen aus dem Paradies durch die Erbsünde Adams und Evas verstoßen worden sind. Wahrscheinlich wird gerade deshalb in keiner anderen Stadt, an keinem anderen Ort der Welt so heftig geglaubt, wohnen die Welt-Religionen Judentum - Islam - Christentum Tür an Tür und müssen damit leben. Und jede nimmt für sich in Anspruch, die einzige und wahre zu sein, wacht eifersüchtig über ihre heiligen Stätten, die in weni- gen Tagen von Tausenden Pilgern in Beschlag genommen werden und macht den jeweils Andersgläubigen oft das Leben schwer.

Modernes Jerusalem Jerusalem

Ölberg und Berg Zion

■ Christliches und armenisches Viertel ■ Jüdisches Viertel ■ Muslimisches Viertel

Orthodoxe Juden auf dem Weg zur Klagemauer Gut, preiswert und viel: Essen für Pilger und Touristen Seit Jahrhunderten gehören sie zum Stadtbild: die fliegenden Teeverkäufer Eilen zum festliche nach Hause

Klipp sprach mit Matthias Nachbauer, der seit zehn Monaten seinen Dienst als Zivildiener im österreichischen Hospiz in Jerusalem versieht. Das bereits im Jahre 1857 gegründete Pilgerhaus (es untersteht dem Erzbischof von Wien), erbaut im Stil eines Ringstraßen-Palais, ist das älteste seiner Art im heiligen Land. Von ihm aus kann man sämtliche heiligen Stätten gut erreichen. Es liegt inmitten der Altstadt, die wiederum die Trennlinie zwischen zwei Welten ist, nämlich jener von West- und Ost-Jerusalem. Die Altstadt selbst besteht aus einem jüdischen Viertel, einem muslimischen und einem christlich-armenischen Viertel, wobei das arabische den größeren Teil der Altstadt einnimmt. „Irgendwie schaffen es die Menschen hier aber ganz gut, auf einem so kleinen Fleck zusammenzuleben“, sagt Matthias Nachbauer. Man spürt natürlich, dass es da einen Konflikt gibt, israelisches Militär und Sicherheitspolizei sind allgegenwärtig. Die Touristen fühlen sich dadurch (scheinbar) sicherer. Ganz anders die arabischen Bewohner der Altstadt. Sie fühlen sich durch die „Besatzer“ eingekerkert und ihr Alltag ist dadurch schwierig geworden. „Jeder beansprucht die Altstadt für sich und das aus meiner Sicht zu Recht“, findet der junge Österreicher. „Weil“, so die persönliche Interpretation von Matthias Nachbauer, „die drei großen Welt-Religionen ja doch so viele gemeinsame Grundsätze haben, sich in so vielen Fragen und Aussagen ähnlich sind, ist es für ihn auch keine Überraschung. Aber das Problem in Jerusalem ist, dass eben Politik und Religion so vermischt sind.“ Wobei er meint, dass die Menschen es dennoch ganz gut schaffen, miteinander auszukommen. „Wir Christen tun uns leichter, die Verständigung zwischen Juden und Arabern zu vermitteln, weil wir ja zum Glück nicht direkt am Konflikt teilhaben.“ Überzeugen kann hier der eine den anderen von seiner Religion und seinen historischen Wahrheiten nicht. Was möglich sein sollte, ist der gegenseitige Respekt. Und den verspüren die Araber durch die Sicherheitskräfte der Israelis nicht wirklich. Von Jugendlichen und Kindern im arabischen Viertel erzählt Matthias Nachbauer, die kaum oder gar nicht die Schule besucht haben, aufgrund der politischen Verhältnisse daran gehindert wurden, die nicht

Blick vom Flachdach, die rotweiß-rote Fahne scheint über dem Felsendom zu wehen.

lichen Sabathmahl

JERUSALEM

Die historische Bedeutung Jerusalems ist immens. So beginnt jede Stadtbesichtigung mit einem Ausflug in die Altstadt, in der die Heiligtümer der drei großen Weltreligionen stehen. Da sind die Klagemauer der Juden, die Via Dolorosa und die Grabeskirche der Christen und der Felsendom, die drittheiligste Stätte der Muslime. Zudem gibt es zahlreiche ebenfalls bedeutende Orte, etwa den Ölberg mit seiner fantastischen Aussicht auf die Stadt sowie Kirchen, Moscheen und Synagogen, römische und byzantinische Ruinen, mittelalterliche Mauern und Tore sowie farbenfrohe Basare. Besuche im ultraorthodoxen Viertel Mea Shearim im neuen Teil Jerusalems, des Holocaust-Museums Yad Vashem oder ein Abend im aus dem 19. Jahrhundert stammenden Viertel Nakhalat Shiva geben Einblicke in das jüdische Jerusalem von heute.

Grabeskirche

Reges Treiben rund um das Damaskustor (früheres Haupttor der Stadt), eines von 7 Toren

Er bewacht das Österreichische Hospiz

schreiben, lesen und rechnen können, die aber dennoch in bewundernswerter Weise ihr Leben meistern. Jeder Gedanke von Karriere wird dort nichtig, wenn man beobachtet, mit welcher Uneigennützigkeit und Treue zur Familie die jungen Menschen, so sie eine Arbeit haben, ihre Familien unterstützen. Doch die Empfindlichkeiten sind groß und die Rücksichtnahmen sind wichtig, auch wenn oft das gegenseitige Misstrauen nicht zu überwinden ist. Ein Grund dafür liegt sicherlich darin, dass Fanatiker und die Fundamentalisten jeder Religion von den heiligen Stätten Jerusalems erst magisch angezogen werden und hier dann ihren Anspruch auch entsprechend lautstark in die Welt rufen. Auch auf völlig barbarische und untaugliche Weise, mit Selbstmordanschlägen, deren Opfer dann unschuldige Menschen sind. Ein solcher kann zu jeder Sekunde irgendwo in Jerusalem erfolgen – trotz aller Sicherheitsmaßnahmen. Man müsse diese ständige Bedrohung ausblenden, sonst kann man nicht leben, wird wahnsinnig dabei, bringt ein Taxifahrer die Sache auf den Punkt. Man wird bei solchen Gedanken an die Ringparabel und Nathan den Weisen von Gotthold Ephraim Lessing erinnert. Das Werk hat als Themenschwerpunkt die Religionstoleranz. In der Schlüsselszene lässt Saladin Nathan zu sich rufen und legt ihm die Frage vor, welche der drei monotheistischen Religionen er für die wahre halte. Nathan sieht sich vor dem Konflikt, weder seine Religion zu sehr zu betonen noch die anderen beiden. Deshalb antwortet er mit einem Gleichnis. Darin besitzt ein Mann ein wertvolles Familienerbstück: einen Ring, der über die Eigenschaft verfügt, seinen Träger „vor Gott und den Menschen angenehm“ zu machen, wenn derselbige Träger ihn „in dieser Zuversicht trug“. Dieser Ring wurde über viele Generationen hinweg vom Vater an jenen Sohn vererbt, den der Vater am meisten liebte. Doch nun tritt der Fall ein, dass der Vater drei Söhne hat und von ihnen keinen bevorzugen kann und möchte, sodass er von einem Goldschmied Duplikate des Ringes herstellen lässt. Er hinterlässt jedem Sohn einen Ring, wobei er jedem versichert, sein Ring sei der echte. Nach dem Tode des Vaters ziehen die Söhne vor Gericht, um klären zu lassen, welcher von den drei Ringen der echte sei. Der Richter

6 Religionsgemeinschaften teilen sich die Nischen und Kapellen der Kirche, Gemeinschaftsbesitz ist die Kapelle, in der das Grab Christi liegt. Nach genauem Zeitplan wechseln sie sich beim Einsammeln der Kollekte ab.

Al-Aqsa-Moschee. Touristen ist der Zutritt verwehrt, sie bietet Platz für 5000 Gläubige. Christlicher Würdenträger

Besonders viele Juden versammeln sich am Sabbat vor der Klagemauer, Männer und Frauen sind durch einen Zaun getrennt. Besucher dürfen den Platz in „züchtiger“ Kleidung betreten.

aber ist außerstande, dies zu ermitteln. So erinnert er die drei Männer daran, dass der echte Ring die Eigenschaft habe, den Träger bei allen anderen Menschen beliebt zu machen; wenn aber dieser Effekt bei keinem der drei eingetreten sei, dann könne das wohl nur heißen, dass der echte Ring verloren gegangen sein müsse. Jedenfalls solle ein jeder von ihnen trachten, die Liebe aller seiner Mitmenschen zu verdienen; wenn dies einem von ihnen gelinge, so sei er der Träger des echten Ringes. Diesen hat offensichtlich noch niemand in Jerusalem gefunden, daher sollte sich jeder an der Suche beteiligen, weil es um das Wohlergehen aller Menschen geht.

Die Hinweistafeln in der Altstadt sind in drei Sprachen verfasst: Arabisch, Hebräisch und Englisch. Der Verlauf der Straße ist nicht immer leicht erkennbar. Jeden Freitag begleiten die Franziskaner die Gläubigen auf ihrem Weg bis zur Grabeskirche und beten mit ihnen an jeder der 14 Stationen.

Der Garten Gethsemane Die Bedrohung eines Attentats ausblenden, sonst überlebt man hier nicht

Außerhalb der Altstadt: Kinder freuen sich über die Abkühlung

Jüdische Beerdigung am Ölberg

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