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«Die Ehe mit dem Mann, das war ein Kuhhandel meines Vaters» PAULA ROTH KOMMT ZU WORT

Mit der musiktheatralischen Séance Selig sind die Holzköpfe! nähert sich Schauspieldirektor Jonas Knecht auf ungewöhnliche Weise einer beeindruckenden Frau: Paula Roth. Im abgelegenen Albulatal schuf sich die Wirtin des Gasthauses Bellaluna, die 1988 brutal ermordet wurde, ihr eigenes Universum. Doch auch als Geschichtenerzählerin, Heilerin und Künstlerin machte sie sich einen Namen. Ein ganzes Autor*innen-Team hat sich aus verschiedenen Blickwinkeln mit Paula Roths Leben befasst.

Die Zürcher Autorin Katja Brunner hat poetisch assoziative Textbilder geschaffen, Ariane von Graffenried und Martin Bieri haben Landschafts-Lyrik verfasst, und Dramaturgin Anja Horst war auf biografischen Spuren unterwegs. Mit diesen unterschiedlichen Textmodulen soll Paula Roth in dieser Séance, dieser Geisterbeschwörung, spürbar werden –als Figur wird sie nicht auf der Bühne stehen. Und doch kommt Paula Roth persönlich zu Wort, denn zu Lebzeiten hat sie ihre Lebensgeschichte auf Kassetten gesprochen, die sie an ihre Gäste verkaufte.

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Die folgenden Ausschnitte aus den Originalaufnahmen von Paula Roth geben Ihnen Einblicke in ihr bewegtes Leben.

Pauline

Jemand hat mich mal eine Zaunreiterin zwischen den Welten genannt. Manche nennen mich die Hexe aus dem Albulatal. Ich bin Paula. Ich bin ein Hexlein, aber ein liebes Hexlein. Eigentlich heisse ich Pauline. Ich wurde wenige Monate vor Ende des Ersten Weltkrieges in Güttingen im Thurgau geboren. Eine schwierige Zeit. Auf der ganzen Welt die Epidemie, die Spanische Grippe.

Mein Vater war ein Bauer und Pferdemetzger. Wir Kinder mussten mithelfen, melken und heuen. Vater liebte die körperliche Arbeit aber nicht sonderlich und begann damit, Handel zu treiben und Häuser zu kaufen. In diese Häuser sind wir dann eingezogen, meine Geschwister und ich. Vater renovierte die Häuser, verkaufte sie gewinnbringend und kaufte dann ein neues Haus. So sind wir über die Jahre mehr als 25-mal gezügelt. Mutter hielt die Familie zusammen. Ich liebte meinen Vater, fand aber keine grosse Beachtung bei ihm. Nach der Schulzeit habe ich eine Schneiderlehre gemacht beim Hess in Amriswil und auch beim Strahl in Emmishofen-Kreuzlingen. Und nachher, vor Kriegsausbruch, bin ich denn nach Schwanden rauf und hab dort als Serviertochter in der Au geschafft. Dann im Herbst hat der Vater mir berichtet, er hätte in Klarsreuti eine Wirtschaft gekauft und die Frida, meine Schwester, hat müssen einen Wirtekurs machen. Dann bin ich dort hin und hab in der Krone den Service gemacht. Das hat mir gefallen. Ich konnte gut mit den Gästen und hab's immer gern lustig gehabt. Ab da war ich Vaters Goldschatz. (1939–1941)

Der Kuhhandel

Die Ehe mit dem Mann, Paul Bühler hiess der, das war ein Kuhhandel meines Vaters. Ich kannte den doch gar nicht. Im Appenzellerland, in Speicherschwendi, hatte der Vater noch eine Liegenschaft gekauft, samt der Wirtschaft, der Aachmühle. (1941) Da habe ich mich um eine Bewilligung bemüht, damit ich die Wirtschaft führen darf, als Fräulein. Aber da habe ich dann Bescheid bekommen, dass das nur geht, wenn es noch einen Bauern gäbe, der die Landwirtschaft bestellt.

Zu dieser Zeit ist ein Soldat ins Wirtshaus gekommen und hat gefragt, ob bei uns im Dorf einer ein Stück Wald verkaufe. Der Vater hat ihm dann gesagt, er könnte ihm schon was verkaufen. Aber nur gegen Bares. Der Bursch, der Bühler, hat schnell für mich Feuer und Flamme gefasst und dem Vater gesagt, er wolle mich heiraten und mit mir den Hof im Appenzellerland führen. «Ich kenn Sie nicht», habe ich dem gesagt, «so schnell geht das mit dem Heiraten nicht.» Der hat dann gesagt, dass er auch Gespartes habe, und man lerne sich sowieso erst in der Ehe kennen. Und die Liebe käme dann schon. Der Vater hat mit ihm einen Pachtvertrag gemacht und wir sind aufs Zivilstandsamt Rehetobel und sind auf den Hof gezogen, samt Schwiegermutter, die mich geplagt hat. (1941) Mein Hochzeitskleid habe ich selbst geschneidert, und für die Hochzeitsreise sind wir mit dem Postbus zum Essen auf den Säntis. Ein frecher Mensch, der Mann.

Der Bühler, der war ja Soldat und musste gleich wieder zum Dienst. Und ich war allein da mit all der Arbeit. Und wenn der auf Urlaub war, da hat er mir auch nicht geholfen. Und Geld hat er auch nicht gebracht, nur ausgegeben. Hat Vaters Wald geplündert, sogar mein Harmonium verkauft und die einzige Kuh, die ich vom Vater bekommen habe, der freche Mensch. Und erschiessen hat er mich wollen, weil er eifersüchtig war. Hat gemeint, ich hätte Männergeschichten. Mein Vater wollte ihn ins Gefängnis bringen, aber ich hatte ja zwei Kinder mit dem, den Richard (*1942) und die Herta (*1943). Für unseren Unterhalt hat der Mann nie gesorgt. Die Aachmühle konnten wir nicht halten, weil wir den Zins nicht mehr zahlen konnten. Wir sind nach Romanshorn gezügelt, und ich habe dafür gesorgt, dass der Mann Arbeit bei der Bahn bekommt. Da hat er aber auch nur 500 Franken verdient, und das hat ja nicht gelangt. Ich musste wieder schneidern.

Das Zittern Im 44 bin ich schwer krank geworden und hab ins Spital müssen. Eine Frauengeschichte. Und 1945 war ich in der Klinik in Münsterlingen, weil es mir immer noch nicht gut ging. Ich habe ständig müssen zittern. Die meinten, ich hätte Wahnideen. Dabei hat mich der herzlose Ehemann krank gemacht, der mit schamlosen Weibern seine Lohngelder verprasst hat. Geholfen haben sie mir nicht in der Klinik. Der Mann hat dann eine junge Frau zu sich genommen, und meine Kinder waren bei meinen Eltern zur Pflege. Nichts hat er für sie bezahlt.

Die Scheidung

Ich habe die Scheidung eingereicht und wieder bei meinen Eltern in Klarsreuti gewohnt. Ich wollte ja wieder gesund werden. Ich musste mich doch retten. Ich habe als Schneiderin und Hauspflegerin gearbeitet, um Geld zu verdienen und die Anwaltskosten zu bezahlen. Eines Nachts ist der Bühler mit der Polizei gekommen und hat die Kinder geholt.

Die sind bei der Scheidung (1946) dem Mann zugesprochen worden, und der hat die junge Frau geheiratet. In dem Fall bin ich wieder frei gewesen, hab können arbeiten und nicht mehr müssen für die Kinder sorgen. Ich bin dann beim Vater geblieben und hab auch wieder als Serviertochter gearbeitet.

Naturarzt Dr. Schneider (1956) Die Zitterlähmung habe ich lange noch gehabt, und kein Arzt hat mir können helfen. Da bin ich zum Naturarzt Dr. Schneider in Niederteufen. Das hänge nur vom Seelischen ab, hat er gesagt.

Der konnte mir helfen. Das war wie ein Wunder. Auch als ich eine Rauchvergiftung hatte vom Ofen in der Stube, hat der Dr. Schneider mich heilen können.

Da hat er mir gesagt, ich wäre die rechte Person, ihm den Haushalt zu führen.

Das habe ich dann angenommen, die Stelle, und bin mit ihm ins Bündnerland, nach Surcuolm. Mehr als ein Jahr bei ihm geblieben. Dort gingen noble Leute ein und aus. Der Schneider war mein Mentor, und ich habe viel von ihm lernen können über animalischen Magnetismus und Haus- und Sympathiemittel. Ich habe Heilsalben und Kräutermischungen und magische Briefe herstellen können. Aber die Angestellten vom Doktor… da ist so eine stille Sache losgegangen. Die haben da ein Harem gehabt! Wenn der Schneider auswärts war, da wollten doch die Weiber zu mir raufkommen mit ihren Freiern. Das bin ich nicht eingegangen und hab mir was anderes gesucht.

«Onkel» Zumstein

Das war dann das Crusch Alba in Sent. Da ist der Zumstein traurig gewesen und hat nicht gewusst, wo er Aufnahme finden könnte, er wär ja schon alt und recht krank. Und der Gemeindepräsident hat mir dann empfohlen, ich täte ein gutes Werk und solle den mitnehmen. Der Zumstein ist dann immer krank gewesen, hatte eine doppelte Lungenentzündung und ich hab den verpflegen müssen. Der Doktor hat keine Hoffnung mehr gegeben, aber ich hab ihn wieder hoch gebracht. Ich hab doch nicht wollen, dass der bei mir stirbt. Ein Erbe war da nicht zu erwarten, aber wer weiss, schlussendlich wäre da noch was hervorgekommen, was mich untergraben hätte. Und dann hat sich der auch noch ausgegeben, er sei der Onkel von mir. Und das hab ich doch nicht können abstreiten vor den Leuten. 1960 hat er dann einen schweren Töff-Unfall gehabt und ist ins Spital gekommen. Ich hätt gern gehabt, der wär dann in ein Altersasyl gekommen. Aber mich hat dann die Oberschwester angerufen, er wölle unbedingt zu mir. Güte, habe ich gedacht, in der Saisonzeit muss ich den Mensch jetzt auch noch pflegen. Kost und Logis konnt er auch kaum zahlen. Er hat mich also ausgenutzt. Ich habe noch viele Jahre Last mit dem gehabt. Als sie mir in der Crusch Alba die Pacht erhöht haben, habe ich denen gesagt, dass ich mir was anderes suchen würde.

Die Bellaluna

(1962) Ich war grad unterwegs und hab das Haus gesehen, mit zugenagelten Fenstern. Wie in meinem Traum. Ich bin nach Bergün eingekehrt und habe nachgefragt, wem das Haus gehört. Ich habe eine Adresse bekommen von dem Herrn Schmid, Arthur Schmid, Sägereibesitzer in Chur, und bin gleich heim und hab dem aglütet. Ja, ja, sagt der, er würde die Bellaluna schon verkaufen, er warte schon lange auf einen, der das übernehmen wolle. Dann haben wir abgemacht, das Haus zu besichtigen. Es sah traurig aus, das Haus. Ich bin vom Estrich bis zum Keller und dann in den Stall. Keine Scheiben mehr, die Türen eingeschlagen, kein Strom, keine Möbel, keine Lampen, kein Telefon, kein Klosett mehr. Ich müsste das halt alles so übernehmen, sagt der Schmid. Da habe ich ihm gesagt, na gut, wenn ich das günstig überchom ist mirs recht und gut. Aber ich habe ihm auch gleich gesagt, ich wölle dann das Vorkaufsrecht. Ich wollte aus der Bellaluna etwas machen. So haben wir dann den Pachtvertrag ab dem 1. Oktober 1962 aufgesetzt. Es hat Geduld gebraucht, das alles im Haus zu richten und use zu putzen. Der Zumstein ist auch mit, der hats einfach zu gut gha bei mir. Mit seinen jenischen Freunden haben wir noch Handel getrieben, und er hat die Idee mit dem Forellenteich gha. Da gabs dann jedes Jahr Angelwettbewerbe und ich war bekannt für meine guten Forellen. Recht bald lief die Bellaluna gut, und wir hatten viele Gäste. 1965 habe ich die Bellaluna gekauft.

Der Prozess Der Zumstein hat sich immer als Chef ausgegeben und wollte alles bestimmen. Und immer hat er die Hosen voll gehabt und gestunken wie ein Eber. Im 67 habe ich den vor die Tür gesetzt, und

Selig sind die Holzköpfe!

Eine musiktheatralische Séance um

Paula Roth von Katja Brunner, Anja Horst, Ariane von Graffenried, Martin Bieri und Jonas Knecht

Uraufführung

Samstag, 1. April 2023

19 Uhr, UM!BAU

Leitung

Inszenierung: Jonas Knecht

Bühne: Michael Köpke

Kostüm: Sabine Blickenstorfer

Licht: Andreas Volk

Live-Musik: Anna Trauffer, Andi Peter Choreografie: Marcel Leemann

Dramaturgie: Anja Horst

Regieassistenz: Sina Wider

Spiel

Anna Blumer, Tabea Buser, Birgit Bücker, Pascale Pfeuti, Anja Tobler, Tobias Graupner, Julius Schröder

Weitere Vorstellungen

2.*/5./13./14.*/16.*/17. April 2023

9./10./11. Mai 2023

* mit Einführung 30 Minuten vor Vorstellungsbeginn der hat dann gegen mich einen Prozess eingefädelt und eine Gelderpressung von 30 000 Franken gestellt. Hat der doch behauptet, wir seien eine Gütergemeinschaft und er sei mein Prokurist gewesen. Um Himmels Willen, da habe ich einen Gegenprozess eingegeben, wegen Verleumdung und Ehrverletzung. Vier Jahre ist der Prozess gegangen. Schlussendlich habe ich noch müssen 4000 Franken zahlen. Aber zum Glück war der fort und ich bin wieder aufgeblüht. Was ich erlebt hab mit dem alten Menschen, da kann ich nur jedem abraten, einen Fremden aufzunehmen.

Glücklich

(1957) Als ich vom Dr. Schneider weg bin, da war ich fast 40 Jahre alt, und ich hatte wieder Lust, in einer Wirtschaft zu arbeiten, und ich hab gedacht, ich will einfach wieder ins Bündnerland rauf. Ich hab dann ein Inserat in der roten Zeitung gelesen und eine Offerte gemacht. Da kommt dann ein alter Mann von 75 Jahren. Das ist dann der Zumstein gewesen von Rongellen. Der hat dringend eine gute Seele gesucht, die seine Wirtschaft vor dem Ruin rettet. Da bin ich dann hin, doch da gab es nichts mehr zu retten. Ich hab mich dann informiert, ob ich irgendwo könnte eine Wirtschaft in Pacht nehmen. Paula Roth.

Ich hatte neue Gäste, liebe Gäste von Stadt und Land und hab angefangen mit meinen Gästebüchern. Ich bin recht gut zufrieden und tu in meinen stillen Stunden malen. Und wenn man keinen Mann hat im Haus und keine Liebesverpflichtungen – das ist halt recht schön. Ich kann sagen, ich bin glücklich, dass ich jetzt das Haus habe.

Ausstellung

Ab dem 1. April 2023 zeigt das open art museum, Stiftung für schweizerische Naive Kunst und Art Brut St.Gallen, im Foyer an der Davidstrasse 44 eine kleine Ausstellung mit Werken von Paula Roth.

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