z.B. Nr. 6/2020

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FRAUEN

Frau, Frauen*, trans*, inter_, nicht-binär und/oder genderfrei: Überlegungen zu gesellschaftlichen Kategorien

„Wann ist eine Frau eine Frau?“ – diese Frage erreichte uns mit der An_frage diesen Beitrag für das „z.B.“ zu schreiben. Die Beantwortung dieser Frage ist seit Jahrhunderten ein Politikum, wird auch heute von unterschiedlichsten Disziplinen (Medizin/Biologie, Soziologie, Psychologie, Disability, Gender und Postcolonial Studies) sehr unterschiedlich diskutiert. Und so werden wir uns nicht anmaßen, eine allgemeingültige Antwort auf diese Frage zu suchen, sondern vielmehr haben wir uns entschieden die Frage selbst zu unter_suchen: Was macht diese Frage? Wens1 kann/darf/soll dies beantworten? (Wann) Ist diese Frage überhaupt relevant? Und: Können wir statt nach Antworten, nicht vielmehr nach neuen Fragen suchen? Interessant ist da zunächst, dass die heute im Alltagsverständnis nach wie vor gängige Annahme, die „Biologie“ sei grundlegend wichtig für das Geschlecht, historisch relativ jung ist. Bis ins 18. Jahrhundert gab es verschiedene Geschlechtervorstellungen, darunter das so genannte „Ein-Geschlecht-Modell“, nach dem Geschlecht ein Kontinuum darstellte und Frauen als „unfertige“ und weniger „vollkommene“ Männer galten, aber nicht als grundlegend verschieden. Die Vorstellung, dass aus körperlichen Eigenschaften, etwa der Beschaffenheit von Knochenbau, Nerven oder Muskulatur, psychische Eigenschaften von Männern und Frauen abgeleitet werden können, setzte sich erst im 1 Wir verwenden in diesem Beitrag eine Möglichkeit gendersensibler Sprache, nämlich die genderinklusive/genderfreie Endung ‚ens‘ (aus dem Wort mENSch), in Anlehnung an Hornscheidt & Sammla (2020)

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zum Beispiel Nr. 6/2020

Foto: Brecht Bug, CC BY-NC-ND 2.0

Wann ist eine Frau eine Frau? Das Women’s Rights Pioneers Monument im Central Park (New York, USA) zeigt Sojourner Truth, Susan B. Anthony und Elizabeth Cady Stanton. Es wurde am 26.8.2020 anlässlich 100 Jahre Frauenwahlrecht in den USA eingeweiht.

19. Jahrhundert durch. Sie ging so weit, dass Frauen wegen deshalb zugesprochenen Eigenschaften wie Emotionalität, Passivität, Schwäche, Wankelmütigkeit usw. von den bürgerlichen Rechten und dem Zugang zu höherer Bildung ausgeschlossen wurden. Die polare Wahrnehmung der Geschlechter wurde als „natürlich“ legitimiert und diente der Aufrechterhaltung patriarchaler Herrschaft. Und so bildet die Beantwortung der Frage „Wann ist eine Frau eine Frau?“ lange die Basis, um gesellschaftliche Benachteiligungen und Ausschlüsse zu rechtfertigen, auch heute noch. Diese Frage schafft jedoch auch innerhalb der Kategorie „Frauen“ Ausgrenzungen. Sie definiert, wens zu dieser Gruppe von Menschen gehört, wens diese Bezeichnung für sich beanspruchen darf und wens nicht. In einer Rede vor der Women's Convention in Akron (Ohio, USA) stellte 1851 die ehemals versklavte Sojourner Truth die Frage: Ain’t I a Woman? [Bin ich keine Frau?]. Sie fordert gleichzeitig die Beendigung von Sklaverei, Rechte für Afroamerikan*erinnen und Rechte für Frauen: „That man over there says that women need to be helped into carriages, and lifted over ditches, and to have the best place everywhere. Nobody ever helps me into carriages, or over mud-puddles, or gives me any best place! And ain’t I a woman?” Truth kommt nicht vor in dem weiß-bürgerlichen FrauenVerständnis dieser Zeit, welches Frauen sowohl als schwächer sowie als intellektuell und körperlich minderwertig und daher schützenswert und zu bevormunden herstellte. Diese Vorstellung forderte Truth heraus und verlangte dadurch


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