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Wie Menschen und Jobs sich finden Gute Arbeitsmarktlage mit bisher unbekannten Entwicklungen

Wie Menschen und Jobs sich finden

Gute Arbeitsmarktlage mit bisher unbekannten Entwicklungen

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Südtirols Arbeitsmarkt entwickelt sich immer mehr zu einem Arbeitnehmermarkt und entspricht damit dem europäischen Trend. Warum das so ist, wie er die Situation bewertet und was die Herausforderungen der Zukunft sind – das haben wir Stefan Luther vom Amt für Arbeitsmarktbeobachtung gefragt.

In welcher Lage befindet sich Ihrer Einschätzung nach der Südtiroler Arbeitsmarkt?

Stefan Luther: Das ist gar nicht so leicht auf den Punkt zu bringen. Denn eigentlich haben wir mehrere Arbeitsmärkte, die sehr stark regional oder berufsspezifisch geprägt sind. Der Arbeitsmarkt des Tourismus hängt von anderen Faktoren ab als jener der Pflege. Prinzipiell gehe ich zum derzeitigen Zeitpunkt davon aus, dass die Auswirkungen der CoronaKrise im Hinblick auf die Anzahl der Arbeitnehmer:innen wohl überwunden sind. Seit Sommer 2021 haben die Arbeitsverhältnisse quantitativ dasselbe Niveau wie im bisherigen Rekordjahr 2019 erreicht. Trotz des unsicheren internationalen Umfeldes setzt sich diese Entwicklung auch fort – bis jetzt.

Zeichnet sich also wirklich ein Arbeitskräftemangel ab?

Luther: Dem ist so, zumindest mittelund langfristig. Denn die Südtiroler Erwerbsbevölkerung nimmt ab, und der Bedarf an Arbeitskräften steigt. 2011 hatten wir noch 184.500 Arbeitnehmende im Jahresschnitt; 2021 – wohlgemerkt nach zwei Jahren Krise – 207.500. Also ein Plus von 14 Prozent. Wenn es so weitergeht, werden zum Ende der laufenden Legislaturperiode etwa 7.000 potenzielle Arbeitskräfte weniger zur Verfügung stehen, da die Südtiroler Erwerbsbevölkerung stagniert. Auch kurzfristig fehlen Arbeitskräfte: Die digitale Arbeitsmarktbörse des Landes, die eJobBörse (www.jobs. bz.it) mit immerhin 25 Prozent Marktanteil, hat noch nie so viele offene Stellenangebote in den ersten vier Monaten des Jahres verzeichnet: nämlich über 5.600. Es fehlen also Arbeitskräfte, nicht nur Fachkräfte in diversen Berufen und Branchen. Selbst bekanntere Betriebe haben Schwierigkeiten, Arbeitskräfte zu rekrutieren, und müssen deshalb Anforderungen wie die Kenntnis beider Landessprachen herabsetzen. Ich sehe Anzeichen, dass sich Südtirol wie andere mitteleuropäische Regionen zu einem Arbeitnehmermarkt entwickelt: Arbeitnehmer:innen suchen sich ihren Arbeitgeber aus.

Also eine sehr gute Arbeitsmarktlage. Dennoch gibt es auch viele Menschen, die keine Arbeit finden.

Luther: Sie bringen das Dilemma auf den Punkt. Wir haben Arbeitsmarktspannungen: Betriebe finden keine Leute, Arbeitslose – ohne Saisonarbeitslose waren im April dieses Jahres immerhin fast 10.000 Arbeitslose registriert – finden keine passenden Stellen. Das ist unsozial und unwirtschaftlich. Dennoch bin ich optimistisch.

Woraus speist sich Ihr Optimismus?

Luther: Es gibt Instrumente, um das Zusammentreffen von Betrieben und Arbeitslosen zu erleichtern – das ist der Kernbereich aktiver Arbeitsmarktpolitik, mit einem Ziel: Beschäftigungshindernisse abzubauen. Und zwar auf Seiten der Betriebe wie der Arbeitslosen. Es geht um Beratung, um Weiterbildung bis hin zur Umschulung und auch um gezielte Förderungen. Ein sehr wirksames Instrument, um die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt zu fördern, ist eine starke und professionelle Arbeitsvermittlung. Und dies gilt ganz ausdrücklich auch für die gezielte Arbeitsvermittlung für Menschen mit Beeinträchtigung.

Stefan Luther, Amtsdirektor des Amtes für Arbeitsmarktbeobachtung der Südtiroler Landesverwaltung

Betrachten Sie Digitalisierung und Automatisierung nicht als Gefahr für den Südtiroler Arbeitsmarkt?

Luther: Aus heutiger Sicht nicht − wenn es der Schul und Ausbildungswelt gelingt, die notwendigen Kompetenzen zu vermitteln. Moderne Arbeitsmärkte sind dynamisch. Bereits jetzt verfügt die Abteilung Arbeit über einen wertvollen Datenschatz und ausreichend Informationen, um zukunftsfähige Konzepte für den Arbeitsmarkt zu entwickeln. Ein Beispiel: Auf den Arbeitskräftemangel durch demografischen Wandel haben wir bereits vor mehr als zehn Jahren aufmerksam gemacht – jetzt wird er in den Betrieben spürbar. Was uns fehlt, sind fachlich kompetente Mitarbeiter:innen in ausreichender Zahl, um diese Konzepte auch in die Praxis umzusetzen. Wie Sie sich vorstellen können, ist die Beratung von Betrieben wie von Arbeitssuchenden alles andere als eine bürokratische Tätigkeit. Es gilt mitunter, arbeitslose Personen engmaschiger zu aktivieren als es heute möglich ist. Der Arbeitsvermittlung muss gelingen, den Bedarf der Arbeitssuchenden und der Betriebe zu erkennen und somit Übereinstimmungen zu suchen und zu finden. Und manchmal auch Menschen und Jobs zusammenzubringen, die vielleicht auf den ersten Blick nicht zusammenpassen, sich dann aber als Glücksgriff erweisen. Ich würde die Herausforderung so auf den Punkt bringen: Eine professionelle Arbeitsvermittlung ist ein enormer wirtschaftlicher und sozialer Mehrwert und stärkt Südtirols Attraktivität für Betriebe und Arbeitskräfte.

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