Kleine Geschichte
Kleine Geschichte des
Saarlands Paul Burgard
G. Braun Buchverlag
Erschienen in der gemeinsamen Reihe des DRW-Verlags und des G. Braun Buchverlags: »Regionalgeschichte – fundiert und kompakt«
Karlsruhe www.gbraun-buchverlag.de
Einbandabbildung: Walter Bernstein: Hochofengruppe Neunkirchen. Ölgemälde Abbildungsnachweis: Soweit nicht anders vermerkt, stammen alle Abbildungen und Karten in diesem Buch aus dem Landesarchiv Saarbrücken. Die Karte auf S. 12 wurde hergestellt vom Kartographischen Büro Dieter Ohnmacht, Frittlingen. © 1. Auflage 2010 DRW-Verlag Weinbrenner GmbH & Co. KG, Leinfelden-Echterdingen Lektorat: Isabella Eder Satz: post scriptum, www.post-scriptum.biz Druck: Offizin Chr. Scheufele, Stuttgart Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes (auch Fotokopie, Mikroverfi lmung und Übersetzung) ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Dies gilt auch ausdrücklich für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen jeder Art und von jedem Betreiber. ISBN 978 - 3 - 7650 - 8394 - 5
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
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Viele Wege beginnen mit Rom
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Aus Kelten werden Gallo-Römer – Vom Untergang zu neuen Ufern – Grafen, Herzöge, Bischöfe und noch ein römischer Anfang
Zwischen Krieg und Frieden: vom Spätmittelalter zur Réunion
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Saargeschichte, deutsch-französisch – Glauben und Sterben lassen – Wiedervereinigung à la française
Aufstieg und Fall des saarländischen Absolutismus
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L’Etat c’est quoi? – Die Last der Herrlichkeit – Von Kaiser zu Kaiser
Politisierung, Industrialisierung, Nationalisierung
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Zwischen den Revolutionen – Ein Land kommt zum Zug – Von äußeren und inneren Feinden
Der besondere Weg des Saarlands
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Die Saar bleibt deutsch, die Saar wird braun – Mit dem »Führer« in den Abgrund – Das Saarstaat-Experiment
Das jüngste der alten Bundesländer
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Der lange Schatten des Sonderwegs – Neue Kultur, neue Politik, neue Wirtschaft – Von der »großen« Wiedervereinigung zum Landesjubiläum
Zeittafel zur Geschichte des Saarlands
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Literaturauswahl
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Vorwort
Am 3. Oktober 2009 wurde bereits zum dritten Mal ein Tag der deutschen Wiedervereinigung in Saarbrücken begangen. Es war natürlich nicht die sprichwörtliche Feierfreudigkeit der Saarländer, die ihnen das Privileg einbrachte, bisher mehr Einheitstage als jedes andere Bundesland veranstalten zu dürfen. Vielmehr verdankt das Land diesen Spitzenplatz seiner besonderen Geschichte, die am 1. Januar 1957 mit der Eingliederung in die Bundesrepublik Deutschland zu Ende ging. Wie bei den späteren Einheitsfesten, so waren auch an diesem Tag der »kleinen Wiedervereinigung« tausende Menschen auf den Straßen der Landeshauptstadt, um einen deutschen Bundeskanzler zu empfangen, der damals Konrad Adenauer hieß. Der »Alte« nannte diesen 1. Januar, an dem das Saarland zum elften deutschen Bundesland wurde, den schönsten Neujahrstag seines langen Lebens. Bei vielen Bundesbürgern außer- und selbst innerhalb des Saarlands sind die Tatsachen und die Hintergründe des saarländischen Sonderwegs schon lange in Vergessenheit geraten. Dass das kleine »Zipfelland« im Südwesten der Republik eine lange und turbulente Vorgeschichte besitzt, dass es zwei Mal als Streitobjekt einer europäischen Nachkriegsordnung hart umkämpft war, dass es einst zum französischen Wirtschaftsraum gehörte und als erster europäisierter Staat bei der politischen Integration des Kontinents voraus schreiten sollte, das dürfte vor allem den jüngeren Generationen in Deutschland kaum mehr bekannt sein. In den Köpfen der meisten Deutschen ist das Saarland vermutlich fast so weit entfernt, wie es die DDR vor dem Fall der Mauer für die Westbürger war – auch wenn es rund um die Saar natürlich niemals eine gefährliche
Vorwort
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Demarkationslinie gab, die einen daran gehindert hätte, Land und Leute näher kennen zu lernen. Freilich konnte das Saarland auch niemals mit außergewöhnlichen Gegebenheiten aufwarten, die quasi von selbst eine gedankliche Verbindung mit der Region zwischen Mosel und Pfälzerwald hergestellt hätten. Keine Metropole und keine Meeresküste, keine städtische Skyline und kein Alpenpanorama, keinen Kölner Dom und kein Schloss Neuschwanstein können die Saarländer ihren Gästen bieten. Und ein entscheidendes Kapitel der deutschen Geschichte wurde hier auch nicht geschrieben, eine Tatsache, die dadurch zusätzlich untermauert zu werden scheint, dass das Saarland im Vergleich zum Süden und Südwesten des Alten Reiches nur wenig historische Bausubstanz besitzt. Hartnäckig gehalten haben sich höchstens zwei Assoziationen, die vor allem in den deutschen Nachkriegsgenerationen verbreitet waren. Die eine sieht im Saarland ein verräuchertes Industrierevier, in dem fast alle Bewohner Kohle und Stahl produzieren. Die andere hat für diese Bewohner das wenig schmeichelhafte Wort von den Saarfranzosen konserviert, deren umfassende Deutschkenntnisse den Fremden bei einer Begegnung mit realen Saarländern angeblich immer wieder überrascht haben. Wie nahe diese absurde Vorstellung an der wirklichen Fremdwahrnehmung war, zeigte sich noch bis vor wenigen Jahrzehnten, als etwa eine norddeutsche Stadtverwaltung im Saarland um touristisches Informationsmaterial bat – und diese Anfrage mit dem Zusatz spezifizierte, dass die Informationen bitte in deutscher Sprache übersandt werden mögen. Indes, wie alle Klischees, so haben auch die über das Saarland kursierenden ihren wahren Kern. Denn natürlich hat die Industrialisierung dieses Land und seine Menschen geprägt, verliehen ihm Kohle und Stahl eine Bedeutung, die es ohne diese Gewerbe nie erlangt hätte und die es im Konfliktfall zum Objekt der Begierde zwischen den damals verfeindeten Nachbarn Deutschland und Frankreich werden ließ. Diese ökonomisch-politische Doppelrolle
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Vorwort
war es auch, die aus dem Saarland überhaupt erst eine administrative Einheit machte. Allerdings war der Weg zur saarländischen Eigenständigkeit alles andere als einfach. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde das Industrierevier vom Deutschen Reich abgetrennt und als Saargebiet zum internationalen Mandatsgebiet des Völkerbunds. 1935 stimmten die Saarländer in einer Volksabstimmung mit überwältigender Mehrheit für die Heimkehr ins Reich, obwohl dort inzwischen die nationalsozialistischen Diktatoren herrschten. Deren regionale Vertreter hielten nach der Rückgliederung die bürokratische Eigenständigkeit des Landes aufrecht, und so konnte das Saarland nun auch namentlich als politische Einheit entstehen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Land abermals vom deutschen Boden getrennt, und abermals war es Frankreich, dessen Sicherheits- und Kriegsentschädigungsinteressen diesen Weg bestimmten. Allerdings wurde das Saarland nun sogar zu einem teilautonomen Kleinstaat, der in enger Anlehnung an Frankreich zum ersten europäisierten Musterland heranwachsen sollte. Erst nachdem die saarländische Bevölkerung im zweiten Referendum von 1955 dieses politische Ziel erneut mit großer Mehrheit ablehnte, war der »endgültige« Weg in die Bundesrepublik Deutschland frei. So viel Geschichte für so ein kleines Land, hatte angesichts dieser Entwicklung vor einigen Jahren der Historiker Armin Heinen mit einer Mischung aus Respekt und Erstaunen festgestellt. Selbstverständlich wird der saarländische Sonderweg auch in dem vorliegenden Buch gebührend gewürdigt, zumal die Voraussetzungen und Folgen dieses Sonderwegs bis zum heutigen Tage nachwirken. So hat sich die schwerindustrielle Prägung des Landes, die einstmals den ökonomischen Reichtum und die politische Eigenständigkeit begründeten, im Laufe der Bundeslandsgeschichte in eine manchmal kaum tragbare Hypothek verwandelt. Der Strukturwandel, der im Gefolge des Niedergangs der Montanindustrie einsetzte, ist bis zum heutigen Tag noch nicht abgeschlossen; er hat das Saarland – gerade wegen seiner vormaligen Monostruktur – oft
Vorwort
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bis an die Grenzen belastet. Die Voraussetzung für die politische Existenz des Saarlandes war zeitweise zu einer existenziellen Bedrohung geworden. Das Saarland ist mit einem Gebiet von rund 2500 Quadratkilometern und einer (rückläufigen) Bevölkerungszahl von rund einer Million Menschen das kleinste Flächen- und das zweitkleinste Einwohner-Land der Bundesrepublik Deutschland. Da das kleine Land zudem – in Euro – zehntausendmal mehr Schulden als Einwohner hat, ist für viele nicht saarländische Deutsche das Erstaunlichste am Saarland die Tatsache, dass es überhaupt noch (politisch) existiert. So steht die saarländische Existenzberechtigung bei den mit schöner Regelmäßigkeit wiederkehrenden Föderalismusdebatten schon seit Jahrzehnten zur Diskussion, mit unterschiedlichen Begründungen und Zielvorgaben wurde dem Land schon oft das Totenglöckchen geläutet. Gleichwohl zeigten sich Land und Leute viel widerstandsfähiger als das von außen vermutet wurde. Lange Kriegs- und Krisenerfahrungen haben nicht nur an der Substanz der Menschen gezehrt, sie haben andererseits auch zur Ausbildung eines saarländischen Selbstbewusstseins beigetragen, haben gegen die politische »Fremdbestimmung« eine landsmannschaft liche Identität gesetzt, aus der sich heute zu einem großen Teil der Willen zur politischen Selbstständigkeit speist. In einer föderalen Struktur der Bundesrepublik, die auch von ihren kulturellen Unterschieden und gewachsenen historischen Traditionen lebt, hat ein solches Land durchaus seine Existenzberechtigung – zumal die bestehenden Finanzprobleme »nur« durch eine Länderneugliederung wohl kaum beseitigt würden. Zwei Abschnitte dieser Überblicksdarstellung sind den »besonderen« Seiten der saarländischen Geschichte gewidmet. Die Formierung des Industriereviers und die politische Instrumentalisierung im Zeitalter der Nationalstaaten und des Nationalsozialismus gehören dazu, aber auch die außergewöhnliche internationale Entwicklung nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg. Es sind diese
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Vorwort
Themen und Zeiträume, die auch von der saarländischen Historiographie bisher am intensivsten untersucht wurden, wohingegen die Geschichte des Bundeslandes, mit der dieses Buch schließt, noch weitgehend eine wissenschaft liche terra incognita darstellt. Wesentlich besser sieht es da mit der antiken, mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Geschichte aus, wiewohl die bisweilen dürftige Quellenlage einer tiefer reichenden Erforschung natürliche Grenzen setzt. Immerhin hat die historische Landeskunde bereits vor Jahrzehnten wichtige Grundlagenarbeit geleistet, zudem existiert eine Fülle von Lokalstudien und Analysen zu Einzelaspekten, die unsere Kenntnis vom Saarland jener Zeit erheblich erweitert haben. Besonders für das 18. Jahrhundert liegen umfangreiche Studien vor, die detaillierte Einblicke in den saarländischen Absolutismus und die Ära der Französischen Revolution erlauben. Bereits in den ersten drei Abschnitten dieses Bandes, die die »frühe« Geschichte des Saarlandes rekapitulieren, stehen zwei Sachverhalte im Mittelpunkt, die die Historie des Landes bis heute wie einen roten Faden durchziehen. Es sind dies die allgemeinen Lebensbedingungen in einem zentraleuropäischen Grenzland und – im Besonderen – die politisch-kulturellen Wechselfälle, die das Saarland wegen seiner Lage im deutsch-französischen Raum erfuhr. Am Schnittpunkt zweier wichtiger Fernstraßen gelegen, profitierte das Land einerseits bereits zu keltischen und römischen Zeiten von den Einflüssen wechselnder Hochkulturen, deren Zeugnisse in Hülle und Fülle aus saarländischer Erde geborgen wurden. Andererseits wurde die Region auch schon früh zum Aufund Durchmarschgebiet militärischer Verbände, die Spuren der Verwüstung aus zwei Jahrtausenden hinterlassen haben. Prägend wurde für das Saarland jedoch besonders die höchst ambivalente deutsch-französische Historie. Von der merowingischen Vorzeit über die feudalen Abhängigkeiten des Mittelalters sowie die Kriege der Neuzeit und Moderne bis hin zur Gegenwart, da sich das Saarland als europäische Brücke zwischen Deutschland und Frank-
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reich versteht, reicht der Bogen einer Beziehungsgeschichte, die der Region viel Leid brachte, ihr aber auch manchen Höhepunkt bescherte. Heute, da sich aus der ehemaligen »Erbfeindschaft« zwischen Deutschland und Frankreich längst eine freundschaft liche Nachbarschaft entwickelt hat, da man diesseits und jenseits der Saar wie selbstverständlich grenzüberschreitend lebt und arbeitet, ja da die Grenze »höchstens« noch als eine solche der Sprache existiert, kann man auch mit größerer Gelassenheit in die gemeinsame Geschichte zurückblicken. Und man entdeckt dabei, wie problematisch es ist, zumindest die ältere Geschichte des Saarlandes überhaupt in nationalen Kategorien zu erfassen oder zu bewerten – so wie dies im »nationalen Auftrag« die Historiker beider Länder vor allem im 19. und 20. Jahrhundert taten. Stattdessen sieht man heute immer mehr, wie groß und vielfältig das gemeinsame kulturelle Erbe ist und aus wie vielen unterschiedlichen Quellen sich jene Geschichte speist, die im 20. Jahrhundert das Saarland hervorbrachte.
Viele Wege beginnen mit Rom
Aus Kelten werden Gallo-Römer Am Anfang war Cäsar. Seit langem schon nennen Historiker gute Gründe dafür, den Gang des Saarlands durch die europäische Geschichte mit dem Vollender des Römischen Imperiums beginnen zu lassen. Nicht nur, weil nach der Eroberung Galliens – zu dessen nördlichen Stammesgebieten die Saarregion gehörte – die römische Zivilisation und mit ihr die moderne Schrift in einer weitgehend mündlichen Kultur Einzug hielt. Auch die nicht-schrift lichen Überlieferungen und Zeugnisse, die seit der Zeitenwende erhalten sind, sprechen eine deutliche Sprache. Sie belegen in vielen Einzelheiten und an zahlreichen Orten das Ausmaß des wirtschaft lichkulturellen Aufschwungs dieser Region im ersten nachchristlichen Jahrhundert und sie gewähren manche Einblicke in das alltägliche Leben der »Saarländer« in der Antike. Allerdings gibt es viel ältere Spuren menschlicher Zivilisation im Raum zwischen Mosel und Saar, zwischen Pfälzer Wald und Hunsrück. Und manche von ihnen sind so deutlich, dass sich ein weiter gespannter Rückblick in die saarländische Geschichte lohnt. Vom Faustkeil aus der älteren Steinzeit über Geräte und Waffen aus dem Mesolithikum bis hin zu jungsteinzeitlichen Siedlungsund Ackerbauzeugnissen reichen die Funde, die menschliche Aktivitäten im Saarland in der noch immer »vorgeschichtlich« genannten Zeit belegen. Das Bild, das sich durch archäologische Grabungen aus dieser Periode ergibt, verdichtet sich in der Bronze-, und dann ganz besonders in der Eisenzeit. Reste von Behausungen und Befestigungsanlagen, Funde aus Gräbern und Vorratsgruben bezeugen einerseits die Tatsache und das Ausmaß der Siedlungsver-
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dichtung, im Einzugsgebiet von Hunsrück und Hochwald ebenso wie an der Saar und auf den fruchtbaren Böden im Bliesgau. Andererseits zeigen Waffen und Schmuck, Keramiken und Metallkannen, die vor allem als Beilagen in zahlreichen Gräbern gefunden wurden, dass Kunst und Technik an der Saar schon vor den Römern ein hohes Niveau erreicht hatten, dass ein weit reichender Handel begonnen hatte und die soziale Differenzierung der Gesellschaft weit fortgeschritten war. Besonders eindrucksvoll dokumentieren sich diese sozialen Hierarchien in einer Vielzahl so genannter Fürstengräber, die an verschiedenen Orten des Saarlandes gefunden und untersucht wurden. Mit ihren Ausmaßen und ihrer exponierten Lage – oft auf bewaldeten Höhenzügen errichtet – sowie mit ihren zum Teil kostbaren Beilagen künden diese Grabstätten noch nach Jahrtausenden von der hervorgehobenen Stellung ihrer Besitzer. Worauf sich diese besondere Stellung im Einzelnen gründete, ist noch nicht abschließend zu klären. Ob es sich tatsächlich um lokale Machthaber handelte und die Existenz von Fürstengräbern mithin immer auch das Vorhandensein eines keltischen Machtzentrums belegt, bleibt fraglich. Einiges spricht hingegen dafür, in den männlichen Bestatteten »Kriegsfürsten« zu sehen, Angehörige einer erfolgreichen Kriegerklasse, die posthum mit entsprechenden Beigaben – Schwerter, Lanzen, Streitwagen – und einem von Frankreich über die Schweiz bis Südwestdeutschland gleichen Totenritual geehrt wurden. Auch innerhalb dieser fürstlichen Kriegerklasse gab es soziale Differenzierungen, wie sie in den gefundenen Rangabzeichen, aber auch in den unterschiedlich wertvollen Materialien anderer Grabbeigaben bezeugt sind. In enger Nachbarschaft zueinander zeigen dies die Fürstengräber im Nordsaarland, wo ein Schwerpunkt solcher Nekropolen aus dem 6. bis 4. Jahrhundert vor Christus erhalten ist. Mit Theley und Remmesweiler, Schwarzerden und Schwarzenbach, Marpingen und Freisen ist der Landkreis Sankt Wendel besonders stark vertreten, gefolgt vom Kreis Merzig-Wadern, der
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Viele Wege beginnen mit Rom
in Besseringen, Gehweiler und Weiskirchen ebenfalls beachtliche Funde zu Tage befördert hat. Ein Jahrhundert lang galt das 1849 entdeckte Brandgrab von Schwarzenbach als Krönung der saarländischen Fürstengräber. Waffen, Goldschmuck und Bronzegefäße – darunter eine Amphore für die Asche des Verstorbenen – gehören zu diesem außergewöhnlichen »Schatz«, von dem große Teile Mitte des 19. Jahrhunderts ins Alte Museum nach Berlin gelangten, andere später ins Rheinische Landesmuseum nach Trier gingen. Archäologische Berühmtheit hat Schwarzenbach vor allem wegen seiner prunkvollen »Goldschale« erlangt, die ebenfalls in Berlin zu sehen ist.
Derselbe war mit einem Deckel verschlossen … Gefunden wurde das Fürstengrab von Schwarzenbach von dem Landwirt Adam Conrad am 22. Oktober 1849. Beim Pflügen stieß er auf einen aus dem Boden schauenden Bronzekrug, der Asche und zum Theil noch gut erhaltene Bruchstücke von Knochen, welche die Kinder nach Geld suchend zerstreuten, enthielt. Die Freilegung und Sicherung der Fundstätte übernahm der Unternehmer und Hüttenbesitzer Gustav Adolph Böcking, der mit dem archäologischen Sensationsfund freilich nicht ganz so verfuhr, wie man das heute gewohnt ist. Einen silbernen Armreif aus dem Schatz schenkte er nämlich seiner Frau, weitere Fundstücke überließ er seinem Vater in Berlin, von dem sie an die Königlichen Museen der preußischen Hauptstadt veräußert wurden.
Der kunstvoll gearbeitete Goldblechbeschlag dieser »Schale«, die eigentlich ein Trinkhorn ist, bezeugt nicht nur den Wohlstand in einer hoch entwickelten keltischen Kultur im Saarland. Die reiche Ornamentik stellt sie auch in den Kontext der zeitgenössischen mediterranen Kultur, wo die Kelten der La-Tène-Periode in Etrurien oder Griechenland ihre künstlerischen Vorbilder fanden.
Aus Kelten werden Gallo-Römer
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Damit wird auch die Produktivität eines kulturellen Austauschs zwischen Norden und Süden deutlich, der durch den Import mediterraner Kunst- und Gebrauchsgegenstände an der Saar bereits für die Zeit der Hallstatt-Kultur, in der ersten Hälfte des letzten vorchristlichen Jahrtausends, bekannt ist. Umgekehrt konnten die saarländischen Kelten mit eigenen Produkten aufwarten, die für den Export geeignet waren und denen sie unter Umständen auch den in den Fürstengräbern sichtbaren Wohlstand zu verdanken hatten. An einigen Orten des Nordsaarlands, auch unweit des Schwarzenbacher Fürstengrabes, wurden über viele Jahrhunderte hinweg die dortigen Erzvorkommen abgebaut, das Spat- und Roteisen in Eisengruben geschmolzen. Einige Belege sprechen dafür, dass die keltischen Handwerker mit ihren ausgeklügelten Schmelzund Schmiedeverfahren Geräte und Waffen herstellen konnten, die lange vor der Erfindung der Hochöfen stahlähnliche Qualität besaßen. Etwa 70 Kilometer von Schwarzenbach entfernt wurde am anderen, südlichen Ende des Saarlands im März 1954 ein Fürstengrab geöffnet, das alle bis dahin (und heute) gemachten saarländischen Funde aus prähistorischer Zeit in den Schatten stellt. Weniger, dass das Fürstengrab bei Reinheim, unmittelbar an der deutsch-französischen Grenze gelegen, eine Fürstin beherbergte, machte seine Einzigartigkeit aus – entsprechende Frauengräber wurden auch in der südpfälzischen oder rheinhessischen Nachbarschaft gefunden. Aber die Qualität des Grabgutes, das der in einer Holzkammer bestatteten Toten beigegebenen worden war, die Opulenz von Schmuck und Geräten und auch die hier möglichen Erkenntnisse zur keltischen Kultur machten die Fürstin von Reinheim weit über die saarländischen und deutschen Grenzen hinaus bekannt. Goldene Hals-, Arm- und Fingerringe, bronzene Kannen und Schalen, Perlen aus Bernstein und Glas, Masken und Tierfibeln, ein mit Korallen verzierter Bronzespiegel oder ein ungewöhnliches Taschenmesser: Es war fast so etwas wie ein keltisches Kunstkabinett, das
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die Archäologen im Frühjahr 1954 betreten konnten. Bei näherer Untersuchung des »Katzenbuckels«, in dem die Fürstin aus dem vierten vorchristlichen Jahrhundert gefunden wurde, zeigte sich auch, dass sie nicht allein in südsaarländischer Erde bestattet worden war. Ihr Hügel war vielmehr Teil einer Nekropole mit mehreren aufgewölbten Grabstätten, die allerdings bereits zu römischer Zeit eingeebnet worden waren und aus denen keine Funde mehr zu Tage befördert werden konnten. Umso mehr stellte sich die Frage, welchem Umstand die Fürstin von Reinheim ihre exponierte Position im Jenseits zu verdanken hatte. Da nachzuweisen ist, dass die wohlTeilansicht eines prachtvoll gearbei- habende Dame ihren privilegierteten Goldrings aus dem Fürstinnen- ten Platz keinesfalls einfach »nur« grab bei Reinheim an der deutschals Frau eines Reinheimer Fürsten französischen Grenze eingenommen hat, spricht einiges für die von der jüngeren Forschung vertretene Theorie, die in ihr eine Funktionsträgerin der keltischen »Religion« sieht. Einer Religion, die sich in den Kultgegenständen des Reinheimer Grabes – Bernsteinstab und -collier, Gürtelkette mit Amulettanhängern – niederschlug und die die Züge des griechischen Artemis- wie des etruskischen Minerva-Kultes trägt. Auch in spirituellen Angelegenheiten orientierten sich die saarländischen Kelten also an den damals »modernen« mediterranen Kulturen.