Leseprobe "Kleine Geschichte der Stadt Bruchsal" von Thomas Adam

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Kleine Geschichte der Stadt Bruchsal


Kleine Geschichte der Stadt

Bruchsal Thomas Adam

G. Braun Buchverlag


Erschienen in der Reihe: »Regionalgeschichte – fundiert und kompakt«

Karlsruhe www.gbraun-buchverlag.de

© 1. Auflage 2006 by DRW-Verlag Weinbrenner GmbH & Co. KG, Leinfelden-Echterdingen Satz: post scriptum, Emmendingen / Hinterzarten Druck: W. Kohlhammer Druckerei GmbH & Co. KG

Bildnachweis: Städtisches Museum Bruchsal: 10, 22, 33, 37, 50, 56, 67, 87, 89, 99, 111, 114, 128, 145, 154, 166, 187, 202, 211, 213, 216, 219, 227, 236 Stadtarchiv Bruchsal: 27, 63, 72/73, 81, 96/97, 105, 106, 137, 150, 159, 164, 180, 184, 190, 193, 194, 223 Generallandesarchiv Karlsruhe: 42 (J - D - B/5) Privat: 120, 197, 247 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes (auch Fotokopien, Mikroverfilmung und Übersetzung) ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt auch ausdrücklich für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen jeder Art und von jedem Betreiber. ISBN 3 - 7650 - 8339 - 9

Inhaltsverzeichnis

Geltung und Selbstverständnis einer Stadt

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Bevor es Bruchsal gab

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Königshof

17

Bischofsstadt

21

Im Zeitalter der Glaubensspaltung

53

Ein Jahrhundert Krieg

64

Hauptstadt für achtzig Jahre

78

Das Hochstift im Herbst

112

Die Säkularisation und ihre Folgen

131

Revolution und Einzelhaft

156

Eine katholische Großstadt?

173

Vom Kaiserreich nach Weimar

188

Diktatur

207

Neubeginn

220

Suche nach modernem Selbstverständnis

231

Ausgewählte Literatur

253


Geltung und Selbstverständnis einer Stadt

»Es ist gewiß für jeden Bürger ein angelegentliches Bedürfniß, die Merkwürdigkeiten und Schicksale seiner Vaterstadt zu kennen. Da es aber bis jetzt noch niemand unternommen, eine Geschichte der Stadt Bruchsal zu schreiben, und alles, was man davon weiß, in Bruchstücken zerstreut und nur in größeren kostspieligen Werken enthalten ist, so habe ich es versucht.« Mit diesem Befund leitete 1863 der bildungsbeflissene Bäckermeister Andreas Rößler seine kleine »Geschichte der Stadt Bruchsal« ein. Kaum 70 Seiten stark, war diese Abhandlung der tatsächlich erste Versuch, die Historie der Stadt im raschen Eilschritt durch die Zeiten zusammenhängend darzustellen. Fast anderthalb Jahrhunderte sind seitdem vergangen. Die Masse an Literatur über Bruchsal ist enorm angewachsen, ausgezeichnete Darstellungen zu einzelnen Epochen und Themen sind erschienen, aber ihre Berechtigung haben Rößlers Worte doch in mancher Hinsicht bis heute behalten. Denn obwohl das dünne Büchlein aus der Feder des wackeren Bäckers weit davon entfernt ist, die Bruchsaler Stadtgeschichte erschöpfend zu behandeln, hat nach ihm und bis heute niemand mehr einen solchen historischen Gesamtüberblick herausgegeben. Am ehesten noch finden sich inhaltliche Ansätze dazu in einigen älteren Buchveröffentlichungen – darunter »Bruchsaler Heimatgeschichte« und »Bruchsal wie es war«, beide 1955 erschienen. Das Fehlen einer eigentlichen »Geschichte der Stadt Bruchsal« hat sicher verschiedene Gründe. Der Anspruch, der mit einem solchen Titel erhoben wird, erscheint als recht hoch, und das


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Geltung und Selbstverständnis einer Stadt

dazugehörige Buch zu schreiben ist kein geringes Unterfangen. Ob umfassend oder kurz, beides hat seine Tücken. Eine ausführliche Stadtgeschichte zu verfassen bedeutet, vor einer Unmenge an Quellen zu stehen – vor Akten, Rechnungsbänden, Zeitungen, Bildern – und diese auszuwerten. 500 oder 1000 Seiten zu füllen ist beileibe keine Kunst, soll die ganze Bandbreite der historischen Entwicklung einer Stadt wirklich erfasst werden. Noch schlimmer ergeht es dem, der eine kurze Stadtgeschichte von – sagen wir – hundert Manuskriptseiten schreibt. Selten kann er, wie weiland der sprichwörtliche Prophet im eigenen Land, auf Anerkennung hoffen; allenfalls auf Nachsicht. Das Spektrum dessen, was er hat weglassen müssen, ist grenzenlos. Je näher die Darstellung der unmittelbaren Gegenwart rückt, desto offensichtlicher werden die Aussparungen. Es fehlen weit mehr Themen als wirklich berücksichtigt sind, und keiner wüsste das besser als der Verfasser selbst. In einem wesentlichen Punkt unterscheidet sich sein Los daher vom Schicksal des Autors einer ausführlichen Stadtgeschichte: Der nämlich steht meist für Dinge in der Kritik, die er geschrieben hat. Hingegen gerät der Verfasser einer kurzen Stadtgeschichte gewöhnlich ins Kreuzfeuer, weil er – so meint man – in seinem lückenhaften Werkchen zu vieles nicht geschrieben, sondern schlicht »vergessen« hat. Wenn aber der Autor seine Arbeit halbwegs gut gemacht hat, dann sind diese Lücken nur scheinbar. Sicher lässt sich wenig von dem, was subjektiv als bedeutungsvoll angesehen wird, auch wirklich darstellen. Für individuelle Lebenserinnerungen und Anekdoten mit Lokalkolorit ist auf hundert Seiten Stadtgeschichte schlicht kein Platz. Dennoch sollte der Leser sämtliche wichtigen Themen angesprochen finden. Der Autor darf nicht alle irgendwo erwähnten Geschichten für relevant halten, muss aber alles geschichtlich Relevante – und nur das – irgendwo und irgendwie erwähnen. Seine Kunst liegt in der Verdichtung, in der Beschränkung auf das Wesentliche. Wer die kurz gefasste

Geltung und Selbstverständnis einer Stadt

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Geschichte einer Stadt schreiben will, benötigt daher in erster Linie eine Fragestellung, die er bei der Auswahl seiner Fakten im Auge behalten muss. Auch diese »Kleine Geschichte der Stadt Bruchsal« hat eine solche Fragestellung, die sie immer wieder aufgreift: Wie wurde die Stadt zur jeweiligen Zeit im Rahmen der Ereignisse gesehen – von der Landesherrschaft, von den umliegenden Dörfern, von Reisenden – und welche Außenwirkung kam ihr zu? Das ist gewissermaßen der Blick aus der Vogelschau, die Perspektive von »oben«. Dann weiter: Wie sahen die Bruchsaler selbst ihre Stadt und ihre Situation? Wie reagierten sie darauf, von anderen in bestimmter Weise wahrgenommen zu werden? Und wie wären sie selber gerne gesehen worden? Das ist die Perspektive von »innen«. Beides zusammen führt zur Frage nach der Geltung und dem Selbstverständnis von Bruchsal in der Geschichte: Inhalt ist die Suche einer Stadt nach ihrer Rolle – politisch, gesellschaftlich, ökonomisch –, zugleich ihr Kampf gegen Veränderungen, die andere ihr aufzuzwingen versuchten. Ob der Anspruch einzulösen und eine solche Frage wirklich zu beantworten ist, muss am Ende der Leser entscheiden. Der Autor dieser kleinen Geschichte von Bruchsal ist jedenfalls seinem Vorgänger und Schicksalsgenossen Andreas Rößler zutiefst verbunden, weil er ihm eine treffende Wendung hat abschauen dürfen. Rößler nämlich bat 1863 das geneigte Publikum vorweg um Verständnis: »Meine gute Absicht möge die Mängel meines Schriftchens entschuldigen.« Es gibt einfach Dinge, die lassen sich auch anderthalb Jahrhunderte später nicht besser formulieren.


Wo es sich gut leben lässt

Bevor es Bruchsal gab

Im Oktober 1884 spazierte ein Mann über den Michaelsberg bei Untergrombach, wenige Kilometer südlich von Bruchsal. August von Cohausen, pensionierter Oberst und leidenschaftlicher Altertumsforscher, besaß ein geschultes Auge. Tatsächlich fand er beim wohl nicht ganz zufälligen Nachsuchen auf uraltem Kulturboden einige unscheinbare Fragmente aus Ton, ohne ihnen jedoch eine besondere Bedeutung beizumessen. Mit dem Vermerk, er sei auf ein paar Scherben gestoßen, »an sich wertlos«, übergab Cohausen seinen Fund den zuständigen Stellen in Karlsruhe. Dort erkannte man, dass des Obersten Urteilsvermögen in diesem Fall weniger scharf gewesen war als sein Auge. Einige Jahre später ließen der Karlsruher Altertumsverein und die Großher-

Jungsteinzeitliche Tulpenbecher. Tongefäße der Michelsberger Kultur (um  v. Chr.)

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zoglichen Sammlungen auf dem Michaelsberg erste Grabungen vornehmen, geleitet von Karl Schumacher, dem späteren Direktor des Römisch-Germanischen Zentralmuseums in Mainz. Die vermeintlich wertlosen Scherben, so stellte sich heraus, stammten von einer zuvor unbekannten jungsteinzeitlichen Kultur, die nach dem Ort ihres Erstfundes fortan die »Michelsberger« heißen sollte. Der Berg gibt einer Zivilisation seinen Namen, die für den Zeitraum von 4200 bis 3500 v. Chr. zwischen Westfrankreich und neuen Bundesländern sowie zwischen Benelux und Bodensee nachweisbar ist.

Wo es sich gut leben lässt So beginnt die menschliche Geschichte in der Landschaft um Bruchsal, lange bevor es eine Stadt dieses Namens gab. Günstige klimatische Verhältnisse, hochwertige Böden und ein – in ökologischer Hinsicht – immenser Artenreichtum bedingten in der Steinzeit und auch später die Siedlungsentwicklung. Am vorderen Kraichgaurand herrschten für sesshaft gewordene Bauern und Viehzüchter ideale Bedingungen. Die Wälder konnten großflächig gerodet, nährstoffreiche Äcker unter den Pflug genommen werden. Zudem bot sich das angrenzende Rheintal als Jagd- und Sammelrevier an. Und so vielfältig das natürlich vorhandene Potenzial an Natur und Landschaft, so mannigfaltig auch die jungsteinzeitliche Wirtschaftsweise, die sich gerade hier entwickeln konnte. Variantenreich und qualitativ hochwertig ist das Arsenal der Geräte aus Stein und Geweih, dessen sich die Michelsberger Kultur bediente. Die spezifische Tulpenform ihrer Tongefäße unterscheidet sie von anderen, gleichzeitigen Siedlergruppen. Ausgedehnte Handelsbeziehungen werden durch Werkzeuge aus Feuerstein oder Felsarten bezeugt, deren Lagerstätten hunderte Kilometer vom Fundort entfernt liegen.


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Bevor es Bruchsal gab

Eine so fruchtbare Landschaft wie der vordere Kraichgau ermunterte zu relativ dichter Besiedelung. Vier Dorfanlagen, so genannte »Erdwerke«, hat die Michelsberger Kultur im Raum Bruchsal hinterlassen, stets auf Anhöhen, mindestens zu zwei Seiten durch Täler begrenzt. Schon diese topografische Gleichartigkeit der Standorte lässt ihre bewusste und zweckbestimmte Auswahl erahnen. Gräben, aus dem Boden aufgehäufte Wälle und wohl auch hölzerne Zäune umschlossen die mehrere Hektar großen Siedlungsbereiche. Erdbrücken führten über die Gräben ins Dorf, daneben gefundene Hörner von Auerochsen gehörten vielleicht zu den Torkonstruktionen. Diese befestigten Erdwerke der Michelsberger Kultur stellen die ältesten Zeugnisse menschlicher Gemeinschaftsleistungen in Süddeutschland dar. Als erste ansatzweise stadtartige Siedlungen im westlichen Mitteleuropa könnten die Anlagen politische und religiöse Mittelpunkte der Region gebildet haben. In ihrer aufwändigen Gestaltung waren sie nur möglich dank einem gesellschaftlichen Konsens, der kultische, politische und/oder wirtschaftliche Hintergründe besaß. Sicher ist: Wo es sich gut leben lässt, da drängen auch viele andere nach, und das führt unvermeidlich zu Konflikten. Der Druck auf diesen klimatisch begünstigten Raum und auf die Menschen, die vor rund  Jahren in ihm lebten, mündete möglicherweise in bewaffnete Auseinandersetzungen. Der Bau von Verteidigungsanlagen war die konsequente Antwort darauf.

Diese dichte Besiedelung bedeutete aber auch eine intensive Landnutzung. Starker Viehtrieb in die Wälder und Ausbeutung der Forste für Bau- und Feuerholz führten zu gravierenden Störungen des ökologischen Gleichgewichts durch den Menschen. Die einstigen Waldböden waren bloßgelegt, Ackerbau und Über-

Das Bruchsal der Römer hieß Stettfeld

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weidung laugten sie aus. In den Lössgebieten muss es, vielleicht auch unter Einwirkung zunehmender Starkregen, zu einem massiven Erosionsschub auf diesen ungeschützten Flächen gekommen sein – wohl eine der frühesten von Menschen verursachten Umweltveränderungen in der Geschichte. Die Folgen waren weitreichend: Als die Michelsberger Kultur um 3500 v. Chr. aus der Region verschwand, scheint das Land zunächst für viele Generationen siedlungsleer geblieben zu sein. Vier Jahrhunderte dauerte es, ehe am Ende der Jungsteinzeit neue Zivilisationsgruppen auch in Südwestdeutschland auftraten. Der Boden hatte sich wieder einigermaßen erholt, ein lichter Buchenwald stockte auf der zuvor geschädigten Landschaft. Erste Metallgegenstände aus Kupfer gelangten zunächst über weitläufige Handelsbeziehungen hierher, bis die Technik des Erzverarbeitens auch unter der eingesessenen Bevölkerung Verbreitung fand. Die Gesellschaft entwickelte sich auseinander, zunehmend traten soziale Unterschiede hervor. Aufwändige Bestattungen bis hin zu so genannten »Fürstengräbern« waren charakteristisch für Mitglieder einer sozialen Oberschicht, während in vereinzelten, ärmlicheren Flachbrandgräbern wohl die weniger reiche Schicht der Bevölkerung beigesetzt wurde.

Das Bruchsal der Römer hieß Stettfeld In den Jahrzehnten um Christi Geburt eroberten die Römer das rechtsrheinische Germanien. Das Land wurde zur Provinz. Durch Straßenbauten erschlossen die neuen Herren ihren Besitz, parzellierten ihn und vergaben den Boden an Kleinpächter, zumeist wohl ehemalige Legionäre. Weil dafür Abgaben in bestimmter Höhe zu entrichten waren, wurde das Gebiet des späteren Baden »agri decumates« genannt: die Zehntlande. Am östlichen Rand der Oberrheinebene legten die Römer von Süden nach Norden


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Bevor es Bruchsal gab

die Bergstraße an, parallel dazu in der sandigen Niederterrasse die Rheintalstraße als Verbindung zwischen den Militärgarnisonen Argentorate (Straßburg) und Mogontiacum (Mainz). Zu wichtigen Zentralorten entwickelten sich Aquae (Baden-Baden) und Lopodunum (Ladenburg). Die beiden Straßen von Norden nach Süden kreuzten sich in diesem Raum mit gleichfalls zwei Ost-West-Verbindungen. An den jeweiligen Schnittpunkten entstanden stark bevölkerte Zivilsiedlungen. Aber nicht die Einmündung des Saalbachs in die Rheinebene, wo sich später Bruchsal ausdehnen sollte, wurde wichtiger Knotenpunkt römischer Straßen. Wahrscheinlich um dieses damals noch versumpfte Tal zu umgehen, hatten die Kolonisten stattdessen eine weit mühsamere Route durch das Strombergmassiv gewählt. Das Bruchsal der Römer, also das regionale Mittelzentrum zwischen den heutigen Städten Heidelberg und Karlsruhe, heißt Stettfeld, etwa zehn Kilometer weiter nördlich gelegen, mit seinen bis zu 1000 Einwohnern damals eine beachtliche Siedlung. Von Speyer her kommend, kreuzte hier die Wegstrecke in Richtung Bad Cannstadt am mittleren Neckar die Bergstraße und verlief weiter durch den Kraichgau. Der Bruchsaler Raum selbst war wohl eher geprägt von zahlreichen kleineren Gutshöfen, den »Villae rusticae«, die vielerlei produzierten, von Fleisch über Getreide bis hin zu Fasern für die Tuchherstellung. Bodennutzung und Landeskultur dieser Betriebe waren beachtlich, ihr engmaschiges Netz gewährleistete weitgehende ökonomische Selbstversorgung. Durch äußeren Druck und innere Krisen geschwächt, zogen die Römer ihre Truppen Mitte des 3. Jahrhunderts aus Südwestdeutschland über den Rhein zurück. Die Alamannen, germanische Clans und Stammesverbände, rückten nach. Was in Stettfeld bislang eine Verkehrsgunst war und die Geltung der Siedlung ausmachte, nämlich die Straßenkreuzung, wandelte sich nun zur Ungunst: Freund und Feind marschierte durch, was selten

Die Franken

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viel Gutes zur Folge hatte. Stettfeld verlor seine zentralörtliche Funktion zugunsten einer alamannischen Siedlung am Ort des heutigen Bruchsal. Es war bezeichnend für die neuen Herren des Landes, dass sie nicht direkt an römische Strukturen anknüpften, sondern Siedlungsschwerpunkte verlagerten, dass sie bestehende Ortschaften mieden und sich an anderer Stelle niederließen. Die Alamannen entschieden sich für den Austritt des Saalbachs in die Oberrheinsenke. Ein frühmittelalterliches Gräberfeld auf der Bruchsaler »Reserve«, der nördlichen Höhe des Tals, diente im späten 5. und frühen 6. Jahrhundert für Bestattungen von Angehörigen einer offenbar gehobenen sozialen Schicht. Mit ihrer Siedlung verlegten die germanischen Einwanderer auch den Verkehrsknotenpunkt hierher. Der Standort Bruchsal gewann an Bedeutung.

An der Schwelle zur Stadtgeschichte: Die Franken Bald aber zerbrach die Macht der Alamannen wieder. Um 500 unterlagen sie ihren mehr und mehr erstarkenden Rivalen, den fränkischen Merowingern. Auch aus Bruchsal wurden sie verdrängt. Die Belegung des Gräberfeldes auf der »Reserve« brach ab, die nachrückenden Franken verlagerten den Siedlungsschwerpunkt ab etwa Mitte des 6. Jahrhunderts auf die Höhe über dem südlichen Saalbachufer. Es ist der Bereich um die heutige Peterskirche, ein Stück Land mit ebenfalls idealen Bedingungen, hochwasserfrei gelegen oberhalb des sumpfigen Tals. In der neuen fränkischen Siedlung, zu der ebenfalls ein Friedhof gehörte, mögen durchschnittlich hundert bis zweihundert Menschen gelebt haben. Sie hieß wohl noch nicht Bruchsal, viel eher trug auch sie einen Namen mit der Endung »-heim«, wie sie sich bis heute bei vielen Orten im Saalbachtal erhalten hat. Stra-


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Bevor es Bruchsal gab

tegisch günstig platziert, muss dieses merowingerzeitliche Dorf eine zentralörtliche Bedeutung für die fränkische Kolonisation des südlichen Kraichgaus besessen haben, muss Ausgangspunkt einer planmäßigen Besitzergreifung in diesem Raum gewesen sein.

Königshof

Perlschnurartig reihen sich im Saalbachtal die Orte Heidelsheim, Helmsheim, Gondelsheim und Diedelsheim entlang der Aue mit ihren fruchtbaren, lössbedeckten Hängen auf. Die moderne Landkarte Nordbadens hat in dieser Epoche ihren Ursprung, ebenso die Rolle von Bruchsal als Mittelzentrum des Bruhrains und des vorderen Kraichgaus.

Die zentralörtliche Funktion Bruchsals am Kreuzungspunkt wichtiger Straßen hat im 10. Jahrhundert zur Entstehung eines Königshofes beigetragen, der nun auf dem Boden von älterem Reichsgut parallel zum Weißenburger Klosterbesitz in Erscheinung tritt. In der Zeit zwischen 976 und 1067 sind sieben Aufenthalte deutscher Könige und Kaiser belegt, was Bruchsal unter die bedeutenderen Pfalzorte jener Epoche erhebt. Mit den ganz großen, die mehr als dreißig Besuche verzeichneten, kann es zwar nicht konkurrieren, lässt aber die kleineren Königshöfe mit nur ein oder zwei Aufenthalten souverän hinter sich. Schon der Name selbst, der bis heute die Stadt bezeichnet, steht in diesem Zusammenhang. Wenn die alte Siedlung bei der Peterskirche tatsächlich ein »-heim«-Ort war, dann hat die neue Benennung jedenfalls diese frühere völlig verdrängt. In der Schreibform »Bruohsele« durch Kaiser Otto II . im Januar 976 erstmals verwendet, bezieht sich der Wortstamm »Bruch« auf die natürliche Beschaffenheit des sumpfigen und feuchten Bodens in der Niederung. Entscheidend ist der zweite Teil: Er meint wohl »Saal« oder »Halle« eben im Sinne eines Königshofes, aber das Wort kommt im süddeutschen Raum kaum vor. Häufig ist diese Endung allenfalls in Belgien und Nordfrankreich – Brüssel und Bruchsal meinen dasselbe! –, und so dürfte wohl eine ursprünglich fränkische Vokabel als exotischer Import an den Oberrhein gelangt sein. Ein solcher Königshof stand weder politisch noch wirtschaftlich im luftleeren Raum, denn strategische Platzierung und ökonomische Absicherung waren die beiden Grundbedingungen

Noch etwas anderes prägte die Herrschaft der Franken. Ihr Übertritt zum Christentum schuf eine der Grundlagen des europäischen Mittelalters. Vermehrt entstanden im frühen 7. Jahrhundert örtliche Kapellen, und recht sicher kann die heutige Bruchsaler Peterskirche unter ihre verschiedenen Vorgängerinnen auch ein fränkisches Gotteshaus zählen. Zugleich waren mit der fränkischen Machtübernahme in Südwestdeutschland umfangreiche alamannische Ländereien in die Hand der merowingischen Könige gelangt. Aus ihrem Besitz wiederum wurde die kleine Bruchsaler Siedlung samt angrenzendem Grund und Boden wohl nach 700 dem Kloster Weißenburg übertragen, und wahrscheinlich stammt von dort auch das Patrozinium der Peterskirche. In deren näherem Umfeld beginnt die Bruchsaler Stadtgeschichte im eigentlichen Sinn.


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