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lichen Kategorien

Wann ist eine Frau eine Frau?

Frau, Frauen*, trans*, inter_, nicht-binär und/oder genderfrei: Überlegungen zu gesellschaftlichen Kategorien

„Wann ist eine Frau eine Frau?“ – diese Frage erreichte uns mit der An_frage diesen Beitrag für das „z.B.“ zu schreiben. Die Beantwortung dieser Frage ist seit Jahrhunderten ein Politikum, wird auch heute von unterschiedlichsten Disziplinen (Medizin/Biologie, Soziologie, Psychologie, Disability, Gender und Postcolonial Studies) sehr unterschiedlich diskutiert. Und so werden wir uns nicht anmaßen, eine allgemeingültige Antwort auf diese Frage zu suchen, sondern vielmehr haben wir uns entschieden die Frage selbst zu unter_suchen: Was macht diese Frage? Wens1 kann/darf/soll dies beantworten? (Wann) Ist diese Frage überhaupt relevant? Und: Können wir statt nach Antworten, nicht vielmehr nach neuen Fragen suchen? Interessant ist da zunächst, dass die heute im Alltagsverständnis nach wie vor gängige Annahme, die „Biologie“ sei grundlegend wichtig für das Geschlecht, historisch relativ jung ist. Bis ins 18. Jahrhundert gab es verschiedene Geschlechtervorstellungen, darunter das so genannte „Ein-Geschlecht-Modell“, nach dem Geschlecht ein Kontinuum darstellte und Frauen als „unfertige“ und weniger „vollkommene“ Männer galten, aber nicht als grundlegend verschieden. Die Vorstellung, dass aus körperlichen Eigenschaften, etwa der Beschaffenheit von Knochenbau, Nerven oder Muskulatur, psychische Eigenschaften von Männern und Frauen abgeleitet werden können, setzte sich erst im

1Wir verwenden in diesem Beitrag eine Möglichkeit gendersensibler Sprache, nämlich die genderinklusive/genderfreie Endung ‚ens‘ (aus dem Wort mENSch), in Anlehnung an Hornscheidt & Sammla (2020) Das Women’s Rights Pioneers Monument im Central Park (New York, USA) zeigt Sojourner Truth, Susan B. Anthony und Elizabeth Cady Stanton. Es wurde am 26.8.2020 anlässlich 100 Jahre Frauenwahlrecht in den USA eingeweiht.

19. Jahrhundert durch. Sie ging so weit, dass Frauen wegen deshalb zugesprochenen Eigenschaften wie Emotionalität, Passivität, Schwäche, Wankelmütigkeit usw. von den bürgerlichen Rechten und dem Zugang zu höherer Bildung ausgeschlossen wurden. Die polare Wahrnehmung der Geschlechter wurde als „natürlich“ legitimiert und diente der Aufrechterhaltung patriarchaler Herrschaft. Und so bildet die Beantwortung der Frage „Wann ist eine Frau eine Frau?“ lange die Basis, um gesellschaftliche Benachteiligungen und Ausschlüsse zu rechtfertigen, auch heute noch. Diese Frage schafft jedoch auch innerhalb der Kategorie „Frauen“ Ausgrenzungen. Sie definiert, wens zu dieser Gruppe von Menschen gehört, wens diese Bezeichnung für sich beanspruchen darf und wens nicht. In einer Rede vor der Women's Convention in Akron (Ohio, USA) stellte 1851 die ehemals versklavte Sojourner Truth die Frage: Ain’t I a Woman? [Bin ich keine Frau?]. Sie fordert gleichzeitig die Beendigung von Sklaverei, Rechte für Afroamerikan*erinnen und Rechte für Frauen: „That man over there says that women need to be helped into carriages, and lifted over ditches, and to have the best place everywhere. Nobody ever helps me into carriages, or over mud-puddles, or gives me any best place! And ain’t I a woman?” Truth kommt nicht vor in dem weiß-bürgerlichen FrauenVerständnis dieser Zeit, welches Frauen sowohl als schwächer sowie als intellektuell und körperlich minderwertig und daher schützenswert und zu bevormunden herstellte. Diese Vorstellung forderte Truth heraus und verlangte dadurch

Für Bündnisse und Solidarität ist es nicht nötig zu wissen, wens wann und warum eine Frau* ist. „Intersectional Rosie the Riveter“ von Tyler Feder

Foto: Flavia Guerrini

gleichzeitig, als Frau anerkannt zu werden und dass Frauen Rechte erhalten sollen. So erzählt uns die vorherrschende Definition dessen „Wann eine Frau eine Frau“ ist, nicht nur viel über die GeschlechterVorstellungen einer Gesellschaft, sondern auch über Klassen- und Herkunftsvorstellungen und Ausgrenzungen aufgrund von Rassismus und beHindert-werden. Truth forderte die Anerkennung als Frau ein. Ähnlich taten und tun dies Aktivistinnen der Behinderten-Bewegungen, wenn sie kritisieren, dass behinderten Frauen ihr Frau-Sein gesellschaftlich abgesprochen wird und sie als Kinder, geschlechtslos, oder nicht als volle Menschen und deshalb auch nicht geschlechter-relevant wahrgenommen werden. Ähnlich kritisieren heute trans* und inter* Frauen und Frauen mit Transvergangenheit, dass sie aus einigen Frauen-Verständnissen und Räumen ausgeschlossen werden. In all diesen Fällen grenzt die dominante Definition von Frau-Sein aus. Denn sie definiert Frau-Sein (auch) als weiß, bürgerlich, nicht-beHindert, cis-geschlechtlich und heterosexuell. Über die Definition dessen, wann eine Frau eine Frau ist, können aber auch Einschlüsse und Zwänge geschaffen werden. „Man ist nicht als Frau geboren, man wird es“, postulierte Simone de Beauvoir 1948 und kritisierte damit die Vorstellung einer weiblichen Natur. Hinter diese Erkenntnis, dass Geschlecht, also auch das, was wir als ‚biologisch‘ oder ‚natürlich‘ betrachten, sozial konstruiert ist, können wir als Gesellschaft nicht mehr zurück. Das bedeutet natürlich nicht, dass Geschlecht in seinen Wirkungen nicht sehr real ist – im Gegenteil. Bis heute ist das Geschlecht für viele Menschen ein zentraler Bezugspunkt ihrer Identität. Der Prozess des Frau-Werdens beginnt für viele Menschen damit, dass ihnen bei Geburt meist eines von zwei Geschlechtern zugeordnet wird. Darauf basierend werden geschlechterspezifische Erwartungen an diese Person gerichtet (z.B. als Tochter/Sohn, Schwester/Bruder, Ehefrau/Ehemann, Mutter/Vater,...). Von vielen Menschen wird diese Einordnung als ‚Frau‘ oder ‚Mann‘ nicht als selbstbestimmte oder freie Wahl erlebt, sondern vielmehr als (vor-)gegeben, als unumgängliche fixe Kategorie, die lebenslang gleichbleiben soll und an dessen Erfüllung oder nicht-Erfüllung mensch im Lebensverlauf gemessen wird. Dies gilt beispielsweise auch für trans* Männer, nicht-binäre und genderfreie Menschen, die bei Geburt teilweise als ‚Frau‘ oder ‚Mädchen‘ eingeordnet werden, diese Erwartungen und Rollen für sich nicht als stimmig empfinden und trotzdem immer auf diese Kategorie zurückgeworfen werden. Zwar gibt es unterdessen rechtliche Möglichkeiten den Geschlechtseintrag zu ändern (in vielen Ländern wurde in den letzten Jahren neben männlich und weiblich auch divers als Eintrag ermöglicht) oder zu streichen. Doch ist die juristische und gesellschaftliche Anerkennung der eigenen (nicht-)geschlechtlichen Identifikation mit sehr vielen administrativen und oft auch gutachterlichen Hürden verbunden. Selbstverständlich schafft die Kategorie „Frau“ nicht nur Ausgrenzungen und Einschlüsse. Sie ermöglicht auch Projekte der Solidarisierung und Verbündung sowie politische Maßnahmen und Strategien zur Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Diskriminierung, Benachteiligung und Gewalt: beispielsweise die FrauenLesbenVernetzung Tirol, Frauenquoten, Frauenhäuser, die Geschlechter- und Frauenforschung usw. Solche Projekte und Strategien sind wichtig, um Vernetzung zu ermöglichen und Diskriminierungsstrukturen entgegen zu wirken. Sie können aber auch Gefahr laufen, die oben genannten Einschlüsse und Ausgrenzungen zu re_produzieren. Und so stellt sich in vielen Punkten die

Foto: Michelle Schmollgruber

Foto: privat Flavia Guerrini positioniert sich politisch als Frau* und arbeitet am Institut für Erziehungswissenschaft und am CGI – Center interdisziplinäre Geschlechterforschung der Universität Innsbruck in den Bereichen kritische Geschlechterforschung und historische Bildungsforschung.

Eliah Lüthi versteht sich als genderfrei und gestaltet als Akademie der Unvernunft künstlerische_aktivistische_wissenschaftliche Workshops, Seminare, Performances, Texte und Veranstaltungen zu Psychiatriekritik, Mad Studies und Gender.

Frage, ob „Wann ist eine Frau eine Frau?“ die zentrale Frage ist. Ist es wichtig zu wissen, wens warum eine Frau ist, um Ungleichheitsstrukturen, Diskriminierung und Gewalt zu benennen? Wann ist es sinnvoll, sich auf die Kategorie „Frau“ zu beziehen und wann nicht? Um doch noch einmal auf die Ausgangsfrage zurückzukommen, plädieren wir zunächst dafür, dass ein Mensch dann eine Frau ist, wenn sie sich als Frau versteht: In Bezug auf geschlechtliche Identitäten und Positionen soll das Recht auf Selbstbestimmung anerkannt werden. Ausschlüsse und Fehladressierungen können durch möglichst sensibles und inklusives Wahrnehmen, Sprechen und Handeln weitgehend vermieden werden, etwa durch Sprachformen, die kein Geschlecht, mehrere Geschlechter und genderfrei adressieren: z.B. Schül*erinnen, Studierende, Lehrens oder Kinder (anstelle von Mädchen und Buben). In vielen Situationen ist Geschlecht nicht von vordergründiger Bedeutung und oft kann es sinnvoll sein, Geschlecht zu dethematisieren oder zu entdramatisieren, wo es nicht relevant ist. Aber: das Geschlecht ist nach wie vor eine Dimension gesellschaftlicher Strukturen, die mit Hierarchie, Macht und Herrschaft einhergehen. Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten das zu benennen, ohne die obengenannte Ein- und Ausschlüsse zu reproduzieren: (1) Formulierung mit *: „Die Gruppe der Frauen* wird zugunsten der Gruppe der Männer* benachteiligt.“ Hier dient der Begriff Frau* mit Sternchen dann nicht der Beschreibung von Personen, sondern der Benennung von Ungleichheiten, Diskriminierung und Gewalt. (2) Formulierungen mit Mehrfachnennung: „Frauen, trans*, inter_, nicht-binäre und genderfreie Menschen werden zugunsten von cis-Männern benachteiligt.“ Die Mehrfachnennung macht unterschiedliche Geschlechtsidentitäten und deren Benachteiligung sichtbar. Auch verweist die explizite Nennung von ‚cis‘ auf das Privileg, wenn Menschen sich mit dem Geschlecht identifizieren, welches ihnen bei Geburt zugewiesen wurde. (3) Benennung von Diskriminierung statt Identität: „Menschen werden über die Zuschreibung von Geschlecht benachteiligt oder bevorzugt (z.B. ungleiche Bezahlung, mediale Darstellung, geschlechterspezifische Gewalt usw.).“ Die Benennung der Machtstrukturen verdeutlicht, dass es sich um ein strukturelles Problem handelt, ohne die Kategorien von ‚Frauen‘ und ‚Männern‘ zu reproduzieren. In diesem Beitrag haben wir gezeigt, dass ein einzelner Begriff „Frauen“ viele unterschiedliche Bedeutungen und Funktionen haben kann: Er kann einschließen, ausschließen, verbünden, stark-machen und auf Ungleichheiten hinweisen. Es gibt nicht die eine richtige Weise auf Geschlecht und die Diskriminierung über Geschlecht Bezug zu nehmen. Sprache gibt uns jedoch allen die Möglichkeit nach eigenen Wegen und Formulierungen zu suchen, in denen wir uns wiederfinden – in unseren Selbstverständnissen und in der Weise, wie wir die Welt in und um uns herum wahrnehmen. Flavia Guerrini und Eliah Lüthi

Literaturangaben: AK ProNa (2015): Mein Pronomen ist ___ Mein Name ist___ https://meinnamemeinpronomen.wordpress.com/ Hornscheidt, Lann & Sammla, Ja'n (2020): Wie schreibe ich divers? Wie spreche ich gendergerecht? Ein Praxis-Handbuch zu Gender und Sprache Maihofer, Andrea (1995): Geschlecht als Existenzweise Truth, Sojourner (1851): Ain’t I a woman?

Beenden IIb

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