Typographic Topography
T e i l 1 – V o r W o r t
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V OR W OR T
Erinner n und Ve rge s s e n
Müssen wir erinnern, oder haben wir das Recht zu vergessen?
Dieser Frage stellte sich auch der Schriftsteller Bernhard Schlink in seinem Vortrag „Erinnern und Vergessen“ am 9. April 2014 in Heidelberg. Schlink beschäftigte sich ausführlich damit, ob eine moralische Verpflichtung zur Erinnerung besteht, welchen Sinn Erinnerung für unser persönliches Leben hat. Dabei stellt er fest, dass Erinnerung nicht immer dazu beiträgt, dass sich Dinge nicht wiederholen –dies ist ja oft ein zentrales Argument, wenn Erinnerungskultur eingefordert wird. Er ist der Meinung, dass dies manchmal nützlich sein mag und man aus der Vergangenheit lernt, aber genauso häufig wird Vergangenheit heroisiert und man zieht immer wieder dieselben Schlüsse – weil man erinnert. Seiner Meinung nach ist es jedem Individuum freigestellt, ob er sich entscheidet zu erinnern, oder ausschließlich im Hier und Jetzt zu leben. Das funktioniert jedoch nach seinem Dafürhalten nur, wenn man keine Beziehungen zu anderen Menschen mehr eingeht, aus denen eine Verpflichtung zur Achtung und Anerkennung entsteht. Er sagt auch, dass es in jedem Leben Zeiten des Erinnerns und Zeiten des Vergessens gibt – z. B. familiäre Ereignisse, Krankheiten, Kriege und Wiederaufbauzeiten, in denen man nicht erinnern kann, da die ganze zur Verfügung stehende Kraft in das Jetzt fließt. Und
auch im normalen Leben braucht der Mensch zwischendurch „Ferien vom eigenen Ich“ – so nennt er dann die Zeit des Vergessens. Jedoch immer, wenn es um Beziehungen zu anderen Menschen gehe, Kollegen, Familie und Freunde oder im größeren Rahmen dann Nachbarn, Nachbarstaaten, mit denen wir friedlich zusammenleben wollen, dann besteht die Verpflichtung zu erinnern, um die Identität des anderen zu achten. Um zu verstehen, warum wir Deutschen beispielsweise schwierige Beziehungen zu den Polen, den Franzosen oder den Russen haben, müssen wir wissen, was wir diesen Völkern angetan haben. Erinnerung endet nicht, nur weil viel Zeit verstrichen ist, oder weil die Generation, die die Situation unmittelbar erlebt hat, mittlerweile schon nicht mehr lebt. Was wäre ein Leben ohne Erinnerung? Diese Dystopie wurde uns bereits 1949 von George Orwell mit dem Roman „1984“ erschreckend beschrieben. Bernhard Schlink verweist auf die Identität eines jeden Einzelnen und schreibt, dass wir nur sind, was wir sind, in einem dichten Geflecht von Beziehungen zu anderen Personen und Erinnerungen an vergangene Ereignisse im Zusammenhang mit diesen Personen. Um ein vollständiges Leben zu leben, sollen die schwierigen Momente unserer Vergangenheit genauso erinnert werden wie die guten Momente. Diesen Gedanken von Schlink kann ich mich gut anschließen und hoffe, dass die vorliegende Arbeit zur Erinnerungskultur beiträgt. Nora Gummert-Hauser im März 2015
T e i l 2 – T y p o g r a p h i c T o p o g r a p h y
New York – 1999
Orientie r ung Wenn wir uns im öffentlichen Raum bewegen, orientie-
ren wir uns – sofern wir uns nicht auskennen – an der Schrift im Raum. Der öffentliche Raum ist vermessen und katalogisiert durch Pläne, Straßennamen, Verzeichnisse und Beschilderungen. Früher haben wir uns mit Hilfe
New York – 1999
Typographic Topography
von Stadtplänen durch eine fremde Stadt bewegt, heute orientieren wir uns meist mittels GPS und Smartphone über den aktuellen Standort und den Verlauf der gewünschten Route. Aber abgesehen von den Straßenschildern, finden wir auch noch weitere Orientierungssysteme – wie zum Beispiel ganz spezielle Leitsysteme touristischer Art. In jeder Stadt gibt es aber natürlich auch Leitsysteme für den Verkehrsfluss, dieser unterteilt sich in öffentliche Nahverkehrssysteme, den Straßenverkehr und die Führung von Fußgängern und Radfahrern. Jede Stadt verfolgt unterschiedliche verkehrspolitische Ansätze, wie sie mit diesen Nutzergrup-
Was war, bevor wir die Welt und den öffentlichen Raum in Nutzergruppen eingeteilt haben? Wie haben wir uns orientiert, abgesehen von der Kenntnis über die Himmelsrichtungen? In Städten gab es immer verschiedene Strukturen und Nutzergruppen, so haben sich verschiedene Stadtviertel herausgebildet. Es gab immer die Oberschicht, die sich erst in großbürgerli-
Mallorca – 2004
pen bezüglich der Orientierung in ihrer Stadt umgeht.
chen Häusern innerhalb der sogenannten Oberstadt und erst später dann in stadtrandnahen Villenvierteln niedergelassen hat, und es gab das Handwerk und das produzierende Gewerbe, deren Ansiedlung sich in der Unterstadt entierte, wie zum Beispiel die Gerber, die sich meist am Fluss ansiedelten. Dieses Handwerk hatte nicht nur einen hohen Wasserbedarf, auch sorgte der extreme Gestank dafür, dass sie sich eher in Randlagen ansiedelten. Aber es gab auch Wohlgerüche, wie Bäckereien – noch heute gibt es zum Beispiel in Krefeld die kleine Keksfabrik Gruyters auf der Tannenstraße, deren Geruch immer wieder durch das ganze Samtweberviertel zieht. Also konnte man sich auch der „Nase nach“ orientieren.
Gortys | KretA – 2002
befanden und die sich teilweise auch an topografischen Bedingungen ori-
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Imperia – 2005
Wenn man in einer Stadt lebt, weiß man schnell die Zeichen im öffentlichen lässt sich schnell das nächste finden und wo ein Gemüseladen ist, ist der andere nicht weit. Wir wissen um die Struktur von Märkten, wir fühlen schnell an welchen Plätzen wir uns niederlassen können und welche wir eher meiden. Und wenn wir viel Glück haben, lernen wir die städtebauliche Struktur einer Stadt intuitiv kennen, durch solch eine extreme Ordnung der Altstadt um die vier Wälle herum, die wir aus Krefeld kennen, oder aber durch eine
Düsseldorf – 2001
Raum zu lesen. Es gibt ja auch Anhäufungen – wo ein Kleidungsgeschäft ist,
topografischen Besonderheit, wie den extremen Flussverlauf des Rheins in Düsseldorf mit seinen vielen Brücken.
Rü ckblic k
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts finden wir Schrift im
öffentlichen Raum häufig an öffentlichen Gebäuden, Denk-, Ehren und Grabmälern. Dort finden sich die Buchstaben in gemeißelter Form in Stein, oder auch in Form von großen Metalllettern. In dem Moment, als der Handel in Städten zu prosperieren beginnt, beginnt auch der Kampf um die Aufmerksamkeit der Konsumenten, der bis heute anhält und die absurdesten
der Sign Painters, der Schriftenmaler. Die Händler ließen ihre Namen und die Art ihres Gewerbes durch die Kunst der Schriftenmaler entweder direkt auf den Gebäuden anbringen, auf Schildern oder auch auf beide Medien. Das war die erste Art der Werbung im öffentlichen Raum. Um das Jahr 1830 herum begann die Entwicklung von gestanzten Schriftschablonen in den USA, die serielles Drucken von kleinen Geschäftsannoncen möglich machte. Das Dru-
Düsseldorf – 2001
Formen angenommen hat. In den USA und auch in Europa begann die Ära
cken von Plakaten entwickelte sich schnell, erst einfarbig, und zu Ende des Jahrhunderts dann auch mehrfarbig, als die Herstellung der Druckfarben nicht mehr von den Druckern selbst, sondern industriell geschah. Zu Ende Schriften erstmals auch als Leuchtreklame. In Berlin wurde die Erste im Jahr 1896 installiert. Sehen wir uns Fotos von Innenstädten um 1900 an, kann man erkennen, dass fast jedes Gebäude in irgendeiner Form beschriftet war. Hotels, Gastronomie, Geschäfte und Institutionen gleichermaßen. In meiner Kindheit und Jugend, den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts war das auch
Antwerpen – 2004
des 19. Jahrhunderts, mit der Verfügbarkeit über Elektrizität, gab es dann
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Mallorca – 2004
noch sehr häufig in den Städten zu sehen, jetzt aber begleitet von Leuchtmanifestierten. Heute finden wir kaum mehr handgeschriebene Schriften an Gebäuden – und wenn, sind sie einerseits Zeugnis von Elend und Verfall oder andererseits eines Retro-Trends, der den Geist längst vergangener Zeiten beschwören will. Dieser Retro-Trend hat auch Auswirkungen auf die Schriftgestaltung: nos-
Amsterdam – 2007
reklamen, die den Aufschwung und Wohlstand der Nachkriegs-BRD visuell
talgische Schreibschriften stehen hoch im Kurs, der Begriff des Lettering erfährt eine Renaissance und junge Leute sind stark an Kalligraphie interessiert. Das alles ändert aber nichts an der Tatsache, dass das klassische Handwerk des Schriftenmalers durch andere technische Möglichkeiten längst abgelöst wurde: Kunststoffe, Transfer-Buchstaben, das großformatige Plotten aus Kunststofffolien in allen Farben wurde möglich. Durch die Kombination von Computern und Maschinen wurde kein Handwerker mehr dafür benötigt, Schriften zu schneiden. Was sich natürlich generell auch deutlich negativ auf die Anordnung und formale Ausrichtung der Buchstaben auswirkte, denn
Motivation
Seit vielen Jahren fotografiere ich Schrift und Zeichen im
öffentlichen Raum. Das ist nichts Besonderes und ein durchaus gängiger Zeitvertreib für Gestalter. Im Internet finden wir viele Sammlungen, eine der Schönsten kommt von Jack Usine aus Frankreich, sie findet sich unter www.
Amsterdam – 2007
nicht jeder ist in der Lage, mit Schriften adäquat umzugehen.
vernacular.fr. Ich selbst habe mittlerweile eine riesige Sammlung aus Europa und bin im Moment noch dabei, diese zu digitalisieren, da sehr viele ausschließlich als Dias vorhanden sind. Auf fast allen ist der Tag und der Ort der Aufnahme vermerkt. So werden diese Bilder zu Zeitdokumenten – ich kann mir durchaus vorstellen, dass viele der Motive mittlerweile gar nicht mehr zu finden sind. Es wird so nicht nur eine reiche typografische Formenvielfalt dokumentiert, sondern auch deren Bezug zu dem jeweiligen Ort. Insofern wird damit ein ganz kleiner und spezifischer Teil des kulturellen Erbes eines jeweiligen Ortes bewahrt. Die Fotografien von heute entführen uns in teilweise weit zurückliegende Zeiten und erzählen, wenn wir hinhören, auch Geschichten. Wir versuchen uns vorzustellen, wie wohl das Geschäft Jahren die Ladenbeschriftung eines Schreibwarenladens fotografiert, in
Imperia – 2005
zu dem Schriftzug ausgesehen haben mag. In Venedig habe ich vor vielen
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Amsterdam – 2007
dem man noch unglaublich viele Federn, Federhalter, Tuschen und Tinten nischen Schulen das Erlernen einer Handschrift komplett abgeschafft wird, kaum mehr vorstellen. Die Fotos erzählen Geschichten von florierenden Innenstädten mit einer Vielzahl von inhabergeführten Geschäften – heute verelenden die Innenstädte und sind geprägt von billigen und teuren, aber in
Lissabon – 2001
kaufen konnte – das kann man sich heute, im Jahr 2015, wo gerade an fin-
jedem Fall global uniform aussehenden Kaufhäusern.
Imp u ls Die Schriftzeichen, mit denen ich mich im letzten halben Jahr
beschäftigt habe, erzählen eine ganz andere Geschichte. Sie erzählen von einer großen europäischen Grenzverschiebung, der Westverschiebung Polens nach dem Zweiten Weltkrieg. Ende Juni 2012 war ich auf einer Hochzeit im Westen von Polen eingeladen. Bei dieser kurzen Reise wurde mir bewusst, dass wir uns auf ehemals deutschem Gebiet befinden. Viele Ortsschilder und Beschilderun-
kennen noch gängige Namen, wie Jelenia Góra – vorher Hirschberg oder Wrocław – vorher Breslau. In Gryfów Śląski – vormals Greiffenberg – habe ich das Foto aufgenommen, welches sich hier rechts unten in der Bildleiste wiederfindet. Unter abblätterndem Putz kommt eine historische Werbemalerei in deutscher Sprache vom Beginn des 20. Jahrhunderts zum Vorschein. Direkt darunter findet sich der Straßenname in polnischer Sprache auf dem Straßenschild. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, wann die letzten visuellen Zeugnisse dem Zahn der Zeit oder dem Abriss zum Opfer fallen und dann verschwunden sind. Dann wird die deutsche Geschichte in Polen ähnlich unsichtbar wie in Berlin, wo sich heute die wenigsten noch erinnern können, wo genau der deutsch-deutsche Grenzverlauf ursprünglich war.
Polen
123 Jahre lang (1795–1918) existierte kein eigener polnischer
Nationalstaat mehr aufgrund der „Drei Teilungen“ durch die Nachbarmächte Preußen, Österreich und Russland. Durch den Versailler Vertrag im Jahr
Gryfów Śląski – 2012
gen weisen noch deutsche und polnische Beschriftungen auf. Einige
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Jelenia Góra – 2014
1919, im Anschluss an den Ersten Weltkrieg, erhielt Polen seine staatliche belangt. Weder Russland noch Deutschland waren mit diesem neuen Staat einverstanden, schon gar nicht mit den Gebietsverlusten, die damit einhergingen. Die Lage in Europa blieb brisant und der neue polnische Staat war aufgrund seiner exponierten Mittellage auch weiterhin der Spielball im
Zagan – 2014
Souveränität wieder. Dies hatte weitreichende Folgen, was die Grenzen an-
Machtpoker – nicht nur der Deutschen und der Russen, sondern auch der anderen Westmächte. Polen nahm das wiedererstarkende Nachbarland mit großer Unruhe zur Kenntnis – welches durch einen Fait accompli das Rheinland besetzte und den Westwall aufbaute – und bemühte sich um ein stabiles Verhältnis zu Deutschland, nachdem die Bemühungen, die Westmächte Großbritannien und Frankreich vertraglich an seiner Seite zu haben, im Wesentlichen nicht deutlich genug schriftlich fixiert waren. Die deutsche Regierung gab sich offiziell sehr bemüht um ein friedliches Nebeneinander mit dem Nachbarstaat Polen – was alles an diplomatischen
Twittereinträgen heutiger Politiker. Am Ende haben alle Bemühungen nichts genutzt und die Situation eskalierte durch den deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt (Hitler-Stalin-Pakt oder auch Ribbentrop-Molotow-Pakt genannt). Dieser enthielt ein geheimes Zusatzprotokoll, welches das polnische
Gdańsk – 2014
Aktivitäten, Reisetätigkeiten, Telefonaten und Gesprächen stattgefunden hat, ist unglaublich. Das Gezwitscher entspricht bestimmt der Menge an
Staatsgebiet anhand der „Ribbentrop-Molotow-Linie“ erneut komplett unter den beiden Mächten aufteilte, ebenso die baltischen Staaten und Bessarabien. Das Papier wurde Ende August unterzeichnet, nur wenige Tage vor dem Angriff der Wehrmacht auf Polen am 1. September 1939. Russland besetzte
Noch lange nach Kriegsende wurde die Existenz eines solchen geheimen Zusatz-Dokumentes seitens der Sowjetunion verleugnet und als anti-sowjetische Propaganda bezeichnet. Erst 1992 wurden die Originaldokumente in Archiven gefunden und auch von russischen Historikern zur Kenntnis genommen.
Szprotawa – 2014
am 17. September den östlichen Teil von Polen.
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Was 1939 begann mit dem Angriff auf Polen,
Bolesławiec – 2014
Z weite r We ltk r ie g
endete am 8. Mai 1945 mit einer verheerenden militärischen, vor allem aber moralischen Niederlage für Deutschland. Der Krieg endete mit unfassbarem Leid, Millionen von Toten in ganz Europa, der Zerstörung von Dörfern, Städten und ganzen Landstrichen. Das Elend vergrößerte sich nach Kriegsende zusätzlich durch Flucht und Vertreibung von Millionen von Menschen aus ihrer ursprünglichen Heimat. 1950 zählte man 12,5 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene in der BRD und der DDR. In Sachsen wurden z. B. mehr als eine Million aus Ost- und Südosteuropa vertriebene Deutsche angesiedelt. Flüchtlinge wurden auch damals nicht mit offenen Armen aufgenommen – es wurde gehetzt gegen die zwar deutschstämmigen, aber doch „fremden“ Flüchtlinge, die in mageren Nachkriegszeiten das Budget noch zusätzlich
Exkurs: Zum Vergleich, in Sachsen wurden im Jahr 2014 fast 12.000 Asylbewerber aufgenommen – im Jahr davor waren das noch die circa die Hälfte. Insgesamt entschied das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in 2014 knapp 129.000 Fälle, von denen 40.563 (31,5 Prozent) positiv ausgingen.
Szprotawa – 2014
belasteten und/oder den zur Verfügung stehenden Wohnraum verkleinerten.
Im Potsdamer Abkommen am 2. August 1945 – der Dreimächte-Konferenz – wurde die Nachkriegsordnung beschlossen. Deutschland wurde von den Alliierten besetzt und das Land wurde in Besatzungszonen aufgeteilt. Berlin behielt einen Sonderstatus und wurde auch in vier Sektoren geteilt. Der von zweiten deutschen Staat – der DDR (Deutsche Demokratische Republik). Die Stadt Berlin behielt ihren Inselstatus – der Ostteil der Stadt – Ostberlin – gehörte dann zur neugegründeten DDR. Dass Stalin den besetzen Teil Polens nicht mehr abgeben würde war durch die Diplomatie vorher schon geregelt, also wurde bei diesen Verhandlungen nur noch über die westlichen, nördlichen und südlichen Grenzen Polens gesprochen – und hier blieb man im Wesentlichen bei der Einigung, die in Jalta im Februar schon erzielt worden war: Die ehemaligen deutschen Gebiete, einschließlich Ostpreußen und Danzig kamen unter polnische Verwaltung. Diese Formulierung wurde so gewählt, da „ … die endgültige Festlegung der Westgrenze Polens bis zu der Friedenskonferenz zurückgestellt werden soll.“
Sopot – 2014
den Sowjets besetzte Osten spaltete sich später ab und wurde zu einem.
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Gdańsk – 2014
Potsdam e r Abkom m e n Artike l 9b )
Bezüglich der Westgrenze Polens wurde folgendes Abkommen erzielt: In Übereinstimmung mit dem bei der Krim-Konferenz erzielten Abkommen haben die Häupter der drei Regierungen die Meinung der Polnischen Provisorischen Regierung der Nationalen Einheit hinsichtlich des Territoriums im Norden und Westen geprüft, das Polen erhalten soll. Der Präsident des Nationalrates Polens und die Mitglieder der Polnischen Provisorischen Regierung der Nationalen Einheit sind auf der Konferenz empfangen worden und haben ihre Auffassungen in vollem Umfange dargelegt. Die Häupter der drei Regierungen bekräftigen ihre Auffassung, daß die endgültige Festlegung der Westgrenze Polens bis zu der Friedenskonferenz zurückgestellt werden soll. Die Häupter der drei Regierungen stimmen darin überein, daß bis zur endgültigen Festlegung der Westgrenze Polens, die früher deutschen Gebiete östlich der Linie, die von der Ostsee unmittelbar westlich von Swinemünde
und von dort die Oder entlang bis zur Einmündung der westlichen Neiße und die westliche Neiße entlang bis zur tschechoslowakischen Grenze verläuft, einschließlich des Teiles Ostpreußens, der nicht unter die Verwaltung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken in Übereinstimmung mit den auf dieser Konferenz erzielten Vereinbarungen gestellt wird und einschließlich des Gebietes der früheren Freien Stadt Danzig, unter die Verwaltung des polnischen Staates kommen und in dieser Hinsicht nicht als Teil der sowjetischen Besatzungszone in Deutschland betrachtet werden sollen. Diese Friedenskonferenz hat jedoch dann nie stattgefunden.
Die DDR hat die Westgrenze Polens schnell anerkannt im Görlitzer Vertrag von 1950. Wesentlich später erreichte die Ostpolitik der BRD unter Willy Brandt, dass Deutschland die Grenzen aller Staaten in Europa als unverletzlich erachtet, auch die Westgrenze Polens. Dies wurde aufgezeichnet in dem Warschauer Vertrag, der am 7. Dezember 1970 unterzeichnet wurde. Als ikonisches Bild denken wir hier besonders an den Kniefall in Warschau
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Wrocław – 2014
von Willy Brandt, der sich, nicht angekündigt, mit dieser Demutsgeste bei dem polnischen Volk für die Verbrechen der Deutschen entschuldigte. Aber auch hierzu ist festzuhalten, dass Deutschland seit dem 8. Mai 1945 kein souveräner Staat mehr war. Von den Siegermächten wurde ein Alliierter Kontrollrat eingesetzt, der erst beim Zwei-plus-Vier-Vertrag formal wieder aufgehoben wurde. Das bedeutet, dass eine souveräne, völkerrechtlich verbindliche Anerkennung der Westgrenze von Polen durch Deutschland erst 1990 beim Zwei-plus-Vier-Vertrag stattfand. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass mit dem Thema der ehemals deutschen Gebite jahrzehntelang Wahlkampf gemacht werden konnte und die Stammtischgespräche mit Munition versorgt wurden. Die Vertriebenen hofften lange Jahre immer noch auf die Rückkehr in ihre Heimat oder wenigstens auf Entschädigung. Es wurden Ressentiments geschürt auf allen Seiten. Zu bedenken ist natürlich auch hier die polnische Seite: Im Zuge der sogenannten Westverschiebung wurden 1944/45 ungefähr 1,2 Millionen Polen durch die Annexion der polnischen Ostgebiete durch die Sowjetunion ihrer Heimat beraubt und in den Westen umgesiedelt. Auch sie hatten Jahr-
zehnte keine Rechtssicherheit darüber, ob der Besitz, der ihnen zugewiesen wurde, wirklich der ihre war und bleiben konnte. Im letzten Kriegsjahr schon und dann nach Kriegsende begann in Polen die sogenannte Polonisierung. Die deutsche Sprache wurde verboten. Auf Denkmälern wurden die deutschen Inschriften herausgemeißelt, Grabsteine wurden teilweise entfernt, Häuser wurden komplett überputzt mit Rauputz, um die Reste der deutschen Kultur zu tilgen. Nicht nur von dieser Geschichte, sondern von der gemeinsamen Geschichte von Deutschen und Polen erzählen die Fotos, die nach dem Kartenteil im vierten Teil dieser Publikation zu finden sind. Fotos, die im Jahr 2014, fast 70 Jahre nach Kriegsende in Polen aufgenommen wurden. Wir, die wir uns heute lieber als Europäer bezeichnen, denn als Deutsche, sollten uns darüber im Klaren sein, dass wir in den Augen der jeweiligen anderen Länder, die wir besuchen aber ganz einfach auch Deutsche sind. Um den jeweils anderen besser zu verstehen, ist es wichtig, die eigene Geschichte und die Geschichte des anderen zu kennen und zu reflektieren.
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Teil 3 – Karten
28
1789
Moskau
Riga
Kowno
Dublin
Minsk
Danzig
Königreich Preussen London
Berlin
Hannover
Amsterdam
Brüssel
Kaiserreich Russland
Wilna
Warschau
Königreich Polen
Dresden
Kiew
Bonn
HEILIGES RÖMISCHES REICH Prag
Frankfurt
Krakau
Habsburger Monarchie Paris
München
Republik Frankreich
Wien
Bratislawa Budapest
Kischinew
Bern
Triest Venedig Turin
Ljubljana Zagreb
Bukarest
30
1793
Moskau
Riga
Kowno
Dublin
Minsk
Danzig
London
Berlin
Hannover
Amsterdam
Brüssel
Königreich Preussen
Dresden
Kaiserreich Russland
Wilna
Warschau
Königreich Polen Kiew
Bonn
HEILIGES RÖMISCHES REICH Prag
Frankfurt
Krakau
Habsburger Monarchie Paris
München
Republik Frankreich
Wien
Bratislawa Budapest
Kischinew
Bern
Triest Venedig Turin
Ljubljana Zagreb
Bukarest
32
1795
Moskau
Riga
Kowno
Dublin
Minsk
Danzig
London
Berlin
Hannover
Amsterdam
Brüssel
Königreich Preussen
Kaiserreich Russland
Wilna
Warschau
Dresden
Kiew
Bonn
HEILIGES RÖMISCHES REICH Prag
Frankfurt
Krakau
Habsburger Monarchie Paris
München
Republik Frankreich
Wien
Bratislawa Budapest
Kischinew
Bern
Triest Venedig Turin
Ljubljana Zagreb
Bukarest
34
1812
Moskau
Riga
Kowno
Dublin
Kaiserreich Russland
Wilna Minsk
Danzig
Kgr. Preussen London
Berlin
Hannover
Amsterdam
Rheinbund
Brüssel
Warschau
Herzogtum Warschau
Dresden
Kiew
Bonn Prag
Frankfurt
Krakau
Kaisertum Österreich
Paris
München
Kaiserreich Frankreich
Wien
Bratislawa Budapest
Kischinew
Bern
Triest Venedig Turin
Ljubljana Zagreb
Bukarest
36
1820
Moskau
Riga
Kowno
Dublin
Minsk
Danzig
London
Amsterdam
Brüssel
Berlin
Hannover
Preussen
Kaiserreich Russland
Wilna
Warschau
Kongresspolen
DEUTSCHER BUND
Dresden
Kiew
Bonn Prag
Frankfurt
Krakau
Kaisertum Österreich
Paris
München
Wien
Bratislawa
Frankreich
Budapest
Kischinew
Bern
Triest Venedig Turin
Ljubljana Zagreb
Bukarest
38
1867
Moskau
Riga
Kowno
Dublin
Minsk
Danzig
London
Amsterdam
Brüssel
Berlin
Hannover
Preussen
Kaiserreich Russland
Wilna
Warschau
NORDDEUTSCHER BUND Dresden
Kiew
Bonn Prag
Frankfurt
Krakau
Österreich-Ungarn
Paris
München
Wien
Bratislawa
Frankreich
Budapest
Kischinew
Bern
Triest Venedig Turin
Ljubljana Zagreb
Bukarest
40
1871
Moskau
Riga
Kowno
Dublin
Minsk
Danzig
London
Berlin
Hannover
Amsterdam
Kaiserreich Russland
Wilna
Warschau
Deutsches Reich Brüssel
Dresden
Kiew
Bonn Prag
Frankfurt
Krakau
Österreich-Ungarn
Paris
München
Wien
Bratislawa
Frankreich
Budapest
Kischinew
Bern
Triest Venedig Turin
Ljubljana Zagreb
Bukarest
42
1921
Moskau
Riga
Russische Sozialistische Föderative Sowjet-Republik
Lettland Litauen
Kowno
Dublin
deutsch
Danzig
London
Berlin
Hannover
Amsterdam
Warschau
Deutsches Reich Brüssel
Wilna Minsk
Weissrussische SSR
Polen
Dresden
Kiew
Bonn
Ukrainische SSR Prag
Frankfurt
Krakau
Tschechoslowakei Paris
München
Frankreich
Wien
Bratislawa Budapest
Österreich
Bern
Triest Venedig Turin
Ungarn
Kischinew
Rumänien
Ljubljana Zagreb
Bukarest
44
1 9 49
Moskau
Riga
Lettland
UDSSR
Litauen
Kowno
Dublin
russisch Danzig
London
Brüssel
Berlin
Hannover
Amsterdam
Warschau
Minsk
Weissrussische SSR
Polen
DDR
BRD
Wilna
Dresden
Kiew
Bonn
Ukrainische SSR Prag
Frankfurt
Krakau
Tschechoslowakei Paris
München
Frankreich
Wien
Moldau SSR
Bratislawa Budapest
Österreich
Bern
Triest Venedig Turin
Ungarn
Kischinew
Rumänien
Ljubljana Zagreb
Bukarest
46
1993
Moskau
Riga
Lettland
Russland
Litauen
Kowno
Dublin
russisch Danzig
London
Amsterdam
Brüssel
Berlin
Hannover
Bundesrepublik Deutschland
Wilna Minsk
Weissrussland Warschau
Polen Dresden
Kiew
Bonn
Ukraine Prag
Frankfurt
Paris
Krakau
Tschechien München
Frankreich
Wien
Slowakei Bratislawa
Moldau Budapest
Österreich
Bern
Triest Venedig Turin
Ungarn
Kischinew
Rumänien
Ljubljana Zagreb
Bukarest