31 Gastkolumne.qxp_kloen 22.04.22 10:03 Seite 31
MEINE MEINUNG
GASMNTE
Antonina Melchikova: „Jeden Tag treffe ich Menschen, die Hilfe brauchen.“
KOLU
„Wollen die Russen den Krieg? – Ein klares und
FOTO: SHANGAREY_ADOBESTOCK.COM
aktives NEIN ...!”
ANTONINA MELCHIKOVA. Krieg in der Ukraine
Wollen die Russen den Krieg? Am 24. Februar 2022 bin ich 34 Jahre alt geworden. Fast mein ganzes Leben ist unter Putin verlaufen. Am Abend vor meinem Geburtstag hörte ich seine Rede und verstand, dass dieser Tag kein feierlicher Tag mehr für mich sein würde. Jetzt ist es der Tag, an dem Russland einen sinnlosen und schrecklichen Bruderkrieg in der Ukraine begonnen hat.
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rauer, Verzweiflung, brennende chen viele Ukrainer im Alltag Russisch. Eine Scham und Hilflosigkeit sind mitt- weitere wichtige Sache ist die Kinderbetreulerweile treue Begleiter jedes den- ung. Kleine Ukrainer haben eine schwierige kenden Russen. In den ersten Ta- Reise überstanden. Sie verließen ihre Häugen habe ich, wie viele meiner ser, Freunde, Spielsachen, Väter und Opas. Landsleute, geweint und darum gebetet, Kinder sind gezwungen, bei ihren Müttern dass jemand damit aufhöre. Ich habe Putin zu sein, während sie viele formelle Hürden nie unterstützt, ich bin zu Kundgebungen bewältigen und Dokumente erstellen müsfür faire Wahlen und zur Unterstützung von sen – bisher haben nur wenige einen Platz in Alexei Nawalny gegangen, aber trotzdem den Kindergärten und den Schulen erhalten. liegt die Verantwortung für diesen Krieg Daher eröffnen ukrainische Lehrer zusamauch bei mir. Ich entschied, dass ich den men mit Kollegen aus Russland temporäre Krieg nicht stoppen kann, aber ich kann den Kinderbetreuungsgruppen für Flüchtlingskinder. Menschen helfen, die darunter leiden. Das Schwierigste ist die Wohnungssuche Hunderte in Hamburg lebende Russen und Freiwillige aus anderen Ländern helfen für Flüchtlinge. Bereits Mitte März war der Ukraine gleich in mehreren Bereichen. Hamburg voll. Nach offiziellen Angaben Wir verpacken und verladen humanitäre Hilfs- überquerten über 4 Millionen Menschen in güter, die in die Ukraine geschickt werden. den vergangenen Tagen die internationalen Wir treffen Geflüchtete, die in Hamburg an- Grenzen. Tausende Menschen kamen in unsere Stadt. Es gab Fälle, in kommen, helfen ihnen bei denen Menschen in Flüchtder Ticketbeschaffung und lingsheimen ohne Matratze erarbeiten die Route für die oder Decke auf dem Boden Weiterreise oder helfen bei schlafen mussten. Ein echter verschiedenen AngelegenKollaps. In diesem Chaos heiten, wenn sie sich für den wissen Menschen, die helfen Verbleib in unserer Stadt wollen und können, oft entscheiden. nicht, wie sie ihre Hilfe zur Viele Russen helfen bei Verfügung stellen können. Anmeldeverfahren, bei der So erfuhr ich zum Beispiel Beantragung des Flüchtvon der Familie Jürgen und lingsstatus, in der Bank und Antonina Melchikova: Birgit (Klönschnack 04-2022). anderen Institutionen. Entge- Journalistin und Studentin Meine Freundin traf sie in der gen der Aussage von Sergej der Slavistik in Hamburg: Anmeldestelle in Rahlstedt. Lawrow, die russischsprachi- „… auch Hundertausende Russen flohen vor dem Krieg!” Sie wollten jemandem ihre ge Bevölkerung würde in der leere Wohnung anbieten, Ukraine unterdrückt, spre-
wussten aber einfach nicht, an wen sie sich wenden sollten. Ich habe die ganze Zeit daran gedacht, und als ich im Chat eine Nachricht gelesen habe: „Morgen kommt eine Familie aus der Ukraine, 5 Personen, in Hamburg an.”, da war mir sofort klar, dass ich diese beiden Familien bekannt machen sollte. Das Schwierigste bei der Wohnungssuche ist es seltsamerweise, die Flüchtlinge davon zu überzeugen, dass sie nicht in Gefahr seien, dass die Deutschen ihnen wirklich aufrichtig helfen wollen. Ich spreche mit Menschen durch den Zaun des Flüchtlingslagers, zeige meine Chats, Fotos und überzeuge sie, dass nichts schlimmer ist, als die Nacht in der Sporthalle zu verbringen. Ich bin allen Deutschen, die mit mir helfen, sehr dankbar. Diese Leute spenden Geld, aber vor allem viel Zeit und Aufmerksamkeit, um denen zu helfen, die in Not sind. Jeden Tag treffe ich Menschen, die Hilfe brauchen. Manchmal muss man sieben Stunden in den Zügen verbringen, Flüchtlinge treffen und begleiten. Es ist körperlich sehr schwierig. Emotional ist es noch schwerer: Wenn du erkennst, was für eine große Lawine das ist, die du einfach nicht bewältigen kannst, weil so viele Menschen Hilfe brauchen. Das werde ich jedoch weiterhin tun, um einem Dutzend Menschen ein klares und aktives „NEIN!“ zu sagen, auf die Frage: Wollen die Russen den Krieg? Dieser Krieg ist nicht nur für die Ukrainer eine Tragödie. Auch Hunderttausende Russen flohen vor dem Krieg. Ja, die Bomben fallen nicht auf Moskau oder Kasan, aber meine Landsleute haben genauso ihre Wohnungen und ihr ganzes Leben aufgegeben. Jemand floh, weil er in einem Aggressorstaat nicht leben konnte, und jemand Anderes vor echter Verfolgung. Immerhin ist das Regime in Russland seit einem Monat von „hybrid” zu absolut totalitär geworden. Alle unabhängigen Medien wurden geschlossen. Man wird von der Polizei verhaftet, wenn man mit einem leeren Plakat oder mit einem Plakat mit 8 Sternen darauf ( *** ***** d. h. Нет войне Nein zum Krieg) auf die Straße geht. Diejenigen, die in Russland bleiben, sitzen in der Falle. Diejenigen, die gegangen sind, sind ihrem Schicksal überlassen. Russische Bankkarten wurden im Ausland gesperrt für diejenigen, die vor dem Regime geflohen sind. Auch diese Tausende von Russen brauchen Hilfe und Unterstützung. Ich hoffe, dass die Weltgemeinschaft damit beginnt, Putins Beamte und Oligarchen von Journalisten, Kämpfern gegen das Regime und einfachen Menschen, die gezwungen wurden, ihre Heimat zu verlassen, zu unterscheiden. Antonina Melchikova
Klönschnack 5 · 2022
Stellungnahme
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